Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=05.09.2001 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 31.01.20
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen Mail:_sekretariat@sgipt.org_

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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Medizinische Psychosomatik, Psychopathologie und Psychiatrie, hier zum Thema Zwang und Zwangsmaßnahmen, Betreuung und Unterbringung, und hier speziell zu.:

    Ludwig II., Liebe und Sexualität - War Ludwig II. homosexuell?


        Überblick:

    • Allgemeine Bemerkungen zur Homosexualität
      • Merke Grundwissen Homosexualität
      • Zum Norm-Zahlen Fetischismus
    • Ludwig II. und die Sexualität
      • Zusammenhang Schizophrenie und Homosexualität
      • Hypothesen
      • Diskussion der Hypothesen
      • Zusammenfassung  Mit neuer Ergänzung 5.9.0
    • Meinungen zu Ludwig II. und die (Homo) Sexualität
      • aus: Moll, A. (1910). Berühmte Homosexuelle
      • Folgerungen aus den 27 von Holzschuh ersteigerten Briefen Ludwigs II
    • Ludwig II. und die Frauen (In Ausarbeitung)
    • Ludwig II. und die Liebe (In Ausarbeitung)



    Allgemeine Bemerkungen  zur Homosexualität:
     
    Zunächst sei vermerkt, daß Homosexualität weder eine Krankeit noch eine Störung ist. Sie ist in den meisten Fällen eine ganz normale Variante oder 'Laune' der Natur. Leider sah man dies zu König Ludwigs II. Zeiten und noch lange danach sehr vorurteilsvoll und entwertend, woran die Psychoanalyse und ihre Science Fiction (Sexual)- Psychopathologie, allen voran Sigmund Freud, erzkonservative Kreise, die christlichen Kirchen und in Deutschland besonders auch der Nationalsozialismus und das dritte Reich großen Anteil haben. Obwohl die American Psychiatric Association (APA) 'bereits' 1974 Homosexualität als krankhafte seelische Störung strich, dauerte es noch bis 1991(!), bis sich die fundierte und faire Auffassung auch in der Internationalen Klassifikation - hier: seelischer - Störungen, im ICD durchsetzte. Inzwischen sind homosexuelle Paare heiratsfähig geworden. Eine sehr erfreuliche Entwicklung, die nachzuvollziehen, sich das erzkonservative Bayern offenbar immer noch schwer tut, während die Konkubinen der Priester und Bischöfe wie auch der sexuelle Mißbrauch von Kindern in kirchlich- katholischen Kreisen und auch nicht wenige chaotischen Familien- und Partnerschaftsverhältnissen 'unserer' PolitkerInnen allgemein "tolerante" Verschwiegenheit findet. Die Doppelmoral scheint wohl eine besondere höhere Tochter von Mutter Kirche und Väterchen Politik. 
    Merke: Homosexualität ist meist eine ganz normale und natürliche Variante der Natur. Krankmachend ist die Unterdrückung, Abwertung und Ausgrenzung homosexueller Menschen. Und möglicherweise sind diejenigen, die das meinen tun zu müssen, eher krank zu nennen.
    Die Mehrheit ist nur eine statistische Norm und das besagt inhaltlich überhaupt nichts. Napoleon hatte eine Puls- Frequenz von 40. Es "ist" aber 70 "normal" - hatte das irgendeine Bedeutung? Natürlich nicht. Was soll der "Zahlen-Normal"- Unsinn also?


    Ludwig II. und die Sexualität

    Wir wissen naturgemäß relativ wenig über Ludwigs. II sexuelle Organisation und Verfassung, so daß es nicht ganz einfach ist, hier eine solide Meinung zu begründen. Man kann natürlich fragen: Ist es überhaupt von Bedeutung, zu wissen, welche sexuellen Probleme Ludwig II. hatte oder ob Ludwig II. homosexuell war oder nicht?
    Psychologisch- Psychopathologisch ist diese Frage auf jeden Fall zu bejahen, weil die Hypothese einer unterdrückten und nicht gelebten (Homo) Sexualität mit seiner persönlichen Leidensgeschichte und seiner multiplen (vielfältigen) psychischen Erkrankung in engen Zusammenhang stehen könnte. Es sieht nämlich auch danach aus, daß es einen Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Homosexualität gibt, hierzu zitieren wir Erichsen, Freerk:

    Zusammenhang Schizophrenie und Homosexualität

         "E. BLEULER (1911) stimmte der Freudschen Beobachtung zu, dass  bei der Mehrzahl der paranoiden Schizophrenen bei sorgfaltiger Untersuchung homosexuelle Komponenten gefunden werden. [<S. 19; >S. 20]  ... 
          In späterer Zeit wurde von verschiedenen Autoren auf methodisch unterschiedliche Weise die relative Häufigkeit homosexueller Tendenzen bei paranoiden Schizophrenien bestätigt. MOORE und SELZER (1963) verglichen 128 paranoid-schizophrene Männer mit 77 nichtparanoiden Schizophrenen, wobei erstere in 61%, letztere in 30% der Fälle homosexuelle Tendenzen zeigten. Auch bei unterschiedlicher Abgrenzung des Kriteriums "homosexuelle Tendenz" wurde deren Überwiegen bei paranoiden Schizophrenen bestätigt. LINDINGER (1963/1964) erfasste mit seinem weiteren Begriff von Homosexualität, der ausser manifesten homosexuellen Beziehungen und Neigungen auch latente homosexuelle Andeutungen einschliesst, die "dem Patienten nicht bewusst aber als für die psychisch- dynamische Entwicklung bedeutsam eindeutig feststellbar" waren (S. 344), natürlich einen höheren Prozentsatz mit homosexuellen Tendenzen (bei 65 paranoid- schizophrenen Männern in 84,5%, bei nichtparanoid- schizophrenen in 60% der Fälle) als z. B. LOSSAGK (196S), der "bewusst auf analytische Gesichtspunkte" verzichtete (S.19) und latente homosexuelle Tendenzen (bei LINDINGER die grösste Gruppe) unberücksichtigt liess. So fand LOSSAGK bei 67 paranoid- schizophrenen Mannern nur in 25,4%, bei 33 nichtparanoiden Schizophrenen in 6,1% homosexuelle Hinweise.
         Mit experimentellen Methoden konnten diese Ergebnisse unterstützt werden. DASTON (1956) präsentierte Gruppen von gesunden, paranoid- schizophrenen und nichtparanoid- schizophrenen Männern im Tachistoskop Wörter, die einen homosexuellen, heterosexuellen oder neutralen Inhalt nahelegten. Die Paranoiden hatten eine signifikant niedrigere Wahrnehmungsschwelle für homosexuelle Wörter als die Vergleichsgruppen. ZAMANSKY (1958) legte 20 paranoiden und 20 nichtparanoiden Schizophrenen Bilder mit männlich- weiblichen Paaren vor, bei denen Grössendifferenzen abzuschätzen waren. Die Paranoid- Schizophrenen beanspruchten sigmfikant mehr Zeit beim Ansehen der Männer als die Kontrollgruppe. STERNLOF (1964) liess Stereogramme, die fusionierte Bilder von Männern und Frauen zeigten, von mänulichen Paranoid-Schizophrenen und Depressiven durch ein Telebinokular beurteilen. Erstere erkannten in den fusionierten Bildern mehr Manner, letztere mehr Frauen. [<S. 20] 
        Auch testpsychologisch wurde versucht, den Zusammenhang zwischen paranoider Schizophrenie und Homosexualität zu klären. WHEELER (1949) und ARONSON (1952) registrierten mit Hilfe des Rorschach-Verfahrens bei paranoiden Patienten eine grössere Anzahl von homosexuellen Zügen als bei nichtparanciden und Gesunden. CHAPMAN und REESES (1953) Ergebnisse, ebenfalls mit dem Rorschachtest gewonnen, unterstützen die Annahme, dass der Patient während der schizophrenen Psychose eine Periode durchläuft, in der homosexuelle Wünsche relevant werden.
