Begriff, Begriffsanalyse und Gebrauchsbeispiele in der Geschichtswissenschaft
Originalarbeit von Rudolf Sponsel, Erlangen
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Begriffsanalysen (Überblick).
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Begriffsanalyse Begriff.
Definition
Begriff.
Signierung
Begriffe und Begriffsmerkmale (BM).
"12. Die Geschichtslogik und ihre Begriffsbildung (BMDefiniendum)
Geht man vom geschichtlichen Sein zur Geschichtserkenntnis über,
so tritt man aus dem Sonnenlicht der Wirklichkeit in den Schatten der Reflexion.
Es ist die Eigenart aller Fragen der Kritik, daß sie vom Gegenstände
der Erkenntnis auf diese selbst zurücklenken. So hat es die Kantische
Kritik gemacht, aber nur mit der Naturerkenntnis. Das Aufkommen der Geisteswissenschaften
und das Aktuellwerden ihrer inneren Methodenschwierigkeiten zog folgerichtig
die Kritik der ’historischen Vernunft nach sich. Und es konnte nach dem
Scheitern der großen geschichtsmetaphysischen Konstruktionen nicht
anders sein, als daß man sich von ihr das Größte versprach.
Hatte doch die Kantische Kritik, soweit sie reichte, die theoretische Philosophie
aufs nachhaltigste befruchtet. So schien es, man dürfte hoffen, daß
ihre Ausdehnung auf historische Erkenntnis diese auf eine neue Basis stellen
werde.
Auf der Höhe des Neukantianismus wurde das
Problem spruchreif. Windelband ging 1894 mit der Unterscheidung „nomothetischer”
und „ideographischer“ Wissenschaften voran. Die letzteren sind die Geschichtswissenschaften.
Sie unterscheiden sich radikal von den Naturwissenschaften dadurch, daß
sie nicht auf Allgemeines, nicht auf Gesetze des Wirklichen ausgehen, sondern
auf den Einzelfall als solchen, auf das Einmalige und in seiner Art Einzige.
Was der Historiker herausarbeitet, ist immer ein Individuelles, einerlei,
ob es sich um Personen, Entschlüsse, Taten oder um Völker, Geschehnisse,
Kriege, Entwicklungen aller Art handelt.
Hier setzt ein Problem ein, dessen genauere Herausarbeitung
wir Rickert verdanken. Alle Wissenschaft bewegt sich in Begriffen
(BMwissen). Begriffe
(BMallgB) aber sind ihrer
Natur nach Allgemeingebilde; sie sind der extensiv und intensiv unendlichen
Wirklichkeit gegenüber jederzeit nur Abbreviaturen. Bei den Gesetzeswissenschaften
sind sie in ihrem Element, denn Gesetze sind selbst Allgemeinheiten, in
denen von der Fülle des konkreten Falles abgesehen ist. Die naturwissenschaftliche
Begriffsbildung (BMNatWis)
ist in ihrer Art vorbildlich, aber nicht auf die Geschichte als Erkenntnisgegenstand
übertragbar. Hier findet sie ihre Grenze. Der individuelle Gegenstand,
wo er streng als solcher verstanden werden soll, verträgt keinerlei
Verallgemeinerung. Ja, man könnte hinzufügen: [>27] selbst wenn
in der Geschichte Gesetzlichkeiten nicht weniger als in der Natur walten
sollten, so bliebe der einzelne Fall doch in Gesetzesbegriffen ungreifbar.
Er ist es ja auch in der Natur, nur ist die Naturwissenschaft gleichgültig
gegen ihn, ihr kommt es auf das Gesetz an. Der Geschichtswissenschaft aber
kommt es auf das Einzelne als solches an.
Was hier eigentlich erforderlich wäre, das
sind individuelle Begriffe (BMeignam).
Gerade das aber ist ein Ding der Unmöglichkeit (BMfragl).
