Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    IP-GIPT DAS=31.07.2004 Internet-Ausgabe, letzte Änderung 29.8.8.
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel   Stubenlohstr. 20   D-91052 Erlangen
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    Willkommen in der Abteilung Metaphysik - von den letzten und großen Dingen jenseits der Wissenschaft, hinter der wahrnehmbaren Welt, Logik und Erfahrung, hier zum Atheismus, speziell zum Thema:
     

    Ludwig Feuerbach
    28.7.1804 Landshut - 13.9.1872 Nürnberg

    In memoriam zum 200. Geburtstag


     

    "Wo daher die Menschen politisch frei, religiös unfrei sind, da ist auch der Staat kein vollkommener oder noch nicht vollendeter. Was aber den zweiten Punkt betrifft, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, so ist's allerdings die erste Bedingung eines freien Staates, daß „jeder nach seiner facon selig werden", jeder glauben kann, [<244] was er will. Aber diese Freiheit ist eine sehr untergeordnete und inhaltslose; denn sie ist nichts andres als die Freiheit oder das Recht, daß jeder auf eigene Faust ein Narr sein kann." [Q] 

    von Rudolf Sponsel, Erlangen


    Inhalt

    Einführung: Das bekannteste Hauptwerk. 
    Ergebnisse der psychologisch funktionalen Feuerbachschen Religionsanalyse nach den Vorlesungen.

    • Religion als Wunscherfüllung.
    • Die praktischen Zwecke der Religion: Beherrschung der Natur und Abwehr von Übeln.
    • Freiheit heißt auch Freiheit von Religion. 
    • Götzen und Gottesdienst. 
    • Wunder. 
    Links.
    Literatur.
    Glossar und Anmerkungen.
    • Zu: Das Wesen der Religion.
    • Feuerbach zu seiner inneren Befindlichkeit: die psychologische Situation des Atheisten.
    • Feuerbach und Erlangen.
    Querverweise.

    Einführung: Das bekannteste Hauptwerk Ludwig Feuerbachs ist "Das Wesen des Christentums", das im 2. Teil "Das Wesen der Religion" (1846) enthält. Hier analysiert er eindrucksvoll und abschließend, dass Gott ein reines Phantasieprodukt, eine bloße Projektion des Menschen, ein Wunschgebilde seiner eigenen Hoffnungen und Sehnsucht nach - zweifelhafter - Vollkommenheit und nach ewigem Leben ist. Weil es der Mensch nicht aushält, unvollkommen und endlich, d.h. sterblich zu sein, erfindet er sich ein vollkommenes und allmächtiges Wesen; und weil er selbst nicht sterben will, erfindet er die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele; weil er die Ungerechtigkeit auf Erden nur schwer erträgt, kommt er auf die Idee einer himmlischen Gerechtigkeit.
        Die Religion ist psychopathologisch gesehen ein Wahnsystem, das in günstigen Fällen die Menschen beruhigt, tröstet und mit ihren existenziellen Mängeln versöhnt, was aus unserer Sicht die Aufgabe der Metaphysik ist. Dies ist dem Christentum, insbesondere dem katholischen, weitgehend nicht nur misslungen, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt worden. Dies führt Feuerbach z.B. sehr trefflich im Einundzwanzigsten Kapitel aus (S. 301):
     

      "Der Widerspruch in der Existenz Gottes
      Die Religion ist das Verhalten des Menschen zu seinem eignen Wesen - darin liegt ihre Wahrheit und sittliche Heilkraft - aber zu seinem Wesen nicht als dem seinigen, sondern als einem anderen, von ihm unterschiedlichen, ja entgegengesetzten Wesen - darin liegt ihre Unwahrheit, ihre Schranke, ihr Widerspruch mit Vernunft und Sittlichkeit, darin die unheilschwangere Quelle des religiösen Fanatismus, darin das oberste, metaphysische Prinzip der blutigen Menschenopfer, kurz, darin der Urgrund aller Greuel, aller schaudererregenden Szenen in dem Trauerspiel der Religionsgeschichte."


