Handbuch der Geisteskrankheiten - Allgemeiner Teil 1 - Bumke 1928
Hilfsseite zum Katalog der potentiellen
forensischen Gutachtenfehler (MethF)
Methoden- und Methodenproblembewusstsein
in der - forensischen - Psychiatrie
Zu:
Potentielle Fehler in forensisch psychiatrischen
Gutachten, Beschlüssen und Urteilen der Maßregeljustiz
Eine methodenkritische Untersuchung illustriert
an einigen Fällen u. a. am Fall Gustl
F. Mollath
mit einem Katalog
der potentiellen forensischen Gutachtenfehler sowie einiger Richter-Fehler.
von Rudolf Sponsel, Erlangen
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Gesamtwertung angemessene Darstellung der psychiatrischen Methodenproblematik Signierung 0
Der erste der 12 Bände umfasst 732 Seiten, enthält aber keinen Abschnitt "Methoden" oder "Untersuchungsmethoden", wo er der Systematik nach eigentlich hingehörte. Auch das Sachregister enthält keinen Eintrag. Daher muss als Botschaft dieses vermutlich umfassendsten und repräsentativsten Werks der deutschen Psychiatrie zu dieser Zeit angenommen werden: Die Psychiatrie kennt keine Methodenprobleme und hat deshalb auch kein Methodenproblembewusstsein - so wie einer, der nicht reist, natürlich auch keine Reiseprobleme haben kann.
"Inhaltsverzeichnis.
Ziele, Wege und Grenzen der psychiatrischen Forschung. Von Geheimrat
Professor Dr. OSWALD BUMKE, München 1
Geschichte der psychiatrischen Wissenschaft. Von Professor Dr.
KARL BIRNBAUM, Berlin 11
I. Allgemeine Vorbemerkungen 11
II. Allgemeiner Überblick 14
III. Die vorwissenschaftliche Psychiatrie 15
Bumke, S. 8:
"Man wird solchen Entgleisungen gegenüber mit
allem Nachdruck darauf hinweisen müssen, daß die Psychiatrie
„dem methodischen Sinn ihrer Fragestellungen, der Struktur
ihrer Begriffsbildung und Begriffsgliederung nach Naturwissenschaft ist"
(HÖNIGSWALD), ja daß auch die Psychologie „eine Erfahrungswissenschaft,
eine Wissenschaft von Tatsachen, von Realitäten" bedeutet (HUSSERL)
— ganz im Gegensatz zur Phänomenologie, die ausschließlich „Wesenserkenntnisse"
feststellen will und „durchaus keine Tatsachen" (HUSSERL). Gewiß
werden wir jeden Versuch, die Begriffe, mit denen unsere Wissenschaft arbeitet,
kritisch zu läutern und die methodischen Grundlagen
dieser Arbeit erneut durchzudenken — ich erinnere an die großen Verdienste
von JASPERS — dankbar und freudig begrüßen. Und ebenso werden
wir nicht in den Fehler zurückfallen wollen, psychologische und psychopathologische
Tatbestände auch da in eine neurologische oder hirnpathologische Sprache
zu übersetzen, wo wir ihre physiologischen Korrelate noch nicht einmal
ahnen. Aber noch weniger wollen wir vergessen, daß eine Arbeitsweise,
die Tatsachen nicht mehr beobachtet, sondern erdenkt, die keine Kranken
gebraucht, sondern bloß noch Papier, überall brauchbar sein
mag, außer in einer Klinik.
Die Klinik ändert dauernd ihre Aufgaben und
ihre Methoden; ... "
F. Kehrer, S. 343, Strukturanalyse,
Anhang Anamnese:
"... Diesen Bedürfnissen genügt naturgemäß wenigstens
der Absicht nach eine Typologie viel besser. Leider besitzen wir bisher
eine solche noch nicht, — einfach deshalb, weil die notwendige Vorarbeit
dazu: eine Sammlung von vorurteilslos mit allen anerkannten Untersuchungsmitteln
erschöpfend durchforschten Krankheitsfällen, noch nicht geleistet
ist. Es hat seine guten Gründe, wenn jene Schlagworte — Strukturanalyse,
mehrdimensionale Diagnostik — auf methodologische
Begriffe hinauslaufen. Sie bedeuten eine Aufgabe: die Aufstellung einer
ätiologischen Faktorenbilanz, liefern aber an sich kein neues System
von Krankheiten."
