Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=01.01.2012 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung tmj
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20  D-91052 Erlangen
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    Willkommen in unserer Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Soziologie und Kulturanthropologie, Breich ... hier speziell zum Thema:

    Die kranke Gesellschaft und ihre Kinder
    Wie krank sind wir wirklich?


    Das Titelfoto wurde im Jahr 1975 in New York von Susanna Walter aufgenommen.
     

    von Jörg Walter (2009),
    mit Erlaubnis des Autors für das Internet aufbereitet
    von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Eine Internetpräsentiation dieses sehr interessanten und kritischen Werke wird im Laufe des Jahres 2012 realisiert.
    Zum Vorgänger des Werkes (2002):  Die Handicapgesellschaft.



    Inhaltsverzeichnis
    Teil 0      9-22    Abstract  Vorwort / Einfuhrung.
    Teil 01    23-32 Ein Überblick über die kranke Gesellschaft.
    Teil 02    32-45    Zur Reproduktionsmedizin in Deutschland Schwangerschaft, Frühgeburten.
    Teil 03    46-50    Scheidungen, Trennungen, Sonderschulen.
    Teil 04    51-55    Der Patient Deutschland.
    Teil 05    56-67    Armut — Krankheit—Gesundheit - Lebenserwartung.
    Teil 06    68-135   Daten und Fakten zum Patient Deutschland, alphabetisch geordnet.
    Teil 07    136-181   Informationen zu den zukünftigen Erwachsenen
    Teil 08    182-208   Medien, Lernen und gute Arbeit
    Teil 09    209-215   Anhang
    Teil 10    216-218   Über den Autor
                  219-228   Namensverzeichnis.
                  230-239  Stichwortverzeichnis.



    "Vorwort
    Wir leben in einer kranken und sich gegenseitig behindernden Gesellschaft. In den letzten fünf Jahren nahm die Zahl der Kinder mit schweren geistigen und körperlichen Behinderungen um zehn Prozent zu. [FN01]
    Die Deutschen sind zudem „Arzt-Weltmeister“. Statistisch gesehen geht jeder Deutsche mehr als 16 Mal pro Jahr zum Arzt.  [FN02]
    Heute wachsen die Kinder einer Generation auf, die in großem Umfang bereits sozial benachteiligt war.
    Die schnell voranschreitende Entwicklung der Technik einerseits – die Zunahme der Menschen, die dieser Entwicklung nicht mehr folgen können, andererseits, führt zu einem Auseinanderklaffen der Gesellschaft.

    Nach einer neuen Unicef-Studie bietet Deutschland Kindern nur mittelmäßige Zukunftschancen. LEYEN: „Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Entwicklung verschlafen, die im Ausland früher erkannt wurde.   . . .  [FN03] die Kinderarmut ist eines der beschämendsten Probleme unsere Landes
    Viele Menschen können nicht mehr sinnvoll beschäftigt werden, weil Arbeitsplätze für Menschen fehlen, die auf eine Betreuung angewiesen sind und die notwendige Betreuung aus Kostengründen gestrichen wird. Die Erkrankungen in der Bevölkerung steigen.
    Die Verschuldung privater Haushalte nimmt stetig zu. Mehr als 3,1 Millionen Haushalte  [FN04] bundesweit können nach den letz-ten vorliegenden, für 2002 ermittelten Zahlen ihren Zahlungs[>10]verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Die Tendenz ist stark steigend, 1994 waren es erst zwei Millionen Haushalte.
    Die Medien verändern das Bewusstsein der Bevölkerung ebenso wie die veränderte Lebensweise der Bevölkerung. Natürliche Lebensrhythmen werden außer Kraft gesetzt, die Einnahme von Suchtmitteln und Medikamenten prägen das Verhalten zukünftiger Generationen ebenso wie eine ungesunde Ernährung.
    Auch wenn diese Entwicklungen zunehmen und von oberen Bevölkerungs- und Politikerschichten nicht wahrgenommen werden wollen, so reifte vor allem bei Jugendlichen eine Frustreaktion auf diese Perspektivenlosigkeit um sich. Zerrüttete Familienverhältnisse, Schulversagen, drohende Arbeitslosigkeit, fehlende gesellschaftliche Ideale bereiten den Boden für gefährliche politische Entwicklungen und eine zunehmende Brutalisierung der Bevölkerung.
    Durch das umfangreiche Daten- und Zahlenmaterial kann es zu fehlerhaften Darstellungen gekommen sein. Durch die ge-nauen Quellenangaben soll eine Überprüfung möglich werden.
    Selbst wenn die vorgelegten Zahlen nur zur Hälfte stimmen würden –  die Situation gäbe wenig Anlass zu Optimismus.