    Ergebnisse der psychologisch funktionalen Feuerbachschen Religionsanalyse

    Das Buch "Vorlesungen über das Wesen der Religion" ist psychologisch nach wie vor interessant und aktuell, was über 150 Jahre nach seiner Entstehung erstaunlich anmutet. Feuerbach hielt die Vorlesungen vom 1.12.1848 bis 2.3.1849 an drei Wochenabenden im von der Bürgerschaft bereitgestellten Rathaussaal in Heidelberg, weil ihm die Universität einen Hörsaal verweigert hatte. Die Buchausgabe erschien ergänzt und erweitert 1851. Im folgenden nun einige Kostproben:

    Religion als Wunscherfüllung (22. und 28. Vorlesung)
    "Der Mensch glaubt Götter nicht nur, weil er Phantasie und Gefühl hat, sondern auch, weil er den Trieb hat, glücklich zu sein. Er glaubt ein seliges Wesen nicht nur, weil er eine Vorstellung der Seligkeit hat, sondern weil er selbst selig sein will; er glaubt ein vollkommenes Wesen, weil er selbst vollkommen zu sein wünscht; er glaubt ein unsterbliches Wesen, weil er selbst nicht zu sterben wünscht. Was er selbst nicht ist, aber zu sein wünscht, das stellt er sich in seinen Göttern als seiend vor; die Götter sind die als wirklich gedachten, die in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen; ein Gott ist der in der Phantasie befriedigte Glückseligkeitstrieb des Menschen. Hätte der Mensch keine Wünsche, so hätte er trotz Phantasie und Gefühl keine Religion, keine Götter. Und so verschieden die Wünsche, so verschieden sind die Götter, und die Wünsche so verschieden, als es die Menschen selbst sind. Wer zum Gegenstande seiner Wünsche nicht Weisheit und Verständigkeit hat, wer nicht weise und verständig sein will, der hat auch keine Göttin der Weisheit zum Gegenstande seiner Religion. ... " [Q, S. 224, 22. V.]

    "... Der Mensch verwandelt also seine Gefühle, Wünsche, Einbildungen, Vorstellungen und Gedanken in Wesen, d. h., das, was er wünscht, vorstellt, denkt, gilt ihm für ein Ding, selbst außer seinem Kopfe, wenn es gleich nur in seinem Kopfe steckt. „Alle Gegenstände des Gedankens", sagt Kleuber in seinem „Zendavesta" von der Ormuzdreligion — aber es gilt von jeder, nur daß die Gegenstände nicht dieselben sind —, „alle Gegenstände des Gedankens (d. h. hier alle Gedankenunterschiede oder Gedankenwesen) sind hier zugleich wirkliche Wesen und damit auch Gegenstände der Huldigung." Daher kommt es auch, daß der Mensch selbst das Nichts, welches nur ein Gedanke, ein Wort ist, außer sich hinausgesetzt hat und zu der unsinnigen Vorstellung gekommen ist, daß vor der Welt nichts gewesen, daß die Welt sogar aus nichts geschaffen sei. Aber der Mensch verwandelt hauptsächlich nur die Gedanken und Wünsche in Wesen, in Dinge, in Götter, welche mit seinem Wesen zusammenhängen. So verwandelt z. B. der Wilde jede schmerzliche Empfindung in ein böses, den Menschen peinigendes Wesen, jedes Bild seiner Einbildungskraft, das ihn in Furcht und Schrecken versetzt, in ein teuflisches Gespenst. So verwandelt der humane Mensch seine menschlichen Gefühle in göttliche Wesen. Unter allen Griechen hatten allein die Athener, nach Vossius, dem Mitleid, dem Mitgefühl einen Altar errichtet. So verwandelt der politische Mensch seine politischen Wünsche und Ideale in Götter. So gab es in Rom eine Freiheitsgöttin, der Gracchus einen Tempel erbaute; so hatte auch die Eintracht einen Tempel; so auch das Öffentliche Wohl, so die Ehre, kurz, alles, was drin politischen Menschen von besonderer Wichtigkeit ist. ..." [S. 285, 28.V.]

