Methodische Grundprobleme der Psychiatrie - Möller 1976
Hilfsseite zum Katalog der potentiellen
forensischen Gutachtenfehler (MethF)
Methoden- und Methodenproblembewusstsein
in der - forensischen - Psychiatrie
Potentielle Fehler in forensisch psychiatrischen
Gutachten, Beschlüssen und Urteilen der Maßregeljustiz
Eine methodenkritische Untersuchung illustriert
an einigen Fällen u. a. am Fall Gustl
F. Mollath
mit einem Katalog
der potentiellen forensischen Gutachtenfehler sowie einiger Richter-Fehler.
von Rudolf
Sponsel, Erlangen
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Legende Signierungen
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Gesamtwertung angemessene Darstellung
der psychiatrischen Methodenproblematik Signierung 1
Das Buch ist seinem Titel nach ausschließlich den methodischen
Grundproblemen der Psychiatrie gewidmet. Es steht zwar unter dem wissenschaftstheoretischen
Zeitgeist der 1970er Jahre (Hempel-Oppenheim
HO-Schema), aber die Orientierung an der Münchener Wissenschaftstheorieschule
um W. Stegmüller und W. K. Essler bedeutet ein hohes methodologisches
Niveau, S. 10f: "Unsere wissenschaftstheoretische Position ist im
wesentlichen durch den kritischen Rationalismus und den Neopositivismus
geprägt, eine Begründung für diese Entscheidung und eine
Verteidigung dieser Position können wir an dieser Stelle aus Platzgründen
nicht geben (vgl. hierzu u. a. W.K. Essler 1970, S. 5-23). Die Aussagen
dieser Wissenschaftstheorie sind einerseits empirisch begründet, da
sie gewissermaßen ein Extrakt aus den erfolgreichen methodologischen
Ansätzen einzelner Realwissenschaften darstellen, andrerseits sind
sie normativ, insofern die aus den methodologischen Ansätzen der einzelnen
Realwissenschaften gewonnenen wissenschaftstheoretischen Ergebnisse als
anzustrebendes Ideal hingestellt werden. ..."
In der Einleitung führt Möller aus (S.
9): "Vergleicht man die Psychiatrie mit anderen medizinischen Disziplinen
- dieser Vergleich bietet sich an, da ja die Psychiatrie bis vor kurzem
ausschließlich als Spezialdisziplin der Medizin aufgefaßt wurde
-, so muß man feststellen, daß die Psychiatrie bisher kaum
dieselben bahnbrechenden Erfolge erzielte wie andere Fachgebiete der Medizin.
Verantwortlich für diese deprimierende Situation der Psychiatrie mag
einerseits die Komplexität des untersuchten Objektbereiches sein,
andererseits hat aber sicherlich ein Mangel an methodenkritischer Reflexion
zu dieser relativen Erfolglosigkeit der Psychiatrie beigetragen."
Auf das Leib-Seele Problem geht Möller nicht
ein. Aber das idiographische Einzelfallproblem wird ausführlich im
Kapitel 2 Verstehen (Pauleikhoff, Jaspers,
Kehrer, Gruhle, Pethös,
Tellenbach) erörtert, wo auch schon der subjektwissenschaftliche
Ansatz z.B. Pauleikhoffs deutlich wird. Klar herausgearbeitet wird auch
im Kap. 2 die unglückliche methodische Dichotomisierung (erklären
gegenüber verstehen), die auf Jaspers zurückgeht.
Als grundlegend für empirische Wissenschaften
werden Erklärung und Prognose genannt. Hierzu ist eine klare, intersubjektive
und einfach prüfbare Terminologie (Kap. 6) Grundvoraussetzung damit
man zu hinreichend zuverlässigen Basissätzen (Kap. 5: Zitat)
gelangt, die dann in Theorien gefasst und auf ihre Tauglichkeit zu Erklärung
und Prognose geprüft werden können. In Kap. 6 werden auch psychiatrische
Beispiele (Benommenheit, Bewusstseinstrübung, Schizophrenie) unter
die Lupe genommen und wie folgt eingeleitet (S. 119): "6.2. Begriffsverwirrung
in der psychiatrischen Wissenschaftssprache An dieser Stelle wollen
wir einige konkrete Beispiele für die Begriffsverwirrung in der psychiatrischen
Wissenschaftssprache geben, um anzudeuten, wie groß der Bedeutungsspielraum
psychiatrischer Termini ist und wie diese unpräzise Terminologie eventuell
zu völlig entgegengesetzten Aussagen führen kann."
