Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=25.09.2000 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung 11.11.17
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20  D-91052 Erlangen
    Mail: sekretariat@sgipt.org_ Zitierung & Copyright

    Anfang_ Achsen im DSM_ Überblick_ Relativ Aktuelles_ Rel. Beständiges_ Titelblatt_ Konzept_ Archiv_ Region__ _ Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und INtegrative Psychotherapie, Abteilung Diagnostik und Differentialdiagnostik, Bereich Klassifikations-Systeme, und hier speziell zum Thema:

    Das Geheimnis der "Achsen" und ihrer Wandlung im DSM,
    im Diagnostischen und Statistischen Manual für Psychische Störungen

    nach den deutschen Darstellungen  DSM-III  und  DSM-IV
    Querverweis: DSM-5.

        Ergebnis: Es gibt keinen vernünftigen Grund, zwischen "Achse" I und II zu unterscheiden. Die "Achsen" fallen anscheinend vom Himmel und werden nicht wissenschaftlich sinnvoll abgeleitet und begründet, obschon die Entwicklungsrichtung der neuen Diagnoseysteme grundsätzlich postiv zu werten ist. Bei aller Kritik sind ICD und DSM gegenüber früher ein wichtiger Schritt nach vorne (wenn auch mit  DSM-5  bereits wieder nachlassend).
        Die Hauptmängel der DSM- und ICD-Diagnostik wurden an anderer Stelle klar und deutlich beschrieben. Außerdem wurden konstruktive Alternativen aufgezeigt, wie eine wissenschaftlich korrekte, epidemiologisch sinnvolle, EDV-angemessene und damit auch eine finanzökonomisch und gesamtgesellschaftlich verantwortbewußte psychologisch- psychopathologisch- psychotherapeutische und psychosoziale Diagnostik und Differentialdiagnostik aufgebaut werden muß. Angemessener erscheint das "Achsen"-System der GIPT:

    Achsen-System (Dimensionen) in der allgemeinen und integrativen Psychopathologie

    • DIM-0    Grunddaten, Soziologische- und demographisch-statistische Merkmale
    • DIM-1    Körperliche Störungen mit gewöhnlich keinen, geringen oder selteneren psychischen Auswirkungen (derzeit etwa "Achse" III im DSM)
    • DIM-2    Im Lebensverlauf körperlich erworbene psychische Störungen ("hardware" bedingte)
    • DIM-3    Psychisch bedingte oder mitbedingte Körperliche Störungen (Psychosomatosen)
    • DIM-4    Anlage-mit-bedingte psychische Störungen (z. B. Persönlichkeitsstörungen)
    • DIM-5    Psychologisch lebensgeschichtlich erworbene psychische Störungen     ("software" bedingte, vormals z. B. "Neurosen", Anpassungsstörungen, Reaktionen)
    • DIM-6    Psychosoziale Einflüsse & Auswirkungen (z. B. Umwelt, Familie, Beziehungen, Beruf, Leistung)
    • DIM-7    Entwicklungs-, Verlaufsmerkmale und Ausprägungen
    • DIM-8    Behandlungs-Wirkungs-Geschichte
    • DIM-9    Positive Ressourcen z. B. Kompensation, Ausgleich, Kontrolle, Selbstheilungskräfte, ...
    • DIM-X    Sonstiges: Rest- und Auffangkategorie

