Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=17.07.2013  Internet-Erstausgabe, letzte Änderung  21.7.13
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20  D-91052 Erlangen
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    Anfang_Wahnverständnis Mollath-GA_ Überblick_ Rel. Aktuelles_ Rel. Beständiges _  Titelblatt_ Konzeption_ Archiv_ Region_ Service_iec-verlag _ _Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Forensische Psychologie, Kriminologie, Recht und Strafe, Bereich Gustl F. Mollath, und hier speziell zum Thema:

    Wahnverständnis der Mollath-Gutachter

    Rudolf Sponsel, Erlangen

    Kritische Anmerkungen zu Kröbers Wahnverständnis im telepolis Interview vom 4.7.13

    Abstract - Zusammenfassung - Summary
    Eine kleine Vor-Studie zum Meinungsachten und der Unbrauchbarkeit des Gruhlschen Kriteriums - erst recht bei unzulänglicher Anwendeung Kröbers. Es wird deutlich gemacht, dass Kröber  auch jetzt noch nicht in der Lage ist, Mollaths angeblichen Wahn nachvollziehbar zu belegen und zu begründen.
     
     
    Einstieg in das Wahnthema [Wahn u.a. fett kursiv RS]

    01 Hans-Ludwig Kröber: Da waren die ja schon getrennt. Die Frau ist nach der Trennung noch in Mollaths Wohnung gekommen, um ihre Sachen zu holen. Dabei ist es passiert, wenn es so stimmt. Die Justiz hat die Geschichte eher verläppert. Da gab es dann keine Schreibmaschine. Das Ganze ging erst wieder voran durch die Reifenstecherei, das war aber bereits mehr als vier Jahre nach der Trennung. Da erst hat man gesagt: Er ist weiter gefährlich. Aber ich gebe Ihnen Recht: Sein Wahn bezog sich in diesen letzten Jahren schon lange nicht mehr auf seine Frau, sondern auf die Nürnberger Firma Diehl und die große Verschwörung, die er dort sah. 

    02 Telepolis: Sie haben mir ja im Vorfeld als besonderes Beispiel für Mollaths Wahn die Firma Diehl genannt und dazu als Stichworte Rotary, Diehl-Stiftung und Oberfinanzdirektion. Ich habe daraufhin diese Punkte recherchiert. Würde es Sie überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass das auf der sachlichen Ebene gar kein Wahn ist?

    03 Hans-Ludwig Kröber: Was haben Sie recherchiert?

    04 Telepolis: Dass Diehl Streubombenzünder und Minen produziert. Dass Karl Diehl Gründer des Nürnberger Rotary-Club war und dort beide Präsidenten der Oberfinanzdirektion Mitglieder waren. Dass die Oberfinanzdirektion Diehl 60 Millionen Euro Steuer erlassen hat, die er durch falsche Deklaration der Diehl-Stiftung hätte bezahlen müssen. 2001 haben die Nürnberger Nachrichten darüber berichtet. Wussten Sie das?

    05 Hans-Ludwig Kröber: Ich bin jedenfalls davon ausgegangen, dass das alle Leute sind, die in irgendeinem Zusammenhang stehen, wie eben auch der bayerische Ministerpräsident zur Hypovereinsbank. Das Eigentümliche ist, dass Mollath das als eigene Angelegenheit erlebt, als seine persönliche Bedrohung, für die er ins Gefängnis gehen will, als Unrechtsstaat, den er mit "SS"-Runen charakterisiert. 

    06 Telepolis: Schon klar. Aber der Begriff "Wahn" passt da doch nicht. 2007 hat tatsächlich eine Demonstration der Deutschen Friedens Gesellschaft vor dem Diehl-Werk in Röthenbach bei Nürnberg stattgefunden. Davon gibt es sogar ein Foto.

