Kritische Anmerkungen zur Sprache und Didaktik der Mathematik
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Vorbemerkung Sollen mathematische Laien Mathematik verstehen und lernen können? Nachdem Mathematik wegen ihrer überragenden Bedeutung für Wissenschaft und Technik Schulfach ist, muss man die Frage ohne Zweifel mit Ja beantworten. Wie funktioniert nun so ein Verständniserwerb, das Lernen von Mathematik? Das Grundkonzept der Schule erscheint vernünftig, man lernt bei einem, der es kann und es daher einem auch beibringen kann. Das ist in der Schule die MathematiklehrerIn. Dazu gibt es zur Unterstützung Lehrbücher, Anleitungungen, Aufgaben, Übungen und Hilfen. Doch viele beklagen Verständnisschwierigkeiten. Sind das "nur" didaktische Probleme oder geht das tiefer? Dies soll im Folgenden an einigen Beispielen näher betrachtet werden. Bis zur Mengenlehre gab es im wesentlichen nur eine Mathematik, gefeiert als Königin der Wissenschaften und ewiger Fels in der Brandung der Erkenntnisse. Mit der Grundlagenkrise hat sich das gewandelt und bis auf den heutigen Tag auch nicht geändert. Die Mathematik hat ihren Nimbus verloren und das hängt in der Hauptsache mit der neuen und merkwürdigen Lehre des Unendlichen zusammen. In Grundfragen sollte es keinen Streit geben. Und gerade Axiome sollten klar und allgemein verständlich sein. Das ist aber gwiss nicht der Fall, wie im Folgenden an einigen Beispielen gezeigt wird.
Potentiell und aktual
Unendliches am Beispiel der natürlichen Zahlen
Darf man die Folge der natürlichen Zahlen 1,2,3, ... als ein fertiges
Ganzes = aktual Unendliches auffassen oder nicht (potentiell Unendliches)?
Allgemine Einigkeit besteht darüber, dass die Folge kein Ende hat
und dass es keine größte natürliche Zahl gibt. Ein großer
Teil der Mathematiker ist dieser Auffassung, dass man es darf, nicht wenige
bedeutende aber auch nicht (z.B. Gauß,
Poincare,
Weyl).
Nachvollziehbar begründet wird es in den von mir eingesehenen Quellen
nirgendwo. Querverweise > Links. Spätestens wäre
eine klare und verständliche Begründung beim Unendlichkeitsaxiom
zu erwarten. > Unendlichkeitsaxiom
in der Fassung von Halmos.
Alle
und Jeder
Die Mathematik ist nicht in der Lage oder willens, eine saubere und
klare Differenzierung zwischen den zwei Hauptbedeutungen von alle
einzuführen und strikt und konsequent zu gebrauchen. Das ist das Gegenteil
von exakt und genau genommen ein unwissenschaftlicher und verschmierter
Sprachtil. Alle kann alle zusammen, die Gesamtheit
in
mehreren Varianten, bedeuten oder jedes Mitglied der betrachteten
Menge. Die Vermengung dieser beiden Grundbedeutungen kann zu vielen Irrungen
und Wirrungen, Paradoxien und Antinomien führen oder beitragen
> Unendlichkeitsaxiom
in der Fassung von Halmos.
Beispiel Unendlichkeitsaxiom
Hier stellen sich u.a. einige Fragen: Was genau soll unter Unendlichem
verstanden werden? Zu was soll ein Unendlichkeitsaxiom genau dienen? Was
genau wird durch "das" Unendlichkeitsaxiom ausgedrückt? Warum braucht
es ein Axiom statt z.B. nur eine Definition? Werden die Formalismen in
klarer deutscher Sprache ausgedrückt oder bleibt hier einiges offen
und der Interpretationsphantasie überlassen?
Unendlichkeitsaxiom
in der Fassung von Halmos (GB;
S. 60f):
"Es gibt eine Menge, die 0 enthält und mit jedem ihrer Elemente
auch dessen Nachfolger."
Halmos erläutert: "Der Name 'Unendlichkeitsaxiom'
ist naheliegend: Wir haben zwar noch keine präzise Definition der
Unendlichkeit aufgestellt, aber es scheint vernünftig, solche Mengen,
wie sie das Unendlichkeitsaxiom beschreibt, unendlich zu nennen."
Die Formulierung des Axioms ist unklar. Man kann
es 1) so verstehen, dass alleg Nachfolger gemeint sind. Dann
wäre es falsch, weil es nicht alleg und insbesondere keinen
letzten Nachfolger gibt. In dieser Bedeutung sollte man das Axiom umtaufen
in "selbstwidersprüchliches Unendlichkeitsaxion". 2) man kann es als
eine potentielle und unbestimmte Menge von Vorgängern und Nachfolgern
verstehen, dann ist die Menge nur potentiell unendlich und nach oben offen,
was aber meist nicht gewünscht ist. Gewünscht ist eine Maßeinheit
für alleg natürlichen Zahlen, womit man etwas Unvollendetes
und Unvollendbares als vollendet und vollendbar denkt. Das ist der grundlegende
Denkfehler. Denn es bleibt die Frage, ob etwas in sich Widerspruchsvolles
oder ein grundlegender Denkfehler als Axiom überhaupt zulässig
sein kann. Sonst könnte man ja per Axiom verkünden: es gibt einen
viereckigen Kreis.
