Ludwig Feuerbach
28.7.1804 Landshut - 13.9.1872 Nürnberg
In memoriam zum 200. Geburtstag
"Wo daher die Menschen politisch frei, religiös unfrei sind, da ist auch der Staat kein vollkommener oder noch nicht vollendeter. Was aber den zweiten Punkt betrifft, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, so ist's allerdings die erste Bedingung eines freien Staates, daß „jeder nach seiner facon selig werden", jeder glauben kann, [<244] was er will. Aber diese Freiheit ist eine sehr untergeordnete und inhaltslose; denn sie ist nichts andres als die Freiheit oder das Recht, daß jeder auf eigene Faust ein Narr sein kann." [Q] |
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Einführung:
Das bekannteste Hauptwerk Ludwig Feuerbachs ist "Das Wesen des Christentums",
das im 2. Teil "Das Wesen der Religion"
(1846) enthält. Hier analysiert er eindrucksvoll und abschließend,
dass Gott ein reines Phantasieprodukt, eine
bloße Projektion des Menschen, ein Wunschgebilde seiner eigenen Hoffnungen
und Sehnsucht nach - zweifelhafter - Vollkommenheit und nach ewigem Leben
ist. Weil es der Mensch nicht aushält, unvollkommen und endlich, d.h.
sterblich zu sein, erfindet er sich ein vollkommenes und allmächtiges
Wesen; und weil er selbst nicht sterben will, erfindet er die Vorstellung
von der Unsterblichkeit der Seele; weil er die Ungerechtigkeit auf Erden
nur schwer erträgt, kommt er auf die Idee einer himmlischen Gerechtigkeit.
Die Religion ist psychopathologisch gesehen ein
Wahnsystem, das in günstigen Fällen die Menschen beruhigt, tröstet
und mit ihren existenziellen Mängeln versöhnt, was aus unserer
Sicht die Aufgabe
der Metaphysik ist. Dies ist dem Christentum, insbesondere dem katholischen,
weitgehend nicht nur misslungen, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt worden.
Dies führt Feuerbach z.B. sehr trefflich im Einundzwanzigsten Kapitel
aus (S. 301):
Ergebnisse
der psychologisch funktionalen Feuerbachschen Religionsanalyse
Das Buch "Vorlesungen über das Wesen der Religion" ist psychologisch nach wie vor interessant und aktuell, was über 150 Jahre nach seiner Entstehung erstaunlich anmutet. Feuerbach hielt die Vorlesungen vom 1.12.1848 bis 2.3.1849 an drei Wochenabenden im von der Bürgerschaft bereitgestellten Rathaussaal in Heidelberg, weil ihm die Universität einen Hörsaal verweigert hatte. Die Buchausgabe erschien ergänzt und erweitert 1851. Im folgenden nun einige Kostproben:
Religion
als Wunscherfüllung (22. und 28. Vorlesung)
