Gewahrnehmen als Wort
für den Begriff bewusstes erleben
bei Johann Nikolaus Tetens (1736-1807)
Originalrecherche von Rudolf Sponsel, Erlangen
Inhalt
Editorial.
Zusammenfassung Tetens
1777 Erster und zweiter Band gewahrnehmen als erleben.
Zusammenfassung Tetens 1777, Erster Band gewahrnehmen
als erleben.
Exkurs: Die psychologischen
Grundbegriffe bei Tetens 1777, Erster Band.
Zusammenfassung Tetens 1777, Zweiter Band gewahrnehmen
als erleben.
Fundstellen gewahrnehmen
im Kontext.
Dritter Versuch 262 Über das Gewahrnehmen
und Bewußtseyn. I. Bestimmter Begrif von dem Gewahrnehmen.
Über Tetens: Eisler
* Hehlmann * Ziegenfuss
& Jung.
Literatur, Links, Glossar,
Anmerkungen und Endnoten,
Tetens gebraucht in Philosophische Versuche
über die menschliche Natur und ihre Entwicklung, Erster Band,
zwar
das Wort
erleben nicht, aber Tetens verwendet den Begriff,
nämlich gewahrnehmen für bewusstes erleben. Ein
schönes Beispiel dafür, dass für einen Begriff auch
unterschiedliche Worte gebraucht werden können. Und auch ein Beleg
dafür, dass die Suche nach Worten als Beleg für einen Begriff
kritisch zu betrachten ist.
Exkurs: Die
psychologischen Grundbegriffe bei Tetens 1777, Erster Band
_
[GB]
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[DTA]
findet 29x gewahrnehmen.
g e s p e r r t bei Tetens hier 12p fett
"Dritter Versuch 262
Über das Gewahrnehmen und Bewußtseyn.
I. Bestimmter Begrif von dem Gewahrnehmen und Bewußtseyn.
Die Redensarten in unserer Sprache, eine Sache gewahrnehmen, sie
gewahrwerden, etwas bemerken, sich einer Sache bewußt werden, bewußt
seyn, sie erkennen, und mehrere, haben zwar nicht völlig einerley
Sinn, aber sie beziehen sich alle auf einen einfachen gemeinschaftlichen
Grundbegrif von einer Aeußerung unserer Erkenntnißkraft, die
so, wie die meisten Psychologen jetzo die Worte gebrauchen gewohnt sind,
am reinsten und einfachsten durch das Wort Gewahrnehmen bezeichnet
wird. Wenn die Seele gleichsam zu. sich selbst innerlich saget, und wo
dieser Aktus lebhaft wird, ihn wirklich so ausdrückt: Siehe;
wenn sie nemlich einen Gegenstand nun als einen besondern Gegenstand
fasset, ihn auskennet unter andern, ihn unterscheidet; dann ist dasjenige
vorhanden, was ein Gewahrwerden oder Gewahrnehmen, oder die
Apperception
genennet wird. Ohne Zweifel hat dieß Wort, wie fast alle übrige,
ursprünglich eine viel eingeschränktere Bedeutung.
Gewahrnehmen ist ein Unterscheiden,
ein Auskennen, wie die mehresten sagen, die zwar durch diese Vertauschung
der Ausdrücke den Begrif von dem Aktus des Gewahrnehmens nicht deutlicher
mache [>263] als er es vorher war, aber ihn doch von einer andern Seite
darstellen, von der er vielleicht etwas mehr uri heller gesehen werden
kann. Das Bemerken will etwas mehr sagen, als Gewahrnehmen. Wer
etwas bemerket, suchet an der gewahrgenommenen Sache ein Merkmal
auf, woran sie auch in der Folge gewahrge nommen und ausgekannt werden
könne. Sich einer Sache bewußt seyn, drucket einen fortdaurenden
Zustand aus, in welchem man einen Gegenstand oder dessen Vorstellung unterscheidend
fühlet, und sich selbst dazu. Das Bewußtseyn ist von Einer Seite
ein Gefülil aber ein klares Gefühl, klare Empfindung, ein Gefühl
mit dem ein Unterscheiden der gefühlten Sache un Seiner selbst verbunden
ist. Gefühl und Gewahrnehmung sind die beiden Bestandtheile des Bewußtseyns.