    07 Hans-Ludwig Kröber: Mit 300.000 Teilnehmern? (Anm.: Mollath hatte zu einer Friedensdemonstration mit 300.000 Teilnehmern aufgerufen)

    08 Telepolis: Nein. Wenn die aufrufen, haben die natürlich viel weniger Interessenten. Aber was Mollath gegen Diehl vorgebracht hat, ist in einer Veröffentlichung der Deutschen Friedens Gesellschaft von 2012 dokumentiert. Das ist der Stand des Aktivistenwissens. Mollath hat ja bereits gegen den Irakkrieg demonstriert. Er hat sozusagen eine Tradition der emotionalen Solidarisierung mit solchen Bewegungen. Der Begriff "Wahn" ist etwas, worüber man stolpern könnte, vor allem, wenn man etwa daran denkt, dass der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG vor ein paar Jahren behauptet hat, der Iran wolle einen Atomkrieg gegen Israel beginnen und müsse deshalb militärisch angegriffen werden. Ist das nicht auch Wahn?

    09 Hans-Ludwig Kröber: Nein, das ist eine bewusste taktische Aussage, weil er etwas Bestimmtes erreichen will.

    10 Der weiß auch, dass er die Zukunft nicht vorhersehen kann. Aber er möchte dieses Risiko nicht eingehen. Das ist Politik.

    11 Das Krankhafte am Wahn ist die "Eigenbeziehung ohne Anlass", also dass Dinge, die auf der Welt passieren, eine ganz besondere Beziehung zu mir haben - und das ist erklärungsbedürftig. Dass Mollath all diese Dinge irgendwo gelesen hat, bezweifle ich nicht; dass ist ja gerade das Interessante, dass es nichts gab, was er eigenständig entdeckt und enthüllt hätte. Außer dass seine Frau die Hypovereinsbank betrügt.

    12 Telepolis: Also ist Betroffenheit erklärungsbedürftig?

    13 Hans-Ludwig Kröber: Ja, dass es gegen mich selbst geht. Dass ich selbst im Kampf mit diesen Mächten stehe und glaube, es ginge um alles.

    14 Telepolis: Das ist doch identitätsstiftend, oder?

    15  Hans-Ludwig Kröber: Das ist richtig. Bei Breivik war sein Wahn auch identitätsstiftend.

    16 Telepolis: Aber Breivik wurde ja eben trotz des Antrages der Staatsanwältin nicht für krank erklärt, sondern als voll schuldfähig verurteilt.

    17 Hans-Ludwig Kröber: Urteile sind soziale Einigungen über einen bestimmten Sachverhalt. Norwegen lebt einfach besser mit der Vorstellung, dass Breivik nicht verrückt, sondern böse ist. 
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    Kommentare RS

    01  Kröber behauptet, frei aus der Luft heraus, wie es dem  Meinungsgutachter so einfällt (Wahneinfall?), dass Mollath einen Wahn, der sich vor Jahren auf seine Frau bezogen haben soll, nunmehr auf die Firma Diehl bezog und die große Verschwörung, die er dort sah. Hier werden drei Behauptungen einfach so aufgestellt, ohne sie mit Daten zu belegen. Das ist die vornehmste Übung der Meinungsachter, denen die Wahnzuweisungen wie Wahneinfälle ins Hirn purzeln. Implizit behauptet Kröber auch, dass Mollath einen Wahn aufgeben konnte, nämlich den Wahn bezogen auf seine Frau.
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    02  Telepolis täuscht sich hier. Es ist durchaus möglich, dass Wahn und Wirklichkeit kein Gegensatz sind, nämlich wenn der Erkenntnisweg nicht den kulturellen Gepflogenheiten entspricht. 
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    05  Von etwas einfach so ausgehen ist ebenfalls eine beliebte Methode der Meinungsachter. Man prüft nicht, man weist auch nicht aus. Man weiß es eben - wie ein Wahnkranker. Sehr interessant ist auch die flapsige Wendung "in irgendeinem Zusammenhang stehen". Wer steht denn nicht in irgendeinem Zusammenhang mit ...? Danach wird es spannend. Mollath erlebt es  - was genau wird nicht verraten - "als eigene Angelegenheit, als seine persönliche Bedrohung ... ". Wieder wird nicht mit Daten belegt, wie es zur "eigenen Angelegenheit", wie es seine "persönliche Bedrohung" wird. Das geht natürlich auch nicht, weil es die Duraplus-Daten gar nicht hergeben. Das macht aber für den Meinungsachter überhaupt nichts. Der braucht keine Daten, der meint halt. Dazu montiert Kröber - vielleicht bei Dr. Leipziger gelernt? - "freiwillig ins Gefängnis gehen" und den mit SS-Runen charakterisierten Unrechtsstaat dazu und verknüpft damit Sachverhalte, die Mollath gar nicht verknüpft. 

