Das Geheimnis der "Achsen" und
ihrer Wandlung im DSM,
im Diagnostischen und Statistischen
Manual für Psychische Störungen
nach den deutschen Darstellungen DSM-III
und DSM-IV
Querverweis: DSM-5.
Ergebnis: Es gibt keinen vernünftigen
Grund, zwischen "Achse" I und II zu unterscheiden. Die "Achsen" fallen
anscheinend vom Himmel und werden nicht wissenschaftlich sinnvoll abgeleitet
und begründet, obschon die Entwicklungsrichtung der neuen Diagnoseysteme
grundsätzlich postiv zu werten ist. Bei aller Kritik sind ICD und
DSM gegenüber früher ein wichtiger Schritt nach vorne (wenn auch
mit DSM-5 bereits wieder nachlassend).
Die Hauptmängel der DSM- und ICD-Diagnostik
wurden an anderer Stelle klar und deutlich
beschrieben. Außerdem wurden konstruktive Alternativen aufgezeigt,
wie eine wissenschaftlich korrekte, epidemiologisch sinnvolle, EDV-angemessene
und damit auch eine finanzökonomisch und gesamtgesellschaftlich verantwortbewußte
psychologisch- psychopathologisch- psychotherapeutische und psychosoziale
Diagnostik und Differentialdiagnostik aufgebaut werden muß. Angemessener
erscheint das "Achsen"-System der GIPT:
Achsen-System (Dimensionen) in der allgemeinen und integrativen Psychopathologie
Achsensystem im DSM-IV (1994, dt. 1996) Achsensystem im DSM-III (1980, dt. 1984)
Im DSM-IV aus dem Jahre 1994 (dt. 1996) heißt es auf Seite 17:: | "Die multiaxiale Beurteilung
Ein multiaxiales System erfordert eine Beurteilung auf verschiedenen Achsen, von denen jede sich auf einen anderen Bereich von Informationen bezieht, die dem Untersucher bei der Behandlungsplanung und Prognose helfen können. Die multiaxiale Klassifikation von DSM-IV enthält 5 Achsen: |
Im DSM-III aus dem Jahre 1980 (dt. 1984) heißt es auf Seite 29:: | "Die multiaxiale Beurteilung
Die multiaxiale Beurteilung bedeutet, daß jeder Fall auf jeder der verschiedenen "Achsen" eingestuft wird, die sich jeweils auf eine andere Klasse von Informationen beziehen. Für den größtmöglichen klinischen Nutzen des Systems muß die Anzahl der Achsen begrenzt sein; die DSM-III-Klassifikation besitzt fünf. ... |
Achse I | Klinische Störungen
Andere Klinisch Relevante Probleme |
Achse I | Klinische Syndrome, Zustände, die keiner Psychischen
Störung zugeordnet werden können, aber Anlaß zur Beobachtung
oder Behandlung sind. (V-Kodierungen)
Zusätzliche Kodierungen |
Achse II | Persönlichkeitsstörungen
Geistige Behinderung |
Achse II | Persönlichkeitsstörungen
Spezifische Entwicklungsstörungen |
Achse III | Medizinische Krankheitsfaktoren | Achse III | Körperliche Störungen und Zustände |
Achse IV | Psychosoziale oder
Umgebungsbedingte Probleme |
Achse IV | Schwere der psychosozialen Belastungsfaktoren (Info) |
Achse V | Globale Beurteilung des Funktionsniveaus" | Achse V | Höchstes Niveau der sozialen Anpassung im letzten Jahr" (Info) |
"4 Bedeutsame Veränderungen von DSM-III-R zu DSM-IV [S.XIII f]
Inhaltlich gibt es keine sehr dramatischen Umbrüche
von DSM-III-R zu DSM-IV (Thangavelu & Martin, 1995). Einen Überblick
über die genauen Veränderungen bei den Kriterien zu den einzelnen
Störungen oder über Umordnungen von Diagnosen in andere Störungsklassen
als in früheren Ausgaben gibt Anhang D.
Schon äußerlich fällt auf, daß
das Buch fast doppelt so umfangreich ist wie DSM-III-R, was daran liegt,
daß die beschreibenden Texte wesentlich ausführlicher sind.
