Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=03.10.2017 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung:  tt.mm.jj
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20   D-91052 Erlangen
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    Anfang_ Abwehrmechanismen und Neutralisationsmechanismen_ Überblick_ Rel. Aktuelles_ Rel. Beständiges _  Titelblatt_ Konzeption_ Archiv_ Region_ Service_iec-verlag___Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung forensische Psychologie, Bereich Aussage und hier speziell die verzerrenden Einflüsse der

    Abwehrmechanismen und Neutralisationsmechanismen

    Texte aus der Diplom-Arbeit von Rudolf Sponsel (1976) - Zur Aktualität 2017.


    "Die Neutralisationstechniken sind grob charakterisiert so etwas wie die aus der psychoanalytischen Ichtheorie bekannten Abwehrmechanismen. Und die Theorie besagt, grob ausgedrückt, daß delinquentes Verhalten begünstigt wird, in dem solche Mechanismen gelernt werden. Diese Mechanismen sind so etwas ähnliches wie "Unrechtsverwandler", sie ermöglichen dem delinquent handelnden Individuum, die Delinquenz zu neutralisieren, daher der sinnreiche Name der Techniken.
    Die allgemeine Formel für die Funktion dieser Techniken lautet: "Normalerweise ist das, was ich getan habe, nicht mit dem Recht vereinbar, aber ... in diesem meinem Fall, in dieser 'speziellen' Situation konnte ich nicht anders oder andere hätten das Gleiche getan oder es ist ja gar nichts passiert, oder den es getroffen hat, dem geschieht es recht oder ... oder ... oder.
        Es ist klar, daß solche Techniken wie ja die Abwehrmechanismen überhaupt, eine überaus wichtige Stütze zur Erhaltung des Selbstwertgefühles darstellen. So wenig wie ein Mensch ohne Abwehrmechanismen auskommen kann, die er tagtäglich einsetzt, um sein Leben zu bewältigen, so wenig dürfte der Mensch frei von Neutralisationsmechanismen sein. Sie ermöglichen ihm, all die kleinen Unkorrektheiten, Vergehen und die kleinen "Gaunereien" bzw. Streiche, die ihm im Alltag unterlaufen, abzuwehren zum Zwecke der subjektiven Wohlbefindlichkeit." (S. 1f)

    S. 15ff: "Neutralisationsmechanismen und Abwehrmechanismen
    Die Frage, inwieweit die Neutralisationsmechanismen nichts anderes als die aus der psychoanalytischen Ichtheorie bekannten Abwehrmechanismen sind, ist nicht undelikat und. verdient eine Betrachtung.
    TOMAN (1968,S. 118) charakterisiert die Mechanismen wiefolgt:
     

      "Allen Abwehrmechanismen gemeinsam ist, daß sie für Motive eingesetzt werden, die bisher befriedigt werden konnten, aber fortan nicht mehr befriedigbar sind. Das Objekt (oder der Objektaspekt) der möglichen Befriedigung ist verschwunden, oder es (er) ist zwar weiterhin vorhanden, aber der Befriedigung folgt Schmerz bzw. Strafe. Implizit kann außerdem angenommen werden, daß jeder Abwehrmechanismus seinerseits eine Art von Befriedigung der ursprünglichen Motive, eine mehr oder weniger Ersatzbefriedigung liefern muß, um überhaupt wirksam sein zu können."


    Strittig ist, inwiefern es notwendiges Charakteristikum der Abwehrmechanismen ist, daß sie unbewußt eingesetzt werden (FREUD, ANNA o.J. S. 26; LAPLANCHE/PONTALIS Bd. 1 1973, S. 24), ebenfalls strittig ist die Vielzahl und Funktion der in der Literatur postulierten Abwehrmechanismen (LEVITT 1973, S. 36). Abwehrmechanismen können wie Neutralisationen gelernt werden (TOMAN 1973 II, S. 65); TOMAN spricht sogar von "automatisiert" (a. a. O.), was dafür spricht, daß zu gewissen Persönlichkeiten charakteristische Abwehrmechanismen gehören (FENICHEL II, S.164, 135, dt. 1975), wie etwa FENICHEL für den Hysteriker die Verdrängung oder für den Zwangscharakter Reaktionsbildung, Ungeschehenmachen und die Isolierung ausgemacht hat. Allgemein könnten die Neutralisationen als Abwehrmechanismen gegen das Überich aufgefasst werden, doch müssen Neutralisationsmechanismen keine Abwehrmechanismen im psychoanalytischen Sinne sein - sie können es, aber sie brauchen es nicht zu sein. Jemand kann sich z.B. durchaus bewußt sein, daß er auf seinen Arbeitgeber, der leichtfertig Material lieber verkommen läßt, als etwas den Arbeitern abzugeben, einen Haß erzeugt und darum beschließt, einfach Material zu "klauen". In der Rechtfertigung mag er anführen, daß er nicht einsieht, weshalb das Material teilweise verkommen soll. Viele solcher Fälle sind aus den sozialistischen Ländern bekannt (Chr. HELFER 1967, S. 181). [>16]

