Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=25.10.2022 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 01.11.24
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
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    _Erleben und Erlebnis bei Dilthey Band 6_Datenschutz_Überblick__Rel. Beständiges _Titelblatt_ Konzept_ Archiv_ Region_ English contents__ Service_iec-verlag__Dienstleistungs-Info * _ Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie,
    Abteilung Allgemeine Psychologie, Bereich Psychologie des Erlebens, und hier speziell zum Thema:

    Erleben und Erlebnis in Diltheys Die geistige Welt.
    Einleitung in die Philosophie des Lebens. Zweite Hälfte.


    Wilhelm Dilthey 1833-1911
    Bildquelle Wikipedia.

    Originalrecherche von Rudolf Sponsel, Erlangen



    Zusammenfassungen, Übersicht, Haupt- und Verteilerseite Dilthey
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    Band-06   Dilthey, Wilhelm (1924) Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens. Zweite Hälfte. Abhandlungen zur Poetik, Ethik und Pädagogik. GS VI.  Leipzig: Teubner. [intern-PDF, Quelle Gallica]

    Zusammenfassung-Dilthey-06: Ti-, -IV,-SR: "erleb" kommt im Titel und Inhaltsverzeichnis nicht vor. Kein Sachregister. T: e=42, E=159, Erleben 16, erlebt 26, Erlebnis 159.  Im ganzen Text gibt es zu "erleben" 16 Fundstellen auf 305 Seiten. Nach der wissenschaftstheoretischen Regel für wichtigere Begriffe  sollten diese bei den ersten Erwähnungen definiert oder näher erläutert werden. Ich habe daher die ersten 5 Erwähnungen von Seite 10 bis Seite 193 gesichtet. An keiner Stelle definiert Dilthey erleben oder erläutert es näher. Anmerkung Beweis: "Niemand kann sich dieser Betrachtungsweise entziehen" (S.319) ist kein Beweis, sondern eine Behauptung. "beweis" hat 25 Fundstellen, die einer kritischen Analyse unterzogen werden sollten. Weitere Fundstellen: definiert 1 (Formen der Dichtung), definieren 0, Definition 2, beide nicht erleben oder Erlebnis betreffend. Theorie 119 Fundstellen, Erlebnistheorie 0.
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        Übersicht der Arbeiten:

    • Versuch einer Analyse des moralischen Bewusstseins [1864]
    • Über die Möglichkeit einer allgemeingültigen pädagogischen Wissenschaft [1888]
    • Schulreformen und Schulstuben [1890]
    • Dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn [1886]
    • Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine für eine Poetik [1887]
    • Drei Epochen der modernen Ästhetik und ihre heutige Aufgabe [1892]
    • Das Problem der Religion [1911]
    • Das Erlebnis [1907/08]

    • Strukturpsychologie [1907/08]


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    Fundstellen-erleben- Dilthey-06

    S.10
    "... Denn indem wir hier den Zusammenhang von Handlung, Motiv und
    Charakter innerlich erleben, erhalten wir in die Natur dieses Zu-
    sammenhangs die denkbar klarste Einsicht und für alle möglichen
    Fälle desselben eine Analogie. ..."

    S.100
    "... Dieser zeigt sich dem Urphänomen der
    Phantasie verwandt, wie es Goethe in sich fand und dessen Analogon
    wir Phantasiearme in den Schlummerbildern erleben.  ..."

    S.130
    "... Das Schaffen des Dichters beruht überall auf der Energie des Erlebens. ..."

    S.154
    "... Das Erleben der gro-
    ßen elementaren Antriebe der menschlichen Existenz, der aus ihnen
    entspringenden Leidenschaften und der Schicksale derselben in der
    Welt, nach ihrer kernhaften psychologischen Mächtigkeit, ist die
    eigentliche Basis alles dichterischen Vermögens. ..."

    S.193
    "... Es besteht in
    uns ein Bedürfnis nach starken Erregungen, welche unsere Energie
    steigern. Die Menschen erscheinen unersättlich, innere Zuständlichkeit
    anderer Menschen oder Völker zu erkunden, Charaktere nacherlebend
    aufzufassen, Leid und Freude zu teilen, Geschichten zu vernehmen:
    gegenwärtige oder vergangene, oder auch solche, die nur hätten
    geschehen können. ..."
     