    Die praktischen Zwecke der Religion: Beherrschung der Natur und Abwehr von Übeln (23. Vorlesung)
    "Die Religion hat also einen praktischen Zweck. Sie will dadurch, daß sie die Naturwirkungen zu Handlungen, die Naturprodukte zu Gaben, sei's nun eines oder mehrerer persönlicher, menschenähnlicher Wesen macht, die Natur in die Hand des Menschen bringen, dem Glückseligkeitstrieb des Menschen dienstbar machen. Die Abhängigkeit des Menschen von der Natur ist daher wohl, wie ich im „Wesen der Religion" sage, der Grund und Anfang der Religion, aber die Freiheit von dieser Abhängigkeit, sowohl im vernünftigen als unvernünftigen Sinne, ist der Endzweck der Religion. Oder die Gottheit der Natur ist wohl die Grundlage der Religion, aber die Gottheit des Menschen ist der Endzweck der Religion. Was daher der Mensch auf dem Standpunkt der Vernunft durch Bildung, durch Kultur der Natur, erreichen will: ein schönes, glückliches, von den Roheiten und blinden Zufälligkeiten der Natur geschütztes Dasein, das will der Mensch auf dem Standpunkt der Unkultur durch die Religion erreichen. Das Mittel, die Natur den menschlichen Zwecken und Wünschen angenehm zu machen, ist im Anfang der menschlichen Geschichte daher einzig die Religion. Der hilf- und ratlose, der mittellose Mensch weiß sich nicht anders zu helfen als durch Bitten und mit ihnen verbundene Gaben, Opfer, wodurch er den Gegenstand, vor dem er sich fürchtet, von dem er sich bedroht und abhängig fühlt, sich geneigt zu machen sucht, oder durch Zauberei, welche aber eine irreligiöse Form der Religion ist; denn die Zauberkraft, d. h. die durch bloße Worte, durch den bloßen Willen die Natur beherrschende Macht, welche der Zauberer sich zuschreibt oder selbst ausübt, versetzt der religiöse Mensch in den Gegenstand außer sich. Übrigens kann auch Beten und Zaubern verbunden sein, so daß die Gebete nichts andres sind [<232] als Beschwörungs- und Zauberformeln, wodurch man die Götter auch wider ihren Willen zwingen kann, die Wünsche des Menschen zu erfüllen. Selbst auch bei den frommen Christen hat das Gebet nicht immer den Charakter religiöser Demut, sondern es tritt auch oft gebieterisch auf. „Wenn wir", sagt z. B. Luther in seiner „Auslegung des ersten Buchs Mose", „in der Not und Anfechtung sind, da haben wir nicht sonderliche Acht auf die hohe Majestät (Gottes), sondern sagen stracks: Hilf, lieber Gott! Nun hilf, Gott! Laß dich das erbarmen im Himmel! Da machen wir keine lange Vorrede."
        Gebet und Opfer sind also Mittel, wodurch der rat- und hilflose Mensch aller Not abzuhelfen und die Natur zu bezwingen sucht. So beten die Chinesen, wie Sonnerat erzählt, bei einem Seesturm, wo die Gefahr am meisten Tätigkeit und Geschicklichkeit erfordert, den Kompaß an und gehen betend mit demselben zugrunde; so bitten die Tungusen zur Zeit einer Epidemie andächtig und mit feierlichen Verbeugungen die Krankheit, sie möchte an ihren Hütten vorübergehen; so bringen die schon früher erwähnten Khands, wenn die Blattern ausbrechen, der Gottheit der Blattern das Blut von Ochsen, Schafen und Schweinen dar, und die Einwohner der Insel Amboina, einer ostindischen Insel, oder spezieller einer der Gewürzinseln, „bringen bei dem Ausbruch bösartiger Krankheiten allerlei Gaben und Opfer zusammen, packen sie in ein Schiff und stoßen es in das Meer, in der Hoffnung, daß die Seuchen, dadurch versöhnt, den ihnen gebrachten Gaben und Opfern folgen und die Insel Amboina verlassen würden" (Meiners a. a. O.). So wendet sich also der sogenannte Götzendiener sogar statt gegen an den Gegenstand, an die Ursache des Übels mit frommen Gebeten, um ihn zu bezwingen. Das tut nun freilich der Christ nicht; aber er unterscheidet sich darin nicht von dem Polytheisten oder Götzendiener, daß er — statt durch Selbsttätigkeit, durch Kultur, durch eigenen Verstand — durch das Gebet an den allmächtigen Gott die Übel der Natur beseitigen, die Natur überhaupt sich willfährig machen will."