    Eine kranke Gesellschaft erzeugt kranke Nachkommen und Nachkommen mit körperlichen, seelischen und geistigen Defiziten.

    Im Jahr 2002 vertrat ich die These, dass wir auf dem Weg zu einer „behinderten Gesellschaft“ sind. Ich möchte diese Feststellung ergänzen: Wir sind auch auf dem Weg, uns selbst und gegenseitig immer mehr zu behindern, weil wir nicht mehr ausreichend auf die ureigensten Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen eingehen, sondern uns in einer maßlosen Welt zurechtfinden müssen. Unsere demokratische Staatsform ent-wickelt sich zu einer Oligarchie. [>11]

    Hohe Arbeitslosigkeit, ein krankes Gesundheitssystem, zunehmende Orientierungslosigkeit und ein Auseinanderklaffen der sozialen Gegensätze in unsrem Land kennzeichnen den Zustand unserer Gesellschaft.

    Die vorliegenden, gesammelten Berichte und Daten sollen dazu beitragen, sowohl den desolaten Zustand unserer Gesellschaft zu verdeutlichen, aber auch aufzeigen, dass die einzige Möglichkeit, die Schwierigkeiten zu meistern, in einer radikalen Umkehr unserer Denkweise liegt.
    Die Medizin macht Fortschritte, dennoch werden die Men-schen immer kränker, die Wirtschaft erzielt riesige Gewinne – und dennoch – die Armut nimmt dramatisch zu.
    Die Politik zeigt sich seit Jahren nicht in der Lage, eine entscheidende Wende herbeizuführen.
    Die vorliegenden Daten sollen in erster Linie zum Nachdenken anregen, aber auch als Argumentationshilfen bei Diskussionen dienen.
    Gleichzeitig soll verdeutlicht werden, dass eine Besserung auf lange Sicht nicht absehbar ist. Wir müssen lernen, in einer Gesellschaft der „Andersseienden“ friedlich miteinander zu leben.

    Wir leben in einer kranken Gesellschaft und bewegen uns weg von der Idee eines demokratischen Relativismus   [FN05] sowie einer humanistischen Orientierung.
    Wenn ich in meinem ersten Buch  [FN06]  nach den Ursachen fragte und die These vertrat, dass das synergistische Zusammenwir-ken verschiedenster, vielfältiger Faktoren den Zustand unserer Gesellschaft dramatisch verschlechtert, so habe ich wertvolle Erkenntnisse hinzugewonnen.
    Neben den vielen aufgezeigten Einflussmöglichkeiten vollzog sich möglicherweise auch eine tiefgreifende Kränkung des Menschen durch das Auftreten und Bewusstwerden neuer [>12] Erkenntnisse über uns selbst  [FN07] , die uns bei genauer Überlegung unsere Zerbrechlichkeit, unsere Unfähigkeit und – wenn man nicht mit CAMUS und seinem Mythos des Sisyphos der Sinnlosigkeit zu entrinnen versteht – unsere Verletzbarkeit und den Zwang zur Suche nach Sinn und Erfolg verdeutlichen.
    Vielleicht gehören wir genau betrachtet nicht zur Spezies des „homo sapiens“.

