Die kranke Gesellschaft und ihre Kinder
Wie krank sind wir wirklich?
Das Titelfoto wurde im Jahr 1975
in New York von Susanna Walter aufgenommen.
von Jörg Walter (2009),
mit Erlaubnis des Autors für das Internet aufbereitet
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Eine Internetpräsentiation dieses sehr interessanten und kritischen
Werke wird im Laufe des Jahres 2012 realisiert.
Inhaltsverzeichnis.
23-32 Ein Überblick über die kranke Gesellschaft.
Kranke Menschen können keine dauerhafte, gute Arbeitsleistung bringen, ebenso wenig wie Menschen, die intellektuell gehandicapt sind.
Dass sich hinter all dem folgenden Zahlenmaterial, das ich den nachfolgenden
Zeitungsberichten entnommen habe, menschliches Leiden und menschliche Verzweiflung
verbergen, soll nie vergessen werden.
Selbst wenn nur die Hälfte der Zahlen stimmen würde, es wäre
immer noch eine Katastrophe:
Art
der Erkrankung In der Presse angegebene Zahl
j: jährliche Neuerkrankungen [23-25]
ADHS 500 000
Alzheimer 1 000 000 Allergien 24 600 000 Allergiker 12 000 000 Ängste Jedes dritte Kind Arthritis 800 000 Arthrosen 5 000 000 Arzneimittelnebenwirkungen 88 000 Bluthochdruck 16 000 000 Blutvergiftung 154 000 j Brustkrebs 50 000 j Cannabis-Abhängigkeit 400 000 Demenz 1 000 000 Diabetes 6 000 000 Dickdarmkarzinom 60 000 j Eierstockkrebs 9 700 j FAS (Fetales Alkoholsyndrom) 10 000 j (2008) Funktionsstörungen der Schilddrüse 16 000 000 Fettleibigkeit Kinder und Jugendliche 800 000 Futterstörungen 25 % aller gesunden Säuglinge Geburtsfehler ? |
Hüftprothesen 100 000
Kniegelenkprothesen 110 000 Grüner Star 800 000 Hautkrebs 120 000 j Hirntumore 7 000 j Herzfehler angeborene 6 000 j Hörschäden 15 000 000 Koma 40 000 j Krankenhausinfektionen mit mehrfachresistenten Erregern 1 000 000 j Krebs des Gebärmutterhalses 7 000 j Hypochonder 1 000 000 Kopfschmerzen 47 560 000 Tumore bösartig 400 000 j Tinnitus 3 000 000 Lupus (Autoimmunerkrankung) 40 000 Magersucht 600 000 Manisch-depressive Erkrankungen 4 000 000 Medikamentensucht 1,4 bis 1,9 Millionen Mesotheliome (Rippenfelltumore) 1171 j Multiple Sklerose 120 000 |
Nierenkrebs 12
000
Osteoporose 6 500 000 Parkinson 200 000 Pilzerkrankungen 10 000 000 Prostatakrebs 31 000 j Psychische Erkrankungen Jedes fünfte Kind ist seelisch krank (?) Rheuma 1 000 000 Rotavirus-Erkrankungen bei Kindern 145 000 j Sportunfälle (Knie) 1 500 000 j Salmonellenerkrankungen 100 000 j Schilddrüsenerkrankung Jeder dritte Erwachsene (?) Schlafstörungen 8 000 000 Schlaganfall 200 000 j Somatoforme Schmerzstörungen 2 500 000 Suff-Epidemie /Jugendliche 10 000 j Tourette-Syndrom 40 000 Tuberkulose 10 000 j (?) Übergewicht Kinder und Jugendliche 2 000 000 Zwangsstörungen 1 600 000 |
Zahl der gesamten Krankheiten / Erkrankungen pro Jahr in Deutschland: ca. 188 132 700
Einwohner: 82 000 000
Jeder Einwohner Deutschlands leidet somit (sehr grob geschätzt)
durchschnittlich an ca. 2,3 (behandlungsbedürftigen) Krankheiten.
Vereinfacht ausgedrückt:
Unsere Gesellschaft ist sehr krank.
Krankenstand – Überlegungen und Erklärungen
Seit Jahren sinkt der Krankenstand bei Arbeitnehmern.
Erklärungen dafür:
Die Fehlzeiten in kleinen Betrieben sind am niedrigsten, denn dort
wirkt sich der Ausfall eines Beschäftigten am stärksten aus und
fällt auch am meisten aus. In Betrieben mittlerer Grö-ße
sind die Fehlzeiten am höchsten. In der Mitte stehen die Großunternehmen.
Sie haben eigene Betriebsärzte und geben am meisten Geld für
Arbeitsschutz und Gesundheitsvorsorge aus.
Die Hälfte aller Arbeitsunfähigkeitstage wird von nur sechs
Prozent der Beschäftigten verursacht.