    Freiheit heißt auch Freiheit von Religion (24. Vorlesung)
    "Die Erscheinung, daß Verstand wenigstens in gewissen Lebenssphären sich mit dem unverständigsten Aberglauben, politische Freiheit mit religiösem Knecht[s]sinn, naturwissenschaftliche, industrielle Fortschritte mit dem religiösen Stillstande, selbst mit der Bigotterie vertragen, hat manche auf die oberflächliche Ansicht und Behauptung gebracht, daß die Religion für das Leben, namentlich das öffentliche, politische Leben, ganz gleichgültig sei; das einzige, was man in dieser Beziehung erstreben müsse, sei unbedingte Freiheit, zu glauben, was man wolle. Ich erwidere aber dagegen, daß solche Zustände, wo politische Freiheit mit religiöser Befangenheit und Beschränktheit verbunden ist, keine wahren sind. Ich für meinen Teil gebe keinen Pfifferling für politische Freiheit, wenn ich ein Sklave meiner religiösen Einbildungen und Vorurteile bin. Die wahre Freiheit ist nur da, wo der Mensch auch religiös frei ist; die wahre Bildung nur da, wo der Mensch, seiner religiösen Vorurteile und Einbildungen Herr geworden ist. Das Ziel des Staats kann aber kein anderes sein, als wahre, vollkommene Menschen — vollkommen freilich nicht im Sinne der Phantastik — zu bilden; ein Staat daher, dessen Bürger bei freien politischen Instituten religiös unfrei sind, kann daher kein wahrhaft menschlicher und freier Staat sein. Der Staat macht nicht die Menschen, sondern die Menschen machen den Staat. Wie die Menschen, so der Staat. Wo einmal ein Staat besteht, da werden freilich die einzelnen, die durch Geburt oder Einwanderung Glieder desselben werden, durch den Staat bestimmt; aber was ist der Staat im Verhältnis zu den einzelnen, die in ihn kommen, anders als die Summe und Verbindung der bereits existierenden, diesen Staat bildenden Menschen, die kraft der ihnen zu Gebote stehenden Mittel, kraft der von ihnen geschaffenen Einrichtungen die Zu- und Nachkommenden nach ihrem Geist und Willen bestimmen? Wo daher die Menschen politisch frei, religiös unfrei sind, da ist auch der Staat kein vollkommener oder noch nicht vollendeter. Was aber den zweiten Punkt betrifft, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, so ist's allerdings die erste Bedingung eines freien Staates, daß „jeder nach seiner facon selig werden", jeder glauben kann, [<244] was er will. Aber diese Freiheit ist eine sehr untergeordnete und inhaltslose; denn sie ist nichts andres als die Freiheit oder das Recht, daß jeder auf eigene Faust ein Narr sein kann. Der Staat in unserem bisherigen Sinne kann allerdings nichts weiter tun, als sich aller Eingriffe in das Gebiet des Glaubens zu enthalten, als unbedingte Freiheit in dieser Beziehung zu geben. Aber die Aufgabe des Menschen im Staate ist, nicht nur zu glauben, was er will, sondern zu glauben, was vernünftig ist; überhaupt nicht nur zu glauben, sondern auch zu wissen, was er wissen kann und wissen muß, wenn er ein freier und gebildeter Mensch sein will. Nicht kann man sich hier mit der Schranke des menschlichen Wissens helfen. Im Gebiete der Natur gibt es allerdings noch genug Unbegreifliches; aber die Geheimnisse der Religion, die aus dem Menschen entspringen, kann auch der Mensch bis auf den letzten Grund erkennen. Und eben weil er es kann, soll er es auch. Endlich ist [es] eine durchaus oberflächliche, von der Geschichte, selbst von dem gewöhnlichen Leben tagtäglich widerlegte Ansicht, daß die Religion keinen Einfluß auf das öffentliche Leben habe. Diese Ansicht stammt daher nur aus unserer Zeit, wo der religiöse Glaube nur noch eine Chimäre  ist. Wo ein Glaube freilich keine Wahrheit im Menschen mehr ist, da hat er auch keine praktischen Folgen, da bringt er keine weltgeschichtlichen Taten mehr hervor. Aber wo das der Fall, wo der Glaube nur eine Lüge noch ist, da befindet sich der Mensch im häßlichsten Widerspruch mit sich, da hat der Glaube daher wenigstens moralisch verderbliche Folgen. Eine solche Lüge ist aber der moderne Gottesglaube. Nur die Aufhebung dieser Lüge ist daher die Bedingung einer neuen, tatkräftigen Menschheit."