    Unsere Gesellschaft ist nach meiner Auffassung auch dadurch gekennzeichnet, dass das Recht des Stärkeren gilt. Bei genauer Beobachtung der politischen und der sozialen Situation ist anzumerken, dass eine Erziehung mit dem Ziel, Menschen hilfsbereit, teamfähig und großzügig werden zu lassen, sich fragwürdig zeigt, da sie nur dazu führt, die Jugendlichen zu fragilen Spielbällen der Mächtigen zu machen.
    In unserer Gesellschaft schaut jeder, „wo er bleibt.“
    Eine relativ kleine Schicht von sehr einflussreichen Menschen bestimmt ohne jegliches persönliches Risiko auf Kosten der Schwächeren, was zu geschehen hat. Die Mächtigen verlieren nichts, denn sie haben immer alles was sie brauchen oder sie können es sich ohne Probleme durch ihre Beziehungen beschaffen. Sie leben aus einer anderen Perspektive heraus, die nichts mehr mit der eines Arbeiters oder Mittelständlers ge-meinsam hat.
    Doch die Gier genau dieser Menschen hält die Mächtigen im Amt und verschafft ihnen die Legitimation für noch höhere Gewinne.

    Alle folgenden Gedanken können nur fragmentarisch sein und erheben erneut keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit. Da wir aber unser „Weltbild“ häufig aus einem Ozean von unüberprüfbaren Informationen schöpfen und aufbauen, ist es wichtig, Informationen mit unseren möglichen, persönlichen Erfahrungsbereichen zu vergleichen. [>13]

    Viele Faktoren tragen dazu bei, dass sich unsere Gesellschaft rasant zu einer behinderten und sich behindernden Gesellschaft entwickelt.

    Die sich immer deutlicher zeigenden Symptome weisen zumindest deutlich darauf hin.

    Zugleich bin ich mir bewusst, dass – und diese Meinung wird auch durch neuere Gehirn-Forschungen bestätigt – wir uns unsere Wirklichkeit konstruieren. Es ist unumstritten, dass wir in erster Linie das sehen, was wir sehen wollen, und dass wir nicht tun, was wir wollen, sondern wollen, was wir tun. Unsere Vorstellung vom freien Willen scheint eine Täuschung zu sein  [FN08].  Das gilt offenbar für jeden Menschen. Aus Sicht der Gehirnforschung gibt es kein Zentrum, in dem sämtliche Vorgänge des Fühlens, Denkens und Wahrnehmens zusammenlaufen. Unsere Gehirnstruktur ist vielmehr mit einer komplizierten Schaltapparatur zu vergleichen, in welcher über Rückkopplungsschleifen und Querverbindungen ein Modell der Wirklichkeit entsteht, von dem wir genau genommen nicht sagen können, ob es mit der Realität übereinstimmt.
    Zu allem Unglück sind wir als Konstrukteure unseres Daseins ständig gezwungen, unsere eigenen Konstrukte zu beurteilen. Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, nach Sinn und kausalen Zusammenhängen zu suchen. Da wir uns nur sehr ungern ein-gestehen, dass unsere Handlungen sinnlos oder unnötig sind – vor allem dann, wenn finanzielle Möglichkeiten oder Notwendigkeiten mit im Spiel sind – müssen wir unser Handeln von vorneherein als sinnvoll deklarieren.
    So entstehen auch die Lebenslügen der gutbürgerlichen Gesellschaft. Viele Menschen in unserem Land gelten als abgeschrieben – und wir nehmen das hin. Von Politikern, die gerne an der Macht wären, wird oft populistisch ein hartes Durch{>14]greifen gefordert; sie übergehen dabei eine wichtige Erkennt-nis PASTEURS, der am Ende seines Lebens äußerte: „Die Mikrobe ist nichts – das Milieu ist alles!“
    Wenn wir uns nicht an die Arbeit machen, das Milieu umzugestalten, werden wir die Zunahme von Gewalt zu verantworten haben.
    Große Bevölkerungsteile sind alleine nicht mehr in der Lage, für eine Milieuverbesserung zu sorgen. Schwerwiegende politische Konsequenzen sind zu befürchten.

    Dennoch liegt hier zugleich die große Chance aller Eltern, Erzieher, Lehrer und der Menschen, denen Menschen anvertraut sind: Wir können im Kleinen das Milieu sehr wohl ändern, dürfen aber nicht darauf warten, dass  von staatlicher Seite eine Förderung gewährt wird.

