Internet Publikation für
Allgemeine und Integrative Psychotherapie
(ISSN 1430-6972)
IP-GIPTDAS=11.10.2021
Internet Erstausgabe, letzte Änderung: 17.10.2021
Impressum:
Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf
Sponsel Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
Mail:_sekretariat@sgipt.org_
Zitierung
& Copyright
Anfang_
Analyse Lutz Koch 2002 _Datenschutz_Rel.
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Willkommen in unserer Internet-Publikation
für Allgemeine und Integrative Psychotherapie IP-GIPT1,
Abteilung Wissenschaft, Bereich Sprache und Begriffsanalysen und hier speziell
zum Thema:
Recherche zur wissenschaftlichen
Analyse von plausibel, Plausibilität und
Plausibilitätskriterien
bei Lutz Koch (2002)
Originalarbeit von Rudolf
Sponsel, Erlangen
Verteilerseite Plausibilitätsanalysen_
Gesamtergebnisse
Pilotstudie.
Zusammenfassung Abstract
Summary
Der Titel weist aus, dass es um Plausibilität geht. Im Text finden
sich sozusagen plausibel ;-) 62 Fundstellen "plausib", wovon man allerdings
die 5 Kopfzeilenüberschriften "Versuch über Plausibilität"
abziehen sollte, so dass inhaltlich 57 Fundstellen resultieren, in der
eine Variante des Plausibilitätsbegriffs gebraucht wird.
"... Auffällig ist indessen, daß dieser
Begriff selbst so unbestimmt ist wie das, was er auszudrücken sucht.
Jedenfalls trifft man dort, wo er verwendet wird, kaum auf Anstrengungen,
sich seiner Bedeutung zu vergewissern. Nicht nur scheint er ein Begriff
für Unbestimmtes zu sein, auch er selbst ist unbestimmt. In die einschlägigen
philosophischen und wissenschaftstheoretischen Handbücher hat er sich
noch nicht verirrt. Es scheint, als wüßte jeder, was er bedeuten
soll. Auch scheint es, als ob jeder ihn zu gebrauchen befugt sei, darauf
vertrauend, das Rechte zu treffen und von den anderen recht verstanden
zu werden. So gewinnt man den Eindruck, daß es sich um einen Common-sense-Begriff
handelt, d. h. um einen Begriff,; der sich an den sensus communis,
an den „gemeinen“ und „gesunden“ Verstand richtet." (S. 194)
Für den deutschsprachigen
Raum teile ich Kochs Einschätzung bis zu Kienpoitners großer
Arbeit Alltagslogik 1992. Die USA schienen bis dorthin hier z.B.
mit Rescher oder Walton bedeutend weiter.
Merkwürdigerweise erfasst Koch aber Kienpointners Alltagslogik
aus 1992 nicht in seinem Literaturverzeichnis.
Am 16.10.2021 fand ich auch im Wörterbuch der Kognitionswissenschaften
(1996) einen Eintrag Plausibilität (plausibility) von Kerstin Schill.
Ausführungen zum Plausibilitätsbegriff
S. 193f: "Wenn man davon ausgeht, daß zwischen
Pädagogik und Rhetorik eine gewisse Verwandtschaft bestehtFN1, dann
wird auch die Frage zu stellen sein, worin denn die Gültigkeit rhetorischer
und pädagogischer Aussagen fundiert ist. Was beide „Disziplinen“ betrifft,
so kann man häufig, wenn die Wertigkeit von Argumenten angedeutet
werden soll, auf den Begriff der 1Plausibilität
stoßen. Denn das Zwingende mathematischer Gewißheit fehlt sowohl
der rhetorischen als auch der pädagogischen Argumentation, nicht aber
das, was man im allgemeinen durch den Begriff der 2Plausibilität
ausdrückt. Wohl werden Indizien, gute Gründe, Argumente pro et
contra, Beweise und Widerlegungen auf beiden Seiten gebraucht, aber Gewißheit
und Evidenz findet man in aller Regel nur in den mathematischen Disziplinen.