    Götzen und Gottesdienst (25. Vorlesung)
    "Der Unterschied zwischen Götzendienst und Gottesdienst entspringt da, wo der Mensch einen Gegenstand, er sei nun ein natürlicher, sinnlicher oder geistiger, vor allen anderen bevorzugt und diesem allein die Gefühle, die der Mensch auch einem anderen Gegenstande gegenüber empfinden, die Ehrenbezeigungen, die er auch einem anderen Gegenstande beweisen kann, zueignen will. Die Religion, d. h. die Religion, die sich in öffentlichen Bekenntnissen, in bestimmten, gottesdienstlichen Formen ausspricht, sage ich im „Wesen des Christentums", ist ein öffentliches Liebesbekenntnis. Den Gegenstand, das Weib, das die höchste Macht über den Mann ausübt, das, in seinen Augen wenigstens, das vorzüglichste und höchste Weib ist, das in ihm ebendeswegen ein Abhängigkeitsgefühl erzeugt, das Gefühl, daß er ohne dasselbe nicht leben, wenigstens nicht glücklich sein kann, das erwählt er zum Gegenstande seiner Liebe und macht es, wenigstens solange er es nicht besitzt, solange es nur ein Gegenstand seiner Wünsche und Einbildungen ist, zu einem Gegenstande auch der höchsten Verehrung, zu einem Gegenstande, dem er dieselben Opfer und Huldigungen darbringt als der Religiöse seinem Gott. Mit der Religion — auch die Liebe ist Religion — ist es nun ebenso. Die Religion, wenigstens die eklektische, kritische, unterscheidende, verehrt den Baum, aber nicht jeden ohne Unterschied, sondern den erhabensten, höchsten; den Fluß, aber den mächtigsten, wohltätigsten, wie z. B. die Ägypter den Nil, die Inder den Ganges; die Quelle, aber nicht jede, sondern die durch besondere Eigenschaften sich auszeichnende Quelle, wie z. B. die alten Deutschen besonders die Salzquellen verehrten; die leuchtenden Himmelskörper, aber nicht jeden, sondern den hervorragendsten, die Sonne, den Mond, die Planeten oder sonst ausgezeichnete Gestirne; oder sie verehrt das menschliche Wesen, aber nicht in jeder beliebigen Person, sondern in der Person eines schönen Menschen, wie die Griechen, z. B. die Aegestaner, den Philipp von Kroton, ob er gleich in ihr Land eingefallen, vergötterten, weil er der schönste Mann war, oder in der Person eines Fürsten, eines Despoten, wie die Orientalen, ..." [<254]

    Wunder (26. und 27. Vorlesung)
    "... Wider die Ordnung der Natur, welche man eine notwendige nennt, wider die Naturnotwendigkeit also, gebar auf seinen Befehl eine Jungfrau, wurden die Blinden sehend, die Toten öfters lebendig.' Um das religiöse Wunder glaublich zu machen, hat man allerdings stets die natürlichen Wunder, die doch keine Wunder sind, vorgeschützt. Dieser Kniff gehört zu den vielen frommen Betrügereien, die man sich zu allen Zeiten, in allen Religionen erlaubte, um die Menschen zu betören und in der religiösen Knechtschaft zu erhalten. Der Unterschied zwischen beiden Wundern geht aber auf eine augenfällige Weise schon daraus hervor, daß das natürliche Wunder etwas ganz Gleichgültiges für den Menschen ist, aber bei dem religiösen Wunder der Mensch interessiert, sein Egoismus beteiligt ist. Das religiöse Wunder hat daher seinen Grund nicht in der äußeren Natur, sondern im Menschen. Das religiöse Wunder hat zu seiner Voraussetzung einen menschlichen Wunsch, ein menschliches Bedürfnis. Die religiösen Wunder .geschehen in der Not, geschehen nur da, wo der Mensch von einem Übel erlöst sein will, von einem Übel, von dem er aber, solange es nur natürlich zugeht, nicht erlöst sein kann. In den Wundern versinnlicht sich das Wesen der Religion. Wie diese ist auch das Wunder nicht nur eine Sache des Gefühls und der Phantasie, sondern auch des Willens, des Glückseligkeitstriebes. ... " [S. 264, 26. V.]
        " ... Was der Mensch wünscht, notwendig wünscht — notwendig nach dem Standpunkt, worauf er steht —, das glaubt er. Der Wunsch ist das Verlangen, daß etwas sei, was nicht ist; die Einbildungskraft, der Glaube stellt es dem Menschen als seiend vor. ..."  [S. 274, 27. V.]