Begriffe
(BMfragl) sind ihrer Natur
nach allgemein. Alles Begreifen geht den Weg der Analogie. Es ist immer
Begreifen „durch etwas, was man dazu schon haben muß. Wo „reine
Verstandesbegriffe” (BMzirtau),
wo, Analogien der Erfahrung” vorgegeben sind, da geht das Begreifen seinen
eingefahrenen Weg. Wo jeder Gegenstand in sich einzig ist und diese Einzigkeit
gerade erfaßt werden soll, da versagt das Begreifen.
Hier liegt eine Grundschwierigkeit ideographischer
Wissenschaft. Man kann ihr freilich mit der Überlegung begegnen, daß
Begriffe
(BMeignam) eines Individuellen
ja nicht
individuelle Begriffe (BMunklar)
zu sein brauchen. Man kann auch mit Simmel dem Gedanken des „individuellen
Gesetzes” in der Geschichte Raum geben und so eine Art Kontinuität
zur Gesetzeswissenschaft suchen. Beides aber versagt vollständig,
wenn man es methodologisch für die Geschichtswissenschaft verwerten
will. Methoden lassen sich nicht konstruktiv vorzeichnen wie Rechenregeln
in der exakten Wissenschaft. Der einzige Weg, der sich bisher als gangbar
erwiesen, ist von Dilthey beschritten worden. Er verbindet die Idee einer
rein beschreibenden Geschichtswissenschaft mit der des „Verstehens” im
Gegensatz zum „Begreifen“, — ein Verfahren, das den Begriff
(BMkom) nur noch als Verständigungsmittel,
gleichsam als notwendiges Übel der Wissenschaft, gelten laßt
und dadurch alles Gewicht von der Begriffsbildung
(BMBB)
auf ein intuitives Verstehen hinüberverlegt, welches in mehr als einer
Hinsicht der künstlerischen Schau nahekommt.
Die Schwierigkeit ist aber auch damit nur praktisch
behoben, und überdies nur für den, der im Besitze exzeptioneller
historischer Intuitionskraft ist. Eine angebbare Methode, die sich erlernen
und anwenden ließe, hat sich daraus nicht machen lassen. Es war nur
die eigene persönliche Meisterschaft Diltheys, die solchen Vorgehens
mächtig war. [>28]
Eine zweite Erkenntnisschwierigkeit stellt sich bei den Wertgesichtspunkten
ein, die der Historiker bewußt oder unbewußt zugrunde legt.
Aus dem ungeheuren Tatsachenmaterial, das ihm vorliegt, muß er auswählen,
um überhaupt zur Übersicht zu gelangen. Die Auslese aber setzt
Gesichtspunkte voraus. Was ist „bedeutsam” und was nicht? Es ist eine wohlbekannte
Sache, daß hier sehr mannigfaltige Stellungnahme hineinspielt, die
der Historiker aus den Tendenzen seiner Zeit mitbringt. Nach Troeltsch
entsteht der „historische Gegenstand“ als umreißbares Etwas überhaupt
erst durch eine Zwecksetzung der Forschung „von außen her”. Man braucht
also dabei gar nicht erst an die eigentlich tendenziöse Geschichtsdarstellung
zu denken. Die Parteinahme des Interesses für bestimmte Seiten des
geschichtlich Ganzen und Konkreten hat immer schon über Bedeutsamkeiten
entschieden, wo eine Richtung des erkennenden Eindringens sich herausbildet.
Daß dagegen ein historisches Nüchternheitsideal
nur unvollkommen aufkommt, ist a priori leicht zu sehen. Es ist heute eine
alte, oft erhobene Forderung, nur „darzustellen, wie es gewesen ist”.’
Man darf an ihrer Ernsthaftigkeit auch nicht zweifeln. Wohl aber an ihrer
Durchführbarkeit. Denn die Tatsache einer bestehenden Interessen-
und Ausleserichtung kann sie nicht aufheben. Hiergegen schützt auch
keine Idee des intuitiven Verstehens, sowenig wie die eines bloß
beschreibenden Vorgehens.