    Das Erlebnisfragment in Band 6

    Dilthey, Wilhelm. Auteur du texte. Gesammelte Schriften.... 6, Die geistige Welt : Einleitung in die Philosophie des Lebens / Wilhelm Dilthey. 1924

    Zusammenfassung-Dilthey-06-Erlebnisfragment:
    S.313:                         "DAS ERLEBNIS
        Erleben ist eine unterschieden charakterisierte Art, in welcher
    Realität für mich da ist. Das Erlebnis tritt mir nämlich nicht gegen-
    über als ein Wahrgenommenes oder Vorgestelltes; es ist uns nicht
    gegeben, sondern die Realität Erlebnis ist für uns dadurch da, daß wir
    ihrer inne werden, daß ich sie als zu mir in irgendeinem Sinn zuge-
    hörig unmittelbar habe. Erst im Denken wird es gegenständlich."
     

     S. 313:
    "Fragmente zur Poetik
    Abgedruckt sind hier zwei Entwürfe mit der Überschrift: "das Erleb-
    nis" C 55 fol. 236–238 und 239–243, das erste Stück ist an zwei Stel-
    len - S. 314, Absatz und Zeile 13 bis 23 -  aus einem anderen,
    "Das Leben" betitelten Entwurf ergänzt.
        Den Abschluß dieses Abschnittes sollte, nach dem Kapitel über
    die Erlebniskreise, eine "freie Betrachtung über das dichterische Er-
    lebnis" bilden; eine Skizze dazu, C. 53, fol. 205 ist im folgenden Stück
    abgedruckt.
        Das Fragment mit dem Titel: "Strukturpsychologie" gehört einer
    andern, von der ,,Übersicht" abweichenden Disposition für die Um-
    arbeitung an, nach der ein so betiteltes Kapitel auf ,,erkenntnistheore-
    tische Vorbemerkungen" folgen sollte: C. 55, fol. 215–220. Die Auf-
    zeichnung bricht mitten im Satz ab mit den - von uns fortgelassenen
    Worten: ,,Allgemein: Das, was hier als eine Funktion ermöglichend
    vorliegt ..."
        Die letzten Fragmente, mit dem - vom Herausgeber im An-
    schluß an die ,,Übersicht" eingesetzten Titel: "Bedeutung als Kate-
    gorie des Lebens" sind aus Aufzeichnungen früherer Zeit entnommen,
    die Dilthey für die Umarbeitung 1907/08 hat abschreiben lassen, C.
    55 fol. 39 und 292/291.
     

    Fragemente
    Vorbetrachtung.
        In Religion, Kunst, Anthropologie, Metaphysik bilden die Erleb-
    nisse die Grundlage, und es gilt nicht nur, sie als gegeben hinzu-
    nehmen, es gilt, sie hervorzurufen und zu vermannigfaltigen. Es gilt
    dann, sie zu bezeichnen» zu vergleichen usw. Freie Betrachtung über
    diese Schönheit des Lebens und seine Einfachheit. Wie wir auf Erden
    <wandeln>. Die Tiefe des Erlebnisses.

