Internet Publikation für
Allgemeine und Integrative Psychotherapie
(ISSN 1430-6972)
IP-GIPTDAS=16.10.2011
Internet Erstausgabe, letzte Änderung: 05.02.20
Impressum:
Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20
3152 D-91052 Erlangen
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Willkommen in unserer Internet-Publikation
für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Differentielle
Psychologie der Persönlichkeit, Bereich Geschlechter, und hier speziell
zum Thema:
Eindrücke vom Symposium
2011 Turm der Sinne (HVD
Bayern)
Verantwortung als Illusion ?
Moral, Schuld, Strafe und das Menschenbild der Hirnforschung
Eindrücke von Rudolf
Sponsel,
Erlangen
Zusammenfassende Eindrücke:
Insgesamt wieder einmal eine sehr gelungene - seit 1998 die 14. - Veranstaltung
des Turms der Sinne und seinem Träger, des Humanistischen Verbandes
Bayerns, mit hochkarätiger Besetzung mit einem außerordentlich
brisanten und daueraktuellem Thema: "Verantwortung als Illusion. Moral,
Schuld, Strafe und das Menschenbild der Hirnforschung." Sehr erfreulich
war auch, dass das gebetsmühlenartige Wiederkäuen der quasi-religiös
anmutenden Dogmen der Hirnforscher dank ausgewogener und auch kontroverser
Referentauswahl sich in Grenzen hielt. Fazit: Was immer man für einen
Standpunkt in der Willensfreiheitsfrage auch einnehmen möge, Einigkeit
besteht über die grundlegend kontroversen Lager hinweg, dass der Mensch
für sein Handeln im Normal- und Regelfall verantwortlich zu machen
ist. Und weitgehend einig war man sich auch, dass Vergeltung, Rache und
Strafe
hinsichtlich ihrer ethischen Fundierung, Zwecksetzung und sehr problematischen,
nicht selten kontraproduktiven Wirkungen kritisch hinterfragt werden muss.
Strafe wird gebraucht und wirkt auch im allgemeinen, doch man sollte sie
gesellschafts- und rechtspolitisch besser - nicht so alttestamentlich -
begründen und evaluieren. Das ist nun kein besonderes Verdienst der
Hirnforschung, aber durch ihrem Einfluss wurde die kritische Auseinandersetzung
weiter gefördert, wenn auch zuweilen auf absurde Spitzen getrieben
(Singer). Aber ein neues und erschreckendes Phänomen einer über
weite Strecken leichtfertigen, dogmatischen und wissenschaftstheoretisch
völlig oberflächlichen Neurowissenschaft und Hirnforschung taucht
als Gespenst am psychopathologischen Himmel der neuen Götter in Bildgebung
auf: Nicht wenige Maßregelvollzugsfälle können für
ihr Leben lang weggesperrt bleiben, weil ein Bild ihres Gehirns Abweichungen
z.B. im Stirnhirn zeigt, dessen Bedeutung nicht streng kausal abgleitet
und begründet wird, sondern lediglich Korrelationen
aufzeigt, deren Bedeutung gar nicht kritisch geklärt wird. Hier
sind gefährliche "Zauberlehrlinge"- ein trefflicher Ausdruck Prof.
Janichs - unterwegs, die in unerträglicher Weise unkritisch Herumexperimentieren,
dass sich sowohl dem Menschen als auch dem Wissenschaftler die Haare sträuben.
Das zeigt sich an dem interessanten Vortrag über die Nebenwirkungen
der tiefen Hirnstimulation
(THS). Nicht minder erschreckend waren einige Beispiele, die Prof.
