Beweis und beweisen in Kultur und Kunst
Blicke über den Zaun zum Auftakt für eine integrative
psychologisch-psychotherapeutische Beweislehre
aus allgemein integrativer psychologisch-psychotherapeutischer
und einheitswissenschaftlicher
Sicht
Originalarbeit von Rudolf Sponsel, Erlangen
Hinweis: Wenn nicht ersichtlich werden (Externe Links) in runden und [interne IP-GIPT Links] in eckige Klammern gesetzt, direkte Links im Text auf derselben Seite sind direkt gekennzeichnet. In dieser Übersichtsarbeit wird das Thema im Überblick gesamtheitlich aus einheitswissenschaftlicher Perspektive dargestellt. Im Laufe der Zeit folgen weitere Ausarbeitungen.
Kunst und Kultur gehören wohl zum umstrittendsten Gebiet im Kontext
Beweis und beweisen. Nirgendwo scheint es subjektiver zuzugehen, weil man
sich weder über die Voraussetzungen noch die Mittel und Methoden einig
ist.
Was 'ist'
schön?
Was 'ist' Kunst? 'Ist'
das da Kunst oder Kitsch oder ganz was anderes? Was 'ist'
erhaben, ergreifend? 'Ist' das
da "Kunst"? 'Ist' das da 'große'
Kunst? 'Ist' dieses Werk von van
Gogh, eine Kopie oder eine Fälschung? Zu welcher Stilepoche
gehört dieses Bild? Was bedeutet das? Was will die KünstlerIn
oder Kultuschaffende sagen (>Kunstinterpretation)?
Aber es gibt auch einen objektiveren Teil,
wenn es um Fragen geht wie z.B. Beweis der Echtheit eines Werke, Beweis
der kunst- und stilgeschichtlichen Einordnung, Beweis der künstlerischen
Wirkung bezüglich der ästhetischen Kategorien.
Löst man sich von der dogmatischen, meist stillschweigend
getroffenen Voraussetzung, dass es um allgemeinverbindliche Beweise, um
den nomothetischen (Allsatz) und nicht um den idiographischen Einzelfall-Beweis
geht, wird es u.U. sehr viel leichter. Idiographisch hätte eine Schöpfung
möglicherweise einen wesentlichen künstlerischen Zweck erfüllt,
wenn sie persönlich anregt, berührt, bewegt. Und das kann natürlich
in vielerlei Hinsicht geschehen.
Kunstinterpretation
und Kunst-Kritik
Wollen uns KünstlerInnen etwas sagen und wie ist zu ergründen,
was sie uns sagen wollen? Mit dieser Frage wurden und werden Milliarden
von SchülerInnen und StudentInnen - seit es entsprechende Bildungseinrichtungen
gibt - konfrontiert. Die Wahrheit dürfte nicht selten sein: es gibt
vermutlich ebenso viele Deutungsmöglichkeiten für ein Werk wie
es Erfassende gibt, die allesamt ihre individuelle Bildungs- und Persönlichkeitsgeschichte
mitbringen.
Ob Werkschaffende oder KunstproduzentInnen immer wissen, was sie sagen
wollen, ist nicht minder zweifelhaft. Manche wollen vielleicht auch gar
nichts sagen. Andere können es nicht oder sagen etwas (teilweise)
Falsches. Nicht selten geben Künstler - wie ihre Kritiker - Unsinn
von sich (z.B. in der Reihe 100(0) Meisterwerke oder hier).
Nicht wenige KünstlerInnen schaffen einfach, geben sich ihren Fantasien
und Gestaltungen hin. Jedes Werk, könnte man vermuten, wirkt nach
seiner Schaffung weitgehend unabhängig von seiner SchöpferIn.
Etwas bildungspathetisch formuliert: es wirkt durch sich. Aber durch sich
wirkt bei genauer Betrachtung gar nichts. Es sind immer zwei, die einen
Eindruck konstituieren: das Werk und seine ErfasserIn (Reiz und Reaktion).
Die Interpretation ist vielleicht selbst eine individuelle Schöpfung.
Und wie etwas auf eine Erfassende wirkt, kann nur die Erfassende selbst
wissen und sagen, wobei auch hier viele nichtbewusste, kaum in Worten fassbare
Faktoren mitspielen. Bei genauer Betrachtung haben wir also sowohl auf
der Schöpfer- als auch auf der Erfasserseite viele subjektive, teils
nicht bewusste, teils gar nicht angemessen in Worte fassbare Momente. Was
ist dann aber ein Kunstwerk? Was ist eine angemessene Interpretation?