"Der Mensch glaubt Götter nicht nur, weil er Phantasie und Gefühl
hat, sondern auch, weil er den Trieb hat, glücklich zu sein. Er glaubt
ein seliges Wesen nicht nur, weil er eine Vorstellung der Seligkeit hat,
sondern weil er selbst selig sein will; er glaubt ein vollkommenes Wesen,
weil er selbst vollkommen zu sein wünscht; er glaubt ein unsterbliches
Wesen, weil er selbst nicht zu sterben wünscht. Was er selbst nicht
ist, aber zu sein wünscht, das stellt er sich in seinen Göttern
als seiend vor; die Götter sind die als wirklich gedachten, die in
wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen; ein Gott ist der
in der Phantasie befriedigte Glückseligkeitstrieb des Menschen. Hätte
der Mensch keine Wünsche, so hätte er trotz Phantasie und Gefühl
keine Religion, keine Götter. Und so verschieden die Wünsche,
so verschieden sind die Götter, und die Wünsche so verschieden,
als es die Menschen selbst sind. Wer zum Gegenstande seiner Wünsche
nicht Weisheit und Verständigkeit hat, wer nicht weise und verständig
sein will, der hat auch keine Göttin der Weisheit zum Gegenstande
seiner Religion. ... " [Q,
S. 224, 22. V.]
"... Der Mensch verwandelt also seine Gefühle, Wünsche, Einbildungen, Vorstellungen und Gedanken in Wesen, d. h., das, was er wünscht, vorstellt, denkt, gilt ihm für ein Ding, selbst außer seinem Kopfe, wenn es gleich nur in seinem Kopfe steckt. „Alle Gegenstände des Gedankens", sagt Kleuber in seinem „Zendavesta" von der Ormuzdreligion — aber es gilt von jeder, nur daß die Gegenstände nicht dieselben sind —, „alle Gegenstände des Gedankens (d. h. hier alle Gedankenunterschiede oder Gedankenwesen) sind hier zugleich wirkliche Wesen und damit auch Gegenstände der Huldigung." Daher kommt es auch, daß der Mensch selbst das Nichts, welches nur ein Gedanke, ein Wort ist, außer sich hinausgesetzt hat und zu der unsinnigen Vorstellung gekommen ist, daß vor der Welt nichts gewesen, daß die Welt sogar aus nichts geschaffen sei. Aber der Mensch verwandelt hauptsächlich nur die Gedanken und Wünsche in Wesen, in Dinge, in Götter, welche mit seinem Wesen zusammenhängen. So verwandelt z. B. der Wilde jede schmerzliche Empfindung in ein böses, den Menschen peinigendes Wesen, jedes Bild seiner Einbildungskraft, das ihn in Furcht und Schrecken versetzt, in ein teuflisches Gespenst. So verwandelt der humane Mensch seine menschlichen Gefühle in göttliche Wesen. Unter allen Griechen hatten allein die Athener, nach Vossius, dem Mitleid, dem Mitgefühl einen Altar errichtet. So verwandelt der politische Mensch seine politischen Wünsche und Ideale in Götter. So gab es in Rom eine Freiheitsgöttin, der Gracchus einen Tempel erbaute; so hatte auch die Eintracht einen Tempel; so auch das Öffentliche Wohl, so die Ehre, kurz, alles, was drin politischen Menschen von besonderer Wichtigkeit ist. ..." [S. 285, 28.V.]
Die
praktischen Zwecke der Religion: Beherrschung der Natur und Abwehr von
Übeln (23. Vorlesung)
"Die Religion hat also einen praktischen Zweck. Sie will dadurch, daß
sie die Naturwirkungen zu Handlungen, die Naturprodukte zu Gaben, sei's
nun eines oder mehrerer persönlicher, menschenähnlicher Wesen
macht, die Natur in die Hand des Menschen bringen, dem Glückseligkeitstrieb
des Menschen dienstbar machen. Die Abhängigkeit des Menschen von der
Natur ist daher wohl, wie ich im „Wesen der Religion" sage, der Grund und
Anfang der Religion, aber die Freiheit von dieser Abhängigkeit, sowohl
im vernünftigen als unvernünftigen Sinne, ist der Endzweck der
Religion. Oder die Gottheit der Natur ist wohl die Grundlage der
Religion, aber die Gottheit des Menschen ist der Endzweck
der Religion. Was daher der Mensch auf dem Standpunkt der Vernunft durch
Bildung, durch Kultur der Natur, erreichen will: ein schönes, glückliches,
von den Roheiten und blinden Zufälligkeiten der Natur geschütztes
Dasein, das will der Mensch auf dem Standpunkt der Unkultur durch die Religion
erreichen. Das Mittel, die Natur den menschlichen Zwecken und Wünschen
angenehm zu machen, ist im Anfang der menschlichen Geschichte daher einzig
die Religion. Der hilf- und ratlose, der mittellose Mensch weiß sich
nicht anders zu helfen als durch Bitten und mit ihnen verbundene Gaben,
Opfer, wodurch er den Gegenstand, vor dem er sich fürchtet, von dem
er sich bedroht und abhängig fühlt, sich geneigt zu machen sucht,
oder durch Zauberei, welche aber eine irreligiöse Form der Religion
ist; denn die Zauberkraft, d. h. die durch bloße Worte, durch den
bloßen Willen die Natur beherrschende Macht, welche der Zauberer
sich zuschreibt oder selbst ausübt, versetzt der religiöse Mensch
in den Gegenstand außer sich. Übrigens kann auch Beten und Zaubern
verbunden sein, so daß die Gebete nichts andres sind [<232] als
Beschwörungs- und Zauberformeln, wodurch man die Götter auch
wider ihren Willen zwingen kann, die Wünsche des Menschen zu erfüllen.