    Nur (finanziell und geistig) unabhängige Menschen können heute wirksam, ohne die Angst vor Konsequenzen haben zu müssen, auch unangenehme Beobachtungen (das Wort Wahr-heit vermeide ich in diesem Zusammenhang bewusst) laut in der Öffentlichkeit äußern.
    Aus dieser Tatsache heraus lässt es sich auch erklären, warum wir so wenig übereinander und voneinander wissen und den Mitmenschen so oft nicht verstehen können. Unsere Interessen lenken unser Verhalten, und es würde niemandem leicht fal-len, seine Arbeit oder sein Verhalten als sinnlos oder wenig effizient zu erklären. Dennoch scheinen wir als Gesellschaft nicht in der Lage zu sein, die grundlegenden Probleme des menschlichen Zusammenlebens so zu lösen, dass es eine be-friedigende Grundlage für unser Zusammenleben gibt.
    Viele Menschen müssen inzwischen ihr Geld mit Tätigkeiten verdienen, die dem Funktionieren der Gesellschaft eher hin-derlich sind; das zeigt ein aufgeblähter Verwaltungsapparat. Andere Tätigkeiten dagegen werden ausgeführt, weil sich Maschinen amortisieren müssen oder weil Menschen dadurch ihre Familien ernähren. [>15]

    Unser Gesundheitssystem – man sollte es besser in „Krank-heitssystem“ umbenennen, ebenso wie die Krankenhäuser zu Recht ihren Namen tragen und nicht „Gesundheitshäuser“ heißen –  ist ein Beispiel dafür:
    Ein Bekannter suchte wegen verschiedener Beschwerden wiederholt seinen Hausarzt auf; der stellte eine Diagnose und überwies an einen Facharzt; dieser wiederum überwies den Patienten ins Krankenhaus. Dort wurde er von einem Assistenzarzt, einem Stationsarzt und zum Schluss vom Professor und einem Facharzt beraten und untersucht. Dann wurde er nach Hause geschickt mit der Bemerkung, das nächste Mal gleich die Klinik aufzusuchen.

    Das ist kein Einzelfall – jeder will und muss leben – aber die Allgemeinheit kann weder solche Verhaltensweisen noch ein solches Gesundheitssystem auf Dauer finanzieren.

    Presse und Medien tragen gezielt dazu bei, die Bevölkerung in Angst zu versetzen. Das beste Beispiel ist die Berichterstattung und die damit aufgekommene Angst  vor der Vogelgrippe.
    In einem freiheitlichen und demokratischen System hilft nur das selbstständige Denken und Beobachten sowie ein intensiver Meinungsaustausch weiter.
    Weder in Wissenschaft noch in der Politik besteht ein Interesse daran, die wirklichen Ursachen für die enormen gesellschaftlichen Veränderungen zu begreifen, da wir sonst erkennen würden, dass wir uns selbst zu allererst ändern müssten.
    Wir als Individuen dieser offensichtlich behinderten Gesell-schaft sind in unvorstellbar großem Ausmaß krank und erzeugen seit geraumer Zeit zunehmend kränkere Nachkommen, trotz medizinischer Fortschritte.