Heidi Kastner brachte, wie aufgrund bildgebender Befunde PsychiatriepatientInnen
dauerhaft weggesperrt wurden. Ihr Vortrag - (natürlich waren alle
interessant - war sicher neben anderen (Beckermann, Birbaumer, Janich,
Kröber, Merkel) einer der vielen Höhepunkte dieser Tagung. Sie
sagte klipp und klar, dass es wissenschaftlich nicht zu legitimieren -
in meinen Augen sogar unverantwortlich - sei, aufgrund so geringer Fallzahlen,
wie sie die Neurowissenschaftler und Hirnforscher vorweisen könnten,
so weitreichende Folgerungen mit teilweise unerträglichen Konsequenzen
zu ziehen. Dies wurde auch durch Prof. Janich noch einmal bekräftigt,
wenn er deutlich machte, dass aus gruppenstatistischen
Werten nichts für den Einzelfall folgt. Es wird höchste Zeit,
dass sich die bildgebende Diagnostik einmal richtig mit Fragen der Bedeutung
ihrer Befunde, klaren und scharfen Definitionen,
den Fallstricken der Sprache, Objektivität, Validität, Reliabilität
und mit der grundlegenden Problematik der Operationalisierung, Test-
und Messtheorie im Hinblick auf Diagnostik
und Differentialdiagnostik beschäftigt. Die Bildgebung untersucht
das einzelne Gehirn und erfasst damit die überragende Bedeutung der
zwischenmenschlichen, sozialen und kulturellen Interaktionen (noch) nicht.
Merkel wies eindringlich darauf hin, dass es bei sozialnormativen Handlungskontexten
auf Gründe, Begründen und Verstehen ankommt und nicht auf Ursachen
und Erklären. Auch Janich machte deutlich, dass es wesentlich um Handlungszusammenhänge
in soziokulturellen Kontexten geht. Auch der Bereich der Werte wie das
Erleben kommt bislang viel zu kurz. Rätselhaft bleibt mir als Psychologen
und Psychotherapeuten, wie man fragen kann, was die Seele
sei, ob und wie es sie denn gäbe. Sie ist natürlich das,
was Erleben,
seine Verarbeitung und Speicherung beinhaltet.
Die zeitliche Disziplin ist weiter verbessert worden
und war bis auf den Samstagnachmittag weitgehend zeitplan-kongruent. Auch
die Entscheidung, die Moderation der Podiumsdiskussion in eigene Hände
zu nehmen, hat sich diesmal sehr bewährt.
Anmerkung: ich habe zwar 35 Seiten
Notizen gemacht, möchte aber für die Einzelbesprechungen den
Eingang der Beiträge abwarten, um nicht zu viele Erfassungs- oder
Auslassungsfehler zu riskieren: dafür waren die Beiträge zu wichtig.
TdS: "Verantwortung
als Illusion ?
Moral, Schuld, Strafe und das Menschenbild der Hirnforschung
14. bis 16. Oktober 2011
Ein Symposium für die interessierte Öffentlichkeit - Jede(r)
kann teilnehmen! Programm herunterladen (pdf, 606 KB)
Was wird aus Zurechenbarkeit und Schuldfähigkeit, wenn der freie
Wille bloß ein frommer Wunsch ist? Verdient Strafe, wer nicht anders
kann als es seine Neuronen erlauben? Nicht nur Kriminelle und Psychopathen,
sondern wir alle sind hirngesteuert. Doch besonders spannend ist die Anwendung
neurowissenschaftlicher Methoden bei misslingendem Sozialverhalten: Welche
Störungen sind prognostizierbar und wann ist Prävention möglich?
Wo droht Rückfall und welche Therapie hilft?
Über den Kreis der Hirnforscher, Mediziner,
Juristen und Philosophen hinaus ist es gesellschaftlich von Bedeutung,
ob eine Entmoralisierung des Rechts erfolgt und wie Verantwortung und Strafe
vom Konzept der Willensfreiheit entkoppelt werden können. Wenn der
Blick ins Gehirn die Voraussetzungen des sozialen Zusammenlebens verändert,
sind unterschiedliche Experten gefragt – aber auch jeder einzelne Hirnbesitzer."
Prof.
Dr. Dr. Gerhard Roth [HP]
Strafe oder Therapie ? Über
einen menschenwürdigen Umgang mit Gewaltstraftätern
Zusammenfassung:
"Das geltende Strafrecht setzt Willensfreiheit voraus: Auch wenn ein Täter
durch vielfältige Motive zur Tat gedrängt wurde, war er dennoch
in der Lage, sich gegen diese Motive zu entscheiden. Für die Schuld
eines Täters ist konstitutiv, dass er dies nicht getan hat. Dies begründet
Strafe als Vergeltung und Sühne.
