Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=24.10.2004 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 30.08.15
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen * Mail:_sekretariat@sgipt.org__Zitierung  &  Copyright

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    Willkommen in der Abteilung Wissenschaft in unserer Internet-Publikation GIPT 1) Bereich Geschichte der Wissenschaften, hier Mathematik speziell zum Thema:

    Materialien zur Kontroverse um "das" Unendliche

    Unendlich

    Vorstellungen, Metaphern, Analogien, Begriffe, Kennzeichnungen, Definitionen
    und der Unendlich-Begriff in mathematischen Lexika und Wörterbüchern

    von Rudolf Sponsel, Erlangen

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    Einführung: In der Kontroverse um 'das' Unendliche gibt es seit Jahrtausenden bis auf den heutigen Tag mehrere Standpunkte, die man mit den Worten "potentiell unendlich", "aktual unendlich", "Grenzwert unendlich" und "Finitismus" beschreiben kann. Weitere Unendlich-Varianten und Spezifkationen sind: "eigentlich unendlich", "uneigentlich unendlich" (Cantor), "überunendlich" (Wallis).

    Finitisten lehnen die Beschäftigung jeder Art von unendlichen Gegebenheiten ab und beschränken sich auf Endliches (Finites): Mit Unendlichkeiten könne man nicht praktisch oder hinreichend sicher operieren.  [1,]

        Vertreter des potentiell unendlichen Standpunktes akzeptieren, daß es die Möglichkeit gibt, z.B. die Grundzahlen 1,2,3, ..., immer weiter zu zählen, ohne zu einem Ende zu gelangen. Zu jeder Zahl n kann eine Zahl n+1 usw. usw. gefunden werden. Es gibt kein Ende.
    Formalisierungsansatz potentiell unendlich: Man braucht einen Anfang A und eine Fortsetzungsregel FR für die Nachfolger von A, also A1, A2, ..., Ai, ..., die, ohne zu einem Ende zu gelangen, beliebig oft anzuwenden gedacht werden kann. Kurz: Anfang, Fortsetzungsregel, Anwendungsmöglichkeit ohne Ende.
            Anmerkung: zu einigen verschiedenen Bedeutungen von "alle". [auch: Alle und Jeder]

        Vertreter des aktual Unendlichen (z.B. Bolzano, Dedekind, Cantor, Russell, Fraenkel und die Mehrzahl der gegenwärtigen MathematikerInnen)  halten die geistige Konstruktion einer unendlichen Gesamtheit für möglich, richtig und wichtig. An der psychologischen Möglichkeit, aktual Unendliches zu denken, kann es schon deshalb keinen Zweifel geben, weil es ja gedacht und mitgeteilt wird - ob das widerspruchsfrei oder nützlich sein mag, ist eine andere Frage. Schon Aristoteles kannte den Unterschied zwischen potentiell und aktual Unendlichem. Allgemein formal, über die Mengenlehre hinausgehend, ergibt sich der Formalisierungsansatz aktual unendlich: Man braucht einen Anfang A und eine Fortsetzungsregel FR für die Nachfolger von A, also A1, A2, ..., Ai, ..., mit hinzugedachtem Ende, so daß die Entwicklung als ein Ganzes und Fertiges gedacht wird.
        Anmerkung: zu einigen verschiedenen Bedeutungen von "alle". [auch: Alle und Jeder]

    Das Grenzwert-Unendliche. Diesen Ausdruck verwendet Cranz in seiner Arbeit  (1895, S.4 ) als das eigentlich "mathematisch Unendliche". Und er erläutert: "Systematisch allerdings tritt dieser Begriff erst in der Analysis entgegen; der Mathematiker entwickelt Ausdrücke in unendliche Reihen, unendliche Producte, unendliche Kettenbrüche; er summirt unendlich viele unendlichkleine Flächen- und Körperstücke, um auf diese Weise den Flächeninhalt krummlinig begrenzter Flächen und den Rauminhalt krummflächig begrenzter Körper durch unendliche Processe zu ermitteln; er spricht von der Tangente als von der Verbindungslinie zweier unendlich benachbarter Curvenpunkte; und der Krümmungskreis, der das Maß der Krümmung an einer bestimmten Stelle einer Curve angibt, ist ihm der durch 3 unendlich nahe Curvenpunkte gelegte und damit eindeutig bestimmbare Kreis. Gelegentlich biegt der Geometer, wenn es ihm für seinen Zweck dienlich ist, gewissermaßen in Gedanken die gerade Linie zu einem Kreis mit unendlich großem Radius; und die schon erwähnten Begriffsbezeichnungen wie unendlich ferner Punkt einer Geraden, unendlich ferne Gerade einer Ebene, unendlich ferne Ebene des Raumes sind in einem Lehrbuch der neueren Geometrie auf derselben Seite Dutzende Male zu lesen. Auch in der rechnenden Physik und Technik wird bei Berechnungen des Schwerpunkts, des Wasser- und Luftdrucks, der Ausflussmenge bei sinkendem Wasserniveau, der Trägheitsmomente, bei Gelegenheit der Spiegel- und Linsenformeln, bei Ermittelung des Potentials, bei Elasticitätsberechnungen u. s. w. fortwährend in der bequemsten Weise von dem Begriff des Unendlichkleinen Gebrauch gemacht; das Unendlichkleine ist dem Mathematiker, Physiker und Techniker ein ebenso handlicher Begriff geworden, wie dem Chemiker der des Moleküls und Atoms." Nach einigen Ausführungen und Beispielen kommt Cranz (S. 7/8; g e s p e r r t hier fett) zu dem Ergebnis:
        "Es ist somit bewiesen, dass das sogenannte mathematische Unendliche (im früheren Sinne des Worts) in der Mathematik entbehrt werden kann, inhaltlich nicht nothwendig ist; und dies im vorliegenden Fall, wo es sich um die wahre Bedeutung des Unendlichen in der Mathematik handelt, besonders wichtig."
        Anmerkung: In der Erörterung kritisiert Cranz (S. 17 ff) den früheren allzu leichtfertigen Umgang mit dem Grenzwert-Unendlichen u.a. Cavaleri, Fermat (rechnen mit divergierenden Reihen), Wallis und Brouncer, Leibniz, Euler, Jakob Bernoulli und Grandi. S. 30-32 referiert Cantors historische Analyse - "Mitteilungen zur Lehre vom Transfiniten" - der 8 Unendlichkeitsvarianten und er kommt zum Ergebnis (S. 32f): "Ich könnte mich mit den Cantor'schen Auseinandersetzungen zu einem großen Theil einverstanden erklären, wenn Herr Cantor mir gestattete, sein Actualunendliches des gewöhnlichen Sprachgebrauchs (=Maß und Zahl ausschließend), dagegen sein Potentialunendliches mit dem mathematischen Grenzwert-Unendlichen zu identifizieren, welche beide Begriffe ihrem inneren Wesen nach nichts miteinander gemein haben. Ich glaube jedoch nicht, daß Herr Cantor dem zustimmen würde."
     