        Unter Anwendung standardisierter Fragebögen wurde die erhöhte Identifizierung Paranoider belegt. Mit der Terman-MilesSkala für maskuline und feminine Interessen prüften PAGE und WARKEN (1938) normale, paranoide und homosexuelle Männer. Paranoide bejahten signifikant mehr Items, die für weibliche Interessen sprachen, als die Kontrollgruppen. MUSIKER (1952) bestätigte die bevorzugte weibliche Orientierung Paranoid-Schizophrener bei einem Vergleich von 29 männlichen paranoiden Schizophrenen mit einer Gruppe nichtparanoider Schizophrener bei Anwendung der Terman-Miles-Skala und des Frank-RosenTests, der ebenfalls die männliche bzw. weibliche Orientierung zu prüfen versucht.
         FREUD (1911) brachte als kasuistischen Beleg für seine Auffassung, dass dem paranoiden Mechanismus eine homosexuelle Triebabwehr zugrundeliegt, die Analyse des Falles Schreber. Frühzeitig allerdings hatte sich FREUD von der praktischen Arbeit mit Schizophrenen abgewandt, wie er 1906 in einem Brief an JUNG schrieb: "Meine Erfahrung wird auf diesem Gebiet freilich dünn" [Fußnote: Siehe bei McGUIRE, W. und W. SAUERLÄNDER (1974),  Sigmund Freud - C. G. Jung - Briefwechsel. Frankfurt: Fischer, S. 13.] So ist es verständlich, wenn er selbst seine Hypothese nicht mehr modifizieren konnte.
         Liegen dem paranoiden Mechanismus in jedem Fall homosexuelle Tendenzen zugrunde (FREUD, 1911), müsste der Verfolger bei männlichen Kranken ausnahmslos ein Mann sein und bei weiblichen Kranken eine Frau. Diese Voraussetzung ist zwar nach Untersuchungen von KLAF und DAVIS (1960) bei Männern weitgehend erfüllt, lässt sich jedoch bei Frauen in der Regel nicht [<21] nachweisen. KLEIN und HORWITZ (1949) untersuchten 40 weibliche und 40 männliche Paranoide bzw. Paranoid-Schizophrene 70% der Frauen und 80% der Männer hatten als erste und wesentliche Verfolgungsperson einen Mann. KLAF (1961) fand bei der Durchsicht der Krankengeschichten von 75 paranoid- schizophrenen Patientinnen 61,3% mit einem männlichen und 26,7% mit einem weiblichen Verfolger. In 12% der Fälle waren es Verfolger beiderlei Geschlechts. Diese Ergebnisse lassen die FREUDsche Hypothese über den Zusammenhang von Wahn und Homosexualität zumindest für Frauen als unbefriedigend erscheinen Die empirische Bestätigung für Männer ist ebenfalls nicht eindeutig. Das forderte uns zu einer eigenen klinischen Durchleuchtung des Phänomens heraus. Diese wiederum setzt die Kenntnis der klinischen Symptomatik bei Männern und Frauen und deren Begründung in den wichtigsten Objektbeziehungen (meistens Eltern) voraus. Wir stützen uns dabei auf 525 Schizophrene (259 Männer und 266 Frauen), die in der Zeit von 1970-1973 an der Universitäts- Nervenklinik Tübingen stationär behandelt wurden Von ihnen zeigten 43 Männer (16,60 und 4 Frauen (1,5%) homosexuelle Auffälligkeiten (latente Homosexualität im Sinne von LINDINGER, siehe oben, nicht einbezogen)." 

