Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=30.08.2009 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 12.04.15
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
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    Erlanger Poetenfest - Sonntags-Matinee:

    Die Unsichtbarkeit des Geldes
    Finanzkrise, Vertrauenskrise, Krise der Demokratie?

    Podiumsdiskussion mit Friedrich Dieckmann, Eva Menasse, Herfried Münkler, Klaus Staeck
    und Ilija Trojanow, Moderation: Wilfried F. Schoeller.

    von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Wenn keiner den Weg kennt, kann jeder führen
    (afrikanisches Sprichwort nach Trojanow).

        Der Redoutensaal war so voll, dass viele am Rande stehen mussten; es dürften also über 600 Leute zur Sonntagsmatinee geströmt sein. Offenbar war  das Thema für viele interessant und attraktiv, und das war es auch - gar nicht zu vergleichen mit der müden Veranstaltung vom letzten Jahr, dem 40jährigen "Jubiläum" der 68er mit der scheinbar rhetorischen Frage: "Zeit für eine neue Revolte?".  Sehr gut gefallen hat mir gleich das Eingangsbekenntnis des Moderators, dass man bewusst auf die Einladung von Experten - die ja ganz offensichtlich die Hauptversager waren - verzichtete.
        Klaus Staeck, ein Etablierter der kritischen Elite dieser verfaulten Republik, die noch zum Vorbild taugen war natürlich ein echtes und nach wie vor überzeugendes Zugpferd. Er scheint sich in den letzten 40 Jahre wirklich treu und konsequent - er verzichtet aufs Auto und fliegt nicht billig - geblieben zu sein und das ist an sich schon ermutigend in diesen düsteren Zeiten. Was lässt sich dieses Volk nur alles gefallen, was nimmt es stumpf und anscheinend egozentriert gleichmütig nicht alles hin? Diese Frage stellte am leidenschaftlichsten, klar und deutlich der Schriftsteller Trojanow und er ließ auch klar erkennen, woran es fehlt: am Handeln und Tun.
        Moderator Schoeller führte kurz aber dicht und gut in die Probleme der gegenwärtigen Krise ein (> Programmtext) und leitete die weitestgehend sehr disziplinierte Diskussion. Seine Gretchenfrage traf den Kern: ist diese Krise "nur" das Ergebnis eines Risikospiels oder ist diese Krise dem System immanent? Deutet man sein "oder" als nicht-ausschließendes oder - genauer: oder-und -, so kommt das wohl der Wahrheit ziemlich nahe. Seiner Auffassung, dass die Krise und ihre wirklichen Ursachen gar nicht richtig verstanden sind, widersprach Eva Menasse. Auch wenn sie zumindest für Deutschland noch keine richtige Krise erkennen konnte, sondern bislang nur eine "große Erregungsblase" wahrnehmen konnte, meinte sie doch, dass die Schuldigen den Experten bekannt sind und der tiefste Grund für diese Krise der Zwang sei, auf Gedeih und - vor allem - Verderb Wachstum produzieren zu müssen.
        Klaus Staeck wies auf die Kreativität der Finanzindustrie hin - und damit auf eine Verwandtschaft zur Kunst - , nämlich Produkte erfinden zu müssen, damit die Geschäfte weiter gehen. Aber diese Produkte sind wahrscheinlich nie richtig verstanden worden. Das führt zu einem tieferen Problem, nämlich zu einem Vertrauensproblem in die Grundlagen der Finanzwirtschaft. Ja, nicht nur das, es könnte die Demokratie bedroht werden, wenn vermeintlichen Fachleuten zugestanden wird, mit hochexplosiven und unverstandenen bzw. falsch bewerteten Finanzprodukten ("toxische", Giftpapiere, Derivate usw.) unreguliert und unkontrolliert zu handeln. Immerhin wird aus gegenwärtiger Sicht der Schaden für die Weltwirtschaft mit über 10 Billionen Dollar beziffert. Dies karikiert Trojanow mit dem trefflichen afrikanischen Sprichwort: "Wenn keiner den Weg kennt, kann jeder führen."