    Beschreibungen, Kennzeichnungen, Unterscheidungen und Definitionen
    Zur Geschichte der Unendlichkeitsbefriffwe: Welti, Ernst (1986). Die Philosophie des strikten Finitismus. Entwicklungstheoretische Untersuchungen über Unendlichkeitsbegriffe in Ideengeschichte und heutiger Mathematik. Bern: Lang.

    Aristoteles (Physik, 3. Buch ): "Überhaupt existiert das Unendliche nur in dem Sinne, daß immer ein anderes und wieder ein Anderes genommen wird, das eben Genommene aber immer ein Endliches, jedoch immer ein Verschiedenes und wieder ein Verschiedenes ist."

        Cantor (1885, in Gesammelte Anhandlungen, S. 374): "Trotz wesentlicher Verschiedeneheit der Begriffe des potentialen und aktualen Unendlichen, indem ersteres eine veränderliche endliche, über alle endliche Grenzen hinaus wachsende Größe, letzteres ein in sich festes, konstantes, jedoch jenseits aller endlichen Größen liegendes Quantum bedeutet, tritt doch leider nur zu oft der Fall ein, daß das eine mit dem anderen verwechselt wird."

    Cantor und Dedekind. In Bezug auf Mengen, haben Cantor (1878) und Dedekind (1888) eine präzise Definition einer unendlichen Menge gegeben: Eine unendliche Menge M  liegt genau dann vor, wenn es eine eindeutige und umkehrbare Abbildung auf eine echte Teilmenge T von M gibt. Die präzise Definition sollte sich dann über die Mengenlehre hinaus verallgemeinern lassen, wenn die betrachteten Objekte zählbar sind.
        Anmerkung: Diese Definition Cantors und Dedekinds erscheint 1) in sich selbst widersprüchlich [contradictio in adjecto] und  2) bereits das vorauszusetzen, was sie ausdrückt, also zirkulär ist [circulus vitiosus]. Im Grunde wird hier der Satz postuliert, daß ein echter Teil gleich dem Ganzen ist. Dies widerspricht Euklid VIII: "Das Ganze ist größer als sein Teil.".

    Hilbert (1926, S. 167). "Will man in Kürze die neue Auffassung des Unendlichen, der Cantor Eingang verschafft hat, charakterisieren, so könnte man wohl sagen: in der Analysis haben wir es nur mit dem Unendlichkleinen und dem Unendlichgroßen als Limesbegriff, als etwas Werdendem, Entstehendem, Erzeugtem, d.h., wie man sagt, mit dem potentiell Unendlichen zu tun. Aber das eigentlich Unendliche selbst ist dies nicht. Dieses haben wir z.B., wenn wir die Gesamtheit der Zahlen 1,2,3,4, ... selbst als eine fertige Einheit betrachten oder die Punkte einer Strecke als eine Gesamtheit von Dingen ansehen, die fertig vorliegt. Diese Art des Unendlichen wird als aktual unendlich bezeichnet."

    Lorenzen (1962, S. 50): "Der Begriff der Unendlichkeit tritt dann auf, wenn der Mensch eine Regel 'begreift', deren wiederholte Anwendung immer wieder zu etwas Neuem führt."

    Maor (dt. 1989, engl. 1987, S. 74): "Darüber hinaus unterschieden Mathematiker seit Aristoteles' Zeiten sorgsam zwischen dem sogenannten Potentiell-Unendlichen und dem Aktual-Unendlichen. Das Potentiell Unendliche impliziert einen Prozeß, der zwar unbegrenzt wiederholt werden kann, der jedoch zu jedem beliebigen Zeitpunkt nur aus einer endlichen Anzahl von Schritten besteht. Die Menge der natürlichen Zahlen 1, 2, 3, ... ist potentiell unendlich, weil zwar jede Zahl einen Nachfolger hat, weil aber auch zu jedem beliebigen Zeitpunkt des Zählprozesses, gleichgültig wie weit fortgeschritten er ist, nur eine endliche Zahl von Elementen abgezählt wurde. Das Aktual-Unendliche impliziert dagegen einen Prozeß , dem brreits zu jedem beliebigen Zeitpunkt unendlich viele Wiederholungen vorangegangen sind."