    Es ist nicht bekannt, ob Ludwig II. eine sexuelle Beziehung zu einer Frau - oder mehreren Frauen wie sein Großvater Ludwig I. - pflegte oder suchte. Nach seiner kurzen Verlobungszeit, deren Lösung mit mangelnder Liebe begründet wird, sind keine weiteren partnerschaftlich anmutenden Beziehungen bekannt geworden. Es sieht danach aus, als ob Ludwig. II keinerlei sexuelle Wünsche und Bedürfnisse gegenüber Frauen hegte. Das muß noch nicht heißen, daß er homosexuell war, was ihm aus heutiger Sicht natürlich in keinerlei Weise negativ auszulegen wäre. Zeigt ein Mann (Frau, Mensch) keine sexuellen Bedürfnisse, so sind - streng genommen - folgende Hypothesen zu prüfen:

    Hypothesen:

    • 1. Hypothese Bedürfsnismangel: Es gibt Menschen, die haben - u. U. angeboren - keine oder nur wenig sexuelle Bedüfnisse.
    • 2. Hypothese Schüchtern: Es gibt Menschen, die sind so schüchtern und verklemmt, daß sie ihre sexuellen Wünsche und Bedürfnisse kaum wahrnehmen und infolgedessen sich schon erst recht nicht zu leben getrauen. Dies wird häufig religiöse oder erzieherische Gründe haben, was aber nicht sein muß. Bei Männern können auch sexuelle Störungen wie Ejaculatio praecox (vorzeitiger Samenerguß) oder Erektionsmängel zu einer sekundären Scheu und Schüchternheit führen, aus Angst vor Blamage und Versagen (hier gibt es dann aber meist Vorerfahrungen).
    • 3. Hypothese homosexuelle Orientierung
    • 4. Hypothese Abweichung: Es gibt Menschen, die leben ihre sexuellen Bedürfnisse abweichend (Ersatz, Ausgleich, Wandlung) aus:
      • 4.1 Direkte Abweichung: Fetischismus, Exibitionismus, Voyeurismus,  Sado-masochistische Varianten, Pädophilie, Sodomie, ausschließliche Beschränkung auf  Selbstbefriedigung u.a.
      • 4.2 Indirekte Abweichung im allgemeinen als "normal" bewertet (meist weil nur schwer erkennbar): Sublimierung (Ersatz, Ausgleich) durch Arbeit, Besitz, Karriere, Geld, Macht, Ruhm, Hobbies, Sammeln, überwertige Ideen und Strebungen im Grenzbereich bis hin zur Störung.
      • 4.3 Indirekte gestörte Abweichung: Sucht (Genuß, Essen, Alkohol, Rauschgift, Medikamente)
    • 5. Hypothese: Sonstige, bislang unbekannte, Möglichkeiten

    •  
    Diskussion: Aus den Tagebüchern, sofern wir ihnen trauen dürfen, folgt mit ziemlicher Sicherheit eine starke Problematik mit der Selbstbefriedigung, die zu Ludwigs Zeiten nicht nur von der Kirche, sondern ebenso irrational und geradezu verrückt von der Mehrheit der Psychiatrie verdammt und als gesundsschädlich bis hin zur Psychose, Rückenmarkschwindsucht ect. gebrandmarkt wurde. Daraus ergibt sich mit ziemlicher Sicherheit die Verwerfung der 1. Hypothese, denn es kann nur Probleme mit der Selbstbefriedigung bekommen, wer sexuelle Wünsche und Bedürfnisse hat. Die 2. Hypothese ist durch die Biographen gut begründet: Ludwig II. war mehrfach fundiert - auch narzißtisch (= selbst der Größte, Stärkste, Tollste, Wunderbarste sein wollen) - schüchtern. Die 3. Hypothese (Homosexualität) kommt in Frage, was besonders durch seine schwärmerisch- exaltierten Beziehungen zu Männern (z.B. Varicourt, Kainz) und durch sein erotisches Desinteresse an Frauen belegt wird. Im Bereiche der Hypothese 4 finden wir in allen drei Unterpunkten  prüfenswerte Merkmale, die auf Ludwig II. und sein Leben passen: Die absolute Herrsch- und Beherrschsucht und extreme narzißtische Kränkbarkeit, wie sie sich z.B. bei Varicourt und Kainz zeigte, spricht für eine klare sadistische Komponente (4.1). Die Rauschphantasie, einen anderen Menschen vollkommen zum Roboter eigenen Willens machen zu können, mag auch etwas offen oder verhalten Erregendes (4.1) an sich haben. Nicht selten geht sexuelle Befriedigung mit Gewalt und Macht einher, wobei sie manchmal als Mittel zum Zweck dient, wie wir aus der Vergewaltigungsforschung wissen. Ein Teil der zweifellos vorhandenen Sexualität wurde im Herrschen, in der Beherrschung geeigneter Kandidaten (z.B. Varicourt, Kainz) ausgelebt (4.1) und in die romantisch- künstlerische Schaffensorgie (4.2) sublimiert. Manches spricht auch für Ersatz durch Suchtmittel (4.3); auch Alkohol soll in den späten Jahren eine größere Rolle gespielt haben. Ludwig II. war, mißt man es an seinem Wirken, ein sexuell - potentiell - sehr potenter Mann, der aber keinen Weg fand, diese Sexualität im Einklang mit seiner Persönlichkeit angemessen (ichsynton, ichgemäß) zu leben. Nach den biographischen Informationen, die mir bislang vorliegen, hat es kein coming out (= Erlebnis: ich bin homosexuell) gegeben. Seine sexuelle Potenz war eingesperrt, gefangen; sie ließ sich aber nicht unterdrücken und mußte demnach gewandelt werden. Die Flucht in den Absolutismus, in die Traum, Mythen- und Märchenwelt können auch als zunächst erfolgreicher, aber zunehmend mehr und letztlich mißglückter Selbstheilungsversuch betrachtet werden. In seiner Einsamkeit war er ein Opfer seiner einmaligen monarchistischen Stellung, die er selbst noch krankheitsfördernd bis zum Äußersten steigerte.
        Anmerkung: Zur Hypothesen-Gruppe 5 (Sonstiges) paßt womöglich, daß das große Vorbild Ludwigs II., der Sonnenkönig Ludwig XIV., mit seinem erziehenden Kardinal Mazarin homosexuellen Verkehr gehabt haben soll: Moll S. 36 schreibt: "Pierre de la Porte [1861, p. 261] berichtet in seinen Memoiren, daß Mazarin im Jahre 1652 mit dem damals 14jährigen König Ludwig XIV. nach einem Diner geschlechtlichen Verkehr ausgeübt habe." Daß Ludwig II. um diese Geschichte wußte ist wohl anzunehmen. Unter dieser Annahme wird es aber noch unverständlicher, weshalb es zu keinem coming out  kam (genauer: historischen Zeichen von coming out), zumal der Hochadel, Kardinäle und Päpste ja noch nie Schwierigkeiten hatten, ihre Abweichungen oder Ausschweifungen zu leben.