        Der Politologe Münkler spitzt zu Recht zu: es handele sich um eine Vertrauenskrise auch in die mathematischen Modelle der Experten, die irrtümlich glaubten, sie könnten die Risiken durch Berechnung beherrschen.
        Dieckmann meinte, die Entwicklung habe sich seit langem abgezeichnet und könne auch benannt werden: Thatcherismus, Reaganomics, Neoliberalismus, (RS: und Deregulierung, Globalisierung). Wir kennten die Schuldigen genau, etwa Greenspan und seine (FED-) Politik des billigen Geldes und mit diesem die Chance auf hemmungslose Verschuldung und Spekulation. Im Grunde sei hier absichtlich eine Entsicherung und Betrugswirtschaft aufgebaut worden.
        Schoeller bringt an dieser Stelle die Idee ins Spiel, dass es vielleicht auch Gewinner dieser Krise gäbe, die diese vielleicht sogar - ein Stück weit - geplant haben könnten.
        Eva Menasse geht darauf nicht ein, sondern stellt die ihrer Ansicht nach gar nicht so schlechte international vernetzte Zusammenarbeit dagegen.
        Staeck bringt ein, ob diese Krise vielleicht etwas damit zu haben könnte, dass sich der Kapitalismus zu Tode gesiegt haben könnte. Es fehlten vielleicht Gegengewichte und Alternativen. Es sei auch eine bittere Erkenntnis, sich eingestehen zu müssen, dass der Mensch für den Sozialismus anscheinend nicht geschaffen sei. Schrecklich sei der Ausverkauf der kommunalen Institute (CLB, PPP), dass offenbar alles einfach so weitergehe. Zu einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft gehörten Macht und Gegenmächte. Aber die Krisenmanager machten den Staat kaputt, indem sie nun offenbar durchgesetzt haben, die "Großmutter" (der Staat und damit die SteuerzahlerIn) schießt immer nach, wenn es schief geht. Es bedarf einer klaren staatlichen Gegenmacht, d.h. nur klare Gesetze und Regeln können die Großkonzerne und das Finanzkapital stoppen. Und es bedarf auch empfindlicher Strafen, so ungern er das sage.
        Trojanow sieht und beklagt einen Untertanenstaat, in dem sich niemand so richtig aufzubegehren traut. Eva Menasse meint, wir seien alle mitverantwortlich in diesem Spiel nach mehr und mehr. Die Gier gebe es nicht nur oben bei einigen wenigen.
        Der Moderator bringt die Frage auf: wie kommen wir nur aus der Falle heraus? Was ist mit der Regulierbarkeit?
    Politologe Münkler bringt die Themen Zukunft, Rente, die Generationenfrage und die Fähigkeit des Staates, zu regulieren, in die Diskussion ein. Krisen habe es immer gegeben und werde es auch weiter geben, sie seien auch produktiv und förderten die Kreativität. Die Krisen abschaffen wollen, gehe nicht, münde in Utopie und die damit verbundenen ideologischen Gefahren. Es komme vielmehr darauf an, die sozialen Auswirkungen der unvermeidlichen Krisen abzufedern. Es kommt zu einem argumentativen Konflikt zwischen Münkler und Trojanow um den Wert von Utopien, bei dem vermutlich beide Recht haben: Münkler, wenn er auf die Gefahren ideologisch fundierter Utopien hinweist, Trojanow, wenn er davon ausgeht, dass der Mensch Ideale - mögen sie auch utopisch anmuten -  als Motivation braucht.