Alles in allem ein auch heute noch wichtiges und
grundlegendes Buch zu den Methodischen Problemen
der Psychiatrie, dessen hohes Niveau nicht so recht zu seinem schweren
Praxis-Fehler Ferndiagnose ohne eigene Untersuchung passt (> Teppichhändlerskandal:
AZ 4.2.10; Spiegel 20.12.08], SZ 17.5.10; > Missbrauch
forensische Psychiatrie) und hoffentlich nur ein Ausrutscher war, wovon
wir alle wohl nicht gänzlich gefeit sind.
2. Die Problematik der Methode des Verstehens
38
2.1. Die Methode des Verstehens aus der Sicht ihrer
Theoretiker 38
2.2. Hermeneutik als Erkenntnismethode und ihre Problematik
43
2.3. Verstehen als Pseudo-Erklärung 47
2.4. Verstehen als ganzheitliches Beschreiben (Deuten)
53
2.5. Verstehen als realwissenschaftliche Methode?
56
3. Die Sinndeutung von Krankheitssymptomen in der
Psychosomatischen Medizin 63
3.1. Krankheitssymptome haben Symbolsinn 65
3.1.1. Somatische Erkrankungen als Ausdruck für Psychisches
65
3.1.2. Bisherige Kritik der Symboldeutung von Krankheitssymptomen
68
3.1.3. Die Probleme einer hermeneutisch orientierten Psychoanalyse
und Psychosomatik 69
3.2. Krankheitssymptome haben Zwecksinn 72
3.2.1. Teleologische Interpretation psychosomatischer Erkrankungen
72
3.2.2. Bisherige Kritik der teleologischen Interpretation von Krankheit
74
3.2.3. Die wissenschaftstheoretische Problematik teleologischer Betrachtungsweisen
76
3.2.4. Funktionsanalyse als verschleierte teleologische Betrachtungsweise
80
4. Struktur und Gütekriterien psychiatrischer Gesetzesaussagen
83
4.1. Die Struktur von Gesetzesaussagen 83
4.2. Die Struktur realwissenschaftlicher Theorien 87
4.3. Das Kriterium des empirischen Gehalts von Gesetzesaussagen
89
4.4. Die Forderung nach strenger Prüfung und guter Bestätigung
von Gesetzesaussagen 95
5. Die Problematik der Gewinnung von Basissätzen
in der Psychiatrie 105
5.1. Gütekriterien von Basissätzen 105
5.2. Das experimentelle Verfahren 107
5.3. Die Problematik der Post-factum-Analyse am Beispiel der
psychoanalytischen Theorie 113
6. Probleme der psychiatrischen Wissenschaftssprache
117
6.1. Unzulänglichkeiten der psychiatrischen Wissenschaftssprache
117
6.2. Begriffsverwirrung in der psychiatrischen Wissenschaftssprache
119
6.3. Semantische Konsistenz der Wissenschaftssprache 123
6.4. Real- und Nominaldefinition 124
6.5. Begriffsexplikation 128
6.6. Die. Problematik operationaler Definitionen 129
6.7. Theoretische Begriffe 134
Einführung in wichtige Grundbegriffe und Symbole der Formalen
Logik 142
Literaturverzeichnis 144
Kap 5 beschäftigt sich mit dem methodisch grundlegenden und sehr
wichtigen Thema (S. 105f), fett-kursive Hervorhebungen von mir:
5.1. Gütekriterien von Basissätzen
Alles empirische Wissen beruht auf Beobachtungen, die in den
Basissätzen ihren Niederschlag finden. Wir haben am Anfang
dieses Hauptkapitels gezeigt, wie die Basissätze in mehrfacher Weise
mit den Gesetzesaussagen verknüpft sind, nämlich bei der Entstehung
und bei der Prüfung von Gesetzesaussagen. Die Bezeichnung »Basissätze«
drückt aus, daß diese das Fundament einer realwissenschaftlichen
Theorie darstellen.