Nur selten (oder vielleicht nie?) haben rhetorische und pädagogische
Gründe die Dignität, ihre Gegengründe ins Reich des Unmöglichen
verweisen und damit selbst so etwas wie logische Notwendigkeit beanspruchen
zu können, aber sie vermögen doch mehr oder weniger,
kaum
oder überaus „3plausibel“
zu sein. Von der „Verwendung
4plausibler
Argumentationsmuster“, von „5Plausibilitätspotenzialen“
oder von „6Plausibilitätsressourcen“
spricht man in der rhetorischen ArgumentationstheorieFN2, von „bedingten
7Plausibilitätsgewichten
heterogener Argumente“ ist in der Theorie pädagogischen Argumentierens
die Rede.FN3
8Plausibilität,
so kann man [>194] durchaus sagen, ist nicht nur ein traditioneller, sondern
auch ein in den aktuellen Diskussionen geläufiger Begriff, um die
Überzeugungskraft, den argumentativen Wert oder schlicht den „Wahrheitswert“
von Behauptungen und Meinungen zu charakterisieren. Auffällig ist
indessen, daß dieser Begriff selbst so unbestimmt ist wie das, was
er auszudrücken sucht. Jedenfalls trifft man dort, wo er verwendet
wird, kaum auf Anstrengungen, sich seiner Bedeutung zu vergewissern. Nicht
nur scheint er ein Begriff für Unbestimmtes zu sein, auch er selbst
ist unbestimmt. In die einschlägigen philosophischen und wissenschaftstheoretischen
Handbücher hat er sich noch nicht verirrt. Es scheint, als wüßte
jeder, was er bedeuten soll. Auch scheint es, als ob jeder ihn zu gebrauchen
befugt sei, darauf vertrauend, das Rechte zu treffen und von den anderen
recht verstanden zu werden. So gewinnt man den Eindruck, daß es sich
um einen Common-sense-Begriff handelt, d.
h. um einen Begriff, der sich an den sensus communis, an den „gemeinen“
und „gesunden“; Verstand richtet. Dafür spricht, daß
9Plausibilität,
wörtlich übersetzt, soviel wie Beifallswürdigkeit bedeutet
(lat. plausus der Beifall). Wer an 10Plausibilität
orientiert ist, strebt nach dem Beifall eines größeren Publikums,
nach öffentlicher Zustimmung."
Kommentar: Plausibilität wird von Koch als unbestimmter und beliebiger
Begriff des Gesunden Menschenverstandes gebraucht, der Zustimmung zu irgend
etwas ausdrückt.
S.199: "11Plausibel
ist also, was weder widersprüchlich und absurd noch offenkundig ist,
ganz zu schweigen von dem, was gezählt, gewogen und gemessen werden
kann. Will man im positiven Sinne weiter ermitteln, so ist es gut, sich
daran zu erinnern, daß von 12Plausibilität
wohl nur dort die Rede sein kann, wo es ums Handeln geht, das der Beratung
und Überlegung bedarf und generell von der Art alles dessen ist, was
sich auch anders verhalten kann, wie Aristoteles sagt.FN17 Woran soll man
sich hier halten, wenn nicht an das, „was sich meistens so verhält“
(hos
epì tò poly ón).FN18 Die Wahrscheinlichkeit dieses
„Wiezumeist“ ist durchaus meinungsabhängig, jedenfalls nach Aristoteles.FN19
Er definiert nämlich in den ersten Analytiken das
eikós
als dasjenige, von dem man weiß, daß es meistens so
geschieht oder nicht geschieht oder so ist oder nicht ist.FN20 Diese Meinungsabhängigkeit
kann man als Abhängigkeit von Erfahrung auslegen. Kompensation individueller
Erfahrungsmängel bietet die Erfahrung der anderen, vor allem der Erfahrenen
und Kundigen. Wer positiv wissen will, was plausibel ist, wird sich daher
auch an der Meinung der anderen orientieren. So kommt, wenn es um 13Plausibilität
geht, die Meinung ins Spiel. Aristoteles hat in der Topik an mehreren Stellen,
an denen es sich um die Ermittlung der éndoxa dreht, auf
das Urteil entweder von Allen oder den Meisten oder den Weisen (tois
sophóis) und von den Letzteren wiederum entweder Allen oder
den [>200] Meisten oder denen mit dem größten Ansehen verwiesen.FN21
Daß sich diese Aufzählung in exakt der gleichen Reihenfolge
nach der ersten Stelle noch zweimal wiederholt, deutet auf ein wohlüberlegtes
Lehrstück mit festen Prioritäten hin. Den ersten Rangplatz besetzt
die Meinung aller, die communis opinio bzw. der consensus omnium
den zweiten die Mehrheitsmeinung, den dritten die Meinungsgesamtheit der
Erfahrenen, den vierten die Mehrheitsmeinung der Erfahrenen und den fünften
die Meinung der angesehensten Kundigen, die Autoritätsmeinung. Man
kann nun den Versuch machen, diese Reihenfolge als eine Skala von 14Plausibilitätsgraden
zu lesen. Beifallswürdig im höchsten Grade wäre danach eine
mit allgemeiner Zustimmung versehene Annahme, im zweiten Grade die Mehrheitsmeinung
der Urteilsfähigen und erst im dritten Grade die Gesamtheit der Erfahrenen
und Kundigen, im vierten Grade deren Mehrheit und im letzten Grade die
Meinung der Autoritäten. Wenn es richtig ist, daß das 15Plausible
insofern populär sein muß, als es jedermann und nicht nur den
Fachleuten verständlich zu sein hat, dann leuchtet es auch ein, daß
die höchste 16Plausibilität
denjenigen Annahmen gebührt, die der allgemeinen Erfahrung entsprechen,
etwa daß ein geschlagenes Kind weint, um ein Beispiel des Aristoteles
zu benutzen. Das ist ja nicht notwendig, sondern nur wahrscheinlich der
Fall, denn zweifellos kann ein Kind auch ohne zu weinen Schläge ertragen.