    06 Nein, da ist gar nichts klar. 

    07 Wenn das so stimmte, wäre es bestenfalls eine wunschgeleitete Größenidee (noch kein Größenwahn) Belegt und abgeleitet wird es nicht. Wozu auch. 

    08 Mollaths Friedenshintergrund wird gut belegt. An dieser Stelle wäre es natürlich wichtig gewesen, den Begriff Wahn zu definieren, bevor man munter drüber schwadroniert. Das allerdings ist keine Stärke der Medien und Kröbers ganz offensichtlich auch nicht.

    09 Kröber weiß natürlich als Meinungsvirtuose sofort, dass der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG keinen Iran- Atomkriegs-Wahn hatte, sondern dass dies eine "bewusste taktische" Aussage war. Das ist für Kröber von Haus aus kein Problem, wie wir aus dem Mollath Fall wissen, weil er ja nicht persönlich untersuchen und explorieren muss, um zu wissen. Man weiss es einfach. 

    11  Nun wird es wieder spannend, weil sich Kröber nun an einer Definition des Wahns (nach Gruhle, 1932) versucht, wenn er meint "Das Krankhafte am Wahn ist die "Eigenbeziehung ohne Anlass", also dass Dinge, die auf der Welt passieren, eine ganz besondere Beziehung zu mir haben - und das ist erklärungsbedürftig." 
    Die Formel von Gruhle ist nun ganz und gar nicht geeignet, Wahn zu definieren. Erstens ist sehr zweifelhaft, ob es wirklich Erleben ohne Anlass gibt - Gruhle fügt übrigens noch "Grund" [im Aufsatz Über den Wahn, 1951, S. 125] hinzu, verwendet also Anlass und Grund synonym, was falsch ist. Gemeint ist wohl auch subjektiver Anlass bzw. Grund.  Das lässt sich praktisch so gut wie nie feststellen. Das allerdings gefällt dem Meinungsachter. Wo man gar nicht belegen kann, muss zwangsläufig gemeint werden. Und wenn er nichts kann, der Meinungsachter, meinen kann er - auf Teufel komm raus.  Und daran schließt sich nahtlos die freche Entwertung des Meiners Kröber an, Mollath habe nichts eigenständiges entdeckt oder enthüllt. Das Wesentliche an Mollaths Enthüllung war nicht, dass seine Frau die Hypovereinsbank betrügt, sondern die Schwarzgeldschiebereien in die Schweiz. Selbst das stellt Kröber falsch dar. 

    12 Nein, wir alle sind von vielem betroffen. Kröber meint die "Eigenbeziehung ohne Anlass", also dass Dinge, die auf der Welt passieren, eine ganz besondere Beziehung zu mir haben". Mollath war z.B. betroffen von der statistischen Tatsache, dass alle sieben Sekunden ein Kind verhungert, in dieser reichen Welt und dass das eben die meisten Reichen überhaupt nicht berührt. Jeder Mensch mit Gewissen ist betroffen, wenn er sich Missstände, Unrecht, Gewalt, Ausbeutung usw. in dieser Welt vergegenwärtigt. Daran ist nichts Wahnhaftes. Das ist menschlich und wünschenswert. Wahnhaft würde es, wenn Mollath gedacht hätte, der große Geist der Gerechtigkeit prüft ihn mit den Nöten der Menschheit ("Steche die Reifen der Frevler, setze ein Zeichen"). 