    Selbst wenn die Zahlen zu den einzelnen Bereichen übertrieben sein sollten – und keiner von uns kann sie  letzten Endes kontrollieren - so gibt der desolate Zustand der Bevölkerung [>16] Deutschlands Anlass zu größter Sorge und erfordert ein radikales Umdenken in allen Bevölkerungsschichten..
    Wir sind nach meiner Beobachtung seit etwa 12 Jahren nicht mehr in der Lage, wichtige Aufgabenbereiche wie die Grundversorgung der Kinder und Jugendlichen zu erfüllen. Die notwendigen Geldmittel fehlen oder werden für andere, wichtiger erscheinende Projekte ausgegeben.
    Die Zahl der schwachen und hilfsbedürftigen Menschen steigt seit Jahren – sie werden schlechter versorgt - während die Selbstbedienungsmentalität in den oberen Einkommensschich-ten sowie in der Politik zunimmt. Geldgier und Rücksichtslo-sigkeit vernichten immer mehr Arbeitsplätze.
    Die Globalisierung muss als einer von vielen Entschuldi-gungsgründen für die sich verschlimmernde Situation herhal-ten.
    Eine Gesellschaft, die nicht mehr dafür sorgt, dass auch die Schwächsten – die sie ja erzeugt - gut versorgt, wird Schiffbruch erleiden.
    Sowohl die Armut unter Jugendlichen als auch die Tatsache, dass viele Jugendliche intellektuell nicht mehr in der Lage sind, eine Berufsausbildung zu absolvieren, lässt für die Zukunft Schlimmes befürchten.
    Die Behinderungen und Störungen nehmen drastisch zu. Wir nehmen das hin, ohne gemeinsam und unabhängig nach Lösungen zu suchen, etwa wie EINSTEIN  [FN09] es vorgeschlagen hat. Der große Denker meinte außerdem:
    „Der Staat ist für die Menschen und nicht die Menschen für den Staat . . . Der Staat sollte also unser Diener sein, nicht wir die Sklaven des Staates.“  [FN10]

    Wir sind eine zerfallende Gesellschaft mit mangelhaften Wertevorstellungen, der es an Durchhaltevermögen und klaren Zielvorstellungen fehlt. Die Familienstrukturen lösen sich in [>17] beängstigender Weise auf. Dadurch wird  große Unsicherheit und Orientierungslosigkeit bei den Kindern erzeugt.
    Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft tragen kein persönliches Risiko für gravierende Fehlentscheidungen.

    Es wird schwer – wenn nicht gar unmöglich sein – die großen Probleme sozialer Art zu lösen.

    Wenn wir nicht darauf hinarbeiten, dass die Menschen in unserer Gesellschaft mit ihrer Arbeit eine Familie ernähren können, wird sich die Situation weiter verschlechtern. Wir müssen wir uns die Frage nach der Gerechtigkeit der Entlohnung in Deutschland stellen, wen eine Friseurin, die mit abgeschlossener Lehre 800 Euro monatlich oder weniger verdient, vor allem dann, wenn die Verdienste von „Spitzenpolitikern“ und Wirtschaftsbossen zwischen 12 000 und 500 000 Euro monatlich betragen.
    ACKERMANN bezieht ein Festgehalt von 1,15 Millionen Euro monatlich (eine Steigerung von 18 Prozent gegenüber dem Jahr 2004 [FN11]), Bundestagsabgeordnete erhöhen selbstreferentiell ihre Diäten um fast zehn Prozent - die Verdienste der Bank-Mitarbeiter stiegen dagegen um 1,6 Prozent, die Sozialleistungen für die ärmsten werden gekürzt.
    Es hat nichts mit Sozialneid zu tun, solche Realität anzuprangern. Werner von SIEMENS notierte vor 138 Jahren:
    „Mir würde das verdiente Geld wie glühendes Eisen in der Hand brennen, wenn ich treuen Gehülfen nicht den erwarteten Anteil gäbe.“ [FN12]
      KLEINFELD und ACKERMANN sind Stellvertreter des Raubtierkapitalismus, während Firmen wie BMW und Porsche ihre Arbeitnehmer regelmäßig am Geschäftserfolg beteiligen.
    Wir bewegen uns auf eine Kluft unter den Menschen zu: Der Abstand zwischen Gewinnern und Verlierern war noch nie so groß wie heute – und er wird weiter zunehmen, wenn nicht [>18] Arbeitsplätze für die vielen Menschen geschaffen werden, die wegen einer geringeren Leistungsfähigkeit und wegen Entwicklungsverzögerungen oder -stillständen in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt werden.
    Allein in Bayern  [FN13] sollten jährlich etwa 20 000 entwicklungsverzögerte oder behinderte Kinder bis zum Alter von sechs Jahren eine Frühförderung erhalten. Seit drei Jahren ziehen sich die Verhandlungen darüber hin, wie diese finanziert werden soll.