        Trojanow weist darauf hin, dass unsere "kleine Krise" wenig mit der Krise, die es in der restlichen Welt gibt, zu tun hat, dass es uns vergleichsweise gut geht auf Kosten der anderen, schwächeren Entwicklungsländer. Der Kapitalismus sei ungeeignet, für nachhaltig faire Lebensbedingungen zu sorgen. Hierzu bedürfe es fantasievoller und handlungsbereiter Menschen.
        Dieckmann bekräftigt, dass er in das kapitalistische Krisenmanagement kein Vertrauen habe. In einem interessanten Vergleich zwischen den USA und der ehemaligen DDR erkennt er erstaunliche Parallelen, z.B. das Phänomen der - sozialistischen wie amerikanischen - Träume, die in beiden Systemen doch vielfach auf Sand (Schulden) gebaut seien bzw. gebaut gewesen seien. Die Amerikaner lebten ihre Träume mit Hilfe nicht selbst erwirtschafteten Geldes, also auf Pump und mit Schulden finanziert, aus. Und genau das sei eine der Ursachen der Krise.
        Münkler wirft ein, dass es viele unübersehbare Effekte gebe.
    Der Moderator bringt sodann das Thema auf, ob eine literarische Verarbeitung der Krise hilfreich sein könnte. In diesem Zusammenhang fallen auch Begriffe wie "Börsenlatein" und "Bankenfiktionen". Eva Menasse nimmt Bezug auf ihr Buch zu den sieben Todsünden und greift aus diesen die Völlerei und Gier auf.  Trojanow weist auf die alljährlichen "Tage der Utopie" (Google) in Vorarlberg hin. Außerdem gehöre es zu den Aufgaben der Literatur, Grenzen zu überschreiten.
        Moderator Schoeller bringt nun das Thema "Chaostheorie" in die Diskussion. Der Politologe Münkler sieht darin eine Abkehr von der traditionellen Wissenschaft, wenn man nämlich das Kausalitätsmodell aufgebe. Er verspreche sich von einem chaostheoretischen Ansatz nicht viel und meinte - etwas dunkel - überdies sei die Chaostheorie schon in die Krise "eingepreist".
        Der Moderator verweist sodann auf den ihn sehr beunruhigenden Umstand, dass es offenbar Fachleute gegeben habe, die die Probleme erkannten und warnten, aber offenbar nicht gehört wurden, z.B. Max Otte mit seinem Buch 2006 "Der Crash kommt". Staeck merkt an, dass ein gewisser Ökonom namens Sinn wieder überall in den Talkshows sitze und dort das Gegenteil von dem erzähle, was er vorher gesagt habe. Er beklagt den Verlust kritischer Öffentlichkeit und hofft, dass die Privatisierungsorgie vorbei sei. Er verweist auf das Umweltproblem und überhaupt darauf, dass alles mit allem zusammenhänge. Staeck bekennt, dass er im Grunde ratlos sei und auch nicht wisse, was zu tun sei. Die Dinge seien unklar, etwa wer sei der Gegner? Er sei selbst ein Suchender, frage sich allerdings, wo das schöne Wort Verantwortung ins Spiel komme?
        Der Moderator schließt an und fragt: wer und wo ist die Instanz, die handeln soll und muss?
    Politologe Münkler weist auf zwei große Aufgaben hin, nämlich Vertrauen aufzubauen bzw. wiederherzustellen und die Zukunft zu gestalten und zu planen (das Vertrauen hat die Finanzwirtschaft verspielt, so dass der Staat einspringen musste). Eine weitere Möglichkeit könne mit Leistungen der Zivilgesellschaft umschrieben werden, wobei die Gegenleistungen, da sie auf Freiwilligkeit beruhen, unsicher seien. Es werde wohl um einen klugen Mix verschiedener Strukturen gehen.