Selbst auch bei den frommen Christen hat das Gebet nicht immer den Charakter
religiöser Demut, sondern es tritt auch oft gebieterisch auf. „Wenn
wir", sagt z. B. Luther in seiner „Auslegung des ersten Buchs Mose", „in
der Not und Anfechtung sind, da haben wir nicht sonderliche Acht auf die
hohe Majestät (Gottes), sondern sagen stracks: Hilf, lieber Gott!
Nun hilf, Gott! Laß dich das erbarmen im Himmel! Da machen wir keine
lange Vorrede."
Gebet und Opfer sind also Mittel, wodurch der rat-
und hilflose Mensch aller Not abzuhelfen und die Natur zu bezwingen sucht.
So beten die Chinesen, wie Sonnerat erzählt, bei einem Seesturm, wo
die Gefahr am meisten Tätigkeit und Geschicklichkeit erfordert, den
Kompaß an und gehen betend mit demselben zugrunde; so bitten die
Tungusen zur Zeit einer Epidemie andächtig und mit feierlichen Verbeugungen
die Krankheit, sie möchte an ihren Hütten vorübergehen;
so bringen die schon früher erwähnten Khands, wenn die Blattern
ausbrechen, der Gottheit der Blattern das Blut von Ochsen, Schafen und
Schweinen dar, und die Einwohner der Insel Amboina, einer ostindischen
Insel, oder spezieller einer der Gewürzinseln, „bringen bei dem Ausbruch
bösartiger Krankheiten allerlei Gaben und Opfer zusammen, packen sie
in ein Schiff und stoßen es in das Meer, in der Hoffnung, daß
die Seuchen, dadurch versöhnt, den ihnen gebrachten Gaben und Opfern
folgen und die Insel Amboina verlassen würden" (Meiners a. a. O.).
So wendet sich also der sogenannte Götzendiener sogar statt gegen
an den Gegenstand, an die Ursache des Übels mit frommen Gebeten, um
ihn zu bezwingen. Das tut nun freilich der Christ nicht; aber er unterscheidet
sich darin nicht von dem Polytheisten oder Götzendiener, daß
er — statt durch Selbsttätigkeit, durch Kultur, durch eigenen Verstand
— durch das Gebet an den allmächtigen Gott die Übel der Natur
beseitigen, die Natur überhaupt sich willfährig machen will."
Freiheit
heißt auch Freiheit von Religion (24. Vorlesung)
"Die Erscheinung, daß Verstand wenigstens in gewissen Lebenssphären
sich mit dem unverständigsten Aberglauben, politische Freiheit mit
religiösem Knecht[s]sinn, naturwissenschaftliche, industrielle Fortschritte
mit dem religiösen Stillstande, selbst mit der Bigotterie vertragen,
hat manche auf die oberflächliche Ansicht und Behauptung gebracht,
daß die Religion für das Leben, namentlich das öffentliche,
politische Leben, ganz gleichgültig sei; das einzige, was man in dieser
Beziehung erstreben müsse, sei unbedingte Freiheit, zu glauben, was
man wolle. Ich erwidere aber dagegen, daß solche Zustände, wo
politische Freiheit mit religiöser Befangenheit und Beschränktheit
verbunden ist, keine wahren sind. Ich für meinen Teil gebe keinen
Pfifferling für politische Freiheit, wenn ich ein Sklave meiner religiösen
Einbildungen und Vorurteile bin. Die wahre Freiheit ist nur da, wo der
Mensch auch religiös frei ist; die wahre Bildung nur da, wo der Mensch,
seiner religiösen Vorurteile und Einbildungen Herr geworden ist. Das
Ziel des Staats kann aber kein anderes sein, als wahre, vollkommene Menschen
— vollkommen freilich nicht im Sinne der Phantastik — zu bilden; ein Staat
daher, dessen Bürger bei freien politischen Instituten religiös
unfrei sind, kann daher kein wahrhaft menschlicher und freier Staat sein.