Wohl lassen sich zweierlei Wertgesichtspunkte in
genügender Schärfe unterscheiden, der subjektive oder hineingetragene
und der objektive, dem Gewicht der geschichtlichen Folgen entnommene. Ob
man Alexander, Caesar, Napoleon als Helden ihrer Zeit darstellt, oder als
Abenteurer, die von einer Welle der Geschichte hochgetragen sind, wird
jederzeit in hohem Grade abhängig sein von Vorliebe, Geschmack, Bewertung
menschlicher Größe1). Ob man aber die Bedeutung der
Alexanderfeldzüge für die Entfaltung und Eigenart der hellenistischen
Welt gelten läßt, ist nicht eine Frage des Geschmacks, sondern
einfach des Blickes für geschichtliche Zusammenhänge. Je extremer
man die Beispiele [>29] wählt, um so augenfälliger wird der Gegensatz
Beider Arten von Wertung.
Wo aber ist die Grenze zwischen ihnen zu ziehen?
Das Tatsachenmaterial der Geschichtswissenschaft bewegt sich gemeinhin
nicht in so bequem zugespitzten Fällen. Da verschwimmt alle Begrenzung;
die Frage, ob hinter den eingeführten Wertungen wirklich vorhandene
Wertqualitäten der Geschichte selbst stehen oder nicht, ist in der
Praxis selten eindeutig entscheidbar. Wir haben dafür kein Kriterium,
das nicht selbst schon Wertungscharakter trüge und in Wahrheit derselben
Frage unterläge.
Diese Wertungsaporie strahlt in die verschiedensten
Sonderfragen aus. Zu den bekanntesten gehört die nach der Periodisierung,
sowie die nach dem Aufbau der Geschichtsepochen. Ist hier auszugehen von
Völkerindividuen und ihren Lebensperioden? Oder von Geistes- und Ideengeschichte
(etwa von Religionsgeschichte, wie in der christlichen Geschichtsschreibung
sehr üblich geworden)? Oder von politischem und Kriegsgeschick? Oder
von den inneren Verschiebungen der Weltwirtschaft? Ob es Einschnitte gibt,
die alles das zugleich betreffen, ist eine Frage, auf die man es hier nicht
ankommen lassen kann; denn ohne gewaltsame Deutung hat sie wenig Aussicht
auf positive Antwort. Die Konsequenz ist, es kommt auch hier darauf an,
welche Schicht geschichtlicher Tatsachen man für die gewichtigste
hält. Die Entscheidung wird also immer bei der Bewertung liegen."
"5.
Ich versuche nun die Aufgabe zu bestimmen, welche
innerhalb dieser wissenschaftlichen Bewegung die hier vorliegende Untersuchung
über den Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften
sich gesetzt hat. Sie schließt sich an den ersten Band meiner Einleitung
in die Geisteswissenschaften (1883) an. Diese Arbeit war von der Aufgabe
einer Kritik der historischen Vernunft ausgegangen. Sie stellte sich auf
die Tatsache der Geisteswissenschaften, wie sie besonders in dem von der
historischen Schule geschaffenen Zusammenhang dieser Wissenschaften vorlag,
und suchte deren erkenntnistheoretische Begründung. In dieser Begründung
setzte sie sich dem Intellektualismus in der damals herrschenden Erkenntnistheorie
entgegen. »Mich führte historische wie psychologische Beschäftigung
mit dem gan[>139]zen Menschen dahin, diesen in der Mannigfaltigkeit seiner
Kräfte, dies wollend, fühlend vorstellende Wesen auch der Erklärung
der Erkenntnis und ihrer Begriffe (BMerk)
(wie Außenwelt, Zeit, Substanz, Ursache (BMBspGeg))
zugrunde zu legen.«11 So waren ihre Ausgangspunkte das
Leben und Verstehen (S. 10, 136 f.), das im Leben enthaltene Verhältnis
von Wirklichkeit, Wert und Zweck, und sie unternahm, die selbständige
Stellung der Geisteswissenschaften den Naturwissenschaften gegenüber
darzutun, die Grundzüge des erkenntnistheoretisch-logischen Zusammenhangs
in diesem vollständigen Ganzen aufzuzeigen und die Bedeutung der Auffassung
des Singulären in der Geschichte zur Geltung zu bringen. Ich versuche
jetzt den Standpunkt meines Buches dadurch eingehender zu begründen,
daß ich von dem erkenntnistheoretischen Problem aus den Aufbau der
geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften untersuche. Der Zusammenhang
zwischen dem Erkenntnisproblem und diesem Aufbau liegt darin, daß
die Analyse dieses Aufbaus auf ein Zusammenwirken von Leistungen führt,
welche durch eine solche Zergliederung nun der erkenntnistheoretischen
Untersuchung zugänglich werden.