    Poincare (1913, 2003, S. 81): "Wir werden zunächst feststellen, daß die Mathematiker in der Art, wie sie den Unendlichkeitsbegriff auffassen, zwei entgegengesetzten Richtungen zuneigen. Für die einen fließt das Unendliche aus dem Endlichen, für sie gibt es eine Unendlichkeit, weil es eine unbegrenzte Zahl begrenzter möglicher Dinge gibt. Für die anderen besteht das Unendliche vor dem Endlichen, indem das Endliche sich als kleiner Ausschnitt aus dem Unendlichen darstellt."

    Waismann: Grenzwert, potentiell, aktual unendlich.
    Quelle: Waismann, Friedrich (31970, 11936). Einführung in das mathematische Denken. München: dtv. S. 115f. (fett-kursiv von RS):

    "Was versteht man unter einem Grenzwert? Wir wollen das zuerst an einem Beispiel erläutern und betrachten zu diesem [>116] Zweck den Ausdruck (n-1)/n; setzt man hierin der Reihe nach für n = 1, 2, 3, 4, ... , so erhält man 0, 1/2, 2/3, 3/4 ... uund diese Folge von Zahlen kommt dem Werte l um so näher, je weiter man sie fortsetzt; man meinte nun, daß unser Ausdruck für n = ¥ geradezu den Wert l annehme, und faßte dabei unbedenklich das Unendliche selbst als Zahl auf. Diese Vorstellung kann vor der Kritik nicht bestehen. Denn was soll man sich eigentlich unter einer unendlichen Zahl denken? Daß unendlich nicht ein scharf umrissenes Zahlenindividuum ist wie etwa die Zahl 5, ist klar. Die Attribute: gerade, ungerade, Primzahl, teilbar usw. finden auf das Unendliche keine Anwendung. Es hat also keinen präzisen Sinn zu sagen, daß man für n den »Wert unendlich« setzt. In unserem Beispiel bedeutet n vielmehr eine endliche Zahl, die fortgesetzt wächst; n ist gewissermaßen niemals unendlich, sondern wird nur unendlich. Im Begriff des Unendlichen liegt immer ein Werden, das nie zum Abschluß kommt. Man nennt diesen Begriff des Unendlichen auch den des Potential-Unendlichen (zum Unterschied von dem des Aktual-Unendlichen, der eine unendliche Totalität meint). Die Formel liefert also nie 1. Wenn man sagen wollte, daß die Glieder der Folge allmählich in l übergehen, so wäre das um nichts klarer; denn die Glieder der Folge sind eben niemals 1; wir werden statt dessen richtiger sagen, daß der Ausdruck (n-1)/n für unendlich wachsendes n unbegrenzt gegen l strebt, und werden die Zahl l als den Grenzwert oder den Limes dieser Folge auffassen. Der Grenzwert ist also gedanklich etwas Neues, das zu dem Vorrat der wirklich in der Folge vorkommenden Zahlen hinzugefügt wird und zu diesen nur in einer bestimmten Beziehung steht. Um das anzudeuten, bedient man sich seit Cauchy der Schreibweise

              lim        ( n - 1) / n  =  1.
            n ® ¥

    Indem wir diesen Begriff des Grenzwertes ein wenig anders formulieren, gelangen wir schließlich zu derjenigen Auffassung,
    welche heute herrschend ist. Statt zu sagen, der Ausdruck (n - 1)/n  habe den Grenzwert l, kann man offenbar auch sagen, die Reihe der Zahlen 0, 1/2, 2/3, 3/4, ... unterscheide sich von l um so [< Seite 116] weniger, je weiter man sie fortsetzt, oder der Unterschied zwischen l und (n - 1)/n  werde um so kleiner, je größer die Zahl n wird.
        In der kurzen, aber äußerst prägnanten Formelsprache der Mathematik drückt man das folgendermaßen aus: die Differenz
    l - [(n-1)/n)] sinkt schließlich unter jeden noch so kleinen Wert e  hinab, das heißt es wird 1- [( n -1)/n)] < e, wofern nur n einen gewissen Betrag N übersteigt, das heißt wofern nur n > N ist.  ...
        In dieser Beziehung zwischen den Zahlen e und N spricht sich genau dieselbe Tatsache aus wie in der Aussage

              lim        ( n - 1) / n  =  1;
            n ® ¥

    sie ersetzt geradezu diese Aussage. Vergleicht man diese beiden Aussagen miteinander, so ist anfänglich nicht einzusehen, welche Vorzüge die zweite besitzen soll; man könnte eher sagen, daß sie viel komplizierter ist. Ein Umstand verleiht ihr aber einen ganz gewaltigen Vorzug: in ihr kommt vom Unendlichen nichts mehr vor; sie ist vielmehr ein System von Relationen, die sich durchaus auf endliche Größen beziehen. Aus diesem Beispiel geht nun eine Einsicht von außerordentlicher Tragweite hervor, die sich so aussprechen läßt: Wenn in einer mathematischen Aussage der Begriff »unendlich« vorkommt (im Sinne des Potential-Unendlichen), so läßt sich derselbe Sachverhalt auch durch ein System von Aussagen beschreiben, in die nur Beziehungen zwischen endlichen Zahlen eingehen. Man könnte somit den Ausdruck »unendlich« ganz aus dem Wortschatz der Mathematik verbannen, ohne damit das Geringste von dem Inhalt ihrer Sätze zu opfern. Ja man mag sogar einen eigenen Reiz daran finden, die Infinitesimalrechnung so aufzubauen, daß man dabei auch nicht ein einzigesmal, sei es mittelbar oder unmittelbar, den Begriff des Unendlichen verwendet; daß ein solcher Aufbau möglich ist, steht außer Zweifel;"