    Zusammenfassung: Sexualität Ludwig II.
    Wir wissen ziemlich sicher, daß Ludwig II. sexuelle Wünsche und Bedürfnisse hatte. Die schwärmerisch- exaltierten Beziehungen zu einigen jungen Männern (Varicurt, Kainz) und sein erotisches Desinteresse an Frauen sprechen für eine homosexuelle Hypothese. Wahrscheinlich hatte der König - wie sein Wirken nahelegt - ein starke, aber eingesperrte Sexualität, die sich nicht unterdrücken ließ und Wandlung verlangte. Diese Wandlung, die als Selbstheilungsversuch gedeutet werden kann, nahm aber im Laufe der Zeit selbst pathologische Züge an und führte  immer tiefer in die psychische Erkrankung. 

    Am 5.9.01 habe ich das Buch von Holzschuh (2001) mit den 27 Originalbriefen von Ludwig II. einsehen können. Hieraus ergibt sich ziemlich klar und unzweideutig, daß Ludwig II. ab den Jahren 1881/82 mehrfachen und vielfältigen homosexuellen Verkehr (S. 45) mit ausgesuchten jungen Männern "niederen" Standes hatte. 

    Meinungen zu Ludwig II. und die (Homo) Sexualität

    Moll, A. (1910). Berühmte Homosexuelle, S. 34-35 (fett= orig. gesperrt)
     
