Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=20.07.2022 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 14.09.22
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen  Mail: sekretariat@sgipt_ Zitierung  &  Copyright

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    Willkommen in unsere Internet-Publikation für Allgemeine und integrative Psychotherapie, Abteilung Geschichte der Psychopathologie, und hier speziell zum Thema:

    Analyse Johannes Volkelt (1906) Die Quellen der menschlichen Gewissheit
    Materialien zur Studie Begriffsanalyse Gewissheit und Gewissheitserleben.


    Zum Geleit:
    _

    "... Nun müssen diejenigen, 
    welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, 
    etwas voneinander verstehen; 
    denn wie könnte denn,
    wenn dies nicht stattfindet,
    ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...)
    möglich sein? 
    Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein
    und etwas, und zwar eins
    und nicht mehreres, bezeichnen;
    hat es mehrere Bedeutungen, 
    so muß man erklären, 
    in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..."

    Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik. 11. Buch, 5 Kap., S. 244 
    (Rowohlts Klassiker 1966)

    Leider verstehen viele Philosophen, Juristen, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler auch nach 2300 Jahren Aristoteles immer noch nicht, wie Wissenschaft elementar funktionieren muss: Wer wichtige Begriffe gebraucht, muss sie beim ersten Gebrauch (Grundregeln Begriffe) klar und verständlich erklären und vor allem auch referenzieren  können, sonst bleibt alles Schwall und Rauch (sch^3-Syndrom). Wer über irgendeinen Sachverhalt etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, wie er diesen Sachverhalt begrifflich fasst, auch wenn dies manchmal nicht einfach ist. Wer also über Gewissheit etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, was er unter "Gewissheit" verstehen will. Das ist zwar nicht einfach, aber wenn die Philosophie eine Wissenschaft wäre und und die PhilosophInnen Aristoteles ernst nehmen würden, dann hätten sie das in ihrer 2300jährigen Geschichte längst zustande bringen müssen. Im übrigen sind informative Prädikationen mit Beispielen und Gegenbeispielen immer möglich, wenn keine vollständige oder richtige Definition gelingt (Beispiel Gewissheit  und  Evidenz). Begriffsbasis  Damit werden all die Begriffe bezeichnet, die zum Verständnis oder zur Erklärung eines Begriffes wichtig sind. Bloße Nennungen oder Erwähnungen sind keine Lösung, sondern eröffenen lediglich Begriffsverschiebebahnhöfe. Die Erklärung der Begriffsbasis soll einerseits das Anfangs- problem  praktisch-pragmatisch und andererseits das  Begriffsverschiebebahnhofsproblem  lösen.

    Zusammenfassung-Volkelt-1906: Quellen der menschlichen Gewissheit.
    Volkelt, Johannes (1906) Die Quellen  der menschlichen Gewissheit. München: C.H. Becksche Verlagsbuchhandlung. [PDF]
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    Ende Zusammenfassung Volkelt 1906