    14  Wahn als Identitätsstifter?

    17 Ein kluger Satz. Lässt sich der wie folgt analog anwenden: Wahndiagnosen sind soziale Einigungen über einen Sachverhalt, den Meinungsachter mit sich selber herstellen._

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    Literatur (Auswahl) > Wahnliteratur.
     



    Links (Auswahl: beachte)



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Gruhle
    Gruhle (1880-1958) hat auch eine psychologisch interessante Arbeit zur Psychologie des Verstehens (Erlebnislehre) vorgelegt, was eher ungewöhnlich für Psychiater ist. Man erinnere an dieser Stelle: Psychologie ist die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten und Psychopathologie ist die Lehre vom gestörten Erleben und Verhalten. Beide gehören im Grunde zusammen, sind aber historisch bis auf den heutigen Tag in verschiedenen Fakultäten organisiert: die Psychiatrie als Fachrichtung der Medizin, die Psychologie als Fachrichtung der Natur-, Geistes- oder Sozialwissenschaften. Beide betreiben Psychopathologie. Ein Primat der Psychiatrie ist grundsätzlich nicht nachvollziehbar. Aber, die Psychiatrie ist zu Recht vor allem dort gefragt, wo körperliche Zeichen eine Rolle spielen, metaphorisch, wo hardwarebedingte Störungen nachweisbar sind, die Psychologie und Psychotherapie, wo solche Nachweise nicht vorliegen oder aufzeigbar sind. Wobei natürlich klar ist, dass alles Psychische an das Körperliche gebunden ist (hier mehr zu dieser Problematik).
        Gruhles bekannte Charakterisierung des Wahns als Beziehungssetzung ohne Anlass stammt aus dem Jahre 1932 (>Lit). Eine kurze und knappe Fassung seiner Wahntheorie findet sich in seiner Arbeit "Über den Wahn" im Nervenarzt 22, 1951, 125-126.
    Beziehungssetzung ohne Anlass ist ein schlechtes Kriterium, weil es kaum prüfbar ist und damit ausschließlich dem Meinen der PsychopathologIn anheimfällt. Vielleicht gefällt es Kröber ja deshalb so gut. Völlig außerhalb nahezu aller Wahnforscher lehrt Gruhle, dass die Unbelehrbarkeit (Unkorrigierbarkeit) kein Wahncharakteristikum sei. Wieso er z.B. meint Jaspers sei seiner Auffassung nahe, ist mir unverständlich (> Jaspers Wahnkriterien).
    Gruhles grundlegende Fehler in seiner 1932er Arbeit:
    • Selbstwiderspruch der Behauptung, Wahn könne nicht definiert werden. Wenn  das so wäre, müsste man Wahndiagnosen aufgeben. Gibt man sie nicht auf, muss man sagen können, was einen Sachverhalt zum Wahn macht, von Irrtum, Glaube oder Überzeugung unterscheidet. Gruhle beginnt seine Arbeit (S. 170) sogleich mit dem Selbstwiderspruch:
      • "Es ist bekanntlich bisher niemandem, geglückt, aufzuzeigen, worin das Wesen des Wahns besteht. So volkstümlich auch das Wort selbst erscheint, — alle Versuche einer Definition blieben bisher vergebens. Meist wurde die Entstehung und das Wesen des Wahns durcheinander geworfen. Hier soll vorerst nur vom Wesen des Wahns die Rede sein. ... Der echte Wahn hat zu seinen Annahmen keinen Anlaß. Der Kranke weiß primär. Wenn ein Kranker (RK 07/186) glaubt: 'Und dann ist noch etwas geplant: es sollte ein Sohn erstochen werden von diesem Reich oder einem angrenzenden", so vermag er (Sinnestäuschungen geleugnet) hierfür keinen Grund anzugeben, er weiß es eben. Nichts in seinen äußeren Erlebnissen, nichts an inneren Konsequenzen veranlaßt ihn zu diesem Wissen. Solche Fälle primären, vollkommen uneinfühlbaren Wahns sind relativ selten. Da der Wahnkranke sich bei seiner Annahme auf gar nichts stützt, so kann man ihm in solchen Fällen den Wahn auch nicht ausreden; er erklärt auf Einwände zuweilen sehr höflich, er gebe gern zu, daß er sich irren könne, glaube es aber in diesem Falle wirklich genau zu wissen"
