Erlanger Poetenfest - Sonntags-Matinee:
Die Unsichtbarkeit des Geldes
Finanzkrise, Vertrauenskrise, Krise der Demokratie?
Podiumsdiskussion mit Friedrich
Dieckmann, Eva
Menasse, Herfried
Münkler, Klaus
Staeck
und Ilija Trojanow,
Moderation: Wilfried
F. Schoeller.
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Wenn keiner den Weg kennt, kann jeder führen
(afrikanisches Sprichwort nach Trojanow).
Der Redoutensaal war so voll, dass viele am Rande
stehen mussten; es dürften also über 600 Leute zur Sonntagsmatinee
geströmt sein. Offenbar war das Thema für viele interessant
und attraktiv, und das war es auch - gar nicht zu vergleichen mit der müden
Veranstaltung vom letzten Jahr, dem 40jährigen "Jubiläum" der
68er mit der scheinbar rhetorischen Frage: "Zeit für
eine neue Revolte?". Sehr gut gefallen hat mir gleich das Eingangsbekenntnis
des Moderators, dass man bewusst auf die Einladung von Experten
- die ja ganz offensichtlich die Hauptversager waren - verzichtete.
Klaus Staeck, ein Etablierter der kritischen Elite
dieser verfaulten Republik, die noch zum Vorbild
taugen war natürlich ein echtes und nach wie vor überzeugendes
Zugpferd. Er scheint sich in den letzten 40 Jahre wirklich treu und konsequent
- er verzichtet aufs Auto und fliegt nicht billig - geblieben zu sein und
das ist an sich schon ermutigend in diesen düsteren Zeiten. Was lässt
sich dieses Volk nur alles gefallen, was nimmt es stumpf und anscheinend
egozentriert gleichmütig nicht alles hin? Diese Frage stellte am leidenschaftlichsten,
klar und deutlich der Schriftsteller Trojanow und er ließ auch klar
erkennen, woran es fehlt: am Handeln
und Tun.
Moderator Schoeller führte kurz aber dicht
und gut in die Probleme der gegenwärtigen Krise ein (> Programmtext)
und leitete die weitestgehend sehr disziplinierte Diskussion. Seine Gretchenfrage
traf den Kern: ist diese Krise "nur" das Ergebnis eines Risikospiels oder
ist diese Krise dem System immanent? Deutet man sein "oder" als nicht-ausschließendes
oder - genauer: oder-und -, so kommt das wohl der Wahrheit ziemlich nahe.
Seiner Auffassung, dass die Krise und ihre wirklichen Ursachen gar nicht
richtig verstanden sind, widersprach Eva Menasse. Auch wenn sie zumindest
für Deutschland noch keine richtige Krise erkennen konnte, sondern
bislang nur eine "große Erregungsblase" wahrnehmen konnte, meinte
sie doch, dass die Schuldigen den Experten bekannt sind und der tiefste
Grund für diese Krise der Zwang sei, auf Gedeih und - vor allem -
Verderb Wachstum produzieren zu müssen.
Klaus Staeck wies auf die Kreativität der Finanzindustrie
hin - und damit auf eine Verwandtschaft zur Kunst - , nämlich Produkte
erfinden zu müssen, damit die Geschäfte weiter gehen. Aber diese
Produkte sind wahrscheinlich nie richtig verstanden worden. Das führt
zu einem tieferen Problem, nämlich zu einem Vertrauensproblem in die
Grundlagen der Finanzwirtschaft. Ja, nicht nur das, es könnte die
Demokratie bedroht werden, wenn vermeintlichen Fachleuten zugestanden wird,
mit hochexplosiven und unverstandenen bzw. falsch bewerteten Finanzprodukten
("toxische", Giftpapiere, Derivate usw.) unreguliert und unkontrolliert
zu handeln. Immerhin wird aus gegenwärtiger Sicht der Schaden für
die Weltwirtschaft mit über 10 Billionen Dollar beziffert. Dies karikiert
Trojanow mit dem trefflichen afrikanischen Sprichwort: "Wenn keiner
den Weg kennt, kann jeder führen."