Immer mehr Menschen meldeten sich in den letzten Jahren wegen psychischer
Störungen krank. Diese Erkrankungen sind inzwischen schon für
mehr als sieben Prozent der Fehltage verantwortlich. [>27]
Weitere
Zahlen zu psychischen Störungen oder Behinderungen [FN20]
bezogen auf Deutschland
Die Tabelle nennt die Zahlen in den bearbeiteten Artikeln;
Korrekturen und/oder Ergänzungen sind erwünscht.
Art der Störung, g: geschätzt Mittelwert
j: jährlich Zahl / % |
Art der Störung, g: geschätzt Mittelwert
j: jährlich Zahl / % |
ausgeprägte Aggressivität bei Kindern 600 000
Funktionale Analphabeten 1 000 000 Angststörungen Jeder zehnte Mensch ist betroffen Arzneimittel – regelmäßige Einnahme von Jugendlichen 30 % der Jugendlichen Autismus Vier bis fünf auf 1000 Kinder Bettnässen / Erwachsene 1 auf 1 000 7-Jährige 10% Binge-Eating-Disorder (BED) 400 000 Down-Syndrom Jedes 600. Kind Alkoholkonsum regelmäßig Ein Drittel aller Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren Alkoholembryopathie (1998) Mehr als 2 000 Kinder/j Alkoholkrankheit, -sucht 3 500 000 Depressionen (2001) 8 000 000 (2006) 8% aller Jugendlichen 2,5 Prozent aller Kinder Esstörungen 700 000 davon Bulimie 100 000 Futterstörungen 25% aller gesunden Säuglinge |
Vermüllungssyndrom ?
Schulbesuch-Verweigerung (1999) 70 000 Psychosomatische Erkrankungen durch elterlichen Druck Ca. 30% der Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 16 Jahren [>28] Legasthenie Jeder 17. Schüler 5% der Schüler in der BRD Etwa 340 000 Grundschüler Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit bei Frauen (2001) 1 400 000 Mobbing Zwischen 1,2 % und 4 % der Beschäftigten Online-Sucht 500 000 Schädel-Hirn-Trauma 20 000 j Schizophrenie 300 000 Sisi-Syndrom 2 500 000 Spielsucht 120 000 (?) Sprachstörungen (1997) Jedes vierte Kind Sprachverlust nach Hirnschädigung 300 000 Phenylketonurie 1 auf 16 000 Neugeborene Stotterer 800 000 Verhaltensstörungen 10 % eines Schul-Jahrganges Zwänge (1999) 2 000 000 |
Bei Betrachtung des Zahlenmaterials stellt sich die Frage nach der Genauigkeit und der Zuverlässigkeit der Erfassungsmethode, da die Zahlen zu ein und derselben Störung zuweilen erheblich differieren (bis zu 100 000 und mehr).
Immer
mehr Menschen sind psychisch krank
Angesichts eines deutlichen Anstiegs psychischer Krankheiten haben
Ärzte eine Diskriminierung Betroffener angeprangert. [FN21]
Auf einem „bedrohlichen Vormarsch“ sieht die Bundesärztekammer
vor allem Depressionen, Suchtkrankheiten, Essstö-rungen und aggressives
Verhalten.
Weit verbreitete psychische Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen
müssten viel früher erkannt und behandelt werden. [>29]
SCHAFF [FN22] geht davon aus, dass bereits
ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland an einer
seelischen Störung leiden. „Die Bandbreite der Erkrankungen reicht
von Kontaktschwierigkeiten über Essstörungen bis hin zu Depressionen.“
THOMS: „Kinder und Jugendliche müssen sich ihre Persönlichkeit
selbst stricken. Es gibt keine Rollenbilder mehr, die sie übernehmen
können . . . Erwachsen werden ist noch nie einfach gewesen,
aber auf Seiten der Eltern fehlt es heute an entsprechenden Kompetenzen.“
Immer mehr Menschen – auch Eltern - seien mit der Erziehung überfordert.
Die schwierige Zeit der Pubertät in einer immer komplexeren Welt ist
für die Kinder und Jugendlichen nur schwer zu bewältigen, da
sie oft nicht gelernt haben, mit Druck umzugehen.
Bundesweit werden den Angaben zufolge von 1400 Psychiatern rund eine
halbe Million Kinder und Jugendliche betreut.
Immer häufiger fallen auch Erwachsene wegen psychischer Erkrankungen
aus dem Arbeitsleben. [FN23] Allein in Deutschland
sind die Fehlzeiten durch solche Erkrankungen in den vergan-genen zehn
Jahren um nahezu 70 Prozent gestiegen.
Die psychisch bedingten Krankheitszeiten [FN24]
bei Arbeitnehmern haben seit 1995 um 80 Prozent zugenommen.