    •  

    Achsensystem im DSM-IV (1994, dt. 1996)                                   Achsensystem im DSM-III (1980, dt. 1984)
    Im DSM-IV aus dem Jahre 1994 (dt. 1996) heißt es auf Seite 17::  "Die multiaxiale Beurteilung 
    Ein multiaxiales System erfordert eine Beurteilung auf verschiedenen Achsen, von denen jede sich auf einen anderen Bereich von Informationen bezieht, die dem Untersucher bei der Behandlungsplanung und Prognose helfen können. Die multiaxiale Klassifikation von DSM-IV enthält 5 Achsen:
    Im DSM-III aus dem Jahre 1980 (dt. 1984) heißt es auf Seite 29::  "Die multiaxiale Beurteilung
    Die multiaxiale Beurteilung bedeutet, daß jeder Fall auf jeder der verschiedenen "Achsen" eingestuft wird, die sich jeweils auf eine andere Klasse von Informationen beziehen. Für den größtmöglichen klinischen Nutzen des Systems muß die Anzahl der Achsen begrenzt sein; die DSM-III-Klassifikation besitzt fünf. ... 
    Achse I Klinische Störungen 
    Andere Klinisch Relevante Probleme
    Achse I  Klinische Syndrome, Zustände, die keiner Psychischen Störung zugeordnet werden können, aber Anlaß zur Beobachtung oder Behandlung sind. (V-Kodierungen) 
    Zusätzliche Kodierungen
    Achse II Persönlichkeitsstörungen 
    Geistige Behinderung
    Achse II  Persönlichkeitsstörungen 
    Spezifische Entwicklungsstörungen
    Achse III Medizinische Krankheitsfaktoren Achse III  Körperliche Störungen und Zustände
    Achse IV Psychosoziale oder 
    Umgebungsbedingte Probleme
    Achse IV Schwere der psychosozialen Belastungsfaktoren   (Info)
    Achse V Globale Beurteilung des Funktionsniveaus" Achse V  Höchstes Niveau der sozialen Anpassung im letzten Jahr" (Info)

    "4  Bedeutsame Veränderungen von DSM-III-R zu DSM-IV   [S.XIII f]