    DAS ERLEBNIS

    Erleben ist eine unterschieden charakterisierte Art, in welcher Realität für mich da ist. Das Erlebnis tritt mir nämlich nicht gegenüber als ein Wahrgenommenes oder Vorgestelltes; es ist uns nicht gegeben, sondern die Realität Erlebnis ist für uns dadurch da, daß wir ihrer innewerden, daß ich sie als zu mir in irgendeinem Sinn zugehörig unmittelbar habe. Erst im Denken wird es gegenständlich.
        Alles von mir Erlebte, Erlebbare bildet nun <einen Zusammenhang>. Leben ist der Verlauf, der in einem Strukturzusammenhang zu einem Ganzen verbunden ist, der in der Zeit beginnt und in ihr endet, der für den Zuschauer durch die Selbigkeit des erscheinenden Körpers, an dem der Verlauf stattfindet, sich als ein Selbiges, Abgeschlossenes, das beginnt und endet, darstellt, der aber zugleich durch den merkwürdigen Sachverhalt im Unterschied etwa von Auftreten, Wachstum, Abnahme und Ende eines organischen Körpers charakterisiert ist, daß jeder Teil desselben in einem Bewußtsein mit den anderen Teilen durch ein irgendwie charakterisiertes Bewußtsein (Erlebnis?) von Kontinuität, Zusammenhang, Selbigkeit des so Ablaufenden <verbunden> ist. [>314]
        Ich gebrauche den Ausdruck Leben in den Geisteswissenschaften in der Einschränkung auf die Menschenwelt; er ist hier durch das Gebiet, in dem er gebraucht wird, bestimmt und keinem Mißverständnis ausgesetzt.
        Dieses Leben ist zeitlich, räumlich und durch Wechselwirkungen lokalisiert im Zusammenhang des allgemeinen Inbegriffs von Geschehen, der in unsere Erfahrung tritt. Diese räumlichen, zeitlichen, in Wechselwirkung bestehenden Relationen sind aber unterschieden von denen, die im Naturgeschehen stattfinden usw. Wechselwirkung bezeichnet in den Geisteswissenschaften nicht das an der Natur durch das Denken herstellbare Verhältnis, nach welchem Ursachen und Wirkungen als durch das Prinzip causa aequat effectum bestimmt erkannt werden können usw. Er bezeichnet vielmehr ebenfalls ein Erlebnis. Dieses kann in Ausdrücken desselben bezeichnet werden durch das Verhältnis von Impuls und Widerstand, Druck, Innewerden des Gefördertseins, der Freude über andere Personen usw. Impuls bezeichnet hier natürlich ebenfalls nicht eine in irgendeiner psychologischen erklärenden Theorie angenommene Kraft, Spontaneität, Kausalität, sondern nur den irgendwie in der Lebenseinheit begründeten erlebbaren Sachverhalt, nach dem wir die Intention auf Ausführung von Bewegungsvorgängen, die auf einen äußeren Effekt gerichtet sind, erfahren. So entstehen die Erlebnisse, die als Wechselwirkung voneinander unterschiedener Personen generell ausgedrückt werden.
        Der Ausdruck Erlebnis bezeichnet einen Teil dieses Lebensverlaufs. Als solcher ist er eine Realität, unmittelbar als solche auftretend, ohne Abzug innegeworden, nicht gegeben und nicht gedacht. Der Tod eines geliebten Menschen ist strukturell auf besondere Art mit Schmerz verbunden. Diese strukturelle Verbindung eines Schmerzes mit einer Wahrnehmung oder Vorstellung, bezogen auf einen Gegenstand, über den ich Schmerz empfinde, ist ein Erlebnis. Alles was dieser strukturelle Zusammenhang, der als Realität in mir auftritt, als Realität enthält, ist das Erlebnis. Dies Erlebnis ist abgegrenzt von anderen Erlebnissen dadurch, daß es als ein struktureller Zusammenhang von Schmerz, Wahrnehmung oder Vorstellung dessen, worüber der Schmerz stattfindet, Gegenstand, auf den die Wahrnehmung sich bezieht, ein abtrennbares immanent teleologisches Ganzes bildet. Im Haushalt meines Lebens ist es ein für sich loslösbares, weil es strukturell zu einer Leistung in diesem Haushalt gegliedert ist.