Der Politologe Münkler spitzt zu Recht zu:
es handele sich um eine Vertrauenskrise auch in die mathematischen
Modelle der Experten, die irrtümlich glaubten, sie könnten
die Risiken durch Berechnung beherrschen.
Dieckmann meinte, die Entwicklung habe sich seit
langem abgezeichnet und könne auch benannt werden: Thatcherismus,
Reaganomics, Neoliberalismus, (RS: und Deregulierung, Globalisierung).
Wir kennten die Schuldigen genau, etwa Greenspan und seine (FED-)
Politik des billigen Geldes und mit diesem die Chance auf hemmungslose
Verschuldung und Spekulation. Im Grunde sei hier absichtlich eine Entsicherung
und Betrugswirtschaft aufgebaut worden.
Schoeller bringt an dieser Stelle die Idee ins Spiel,
dass es vielleicht auch Gewinner dieser Krise gäbe, die diese vielleicht
sogar - ein Stück weit - geplant haben könnten.
Eva Menasse geht darauf nicht ein, sondern stellt
die ihrer Ansicht nach gar nicht so schlechte international vernetzte Zusammenarbeit
dagegen.
Staeck bringt ein, ob diese Krise vielleicht etwas
damit zu haben könnte, dass sich der Kapitalismus zu Tode gesiegt
haben könnte. Es fehlten vielleicht Gegengewichte und Alternativen.
Es sei auch eine bittere Erkenntnis, sich eingestehen zu müssen, dass
der Mensch für den Sozialismus anscheinend nicht geschaffen sei. Schrecklich
sei der Ausverkauf der kommunalen Institute (CLB, PPP),
dass offenbar alles einfach so weitergehe. Zu einer funktionierenden demokratischen
Gesellschaft gehörten Macht und Gegenmächte. Aber die Krisenmanager
machten den Staat kaputt, indem sie nun offenbar durchgesetzt haben, die
"Großmutter" (der Staat und damit die SteuerzahlerIn) schießt
immer nach, wenn es schief geht. Es bedarf einer klaren staatlichen Gegenmacht,
d.h. nur klare Gesetze und Regeln können die Großkonzerne und
das Finanzkapital stoppen. Und es bedarf auch empfindlicher Strafen, so
ungern er das sage.
Trojanow sieht und beklagt einen Untertanenstaat,
in dem sich niemand so richtig aufzubegehren traut. Eva Menasse meint,
wir seien alle mitverantwortlich in diesem Spiel nach mehr und mehr. Die
Gier gebe es nicht nur oben bei einigen wenigen.
Der Moderator bringt die Frage auf: wie kommen wir
nur aus der Falle heraus? Was ist mit der Regulierbarkeit?
Politologe Münkler bringt die Themen Zukunft, Rente, die Generationenfrage
und die Fähigkeit des Staates, zu regulieren, in die Diskussion ein.
Krisen habe es immer gegeben und werde es auch weiter geben, sie seien
auch produktiv und förderten die Kreativität. Die Krisen abschaffen
wollen, gehe nicht, münde in Utopie und die damit verbundenen ideologischen
Gefahren. Es komme vielmehr darauf an, die sozialen Auswirkungen der unvermeidlichen
Krisen abzufedern. Es kommt zu einem argumentativen Konflikt zwischen Münkler
und Trojanow um den Wert von Utopien, bei dem vermutlich beide Recht haben:
Münkler, wenn er auf die Gefahren ideologisch fundierter Utopien hinweist,
Trojanow, wenn er davon ausgeht, dass der Mensch Ideale - mögen sie
auch utopisch anmuten - als Motivation braucht.