        Der Moderator leitet nun zum Schluss über und was wir tun könnten. Trojanow verweist auf Wallerstein (USA; W), von dessen Arbeiten er sehr viel halte. Und er warnt noch vor einem wichtigen Gegner: auf den nämlich, der in uns selber steckt, den inneren Schweinehund, den wir nicht unterschätzen sollten. Damit weist er auch auf die Verantwortung eines jeden einzelnen hin. Staeck macht sich stark für das Umweltproblem, das nicht allein mit guten Worten zu lösen sein wird. Und er macht deutlich, dass es Dinge gebe, die man nicht zulassen dürfe. Er halte aber auch nichts vom schwarz- weiß- denken, wenn man etwa Politiker auf der untersten Stufe der Werteskala ansiedele. Man solle im Kleinen, vor der eigenen Tür schauen, was man machen könne. Die Verbraucher seien eine echte Macht und er verweist beispielshaft auf die erfolgreiche Anti-Spray-Aktion.
        Etwas überraschend und ohne weitere Erläuterung schlägt der Moderator als Schlussempfehlung noch das Hauptwerk - Der Einzige und sein Eigentum  - des "Individualanarchisten" Max Stirner zur Auseinandersetzung vor. Eine Erklärung ergibt sich vielleicht aus dem Umschlagtext der gekürzten Neuherausgabe von Helms bei Hanser 1968.
        Insgesamt eine sehr interessante und gelungene Veranstaltung mit einer Schwäche: die Verantwortlichen in Politik und Finanzwirtschaft wussten längst, spätestens seit Ende der 90er Jahre, was droht, wie die Krisenkonferenz 2003 beim damaligen Bundeskanzler Schröder beweist.

    Programmtext:  "Jedermann redet von ihr, als sei sie eine mit Krankheit geschlagene, verstörende Nachbarin: die Krise. Ihre Auswirkungen sind in aller Drastik bekannt. Unzählige Menschen wurden um ihre Ersparnisse gebracht, viele Firmen gehen bankrott, der Mittelstand ist in Nöten, Stiftungen lösen sich auf. Noch die Enkel werden sich mit den Schulden herumschlagen, die der Staat schon bisher gemacht hat, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Die Folgen der Krise ergeben einen bodenlosen Fortsetzungsroman.
        Aber die Krise selbst ist ein flüchtiger Schemen. Sie zeigt sich fast nur in dem, was sie anrichtet, ansonsten ist sie ziemlich unsichtbar. Und sie wird vor den Wahlen schon wieder mit Scheinoptimismus verkleistert, bevor ihre gravierendste Wirkung, die Massenarbeitslosigkeit, sich mit bestürzenden Zahlen zeigen wird. Ist sie nur ein Risikofaktor im Spiel einiger durchgeknallter global players? Oder die naturwüchsige Gestalt der unregulierten Finanzwirtschaft? Das Kind eines Kapitalismus, der sich zu Tode siegt? Gewissheiten wollen sich nicht einstellen. Nicht zuletzt besteht die Krise in einem grassierenden Mangel an Sprachkraft außerhalb des Börsenlateins. Der Glaube an die Regelkraft des Staates nimmt ab, die Politikverdrossenheit der Bürger wächst weiter. Der Rat der Experten selbst ist extrem krisenanfällig und die Weisheit der Manager auf einer Schwundstufe der moralischen Autorität. Welche Auswege könnte es in geistiger Hinsicht geben? Welche Rolle können die Schriftsteller und Künstler übernehmen, wenn die Wahl besteht zwischen dem Rückgriff auf Marxens Gesellschafts- und Ökonomiekritik oder eine neue Hinwendung zu Karl Poppers, dem antiideologischen Philosophen der offenen Gesellschaft? Darüber diskutieren mit Wilfried F. Schoeller die Schriftsteller Friedrich Dieckmann, Eva Menasse und Ilija Trojanow, der Politikwissenschaftler Herfried Münkler und der Präsident der Akademie der Künste Berlin, Klaus Staeck. Wilfried F. Schoeller"
     



    Links (beachte) mit Literatur (Auswahl) > Querverweise.
    • Alle Insider wussten seit ca. Mitte/Ende der 90er Jahre, was kommt.