    Wallis (1616-1703) erfand den Begriff "überunendlich". [1,]
    Quelle S. 47f: Waismann, Friedrich (31970, 11936). Einführung in das mathematische Denken. München: dtv. Waismann führt aus: "Wie wenig selbst bedeutende Mathematiker die Verhältnisse überblickten, zeigt das Beispiel von Wallis (1616 - 1703), der in den negativen Zahlen 'überunendliche' Größen erblicken wollte. Er argumentierte wie folgt: Die Zahlen 1/3, 1/2, 1/1, 1/0 bilden eine wachsende Reihe; allgemein ist 1/m < 1/(m-1), für m=0 ergibt sich hieraus 1/0 < 1/-1, das heißt:   ¥ < -1. Die negativen Zahlen sind daher größer als ¥ , 'plus quam infiniti'. In Wirkllichkeit ist natürlich die Sache die, daß 1/0 kein Symbol ist, für welches eine Größenvergleichung definiert ist, so daß man die Formel 1/m < 1/(m-1) nicht auf den Fall m=0 ausdehnen darf. Klarheit erbrachte erst das 19. Jahrhundert; in Martin Ohms 'Versuch eines vollständig konsequenten Systems der Mathematik' (1822) wird zum erstenmal das Prinzip der Erweiterung des Zahlbereiches deutlich ausgesprochen. Die führende Stellung des Permanenzprinzips hat dann H. Hankel erkannt."

    Wundt, Wilhelm (1832-1920):
    Die Unendlichkeit der Welt. In: Essays, 61-87. Leipzig: Engelmann.
    "So entweicht überall der Boden unter unseren Füßen, sobald wir versuchen, den Gedanken der Unendlichkeit zu Ende zu denken." (S.66).
    Zeitliche Unendlichkeit (Aristoteles, S. 62). Räumliche Unendlichkeit (Nikolaus Cusanus, S.62). Keine Grenze des Denkens (S.62). Idee der Unendlichkeit der Welt (S. 63). Idee der Unendlichkeit führt zu  Schwierigkeiten und Widersprüchen (S.64 unten). Probleme mit Anfang und Ende (S. 64 unten). Ewigkeit (S. 65). Relkativität der Lagen im Universum (S. 65 unten). Unendlicher Regress  (S. 66). Kants Aporie, weil es ebenso so gute Argumente für die Endlichkeit wie für die Unendlichkeit der Welt  gäbe (S. 68).  Entweder endlich oder unendlich - Tertium non datur (S. 68 unten). Unendlichkeit des Wandels: Alles fließt (Heraklit S.72) . Auflösung der Widersprüche durch die Idee der werdenden Unendlichkeit (S. 72).Relativität aller Maße (S.73). Ursache und Wirkung, materielle Substanz der Körper: Materie (S.74). [wird fortgesetzt]



    Eigene Überlegungen endlich - unendlich

    Ausgangsidee:
    Endlich heißt, was Anfang und Ende im Ganzen und in Teilen hat. Unendlich heißt, was keinen Anfang oder kein Ende im Ganzen oder in Teilen hat. Für Ganzes und Teil gilt: Ganzes >= Teil, "=" für den Sonderfall, dass Teil und Ganzes zusammenfallen, der Regelfall ist Ganzes > Teil. .
        Anwendungen zur ersten Prüfung:

    • die negativen natürlichen Zahlen haben keinen Anfang, enden aber mit -1 vor 0.
    • die positiven natürlichen Zahlen haben einen Anfang bei +1 aber kein Ende.
    • die 0 markiert bei den ganzen Zahlen eine Grenze, sie ist weder negativ noch positiv. 0 als neurtales Element bei Addition oder Substraktion erscheint daher eine treffliche Bezeichnung.
    • entnimmt man den negativen oder positiven natürlichen Zahlen einen beliebigen Teil, so hat dieser Teil sowohl einen Anfang als auch ein Ende.
    • die negativen und positiven rationalen Zahlen haben im Ganzen keinen Anfang und kein Ende. Zu jeder kleinen negativen oder positiven rationalen Zahl lässt sich immer noch eine kleinere oder größere angeben. Doch wie es mit Teilen?
    • wählen wir z.B. den Teil mit Anfang 1/4  und Ende 2/4.  Dazwischen gibt es beliebig viele rationale Zahlen ohne Anfang und Ende.
    • jede irrationale Zahl hat zwar einen Anfang, aber kein Ende und zeigt formal eine Analogie zu den positiven natürlichen Zahlen, die auch einen Anfang, aber kein Ende haben.


    Abstand und Lücke Überlegungen
    Die natürlichen Zahlen sind so gedacht und konstruiert, dass es zwischen Vorgänger und Nachfolger keine Lücke gibt. Vorgänger und Nachfolger sind sozusagen lückenlos aneinandergereiht oder miteinander verbunden. Darin steckt eine gewisse Paradoxie. Nach den Peano-Axiomen gibt es noch keinen Abstand. Alles, was wir mit ihnen wissen, ist die Ordnungsfolge. Weitergedacht "weiß" jeder, dass der Abstand zwischen 1 und 2 eins beträgt. Es gibt also zwischen zwei aufeinanderfolgenden positiven natürlichen Zahlen keine Lücke, aber den Abstand 1. Zwischen 5 und 8 gibt es keine Lücke, aber den Abstand 3. Wie kann man sich das anschaulich vorstellen?
     