Trojanow weist darauf hin, dass unsere "kleine Krise"
wenig mit der Krise, die es in der restlichen Welt gibt, zu tun hat, dass
es uns vergleichsweise gut geht auf Kosten der anderen, schwächeren
Entwicklungsländer. Der Kapitalismus sei ungeeignet, für nachhaltig
faire Lebensbedingungen zu sorgen. Hierzu bedürfe es fantasievoller
und handlungsbereiter Menschen.
Dieckmann bekräftigt, dass er in das kapitalistische
Krisenmanagement kein Vertrauen habe. In einem interessanten Vergleich
zwischen den USA und der ehemaligen DDR erkennt er erstaunliche Parallelen,
z.B. das Phänomen der - sozialistischen wie amerikanischen - Träume,
die in beiden Systemen doch vielfach auf Sand (Schulden) gebaut seien bzw.
gebaut gewesen seien. Die Amerikaner lebten ihre Träume mit Hilfe
nicht selbst erwirtschafteten Geldes, also auf Pump und mit Schulden finanziert,
aus. Und genau das sei eine der Ursachen der Krise.
Münkler wirft ein, dass es viele unübersehbare
Effekte gebe.
Der Moderator bringt sodann das Thema auf, ob eine literarische Verarbeitung
der Krise hilfreich sein könnte. In diesem Zusammenhang fallen auch
Begriffe wie "Börsenlatein" und "Bankenfiktionen". Eva Menasse nimmt
Bezug auf ihr Buch zu den sieben Todsünden und greift aus diesen die
Völlerei und Gier auf. Trojanow weist auf die alljährlichen
"Tage der Utopie" (Google)
in Vorarlberg hin. Außerdem gehöre es zu den Aufgaben der Literatur,
Grenzen zu überschreiten.
Moderator Schoeller bringt nun das Thema "Chaostheorie"
in die Diskussion. Der Politologe Münkler sieht darin eine Abkehr
von der traditionellen Wissenschaft, wenn man nämlich das Kausalitätsmodell
aufgebe. Er verspreche sich von einem chaostheoretischen Ansatz nicht viel
und meinte - etwas dunkel - überdies sei die Chaostheorie schon in
die Krise "eingepreist".
Der Moderator verweist sodann auf den ihn sehr beunruhigenden
Umstand, dass es offenbar Fachleute gegeben habe, die die Probleme erkannten
und warnten, aber offenbar nicht gehört wurden, z.B. Max
Otte mit seinem Buch 2006 "Der Crash kommt". Staeck merkt an, dass
ein gewisser Ökonom namens Sinn wieder überall in den Talkshows
sitze und dort das Gegenteil von dem erzähle, was er vorher gesagt
habe. Er beklagt den Verlust kritischer Öffentlichkeit und hofft,
dass die Privatisierungsorgie vorbei sei. Er verweist auf das Umweltproblem
und überhaupt darauf, dass alles mit allem zusammenhänge. Staeck
bekennt, dass er im Grunde ratlos sei und auch nicht wisse, was zu tun
sei. Die Dinge seien unklar, etwa wer sei der Gegner? Er sei selbst ein
Suchender, frage sich allerdings, wo das schöne Wort Verantwortung
ins Spiel komme?
Der Moderator schließt an und fragt: wer und
wo ist die Instanz, die handeln soll und muss?
Politologe Münkler weist auf zwei große Aufgaben hin, nämlich
Vertrauen aufzubauen bzw. wiederherzustellen und die Zukunft zu gestalten
und zu planen (das Vertrauen hat die Finanzwirtschaft verspielt, so dass
der Staat einspringen musste). Eine weitere Möglichkeit könne
mit Leistungen der Zivilgesellschaft umschrieben werden, wobei die Gegenleistungen,
da sie auf Freiwilligkeit beruhen, unsicher seien. Es werde wohl um einen
klugen Mix verschiedener Strukturen gehen.
