Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    IP-GIPTDAS=22.07.2002 Interneterstausgabe, letzte Änderung TT.MM.JJ
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel * Stubenlohstr. 20    D-91052 Erlangen * Mail:_sekretariat@sgipt.org_

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    Willkommen in der Psychotherapieforschungsabteilung der GIPT, hier zur

    Kritik der Präsentation einer Umfrage des Instituts für Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin der Saarländischen Unikliniken vom Juni 2000 bis Februar 2001 in der Zeitschrift test 2002, 2, 91-95

    von Rudolf Sponsel, Erlangen
    Internet-Erstausgabe 22.07.2002, Letztes Update TT.MM.JJ

    Motto: Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe.

    Zur Methodologie und Technik der Befragung  *  Ergebnisse: Psychoanalyse angeblich am besten bei Symptomreduktion * Psychoanalyse Wunschergebnis II: Je länger, um so besser * Bewertung (Kritik) * Querverweise



    Zur Methodologie und Technik der Befragung

    "Knapp 1800 Patienten, darunter auch zahlreiche test-Leser, waren bereit, einen zwölfseitigen Fragebogen auszufüllen und Auskunft zu geben über ihre seelischen Probleme, ihre Therapien und ihre aktuelle Gemütsverfassung. Depressionen, Ängste und Panikattacken sowie andauernde schlechte Stimmung gehörten zu den häufigsten psychischen Beeinträchtigungen, die die Befragten veranlassten, eine Psychotherapie zu machen. Weitere Probleme, die sie bedrückten, waren psychosomatische Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen, eheliche und sexuelle Probleme, Probleme mit Kindern und am Arbeitsplatz, Trauer über den Verlust einer geliebten Person sowie Probleme mit körperlichen Erkrankungen."

    Leider erfahren wir nicht, wie die einzelnen Konsumenten ausgewählt, angesprochen (von wem, wie?) und wie mögliche Fehlerquellen kontrolliert wurden.
     

    Die Ergebnisse

    Psychoanalyse angeblich am besten bei Symptomreduktion

    Zunächst einmal fällt bei den Ergebnissen auf, daß sie ganz nach der Interessenlage des erhebenden psychoanalytischen Instituts ausgehen: (1) Alle seien zwar gleich effektiv, aber ausgerechnet die Psychoanalyse liefere bei der Symptomreduktion bessere Ergebnisse (fett- kontrastierende Hervorhebung von mir):

    "Aus Sicht der behandelten Patienten sind die drei in Deutschland als wissenschaftlich anerkannten und von den Krankenkassen finanzierten Therapieverfahren – Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Verhaltenstherapie (siehe auch Kasten unten) – gleich effektiv. Sie bessern das psychische Allgemeinbefinden ähnlich gut, und die Zufriedenheit der Patienten ist etwa gleich groß. Die Psychoanalyse schneidet im Urteil der Befragten bei der Verbesserung der belastenden Symptome jedoch besser ab als die beiden anderen Verfahren."

    Daß ausgerechnet die "Psychoanalyse", die auch noch falsch benannt wird - es kann sich nur um Analytische Psychotherapie (max. 300 Stunden) handeln - die besten Ergebnisse bei der Symtom-Beseitigung haben soll, widerspricht nicht nur der gesamten vergleichenden Psychotherapieforschung sondern auch den Erfahrungen vieler Therapiekundiger.
     

    Psychoanalyse Wunschergebnis II: Je länger, um so besser

    "Für alle Therapieformen gilt: Je länger die Behandlung dauert, umso größer ist der Erfolg. Besonders positiv sind die Ergebnisse bei Therapien, die länger als zwei Jahre dauern. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Eine Begrenzung der Behandlung durch die Krankenkasse oder andere Kostenträger – sei es, dass die Therapie nach einer gewissen Zeit nicht weiter finanziert wird oder der Patient seinen Therapeuten nicht frei wählen darf – hat einen negativen Einfluss auf den Behandlungserfolg."

    Auch dieses Wunschtraumergebnis der Analytischen Psychotherapie und Psychoanalyse widerspricht den meisten bisherigen vergleichenden Psychotherapieforschungsergebnissen. In einem Durchschnittsfall liegt der durchschnittliche Grenznutzen für Psychotherapie bei ca. 50 Sitzungen.
     

    Bewertung (Kritik)
     
    Da die beiden Hauptergebnisse den Wünschen, Träumen und Erwartungen der psychoanalytischen ErheberInnen entsprechen und zugleich im Widerspruch zu fast allen Erfahrungen Therapiekundiger und der vergleichenden Psychotherapieforschung stehen, ergeben sich erhebliche Zweifel, ob diese Studie richtig konzipiert und durchgeführt wurde. Wie eine Zeitschrift mit dem Namen "test" dazu kommt, eine solche in der Präsentation und Transparenz dunkle und im Ergebnis dubiose Untersuchung kritiklos zu publizieren, bleibt deren Geheimnis. Als Trost mag dienen, daß Psychotherapie bei den Befragten offenbar einen ausgezeichneten Ruf hat und beste Erfolge bringt, obschon doch auch hier sehr eigenartig berührt, daß die Selbsthilfegruppen auf der Seligman Skala - siehe Eingangs- Bild - 95,3% [224 Punkte] des Erfolges von regelrechten Psychotherapien [235 Punkte] erreichen. Danach müßte man sich eigentlich fragen, wozu man überhaupt noch Psychotherapien braucht. Auch dieser Befund paßt nicht und auch das wird nicht kritisch reflektiert, wie überhaupt nichts kritisch reflektiert wird.