    Erläuternde Bemerkungen: 

    Beide Abbildungen a) und b) können als gleiche positive natürliche Zahlenfolge 1-8 interpretiert werden, obwohl zwei ganz verschiedene Modelle vorliegen: a) ohne Lücken, b) mit Lücken, die hier mit Einser-Einheiten gewählt wurden. 

    Interpretiert man die Lücken als Abstände, entsteht ein Modell von Rangzahlen. Die Ränge 1-8 zeigen je nach Interpretation unterschiedliche Abstände.
    Oben ist der Abstand zwischen 1 und 5 vier. Unten ist der Abstand zwischen 1 und der 5 zugeordneten 10 neun. Im allgemeinen sind bei Rangwerten die Abstände nicht definiert, nur die Größenordnung. Das wird in der mathematischen Statistik meist missachtet und falsch gemacht, wenn etwa von Noten Mittelwerte gebildet oder in Rangstatistiken die Rangzahlen wie Intervallzahlen behandelt werden. 

    Die Veranschaulichung in Abbildung a) legt nahe, die natürlichen Zahlen nicht als diskrete Zahlen, sondern als Intervalle zu interpretieren. Wobei in dieser Konstruktion der Abstand von Intervallmitte zu Intervallmitte jeweils eine Einheit, 1, beträgt. 
     


    Lexika: (Quellen und Zitate) > Allgemeine Bibliographie Mathe Lexika, Wörterbücher, Glossare.
    * Der kleine Duden Mathematik * dtv-Atlas zur Mathematik * Lexikon der Schulmathematik * Das Fischer Lexikon Mathematik *  Mathematik Lexikon (10.Kl.) * Mathematisches Wörterbuch. I. u. II [Naas & Schmid] * Fachlexikon ABC Mathematik 1978 * Meschkowski: Mathematisches Begriffswörterbuch 1966 * Wörterbuch der Logik * The Penguin Dictionary of Mathematics *
        Externe Links:  * Infinite in: Hutton, Charles (1795)  * Infinity in: Mathworld wolfram.com *


    Der kleine Duden Mathematik (1986, S. 429). Bearbeitet von Dipl. Math. Hermann Engesser. Mannheimn: BI.
    "unendlich. Eine Menge heißt unendlich, wenn sie zu einer echten > Teilmenge gleichmächtig ist: Die Menge der |N der natürlichen Zahlen ist unendlich, denn sie ist gleichmächtig zur Menge aller geraden natürlichen Zahlen. Weitere Beispiele für unendliche Mengen sind: |Z (Menge der ganzen Zahlen), |Q (Menge der rationalen Zahlen) und |R (Menge der reellen Zahlen). Es gibt keine 'Zahl' namens unendlich, etwa mit dem Symbol oo bezeichnet, auch wenn man manchmal Ausdrücke wie 1/0 »» oo liest. Das Symbol oo verwendet man in der Analysis bei Grenzübergängen (< Grenzwert). Man spricht auch von unendlichen >Folgen und unendlichen >Reihen."


    dtv-Atlas zur Mathematik. Reinhardt, Fritz & Soeder, Heinrich (5.A. 1982, Bd. I, S. 19).



    Lexikon der Schulmathematik. Athen & Bruhn (1994, Hrsg.). [Lizenz] Studienausgabe. Augsburg: Weltbildverlag.
        Potentiell unendlich Eintrag: "Potentiell unendlich »» der Möglichkeit nach unendlich, Gegensatz zu aktual unendlich. Wer nur das potentiell Unendliche (gegenüber dem aktual Unendlichen) anerkennt, ist in logischer Hinsicht vorsichtiger (-> unendlich, -> konstruktive Mathematik). [Bd. 3, S. 790) von H. Gorenflo].

        Unendlich Eintrag [Bd. 4, S. 1103 von B. Reimers.]


    Das Fischer Lexikon Mathematik. Bd.1 (1964), Bd. 2 (1967).
    In beiden Bänden findet sich im Sachregister merkwürdigerweise kein Eintrag zu "unendlich" oder eine Definition der unendlich-Begriffe, wohl aber Einträge zum "Unendlichkeitsaxiom" [Bd.1.: S. 231; Bd. 2.: S. 226].


    Mathematik Lexikon. [1994; 10. Klasse]
    Meersmann, Willy (21994, Hrsg.). Mathematik Lexikon. Begriffe, Definitionen und Zusammenhänge. Berlin: Cornelsen Scriptor. Anmerkung: Auf der Rückseite wird spezifiziert: "mehr als 1000 Begriffe, Definitionen, Gesetze und Zusammenhänge - alles, was in den Lehrplänen bis Klasse 10 verlangt wird." Das Lexikon ist also insofern besonders wertvoll, weil es für das Wissen der Mittelstufe der Schulmathematik ausgewiesen ist. S. 267:
    "Unendlich
    Tante Mathilde, sagt Conny, 'wie würdest du jemanden erklären, was man darunter in der Mathematik versteht?'
        'Wir machen ein Spiel', meinte die Tante, 'bei dem du eine Zahl nennst, und ich mit einer Zahl antworte. Die höhere Zahl gewinnt.' Conny nennt die Zahl 100, die Tante antwortet mit 101. Sofort sagt Conny: 'Du gewinnst ja immer, weil es immer eine größere Zahl gibt als die, die ich nenne'.
        'Genau das ist es. Es gibt keine größte natürliche Zahl, die Menge der natürlichen Zahlen hat unendlich viele Elemente.'
    'Dann ist doch unendlich die größte Zahl', sagt Conny.
        Tante Mathilde stellt richtig: 'Unendlich ist keine Zahl, sondern lediglich eine Eigenschaft von Mengen, die angibt, daß die Anzahl ihrer Elemente nicht durch eine natürliche Zahl angegeben werden kann. Entsprechend ist das Zeichen 'oo' , das du sicher schon einmal gesehen hast, nur ein Symbol und kein Zahlzeichen.'
        Der Begriff 'unendlich' taucht sehr oft in der Mathematik auf. Um einige Beispiele zu nennen: Nichtabbrechende (periodische)  Dezimalbrüche. Anzahl der Punkte auf einer Geraden. Lösungsmengen von > Ungleichungen mit unendlich vielen Elementen usw."