    Die Kinder sind unserer Gesellschaft zu wenig wert. So wie eine Familie unter Umständen Opfer für die Kinder bringen muss – wenn Wachstum und Entwicklung stattfinden sollen – so muss dies auch für den Staat gelten;  die Unterstützung der Hilfebedürftigen darf nicht weiter eingeschränkt werden, vor allem dann nicht, wenn keine Arbeitsplätze vorhanden sind. Der Staat darf nicht selbst weiter auf Kosten der Bevölkerung leben und sich selbst bedienen. Die obersten Staatsdiener müssten in erster Linie wie in einer Familie die Opfer für die Bevölkerung bringen.
    Und so wie eine  Familie nicht über ihre finanziellen Verhält-nisse leben kann, so kann dies auch der Staat nicht auf Dauer tun. Wenn im Großen nicht das eingehalten wird, was im Kleinen erforderlich ist, so muss unsere Gesellschaft scheitern, denn der Staat ist nur notwendig, weil es Familien und einzel-ne Menschen in großer Masse gibt.
    Diese Handlungs-Gesetze müssen für alle gelten. Nur Kant`s kategorischer Imperativ kann als Maßstab für unser Handeln herangezogen werden.
    Das, was für den einzelnen Menschen als verbindliches Hand-lungsgesetz gelten muss, damit die Gesellschaft funktionstüchtig ist, muss auch für den Staat Geltung besitzen und verbindlich für sein Handeln sein. [>19]

    Trotz des Ausbildungspakts zwischen Wirtschaft und Bundes-regierung finden immer weniger Jugendliche eine Lehrstelle. Bundesweit gab es 2005 rund zehn Prozent weniger Neuabschlüsse für Lehrstellen als 2000, aber rund drei Prozent mehr Schulabgänger. [FN14] Zwei von drei Hauptschülern sind vor Be-ginn des neuen Ausbildungsjahres noch ohne Lehrstellen. So suchen noch 40 000 Hauptschul-Abgänger eine Lehrstelle. [FN15]
    Eine andere Meldung nennt derzeit fast 100 000 Jugendliche, die derzeit in Bayern eine Lehrstelle suchen. [FN16] Die Hälfte davon sind so genannte Altbewerber – das heißt, sie warten seit mindestens einem Jahr auf einen Ausbildungsplatz. Die Arbeitsagenturen geben jährlich 1,6 Milliarden Euro für Berufsvorbereitungskurse aus. Rund 17 Millionen Euro kostet es den Freistaat, dass jedes Jahr mehr als 4700 Hauptschüler freiwil-lig die 9. Klasse wiederholen, um ihre Chancen auf eine Lehr-stelle zu erhöhen. Allein von diesem Geld könnten 200 Lehrer eingestellt werden.

    Über die Zukunft von Förderschülern wird politisch wenig nachgedacht..
    Viele Schüler schreiben mehrere Bewerbungen und erhalten nicht einmal eine Antwort. Arbeitslosigkeit hat also nichts mit arbeitsunwilligen jungen Menschen zu tun, sondern eher mit dem Unwillen, in junge Menschen zu investieren und Arbeitsstellen zu schaffen, die für diese Jugendlichen geeignet sind. Industrielle und Politiker haben nicht die politischen, zu befürchtenden Folgen erkannt. [>20]

    Wir werden gezwungen sein, viele technische Errungenschaften wieder in Frage zu stellen. Die Wirtschaft muss sich dem Menschen anpassen – nicht umgekehrt!
    Es ist dringend notwendig, sich um die Schwächsten rechtzei-tig zu kümmern – auch wenn die Kosten und der Aufwand hoch sind.
    Gleichzeitig müssen wir nach den Ursachen für die sich ver-schlimmernde Situation suchen. Es reicht nicht mehr aus, sich nur noch um die Besitzstandswahrung zu kümmern.
    Wir müssen erkennen, dass die menschliche Mithilfe, die Pflege und Versorgung der Kranken und Schwachen nicht in Minuten abgerechnet werden darf, sondern gerecht bezahlt werden muss.