Meistens aber weinen Kinder, wenn sie geschlagen werden. Und dieses „Wiezumeist“
ist eine Erfahrungsannahme, und zwar eine solche, zu der jedermann fähig
ist bzw. die der allgemeinen Meinung entspricht. Unter der Bedingung, daß
17Plausibilität
populäre Meinungen über das Wahrscheinliche betrifft und nicht
etwa szientifische Beweise, die nur wenigen Experten nachvollziehbar sind,
leuchtet die Vorzugsstellung der allgemeinen Meinung ein. Wenigstens das
praxisinteressierte und erfahrungsorientierte Publikum, mit dem die Rhetorik
rechnet, ist ja als ein im wissenschaftlichen Sinne „ungebildetes“ Publikum
aufzufassen. Davon ist Aristoteles an mehreren Stellen ausgegangen."
Kommentar: Gleich eingangs nimmt Koch eine Beschränkung des Plausibilitätsbegriffs
auf das Handeln vor, für die ich keine Begründung habe.
S. 201a: "... Man kann also das 18Plausible
mit
dem Begriff des „kollektiv Geltenden“ in Beziehung setzenFN23, wird dann
allerdings auch die kritische Frage von Roland Barthes stellen müssen,
ob Aristoteles nicht etwa der Philosoph der modernen Massenkultur gewesen
sei.FN24 ..."
Kommentar: 18Plausibel ist hier,
was allgemeiner, kollektiver Meinung entspricht.
S.201b: "19Plausibel
wird ein Urteil nicht dadurch, daß ich der Mehrheit applaudiere,
sondern umgekehrt nur dadurch, daß meinem Urteil die Qualität
eignet, den Applaus einer Mehrheit zu gewinnen. Nicht Anschluß
an die Mehrheit, sondern Mehrheitsfähigkeit [>202] charakterisiert
das 20plausible Urteil."
Kommentar: 19Plausibel ist hier in einer spezifizierten
Variante von 18Plausibel ist ein mehrheitsfähiges Urteil.
S.202: "... Daher sind faktische Mehrheiten, ausgezählt
von Wahlausschüssen oder hochgerechnet von Meinungsforschungsinstituten,
ungeeignet, um als Konsens-Kriterien zu dienen. Weil nicht diejenige Annahme
plausibel ist, die die Mehrheit auf ihrer Seite hat, sondern nur
diejenige, die sie auf ihrer Seite haben kann, ist 21Plausibilität
von der Empirie abzahlbarer Fakten soweit entfernt wie wirklicher von möglichem
Konsens."
Kommentar: Dieser Argumentation kann ich nicht folgen. Denn wie soll
man denn eine Mehrheit feststellen, wenn nicht mit auszählen? Allerdings
lässt Koch unbestimmt, wie viel % eine entsprechende Mehrheit bilden,
ich denke hierbei an >50%, aber nicht 51:49 oder 60:40.
S.202f: "Wer die 22Plausibilität
seiner
Ansichten prüfen möchte, der [>203] kann sich nach allem negativ
am Ausschluß von Widersprüchlichkeit und Absurdität orientieren,
denn das ist weniger als 23plausibel;
er wird auch das sinnlich und sittlich Offenkundige, vor allem das wissenschaftlich
nach Maß, Zahl und Gewicht Beweisbare, außer acht lassen, denn
das ist wiederum mehr als 24plausibel.
Positiv orientieren wird er sich an dem, was Mehrheitsmeinung ist oder
die Autorität der Fachleute hinter sich hat. Aber solche Ansichten
wird er nicht unbesehen übernehmen, sondern jener selbständigen
Reflexion unterziehen, die Kant als den logischen Kern des Gemeinsinns
beschrieben hat. 25Plausibel ist
so, was vom Standpunkt des überparteilichen Gemeinsinnes aus einleuchtet."
Kommentar: 25Plausibel ist, was dem Gemeinsinn
einleuchtet.