    Inhaltsverzeichnis

      1. Veranlassung zu dieser Schrift 1
      2. Dualistische Grundlage der Erkenntnistheorie 2
      3. Die Methodedes inneren Erlebens 4
      4. Die Selbstgewifiheit des Bewufätseins G
      5. Die Selbstgewißheit des Bewußtseins als eine von allem Denken unterschiedene Gewißheit 10
      6. Die Erinnerungsgewißheitals zugehörig zur Selbstgewißheit... 14
      7. Dramatischer Wendepunktder Erkenntnistheorie 19
      8. Die Gewißheit aufGrund desBewußtseins sachlicherNotwendigkeit 2.5
      9. Die Denknotwendigkeitals Gewißheit von transsubjektiver Geltung 29
      10. Die transsubjektive Bedeutungder Denkakte 35
      11. Dertranssubjektive Inhalt der Denkaktein seiner bewußten und seiner imbewußten Form 39
      12. Dastranssubjektive Minimumin seiner prinzipiellen Bedeutung 43
      13. Dastranssubjektive Minimum: a) die fremden Bewußtseine... 45
      14. Das transsubjektive Minimum: b) das kontinuierliche Bestehen transsubjektiver AVesenheiten. 49
      15. Das transsubjektive Minimum: c) die gesetzmäßige Verknüpfung der transsubjektiven Wesenheiten 53
      16. Dastranssubjektive Minimum: d) die Einmaligkeit der Sinnenwelt 6l
      17. Die Lehre von den Hilfsvorstcllungen und der künstliche naive Realismus 65
      18. Die Glaubensgrnndlage des Denkens 71
      19. Die Denknotwendigkeitals msprüngliche Bewußtseinsfunktion. 77
      20. DieLehrevomDenkenals einem ökonomischen Anpassungsvorgang 82
      21. Die Lehre vom Denkenals einem praktischen Anpassungsvorgang 90
      22. Die Möglichkeit der Metaphysik 96
      23. DasÜbervernünftige und das Irrationale in der Metaphysik. 106
      24. Die intuitiven Formender Gewißheit 113
      25. Philosophie als Lebensmacht 123

    Fundstellen

    S.2f: "2. Dualistische Grundlage der Erkenntnistlieorie.
    Zur Orientierung des Lesers sei sofort bemerkt, daß meine Auffassung von der Erkenntnistheorie dualistischer Art ist.
    Plato, Spinoza, Hegel bekennen sich zu einer monistischen Erkenntnislchre: das Denken gilt ihnen als alleinige wahrhafte
    V2.1Gewißheitsquelle. Aber ebenso sind Hume, Mill, Avenarius, Mach erkenntnistheoretische Monisten: alle V2.2Gewißheit fließt ihnensclüießlich aus der Erfahrung. [>3] Fragt man, woraufdie V3.1Gewißheit unseres Erkennens beruht, so stößt man auf zwei Ursprünge, auf zwei V3.2Gewißheitsquellen. Mag auch ein noch so inniges Zusammenwirken beider V3.2Gewißheitsweisen nötig sein, wenn Erkenntnis entstehen soll, so ist es doch unmöglich, die eine auf die andere zurückzuführen. Die eine V3.3Gewißheitsquelle ist die V3.4Selbstgewißheit des Bewußtseins, das Innesein meiner Bewußtseinstatsachen. So wahr ich Bewußtseinbin, so wahrbezeugt mir mein Bewußtsein das Vorhandensein gewisser Verläufe und Zustände, gewisser Inhalte und Formen. Ohne diese V3.5Gewißheitsquelle gäbe es überhaupt kein Erkennen; sie gibt uns denStoff, aus dessen Bearbeitung alle Erkenntnisse allererst hervorgehen. Die andere V3.6Gewißheitsquelle ist die Denknotwendigkeit, die V3.7Gewißheit des logischen Zwanges, das sachliche Notwendigkeitsbewußtsein. Hiermit ist etwas schlechtweg Neues gegeben, das sich aus der V3.8Selbstgewißheit des Bewußtseins unmöglich gewinnen läßt. Überall, wo eine V3.9Gewißheit mehr sein will als bloßes Hinzeigen auf eine Tatsache des eigenen Bewußtseins, ist die Denknotwendigkeit dabei beteiligt. Mit diesem Dualismus ist aber nicht gesagt, daß jede dieser beiden V3.10Gewißheitsquellen für sich allein befriedigende und wertvolle Erkenntnis zu erzeugen vermöge. Vielmehr ergibt sich, daß auf ausschheßlicher Grundlage der V3.11Selbstgewißheit des Bewußtseins nur untergeordnetes und ungenügendes Erkennen entstehen kann. Und weiter ergibt sich, daß die Denknotwendigkeit für sich überhaupt kein Erkennen zu Stande zu bringen vermag. Alles befriedigende und wertvolle Erkennen beruht vielmehr auf dem Zusammenwirken beider V3.12Gewißheitsquellen und besteht sonach in denkender Bearbeitung der unmittelbar gegebenen Bewußtseinstatsachen.
        Jene erste V3.13Gewißheitsquelle kann auch als die reine Erfahrung bezeichnet werden. Denn nur was mir' mein Bewußtsein unmittelbar zeigt, wird im strengen Sinne von mir „erfahren". Daher darf ich auch sagen: alles wahrhafte Erkennen ist denkende Bearbeitung der reinen Erfahrung."