    Links (Auswahl)
    • Biographien: [Buber] [dfw] [W]
    • In Erlangen aufgefallen: https://www.fen-net.de/er/einzelthemen/feuerbach/01.htm. * bfg *
    • Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft e.V. Nürnberg: https://www.ludwig-feuerbach.de/.
    • Internationale Feuerbach Gesellschaft: https://www.feuerbach-international.de/aktuell.htm.
    • Georg Herwegh Gedicht über Feuerbach: https://gutenberg.spiegel.de/herwegh/gedichte/lebendi2/feuerbac.htm.
    • Ludwig Feuerbach: https://www.sinsys.business.t-online.de/feuerbach.htm.
    • Einführung in Leben und Werk: https://homepage.univie.ac.at/Karl.Baier/Texte/Feuerbach.htm.
    • Das Wesen der Religion [PG]
    • Das Wesen des Christentums [Zeno.org]
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    Literatur (Auswahl)
    Feuerbach, Ludwig  (1967 ff) . Gesammelte Werke. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer. Berlin: Akademie. [LFG]
    • Bd. 6: Vorlesungen über das Wesen der Religion. Nebst Zusätzen und Anmerkungen.




    Glossar, Anmerkungen und Endnoten
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    S. 301: Feuerbach, Ludwig (1849). Das Wesen des Christentums. Neuausgabe: Stuttgart 1971: Reclam.
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    Das Wesen der Religion. Die Arbeiten Feuerbachs sind etwas verwirrend organisiert. So gibt es neben der Arbeit "Das Wesen der Religion" auch noch "Vorlesungen über das Wesen der Religion" (1851). Die erste Vorlesung beschäftigt sich überwiegend nicht mit dem Wesen der Religion, sondern mit sehr interessanten und bemerkenswerten autobiographischen Mitteilungen zu seiner psychologisch und soziologisch schwierigen inneren Situation um 1850.
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    Feuerbach zu seiner inneren Befindlichkeit - die psychologische Situation eines Atheisten: (1. Vorlesung aus Vorlesungen über das Wesen der Religion, S. 8ff):
      "... Ich bin, von meiner theoretischen Seite betrachtet, von Natur weniger zum Lehrer als zum Denker, zum Forscher bestimmt. Der Lehrer ermüdet nicht und darf nicht ermüden, etwas tausendmal zu sagen, mir aber genügt es, etwas nur einmal gesagt zu haben, wenn ich wenigstens das Bewußtsein habe, es recht gesagt zu haben. Mich interessiert und fesselt ein Gegenstand nur so lange, als er mir noch Schwierigkeiten macht, als ich noch nicht mit ihm im reinen bin, als ich mit ihm gleichsam noch zu kämpfen habe; habe ich ihn aber überwunden, so eile ich zu einem andern, einem neuen Gegenstand; denn mein Sinn ist nicht auf ein bestimmtes Fach, einen bestimmten Gegenstand eingeschränkt; er interessiert sich für alles Menschliche. Allerdings bin ich nicht weniger als ein wissenschaftlicher Geizhals oder Egoist, der nur für sich sammelt und sorgt; nein, was ich für mich tue und denke, muß ich auch für andere denken und tun. Allein ich habe doch nur das Bedürfnis, so lange andere über etwas zu belehren, als ich in ihrer Belehrung zugleich mich selbst belehre. Mit dem Gegenstand dieser Vorlesungen, der Religion, bin ich aber längst im reinen, ich habe ihn in meinen Schriften nach allen seinen wesentlichsten oder wenigstens schwierigsten Seiten erschöpft. Ich bin ferner weder eine schreib- noch redselige Natur. Ich kann eigentlich nur reden und schreiben, wenn der Gegenstand mich in Affekt, in Begeisterung versetzt. Aber der Affekt, die Begeisterung hängt nicht vom Willen ab und richtet sich nicht nach der Uhr, stellt sich nicht zu bestimmten, festgesetzten Tagen und Stunden ein. Ich kann überhaupt nur darüber reden und schreiben, worüber es mir der Mühe wert scheint, zu reden und zu schreiben. Des Redens und Schreibens wert ist mir aber nur das, was entweder sich nicht von selbst versteht oder nicht schon von andern erschöpft ist. Ich greife daher von einem. Gegenstande, selbst in der Schrift, immer nur das auf, worüber sich nichts, wenigstens nichts mich Befriedigendes, Erschöpfendes, in anderen