Ich bezeichne zunächst kurz die Linie, die
von dem bisher Erörterten zur Erkenntnis dieses Aufbaus führen
soll, um schon hier den Gegensatz im Aufbau von [>140] Natur- und Geisteswissenschaften
sichtbar zu machen. Die Tatsache der Geisteswissenschaften, wie sie sich
in der Epoche ihrer Konstituierung herausgebildet haben, ist beschrieben
worden; es zeigte sich ferner, wie diese Wissenschaften im Erleben und
Verstehen begründet sind; so muß von hier aus ihr Aufbau, wie
er in jener Tatsache ihrer selbständigen Konstituierung durch die
historische Schule enthalten ist, aufgefaßt werden, und damit eröffnet
sich der Einblick in die gänzliche Verschiedenheit dieses Aufbaus
von dem dargelegten Aufbau der Naturwissenschaften. Die selbständige
Eigenheit des Aufbaus der Geisteswissenschaften wird so zum Hauptthema
dieser ganzen Arbeit.
Er geht vom Erlebnis aus, von Realität zu Realität;
er ist ein sich immer tiefer Einbohren in die geschichtliche Wirklichkeit,
ein immer mehr aus ihr Herausholen, immer weiter sich über sie Verbreiten.
Es gibt da keine hypothetischen Annahmen, welche dem Gegebenen etwas unterlegen.
Denn das Verstehen dringt in die fremden Lebensäußerungen durch
eine Transposition aus der Fülle eigener Erlebnisse. Natur, so sahen
wir, ist ein Bestandteil der Geschichte nur in dem, was sie wirkt und wie
auf sie gewirkt werden kann. Das eigentliche Reich der Geschichte ist zwar
auch ein äußeres; doch die Töne, welche das Musikstück
bilden, die Leinwand, auf der gemalt ist, der Gerichts-[>140]saal, in dem
Recht gesprochen wird, das Gefängnis, in dem Strafe abgesessen wird,
haben nur ihr Material an der Natur; Jede geisteswissenschaftliche Operation
dagegen, die mit solchen äußeren Tatbeständen vorgenommen
wird, hat es allein mit dem Sinne und der Bedeutung zu tun, die sie durch
das Wirken des Geistes erhalten haben; sie dient dem Verstehen, das diese
Bedeutung, diesen Sinn in ihnen erfaßt. Und nun gehen wir über
das bisher Dargelegte hinaus. Dies Verstehen bezeichnet nicht nur ein eigentümliches
methodisches Verhalten, das wir solchen Gegenständen gegenüber
einnehmen; es handelt sich nicht nur zwischen Geistes- und Naturwissenschaften
um einen Unterschied in der Stellung des Subjekts zum Objekt, um eine Verhaltungsweise,
eine Methode, sondern das Verfahren des Verstehens ist sachlich darin begründet,
daß das Äußere, das ihren Gegenstand ausmacht, sich von
dem Gegenstand der Naturwissenschaften durchaus unterscheidet. Der Geist
hat sich in ihnen objektiviert, Zwecke haben sich in ihnen gebildet. Werte
sind in ihnen verwirklicht, und eben dies Geistige, das in sie hinein gebildet
ist, erfaßt das Verstehen. Ein Lebensverhältnis besteht zwischen
mir und ihnen. Ihre Zweckmäßigkeit ist in meiner Zwecksetzung
gegründet, ihre Schönheit und Güte in meiner Wertgebung,
ihre Verstandesmäßigkeit in meinem Intellekt. Realitäten
gehen ferner nicht nur in meinem [>141] Erleben und Verstehen auf: sie
bilden den Zusammenhang der Vorstellungswelt, in dem das Außengegebene
mit meinem Lebensverlauf verknüpft ist: in dieser Vorstellungswelt
lebe ich, und ihre objektive Geltung ist mir durch den beständigen
Austausch mit dem Erleben und dem Verstehen anderer selbst garantiert;
endlich die
Begriffe (BMBverst),
die allgemeinen Urteile, die generellen Theorien sind nicht Hypothesen
über etwas, auf das wir äußere Eindrücke beziehen,
sondern Abkömmlinge von Erleben und Verstehen. Und wie in diesem die
Totalität unseres Lebens immer gegenwärtig ist, so klingt die
Fülle des Lebens auch in den abstraktesten Sätzen dieser Wissenschaft
nach.