    Mathematisches Wörterbuch. I. u. II [Naas & Schmid]
    Naas, J. & Schmid, H.L. (1972f, Hrsg.). Mathematisches Wörterbuch mit Einbeziehung der theoretischen Physik Berlin und Leipzig: Akademie und Teubner. Im 2. Bd. verweist der Eintrag "unendlich" auf "1. Transfinit. 2. Unendlich ferner Punkt." Ansonsten gibt es einige spezifizierte Einträge (">" =: Querverweis):

    • "Unendliche ferne Punkte, unendlich ferne Gerade, >uneigentliche Punkte."
    • "Unendlich groß > Nullfolge."
    • "Unendlich großes Element > Archimedisch angeordneter Ring (Körper)."
    • "Unendliche Induktion > omega-vollständig."
    • "Unendlichkeitsaxiom. 1. Im Stufenkalkül (>Axiomatischer Aufbau der Mengenlehre): Es gibt eine unendliche Menge erster Stufe. 2. Für den stufenfreien Aufbau der Mengenlehre: Es gibt eine Menge U mit: a) Die Nullmenge ist Element von U. b) Wenn A e U, so {A} in U, wobei {A} die aus dem Element A bestehende Menge ist."
    • "Unendlich klein > Nullfolge."
    • "Unendlich kleines Element > > Archimedisch angeordneter Ring (Körper)."
    • "Unendlich lineares Gleichungssystem. ..."
    • "Unendliche Systeme von Differentialgleichungen. ..."
    "Transfinit (unendlich) heißt eine >Menge, ihre >Kardinalzahl und, wenn eine Relation1 in ihr gegeben ist, ihr >Relationstyp, sofern sie nicht endlich ist.
        Kritische Anmerkung: Hier ist ein "Buchbinder-Wanninger-System" einer unüberschaubaren Wanderung von Begriff zu Begriff, von Eintrag zu Eintrag ziemlich 'gut gelöst'. Die Definition der unendlichen Menge als eine, die nicht endlich ist, erscheint auch nicht überzeugend [eine Frau ist, was kein  Mann ist, aber: Zwitter! ].


    Fachlexikon ABC Mathematik 1978
    Gellert, W.; Kästner, H. & Neuber, S. (1978, Hrsg.). Fachlexikon ABC Mathematik. Frankfurt: Deutsch. [ " * " =: Querverweis]
    Obwohl 624 Seiten umfassend enthält es gar keinen eigenen unendlich-Eintrag, sondern folgende Spezfikationen:
    "Unendliche ferne Elemente svw. uneigentliche Elemente.
    Unendlichkeitsaxiom *Mengenlehre II.
    Unendlichkeitsstelle *Kurvendiskussion II.2., *Stetigkeit II.2."


    Meschkowski: Mathematisches Begriffswörterbuch 1966
    Meschkowski, Herbert (1966). Mathematisches Begriffswörterbuch. Mannheim: BI. Meschkowski bietet hier keinen eigenen Eintrag zum Thema "unendlich" an, aber folgende Stichworte: "unendliche Gruppe, unendliche Körpererweiterung, unendliche Reihe, unendliches Produkt, unendlich ferner Punkt." Das Thema spielt aber in vielen seiner Bücher eine Rolle, das "Aktual Unendliche" erhält sogar einen eigenen Abschnitt 3 im fünften Kapitel seiner Cantor-Biographie (Mannheim: BI, 1983, S. 64-67).



    Wörterbuch der Logik.
    Unendlichkeit, aktuale (S. 493): "Begriff der abgeschlossenen Unendlichkeit, d. h. einer Unendlichkeit, deren sämtliche Elemente gegeben sind, von der Nichtabgeschlossenheit des Bildungsprozesses einer unendlichen Menge wird dabei abstrahiert. Die klassische Mathematik und die klassische formale Logik verwenden der Begriff der a.n U. seit dem 6. bis 5. Jh. v. u.Z. Die Abstraktion der a.n U. wird als eine stärkere Idealisierung als die Abstraktion der potentiellen Unendlichkeit betrachtet (t abstrahieren IV.). Bei der a.n U. wird mit unendlichen Gesamtheiten, z. B. Mengen, wie mit endlichen Gesamtheiten operiert, deren Elemente alle gleichsam irgendwie fixiert werden können, z. B. mit Hilfe einer abgeschlossenen Liste ihrer Elemente. Es werden dabei [>494] alle Gesetze der formalen Logik, einschließlich dem Satzvom ausgeschlossenen Dritten verwendet, dessen Anwendung auf unendliche Gesamtheiten von den Anhängern der konstruktiven Logik und Mathematik abgelehnt wird."
    Unendlichkeit, potentielle (S. 494): "eine unendliche Menge von Möglichkeiten, von denen jede einzelne wie auch jede endliche Anzahl von ihnen realisierbar ist, die aber alle zusammen nicht realisierbar sind. Die p. U. ist eine werdende, sich entfaltende aber nicht abgeschlossene Unendlichkeit, da sie kein letztes, abschließendes Element hat. Als Beispiel für eine Realisierung des Begriffs p. U. kann man die unendliche Reihe der natürlichen Zahlen 0, l, 2,..., n,... anführen, die durch aufeinanderfolgendes Hinzufügen der Eins zu der im vorausgehenden Schritt erhaltenen Zahl gewonnen wird. Die Null ist dabei die Ausgangszahl. Bei der Bildung der p. U. wird der reale Prozeß stark idealisiert. Die Ergebnisse der von dieser Abstraktion ausgehenden Theorien werden bei der Lösung praktischer Aufgaben erfolgreich angewendet. -  S. a. abstrahieren IV."
    Unendlichkeitsaxiom: Axiom der Mengenlehre (> Menge), das die Existenz einer unendlichen Menge (< Menge, unendliche) sichert.(S. 494):