II.
Ob das Gewahrnehmen einerley sey mit dem Aktus des
Fühlens in einer großem Intension? oder ob es einerley sey mit
dem Aktus des Vorstellens wenn dieser sich ausnehmend bey einer Vorstellung
äußert?
Ein Objekt, welches gewahrgenommen werden
soll, muß in uns, entweder in der Empfindung oder in der Vorstellung,
gegenwärtig
seyn. Ohne Gefül oder ohne Vorstellung kann nichts gewahrgenommen
werden. Aber ist dieß letztere etwas Eigenes, von jenen Seelenäußerungen
verschiedenes? oder ist es nur ein gewisser Grad an Stärke,
an Lebhaftigkeit, an Feinheit in dem Aktus des Fühlens oder des Vorstellens?
Denn daß nicht ein jedes Gefühl, nicht das dunkle Gefühl
einer Sache, vorausgesetzt, daß dieses auch ein Fühlen genennet
werden soll, ein Bewußtseyn sey, schei-[24]net durch das Raisonnement
außer Zweifel gesetzet zu seyn, dessen ich in dem nächstvorhergehenden
Versuch erwähnet habe. Condillac ist auch hier gleich wieder
bey der Hand mit seinen Entscheidungen. Die Aufmerksamkeit ist nichts,
sagt er, als ein lebhaftes Gefühl; Vergleichen und Reflektiren
ist nichts, als ein Gefühl von zween oder mehreren empfundenen Gegenständen,
die man gegenwärtig vor sich hat; das Wiedererinnern ist nichts,
als das Gefühl einer vergangenen Empfindung, die in der Einbildungskraft
mit einem matten Licht zurück geblieben ist. Und also Gewahrnehmen?
was anders, als ein lebhaf- tes hervorstechendes Gefühl einer empfundenen
oder einer vorgestellten Sache?
Zufolge einer in dem Versuch über die Vorstellungen
(N. V.) gemachten Anmerkung verbindet sich die »Wahrnehmung eines
empfundenen Gegenstandes nicht sowohl mit der ersten Aufnahme eines sinnlichen
Eindrucks, und mit dessen Empfinden, als vielmehr mit der Nachempfindung.
Der Eindruck von der Rose, von der Sonne, ist schon in uns aufgenommen,
und bestehet daselbst in den Zeitmomenten zwischen den unterbrochen auf
einander folgenden Eindrücken von außen, «denn ist die
Nachempfindung vorhanden ; die Empfindung ist schon in eine Vorstellung
übergegangen ; durch diese Vorstellung wird das Empfundene wahrgenommen.
Wenn die Empfindungen oder die blos gefühlten Eindrücke am stärksten
sind, so nehmen wir am wenigsten gewahr, und indem wir noch die Augen starr
auf die Sache gerichtet haben, gar nicht. Lebhaftes Gefühl hält
die Reflexion zurück. Aber es ist unnöthig, auf diesen Unterschied
hier Rücksicht zu nehmen. Die Nachempfindung kann selbst noch zu der
Empfindung mit gerechnet werden, wo nicht etwan die Beziehung des Fühlens
und Percipierens untersuchet werden soll. [>265]"
Eisler
(1912) in seinem Philosophenlexikon über Tetens
"[744] Tetens, Johann Nicolaus, geb. 1736 zu Tetenbüll, seit 1763
Prof. der Physik, seit 1776 der Philosophie (und der Mathematik) in Kiel,
seit 1789 Mitglied des Finanzkollegiums in Kopenhagen, gest. daselbst 1805.