Somit können wir nun das Verhältnis beider
Klassen von Wissenschaften und die Grundunterschiede ihres Aufbaus, wie
sie bis hierher erkannt sind, zusammenfassen. Die Natur ist die Unterlage
der Geisteswissenschaften. Die Natur ist nicht nur der Schauplatz der Geschichte;
die physischen Vorgänge, die Notwendigkeiten, welche in ihnen liegen,
und die Wirkungen, die von ihnen ausgehen, bilden die Unterlage für
alle Verhältnisse, für Tun und Leiden, Aktion und Reaktion in
der geschichtlichen Welt, und die physische Welt bildet auch das Material
für das ganze Reich, in welchem der Geist seine Zwecke, seine Werte
– sein Wesen ausgedrückt hat; auf dieser Grundlage erhebt sich aber
nun die Wirklichkeit, in [>142]welche die Geisteswissenschaften von zwei
Seiten her immer tiefer sich einbohren – vom Erleben der eigenen Zustände
und vom Verstehen des in der Außenwelt objektivierten Geistigen aus.
Und damit ist nun der Unterschied beider Arten von Wissenschaften gegeben.
In der äußeren Natur wird Zusammenhang in einer Verbindung abstrakterBegriffe
(BMabstr) den Erscheinungen
untergelegt. Dagegen der Zusammenhang in der geistigen Welt wird erlebt
und nachverstanden. Der Zusammenhang der Natur ist abstrakt, der seelische
und geschichtliche aber ist lebendig, lebengesättigt. Die Naturwissenschaften
ergänzen die Phänomene durch Hinzugedachtes; und wenn die Eigenschaften
des organischen Körpers und das Prinzip der Individuation in der organischen
Welt bisher solchem Begreifen widerstanden, so ist doch in ihnen das Postulat
eines solchen Begreifens immer lebendig, für dessen Verwirklichung
ihnen nur kausale Zwischenglieder fehlen; es bleibt ihr Ideal, daß
sie gefunden werden müssen, und immer wird die Auffassung, welche
in diese Zwischenstufe zwischen der anorganischen Natur und dem Geiste
ein neues Erklärungsprinzip einführen will, mit diesem Ideal
in ungeschlichtetem Streit sein. Die Geisteswissenschaften ordnen ein,
indem sie umgekehrt zu allererst und hauptsächlich die sich unermeßlich
ausbreitende menschlich-geschichtlich-gesellschaftliche äußere
Wirklichkeit zu-[>143]rückübersetzen in die geistige Lebendigkeit,
aus der sie hervorgegangen ist. Dort werden für die Individuation
hypothetische Erklärungsgründe aufgesucht, hier dagegen werden
in der Lebendigkeit die Ursachen derselben erfahren.