        Inhaltlich gibt es keine sehr dramatischen Umbrüche von DSM-III-R zu DSM-IV (Thangavelu & Martin, 1995). Einen Überblick über die genauen Veränderungen bei den Kriterien zu den einzelnen Störungen oder über Umordnungen von Diagnosen in andere Störungsklassen als in früheren Ausgaben gibt Anhang D.
        Schon äußerlich fällt auf, daß das Buch fast doppelt so umfangreich ist wie DSM-III-R, was daran liegt, daß die beschreibenden Texte wesentlich ausführlicher sind. Insgesamt enthält DSM-IV etwa 1000 Kriterien für die Erfassung von 395 Störungen. Es gibt mehr Zusatzcodierungen und Subtypen-Bezeichnungen, die teilweise auch mit Codeziffern zu verschlüsseln sind. Fast alle Störungsbilder im Original führen jetzt den Begriff disorder im Namen so daß z. B. die Major Depression jetzt Major Depressive Disorder heißt.
        Im Vergleich zu früheren Ausgaben wurde, auch mit Rücksicht auf die Übersetzung in viele Sprachen, mehr Gewicht auf interkulturelle Anwendbarkeit gelegt. Jedes Kapitel enthält einen Absatz, der Besonderheiten in der Ausdrucksform oder der Bedeutungszuschreibung der Störung in verschiedenen Kulturkreisen zusammenfaßt. Im Anhang I findet sich ein Leitfaden für die Beurteilung kultureller Einflußfaktoren sowie ein Glossar kulturabhängiger Syndrome.
        Das multiaxiale System in DSM-IV wurde dahingehend geändert, daß auf Achse II nur noch die Geistige Behinderung und die Persönlichkeitsstörungen codiert werden, während die Entwicklungsstörungen nun in Achse I enthalten sind. Auf Achse III werden medizinische Krankheiten aus anderen Kapiteln der ICD-I 0 codiert. Auf Achse IV wird keine allgemeine Schweregradsbeurteilung von Belastungsfaktoren mehr vorgenommen, sondern es werden psychosoziale und Umgebungsprobleme verzeichnet. Achse V enthält nach wie vor die Gesamtbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus auf einer GAF-Skala, die jetzt bis 100 reicht.
        Das DSM-III-R-Kapitel "Organisch Bedingte Psychische Störungen" wurde in drei Kapitel aufgeteilt: "Delir, Demenz, Amnestische und Andere Kognitive Störungen", "Psychische Störungen Aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors" und "Störungen im Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen". Diagnosen aus diesen drei Störungsgruppen müssen erst ausgeschlossen werden, bevor andere Störungen diagnostiziert werden können.
        Interessanterweise wurde beim Übergang von DSM-III-R zu DSM-IV das generelle "Demenzsyndrom" eliminiert. Alle Demenzen werden nun ihrer Ätiologie gemäß aufgeführt und verschlüsselt. Interessanterweise bleibt jedoch implizit ein dementielles Syndrom erhalten, das über alle Ätiologien hin immer wieder auftaucht: Gedächtnisstörungen und Aphasie, Apraxie, Agnosie sowie exekutive Funktionen. Dies ist merkwürdig und wird leider nicht kommentiert. Es muß also beim Erlernen von DSM-IV besonders darauf geachtet werden, daß zwar offiziell kein Demenzsyndrom wie in DSM-III-R oder auch in ICD-10 formuliert [S. XIV] ist und codiert wird, daß dieses aber dennoch als Gliederungsprinzip existiert. Darüber hinaus fällt im Rahmen der Demenzdiagnose auf, daß dort auch Verhaltensstörungen klassifiziert werden können, die jedoch nirgends genauer definiert sind. Auch dies stellt eine bedauerliche Unterlassung dar, die bei einer Revision zu überdenken wäre.
        Neu aufgenommen sind im Demenzkapitel die Kognitiven Störungen als eine Restkategorie im Rahmen nachvollziehbarer organischer Grunderkrankungen mit Angabe vorläufiger Kriterien. Diese Störung ist nicht zu verwechseln mit dem Altersbedingten Kognitiven Abbau, für den jedoch keine Kriterien angegeben sind.
        Die einzelnen Störungen im Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen sind unter diesem Kapitel zwar aufgelistet, werden aber teilweise in anderen Kapiteln zusammen mit Störungen, mit denen sie die Symptomatik gemeinsam haben, beschrieben. So befindet sich z. B. die Substanzinduzierte Affektive Störung zusammen mit ihrer Kriterienliste im Kapitel über Affektive Störungen. Die Zuordnung der restlichen Störungen zu einzelnen Störungsklassen erfolgt ebenfalls aufgrund der phänomenalen Gemeinsamkeiten, sieht man von den Anpassungsstörungen ab, die aufgrund ätiologischer Gesichtspunkte zusammengefaßt sind und deren Unterschiede in der Ausdrucksform durch Subtypisierungen kenntlich gemacht werden (z. B. Anpassungsstörung mit Angst und Depression, Gemischt). Die Schizophrenie, die Wahnhafte Störung und andere Psychotische Störungen sind jetzt zu einer Störungsklasse "Schizophrenie und Andere Psychotische Störungen" zusammengefaßt.
        Eine neue Störungsgruppe umfaßt die Anorexia Nervosa und die Bulimia Nervosa, die vorher im Kapitel über Störungen im Kindes- und Jugendalter enthalten waren. Sie werden jetzt im Kapitel Eßstörungen und mit je zwei Subtypenbezeichnungen beschrieben.
        Das Kapitel über die Schlafstörungen wurde wesentlich erweitert und in Übereinstimmung mit der Internationalen Klassifikation von Schlafstörungen nach ätiologischen Gesichtspunkten geordnet in Primäre Schlafstörungen, Schlafstörungen im Zusammenhang mit einer Anderen Psychischen Störung, Schlafstörungen Aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors und Substanzinduzierte Schlafstörungen.
        Das Kapitel über Affektive Störungen enthält jetzt Zusatzcodierungen für den Langzeitverlauf bei rezidivierenden Episoden, mit denen der Untersucher den Remissionsgrad zwischen den Episoden beschreiben kann.
        Im Kapitel Angststörungen wurden die Definitionen für die Panikattacke und das Agoraphobie-Syndrom als konstituierendes diagnostisches Element der Panikstörung und der Agoraphobie mit dem Hinweis vorangestellt, daß beide Phänomene auch häufig bei anderen Angststörungen sowie anderen Formen psychischer Störungen beobachtet werden können. Ferner ist zu beachten, daß nun im Kapitel der Angststörungen auch die Akute Belastungsstörung sowie die Angststörung im Zusammenhang mit Medizinischen Krankheitsfaktoren sowie Substanzinduzierte Angststörungen spezifisch codiert werden können.
        Insgesamt läßt sich sagen, daß mit den in DSM-IV vorgenommenen Änderungen vor allem versucht wurde, mehr Gewicht auf die internationale Anwendbarkeit zu legen. Damit einher geht das Bemühen um eine bessere Übereinstimmung mit ICD-10." (S. XVI)
     

    Was heißt nun Multiaxialität, multiaxial?
     