T., der als Metaphysiker von der Leibniz-Wolffschen Philosophie beeinflußt ist, in deren Sinne er die Seele als immaterielle Substanz und die Elemente der Dinge ebenfalls als unkörperlich auffaßt, zeigt sich in seiner Psychologie (Einfluß von Locke, Reid, Bonnet u.a.) und Erkenntnislehre als selbständiger Denker. Als Methode der Psychologie, die auf Selbstbeobachtung zu basieren ist, bestimmt er: »Die Modifikationen der Seele so nehmen, wie sie durch das Selbstgefühl erkannt werden; diese sorgfältig wiederholt und mit Abänderung der Umstände gewahrnehmen, beobachten, ihre Entstehungsart und die Wirkungsgesetze der Kräfte, die sie hervorbringen, bemerken; alsdann die Beobachtungen vergleichen, auflösen und daraus die einfachsten Vermögen und Wirkungsarten und deren Beziehung aufeinander aufsuchen.« T. bekämpft sowohl die reine Assoziationspsychologie als die materialistisch-sensualistische Richtung. Den Begriff der Disposition (»Spur«) faßt er nicht bloß physiologisch, sondern auch psychologisch auf. Die Seele hat eine eigene Wirksamkeit, ist nicht bloß rezeptiv, sondern auch aktiv, sie besitzt ein »Dichtungsvermögen«, mittelst dessen sie aus mehreren Empfindungen oder Vorstellungen neue einfache Vorstellungen herstellt (vgl. Wundt: schöpferische Synthese). Vorstellungen des äußeren und des inneren Sinnes werden unterschieden. Die Assoziation erfolgt nach Berührung und Ähnlichkeit. Durch die Aufmerksamkeit, die sich auf sie lenkt, steht die Vorstellung »abgesondert, herausgehoben, mit mehrerer und mit vorzüglicher Helligkeit vor uns«. Drei Seelenfunktionen gibt es: Verstand, »Gefühl« und Wille. Das Gefühl der Lust und Unlust (als Bestandteil des Gefühls im weiteren Sinne, welches auch die Empfindung enthält) nennt T. »Empfindnis«. In den lustvollen Modifikationen der Seele ist ein Gefühl der Stärke und Kraft der Seele vorhanden. Das Bewußtsein ist ein Gewahrnehmen (= Apperzeption); es gibt auch Vorstellungen ohne Bewußtsein.
Das Denken ist das »Erkennen der Verhältnisse und Beziehungen in den Dingen«. Die »Denkkraft« äußert sich als Unterscheiden, Gewahrnehmen, Beziehen, Urteilen, Schließen. Es gibt ein eigenes »Gefühl der Beziehung«, ein Bemerken des Übergangs von einer Vorstellung zur anderen. Der Begriff der Relation ist »von der Denkkraft hervorgebracht und ist nichts außer dem Verstande, sondern ein ens rationis«, subjektiv; aber das »fundamentum relationis« kann etwas Objektives sein (eine Art der »Mitwirklichkeit« der Dinge).[744]
Wichtig ist die Unterscheidung von Form und Stoff der Erkenntnis (Einfluß seitens Kants Dissertation von 1770); letzterer entstammt der Wahrnehmung, erstere der Verstandestätigkeit. »Die Form der Ideen hängt von der Denkkraft ab.« Die Form ist »ein Werk der denkenden Kraft«, so daß alle Begriffe »bearbeitete Empfindungsvorstellungen« sind. Raum und Zeit sind »Verhältnisideen (Empfindungen, in ein Ganzes vereinigt). An der völligen Zurichtung dieser Vorstellungen hat die »Dichtkraft« Anteil. Aus der Verstandestätigkeit entspringen auch (formal) die Begriffe der Kausalität usw., indem der Verstand Vorstellungen nach einem »Denkungsgesetze« verbindet und allgemeine Wahrheiten erzeugt, die aller Erfahrung vorhergehen (vgl. Kants »a priori«). Im Begriffe der Kausalität übertragen wir das am Gefühle unseres eigenen Strebens Gefundene auf die Außendinge. Aus dem Gegründetsein einer Vorstellung in einer anderen, aus etwas »Subjektivischen«, machen wir eine »objektivische Abhängigkeit«. Drei Arten der »einfachen Verhältnisse« (»Denkarten«) unterscheidet T.: 1. entspringend aus der Vergleichung der Vorstellung (Identität und Diversität und ihre Arten, d.h. die eigentlichen Relationen); 2. aus dem Zusammennehmen und Absondern, Verbinden und Trennen der Vorstellungen (Zueinandersein, Verbunden- und Getrenntsein, Zugleichsein; Folge, Ordnung und alle Arten der »Mitwirklichkeit«); 3. die Verhältnisse der Dependenz, Gegründetes – Grund, Wirkung – Ursache. Die notwendigen Wahrheiten der Vernunft erzwingen unseren Beifall; ihre subjektive Notwendigkeit wird auf die Objekte übertragen. Die Axiome sind nicht aus der Erfahrung abstrahiert, sondern in der Natur der Denkkraft gegründet. Die Relativität und Subjektivität der Vorstellungen (als »Zeichen« von Eigenschaften der Dinge) hindert nicht die absolute Notwendigkeit ihrer Relationen (Vorstellung zu Vorstellung wie Sache zu Sache). Die Objektivität einer Sache bedeutet, daß sie allgemein und notwendig so erscheinen muß (»Ein beständiger Schein ist vor uns Realität«; T. spricht hier von den »Gesetzen jeder Denkkraft überhaupt«; vgl. Kants »Bewußtsein überhaupt«). Es gibt »Gesetze jedweder Denkkraft«, »Wahrheiten für jeden Verstand«, »notwendige Denkarten jedweden Verstandes«. Die Objekte sind das, was wir als Quellen unserer Empfindungen setzen und was wir durch letztere nur als Erscheinungen (Phänomene), nicht wie sie ihrem Wesen nach sind, erfassen (vgl. Leibniz, Kant). – Die Freiheit der Seele besteht in ihrer Selbstmacht, in ihrem Vermögen, anders zu handeln, als sie es tut, so aber, daß alle Handlungen einen zureichenden Grund haben. Der Mensch ist zur Vervollkommnung bestimmt, aber die Glückseligkeit hängt auch von äußeren Faktoren ab.
Schriften: Über metaphys. Wahrheiten, 1760. – Über die vorzüglichsten
Beweise des Daseins Gottes, 1761. – Über den Ursprung der Sprache
und Schrift, 1772. – Über die allgemeine spekulative Philosophie,
1775. – Philos. Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwicklung.
1776-77 (Hauptwerk), u.a. – Vgl. G. STÖRRING, Die Erkenntnistheorie
von T., 1901. M. SCHINZ, Die Moralphilos. von T., 1906. – W. UBELE, J.
N. Tetens (in Vorbereitung)."
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Hehlmann
im Wörterbuch der Psychologie 1966 über Tetens
Tetens, Johann Nikolas, * 16. 9. 1736 Tetenbüll (Holst.), f 15.
8. 1807 Kopenhagen, 1776—1789 Prof, in Kiel, forderte eine empirische Ps.,
deren Ausgangspunkt die Selbstbeobachtung und ihre Zergliederung bilden
müsse. Der heutige Begriff des Gefühls geht auf ihn zurück.
Sohr.: Philos. Versuche über die menschl. Natur und ihre Entwicklung,
2 Bde., 1775, 1777
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Ziegenfuss
& Jung (1950) im Philosophenlexikon, Band 2, S. 687f über
Tetens
"Das Hauptwerk T.s, die „Philosophischen Versuche über die menschliche
Natur und ihre Entwicklung" (1776/77), ... Es verfährt nach - der
„Methode in der Naturlehre" und will „eine Analysis der Seele, die auf
Erfahrungen beruht", geben, im Gegensatz zu dem deduktiven Verfahren der
Wolffianer und ihrer metaphysischen Begründung der Psychologie. Die
metaphysischen Erkenntnisse sollen erst aus den Ergebnissen empirischer
Beobachtung folgen. Auf T. geht die Annahme von drei Grundfunktionen der
Seele und ihre Bezeichnung als Vorstellen, Wollen und „Fühlen" zurück,
die lange Zeit in der Psychologie herrschte und die alte Zweiteilung in
theoretische und praktische Seelenfunktionen ablöste, T, hat bereits
psychische Messungen yorgenommen, wie später die experimentierende
Psychologie; zum Beispiel hat er die Dauer der Nachempfindungen für
verschiedene Sinne festgelegt.
T.s Kritik an der Leibniz-Wolffschen Philosophie
gilt dem weiten Gebrauch des Begriffs „Vorstellung“, den er selbst auf
die Erinnerungsbilder einschränkt; ..."
Google Books OCR Fehler
bei gewahrnehmen in Band 2 nach Laden des Downloads
Hier die ersten 24 Fundstellen für "gewahrnehmen"
dokumentiert (Abruf
09.11.2023). Alle falsch
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