    The Penguin Dictionary of Mathematics
    Daintith, John & Nelson, R. D. (1989, Ed.). The Penguin Dictionary of Mathematics. Harmondsworth: Penguin. Page 173f (" * " Querverweis; Symbol Zeichensatz sollte geladen sein ):

        "infinity Symbol: oo. The idea of something that is unlimited, in the sense of being greater than any fixed bound. It arises in mathematics in various ways:
        (1)  In limits. For example, the function y = l/x, for positive values of x, becomes larger as x decreases. In the limit as x tends to zero, y tends to infinity (y ®¥). This means that for any number C greater than zero, there is a number a > 0 such that y > C when 0 < x < a. Similarly, for negative values of  it can be said that y < -C when -a < x < 0, in which case y approaches -¥ as x ® 0. When y ® +¥ it is said to become positively infinite and when y ® ¥ jt becomes negatively infinite. Ideas of infinity in limits date back to Zeno of Elea (5th century BC) and Eudoxus of Cnidus (4th century BC). The symbol oo for infinity was introduced by John Wallis in 1655.
        (2) In geometry. Infinity is regarded as a 'location': for example, parallel lines can be said to intersect at a point at infinity; parallel planes at a line at infinity. The asymptote to a curve can be regarded as [< p. 173] intersecting the curve at infinity. The idea of infinity as a location was introduced by Johann Kepler, who pointed out that a parabola could be regarded as an ellipse or a hyperbola with one focus at infinity. The idea was developed by Girard Desargues in his formulation of *projective geometry, which assumed the existence of an ideal point at infinity.
        (3) In set theory. See infinite set; Cantor's theory of sets.                                              I

       "infinite set A *set that is not finite; i.e. one that can be put into a *one-to-one correspondence with a proper *subset of itself. The set of natural numbers is infinite because it can be put into a one-to-one correspondence with a proper subset of itself; e.g. the set of even numbers. Infinite sets are either 'countable (like the set of natural numbers) or uncountable (like the set of irrational numbers). See cardinal number."

        "Cantor's theory of sets A theory of sets developed by Georg Cantor in 1874. Dedekind bad earlier defined an *infinite set as a set S that can be put into *one-to-one correspondence with a proper subset of S. Unlike Dedekind, Cantor realized that not all infinite sets are the same. He showed that the rational numbers are countable — i.e. they can be put into one-to-one correspondence with the positive integers (they have *ardinal number aleph-null, [sign]). He also showed that the algebraic numbers are countable. However, the set of all real numbers (algebraic plus transcendental) cannot be put into one-to-one correspondence with the positive integers. This infinite set has a higher cardinal number (c). In this way, Cantor built up a theory of transfinite sets. He showed, for instance, that the set of subsets of a set always has a higher cardinal number than that of the set itself, and consequently that there is an infinite number of these transfinite numbers. Cantor also developed an arithmetic of transfinite *ordinal numbers.
    cap The symbol n, used to denote the 'intersection of two sets A and B, as in A n B. Compare cup."



    Infinite in: Hutton, Charles (1795). A Mathematical and Philosphical Dictionary.