    Es ist notwendig, auch die iatrogenen Schäden zu erforschen und den Sinn und die Effizienz medizinischer Präventivmaßnahmen genau zu untersuchen.

    Die Zeitgemäßheit des Beamtentums sollte in vielen Bereichen überprüft werden, ebenso wie die Möglichkeit der Selbstbedienung der Politiker. Während der deutsche Durchschnitts-verdiener heute weniger Gehalt als im Jahr 1998 bekommt, [FN17]  sollen die Diäten der Abgeordneten automatisch steigen, weil sie seit drei Jahren nicht mehr erhöht wurden und jetzt bereits zehn Prozent unter Tarif-Niveau liegen. [FN18]
    Diese hohen Folgekosten der Staatsbeamten müssen gesenkt werden.

    Die Möglichkeit eines zumindest teilweise staatlichen Gesundheitssystems sollten sorgfältig geprüft werden, damit zu[>21]mindest eine Grundversorgung der ärmsten Bevölkerungsschichten gewährleistet ist.
    Staatliche Krankenhäuser, die ihre angestellten Ärzte gerecht bezahlen und für gute Arbeitsbedingungen sorgen, könnten ergänzend zum privaten Gesundheitsbetrieb  eingerichtet werden.

    Es müssen Arbeitsplätze für behinderte Menschen eingerichtet werden, die interessante und qualitativ hochwertige Produkte auf den Markt bringen können (z. B. Möbel).

    Vor allem muss ein Umdenken in Bildung und Erziehung stattfinden. Der Orientierungslosigkeit der jüngsten Generati-onen sollte durch vermehrte Anstrengungen in den Familien, Kindergärten und den Schulen entgegengewirkt werden. Die nachwachsenden, orientierungslosen Generationen, die ihren Kindern aus verschiedensten Gründen keine Erziehung und Bildung mehr mitgeben können, benötigen die Hilfen des Staates. Wenn die „Entwicklungsfenster“ nicht mehr gesehen und genutzt werden, dann wird unsere Gesellschaft retardieren und von wenigen unkontrolliert gelenkt werden, weil wir nicht mehr intellektuell in der Lage sein werden, die Zusammenhänge zu verstehen.

    Es muss der Mut für ein humanes Denken und Handeln aufgebracht werden. Nicht die wirtschaftlichen Erfolge sind das Wichtigste – wohl aber eine Gesellschaft, die gesund und auf ein Miteinander ausgerichtet ist.
    So wie in einer Familie Opfer für die Kinder gebracht werden müssen – so müssen in einer Gesellschaft Opfer für die Schwächsten gebracht werden.

    Wir opfern nur für zunehmende Gewinne.

    Meinen Dank möchte ich an dieser Stelle erneut meinem Freund Heiner Meier für seine Anregungen aussprechen. [>22] Meinem Freund Beppo danke ich für die jahrelange, zuverlässige Lieferung von Zeitungen und somit von Fachartikeln. Den jeweiligen Journalisten bin ich für ihre Recherchen ebenso dankbar.
    Es ist mir wichtig, auch Herrn Dr. Sponsel an dieser Stelle herzlich zu danken. Er hat mich durch seine wohlwollende Internet-Kritik wesentlich ermutigt, mich weiter intensiv mit dem Zustand unserer Gesellschaft zu beschäftigen.

    Trotz meiner großen Bemühungen um exakte Quellenangaben und korrekte Übernahme des Zahlenmaterials kann ich Fehler nicht ausschließen.
     