Insgesamt enthält DSM-IV etwa 1000 Kriterien für die Erfassung
von 395 Störungen. Es gibt mehr Zusatzcodierungen und Subtypen-Bezeichnungen,
die teilweise auch mit Codeziffern zu verschlüsseln sind. Fast alle
Störungsbilder im Original führen jetzt den Begriff disorder
im Namen so daß z. B. die Major Depression jetzt Major Depressive
Disorder heißt.
Im Vergleich zu früheren Ausgaben wurde, auch
mit Rücksicht auf die Übersetzung in viele Sprachen, mehr Gewicht
auf interkulturelle Anwendbarkeit gelegt. Jedes Kapitel enthält einen
Absatz, der Besonderheiten in der Ausdrucksform oder der Bedeutungszuschreibung
der Störung in verschiedenen Kulturkreisen zusammenfaßt. Im
Anhang I findet sich ein Leitfaden für die Beurteilung kultureller
Einflußfaktoren sowie ein Glossar kulturabhängiger Syndrome.
Das multiaxiale System in DSM-IV wurde dahingehend
geändert, daß auf Achse II nur noch die Geistige Behinderung
und die Persönlichkeitsstörungen codiert werden, während
die Entwicklungsstörungen nun in Achse I enthalten sind. Auf Achse
III werden medizinische Krankheiten aus anderen Kapiteln der ICD-I 0 codiert.
Auf Achse IV wird keine allgemeine Schweregradsbeurteilung von Belastungsfaktoren
mehr vorgenommen, sondern es werden psychosoziale und Umgebungsprobleme
verzeichnet. Achse V enthält nach wie vor die Gesamtbeurteilung des
psychosozialen Funktionsniveaus auf einer GAF-Skala, die jetzt bis 100
reicht.
Das DSM-III-R-Kapitel "Organisch Bedingte Psychische
Störungen" wurde in drei Kapitel aufgeteilt: "Delir, Demenz, Amnestische
und Andere Kognitive Störungen", "Psychische Störungen Aufgrund
eines Medizinischen Krankheitsfaktors" und "Störungen im Zusammenhang
mit Psychotropen Substanzen". Diagnosen aus diesen drei Störungsgruppen
müssen erst ausgeschlossen werden, bevor andere Störungen diagnostiziert
werden können.
Interessanterweise wurde beim Übergang von
DSM-III-R zu DSM-IV das generelle "Demenzsyndrom" eliminiert. Alle Demenzen
werden nun ihrer Ätiologie gemäß aufgeführt und verschlüsselt.
Interessanterweise bleibt jedoch implizit ein dementielles Syndrom erhalten,
das über alle Ätiologien hin immer wieder auftaucht: Gedächtnisstörungen
und Aphasie, Apraxie, Agnosie sowie exekutive Funktionen. Dies ist merkwürdig
und wird leider nicht kommentiert. Es muß also beim Erlernen von
DSM-IV besonders darauf geachtet werden, daß zwar offiziell kein
Demenzsyndrom wie in DSM-III-R oder auch in ICD-10 formuliert [S. XIV]
ist und codiert wird, daß dieses aber dennoch als Gliederungsprinzip
existiert. Darüber hinaus fällt im Rahmen der Demenzdiagnose
auf, daß dort auch Verhaltensstörungen klassifiziert werden
können, die jedoch nirgends genauer definiert sind. Auch dies stellt
eine bedauerliche Unterlassung dar, die bei einer Revision zu überdenken
wäre.
Neu aufgenommen sind im Demenzkapitel die Kognitiven
Störungen als eine Restkategorie im Rahmen nachvollziehbarer organischer
Grunderkrankungen mit Angabe vorläufiger Kriterien. Diese Störung
ist nicht zu verwechseln mit dem Altersbedingten Kognitiven Abbau, für
den jedoch keine Kriterien angegeben sind.