Aus praktischen Gründen sind nur solche Sätze als Basissätze
geeignet, deren Nachprüfung leicht ist, d. h. über deren Anerkennung
oder Verwerfung unter den Wissenschaftlern mit der üblichen fachspezifischen
Vorbildung eine Einigung erzielt werden kann. Basissätze beschreiben
das Vorkommen von beobachtbaren Ereignissen. In den Naturwissenschaften
im engeren Sinne meint man mit »beobachtbar«, daß das
betreffende Phänomen durch äußerliche sinnliche Wahrnehmung
(sehen, hören, fühlen usw.) festgestellt werden kann. Die Psychologie
hat versucht, sich mit der Verhaltenstheorie dieser Forderung anzupassen.
Wir wollen in diesem Zusammenhang offenlassen, ob nicht auch die Introspektion
als eine Methode der Beobachtung psychischer Phänomene akzeptiert
werden könnte, wenn man diese an entsprechende zu erfüllende
Voraussetzungen knüpft.
Basissätze müssen mindestens folgende Bedingungen erfüllen:
a) Basissätze beschreiben jeweils ein singulares beobachtbares Ereignis, z. B. das Ergebnis eines Experiments, und sollten dabei möglichst exakt die relevanten Bedingungen wiedergeben. Alle Beobachtungsaussagen sollen präzise und in der jeweiligen Wissenschaftssprache formuliert werden, damit den Fachkollegen unmißverständlich mitgeteilt wird, welcher Sachverhalt vorlag. Wegen der Forderung nach protokollarischer Exaktheit, die bisweilen übertrieben wurde, wurden diese Aussagen von anderen (z. B. Anhänger des Wiener Kreises) auch als »Protokollsätze« bezeichnet.
b) Die in den Basissätzen beschriebenen Phänomene sollen intersubjektiv nachprüfbar sein. Es muß also unter verschiedenen in der be-[>106]treffenden Fachdisziplin ausgebildeten Forschern Einigkeit darüber erzielt werden können, ob das betreffende Phänomen vorhanden ist oder nicht. Es ist klar, daß dieses Methodenideal um so eher erreicht werden kann, je einfacher die Beobachtungstechnik ist
c) Die in den Basissätzen beschriebenen Phänomene sollen
durch eine Beobachtungsmethode gefunden werden, die gewährleistet,
daß das Phänomen nicht etwas ist, was durch den Untersucher
in den untersuchten Ausschnitt der Wirklichkeit hineingetragen wird, sondern
weitgehend autochthon ist. Wir wissen aus der modernen Atomphysik
(vgl. W. Heisenberg 1959), daß diese aus der klassischen Physik stammende
Forderung nicht vollkommen erfüllt werden kann, da jede Beobachtung
eines Objektes zu Artefakten führt. Das gilt ganz besonders für
die Untersuchung von Menschen. Das bedeutet aber nicht, daß man ganz
auf diese Forderung verzichten könnte, sie beschreibt weiterhin ein
Methodenideal, das man zu erreichen suchen sollte. Es wäre z. B. nicht
im Sinne dieses Kriteriums, wenn man bestimmte Phänomene bewußt
oder unbewußt in die Wirklichkeit hineinträgt, wenn z. B. ein
Psychoanalytiker suggerierte Erinnerungen als echte Erinnerungen der analysierten
Person ausgibt und sie vielleicht dann in Form einer Hypothese mit der
Entstehung der Neurose des Patienten verknüpft. Wichtig ist, daß
derartige Artefakte als solche erkannt werden."
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