Hieraus ergibt sich nun die Stellung zur Erkenntnistheorie,
welche die nachfolgenden Untersuchungen über den Aufbau der geschichtlichen
Welt in den Geisteswissenschaften einnehmen werden. Das zentrale Problem
der auf die Naturwissenschaften allein bezogenen Erkenntnistheorie liegt
in der Fundierung der abstrakten Wahrheiten, des Charakters der Notwendigkeit
in ihnen, des Kausalgesetzes und in der Beziehung der Sicherheit der induktiven
Schlüsse zu abstrakten Grundlagen derselben. Da nun die auf die Naturwissenschaften
gegründete Erkenntnistheorie sich in die verschiedensten Richtungen
zersplittert hat, so daß es vielen scheinen möchte, als werde
sie das Schicksal der Metaphysik teilen, andererseits aber schon der bisherige
Überblick über den Bau der Geisteswissenschaften eine sehr große
Verschiedenheit der Stellung des Erkennens zu seinem Gegenstande auf diesem
Gebiet erwiesen hat: so scheint zunächst der Fortgang der allgemeinen
Erkenntnistheorie davon abhängig, daß sie sich mit den Geisteswissenschaften
auseinandersetzt. Dies fordert aber, daß vom erkenntnistheoretischen
Problem aus der Aufbau der ge[>143]schichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften
studiert werde; dann erst wird die allgemeine Erkenntnistheorie von den
Ergebnissen dieses Studiums aus einer Revision unterworfen werden können.[>145]
III. Allgemeine Sätze über den Zusammenhang der Geisteswissenschaften
Drei verschiedene Aufgaben hat die Grundlegung der
Geisteswissenschaften zu lösen. Sie bestimmt den allgemeinen Charakter
des Zusammenhanges, in dem auf diesem Gebiet auf Grund des Gegebenen ein
allgemeingültiges Wissen entsteht. Es handelt sich hier um die allgemeine
logische Struktur der Geisteswissenschaften.12 Es gilt dann,
den Aufbau der geistigen Welt durch die einzelnen Gebiete hindurch aufzuklären,
wie er sich in den Geisteswissenschaften durch das Ineinandergreifen ihrer
Leistungen vollzieht. Das ist die zweite Aufgabe, und in ihrer Auflösung
wird sich dann schrittweise die Methodenlehre der Geisteswissenschaften
durch Abstraktion aus ihrem Verfahren selbst ergeben. Endlich fragt sich,
welches der Erkenntniswert dieser Leistungen der Geisteswissenschaften
sei und in welchem Umfang durch ihr Zusammenwirken ein objektives geisteswissenschaftliches
Wissen möglich wird.
Zwischen den beiden letzten Aufgaben besteht ein
näherer innerer Zusammenhang. Die Sonderung der Leistungen macht die
Prüfung ihres Erkenntniswertes möglich, und diese zeigt, in welchem
Umfang durch sie die geisteswissenschaftliche Wirklichkeit und der [>145]
in ihr bestehende reale Zusammenhang ins Wissen erhoben wird: hierdurch
wird dann eine selbständige Grundlage der Erkenntnistheorie auf unserem
Gebiete gewonnen, und die Aussicht auf einen allgemeinen Zusammenhang der
Erkenntnistheorie eröffnet sich, dessen Ausgangspunkt in den Geisteswissenschaften
gelegen wäre.
Der allgemeine Charakter des Zusammenhanges in den
Geisteswissenschaften ist also unser nächstes Problem. Der Ausgangspunkt
ist die Strukturlehre des gegenständlichen Auffassens im allgemeinen.
Sie zeigt in allem Auffassen eine fortschreitende Linie vom Gegebenen zu
den Grundverhältnissen der Wirklichkeit, die hinter jenem dem begrifflichen
Denken (BMunklar)
aufgehen. Dieselben Denkformen und dieselben ihnen untergeordneten Klassen
von Denkleistungen ermöglichen in den Naturwissenschaften und den
Geisteswissenschaften den wissenschaftlichen Zusammenhang. Von dieser Grundlage
aus entstehen dann in der Anwendung jener Denkformen und Denkleistungen
aus den besonderen Aufgaben und unter den besonderen Bedingungen der Geisteswissenschaften
deren spezifische Methoden. Und da die Aufgaben der Wissenschaften die
Methoden für die Lösung hervorrufen, so bilden die einzelnen
Verfahrungsweisen einen inneren, vom Zweck des Wissens bedingten Zusammenhang."
...