    Jörg Walter                                         Schwabsoien, den 7. Mai 2006

    ___
    Fußnoten Vorwort:
    FN01:  Mitteilung auf einer Schulleiterkonfernez im Februar 2007.
    FN02:  SZ, Nr. 259, 2006, S. 12; Arztbesuche pro Altersgruppe: Männer, 40 –jährig: 8,5 Arztbesuche / junge Frauen :15 / Menschen über 80 Jahre: 35) Nach Deutschland folgen: Tschechien, Slowakei und Japan.
    FN03:  MM, Nr. 38, 2007, S. 1; Ursula von der LEYEN ist Familienministerin für Deutschland
    FN04:  SZ, Nr. 202, 2006, S. 12
    FN05:  FEYERABEND, 1980
    FN06:  WALTER, 2002, Die Handicap-Gesellschaft
    FN07:  Siehe dazu den Anhang: Das Selbstverständnis des Menschen – oder: Die Kränkungen der Menschheit
    FN08:  SIEFER/WEBER, 2006, Wie wir uns selbst erfinden; auch in DIE ZEIT, Nr. 14, 2006, S. 61
    FN09:  EINSTEIN, 1993, Mein Weltbild, S. 102 und 103;
    FN10:  1931; zitiert in French, EINSTEIN, S. 285
    FN11:  MM, Nr. 70, 2006, S. 1
    FN12:  Zitiert in MM, Nr. 257, 2006, S. 2
    FN13:  MM, Nr. 74, 2006, S. 9
    FN14:  MM, Nr. 75, 2006, S. 1; Angaben des Statistischen Bundesamts
    FN15:  MM, Nr. 121, 2006, S.1; auch in SZ, Nr. 120, 2006, S. 7; hier wird die Zahl 40 000 auf die Bundesrepublik bezogen – nicht wie im MM auf Bayern. Im Jahr 2005 waren es etwa 28 000 Jugendliche in Deutschland, die keine Lehrstelle gefunden haben. Ende April – vier Monate vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres – waren bei den Arbeitsämtern 371 000 Jugendliche als unterversorgt registriert.
    FN16:  MM, Nr. 199, 2006, S. 3
    FN17:  DIE ZEIT, Nr. 14, 2006, S. 23
    FN18:  MM, Nr. 74, 2006, S. 2; ein Bundestagsabgeordneter verdient mo-natlich etwa 7009 Euro. Nach achtjähriger Zugehörigkeit hat ein Bundestagsabgeordneter einen Anspruch auf eine Altersversorgung von monatlich 1 682 Euro – ein Straßenfeger verdient 1 600 Euro monatlich.





    Links (Auswahl: beachte)
    • Walter, Jörg (2002). Die Handicapgesellschaft.
    • Norm, Wert, Abweichung (Deviation), Krank (Krankheit), Diagnose. * "Normal", "Anders", "Fehler", "Gestört", "Krank", "Verrückt".
    • Epidemiologie.
    • Psychische Moden.
    • Iatrogenie.
    • Überblick Diagnostik und Differentialdiagnostik in der IP-GIPT.
    • Glossar: Wahrscheinlichkeit und Statistik: Messen, Schätzen, Testen, Schliessen.
    • Prognosen in der Forensischen Psychiatrie.




    Literatur (Auswahl) > siehe bitte auf den verlinkten Seiten.
    Wichtige Stichworte: Diagnostik, Differentialdiagnostik, Epidemiologie, Iatrogenie, Inzidenz, Komorbidität, Krank, Morbidität, Sozialmedizin,


    Fortsetzung folgt: > Inhaltsverzeichnis.


    Glossar, Anmerkungen, Endnoten
    GIPT = General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Querverweise
    Standort:  Die kranke Gesellschaft und ihre Kinder Teil
    Vorwort und Einführung (Abstract).
    *
    Links * Walter, Jörg (2002). Die Handicapgesellschaft.
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Soziologie site:www.sgipt.org.
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Walter, Jörg (2009). Die kranke Gesellschaft und ihre Kinder. Wie krank sind wir wirklich? Teil 0: Inhalt und Vorwort/ Einmführung (Abstract). Abteilung Soziologie und Kulturanthropologie. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/soziol/DkGuiK/DkGuiK.htm
    Copyright & Nutzungsrechte
    Das Copyright liegt beim Autor, Jörg Walter, Schwabsoien. Verwertung und Verwendung bedürfen also der Erlaubnis durch den Autor. Interessierte Verleger- oder NutzerInnen setzen sich bitte mit dem Autor in Verbindung.



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    kontrolliert:



    Änderungen - Wird unregelmäßig überarbeitet, kleine Änderungen werden nicht extra ausgewiesen
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