      Kommentar:-Volkelt-1906-2f:  In diesem Abschnitt komt Gewissheit 15 mal vor, wird aber an keiner Stelle erklärt, auch nicht durch Querverweis, Fußnote, Anmerkung oder Literaturhinweis.keiner Stelle erklärt, auch nicht durch Querverweis, Fußnote, Anmerkung oder Literaturhinweis. Aber Volkelt nennt zwei Quellen für die Gewißheit: die Selbstgewißheit des Bewusstsein, womit er einen Zirkel herstellt und die Denknotwendigkeit, die er auch nicht erklärt. 

    S.6f: "4. Die V6.1Selbstgewissheit des Bewusstseins.
    Indem ich als Erkenntnistheoretiker in meinem Bewußtsein Umschau halte, um die typischen V6.2Gewißheitsformen herauszuheben. so wird mein Blick zuerst durch das mit meinem Bewußtsein als solchem verbundene V6.3Gewißsein gefesselt. Ich mache beständig die Erfahrung, daß ich der verschiedenartigsten Bewußtseinstatsachen in unbedingt sicherer, schlechtweg unbezweifelbarer Weise V6.4gewiß bin.2) Auch der äußerste Skeptizismus läßt gelten, daß, wenn ich V6.5gewiß bin, V6.5.1Ermüdung, V6.5.2Durst, V6.5.3Wärme zu spüren, V6.5.4laute Töne zu hören, V6.5.5rote Gestalten zu sehen, diese V6.6Gewißheit von schlechtweg unbezweifelbarer Art ist. Und es ist zugleich eine V6.7Gewißheit von vollkommen selbstverständlicher Natur. Das heißt: es wäre sinnlos, eine Begründung dafür zu verlangen, daß ich ein V6.8völlig sicheres Wissen von meinen V6.8.1Ermüdungsgefühlen, meinem V6.8.2Sehen roter Gestalten und dergleichen behaupten darf.
        Und noch etw’as Weiteres liegt in dem Gesagten. Indem ich eines bestimmten Bewußtseinsinhaltes V6.9unbedingt gewiß bin, [>7] so ist mit diesem einzelnen Falle des V7.1Gewißseins zugleich die V7.2Selbstgewißheit des Bewußtseins im allgemeinen gegeben. Indem ich zum Beispiel der Empfindung des V7.3.1Süßen, V7.3.2Roten, V7.3.3Lauten in unbezweifelbarer Weise V7.3gewiß bin, bin ich darin zugleich eines bestimmten V7.4Gewißheitstypus — nämlich der V7.5unbezweifelbaren Selbstgewißheit meines Bewußtseins — in V7.6unbezweifelbarer Weise gewiß. Die Erfahrung dieser V7.7Gewißheit in einem einzelnen Falle schließt zugleich das V7.8unbedingt sichere Gewißsein von diesem V7.9Gewißheitsprinzipe in sich. Eine einzelne Erfahrung und die erkenntnistheoretische Rechtfertigung des in ihr enthaltenen V7.10Gewißheitstypus fallen hier zusammen.
    Ich sagte vorhin: die Aufmerksamkeit des Erkenntnistheoretikers wird zuerst durch diese V7.11Gewißheitsart gefesselt. Ich darf mehr sagen. Es ist zugleich durch das Interesse der Erkenntnistheorie als Wissenschaft geboten, daß der Erkenntnistbeoretiker gerade mit dem Aussprechen und Beschreiben dieses V7.12Gewißheitsprinzipes sein Geschäft anfange. Denn nur so verfährt er völlig voraussetzungslos. Er spricht, indem er dieses V7.13Gewißheitsprinzip hinstellt, etwas V7.14unbezweifelbar Gewisses und völlig Selbstverständliches aus. Mit dem Aussprechen jedes anderen V7.15Gewißheitsprinzipes würde er etwas über sein Bewußtsein irgendwie Hinausgreifendes hinstellen und also mit etwas dem Bezweifeln Ausgesetztem den Anfang machen.l)"
        Fußnoten S.6f