Aus neurobiologisch-psychologischer Sicht ist dieser
Schuldbegriff zweifelhaft. Menschen handeln aufgrund unbewusster oder bewusster
Motive, die ihre Wurzeln in genetischen Prädispositionen, frühkindlichen
Prägungserlebnissen, Erziehung oder Erfahrung haben. Gewaltstraftäter
werden entweder durch ein Milieu konditioniert, das ihnen Gewalt als normal
bzw. zweckdienlich vermittelt, oder sie haben genetische, neurobiologische
und psychische Defizite, die sie zu reaktiv-impulsiven oder zu proaktiv-psychopathischen
Tätern machen. Es erscheint deshalb unethisch, ihnen eine persönliche
Schuld zuzusprechen. Auch erweist sich bei ihnen Strafe als ein pädagogisch
untaugliches Mittel. Sie haben aber ein Recht auf Hilfen, z.B. in Form
einer Therapie, die es ihnen ermöglichen, in Zukunft ein Leben in
Freiheit zu führen."
Prof.
Dr. Hans J. Markowitsch [HP]
Gehirn
und Gewalt. Der determinierte Täter
Zusammenfassung:
"Es wird die These vertreten, dass die menschliche Persönlichkeit
festgelegt ist durch die Genetik, lebenslang gemachte Erfahrungen, Einwirkungen
auf ihr Gehirn und – am Rande – Zufallsprozesse. Entsprechend dieser These
kann ein Delinquent in einem gegebenen Moment nur so handeln, wie er handelt
– er hat(te) keine Alternative. Eine besondere Rolle kommt dabei dem neuen
Wissenschaftszweig der Epigenetik zu, der beinhaltet, dass die Umwelt Gene
„an- oder abschalten“ kann. Es wird gezeigt, dass typische Delinquenten
gekennzeichnet sind durch abnorme Hirnzustände bzw. Hirnschäden
in bestimmten Hirnbereichen, psychiatrische Erkrankungen und eine problematische
Kindheit oder Jugend. Auch altersbedingte Hirnabbauerscheinungen – etwa
bei Frontotemporaler Demenz – können delinquentes Verhalten begünstigen.
Trotzdem ist festzuhalten, dass Verhaltenszustände durch die Umwelt
modulierbar sind und damit eine Persönlichkeit sich verändern
kann."
Dr.
Grischa Merkel [HP]
Psychopathische
Persönlichkeit oder Hirnschädigung ?
Konsequenzen neurowissenschaftlicher Forschung für das Menschenbild
des Strafrechts.
Zusammenfassung:
"Verantwortung ist keine Illusion! Wir tragen Verantwortung, indem wir
für bestimmte, rechtlich unerwünschte „Erfolge“ unserer Handlungen
einstehen müssen. Schuld als Unwerturteil über die Person geht
aber weit darüber hinaus, denn mit der strafrechtlichen Reaktion wird
dem Täter auch sein Wille vorgeworfen, den rechtlichen Standard nicht
einzuhalten – ein selbst gewählter Wille, so will es der Gesetzgeber:
der Täter hätte im Augenblick der Tat auch anders handeln können.
Wie plausibel ist diese Annahme in Anbetracht von
Tätern, die seit früher Jugend immer wieder Straftaten begehen?
Und warum nehmen wir diese Freiheitsunterstellung – zumindest teilweise
– zurück, wenn Erwachsene sich nach einer Hirnschädigung aggressiv
oder obszön verhalten? Bestimmt der Zustand unseres Gehirns am Ende
unsere Freiheit und unsere Schuld?
Die Hirnforschung hat nie in Frage gestellt, dass
wir in Begründungszusammenhängen leben. Gerade deshalb legt sie
uns nahe, über den Umgang mit Straftätern neu nachzudenken, über
die Verantwortung unserer Gesellschaft und über Schuld."
Prof.
Dr. Niels Birbaumer [HP]
Gehirn,
Kultur und Verbrechen. Zur Neurobiologie der Psychopathie.
Zusammenfassung:
"Der Vortrag erläutert neurobiologische Untersuchungen an psychopathischen
Gewaltstraftätern, die „neuronale Stille“ im Furcht-Erwartungssystem
des Gehirns bei diesen Personen fanden. Ein weiteres Experiment fand deutlich
reduzierte Aktivierung in spezifischen frontalen Hirnregionen bei Beobachtung
der Leiden anderer. Diese Hirnregionen wurden mit einem neuen Verfahren
zur Selbstregulation spezifischer, umschriebener Hirnregionen aus ihrem
„stillen“ Zustand geweckt. Die Trainingszeiten bei kriminellen Psychopathen
sind zwar länger, aber alle können diese Hirnregionen wieder
aktivieren, was für deren Änderbarkeit durch instrumentelles
Lernen spricht."