    Auch daß manche Delinquente sehr genau zwischen in Frage kommenden Opfern differenzieren (SYKES & MATZA, S. 362), spricht dafür, daß die Neutralisation häufig ganz bewußt eingesetzt wird, wobei sie gelegentlich eher den Charakter einer Erklärung denn einer Rechtfertigung hat.
        So scheint es, als ob der Übergang von "bewußt" bis "unbewußt" bei den Neutralisationen fließend ist; auch der Charakter einer Ersatzbefriedigung scheint ihnen zu fehlen, manchmal drückt sich in den Neutralisationen sogar direkte Befriedigung aus, veranschaulicht etwa durch die Formel "Dem geschieht es aber recht" (N3). Zur Neutralisation wird ein solches Verhalten im eigentlichen Sinne erst, wenn der Delinquent meint, er habe den anderen nicht schlagen wollen, weil der ihn geärgert habe, sondern er wollte ihn quasi "erziehen", ihm eine "Lektion" erteilen, die nur zu seinem eigenen "Besten" sei, wie etwa die häufigen und typischen Ratschläge (und Rechtfertigungen) von Eltern ihren Kindern gegenüber.

    Verwandtschaften zwischen Neutralisationsmechanismen und Abwehrmechanismen:

    1) N1 : Die Ablehnung der Verantwortung.

      Dieser Technik dürften am nächsten die Rationalisierung (die Umstände waren schuld), die Verschiebung (andere hätten das Gleiche getan), die Projektion. ich bin gezwungen worden; nicht die eigene Schwäche wird gesehen, sondern die Außenwelt als überstark erlebt, wie der Geizige nicht seinen Geiz, sondern die Welt als verschwenderisch sieht )


    2) N2: Die Verneinung des Unrechts.

      Hier wird zwar die Tat nicht verneint, aber quasi dadurch, daß nichts geschehen, nichts passiert ist, "ungeschehen" gemacht, oder der Schaden wird durch Leugnung der Realität ganz einfach nicht wahrgenommen.


    3) N3: Die Ablehnung des Opfers.

      Hier kommen wieder mehrere Mechanismen in Frage. Der Reizbare und Frustrierte sieht nicht seine Frustration und Reizbarkeit, sondern erlebt die Umwelt als provokativ und projiziert damit; zudem verschiebt er häufig, in dem er Schwächen und Mängel bei andern ausmacht ("Der Staat beschäftigt selber eine Menge 'Gauner'"), hinzu kommen [>17] Rationalisierung und Leugnung der Realität wie das Ungeschehenmachen (der Betrug ist kein Betrug, weil ein Betrüger betrogen wird).


    4.) N4: Die Verdammung der Verdammenden.

      Hier wirken wohl Projektion und Verschiebung am ehesten zusammen, gepaart mit einer zwanghaften Schicksalsgläubigkeit (Glück und Beziehungen schweißen die andern gegen mich zusammen).


    5) N5: Die Berufung auf höhere Instanzen.

      Eine gewisse Verwandtschaft scheint hier zum 10. der klassischen, von Anna FREUD verfochtenen Abwehrmechanismen, der Sublimierung, zu bestehen. Aus höheren Motiven fühlt man sich gezwungen, dem "eigentlichen" Recht zur Verwirklichung zu verhelfen."



    Literatur (aus der Diplom-Arbeit zitierte Texte)
    • Fenichel, Otto: Psychoanalytische Neurosenlehre, Bd. II, Freiburg 1975
    • Freud, Anna: Das Ich und die Abwehrmechanismen, dt. o.j. (Kindler "Geist und Psyche")
    • Helfer,Christian: "Das Kavaliersdelikt". Monatsschrift für Kriminologie 1967 S. 175ff.
    • König, R. (Hrsg.): Kriminalsoziologie. Frankfurt 1968
    • Laplanche/Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt 1973.
    • Levitt, Eugen: Die Psychologie der Angst. Stuttgart 1973.
    • Sponsel, Rudolf (1976) Delinquenz im Alltag - Empirische Prüfung der Delinquenztheorie "Techniken der Neutralisierung" von SYKES & MATZA bei Bagatell- und Kavaliersdelikten. Diplomarbeit am Psychologischen Institut der Universität Erlangen-Nürnberg.
    • Sykes, G. M. / Matza, D.: Techniken der Neutralisierung: Eine Theorie der Delinquenz. in: KÖNIG 1968, S. 360 ff.
    • Toman, Walter: Motivation, Persönlichkeit, Umwelt. 1968
    • Toman, Walter: Einführung in die Allgemeine Psychologie, Bd. II, 1973

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    Links (Auswahl: beachte)



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Eigener wissenschaftlicher Standort:
     
