Der IQ-Test
Kritik der Sendungen (RTL 8.9.01, 11.9.4)
Testseiten bei RTL
von Rudolf Sponsel, Erlangen
"Manche Menschen brüsten sich mit ihrem IQ wie pubertierende Jugendliche mit der Ausprägung bestimmter Körperteile", sagte Prof. Dr. Heinrich Wottawa beim Fernseh-IQ-Test von Günther Jauch. "Dabei wissen wir doch, dass es auf die Handhabung der Körperteile ankommt, nicht auf ihre Größe." ;-) (Quelle)
Allgemeiner Eindruck und Bewertung
Die Sendung war spannend gemacht.
Interesse und Teilnahme waren gewaltig und Testpsychologe Prof. Wottawa
(8.9.1) machte für die Psychologie und die PsychologInnen eine gute
Figur und hat damit für die schwierige Wissenschaft und Praxis der
Psychologie geworben und ihr Ansehen gehoben. Insgesamt sehr positiv sehe
ich, daß das Thema Intelligenz, Fähigkeit, Leistungsvermögen,
Ehrgeiz und Wettstreit auf sowohl intelligente und sportliche als auch
auf unterhaltsame Art dargeboten wurde: unser Land braucht dringend ein
neues und echtes Leistungsbewußtsein und kreative Intelligenz, denn
es wird in weiten Feldern regiert von Verschwendungsblödheit,
Verantwortungs-
und Einfallslosigkeit. MißwirtschaftlerInnen
werden zu oft mit dicken Abfindungen und Pensionen belohnt oder nach dem
Peterprinzip befördert, um neues Unheil anzurichten.
Das führt uns aber bereits zur ersten kritischen
Frage: Hat diese Sendung einen angemessenen Intelligenzbegriff vermittelt?
Was ist Intelligenz?
Intelligenz heißt allgemein die Fähigkeit, geistig erfassbare Probleme zu lösen. |
Es gibt demnach so viele
Intelligenzen, wie es geistig erfaßbare Probleme gibt.
Kennt jemand allerdings eine Problemlösung, so handelt es sich "nur" noch um eine Aufgabe, die zwar noch gemacht werden muß, aber die Lösung muß nicht mehr gesucht werden. Die Termini Problemlösung und Aufgabenbewältigung sind in traditionellen Intelligenztestkonstruktionen oft nicht angemessen unterschieden, so daß diejenigen (Testanwender, Testkonstrukteuere, Testkenner) im Vorteil sind, die die Lösung - wie man es machen muß - schon kennen und "nur" noch durchführen müssen. Anmerkung: Der Unterschied zwischen Problemlösung und Aufgabenbewältigung wird in Psychotherapien oft fatal verkannt (Das Wissen um eine Lösung ist nicht die Lösung!). |
Beispiele für
Problemlösungsfähigkeiten (Intelligenzen)
Z. B.: (1) Wie pflegt man eine Freundschaft erfolgreich, (2) wie beeinflußt man einen schwierigen Nachbarn, (3) wie erzieht man einen Hund, (4) wie bestellt man ein Land, (5) wie sichert man eine Ernte, (6) wie konserviert man Nahrungsmittel, (7) wie ernährt man sich vernünftig und schmackhaft, (8) wie sorgt man für schlechte Zeiten vor? (9a) Wie knüpft man Kontakte, (9b) wie kann man sie aufrecht erhalten, (9c) vertiefen, (9d) festigen und (9e) beenden? (10) Wie streitet man konstruktiv? (11) Wie setzt man sich angemessen durch? (12) Wie erkennt man Gleiches, Unterschiedliches oder Ähnliches - auch Ordnungen - in Figuren, Reihen, Bildern, Ereignissen, Abläufen? (13) Wie sensibilisiere ich meinen Körper für Empfindung und Wahrnehmung, (14) wie kommt man zu Erfolg, (15a) bringt ein Kind zum Lächeln, (15b) tröstet es, (15c) ermutigt es, (15d) schafft Vertrauen, (16) erreicht Zufriedenheit, (17) macht aus dem Tag einen lebenswerten, (18) lernt lieben und (19) erreicht geliebt zu werden? (20) Wie verschafft man sich Respekt? (21) Wie geht man mit Angst und Gefahren um? (22) Wie wird man ein guter Elter? (23) Wie repariert man einen tropfenden Wasserhahn, (24) backt man Brot, (25) erhält sich das Lachen und (26) einen gewissen Humor? (27) Wie findet man eine Arbeit? (28) Wie und wo kauft man günstig ein? (29) und wie stellt man eigentlich fest, was "günstig" für einen wirklich bedeutet? (30) Wie steigert man seine Merkfähigkeit? (31) Wann ist verzichten oder aufgeben sinnvoll? (32) Wie lernt man lernen? (33) wie wird man ein kluger Egoist, also sozial? (34) Wie erkennt man, was für einen wichtig und richtig ist? (35) Wie schafft man Arbeitsplätze? (36a) Wie baut man Verschwendungsblödheit und (36b) Mißwirtschaft ab? (37) Was kann und muß man tun, um der hemmungs- und verantwortungslosen Staatsverschuldung Einhalt zu gebieten? (38) Wie muß man Kinder erziehen, damit sie ihre Eltern im Alter noch lieben, achten und versorgen? (39) Wie sichert man sozialen Frieden, den Frieden überhaupt? |
Schauen wir uns die Problem-Beispiele des wirklichen Lebens an, so stellt sich natürlich die Frage: Können Menschen mit einem hohen IQ diese Probleme besser lösen als solche mit einem niedrigeren? Nun ja, wird man nun fragen müssen: mit welchem IQ oder noch besser: mit welchen IQs? |
Die Problemlösungs- (z.B.), Lebenserfolgs- und Zufriedenheits- Forschung sagt zur Prognosegüte der allgemeinen IQ- Tests Nein. |
Die "normale" und "allgemeine" IQ- Intelligenz erlaubt so wenig wie die Schulnote eine aussagekräftige Prognose für bestimmte Problemlösungsfähigkeiten-, den Lebenserfolg oder die Lebenszufriedenheit. Das war dann auch der Grund dafür, daß die Denkpsychologie neue Wege in der Entwicklung von Verfahren und Methoden in Richtung Kreativität und Problemlösung (Protagonisten Dörner z.B., Vester) ging.
Ist
es sinnvoll, die Ausprägung einer Fähigkeit vom Alter - oder
anderen Kriterien - abhängig zu machen?
Man hat entweder eine Fähigkeit in einem bestimmten
Ausprägungsbereich oder man hat sie nicht. Dieses Ergebnis spiegelt
sich gewöhnlich im Rohwertergebnis (meist die Anzahl der gelösten
Aufgaben) wider. Ein "Altersbonus" verschleiert und verfälscht daher
für viele Fragestellungen das Ergebnis und ist daher fraglich.
Was ein solches Ergebnis vergleichsweise bedeutet, hängt davon ab, welche Bezugsgruppe für diesen Vergleich gewählt wird. Daher gibt es so viele unterschiedliche statistische Bezugsnormen, wie unterschiedliche Bezugsgruppen konstruiert werden können (und das sind nach den Regeln der Kombinatorik extrem viele, rechnerisch gehe ich darauf weiter unten ein). Betrachten wir zur Frage der Bewertung eines Ergebnisses zunächst ein paar Beispiele aus Sport, Wirtschaft und der Schule (Entwicklungspsychologie): |
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Ein 12jähriger löst von 10 insgesamt 8 Aufgaben richtig. Ein 10jähriger nur 6. Man sagt, der 10 Jährige sei intelligenter als der 12jährige. Begründung: Von den 12jährigen lösen 30 % acht Aufgaben, von den 10jährigen lösen aber nur 25 % sechs Aufgaben richtig. Wenn man annimmt, daß Aufgaben umso schwerer sind, je weniger Schüler (Menschen) sie lösen, dann hat der 10jährige einen besseren statistischen Platz (100-25) = 75 gegenüber dem 12jährigen (100-30) = 70. Man bezeichnet eine solchen Vergleich als Prozentrang-Norm-Vergleich. |
Zum Verständnis
statistische Norm
Am leichtesten verständlich ist die Prozentrangnorm. Stellen Sie sich hierzu 100 unterschiedlich große Menschen zwischen 90 cm und 2,32 m vor. Ordnen wir diese 100 Menschen nach ihrer Größe von links nach rechts größer werdend an und nummerieren wir sie aufsteigend durch, so erhält der Reihe nach der Kleinste Prozentrang 1, der Zweite Prozentrang 2, der 27. Prozentrang 27, der 85. Prozentrang 85 und der Größte, der 100. den Prozentrang 100. Beachten Sie bitte: aus dem Abstand zwischen den Prozenträngen kann nicht auf den Abstand der wirklichen Größe geschlossen werden. |
Bitte nicht verwechseln: Prozentwert und Prozentrangwert.