      Ich habe bislang noch nie gelesen oder gehört, dass man einem Wahnkranken seinen Wahn "ausreden" kann.
    • Widerspruch zum fehlenden Anlass-Postulat (S. 178f): "Die wissenschaftliche Erfahrung ergibt jedoch Ideen, die aus anderen Primärsymptomen abgeleitet sind und daher nicht ohne weiteres den bisher geschilderten Wahnideen gleichgesetzt werden können. Wenn ein Kranker z. B. echte Sinnestäuschungen hat, etwa leibhaftige Stimmen derart hört, daß [>179 ] er meint, sie kämen von Leuten im Nebenzimmer, — wenn er sich, ferner wiederholt davon überzeugte, daß in diesem Zimmer keine Leute sichtbar sind, so wird er doch zu Folgerungen des Denkens gedrängt, die entweder lauten können: ich bin krank, ich habe Sinnestäuschungen, — oder: jene Stimmen müssen mir auf übernatürlichem Wege zugeleitet werden, sei es durch Hypnose, Radio, Telepathie oder dgl. Es muß also Leute geben, die dies vermögen. Und da der Inhalt der Stimmen in Beschimpfungen, Vorwürfen und dgl. besteht, so müssen es Feinde sein. So entsteht in solchen Fällen aus Halluzinationen ein sekundärer Verfolgungswahn. (WERNICKE : Erklärungswahn.)" Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie Gruhle nicht erkennen kann, dass dieser Wahn einen vollkommen verständlichen Anlass hat, womit er sich selbst widerlegt.
    • Eigenbezug (S. 172): "Das ganz plötzliche, dem Kranken selbst oft sehr verwunderliche Auftauchen der Ichbeziehung ist das primäre, unableitbare Krankhafte. Auch wenn er sich gar nichts Bestimmtes dabei denken kann, weiß er doch, er sei gemeint. Beliebige Stellen im Text der Zeitung beziehen sich auf ihn, der Geistliche predigt über ihn, — man legt ihr eine illustrierte Zeitung hin, damit sie aus dem einen Bilde etwas (was, weiß sie nicht) entnehme." Eigenbezüge mögen eine bestimmte Wahnklasse rechtfertigen, aber als definitionsbegründendes Wahnmerkmal sind sie nicht geeignet, weil es es eben auch Wahn ohne erkennbaren Eigenbezug gibt.
    • Fehlender induktiver Aufbau Obwohl Gruhle mehrfach gezeigt hat, dass er über ausgezeichnete Daten verfügt, verzichtet er darauf, induktiv, konkret-operational vorzugehen. Wahrscheinlich genügen schon 30 Beispiele, um eine wissenschaftlich nachvollziehbare Definition aufzubauen und zu begründen. Wieder einmal sehen wir einen interessanten und erfahrenen psychopathologischen Denker, der das 1x1 der Wissenschaft einfach nicht beherrscht.
    • Fehlschluss nicht sagen können = nicht gegeben sein Der Wahnkranke kann keinen Anlass oder Grund für seinen Wahninhalt angeben, heißt nicht zwingend, das er keinen hat. Er kann ihn nicht benennen. Korrekt müsste Gruhle seine Wahnformel "Der echte Wahn hat zu seinen Annahmen keinen Anlass" also wie folgt formulieren: Die mir bekannten Wahnkranken können zu den Annahmen ihres Wahnes keinen Anlass (Grund") angeben. Möglicherweise ist dies ein wichtiges Merkmal. Für eine Wahndefinition reicht es nicht, weil es viele Erlebnisinhalte gibt, für die Menschen keinen (nachvollziehbaren) Grund angeben können.