    . einheitswissenschaftliche Sicht. Ich vertrete neben den Ideen des Operationalismus, der Logischen Propädeutik und einem gemäßigten Konstruktivismus auch die ursprüngliche einheitswissenschaftliche Idee des Wiener Kreises, auch wenn sein Projekt als vorläufig gescheitert angesehen wird und ich mich selbst nicht als 'Jünger' betrachte. Ich meine dennoch und diesbezüglich im Ein- klang mit dem Wiener Kreis, daß es letztlich und im Grunde nur eine Wissenschaftlichkeit gibt, gleichgültig, welcher spezifischen Fachwissenschaft man angehört. Wissenschaftliches Arbeiten folgt einer einheitlichen und für alle Wissenschaften typischen Struktur, angelehnt an die allgemeine formale Beweisstruktur. 
       Schulte, Joachim & McGuinness, Brian (1992, Hrsg.). Einheitswissenschaft - Das positive Paradigma des Logischen Empirismus. Frankfurt aM: Suhrkamp.
       Geier, Manfred (1992). Der Wiener Kreis. Reinbek: Rowohlt (romono).
    Kamlah, W. & Lorenzen, P. (1967). Logische Propädeutik. Mannheim: BI.
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    Wissenschaft [IL] schafft Wissen und dieses hat sie zu beweisen, damit es ein wissenschaftliches Wissen ist, wozu ich aber auch den Alltag und alle Lebensvorgänge rechne. Wissenschaft in diesem Sinne ist nichts Abgehobenes, Fernes, Unverständliches. Wirkliches Wissen sollte einem Laien vermittelbar sein (PUK - "Putzfrauenkriterium"). Siehe hierzu bitte das Hilbertsche gemeinverständliche Rasiermesser 1900, zu dem auch gut die Einstein zugeschriebene Sentenz passt: "Die meisten Grundideen der Wissenschaft sind an sich einfach und lassen sich in der Regel in einer für jedermann verständlichen Sprache wiedergegeben." 
    Allgemeine wissenschaftliche Beweisstruktur und  beweisartige Begründungsregel
    Sie ist einfach - wenn auch nicht einfach durchzuführen - und lautet: Wähle einen Anfang und begründe Schritt für Schritt, wie man vom Anfang (Ende) zur nächsten Stelle bis zum Ende (Anfang) gelangt. Ein Beweis oder eine beweisartige Begründung ist eine Folge von Schritten: A0  => A1 => A2  => .... => Ai .... => An, Zwischen Vorgänger und Nachfolger darf es keine Lücken geben. Es kommt nicht auf die Formalisierung an, sie ist nur eine Erleichterung für die Prüfung. Entscheidend ist, dass jeder Schritt prüfbar nachvollzogen werden kann und dass es keine Lücken gibt. 
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    LK. Laien-Kriterium. Wünschenswert ist weiterhin, dass wissenschaftliche Erkenntnisse Laien erklärbar sein sollten. Psychologisch steckt dahinter: wer einem Laien etwas erklären kann, sollte es wohl selbst verstanden haben. Siehe hierzu bitte auch das Hilbertsche gemeinverständliche Rasiermesser 1900, zu dem auch gut die Einstein zugeschriebene Sentenz passt: "Die meisten Grundideen der Wissenschaft sind an sich einfach und lassen sich in der Regel in einer für jedermann verständlichen Sprache wiedergegeben."
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    Zur Aktualität 2017
    Ich kann alle Aussagen auch heute noch unterschreiben.
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    Praxis-Info:
    Aussagepsychologische Vernehmungs- und Gutachtenanalysen. FAQ.

    Querverweise
    Standort: Abwehrmechanismen und Neutralisationsmechanismen.
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    • Gewissenstypologie und Straftaeterbehandlung. Sozial- und Psychotherapie von normativ Devianten oder / und "Kriminellen".
    • Aussagepsychologie.
    • Aussagepsychologische Wahrheitstheorie 1. Systematik der Falsch-Aussagen.
    • Suggestion und Suggestivfragen. Aussagepsychologische und vernehmungstechnische Kunstfehler.
    • Kinder und ZeugInnen richtig befragen bei sexuellem Mißbrauch / Vergewaltigung
    • Der Schutz kindlicher Opferzeugen im Strafverfahren und die Verwendung von Videotechnologie. Die Dissertation von Kipper. Mit einem kritischen Kommentar und Aufruf von Rudolf Sponsel: Mauern Staatsanwaltschaften und Justiz zum Schaden unserer Kinder?
    • Andere forensische Beweis-Methoden und Indizienquellen
    • Überblick: Forensische Diagnostik, Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie in der GIPT
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    Information zu Dienstleistungen.


    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Abwehrmechanismen und Neutralisationsmechanismen. Erlangen IP-GIPT: https://www.sgipt.org/forpsy/Aussage/AMuNM.htm
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    03.10.17  Angelegt und eingestellt.