Der Prozentwert gibt einen Anteil an, der Prozentrangwert eine Position
(Grenze). Das ist zwar ähnlich, aber nicht das Gleiche.
Hat z. B. der mit dem Prozentrang 85 eine Größe von 1,93, so kann man sagen: Mit der Größe 1,93 m übertrifft jemand die 84 vorangehenden Kleineren und er wird selbst noch von 15 an Körpergröße übertroffen. Der Prozentrang schafft also, wie der Name schon trefflich ausdrückt, eine Rangskala, Rangordnung oder Rangreihenfolge. |
Wie
viele verschiedene statistische Bezugsgruppen gibt es?
Es gibt so viele statistische Bezugsgruppen (B), wie es Kombinationen von Kriterien gibt - hier zunächst ohne Berücksichtigung der Anzahl der Abstufungen innerhalb der Kriterien: |
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(1) Alter, (2) Geschlecht, (3) Bildung, (4) Beruf, (5) Religion, (6) Wohnort, (7) Modische Orientierung, (8) Region (Landesgruppe, Volk, Nation), (9) Sternzeichen ;-), (10) Einkommen, (11) Ehestand, (12) Geschwisterposition, (13) Automarke ;-), (14) Schlafgewohnheit, (15) Hobbies u. Interessen, (16) politische Orientierung, (17) Herkunft, (18) Vermögen, (19) Bekanntheit, (20) Gesundheit ... u.v.a. |
Ohne Berücksichtigung der Abstufungen innerhalb eines Kriteriums gibt es demnach schon |
B = 1.048.575 Kriterienkombinationen |
Das erhöht sich um ein Vielfaches, wenn noch die Abstufungen innerhalb eines Kriteriums einbezogen werden. |
Bezieht man weiter mit ein, daß man für eine statistische Aussage mindestens 100 unterschiedlich fähige ProbandInnen braucht (in der Wirklichkeit sind es dann ein Vielfaches von 100), wenn 100 unterschiedliche Prozentränge zur Unterscheidung zur Verfügung stehen sollen, so wächst der Bedarf an Stichprobengröße sehr schnell in astronomische Höhen. |
Aber was hätte man davon? Was nutzte es denn, wenn man weiß, Friseure haben in der Fähigkeit F123 einen IQ von 117? Man hat aus einer astronomisch großen Zahl ein Kriterium ausgewählt und von Millionen anderer Möglichkeiten abgesehen (abstrahiert). Bei Friseuren, Mann oder Frau, jünger oder älter, mit Glatze ;-), katholisch und Rotwein liebend wäre es wieder eine andere Zahl als ... als ... als ... als ... als ...als ... |
Wie entgeht man nun dieser kombinatorischen Explosion?
Der IQ-Test, der von Wottawa in der Sendung von Jauch vorgestellt und
angewendet wurde, ist offensichtlich nach der sog. klassischen
Testtheorie entwickelt worden. Und genau bei dieser stellen sich die
Fragen nach der Bedeutung (wofür sagt ein Ergebnis etwas aus).
Das von dem dänischen Mathematiker und nach ihm benannte Raschmodell hat darauf eine Antwort gefunden und die kriterienorientierte Testtheorie ebenfalls, die wir in der Allgemeinen und Integrativen Psychologie bevorzugen. |