Der Moderator leitet nun zum Schluss über und
was wir tun könnten. Trojanow verweist auf Wallerstein (USA; W),
von dessen Arbeiten er sehr viel halte. Und er warnt noch vor einem wichtigen
Gegner: auf den nämlich, der in uns selber steckt, den inneren Schweinehund,
den wir nicht unterschätzen sollten. Damit weist er auch auf die Verantwortung
eines jeden einzelnen hin. Staeck macht sich stark für das Umweltproblem,
das nicht allein mit guten Worten zu lösen sein wird. Und er macht
deutlich, dass es Dinge gebe, die man nicht zulassen dürfe. Er halte
aber auch nichts vom schwarz- weiß- denken, wenn man etwa Politiker
auf der untersten Stufe der Werteskala ansiedele. Man solle im Kleinen,
vor der eigenen Tür schauen, was man machen könne. Die Verbraucher
seien eine echte Macht und er verweist beispielshaft auf die erfolgreiche
Anti-Spray-Aktion.
Etwas überraschend und ohne weitere Erläuterung
schlägt der Moderator als Schlussempfehlung noch das Hauptwerk - Der
Einzige und sein Eigentum - des "Individualanarchisten"
Max Stirner zur Auseinandersetzung vor. Eine
Erklärung ergibt sich vielleicht aus dem Umschlagtext
der gekürzten Neuherausgabe von Helms bei Hanser 1968.
Insgesamt eine sehr interessante und gelungene Veranstaltung
mit einer Schwäche: die Verantwortlichen in Politik und Finanzwirtschaft
wussten längst, spätestens seit Ende der 90er Jahre, was droht,
wie die Krisenkonferenz
2003 beim damaligen Bundeskanzler Schröder beweist.
Programmtext: "Jedermann redet von
ihr, als sei sie eine mit Krankheit geschlagene, verstörende Nachbarin:
die Krise. Ihre Auswirkungen sind in aller Drastik bekannt. Unzählige
Menschen wurden um ihre Ersparnisse gebracht, viele Firmen gehen bankrott,
der Mittelstand ist in Nöten, Stiftungen lösen sich auf. Noch
die Enkel werden sich mit den Schulden herumschlagen, die der Staat schon
bisher gemacht hat, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Die Folgen der Krise
ergeben einen bodenlosen Fortsetzungsroman.
Aber die Krise selbst ist ein flüchtiger Schemen.
Sie zeigt sich fast nur in dem, was sie anrichtet, ansonsten ist sie ziemlich
unsichtbar. Und sie wird vor den Wahlen schon wieder mit Scheinoptimismus
verkleistert, bevor ihre gravierendste Wirkung, die Massenarbeitslosigkeit,
sich mit bestürzenden Zahlen zeigen wird. Ist sie nur ein Risikofaktor
im Spiel einiger durchgeknallter global players? Oder die naturwüchsige
Gestalt der unregulierten Finanzwirtschaft? Das Kind eines Kapitalismus,
der sich zu Tode siegt? Gewissheiten wollen sich nicht einstellen. Nicht
zuletzt besteht die Krise in einem grassierenden Mangel an Sprachkraft
außerhalb des Börsenlateins. Der Glaube an die Regelkraft des
Staates nimmt ab, die Politikverdrossenheit der Bürger wächst
weiter. Der Rat der Experten selbst ist extrem krisenanfällig und
die Weisheit der Manager auf einer Schwundstufe der moralischen Autorität.
Welche Auswege könnte es in geistiger Hinsicht geben? Welche Rolle
können die Schriftsteller und Künstler übernehmen, wenn
die Wahl besteht zwischen dem Rückgriff auf Marxens Gesellschafts-
und Ökonomiekritik oder eine neue Hinwendung zu Karl Poppers, dem
antiideologischen Philosophen der offenen Gesellschaft? Darüber diskutieren
mit Wilfried F. Schoeller die Schriftsteller Friedrich Dieckmann, Eva Menasse
und Ilija Trojanow, der Politikwissenschaftler Herfried Münkler und
der Präsident der Akademie der Künste Berlin, Klaus Staeck. Wilfried
F. Schoeller"
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korrigiert: irs 30.08.09