Anmerkung: Kehrer nimmt hier mit seiner Strukturanalyse
die Faktorenanalyse
vorweg.
F. Kehrer, S. 348, Strukturanalyse,
Anhang: Die Anamnese
"Was die Technik der Vernehmung von Krankheitszeugen
zum Zwecke der Anamnese im einzelnen anlangt, so ergibt sich das Wichtigste
schon aus dem Leitsatze, daß (natürlich nur was das Methodische
anbetrifft) die Richtlinien eines Historikers und Untersuchungsrichters
maßgebend zu sein haben. Man muß sich das Vertrauen der Zeugen
gewinnen oder, wenn dies nicht gelingt, ihre Befragung ruhig einem anderen
Arzte der Anstalt überlassen; denn natürlich spielt auch hier
wie überall scheinbar Unwägbares mit; so kommt es, daß
gelegentlich der eine Arzt eine Fülle wertvoller Zusammenhänge
zutage fördert, was dem anderen trotz allen Bemühens nicht gelingt.
Es ist weiter klar, daß bei der Vernehmung der Zeugen der ordnende
Gesichtspunkt stets innegehalten werden muß, damit die objektive
Vorgeschichte nicht zu einer bunten Aneinanderreihung von echten Erinnerungen
oder gar zu einem Chaos von Erinnerungen und Vermutungen wird. Was im einzelnen
Falle wesentlich ist, läßt sich natürlich allgemeingültig
nie genau sagen. Vollständigkeit in der Ermittlung des Wesentlichen
heißt nicht, alle Einzelheiten gleich wichtig nehmen. Und doch muß
man sich den Instinkt für die scheinbare Kleinigkeit erwerben, die
in irgendeinem Zusammenhange später sich als wichtiger Punkt enthüllt."
Bei F. Kehrer, Strukturanalyse, Anhang Anamnese, S. 348, findet sich
ein Hinweis auf Fehlerquellen bei der Anamnese. Er erwähnt auch, dass
man durch "geschicktes Fragen" einige Mängel umgehen kann. "Nur" die
Methodik hierzu sagt er nicht. Auch die Problematik der Arbeitsbeziehung
wird kurz erwähnt: "so kommt es, daß gelegentlich der eine Arzt
eine Fülle wertvoller Zusammenhänge zutage fördert, was
dem anderen trotz allen Bemühens nicht gelingt".
Anmerkung: Obwohl das Wissen von der Bedeutung der
Arbeitsbeziehung schon 1928 vorlag, wie das Zitat Kehrers beweist, spielen
Arbeits- und eine Vertrauensbeziehung
in der forensischen Psychiatrie bis heute (2014) keine Rolle.
Einträge Phänomenologie: 6, 8, 17, 47, 354, 420.
S.6: Bumke missversteht die (originär)
phänomenologische
Methode (Brentano, deskriptive Psychologie; Husserls Wesensschau ist ein
anderes Kapitel), wenn er sie mit Einfühlen und Verstehen gleichsetzt,
wie es Jaspers m.E. unzweckmäßig (1948, S. 47 ff) behauptet
und fordert (noch nicht so S.22)
. Die Phänomene erfassen wie sie gegeben sind, hat ja zunächst
gar nichts mit hineinversetzendem Einfühlen oder Verstehen zu tun.
Vereinfacht und zugleich verdichtet gesagt heißt phänomenologisch
vorgehen "nur": die elementaren Äußerungen in Erleben und Verhalten
so, wie sie erfolgen, genau und unverfälscht, ungefiltert zu erfassen
und zu protokollieren. Das ist im Allgemeinen schwer und will trainiert
sein. Ein einfaches Modell für ein phänomenologisches Explorat
lieferte z.B. eine audio-visuelle Videoaufzeichnung.
"Verstehen" der Äußerungen des Erlebens
und Verhaltens ist frühestens der zweite Schritt, mit dem die Psychiater
allerdings auch oft heute (2014) noch falsch beginnen. Das zeigt sich in
der völlig falschen
Auffassung, die Symptome,
nicht die sie begründenden Daten des Erlebens
und Verhaltens, seien die Grundlage der Psychopathologie.
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