    ***



    Anmerkungen/ Endnoten
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    Unendlich im gewöhnlichen Sprachgebrauch nach Cranz (1895): [g e s p e r r t bei Cranz hier fett]
        "1) Im vulgären Sprachgebrauch ist uns der Begriff »unendlich« ein sehr geläufiger; wir sprechen von »unendlicher Geduld«, »unendlicher Langmuth«, »unendlicher Liebe und Allmacht«; nennen die Zahl der Sterne am Himmelsgewölbe, die Zahl der Tropfen irn Meere »unendlich«; bezeichnen die Masse eines Staubtheilchens gegenüber derjenigen der Erde, die Masse der Erde gegenüber der Stoffmenge im Milchstraßensysteme als »unendlich klein«; lassen ein Meteor »in die Unendlichkeit sich verlieren« und speculiren über die »Unendlichkeit« von Raum, Zeit und Stoff.
        Durchweg ist uns hier unendlich = jedes Messen und Zählen ausschließend; es ist ein mehr oder weniger unbestimmter Begriff, der lediglich die Unmöglichkeit, ein bestimmtes Denkobject als messbare Größe, in angebbarer Zahl zu fassen, mit einer in Gedanken ausgeführten Theilung oder Summirung je zu einem logischen Abschluss zu gelangen, andeutet.
        Offenbar dieselbe Bedeutung des Unendlichkeitsbegriffs liegt vor, wenn der Mathematiker lehrt, dass durch eine Gerade unendlich viele Ebenen zu legen sind, auf einer Geraden in einem Funkt unendlich viele Geraden senkrecht stehen, eine Gerade unendlich viele Punkte, eine Ebene unendlich viele Geraden etc. beherberge, dass eine Aufgabe unendlich viele Lösungen zulasse, die Reihe der natürlichen Zahlen unendlich sei u. s. f.
        Nur um mich des Oefteren kurz ausdrücken zu können und doch keinen neuen Namen oder kein neues Zeichen einführen zu müssen, will ich im Folgenden diesen eben erwähnten Begriff des Unendlichen (== Zahl und Maß ausschließend] denjenigen des gewöhnlichen Sprachgebrauchs nennen.
        Eine andere Bedeutung des Unendlichkeitsbegriffs tritt uns da entgegen, wo in der reinen und angewandten Mathematik von einer Summe von unendlich vielen Gliedern oder kurz von einer »unend[>3]lichen Summe«, ebenso einem »unendlichen Product oder Kettenbruch, ferner einer »unendlich kleinen Differenz«, einem »unendlich kleinen Abstand« zweier Punkte, einem »unendlich kleinen Zuwachs« etc. einer Strecke, einer Fläche, eines Körpers, kurz von einem »Differential« die Rede ist, oder wo in der neueren Geometrie der »unendlich ferne Punkt einer Geraden, die »unendlich ferne Gerade« einer Ebene etc. zur Verwendung kommen. Hier ist der Unendlichkeitsbegriff ein bestimmterer: denn es handelt sich, wie wir sehen werden, lediglich um Ermittelung von Grenzwerthen variabler Größen bez. Grenzlagen von veränderlich gedachten Lagen. In einer solchen Wortverbindung wie z. B. »unendliche Summe«, »unendlich ferner Punkt einer Geraden« ist die Eigenschaftsbestimmung »unendlich« vom Mathematiker dem gewöhnlichen Sprachgebrauch entlehnt; wir erkennen, dass uns nichts hindert, die Additionen

    1/2 + 1/4,   1/2 + 1/4 + 1/8,   1/2 + 1/4 + 1/8 + 1/16

    fortzusetzen, sobald wir das Gesetz erkannt haben, und dass wir mit der Addition niemals zu Ende kommen würden. Allein, wenn der Mathematiker nach dem Werthe dieser »unendlichen- Summe« fragt, so versteht er darunter einen ganz bestimmten positiven Begriff — ähnlich, wie etwa der Physiker mit dem Begriff der »Empfindlichkeit« einer Waage ein ganz bestimmtes Verhaltniss im Auge hat, wenn auch das Wort Empfindlichkeit dem vulgären Sprachgebrauch entlehnt ist —; der Mathematiker will mit dieser Wortverbindung nicht andeuten, dass jedes Maß und jede Zahl hier ausgeschlossen sei, sondern er fragt nach einem Grenzwerth.
        Folglich handelt es sich in der Mathematik bei Anwendung der erwähnten Wortverbindungen in der That um einen andern Begriff von Unendlich, dessen wahre Bedeutung wir im Folgenden discutiren werden. In diesen Fällen will ich — ebenfalls nur der Kürze halber — von dem Unendlichen als dem Grenzwerth-Unendlichen oder dem sogen, mathematischen Unendlich sprechen."
     


    Querverweise
    Standort: Unendlich ...
    *
    * Materialien zur Kontroverse um "das" Unendliche *
     * Cantor-Probleme. Unklarheiten, Paradoxes, Widersprüchliches mit Zählen, Anzahlen und den Mächtigkeiten im Endlich-Unendlichen aus der Sicht eines mathematischen Laien. * Alles und Jeder *
    * Naleph-Phantasien: Wie oder was zählen wir eigentlich? *

    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Unendlich. Vorstellungen, Metaphern, Analogien, Begriffe, Kennzeichnungen, Definitionen. Materialien zur Kontroverse um "das" Unendliche. Abteilung Geschichte der Wissenschaften, Bereich Mathematik. Internet Publikation - General and Integrative Psychotherapy. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/wisms/geswis/mathe/ubegr0.htm
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    Änderungen - wird unregelmäßig überarbeitet, kleine Änderungen werden nicht extra dokumentiert
    30.08.15    Linkfehler geprüft und korrigiert.
    10.12.11    Eigene Überlegungen.
    23.01.06    Cranzens "Das Grenzwert-Unendliche" als weitere Grundbedeutung eingeführt * Alle und Jeder *
    27.11.04    Link:  Naleph-Phantasien: Wie oder was zählen wir eigentlich?  * Wallis nach Waismann ausgeführt *
    14.11.10    Anmerkung Cantor und Dedekind: Dies widerspricht Euklid VIII: "Das Ganze ist größer als sein Teil.".
    13.11.04    Auswertung Fachlexikon ABC Mathematik. Meschkowski: Mathematisches Begriffswörterbuch.
    12.11.04    Weitere Quellenaufnahmen. Ausführungen Wörterbuch der Logik, Penguin Dictionary of Mathematics. Link  "alle". Waismann: Grenzwert, potentiell, aktual unendlich.
    10.11.04    Mathematik Lexikon [1994, 10. Klasse]. Mathematisches Wörterbuch. I. u. II [Naas & Schmid]
    09.11.04    Anmerkung zu  Cantor und Dedekind. Literaturquelle Wörterbuch der Logik. Fischer Lexikon Mathematik.
    07.11.04    Link Cantor-Probleme.
    24.10.04    Nachträge Lexika. Formalisierungsansatz für potentiell unendlich.