Dr.
Sabine Müller [HP]
Die manipulierbare
Persönlichkeit. Zur Veränderung von Charakter und Verhalten durch
Tiefe Hirnstimulation
Zusammenfassung:
"Die Tiefe Hirnstimulation (THS) wird vor allem zur Therapie schwerer Bewegungsstörungen
wie Morbus Parkinson eingesetzt. Seit einigen Jahren wird sie auch zur
Behandlung psychiatrischer Erkrankungen erprobt. Während die positive
Wirkung der THS auf die Bewegungsstörungen unbestritten ist, werden
zunehmend Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten, die Stimmung oder
das Verhalten der Patienten beobachtet. In seltenen Fällen kommt es
zu Manie, Hypersexualität oder Persönlichkeitsveränderungen
und infolgedessen sogar zu Straftaten. Bei manchen Patienten sind Stimmung
und Verhalten direkt mit Hilfe des Steuerungsgeräts für die THS
einstellbar: Auf Knopfdruck werden sie aggressiv oder depressiv. Manchmal
treten Dilemmata auf: Entweder wird die Stimulation so eingestellt, dass
der Patient sich gut bewegen kann, dabei aber manisch wird, oder so, dass
er depressiv und körperlich behindert ist. Im Vortrag werden diese
Dilemmata und mögliche Lösungen diskutiert."
Prof.
Dr. Ansgar Beckermann [HP]
Gehirn und Freiheit. Wir können
frei sein, auch wenn unsere Entscheidungen auf neuronalen Prozessen beruhen
Zusammenfassung:
"Viele Neurowissenschaftler bestreiten, dass wir über einen freien
Willen verfügen. Eines ihrer Argumente lautet, dass unsere Entscheidungen
gar nicht von uns selbst, sondern von unseren Hirnen gefällt werden.
Wer so argumentiert, setzt aber voraus, dass es eine Konkurrenz zwischen
mir und meinem Hirn gibt. Und diese Annahme wiederum beruht auf einem Cartesischen
Verständnis von Personen: Da gibt es auf der einen Seite meinen Körper,
zu dem auch mein Hirn gehört, und auf der anderen Seite mich ? vielleicht
sogar mein Ich. Doch dieses Verständnis ist falsch, und Willensfreiheit
setzt nicht voraus, dass mein Ich Entscheidungen fällen kann unabhängig
davon, was in meinem Hirn vorgeht. Vielmehr beruht Willensfreiheit darauf,
dass ich zwei Fähigkeiten besitze ? die Fähigkeit, vor dem Handeln
innezuhalten und zu überlegen, und die Fähigkeit, dem Ergebnis
dieser Überlegung gemäß zu handeln. Diese Fähigkeiten
kann ich aber auch besitzen, wenn meine Entscheidungen auf neuronalen Prozessen
beruhen."
Dr.
Marco Stier [HP]
Keine Illusionen ! Über die
Grenze der Verantwortung ohne Willensfreiheit
Zusammenfassung:
"Häufig wird befürchtet, dass Verantwortung unmöglich wäre,
gäbe es keinen freien Willen. Dabei bleibt in der Regel jedoch ungeklärt,
was es eigentlich bedeutet, verantwortlich zu sein. Untersucht man den
Begriff der Verantwortung nämlich näher, dann stellt sich heraus,
dass nicht die Zuschreibung von Verantwortung, wohl aber die Zurechnung
von Schuld von der Unmöglichkeit eines im anspruchsvollen Sinne freien
Willens betroffen ist. Es ist keine Illusion, dass wir verantwortlich sein
können – dass wir einen freien Willen besitzen und bei Verfehlungen
Strafe verdienen, ist allerdings durchaus illusorisch. Letzteres macht
es notwendig, einmal mehr über die Rechtfertigungsmöglichkeiten
von Strafe nachzudenken. Im Vortrag wird versucht, mit unbegründeten
Ängsten aufzuräumen, zugleich aber dennoch vor ungerechtfertigter
Erleichterung zu warnen."
Dr.