        Wie das angegebene Erlebnis, so auch Erkenntniserlebnis, jedes seinen Zweck realisierende Willenserlebnis, jedes künstlerische Erlebnis: Erlebnis bezeichnet einen Teil des Lebensverlaufs, in seiner totalen Realität, also konkret, ohne Abzug, welcher teleologisch angesehen, eine Einheit in sich hat. Er ist nicht Gegenwart, er enthält schon Vergangenheit und Zukunft in sich in dem Bewußtsein von Gegenwart, da der Begriff der Gegenwart keine Dimension in sich schließt, das konkrete Bewußtsein von Gegenwart also Vergangenheit und Zukunft in sich enthält. [>315]
        Der Religiöse, der Künstler, der Philosoph schöpfen aus dem Erlebnis.
        In dem rastlosen Fortrücken, in welchem das Zukünftige immerfort ein Gegenwärtiges wird und dieses ein Vergangenes, in diesem beständigen kontinuierlichen Strom, den wir Zeit nennen, ist Gegenwart ein Querschnitt, der als solcher keine Ausdehnung hat. Denken wir die Zeit, absehend von dem, was sie erfüllt, als eine Linie, so sind die Teile derselben einander gleichwertig. In dieser Kontinuität ist auch der kleinste Teil linear, ein Ablauf, und so wäre kein noch noch so kleiner Teil in ihr <ein Punkt auf dieser Linie>. In dem Moment, in welchem das Zukünftige ein Gegenwärtiges wird, versinkt dieses auch schon in die Vergangenheit. Gegenwart ist ein Querschnitt im Strom. Dieser Querschnitt als solcher wäre nicht erfahrbar. Wie wird nun Gegenwart wirklich erfahrbar?
        Erfüllung mit Realität ist der Charakter der Gegenwart, im Gegensatz zu der Vorstellung von Realität und deren eigenen Modifikationen in der Erinnerung oder in der Erwartung von Realität und dem Willen, sie zu realisieren. Diese Erfüllung mit Realität ist es nun, die in dem Fortrücken derselben kontinuierlich und immer besteht, während das, was den Inhalt des Erlebens ausmacht, Veränderungen erfährt. So wird diese fortrückende Erfüllung mit Realität erfahrbar, als Erleben im Unterschiede vom Vorstellen des Erlebten oder zu Erlebenden. Ihr Ausdruck ist, daß wir immer in der Gegenwart leben. Gegenwart als ein Erfahrbares ist nicht jener Querschnitt, sondern die Erfüllung mit Realität, welche im Zeitverlauf kontinuierlich fortrückt. Weil hier Kontinuität des Fortrückens besteht, weil in demselben immer Erfüllung mit Realität Charakter der Gegenwart ist, darum besteht Gegenwart immer als dieselbe, und zwar ohne Bruch oder Riß. Alles was für uns als Zeiterfüllung, sonach Lebensfülle da ist, das ist es nur in dieser Gegenwart. Indem das Erlebnis in die Vergangenheit und die Erinnerung zurücksinkt, zieht sich noch mehr dasselbe in einen Zusammenhang, dessen zeitliche Momente nur Bestimmungen seiner Bedeutung im Zusammenhang des Lebens werden. Auf dieser Grundlage entstehen aus den Bestimmtheiten der Zeiterfüllung die Modifikationen unserer Zeitanschauung wie Dauer, Wechsel, Veränderung, Abmessung von Zeitlängen usw.