Die einzelnen Störungen im Zusammenhang mit
Psychotropen Substanzen sind unter diesem Kapitel zwar aufgelistet, werden
aber teilweise in anderen Kapiteln zusammen mit Störungen, mit denen
sie die Symptomatik gemeinsam haben, beschrieben. So befindet sich z. B.
die Substanzinduzierte Affektive Störung zusammen mit ihrer Kriterienliste
im Kapitel über Affektive Störungen. Die Zuordnung der restlichen
Störungen zu einzelnen Störungsklassen erfolgt ebenfalls aufgrund
der phänomenalen Gemeinsamkeiten, sieht man von den Anpassungsstörungen
ab, die aufgrund ätiologischer Gesichtspunkte zusammengefaßt
sind und deren Unterschiede in der Ausdrucksform durch Subtypisierungen
kenntlich gemacht werden (z. B. Anpassungsstörung mit Angst und Depression,
Gemischt). Die Schizophrenie, die Wahnhafte Störung und andere Psychotische
Störungen sind jetzt zu einer Störungsklasse "Schizophrenie und
Andere Psychotische Störungen" zusammengefaßt.
Eine neue Störungsgruppe umfaßt die Anorexia
Nervosa und die Bulimia Nervosa, die vorher im Kapitel über Störungen
im Kindes- und Jugendalter enthalten waren. Sie werden jetzt im Kapitel
Eßstörungen und mit je zwei Subtypenbezeichnungen beschrieben.
Das Kapitel über die Schlafstörungen wurde
wesentlich erweitert und in Übereinstimmung mit der Internationalen
Klassifikation von Schlafstörungen nach ätiologischen Gesichtspunkten
geordnet in Primäre Schlafstörungen, Schlafstörungen im
Zusammenhang mit einer Anderen Psychischen Störung, Schlafstörungen
Aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors und Substanzinduzierte Schlafstörungen.
Das Kapitel über Affektive Störungen enthält
jetzt Zusatzcodierungen für den Langzeitverlauf bei rezidivierenden
Episoden, mit denen der Untersucher den Remissionsgrad zwischen den Episoden
beschreiben kann.
Im Kapitel Angststörungen wurden die Definitionen
für die Panikattacke und das Agoraphobie-Syndrom als konstituierendes
diagnostisches Element der Panikstörung und der Agoraphobie mit dem
Hinweis vorangestellt, daß beide Phänomene auch häufig
bei anderen Angststörungen sowie anderen Formen psychischer Störungen
beobachtet werden können. Ferner ist zu beachten, daß nun im
Kapitel der Angststörungen auch die Akute Belastungsstörung sowie
die Angststörung im Zusammenhang mit Medizinischen Krankheitsfaktoren
sowie Substanzinduzierte Angststörungen spezifisch codiert werden
können.
Insgesamt läßt sich sagen, daß
mit den in DSM-IV vorgenommenen Änderungen vor allem versucht wurde,
mehr Gewicht auf die internationale Anwendbarkeit zu legen. Damit einher
geht das Bemühen um eine bessere Übereinstimmung mit ICD-10."
(S. XVI)
Was
heißt nun Multiaxialität, multiaxial?
Multiaxial im
DSM-IV (1994, S. 17) [fett kursiv von Sponsel]
"Die Anwendung des multiaxialen Systems erleichtert die umfassende
und systematische Beurteilung unter Beachtung der verschiedenen psychischen
Störungen und medizinischen Krankheitsfaktoren, der psychosozialen
und Probleme des Umfelds und des Funktionsniveaus. Diese könnten übersehen
werden, wenn die Beurteilung nur eines einzigen auffälligen Problems
im Blickfeld wäre. Ein multiaxiales System bietet ein brauchbares
Regelwerk, um klinische Informationen zu organisieren und weiterzugeben,
um die Komplexität der klinischen Situationen zu erfassen und um die
Heterogenität von Patienten mit gleicher Diagnose zu beschreiben.
Darüber hinaus fördert das multiaxiale System die Anwendung des
biopsychosozialen Modells im Zusammenhang mit Klinik, Ausbildung und Forschung.
|
Multiaxial im DSM-III (1980, dt. S. 29
)
"Die Anwendung der multiaxialen Beurteilung im DSM-III gewährleistet,
daß die Aufmerksamkeit auf bestimmte Arten von Störungen, Gesichtspunkte
der sozialen Umgebung und Leistungsbereiche gerichtet wird, die übersehen
werden könnten, wenn das Interesse nur der Einschätzung eines
einzelnen sich bietenden Problems gilt."
|