    • Die Hauptschwachstelle der unbrauchbaren Wahndefinition ist der unbestimmte und schwammige Begriff ohne Anlass. Geschehnisse sind im Allgemeinen eingebettet in Hintergrund- und Situationbedingungen, sie können einen Anlass, Auslöser und Grund haben. Einfaches Beispiel 1: A gratuliert seinem Freund B. zum Geburtstag. Grund ist die Freundschaft, die im Selbstverständnis von A. gebietet, dem Freunde die Freundschaftsbezeugung der Gratulation (ich nehme Anteil, denke an Dich, erweise Dir die Ehre, ...). Anlass ist das Datum des Geburtstages oder Tage davor, und Auslöser ein Einfall oder Blick in meinen Kalender, wo sich der Eintrag findet: "B. hat Geburtstag!". Beispiel 2: Aus der Küche höre ich ein Pfeifen. Auslöser für meinen Gang in die Küche ist das Signal des Pfeifens, es sagt mir, das Wasser kocht. Anlass ist, ich möchte am Morgen Kaffe und Tee aufsetzen, die Gründe sind einmal das Bedürfnis nach Kaffe- und Tee-Konsum und zum andern die entsprechend lang gepflegte Gewohnheit.
        Querverweise Kausalitätsproblem in der IP-GIPT:
    • Das Kausalitäts- und Ätiologieproblem.
    • Tabelle 1  Allgemeines Grundmodell Kausalität ohne Wechselwirkungen.
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    Wahn.
    Definition: Wahn liegt vor, wenn mit rational unkorrigierbarer (Logik, Erfahrung) Gewissheit ein falsches Modell der Wirklichkeit oder ein falscher Erkenntnisweg zu einem richtigen oder falschen Modell der Wirklichkeit vertreten wird.
        Beispiel falsches Modell der Wirklichkeit: Ein Passant gähnt und das deutet ein fränkischer Proband als Zeichen Dr. Merks, worauf er in die Knie geht und laut ruft: „Allmächd, Allmächd“. Muss man so jemanden einsperren? Natürlich nicht.
        Beispiel falscher Erkenntnisweg eines richtigen Modells der Wirklichkeit: Ein Passant gähnt und ein Proband zieht daraus den Schluss, dass Banken in hohen Maße an Steuerbetrugsdelikten beteiligt sind. Passantengähnen ist keine in unserer Kultur und Wissenschaft anerkannte Erkenntnisquelle für Schwarzgeldschiebereien, die natürlich ein völlig reales Modell der Wirklichkeit sind.
        Gustl F. Mollath hat seine Erkenntnisse nicht aus dem Gähnen eines Passanten wahnhaft erschlossen, sondern seine Erkenntnisquellen entsprechen genau denen unserer Kultur und Wissenschaft. Es gibt auch keine Progredienz (Ausdehnung, Erweiterung, Fortschreitung), wenn man mit gesundem Menschenverstand hinschaut, was der forensisch-psychiatrischen Schlechtachterindustrie offenbar zu schwierig erscheint. Es ist ja völlig logisch und verständlich, dass, je mehr Menschen sein Anliegen und seine Erkenntnisse ablehnen, er entsprechend mehr AblehnerInnen sieht. Daher ist das vermeintliche Progredienzzeichen für einen angeblich sich ausdehnenden Wahn (wohin hat er sich denn in den letzten 10 Jahren ausgedehnt?) auch keines, sondern es erklärt sich ganz einfach aus der Natur des Sachverhalts.
        Infos zum Wahn in der IP-GIPT:
    • Wissenschaftliches Wahnsystem am Beispiel Mollath.
    • Wahn in verschiedenen Störungen und Krankheiten (Diagnostik).
    • Wahnformen.
    • Wahnfälle.
    • Zur Etymologie von WAHN gegenüber WahnSINN (nach Scharfetter).
    • "Normal", "Anders", "Fehler", "Gestört", "Krank", "Verrückt".