Adelheid Kastner [HP]
Wert, Sinn und
Zweck des Normativen. Willensfreiheit aus forensisch-psychiatrischer Sicht
Zusammenfassung:
"Der Vortrag befasst sich mit den Auswirkungen der aktuellen Debatte über
die Willensfreiheit, v.a. im forensisch-psychiatrischen und daher auch
strafrechtlichen Bereich. Reichen die vorliegenden Erkenntnisse aus, um
die geltenden Grundlagen des gesellschaftlichen Konsenses in Frage zu stellen
und das Konzept von Eigenverantwortung und folglich Schuld zu verwerfen?
Das herrschende Strafrecht, das Willensfreiheit
und daher Schuldfähigkeit voraussetzt, definiert nicht etwa den Begriff
des freien Willens, sondern die Zustände, in denen dieser zugeschriebene
Wille aufgehoben sein kann, legt also nur Ausnahmen von einer prinzipiell
gültigen Regel fest. Strafrecht ist normativ, die Debatte um Determinismus
versus Willensfreiheit hingegen ist spekulativ und kann bei Weitem nicht
als endgültig gelöst angesehen werden. Vor dem Hintergrund der
Folgen einer potentiellen Entscheidung für ein determiniertes Weltbild
ist daher zu hinterfragen, welche Konsequenzen daraus erwachsen, ob die
vorliegenden Ergebnisse ausreichen, eine solche weit reichende Entscheidung
zu rechtfertigen und vor allem, in mehrfacher Hinsicht, ob wir alle das
„wollen“ können."
Prof.
Dr. Hans-Ludwig Kröber [HP]
Kriminalprognose
an hirndeterminierten Rückfallautomaten? Über die Freiheit des
Verbrechers
Zusammenfassung:
"Wären Menschen in ihren Verhaltensbereitschaften und -möglichkeiten
eng determiniert wie Tiere, wäre Verhaltensvoraussage vergleichsweise
einfach. Tatsächlich aber zeigt sich, dass die materiellen (cerebralen
und sonstigen somatischen) Grundlagen unseres Wahrnehmens, Bewertens und
Handelns ein breites Spektrum von Variationen ermöglichen, und dass
Spiel, Zufall, soziale Interaktion und Bereitschaft zum Versuch des Neuen
eine immense Varianz eröffnen. Vor diesem Hintergrund erweist sich,
dass die Vorhersage nicht auf der unspezifischen Grundlage biologischer
Marker gelingt, sondern sehr viel besser auf der postepigenetischen, soziogenen
Grundlage erworbener Verhaltensbereitschaften, Werthaltungen und Handlungserfahrungen.
Ob eine bestimmte (auch kriminelle) Entscheidung getroffen wird, ist nicht
biologisch vorentschieden, sondern ein Vektor aus selbst entwickelten Persönlichkeitsdispositionen
und sozialen Interferenzen. Kriminalprognose erfasst und beschreibt anhand
des biographischen Narrativs den Wahrscheinlichkeitsrahmen, mit dem eine
solche Entscheidung erwartet werden kann."
Beschwipste Gehirne auf freiem Fuß. Strafloses "Come Together"
bei einem Glas Wein und Gesprächen mit Referenten und Teilnehmern.
Abendprogramm:
Dokumentarfilm. "Ich
bin ein Psychopath". (Australien 2009, Regisseur: Ian Walker,
83 Minuten)
Zusammenfassung:
"'Ich bin ein Psychopath', behauptet Sam Vaknin von sich selbst. Aber ein
schlechter Mensch ist er in seinen Augen nicht. Es interessiert ihn bloß
nichts – außer es geht um ihn selbst. Vaknin beschreibt sich als
größenwahnsinnig, abstoßend, widersprüchlich, skrupellos,
unberechenbar und unzuverlässig. Er hat wie viele Psychopathen mit
Charme und großer Manipulationskraft einige Menschenleben aus dem
Gleis geworfen. Und er hat die Extreme einer sozial überaus unverträglichen
Existenz durchlebt. In dieser Dokumentation will Sam Vaknin von der Wissenschaft
Antworten und unterzieht sich in den führenden Forschungseinrichtungen
zahlreichen Untersuchungen. Der australische Dokumentarfilmer Ian Walker
begleitet ihn dabei und wird selbst verbal von Vaknin misshandelt. Doch
ganz selten bekommt der Filmemacher Gelegenheit, festzuhalten, wenn Vaknin
seine Maske fallen lässt."