    Anmerkungen:
    Hinweis: Die Untersuchung ist auch über das Internet als PDF-Datei gegen Honorar abrufbar:
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    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Die vier wichtigsten Erhebungsfehlerquellen in Konzeption, Durchführung und Auswertung:
    Rosenthaleffekt (Pygmalioneffekt): Die ProbandInnen versuchen, die Wünsche und Erwartungen (die sie oft deuten und mutmaßen) der UntersucherInnen zu erspüren und zu erfüllen, möchten den UntersucherInnen gefallen.
    Hawthorneeffekt: Die Zuwendung und Aufmerksamkeit durch die Erhebung verfälscht die Ergebnisse.
    Suggestionseffekte: Durch ein Interesse an bestimmten Ergebnissen werden - meist unbewußt - Informationen transportiert, die die Untersuchungsergebnisse im Sinne der Interessen, Wünsche und Erwartungen beeinflussen. In der Rechtspsychologie und Jurisprudenz spricht man in einem solchen Fall von Befangenheit. Was in der Psychotherapie an interessegeleiteten und daher befangenen Untersuchungen durchgeführt wird, hätte als Sachverständigen- Gutachten vor keinem deutschen Gericht Bestand. So betrachtet ist nahezu die gesamte Psychotherapieforschung ein einzigartiger wissenschaftlicher Kunstfehler (wie er sich auch in der  Besetzung des Wissenschaftlichen Beirates für Psychotherapie zeigt). PsychotherapeutInnen müssen konzeptionell einbezogen werden und ForscherInnen beraten, aber sie dürfen für wirklich hieb- und stichfeste wissenschaftliche solide (valide) Ergebnisse die Untersuchungen nicht selbst durchführen und auswerten. Natürlich können und sollen sie forschen und damit unabhängige und valide Haupt- Untersuchungen vorbereiten helfen.
    Potentielle Fehlerquellen werden nicht kontrolliert.
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    Die häufigsten Verfahren bei den Befragten:
    Tiefenpsychologisch fundierte Therapie 33,3 %
    Psychoanalyse 20 %
    Verhaltenstherapie 16,9 %
    Gesprächstherapie 8,6 %
    Weitere 21,2 %
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    Potemkinsche Traumergebnisse: "Ergebnis der Untersuchung: 55 Prozent der Befragten gaben an,
    dass ihre Probleme nach der Psychotherapie „viel besser“ waren, bei 36 Prozent waren sie „etwas besser“. Über „viel bessere“ Lebensfreude berichteten 41 Prozent der Patienten, 39 Prozent über eine „etwas bessere“. Die Arbeitsproduktivität verbesserte sich bei 24 Prozent der Befragten erheblich und bei 34 Prozent ein wenig. Dabei zeigte sich, dass Patienten, denen es zu Beginn der Therapie sehr schlecht ging, von der Behandlung am meisten profitierten: Sie schätzten die Minderung ihres Leidensdrucks besonders positiv ein. Insgesamt waren 33 Prozent „absolut zufrieden“ mit der Psychotherapie, 43 Prozent „sehr“ und 17 Prozent immerhin noch „ziemlich zufrieden“." Also  93%  zufrieden. Ein solches Phänomen exteremer Zufriedenheit ist eigentlich nur bei esoterischen Therapien bekannt. Hemminger sagt hierzu: "Die Zufriedenheit der Klienten esoterischer Therapien ist hoch, bei einer repräsentativen Befragung wurden kaum Negativeffekte genannt." Unrealistisch positive Werte fand schon Rudolf (1991, S. 279). Er teilte in seinem Buch  "Die therapeutische Arbeitsbeziehung" die potemkinsch-anmutende Besserungsrate von 97 % bei den analytisch Behandelten mit. Das sind Werte, wie man sie von Wahlergebnissen aus Diktaturen oder aus der Esoterik kennt. Rudolf gibt das allerdings keineswegs Anlaß zu einer kritischen Reflexion, im Gegenteil: "Betrachtet man die Patientengruppen im Vergleich, so überrascht das positive Abschneiden der psychoanalytisch behandelten Patienten wenig:" (S. 279).


    (wird ergänzt, ausgebaut und fortgesetzt)

    Querverweise
    • Literatur und Linkliste (LiLi): Irrtum, Betrug, Tricks, Täuschung, Fälschung, Risiko, Versagen und anderes Fehlverhalten in Forschung, Wissenschaft und Technik
    • Potentielle Kunstfehler in der Psychotherapie
    • Jatrogenie
    • Querverweise Medizin, Krankheit, Therapie, Behandlungsfehler ...
    • Die Meta-Analyse von GRAWE et al. 1994 (Erfassung bis Ende 1983).
    • Über den Aufbau einer präzisen Wissenschaftssprache in Psychologie, Psychopathologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie
    • Eine wissenschaftlich faire Literaturanalyse zur Wissenschaftlichkeit der Psychotherapieverfahren durch Erhebung von veröffentlichten Arbeiten zu oder mit folgenden Themen: Dokumentation, Evaluation, Faellberichte, Indikation und Outcome (Wirkungsforschung).
    • Überblick der Signaturen: Dokumentations- und Evaluationssystem Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    • Testtheorie der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie.
    • Probleme der Differentialdiagnose und Komorbidität aus Sicht der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie
    • Introspektion, Bewußtseins- und Bewußtheitsmodell in der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie
    • Der Wissenschaftsbegriff und seine aktuelle Bedeutung
    • Zahlen und neue Zahlen zum Messen im Unscharfen, Flüchtigen, Subjektiven und idiographischen.
    • Konstruktivismus - Formen & Varianten



    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Kritik der Präsentation einer Umfrage des Instituts für Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin der Saarländischen Unikliniken vom Juni 2000 bis Februar 2001 in der Zeitschrift test 2002, 2, 91-95. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen:  https://www.sgipt.org/wisms/ptf/konsum/t02-02.html
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