    • Ursachen und Therapie der Finanzkrise (Subprime-Debakel) 2007/08/09.
    • Ereignisse, Symptome, Therapie und Kommentare zur Finanz- und Wirtschaftskrise 3. Quartal 2009.
    Expertenproblem.
    • Die dubiose Rolle der Finanz- und Wirtschaftsmathematik.
    • Die Warnung Paul Feyerabends vor Fachleuten.
    • Vertrauens-Regeln zur Beurteilung von Experten.
    • Problemlösungen zweiter Ordnung.




    Glossar, Anmerkungen und Endnoten
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Individualanarchisten. Stirner war sicher kein Anarchist insofern, als er jede allgemeine Forderung nach einer speziellen Gesellschaftsform als fremdbestimmt von vorneherein ablehnt. Er vertritt die extremste Form eines Sozialdarwinismus und Naturrrechts des Stärkeren, indem er dem einzelnen 'Einzigen' alle Rechte verleiht, die dieser sich zutraut und nimmt. Das ist zugleich sein Grundwiderspruch. Denn wenn es keine Ethik gibt, geben darf und soll, dann kann es natürlich auch nicht seine Ethik des 'Einzigen' geben. Anarchisten glauben an die Werte der Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung. Das hält Stirner für einen "Spuk" und "Sparren" (fixe Idee, Wahn). So gibt es zwar eine gewisse tendenzielle Schnittmenge zwischen Stirner und dem Anarchismus, nämlich die Bedeutung persönlicher Freiheit, wobei der Anarchist aber um einen freien Konsensus mit anderen bemüht ist. Stirners Lehre hingegen ist völlig asozial, er kennt keinen Wert außerhalb des persönlichen Egoismuses.
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    Otte, Max.
    • "Finanzkrise: „Die Lügnerkredite waren bekannt“. Warum die Welt auf eine neue Wirtschaftskrise zusteuert und Zertifikate nichts für Privatanleger sind. Handelsblatt.com sprach mit Max Otte, Professor an der Fachhochschule Worms und Autor des Buches "Der Crash kommt". [HB 9.10.8]
    • ""Dann wird es brutal" EZB: Zinssenkung: Crash-Prophet Max Otte. Seitdem der Ökonom Max Otte die Finanzkrise voraussah, gilt er als Prophet. Die aktuelle Senkung des EZB-Leitzinses hält er für sinnlos.  ..."  [SZ 15.1.9]
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    Stirner, Max (Caspar Schmitt). [W.Einzige] [W.Stirner] [Zeno.Einzige] [Analyse und Kommentar zum Der Sparren]
    • Einleitung: Der Einzige und sein Eigentum im Projekt Gutenberg.

    • "Ich hab' Mein' Sach' auf Nichts gestellt
      Was soll nicht alles Meine Sache sein! Vor allem die gute Sache, dann die Sache Gottes, die Sache der Menschheit, der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit; ferner die Sache Meines Volkes, Meines Fürsten, Meines Vaterlandes; endlich gar die Sache des Geistes und tausend andere Sachen. Nur Meine Sache soll niemals Meine Sache sein. »Pfui über den Egoisten, der nur an sich denkt!«
      Sehen Wir denn zu, wie diejenigen es mit ihrer Sache machen, für deren Sache Wir arbeiten, Uns hingeben und begeistern sollen. ... "
          Diese Einleitung ist eine klare Kritik des vielfältigen Mißbrauchs des Menschen für irgendwelche Ideale und fremde Interessen. Das hat auch gar nichts mit Anarchismus zu tun, sondern ist elementare Aufklärung und eine Besinnung des Menschen auf seine individuellen Rechte und Pflichten sich selbst gegenüber und damit ein klares Bekenntnis zur Verantwortung des einzelnen für sich selbst. Das ganze Buch ist eine flammende Kritik gegen die fremden Elemente, die andere von Geburt an in uns einpflanzen (wollen), die uns damit unser Eigenes nehmen und in uns eine fremde Herrschaft errichten (Überich, Gewissen, Werte, Ideale), das unser Eigenes, Denken, Werten und Handeln unterdrücken soll. Dazu gehört auch, dass alle Wertbegriffe und Ideale - mehr oder minder willkürliches - subjektives menschlichen Setzungen sind, die Stirner letztlich, wenn sie als Wirklichkeit behandelt werden als Wahn oder fixe Ideen ansieht. Das legt er er im Kapitel "Sparren" dar und kritisiert z.B. die Seelsorge. "Das ist der Sinn der Seelsorge, daß meine Seele oder mein Geist gestimmt sei, wie andere es recht finden, nicht wie ich selbst möchte." Für Stirner sind die meisten Menschen, die ihn umgeben, von fixen Ideen besessen, auch wenn sie ein noch so harmlos erscheinenden bürgerliches Leben führen, weil er ihre Menschen- und Weltbilder als fixe Ideen ansieht.