Prof.
Dr. Peter Janich [HP]
Die Sprache der
Hirnzauberlehrlinge. Über den Sitz der Verantwortung
Zusammenfassung:
"Die Hirnforschung wird, wie Goethes Zauberlehrling, die gerufenen Geister
nicht mehr los, wenn sie den Sitz von Verantwortung und Schuld im Hirn
sucht. Ein genauer Blick auf die Sprachen von Hirnforschern (physiologisch,
erkenntnistheoretisch, politisch) zeigt, dass sie mit Kategoriensprüngen
nicht zurecht kommen. Dies gilt mehr als für kognitive Leistungen
des Menschen für seine emotiven, sittlichen und rechtlichen Kulturäußerungen,
weil diese nicht dem Bereich des wahren oder falschen Beschreibens, sondern
dem Bereich des nur zwischen Personen möglichen Zuschreibens angehören.
Dieses kann, wie Gerichtsurteile, nur richtig oder verfehlt, nicht aber
wahr oder falsch sein. Historische Praxis lässt sich nicht als Individualleistung
eines Menschen, eines Organismus oder eines Hirns erklären. Die Verantwortung
sitzt im Zusammenleben, in den Beteiligungs-, den Gemeinschafts- und anderen
Beziehungshandlungen von Menschen. Diese können vom kranken Hirn gestört
werden, das deshalb ein Gegenstand medizinischer Hirnforschung ist."
Dr.
Dr. Michel Friedman [HP]
Die Verantwortung
des Menschen. Konsequenzen der Hirnforschung in Gesellschaft und Strafrecht
Zusammenfassung:
"Mit der Neurobiologie beginnt ein neues Zeitalter der Wissenschaft vom
Menschen. Sie hat uns gezeigt, dass es weder den homo oeconomicus gibt
noch den Krieg aller gegen alle, sondern dass es gerade die Naturfaktoren
sind, die den Menschen zu einem sozialen Wesen machen. Sie hat gezeigt,
dass eine egoistische Auslegung des Darwinismus und seines Kampfes ums
Dasein unhaltbar geworden ist. Neurobiologen zeigen uns heute, dass das
menschliche Gehirn in erster Linie zur Ausbildung sozialer Kompetenzen
gemacht ist.
Die Neurobiologie unserer Zeit eröffnet eine
Möglichkeit, unser System von Werten, Strafen und Verantworten mit
dem Schutz des Individuums in Einklang zu bringen. War es für Ethiken
des kategorischen Imperativs entscheidend, dass sie kategorisch - also
ohne Ausnahmen und Rücksichten auf individuelle Interessen - ihre
Geltung beanspruchten, so stellt die Neurobiologie das gelungene individuelle
Leben und dessen Sicherung in den Vordergrund. Es ist der Mensch mit seiner
soziologischen und biologischen Vorgeschichte und nicht allein die abstrakte
Handlung des Täters, die wir mit Strafe belegen, um künftig weniger
strafen zu müssen."
PODIUMSDISKUSSION:
Entmoralisierung des Rechts ? Hirnforschung und Schuldbegriff. [HP]
Einleitung und Moderation: Helmut Fink. Auf dem Podium: Ansgar Beckermann,
Michel Friedman, Peter Janich, Adelheid Kastner und Hans J. Markowitsch
Zusammenfassung:
"Auf dem Podium werden die unterschiedlichen Positionen noch einmal zugespitzt
und aufeinander bezogen: Hinterlässt die Debatte um die Willensfreiheit
einen tragfähigen Schuldbegriff? Wird ein solcher Schuldbegriff zur
Rechtfertigung von Strafe benötigt oder nicht? Welche Prognosen und
welche Therapien ermöglicht der Fortschritt der Hirnforschung bei
Straftätern? Wie können Hirnbesitzer Verantwortung übernehmen,
ohne idealistischen oder mentalistischen Illusionen zu erliegen?"
***
Literatur (Auswahl)
> Berufsbiografische und Hompages der Vortragenden.
Links (Auswahl: beachte)
Stimmen
zum Film "Ich bin ein Psychopath"
Arte: Montag, 27. April 2009 um 03.00 Uhr. Wiederholungen: Keine Wiederholungen.