"8. Die europäischen Kolonialreiche
a) Das britische Kolonialreich (BMDefiniendum)
Anlaß und Grundzüge der britischen Kolonisation in Afrika
haben in vielem andere Voraussetzungen als die der übrigen europäischen
Mächte (BMdiff). Um
die Mitte des 16. Jahrhunderts beginnt England (BMautonS)
seine Festlandspolitik aufzugeben (BMBeleg-),
sich aktiv in den europäischen Handel einzuschalten und überseeische
Stützpunkte zu erwerben, zuerst in Abwehr, dann in Angriff gegen die
spanische Seemacht (vgl. S. 890), später gegen die der Holländer
(S. 898 f.) (BMBeleg-).
Der Aufbau der britischen Überseebesitzungen zeigt weniger
ein planmäßiges, von der Regierung gelenktes Vorgehen, sondern
mehr ein wechselseitiges Zusammenwirken zwischen der Krone und Kaufmannsgesellschaften,
Kapitänen, Siedlern und Abenteurern. Die Navigationsakte (Navigation
Acts, S. 898) (BMBeleg+)
bestimmen, daß Ein- und Ausfuhr sowie der Schiffsverkehr mit allen
Kolonien den Briten vorbehalten bleibt. Wie später Cobden (S. 995)
(BMBeleg+) definiert, dürfen
die Kolonien „nur nach dem Handelsverkehr, den sie anregen, eingeschätzt
werden“; auch die Regierungskosten sollen auf das Konto der Kolonien gehen.
Großbritannien neigt also dazu, seinen Kolonien möglichst viel
Autonomie zuzugestehen; die Handelskompanien erhalten Privilegien, das
Mutterland greift, wenn nötig mit militärischen Demonstrationen
ein, um englischen Kaufleuten, Konsuln oder Untertanen Anerkennung zu verschaffen
(BMBeleg-).
Während sich Großbritannien in Amerika
und Asien (Indien) flächenmäßig ein riesiges Kolonialreich
aufbaut, ist es in Afrika zuerst kaum vertreten. Entscheidend für
die britische Afrikapolitik ist der Bau des Sueskanals durch Lesseps (S.
1122): England fürchtet für seinen Weg nach Indien und stellt
seine ganze afrikanische Kolonialpolitik auf die Kontrolle Ägyptens
und des Niltals ein: das Ziel, ein „Rückgrat vom Kap nach Kairo"
zu schaffen, ist damit vorgegeben. (BMBeleg-)"
Quelle S. 1145: Plötz, Karl (1968) Auszug aus
der Geschichte. 27. A. Würzburg: Plötz.
Zeitzeugen
Zeitzeugen sind ein sehr interessantes und wichtiges Thema für
die Geschichte. Einige Probleme findet man im Abschnitt "Die Rolle von
Zeitzeugen" im Buch "Bewusstseinswandel" von Carl Friedrich von Weizsäcker
angesprochen. Wichtige Begriffe wurden 14p-fett-kursiv
gesetzt.
Carl Friedrich von Weizsäcker: Der Verfasser
als Zeitzeuge.
Aus S. 303f: Weizsäcker, Carl Friedrich von (1991) Der Verfasser
als Zeitzeuge. In (303-430) Bewußtseinswandel. München: dtv.
Hagiographie der Kultur der alten Griechen
Die Kultur der alten Griechen wird in Deutschland meist falsch hagiographisch
dargestellt, was auf den hauptsächlich auf den "Humanismus", "Klassizismus"
und deutschen Idealismus zurückgeht (z.B. Schleiermacher, Humboldt,
Schlegel, Winckelmann, ...). Zwar ist unbestritten, dass die "alten Griechen"
kulturelle, wissenschaftliche und geistesgeschichtliche Höchstleistungen
vollbracht haben, die man aber auch kritisch sehen kann und muss (Platons
Ideenlehre). Hinzu kommen die inhumanen Fehlhaltungen der alten Griechen:
angebliche
Demokratie, Sklavenhalterwirtschaft,
Auserwählt-Faschismus
(Aristelese) gegenüberr den "Barbaren", Frauenrechte,
Kindesmissbrauch. An dieser Stelle ist also zu sagen, dass ein falscher
Begriff der altgriechischen Kultur vermittelt wird.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Wissenschaft site: www.sgipt.org. |
korrigiert: irs 15./16.10.2018