        Die qualitativ bestimmte Realität, welche so das Erlebnis ausmacht, ist nun Strukturzusammenhang. Er verläuft zwar in der Zeit; sie wird als ein Ablauf erfahren; die Zeitverhältnisse in ihm werden aufgefaßt: aber dasjenige, was in diesem Strukturzusammenhang an diesem Verlauf, obwohl vergangen, als Kraft in der Gegenwart gleichsam fortbesteht, erhält hierdurch einen eigenen Charakter von Präsenz. Das Erlebnis ist eine dynamische Einheit, obwohl es einen Verlauf ausmacht, und zwar nicht nur objektiv, sondern in unserem Bewußtsein. Dies Wort <Präsenz> bezeichnet das, was als ein Bestandteil des Strukturzusammenhangs, der das Erlebnis bildet, der Vergangenheit anheimgefallen ist, aber als Kraft in die Gegenwart hineinreichend erfahren wird, hiernach zu der Gegenwart in unserem Erleben ein eigenes Verhältnis hat, nachdem es in sie einbezogen wird: ein anderes Verhältnis als das, welches der Erlebnislage der Gegenwart [>316] fremd gegenübersteht, oder das, durch andere Erlebnisse getrennt, doch in seinem Einfluß auf die Gegenwart wirkend von uns erlebt wird. Aber diese Präsenz, dieser Charakter einer dynamischen Einheit, ja selbst dies Bewußtsein einer solchen ist doch nur die Folge einer Eigenschaft des Strukturzusammenhangs, welche erst das Erlebnis konstituiert. Und welche ist diese?
        Ich erfahre den Tod einer Person, so entsteht in mir ein heftiger Schmerz; und nun entsteht ein Ausdruck desselben in Worten, an andere, oder ein Willensentschluß, der sich irgendwie auf diesen Tod bezieht. In dem Strukturzusammenhang dieser Vorgänge sind die Teile des Verlaufs miteinander verbunden durch die Einheit des Gegenstandes. Aber wie diese zwar eine Bedingung für die Einheit des Erlebnisses ist, grenzt sie dieselbe doch nicht gegen andere Erlebnisse ab. Abermals fragen wir: worauf beruht diese Abgrenzung des Erlebnisses?
        Das Erlebnis ist bestimmt durch Präsenz und qualitativ bestimmte Realität. Hierbei ist das Qualitative im Erlebnis etwas ganz anderes als an einem Naturding; an diesem wird die Qualität in einer Beziehung zu dem <dessen Qualität> sie ist, aufgefaßt: im Erlebnis ist nur diese qualitativ bestimmte Realität und nichts ist für uns dahinter. Das ist eben die ganze Realität des Erlebnisses. So wird etwa zunächst ein Gemälde von Dürer, das die vier Apostel darstellt, wie es m der Münchener Galerie dasteht, für mich ein Erlebnis. Alle anderen männlichen Figuren usw. Ich darf aber nicht sagen, daß in diesem Bilde oder gar in dem, was ich als das Bedeutende heraushebe, das ganze Erlebnis liege. Dieses faßt die Lokalisation usw., kurz die ganze Realität, die das Erlebnis ausmacht, in sich. Was ich in der Apperzeption des Erlebnisses heraushebe, ist ein Teilausschnitt,, ja es kann schon eine Deutung sein. Schmerz über den Freund: war es so? — Das Erlebnis endet, indem ich den Raum verlasse; das Vergegenwärtigen schwindet, da mir jemand begegnet usw. Ich kann aber wieder hingehen. Es ist nur eine Erweiterung dieses Erlebnisses, wenn der Besuch sich wiederholt. Hier bildet sich eine eigene Beziehung. Bei meinem letzten Besuch ist in dem Erlebnis die Fülle aus den früheren. Die älteren Erlebnisse sind zusammengegangen in eine stärkere Einheit in sich. Sie haben einen eigenen Bezug zum Gegenwärtigen. Wenn ich eine Person wiedersehe, so kann ich das Gefühl haben, als wäre ich gar nicht von ihr getrennt gewesen. So innerlich und eigen ist der Bezug. Und die Erlebnisse verhalten sich wie in einem Andante einer Sinfonie Motive auftreten, sie werden entwickelt (Explikation), und das Entwickelte wird zusammengenommen (Implikation). Die Musik spricht hierin die Form eines reichen Erlebnisses aus. Wie getrennt auch die Einzelerlebnisse sind von Besuchen der Galerie: in ihnen expliziert sich etwas, und schließlich ist die ganze Fülle des letzten Erlebnisses da, in welcher eine Implikation, ein Zusammennehmen sich realisiert und nun das volle Erlebnis konstituiert. [>317]