        "Aus neuerer Zeit nenne ich ferner Ludwig II., geboren 1845, König  von Bayern; 1864 auf den Thron gelangt, erkrankte er später an Paranoia, er wurde für regierungsunfähig erklärt und endete wenige Tage  darauf, am 13. Juni 1886, in der bekannten Katastrophe im Starnberger See durch Selbstmord. Viel besprochen war seine Abneigung gegen das weibliche Geschlecht. Es wird gelegentlich angenommen, diese Abneigung  hätte sich bei ihm durch einen übrigens nicht hinreichend verbürgten Zwischenfall während seiner Bräutigamszeit ausgebildet. Auch  Kowalewskij {Anm: Sponsel S. 139} rechnet Ludwigs Hass gegen das weibliche Geschlecht  von diesem Zeitpunkt an. Doch ist es sehr wahrscheinlich, dass schon vorher eine Abneigung bestand. Später soll jedenfalls die Prinzessin Gisela, die mit dem bayrischen Prinzen Leopold verheiratet war, die einzige  Frau gewesen sein, der er noch einige Sympathie entgegenbrachte. Seine Abneigung gegen das weibliche Geschlecht war jedenfalls so gross, dass er nicht einmal Frauen in seiner Nähe zu sehen wünschte. Anderseits war über seine Neigung zu Männern vieles schon vor seiner Geisteskrankheit bekannt. Ein Zweifel an seiner Homosexualität ist kaum berechtigt. Allerdings scheint sich diese, wie auch bei andern Personen mit feinem künstlerischem Gefühl in zweierlei Art geäussert zu haben: einmal in der  rein sinnlichen Form, bei der er, besonders in der letzten Zeit seines Lebens, anscheinend erst im Zustande der Geisteskrankheit, ganz ungebildete, sozial tiefstehende junge Männer zu sexuellem Verkehr benutzte [RS-1}, dann aber auch in der höheren Form, die sich mit seiner Kunstbegeisterung mischte und den ihr entsprechenden Personen zuwendete. Hier war alles mehr psychisch, drängte vielleicht auch gar nicht zu sexuellen Akten. Eine solche Trennung des psychischen vom somatischen Sexualleben — je nach der Individualität des Objekts — steht  durchaus im Einklang mit den Erfahrungen, die wir bei andern  Homosexuellen machen. Wie leidenschattlich sich der König zu Künstlern  hingezogen fühlte, ist durch manche in die Öffentlichkeit gekommnen Briefe bekannt worden. Manches, aber nicht alles, ist durch die Schwärmerei des begeisterten Kunst Freundes erklärbar. In einem Briefe, vom 12. Juni 1865, den Ludwig nach der Münchner Tristan - Aufführung an Richard Wagner schrieb, redet er ihn "Erhabner, göttlicher  Freund an und schliesst: "Sie und Gott! Bis in den Tod, bis hinüber nach  jenem Reiche der Weltenmacht verbleibe ich Ihr treuer Ludwig." - In einem  andern Briefe heisst es:
         "Der Gedanke an Sie erleichtert mir das Schwere in meinem Berufe; so lange Sie leben, ist auch für mieh das Leben herrlich und beglückend, O, mein Geliebter, mein Wotan soll nicht sterben müssen; er soll leben, um sich lange noch an seinen Helden zu erfreuen ! .... Wie  innig freue ich [>S.35]
    mich über die nun heranrückende Zeit, in welcher mein geliebter Freund mich einweihen wird in die Geheimnisse und Wunder seiner Kunst, welche mich stärken und wahrhaftig beseligen werden .... "
    Am 26. November 1864 schrieb er:
        "Seien Sie überzeugt, dass ich meinen Geliebten verstehe, dass ich weiss und fühle, dass er nur mehr für mich leben und schaffen will; wie ja mein eigentliches wahres Leben in ihm und durch ihn einzig und allein besteht. — Kein Schmerz, keine Wolke kann mir das Dasein trüben, wenn dieser Stern mir am Himmel strahlt; — mein Alles hängt an ihm! Sie sind mir der Teuerste auf Erden; kaum sind Sie von andern so geliebt, wie von mir. O Wonne des Gedankens, das Drama in seiner vollendetsten Form soll es werden. Mit inniger Liebe Ihr Ludwig.

         Am 1. Oktober 1864:

    "Gepriesen sei die Stunde, 
    Gepriesen sei die Nacht, 
    Die mir so holde Funde 
    Von Deiner Näh' gebracht.

    O könnt ich für Dich sterben, 
    Ersehnter heil'ger Tod, 
    Für Dich hin ins Verderben, 
    Auf mich all' Deine Not.

    Für Dich glüh' ich in Liebe, 
    Du bist mein Herr, mein All, 
    Dir weih' ich alle Triebe, 
    Dir der Begeistrung Schall.

    Heiliger, Göttlicher, segne Deinen Sohn, Dein in Ewigkeit. L."

    Am 2. November 1865 schrieb er:

       "O mein Freund, wie fürchterlich schwer macht man es uns, doch ich will nicht klagen, ich hab' ja Ihn, den Freund, den einzigen. Klagen wir nicht. trotzen wir den Launen des tückischen Tages dadurch, dass wir uns nicht beirren lassen, zieh'n wir uns zurück von der Aussenwelt, sie versteht uns nicht. "

       In der Vereinigung dieses Tones mit der auch sonst verbürgten Homosexualität des Königs Ludwig haben wir nicht ein zufälliges Zusammentreffen zu erblicken.
    Beiläufig sei bemerkt, dass nicht nur Wagner, sondern auch andre zum Teil noch lebende Künstler ähnliche Gefühle bei dem König auslösten, indem das Objekt seiner Kunstbegeisterung gleichzeitig das Objekt seiner Liebe wurde."

    Die 27 von Holzschuh am 3.9.99 ersteigerten Briefe Ludwigs II.