Defizite
Pflegeversicherung
Überschuss / Defizit in Milliarden Euro [FN25]
[>30]
Jahr Überschuss / Defizit | Jahr Überschuss / Defizit |
1995 + 3,44
1996 + 1,18 1997 + 0,80 1998 + 0,13 1999 - 0,03 2000 - 0,14 2001 - 0,06 |
2002 - 0,38
2003 - 0,67 2004 - 0,78 2005 - 0,80 2006 - 0,90 2007 - 0,90 ( 900 Millionen) |
Diese Entwicklung hat weit reichende Folgen für das milliardenschwere Finanzpolster der Pflegeversicherung, das der ehemalige Arbeitsminister BLÜM geschaffen hatte. Die Finanzreserven könnten in der Zeit von 2003 bis 2007 von 4,27 Milliarden auf 920 Millionen Euro sinken. Dadurch würden die Reserven Ende 2007 nur noch knapp über der gesetzlichen Reserve von einer halben Monatsausgabe liegen. In der Folge müsste die Regierung dann möglicherweise den Pflegebeitrag von derzeit 1,7 Prozent anheben.
Die rasant alternde
Gesellschaft
Nach einer Studie des Statistischen Bundesamtes [FN26]
geht die Einwohnerzahl bis zum Jahr 2050 von derzeit 82,4 Millionen auf
69 bis 74 Millionen zurück. Das Durchschnittsalter wird im gleichen
Zeitraum von 42 auf 50 Jahre steigen. 2050 wird es hierzulande doppelt
so viele 60-Jährige geben wie Neugeborene. Wollte man den Altenquotienten
– das Verhältnis von Rentnern zu den 20- bis 65-Jährigen – künftig
auf dem aktuellen Stand von 32 zu 100 halten, müsste man 2050 das
Renten-eintrittsalter rein rechnerisch auf 74 bis 75 Jahre anheben. Die
[>31] seit 2003 schrumpfende Einwohnerzahl ist nicht mehr aufzuhalten –
selbst nicht durch eine höhere Geburtenrate pro Frau (derzeit 1,4
Kinder).
Die schlecht ernährte
Gesellschaft
Bereits heute haben nach FRÖHLICH zwei Millionen Kinder und Jugendliche
in Deutschland Übergewicht. 800 000 von ihnen müssen als fettleibig
bezeichnet werden. Weil die Ju-gendlichen zu viel Zeit vor dem Fernseher,
der Spielekonsole und dem Computer verbringen, bewegen sie sich immer weniger.
Es handelt sich um ein Problem der gesamten Gesellschaft. Wenn bereits
heute mehr als die Hälfte der Erwachse-nen in Deutschland Übergewicht
haben, dann sind dies ja zu einem beträchtlichen Teil Menschen, die
in ihrer Kindheit und Jugend noch Normalgewicht hatten. Wie viel Prozent
aller Erwachsenen werden also übergewichtig sein, wenn die dicken
Kinder von heute erst einmal 40 oder 50 Jahre alt sind? Leider sind Kinder
aus sozial schwachen Familien von Fett-sucht besonders stark betroffen.
[FN27]
Einer Studie zufolge wachsen deutsche Kinder trotz wesentlich höherer
Ausgaben für das Gesundheitswesen unter schlechteren Bedingungen auf
als in Skandinavien oder Frankreich. Von 21 untersuchten Industrieländern
liegt Deutschland bezüglich der Kindergesundheit nur auf dem elften
Platz. [FN28]
Mit 4,2 totgeborenen Kindern auf 1000 Geburten nehme Deutschland einen
Platz hinter Ländern wie Tschechien, Polen oder Portugal ein. Als
besonderes Problem wird die „riskante Lebensführung“ der jungen Generation
angesehen. Deutsche Kinder und Jugendliche orientieren sich beim Rauchen,
ihrem Alkoholkonsum und einem „relativ sorglosen Umgang mit Sexualität“
zu stark am Verhalten der deutschen Erwachsenen. [>32]
Suchtkrankheiten
in Bayern: ein Überblick
Bei Kindern sei die Verschreibung von Psychopharmaka in den letzten
Jahren um das Fünf- bis Sechsfache angestiegen.
___
Fußnoten
Teil 1: Ein Überblick über die kranke Gesellschaft.
FN19: SZ, Nr. 52, 2007, Beruf und Karriere; VETTER
arbeitet bei Wis-senschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen (WIdO).
FN20: Das Zahlenmaterial ist dem Buch
„Die Handicap-Gesellschaft“,
S. 194 bis S. 301, (2002) entnommen; die Grundlage waren jeweils aktuelle
Zeitungsberichte aus verschiedenen Tageszeitungen ab 1999.
FN21: MM, Nr. 120, 2006, S. 1
FN22: MM, Nr. 259, 2006, S. 38; Christa
SCHAFF ist Vorsitzende des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
THOMS ist Jugendpsychiater.
FN23: SZ, Nr. 245, 2007, S. 3
FN24: MM, Nr. 47, 2009, S. 1; Angaben des Wissenschaftlichen
Instituts der AOK
FN25: SZ, Nr. 36, 2004, S. 6
FN26: MM, Nr. 257, 2006, S. 1
FN27: SZ, Nr. 109, 2007, S.2; die Äußerungen
stammen von FRÖHLICH, Geschäftsführer der Spessart-Klinik
in Bad Orb, zu deren Schwerpunkt die Behandlung von Übergewicht und
Fettsucht gehört.
FN28: SZ, Nr. 70, 2008, S. 5; eine Studie
des Kinderhilfswerks UNICEF
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