          So endet sein Schlachtruf der Einleitung Ich hab' Mein' Sach' auf Nichts gestellt:
          "Fort denn mit jeder Sache, die nicht ganz und gar Meine Sache ist! Ihr meint, Meine Sache müsse wenigstens die »gute Sache« sein? Was gut, was böse! Ich bin ja selber Meine Sache, und Ich bin weder gut noch böse. Beides hat für Mich keinen Sinn.
          Das Göttliche ist Gottes Sache, das Menschliche Sache »des Menschen«. Meine Sache ist weder das Göttliche noch das Menschliche, ist nicht das Wahre, Gute, Rechte, Freie usw., sondern allein das Meinige, und sie ist keine allgemeine, sondern ist - einzig, wie Ich einzig bin.
          Mir geht nichts über Mich!"
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    Umschlagtext Neuherausgabe Stirner bei Hanser durch Helms:
      "Die Lehre vom 'Einzigen' rechtfertigt den Kapitalismus und das administrativ geordnete Chaos, sie rechtfertigt Unwahrheit und Unrecht, Haben und Nichthaben, ihr Ideal ist die unsoziale und anonyme Existenz, sie rechtfertigt sogar den Mord; denn Ich 'bin durch Mich berechtigt zu morden, wenn ich Mir's selber nicht verbiete, wenn ich Ich selbst Mich nicht vorm Morde  als vor einem 'Unrecht' fürchte.'"
          Stirner ist eine konsequente Weiterführung von Machiavelli für jedermann. Und wie es scheint, kann man den entfesselten Spätkapitalismus gut mit Stirner verstehen: Ich hab mein Sach auf Nichts außer mich, mein Geld und meine Boni gestellt.



    Querverweise
    Standort: Sonntags-Matinee Erlanger Poetenfest 2009: Die Unsichtbarkeit des Geldes.
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    EPF 2008: Zeit für eine neue Revolte?
    Die Idee allgemeiner "normaler" Verrücktheit bei Max Stirner dargelegt im Abschnitt Der Sparren aus dem Kapitel Die Besessenen in Der Einzige und sein Eigentum. Mit drei Exkursen u.a. einer psychopathographischen Skizze und einem philosophischen Glossar.
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    Der Charakter und sein Preis.
    Überblick Kunst und Kultur in der IP-GIPT.
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Die Unsichtbarkeit des Geldes. Finanzkrise, Vertrauenskrise, Krise der Demokratie? Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/kunst/kritik/EPF09r.htm
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    korrigiert: irs 30.08.09



    Änderungen Kleinere Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet und ergänzt.
    12.04.15    Linkfehler geprüft und korrigiert.
    12.09.09    Link zu Analyse und Kommentar zum Der Sparren von Max Stirner.
    02.09.09    Ergänzungen zur Stirner-Empfehlung.