Ich bin ein Psychopath (Australien, Deutschland, 2009, 83 min) ZDF., Regie:
Ian Walker)
-
Arte
schreibt zu dem Film: "Psychopathen sind nicht immer kriminell oder
auf den ersten Blick als gefährlich zu erkennen. Filmemacher Ian Walker
hat Sam Vaknin begleitet, einen Menschen, der von sich selbst behauptet
"größenwahnsinnig, abstoßend, widersprüchlich, skrupellos,
unberechenbar und unzuverlässig" zu sein. Im Gegensatz zu den meisten
Psychopathen möchte Vaknin seinem Wesen auf die Spur kommen und wissen,
warum er sich nur für sich selbst interessiert und bereit ist, sowohl
sich als auch andere zu verletzen oder gar zu zerstören. ... Neben
der Diagnosegeschichte des Filmes entwickelt sich ein zweites, ungeahntes
Drama. Trotz langer Vorbereitungsphase ahnt Filmemacher Ian Walker nicht,
welcher Gefahr er sich während der Dreharbeiten aussetzt. "Einen Film
mit einem Psychopathen zu drehen, ist ein bisschen so, wie eine Schlange
mit dem Stock zu reizen", das wird Walker schnell deutlich, als er selbst
zu einem Opfer wird. Der weltweit renommierte Forscher auf dem Gebiet der
Psychopathie, Prof. Dr. Robert D. Hare, bezweifelt, ob man sich als normal
fühlender und handelnder Mensch überhaupt gänzlich vor der
destruktiven und sehr subtil zerstörerischen Kraft der Psychopathen
schützen kann. ... " [arte
27.4.2009]
-
"Ich bin ein Psychopath. Ihr habt euch schon immer gefragt, wie viele Politiker
so gewissenlos lügen können…grausame Dinge wie Massenmorde
in Kriegen ohne mit der wimper zu zucken anordnen können und dabei
noch so tuhen als seien sie die humanitärsten Menschen der Welt?!
Hier ein Einblick in ihr krankes Hirn! 6% der Menschen werden genetisch
bedingt als Psychopathen geboren. Wissen Sie, was das für den Rest
von uns bedeutet?“ Der australische Dokumentarfilmer Ian Walker hat einen
Menschen begleitet, der von sich selbst behauptet, größenwahnsinnig,
abstoßend, widersprüchlich, skrupellos, unberechenbar und unzuverlässig
zu sein. Ein Mensch, der von der Wissenschaft Antworten haben will. Er
heißt Sam Vaknin und sagt von sich selbst: „Ich bin ein Psychopath“
— so auch der Titel des faszinierenden und beklemmenden Films. ..." [Infokrieg
1.4.11]
Glossar,
Anmerkungen und Fußnoten
GIPT= General
and
Integrative
Psychotherapy, internationale Bezeichnung
für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
___
Eindrücke. Sie sind rein subjektiv,
nicht repräsentativ und erheben auch keinen Anspruch auf Wahrheit;
es sind mehr impressionistische Tupfer eines Teilnehmers.
__
Querverweise
Standort: Symposium 2011 Turm der Sinne: Verantwortung
als Illusion?
*
Überblick
Seiten in der IP-GIPT zur Willensfreiheit.
Zur Theorie und Praxis des Sachverständigengutachtens
der Geschäftsunfähigkeit.
Norm, Wert, Abweichung (Deviation),
Krank (Krankheit), Diagnose. "Normal", "Anders", "Fehler", "Gestört",
"Krank", "Verrückt".
Grundwissen
Geschlechtsidentität und sexuelle Abweichungen.
Eindrücke von anderen Symposien: Geschlechter
(2010), Wahrnehmung (2007), Sprache&Gehirn(2006),
Willensfreiheit
(2004),
*
Überblick
Arbeiten zur Theorie, Definitionslehre, Methodologie, Meßproblematik,
Statistik und Wissenschaftstheorie besonders in Psychologie, Psychotherapie
und Psychotherapieforschung.
*
*
Dienstleistungs-Info.
*
Zitierung
Sponsel, R. (DAS). Eindrücke
vom Symposium 2011 Turm der Sinne (HVD). Verantwortung als Illusion?
Moral, Schuld, Strafe und das Menschenbild der Hirnforschung. Internet
Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/allpsy/lenken/STdS2011.htm
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Änderungen Kleinere
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und ergänzt.
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