Der Staat macht nicht die Menschen, sondern die Menschen machen den Staat.
Wie
die Menschen, so der Staat. Wo einmal ein Staat besteht, da werden
freilich die einzelnen, die durch Geburt oder Einwanderung Glieder desselben
werden, durch den Staat bestimmt; aber was ist der Staat im Verhältnis
zu den einzelnen, die in ihn kommen, anders als die Summe und Verbindung
der bereits existierenden, diesen Staat bildenden Menschen, die kraft der
ihnen zu Gebote stehenden Mittel, kraft der von ihnen geschaffenen Einrichtungen
die Zu- und Nachkommenden nach ihrem Geist und Willen bestimmen? Wo
daher die Menschen politisch frei, religiös unfrei sind, da ist auch
der Staat kein vollkommener oder noch nicht vollendeter. Was aber den zweiten
Punkt betrifft, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, so ist's allerdings
die erste Bedingung eines freien Staates, daß „jeder nach seiner
facon selig werden", jeder glauben kann, [<244] was er will. Aber diese
Freiheit ist eine sehr untergeordnete und inhaltslose; denn sie ist nichts
andres als die Freiheit oder das Recht, daß jeder auf eigene Faust
ein Narr sein kann. Der Staat in unserem bisherigen Sinne kann allerdings
nichts weiter tun, als sich aller Eingriffe in das Gebiet des Glaubens
zu enthalten, als unbedingte Freiheit in dieser Beziehung zu geben. Aber
die Aufgabe des Menschen im Staate ist, nicht nur zu glauben, was er will,
sondern zu glauben, was vernünftig ist; überhaupt nicht nur zu
glauben, sondern auch zu wissen, was er wissen kann und wissen muß,
wenn er ein freier und gebildeter Mensch sein will. Nicht kann man sich
hier mit der Schranke des menschlichen Wissens helfen. Im Gebiete der Natur
gibt es allerdings noch genug Unbegreifliches; aber die Geheimnisse der
Religion, die aus dem Menschen entspringen, kann auch der Mensch bis auf
den letzten Grund erkennen. Und eben weil er es kann, soll er es auch.
Endlich ist [es] eine durchaus oberflächliche, von der Geschichte,
selbst von dem gewöhnlichen Leben tagtäglich widerlegte Ansicht,
daß die Religion keinen Einfluß auf das öffentliche Leben
habe. Diese Ansicht stammt daher nur aus unserer Zeit, wo der religiöse
Glaube nur noch eine Chimäre ist. Wo ein Glaube freilich keine
Wahrheit im Menschen mehr ist, da hat er auch keine praktischen Folgen,
da bringt er keine weltgeschichtlichen Taten mehr hervor. Aber wo das der
Fall, wo der Glaube nur eine Lüge noch ist, da befindet sich der Mensch
im häßlichsten Widerspruch mit sich, da hat der Glaube daher
wenigstens moralisch verderbliche Folgen. Eine solche Lüge
ist aber der moderne Gottesglaube. Nur die Aufhebung dieser Lüge ist
daher die Bedingung einer neuen, tatkräftigen Menschheit."
Götzen und Gottesdienst
(25.
Vorlesung)
"Der Unterschied zwischen Götzendienst und Gottesdienst entspringt
da, wo der Mensch einen Gegenstand, er sei nun ein natürlicher, sinnlicher
oder geistiger, vor allen anderen bevorzugt und diesem allein die Gefühle,
die der Mensch auch einem anderen Gegenstande gegenüber empfinden,
die Ehrenbezeigungen, die er auch einem anderen Gegenstande beweisen kann,
zueignen will. Die Religion, d. h. die Religion, die sich in öffentlichen
Bekenntnissen, in bestimmten, gottesdienstlichen Formen ausspricht, sage
ich im „Wesen des Christentums", ist ein öffentliches Liebesbekenntnis.