Gibt es keine objektiven Kriterien? Die Antwort ist ein klares Jein. Eine
allgemein akzeptable Regel könnte lauten: Wenn eine Schöpfung
anregt, berührt, bewegt, dann hat sie einen wichtigen Zweck erfüllt.
Psychologie der Werk-Wirkungen: 5 Faktoren-Modell [Quelle]
Das allgemeine Interpretations-Paradigma
Trifft ein Werk auf einen Erfassenden, so hat es Wirkungen oder nicht,
wobei natürlich auch eine non
liquet Situation möglich ist, nämlich dass die Wirkungen
nicht feststellbar sind.
Im wesentlichen gibt es zwei Haupt-Interpretation-Fälle:
nur werkorientiert (Faktoren 3,4,5) oder auch Einbeziehung von Informationen
über den Schöpfer (1) oder über die Entstehungsbedingungen
(2). Praktisch führt das zu vier Fallunterscheidungen:
Schoepfer berücksichtigende Interpretation
Bereits die Kenntnis eines Schöpfer kann die Interpretation sehr
stark beeinflussen, insbesondere es sich einerseits um gänzlich unbekannte
oder andererseits um weltberühmte Schöpfer, wie z.B. um Michelangelo,
Rembrandt oder Picasso, handelt. Aber auch die unmittelbare Umgebung, etwa
auf einer Ausstellungseröffnung (Vernissage) oder mediale Darstellungen,
etwa Kritiken, können mehr oder minder Einfluss ausüben.
Entstehungsbedingungen
berücksichtigende Interpretation
Malt jemand ein Bild im Gefängnis, in einer Kunsttherapie, spontan
in seiner Freizeit oder als Auftrag kann auch dieses Wissen großen
Einfluss auf die Interpretation haben. Weiß man dann noch um die
Verfassung, Befindlichkeit, Motive und Absichten des Schöpfers, kommt
ein weites, großes Feld an Einflüssen auf die Interpretation
hinzu.
Schoepfer und Entstehungsbedingungen
berücksichtigende Interpretation
Für einige Interpretationen sind Kenntnisse der Entstehungsbedingungen
nicht nur hilfreich oder wichtig, sondern manchmal auch notwendig, z.B.
die Information, dass eine Bilderserie aus dem Verlauf einer Depression
oder eine Zeichnung im Gefängnis nach der Ablehnung eines wichtigen
Gesuches entstanden ist.
Das subjektive Interpretations-Paradigma
Jede Interpretation enthält meist mehr oder minder starke subjektive
Anteil der Erfassenden, d.h. der Erfassende erlebt Wirkungen, die nicht
durch das Werk hervorgerufen werden, sondern durch die Biographie, Situation
und innere Befindlichkeit des Erfassenden. Der Erfassende projiziert aus
seinem Inneren Wirkungen in das Werk. Das Werk funktioniert wie eine Moderatorvaiable,
Medium oder Katalysator. Projizieren heißt hier, dass der Erfassende
dem Werk eine Wirkung zuschreibt, die nur aus ihm selbst kommt, z.B. wenn
ein trauriger Erfassender ein Bild als traurig wahrnimmt, obwohl die meisten
anderen Erfassenden daran nichts Trauriges feststellen können.
Beispiel
Kafkas Schöpfungen: traumhaftes inneres Leben darstellen
Viele KünstlerInnen wissen nicht, wie sie zu ihren Einfällen
kommen: sie finden sie vor und gestalten sie. Bei kommen kommt ein innerer
Drang zum Ausdruck zu: Gestaltung als eine Art Katharsis oder "Therapie".
So scheint es bei Kafka gewesen zu sein, wie einerm Zitat von Wagenbach
(1964. S. 95, fett-kursiv RS) entnommen werden kann: "Entlobung, Kriegsausbruch
und Distanz zum Elternhaus gaben Kafka endlich die ersehnt-gefürchtete
Einsamkeit. Einige Tage später vermerkt er im Tagebuch: Der
Sinn für die Darstellung meines traumhaften innern Lebens hat alles
andere ins Nebensächliche gerückt und es ist in einer schrecklichen
Weise verkümmert und hört nicht auf zu verkümmern. Nichts
anderes kann mich jemals zufriedenstellen ...."
Querverweise: Die
Verwandlung, Der
Prozess.