Weiter heißt es:
Wie kann man A anschreiben? Z.B. so: (1) A = {0, x1, x2, x3}; (2)
A = {0, x1, x1+} oder (3) A = {0, x1, x2, x3, ...}. (1) gibt eine endliche
Nachfolgermenge wieder. (2) kann besagen besagt, dass es zu jedem Element
ein Nachfolgerelement gibt. Ob man (2a) "alle" oder (2b) einen Teil betrachtet,
bleibt an dieser Stelle offen. Und bei (3) ist entscheidend, was " ...
" bedeuten soll. Die historische Hauptbedeutung ist usw. oder fortfahren,
also potentiell. Das Symbol omega wird auch hier zwei zweideutig verwendet.
Zunächst bezeichnet Halmos damit nur eine Nachfolgermenge. In der
5.letzten Zeile ist er dann plötzlich bei omega in der Bedeutung allerg
natürlichen Zahlen.
Fischer Lexikon Mathematik 2, Kapitel Maßtheorie,
S. 226f:
"... Dieser Begriff läßt sich nun ganz allgemein definieren:
Eine Kardinalzahl (= Mächtigkeit, I, S. 167) k heißt unerreichbar,
wenn 1. jedes System von weniger als k Elementen, die alle kleinere Mächtigkeit
als k haben, eine Vereini-;smenge von kleinerer Mächtigkeit als k
hat, und wenn 2. für jede Menge A gilt: Hat A kleinere Mächtigkeit
als k, so hat auch die Potenzmenge von A eine kleinere Mächtigkeit.
Demnach ist die Kardinalzahl Aleph0 von N die kleinste unerreichbare
Kardinalzahl. Das in der Mengenlehre erforderliche Unendlichkeitsaxiom
»Es gibt eine unendliche Menge« kann demnach auch so formuliert
werden: Es gibt eine unerreichbare Kardinalzahl. — Steigt man, von
dieser .Menge ausgehend, durch Potenzmengenbildung und Vereinigungen weiter
auf, so erhält man eine unvorstellbar große Anzahl verschiedener
Mächtigkeiten, die aber, wegen ihrer Entstehungsart, alle erreichbar
sind. Um eine neue unerreichbare Menge zu haben, muß man offenbar
ein neues »Unendlichkeitsaxiom« fordern. Dabei stellt sich
heraus, daß diese erfüllende Menge gewisse paradox erscheinende
Eigenschaften haben muß. Dann kann man weiter aufsteigen, bis man
eine dritte unerreich-[>227] bare Menge axiomatisch einführen muß,
usw. Diesen Prozeß man (mit Hilfe der Ordinalzahltheorie) auch ins
Transfinite fortsetzen und gewisse Prozesse finden, die unerreichbare Kardinalzahlen
von durchaus unvorstellbarer Größe beschreiben. In der üblichen
Mathematik scheinen diese Mengen nun sehr oft benutzt zu werden, gibt es
doch Leute, die meinen, daß man in der Mathematik mit den ersten
beiden unendlichen Mächtigkeiten, nämlich der von N und der von
R, völlig auskommt. ..."
Autorenkollektiv (1979) Mathematische Logik Mengenlehre Zahlenbereiche.
Berlin: Volk & Wissen.
S. 108: "Es gibt wenigstens eine unendliche Menge"
S. 130: nur Erwähnung.
S. 179: nur Erwähnung und Verweis auf S. 108
Omegas, alephs und
das Transfinite
Grundsätzlich fallen mir keine Einwände ein, weshalb man
"das" Unendliche nicht differenzieren und quantifizieren können sollte,
vielleicht kann man solche neuen Maßeinheiten in der Kosmologie,
z.B. bei den schwarzen Löchern gebrauchen, oder auch beim Allerkleinsten,
den nonstandard Zahlen (kleiner als jede reelle Zahl und doch größer
0). Warum soll man nicht sagen können: der Gesamheit aller natürlichen
Zahlen wird die Ordnungszahl omega und die Anzahl aleph zugeordnet? Mein
Argument oben war: weil es die Gesamtheit aller natürlichen Zahlen
nicht gibt, man kann sie nur unbegrenzt fortführen, indem immer 1
dazugezählt wird - ohne Ende. Es gibt also kein Ende durch Fortführung,
aber kann man nicht trotzdem ein Ende oder ein Ganzes denken? Natürlich,
denn man tut es ja. Das Unfertige und Unvollendbare wird fertig und vollendet
gedacht. Sozusagen als ob, fiktional. Denken
kann man "alles", doch ist es auch richtig und begründbar?
Existenzquantor sichert
Der Existenzquantor sichert gar nichts, wie mancherorts gern gesagt
wird, er behauptet oder postuliert nur: es gibt wenigstens ein ..., für
das gilt ...
Grundlagen der Mengenlehre
Nach Yanhai Song (2011): "Die Sprache der Mengenlehre ist die
Prädikatenlogik erster Stufe mit Epislon als Relationssymbol." [PDF
Technische Universität München]. So auch Deiser in Einführung
in die Mengenlehre [GB].
Demnach dürfte die Prädikatenlogik nicht mit Elementen der Mengenlehre
aufgebaut werden, da das ja zirkulär wäre.
Numerische instabile
Matrizen
(aus Ralston 1965, p.397):
(I) x_1 + 3x_2 = 4
2x_1 + 6,00001 x_2 = 8,00001
ergibt x1=x2=1
verglichen mit
(II) x_1 + 3x_2 = 4
2x_1 + 5,99999 =8,00002.
ergibt x1=10, x2= -2.
Beispiel in Sponsel,
Rudolf (1984), S. 218
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