    Über das dichterische Erlebnis.

        Er hat eine größere Leidensfähigkeit. Vertieft sich in diese Leiden, fixiert sie, macht sie zu dauernder Stimmung. Ehen hierdurch wird er fähig, andere Menschen durch die Auflösung in der Ruhe zu befreien. — Die musikalischen Erlebnisse. Beethoven usw. Anderseits die Freude des Schaffens.
        Es gilt nun, uninteressiert zu den Erlebnissen sich zu verhalten. Das ist ebenso in Philosophie usw. wie in Dichtung. Uninteressiert heißt unpersönlich. Christus am Kreuz, der das Bewußtsein hat, daß der Tod in seiner Mission von Gott her enthalten sei, verhält sich unpersönlich. Also ist Uninteressiertheit nicht nur eine Eigenschaft des Eindrucks, sondern auch im Erlebnis des Schaffenden. So wird Kant berichtigt.
        In der Loslösung des Phantasievorgangs von der Gelegenheit liegt Loslösung vom Persönlichen.

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    STRUKTURPSYCHOLOGIE
    Die Lokalisation der psychischen Vorgänge im Zusammenhang der Struktur nach dem in diesem bestehenden Verhältnis des Ganzen zu den Teilen.

        Wir bringen unbefangen die durch ihre Ausdrücke festgelegten Erlebnisse in einen Zusammenhang, in dem der Aufbau derselben zu Erinnerungszusammenhang. Lebensführung, Totalität des Lebens vollzogen wird. Illusion, Aufhebung derselben, Fortgang von Leidenschaft zu Vernunft usw. Dieser Aufbau ist da, wenn Dichtung, Gespräch über Lebenserfahrung, Lebensphilosophie usw.
        Dieses ist älter, natürlicher usw. als der Fortgang zur Psychologie. Das Erlebnis erhält einen "Ausdruck. Dieser repräsentiert es in seiner Fülle. Er hebt Neues heraus. Er findet statt ohne psychologische Begriffsbildung und fordert sie gar nicht.
        Ich bezeichne dann den Gegenstand eines Erlebnisses, das Zustand von Subjekt über Objekt im positiven Sinn ist, als Wert; Zustand von Subjekt <in> Richtung auf Objekt, als Zweck. So entsteht eine Terminologie, welche mit Empfindung, Gefühl usw. nichts zu tun hat. Es ist die Bewegung von Auslegung von Objektivierungen des Erlebten, in denen das Objekt eine positive Bestimmung <erhält>. Wir bewegen uns nicht in der Sphäre der Empfindungen, sondern der Gegenstände, nicht der Gefühle, sondern Wert, Bedeutung usw.
        Ich erlebe, daß in meinem Bewußtsein irgend etwas durch seine Intensität im Bewußtsein hervortritt. Das was an einer Stelle des Seelenablaufs besteht, ist auch da vorhanden. Ich habe Schmerz über den Tod meines Neffen; ich bleibe dabei im Raum lokalisiert, im Zeitverlauf orientiert. Dieses mache ich nun durch Introspektion zum Gegenstand meiner Beobachtung. Kann ich eine Wissenschaft darauf gründen? Will ich diese Beobachtung in Worten ausdrücken, so gehören diese einem vielfach bedingten Sprachgebrauch an. Die Beobachtung selbst ist durch die Fragen, die ich stelle, bedingt. Wenn ich [>318] mich oder andere frage, ob der ästhetische Eindruck eines Gebirges Einfühlung, enfhalte, so ist diese schon sogleich da. Die Beobachtung zeigte Übergänge irgendwie ausgedrückter Zustände wie Gefühle usw. zueinander. Ferner: Über diese Erlebnisklassen kann ich nicht aussagen: ist etwa Empfindung das bestimmte Gefühl, Gefühl immer nur eine unbestimmte Empfindung? Daher und aus anderen Gründen sind die Grenzen zwischen den erlebten Zuständen unsicher. Gibt es Gefühle, die ohne Beziehung auf einen Inhalt sind? Ist Haß ein Gefühl oder ist auch Antrieb darin? usw.
        Sonach kann nur eine andere Methode weiter führen. Sie geht durch ein Mittelglied. (Und sie ist darauf gerichtet, eine Grundeinteilung für weitere Zwecke zu gewinnen.)
        Aus dem Erlebnis entstehen die Ausdrücke desselben. Sie sind in der Literatur usw. In diesen Ausdrücken ist jedesmal eine Beziehung von Subjekt und Objekt enthalten. In der Sprache treten sie auf als: Anschauung oder Begriff (Beurteilung) vom Gegenstände, Gefühl über, Intention usw. zu oder auf.
        In jedem dieser Ausdrücke ist eine Relation Subjekt zu usw. enthalten, die zwischen einem Zustand des Subjekts und dem Gegenstände besteht. Das ermöglicht weiter den Objektivierungsvorgang, nach dessen Vollzug die durch positiven Wert oder positives Urteil oder Willensrichtung bezeichneten Gegenstände da sind. Andererseits entstehen die Beziehungsweisen, die ich als Wirklichkeit, Gesetz usw., Wert, Handlung usw. bezeichne. Indem ich nun die verwandten so bezeichneten Gegenstände, die Ausdrücke, Relationsweisen, die an den Gegenständen auftreten, zusammenstelle, entdecke ich ein verwunderliches Verhältnis. Diese Relationsweisen, wie sie an verschiedenen Gegenständen auftreten, sind in großen Gruppen dieselben; diese Gruppen <können wir> jedesmal um einen Typus gruppieren, und dieser Typus und das ihm Zugeordnete ist genau gegen einen anderen Typus abgegrenzt. So kann, während an den Erlebnissen eine feste Abgrenzung nicht aufstellbar war, diese an den Ausdrücken und den Objektivierungen aufgezeigt werden.
        Ich nenne nun Struktur die Beziehung, die zwischen Bestandteilen in einem Erlebnis ist. Typus ist die einfachste Art, in der das Erlebnis in einer Gruppe konstituiert ist. Das so Strukturierte tritt dann in weitere Strukturverhältnisse, und diese bilden schließlich einen Schematismus, eine Lokalisation, die im psychischen Ablauf, der die Lebenseinheit bildet, stattfindet.
        Dieses indirekte Verfahren, das durch den Ausdruck hindurchgeht, ist in gewissen Grenzen von Brentano und Husserl angewandt worden. Brentano geht auf Mill zurück, der auf Comte zurückweist: den großen Kritiker der introspektiven Methode. Aber die reinliche Durchführung hängt ab von der Einsicht in: Ausdruck, Verstehen, Struktur, Funktion, Verhalten (Beziehung).
        Die drei Gruppen rind durch die in ihnen auftretenden Kategorien erst klar unterschieden. Diese Kategorien sind abstrakte Begriffe, die sich auf ein Lebendiges beziehen, das einwandfrei Beziehungist, das dann als Funktion bezeichnet werden kann, sofern es mit den anderen Grundbeziehungen in einer Beziehung zum Ganzen steht. Ver- [>319]halten ist ein Ausdruck, der erst ... fordert. Ausgeschlossen ist der Gegensatz Kants von Form und Inhalt. Es wäre eben so angemessen und unangemessen, diese Beziehungen als auf ein Inhaltliches gegründet anzusehen.