    Als Beleg für die m. E. klare und zweideutige homosexuelle Ausleben Ludwigs II. - nach Holzschuh ab 1881/82 der Fall - wähle ich den Brief an Karl Hesselschwerdt (Original im Faksimilie bei Holzschuh S.49):
     

      "Rasch noch diese Zeilen, lieber Karl!
      Schon im April 82 kam mir der Kunis bei Joseph schöner und größer vor als er bei Krumper früher war. Du schriebst aber, er sei so wie er bei diesem gewesen ist. Du schreibst außerdem, er wäre bei Josph etwas gewachsen. Ist das wahr, muß er ja viel sehenswerter sein als wie er bei Krumper war, nocmals also genauere Meldung.
          Sieh Dir auch auch Niebler ohne Aufsehen an. Wie ist der Heizer Nagler?

      Vorsicht stets!         Ludwig"


    Holzschuhbriefe echt?
    Hierzu erreicht uns eine kritische Stellungnahme 24.11.2009, die eine homosexuelle Deutlung obigen Briefes und die Authentizität der Holzschuhbriefe überhaupt in Frage stellt::
     

      "Sehr geehrte Damen und Herren,
      darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass laut Lexikon von 1892, es sich bei  einem Kunis nicht um das Geschlechtsteil des Mannes, sondern um die Barttracht des Mannes handelt.

      Im Geheimen Hausarchiv gibt es eine ganze Reihe von Photos mit bärtigen Männern die der König anfertigen ließ um so Vorlagen zu erhalten, die Männer auf den Bildern in Neuschwanstein so „lebendig wie möglich“ zu malen. Prinzessin Sophie berichtet wie in den 90ger Jahren immer wieder Südtiroler im Schloss nach ihrem Konterfei suchten und sich „wie die Kinder freuten“ wenn sie sich auf einem Gemälde finden konnten.

      Dass der König eine homosexuelle Veranlagung hatte steht außer Zweifel, ob allerdings die Serie an Briefen, die der Arbeit von Herrn Holzschuh zugrunde lagen echt sind, darf angezweifelt werden. Nach bezeugte Aussage aus prinzlichem Munde wurde Holstein (der Schrift und Unterschrift Ludwigs „aufs Hervorragendste“  nachmachen konnte) damit beauftragt, kompromettierende Briefe zu verfassen um so die Geisteskrankheit zu untermauern. Dies würde auch die Tatsache erklären, dass alle Briefe in genau der gleichen Art und Weise verfasst sind obwohl ansonsten kaum zwei Briefe des Königs sich ähneln."

       
    In der digitalen Bibliothek konnte ich das Wort "Kunis" nicht finden, auch nicht im Deutschen Wörterbuch (Grimm). Das erscheint mir wenigstens merkwürdig. Die Literaturangabe in der kritischen Stellungnahme ist allerdings auch nicht prüfbar, weil ungenau. Zu der Deutung des Wortes "Kunis" gibt es auch eine Internetdebatte auf der Linguistenseite "Bedeutung des Wort Kunis".





    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    __
    APA: Nicht zu verwechseln mit American Psychologic Association, ebenfalls abgekürz mit APA.

    Erichsen, Freerk (1975). Schizophrenie und Sexualität. Am Beispiel von Perversion, Scham, Eifersuchts- und Liebeswahn. Bern: Huber. Wie die meisten psychoanalytisch orentierten Arbeiten ist auch diese sehr kritisch zu sehen; jedoch weniger in der Berichterstattung - von der ich hier Gebrauch mache - als durch die Perspektive und darauf basierend eigene Aussagen betreffend. Die Psychoanalyse hat in der Beurteilung der Homosexualität schwerste wissenschaftliche, menschliche und berufsethische Fehler begangen.  So auch der Autor: S. 19 überschreibt das Kapitel mit dem Haupttiel: "Perversion und Schizophrenie" und beginnt sodann den ersten Abschnitt mit dem Titel: "A. Homosexualität und Schizophrenie", woraus sicht ergibt, daß der Autor Homosexualität offenbar für eine "Perversion" hält. 
    Großvater Ludwig I., berüchtigt durch seine Lola Montez (unten letzte Reihe, 4. von rechts nach
    links) Affäre, die zum Abdanken führte, die aber sicher nicht die einzige war, wie auch seine Galerie der schönen Frauen - 37 an der Zahl - in seiner Umgebung nahelegt, hat Königsein womöglich - wie so viele Fürsten -  in Richtung als erster 
    Liebhaber um nicht zu sagen Erster 'Hurenbock' des Landes mißverstanden. So berichtet denn auch die "Chronik Bayerns" (S. 350): "Die Ehre für die kgl. bayer. Schönheitengalerie zu posieren, ist für manche der Eingeladenen etwas riskant, und so lehnt die Mutter der Karoline Baumüller für ihre Tochter höflich ab, 'um Mißdeutungen auszuweichen'. Da hatte sich also schon einiges rumgesprochen. Marchesa Florenzi (erste Reihe, 3. von rechts nach links, soll er 2943 Briefe geschrieben haben. Von einem Sohn und einer Tochter munkelt Die Chronik Bayerns.