    • Unterscheiden Wahn und Glauben.
    • Mehr zum Wahn > Überblick Wahn.
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    Wahnhaft im Urteil vom 26.8.2006
    (S. 25): "Auch in der Hauptverhandlung hat sich - wie bereits in den von den Zeugen geschilderten Vorfällen - die wahnhafte Gedankenwelt des Angeklagten vor allem in Bezug auf den Schwarzgeldverschiebungen der Hypovereinsbank bestätigt. Mag sein, dass es Schwarzgeldverschiebungen von verschiedenen Banken in die Schweiz gegeben hat bzw. noch gibt, wahnhaft ist, dass der Angeklagte fast alle Personen, die mit ihm zu tun haben, z.B. den Gutachter Dr. Wörthmüller völlig undifferenziert mit diesem Skandal in Verbindung bringt und alle erdenklichen Beschuldigungen gegen diese Personen äußert."
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    Zur Bedeutung des Wahns für die Beurteilung der Schuldfähigkeit nach den §§ 20 und 21 StGB.
    Dölling, Dieter  (2010) Zur Bedeutung des Wahns für die Beurteilung der Schuldfähigkeit nach den §§ 20 und 21 StGB. Forens Psychiatr Psychol Kriminol (2010) 4:166–169 [DOI 10.1007/s11757-010-0057-4]
        "Zusammenfassung Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eines Täters mit Wahnsymptomatik ist zunächst zu prüfen, ob ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 des Strafgesetzbuches (StGB) vorliegt. Hierzu ist eine gründliche Diagnose von Art und Intensität des Wahns sowie der ihm zugrunde liegenden psychischen Erkrankung erforderlich. Ist ein Eingangsmerkmal gegeben, ist zu erörtern, wie sich
    der Wahn im jeweiligen Einzelfall auf die Fähigkeit des Täters zur Unrechtseinsicht und seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Hierfür kann ein Blick auf das von Winfried Brugger entwickelte anthropologische Kreuz der Entscheidung hilfreich sein."
        Diese Beurteilungkriterien des Mitherausgebers des Handbuches der Forensischen Psychiatrie wurden im Fall Mollath nicht beachtet, angewendet und eingehalten.
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    Querverweise
    Standort: Wahnverständnis Mollath-GA.
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    Überblick Forensische Psychologie.
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    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site: www.sgipt.org
    z.B. Forensische Psychologie site: www.sgipt.org. 
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    Dienstleistungs-Info.
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Wahnverständnis der Mollath-Gutachter. Eine kleine Vor-Studie zum Meinungsachten u.a. IP-GIPT Erlangen: https://www.sgipt.org/forpsy/Mollath/ipgipt/WahnVMGA.htm
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     Ende_ Wahnverständnis Mollath-GA_ Überblick_Rel. Aktuelles_ Rel. Beständiges _ Titelblatt_ Konzeption_ Archiv_ Region_ Service_iec-verlag_ Mail: sekretariat@sgipt.org_ __Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen


    korrigiert: irs 16.07.2013



    Änderungen Kleinere Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet und ergänzt.
    21.07.13 Ergänzung Gruhle (Leistung als Psychologe), Hauptschwachstelle "ohne Anlass" der unbrauchbaren Wahndefinition, Widerspruch zum fehlenden Anlass-Postulat.
    17.07.13 Gruhles grundlegende Fehler in seiner 1932er Arbeit.