    Multiaxial im DSM-IV (1994, S. 17)    [fett kursiv von Sponsel] 

    "Die Anwendung des multiaxialen Systems erleichtert die umfassende und systematische Beurteilung unter Beachtung der verschiedenen psychischen Störungen und medizinischen Krankheitsfaktoren, der psychosozialen und Probleme des Umfelds und des Funktionsniveaus. Diese könnten übersehen werden, wenn die Beurteilung nur eines einzigen auffälligen Problems im Blickfeld wäre. Ein multiaxiales System bietet ein brauchbares Regelwerk, um klinische Informationen zu organisieren und weiterzugeben, um die Komplexität der klinischen Situationen zu erfassen und um die Heterogenität von Patienten mit gleicher Diagnose zu beschreiben. Darüber hinaus fördert das multiaxiale System die Anwendung des biopsychosozialen Modells im Zusammenhang mit Klinik, Ausbildung und Forschung. 
    Im folgenden wird eine Beschreibung der einzelnen DSM-IV-Achsen gegeben. Unter bestimmten Umständen oder Bedingungen zieht der Untersucher es vielleicht vor, das multiaxiale System nicht anzuwenden. Deshalb wird am Ende dieses Kapitels ein Leitfaden vorgestellt, mit dem die Ergebnisse einer DSM-IV-Beurteilung ohne die förmliche Anwendung des multiaxialen Systems wiedergegeben werden können."

    Multiaxial im DSM-III (1980, dt. S. 29 )

    "Die Anwendung der multiaxialen Beurteilung im DSM-III gewährleistet, daß die Aufmerksamkeit auf bestimmte Arten von Störungen, Gesichtspunkte der sozialen Umgebung und Leistungsbereiche gerichtet wird, die übersehen werden könnten, wenn das Interesse nur der Einschätzung eines einzelnen sich bietenden Problems gilt." 
     
     

     


    Anmerkungen & Fußnoten
    Die Achsen IV und V stehen für spezielle klinische und Forschungseinrichtungen zur Verfügung und enthalten Ergänzungen der offiziellen DSM-III-Diagnosen (Achse I, II, III), die für die Behandlungsplanung und für die Prognose nützlich sein können.
    Literatur siehe bitte.

    Querverweise
    Standort: Das Geheimnis der Achsen und ihrer Wandlung im DSM.
    *
    Zur Krtitik DSM-5.
    Symptom * Syndrom * Überblick Diagnostik.
    Überblick Diagnostik und Differentialdiagnostik in der IP-GIPT.
    Kritik und Alternative zur Traditionellen Diagnostik in der Psychopathologie ...
    Der geheimnisvolle Wandel der Borderline-Persönlichkeits-Diagnostik vom DSM-III zum DSM-IV
    Probleme der Differentialdiagnose und Komorbidität
    Testtheorie der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie
    Krankheit, Symptom, Syndrom, Aufgabe der Heilkunde
    Bio-Psycho-Soziales Krankheitsmodell
    Norm, Wert, Abweichung (Deviation)
    Kausalitätsproblem
    Der Wissenschaftsbegriff und seine aktuelle Bedeutung
    Über den Aufbau einer präzisen Wissenschaftssprache in Psychologie, Psychopathologie, .... und Psychotherapie
    Überblick der Signaturen: Dokumentations- und Evaluationssystem Allgemeine und Integrative Psychotherapie


    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS).  Das Geheimnis der "Achsen" und ihrer Wandlung  im DSM, im Diagnostischen und Statistischen Manual für Psychische Störungen.  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/diagnos/achse.htm
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    _ _ Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    11.11.17  Link zu  DSM-5  u.a.