Den Gegenstand, das Weib, das die höchste Macht über den Mann
ausübt, das, in seinen Augen wenigstens, das vorzüglichste und
höchste Weib ist, das in ihm ebendeswegen ein Abhängigkeitsgefühl
erzeugt, das Gefühl, daß er ohne dasselbe nicht leben, wenigstens
nicht glücklich sein kann, das erwählt er zum Gegenstande seiner
Liebe und macht es, wenigstens solange er es nicht besitzt, solange es
nur ein Gegenstand seiner Wünsche und Einbildungen ist, zu einem Gegenstande
auch der höchsten Verehrung, zu einem Gegenstande, dem er dieselben
Opfer und Huldigungen darbringt als der Religiöse seinem Gott. Mit
der Religion — auch die Liebe ist Religion — ist es nun ebenso. Die Religion,
wenigstens die eklektische, kritische, unterscheidende, verehrt den Baum,
aber nicht jeden ohne Unterschied, sondern den erhabensten, höchsten;
den Fluß, aber den mächtigsten, wohltätigsten, wie z. B.
die Ägypter den Nil, die Inder den Ganges; die Quelle, aber nicht
jede, sondern die durch besondere Eigenschaften sich auszeichnende Quelle,
wie z. B. die alten Deutschen besonders die Salzquellen verehrten; die
leuchtenden Himmelskörper, aber nicht jeden, sondern den hervorragendsten,
die Sonne, den Mond, die Planeten oder sonst ausgezeichnete Gestirne; oder
sie verehrt das menschliche Wesen, aber nicht in jeder beliebigen Person,
sondern in der Person eines schönen Menschen, wie die Griechen, z.
B. die Aegestaner, den Philipp von Kroton, ob er gleich in ihr Land eingefallen,
vergötterten, weil er der schönste Mann war, oder in der Person
eines Fürsten, eines Despoten, wie die Orientalen, ..." [<254]
Wunder (26. und 27. Vorlesung)
"... Wider die Ordnung der Natur, welche man eine notwendige nennt,
wider die Naturnotwendigkeit also, gebar auf seinen Befehl eine Jungfrau,
wurden die Blinden sehend, die Toten öfters lebendig.' Um das religiöse
Wunder glaublich zu machen, hat man allerdings stets die natürlichen
Wunder, die doch keine Wunder sind, vorgeschützt. Dieser Kniff gehört
zu den vielen frommen Betrügereien, die man sich zu allen Zeiten,
in allen Religionen erlaubte, um die Menschen zu betören und in der
religiösen Knechtschaft zu erhalten. Der Unterschied zwischen beiden
Wundern geht aber auf eine augenfällige Weise schon daraus hervor,
daß das natürliche Wunder etwas ganz Gleichgültiges für
den Menschen ist, aber bei dem religiösen Wunder der Mensch interessiert,
sein Egoismus beteiligt ist. Das religiöse Wunder hat daher seinen
Grund nicht in der äußeren Natur, sondern im Menschen. Das religiöse
Wunder hat zu seiner Voraussetzung einen menschlichen Wunsch, ein
menschliches Bedürfnis. Die religiösen Wunder .geschehen in der
Not, geschehen nur da, wo der Mensch von einem Übel erlöst sein
will, von einem Übel, von dem er aber, solange es nur natürlich
zugeht, nicht erlöst sein kann. In den Wundern versinnlicht sich das
Wesen der Religion. Wie diese ist auch das Wunder nicht nur eine Sache
des Gefühls und der Phantasie, sondern auch des Willens, des Glückseligkeitstriebes.
... " [S. 264, 26. V.]
" ... Was der Mensch wünscht, notwendig wünscht
— notwendig nach dem Standpunkt, worauf er steht —, das glaubt er. Der
Wunsch ist das Verlangen, daß etwas sei, was nicht ist; die Einbildungskraft,
der Glaube stellt es dem Menschen als seiend vor. ..." [S. 274, 27.
V.]