      FNS6-1) So faßt beispielsweise Max Scheier in seiner scharfsinnigen und gehaltreichen Schrift „Die transzendentale und die psychologische Methode“ (Leipzig 1900) die Erkenntnistheorie mehr wie einen Teil der Güterlehre auf und gibt ihr demgemäß eine kulturphilosophische Grundlage. Durch seine ganze Schrift geht die Verkennung der Notwendigkeit, der Erkenntnistheorie und hiermit der Philosophie einen subjektivistischen Ausgangspunkt zu geben.
      FNS6-2) Theodor Ziehen verlangt eine ichlos beginnende Erkenntnistheorie. Gegeben seien nur Empfindungsinhalte; eine subjektive Seite an ihnen zu unterscheiden, sei unerlaubt (Erkenntnistheoretische Auseinandersetzungen II. Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Band 33, S. 94 ff., 122). Die allen meinen Empfindungsinhalten beiwohnende Selbstgewißheit meines Bewußtseins — das ist die von Ziehen erstaunlicher Weise für nicht-vorhanden erklärte subjektive Seite an den Empfindungsinhalten. Die Erkenntnistheorie muß gerade mit dem beginnen, was Ziehen in seinem Bewußtsein nicht zu entdecken im Stande ist.


    Kommentar-Volkelt-1906-S6f: In diesem Abschnitt wird Gewißheit 24 mal erwähnt, aber an  keiner Stelle erklärt, auch nicht durch Querverweis, Fußnote, Anmerkung oder Literaturhinweis. Aber Volkelt bringt hier wenigstens Beispiele: V6.5.1Ermüdung, V6.5.2Durst, V6.5.3Wärme zu spüren, V6.5.4laute Töne zu hören, V6.5.5rote Gestalten zu sehen. Sodann richtet er den  Begrifssverschiebebahnhof  völlig sicheres Wissen ein.
        Anmerkung: Es gibt keine voraussetzungslose Bewusstseinsinnenschau. Die soziokulturelle geistige Entwicklung und Umgebung hat meine Begriffe, mein Denken und meine Sprache geprägt. Das ist die erste grundlegende Voraussetzung um sein eigenes Bewusstseinserleben zu erfassen, der niemand entkommen kann.
     



    Literatur  


    Links (Auswahl: beachte) > Querverweise
     



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:  Wissenschaftlicher  und  weltanschaulicher  Standort.
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    assertorische-Evidenz
    assertorisch:=etwas behaupten. Evidenz:=Offenkundigkeit, Offensichtlichkeit, Augenscheinlichkeit (im Angloamerikanischen eine ganz andere Bedeutung, nämlich: belegt, begründet, beweisorientiert).
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    Epimeleia  Ausfmerksamkeit und Sorge für ein gutes Leben.
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    performative-utterances (Austin)
    Sprechhandlungen, die nicht nur sachlich etwas mitteilen, sondern auf eine Wirkung und Veränderung abzielen. [W.engl]
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    Querverweise
    Standort: Volkelt Gewißheit und Wahrheit 1918.
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    Begriffsanalyse Gewissheit * Fragebogen-Pilot-Studie Begriffsanalyse Gewissheit *
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    Überblick Arbeiten zur Theorie, Definitionslehre, Methodologie, Meßproblematik, Statistik und Wissenschaftstheorie besonders in Psychologie, Psychotherapie und Psychotherapieforschung.
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