Man kann beliebige Elemente der Welten (Real, Wunsch, Phantasie, Norm, Werte, Möglich, … ) auf beliebige Weise verknüpfen und mit beliebigen Bedeutungen versehen. Der entscheidende interpretative Akt ist die Bedeutungszuweisung, die einfach, aber auch sehr komplex sein, viele Lücken und Unklarheiten enthalten kann.
Der formale
Rahmen - die Bausteine der Bedeutungszuweisung
Systematisch, allgemein-abstrakt unterscheiden wir Elemente
e1, e2, e3, … ei, …. en,, das sind kleinste Einheiten, die zu anderen Einheiten
in Beziehung stehen können. Hierbei sind auch unterschiedliche Ausdrucksformen
(akustisch, textlich, bildlich, 2- oder dreidimensional, real oder symbolisch)
zu berücksichtigen. Die Ausdrucksform „Auto“ kann real, als Modell,
als reales Bild, als Graphik mehr oder minder symbolisch, ein akustisch
ausgesprochenes oder geschriebenes Wort sein. Weiter gehört ein Präsentationsraum
dazu. Das kann ein Blatt Papier, mein Bewusstsein, ein Film, eine Theaterbühne,
eine Rundfunksendung u.v.a.m. sein. Als vierte Dimension dient
die Anordnung im Präsentationsraum. Weiter brauchen
wir den Standort des Erlebenden, seine Situation
und den Arrangeur (Schöpfer, Produzent, Hersteller).
Möglicherweise spielt auch die Intention des Arrangeurs
eine Rolle, wenn sie denn bekannt ist oder gedeutet wird.
Es ist wohl nicht schwer zu sehen, dass es mit dieser Bausteinvielfalt potentiell unendlich viele Möglichkeiten an Interpretationen gibt. Sobald man aber auf die (nomothetische) Forderung verzichtet - eine Interpretation müsse für alle gleich verbindlich, die richtige, sein - und subjektive (idiographische) Interpretationen zulässt, ist im Prinzip eine einfache Lösung möglich. Sie könnte z.B. darin bestehen, dass jemand seine Eindrücke und die Wirkungen, die ein Werk in ihm hervorruft, schildert. Zu lernen wäre dann im Kunst- oder Literaturunterricht, wie man Eindrücke und Wirkungen feststellen und beschreiben kann.
Werkorientierte Interpretation
ist
eine natürliche Idee, die sich viele KünstlerInnen auch wünschen,
woran sich aber viele InterpretInnen nicht halten. Bei der werkorientierten
Interpretation wird bewusst auf Rückgriffe auf andere Werke und die
Biographie der KünstlerIn verzichtet.
Jede Kritik ist eine Bewertung und verlangt daher,
streng betrachtet, ein Bewertungsverfahren, das im allgemeinen aber unbekannt
ist. So haftet der Kritik nicht selten etwas Willkürlich-Zufälliges
und Subjektiv-Persönliches an. Daher besteht seit jeher ein spannungsvolles
Verhältnis zwischen KünstlerIn und KritikerIn. Häufig spielen
auch ganz profane - wenn auch selten zugegebene - Fragen eine Rolle: wie
viel Platz steht für die Kritik zur Verfügung, wie schnell muss
sie geschrieben sein, wie hoch ist das Honorar, was erwartet der Finanzier,
die Redaktion, die LeserIn? Ist die KünstlerIn berühmt, hat sie
Einfluss? Versteht, schätzt oder mag man sie?
Die von uns bevorzugten 4 Grundsätze und Regeln
werkorientierter Interpretation sind: (1) Inhaltsangabe, Hintergrund, Zeit-
und Rahmenbedingungen und Verlauf der Handlung. (2) Leitmotive und Hauptthemen
des Werkes. (3) Ausdrucksmittel: Sprache, Stil, Erwähnen und weg lassen,
Dramaturgie und Spannung. (4) Besondere Analyse spezieller Themen. (5)
Werkorientierte Wirkung und Interpretation der LeserInnen (Hierzu bringt
W
ein interessantes Zitat von Marcel Proust: "„In Wirklichkeit ist jeder
Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers
ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem
Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht
sonst nicht hätte erschauen können. Dass der Leser das, was das
Buch aussagt, in sich selber erkennt, ist der Beweis für die Wahrheit
eben dieses Buches und umgekehrt.“ – Marcel Proust: Auf der Suche
nach der verlorenen Zeit 7: Die wiedergefundene Zeit".)
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