    Bedeutung als Kategorie des Lebens.

        Bedeutung des Lebens ist Einheit von Zusammenhang der Teile und Wert des einzelnen. Diese Einheit liegt in der Natur des Lebens. So ist Bedeutung eine aus dem Leben selbst gewonnene Kategorie. Sie ist also nicht eine ästhetische Kategorie, wenn auch die Kunst auf ihr beruht. Beweis: Niemand kann sich dieser Betrachtungsweise entziehen.
        Immanenz der Bedeutung in dem, dessen Bedeutung es ist. Bedeutung der Lebensverhältnisse. Natürliche Auffassung. Wie hätte Goethe anders verfahren können!"

        RS-Anmerkung Beweis: "Niemand kann sich dieser Betrachtungsweise entziehen" ist kein Beweis, sondern eine Behauptung. Anmerkung: "beweis" hat 25 Fundstellen, die einer kritische Analyse unterzogen werden sollten.

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    Literatur (Auswahl)
    Dilthey, Wilhelm (1924) Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens. Zweite Hälfte. Abhandlungen zur Poetik, Ethik und Pädagogik. GS VI.  Leipzig: Teubner. [intern-PDF, Quelle Gallica]



    Links (Auswahl: beachte)
    https://www.vr-elibrary.de/series/digs
    https://www.husserlpage.com/dilthey.html



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Querverweise
    Standort: Erleben und Erlebnis bei Dilthey Band 6.
    *
    Zusammenfassungen, Übersicht, Haupt- und Verteilerseite Dilthey
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Erleben und Erlebnis in Diltheys Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens. Zweite Hälfte. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/erleben/Dilthey/06-Dilthey.htm

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    korrigiert: 08.09.2024 irs Rechtschreibprüfung und gelesen



    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    01.11.2024    Einleitung statt Einführung im Titel.
    25.09.2024    Abgleich mit Hauptseite Zusammenfassung und Inhalt.
    08.09.2024    irs Rechtschreibprüfung und gelesen.
    08.09.2024    Überprüft.
    05.09.2024    Überarbeitet und ergänzt.
    25.10.2022    Angelegt.