    Sexualität, Vergewaltigung und Machterleben: Heinrichs, J. (1986, Hg.). Vergewaltigung. Die Opfer und ihre Täter. Braunschweig: Holtzmeyer, S. 78-86, zitiert die empirischen Untersuchungen mit statistischen Daten & Tatverarbeitung bei verurteilten 60 Vergewaltigern" nach Hedlund, Eva “Ergebnisse einer Umfrage unter verurteilten Vergewaltigern” (Schweden 1980-1981, N=60). Hier bei wird mit einigen Mythen zum Thema Vergewaltigung aufgeräumt, u. a. mit der, daß es den Vergewaltigern in erster Linie um Sex gehe. Zu den Vergewaltigungsmythen, worunter man  Vorurteile und falsche Annahmen im Zusammenhang mit Vergewaltigungen versteht zählt man: Die häufigsten sind: (1) Es trifft nur sexuelle attraktive Frauen (Tatsache: es kann jede treffen); (2) die Frauen provozierten und seien teilweise selbst schuld (Tatsache: das ist ganz selten der Fall und wenn, dann immer noch keine Rechtfertigung); (3) die Täter stünden unter sexuellem Druck und hätte keine Partnerin (Tatsache: die meisten Täter habe eine Partnerin und sinnd mit dieser sexuell aktiv). (4) Es gehe um Sex (Tatsache: es geht meist um Macht und um Demütigung einer Frau, nicht selten als Ersatz- und Verschiebungshandlung).
    Der letzte Punkt 4 ist es, der uns hier als Hypothese interessiert, wobei es im Falle Ludwigs II. um die Umkehrung geht: Machtauslebung als Ersatz, Ausgleich und Wandlung unterdrückter Sexualität.



    RS-1 Für diese Behauptung bleibt Moll den - Quellen - Beleg leider schuldig, was nicht in Ordnung ist.


    Kunis =: das männliche Geschlechtsteil. {Fußnote Holzschuh}

    Querverweise
    Standort: Ludwig II., Liebe und Sexualität - War Ludwig II. homosexuell?
    *
    Überblick Forensische Psychologie.
     Überblick Ludwig II. *_Psychographie_* Zusammenfassung Entmündigung  *_Zeitgeschichte_
    Grundwissen Sexuelle Abweichungen_* Homosexualität(Info) *  Kritik der Psychoanalyse
    *
    Der psychiatrische Kenntnisstand, auf dem das Gutachten beruht
    Forensische Gutachtenregeln der damaligen Zeit (um 1870-1895)
    Verteilerseite Die Entmündigung Ludwig II. König von Bayern
    Das Problem der Geschäfts-un-fähigkeit aus heutiger forensisch-psychologischer Sicht
    Norm, Wert, Abweichung (Deviation): "Normal", "Anders", "Fehler", "Gestört", "Krank", "Verrückt"
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Forensische Psychologie site:www.sgipt.org. 
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Ludwig II., Liebe und Sexualität - War Ludwig II. homosexuell? Aus unserer Abteilung Medizinische Psychosomatik, Psychopathologie und Psychiatrie.  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/medppp/zwang/ludwig2/frauen.htm
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    kontrolliert am: noch nicht end-kontrolliert

    Änderungen - wird unregelmäßig überarbeitet, kleine Änderungen werden nicht extra dokumentiert
    14.03.15    Linkfehler geprüft (keiner), Layoutaktualisierung. Kritische Stellungnahme zu den Holzschubriefen eingehängt.