Büchern findet, das übrige lasse ich beiseite liegen. Mein Geist ist daher allerdings ein aphoristischer, wie mir meine Kritiker vorwerfen, aber ein aphoristischer in ganz anderem Sinne und aus ganz an-[<8]deren Gründen, als sie meinen: ein aphoristischer Geist, weil ein kritischer, d. h. das Wesen vom Schein, das Notwendige vom Überflüssigen unterscheidender Geist. Ich habe endlich viele Jahre, zwölf volle Jahre, in ländlicher Einsamkeit verlebt, beschäftigt einzig mit Studien und schriftstellerischen Arbeiten, und habe darüber die Gabe der Rede, des mündlichen Vortrags verloren oder doch auszubilden verabsäumt, denn ich habe nicht daran gedacht, daß ich je wieder — ich sage wieder, denn ich hatte allerdings in früheren Jahren Vorlesungen an einer bayerischen Universität gehalten —, am allerwenigsten in einer Universitätsstadt, das mündliche Wort als Organ meiner Wirksamkeit ergreifen würde. Die Zeit, in der ich der akademischen Laufbahn in meinem Geiste für immer Adieu sagte und auf dem Lande lebte, war eine so schrecklich traurige und düstere Zeit, daß ein solcher Gedanke nimmer in mir aufkommen konnte. Es war dies jene Zeit, wo alle öffentlichen Verhältnisse so vergiftet und verpestet waren, daß man seine geistige Freiheit und Gesundheit nur dadurch wahren konnte, daß man auf jeden Staatsdienst, auf jede öffentliche Rolle, selbst die eines Privatdozenten verzichtete, wo alle Beförderungen zum Staatsdienst, alle obrigkeitliche Erlaubnis, selbst die venia docendi, nur der Preis des politischen Servilismus und religiösen Obskurantismus war, wo nur das schriftliche wissenschaftliche Wort frei war; aber auch nur frei in einem höchst beschränkten Maß und nur frei nicht aus Achtung vor der Wissenschaft, sondern vielmehr nur aus Geringschätzung wegen ihrer, sei's nun wirklichen oder vermeintlichen, Einflußlosigkeit und Gleichgültigkeit für das Öffentliche Leben. Was war also in dieser Zeit zu tun, zumal wenn man sich bewußt war, dem herrschenden Regierungssystem entgegengesetzte Gedanken und Gesinnungen zu hegen, als daß man in die Einsamkeit sich zurückzog und des schriftlichen Worts bediente, als des einzigen Mittels, wodurch man sich, freilich auch mit Resignation und Selbstbeherrschung, der Impertinenz der despotischen Staatsgewalt entziehen konnte? Es war übrigens keineswegs nur politischer Abscheu, der mich in die Einsamkeit verbannte und zum schriftlichen Wort verdammte. Wie ich  mit dem politischen Regierungssysteme der Zeit in fortwährender innerlicher Opposition lebte, so war ich auch mit den geistigen Regierungssystemen, d. h. den philosophischen [<9] und religiösen Lehrsystemen, zerfallen. Um aber über die Gegenstände und Ursachen dieses Zwiespalts mit mir ins reine und klare zu kommen, dazu bedurfte ich anhaltender, allseitig ungestörter Muße. Wo findet man aber diese mehr als auf dem Lande, wo man, von allen bewußten und unbewußten Abhängigkeiten, Rücksichten, Eitelkeiten, Zerstreuungen, Intrigen und Klatschereien des Städtelebens befreit, nur auf sich selbst verwiesen ist? Wer glaubt, was andere glauben, lehrt und denkt, was andere denken und lehren, kurz, wer in - sei es nun wissenschaftlich oder religiös — gläubiger Gemeinschaft mit andern lebt, der braucht sich nicht von ihnen auch leiblich zu trennen, der hat nicht das Bedürfnis der Einsamkeit, wohl aber der, der seinen eigenen Weg geht oder gar mit der gesamten gottesgläubigen Welt bricht und nun diesen Bruch rechtfertigen und begründen will. Dazu gehört freie Zeit und freier Raum. Unkenntnis der menschlichen Natur ist es, wenn man glaubt, daß man an jedem Orte, in jeder Umgebung, in jedem Verhältnis und Stande frei denken und forschen könne, daß dazu nichts weiter erfordert werde als der eigene Wille des Menschen. Nein, zum wahrhaft freien, rücksichtslosen, extraordinären Denken, soll dieses wenigstens ein fruchtbares, entscheidendes Denken sein, wird auch ein extraordinäres, freies, rücksichtsloses Leben erfordert. Und wer geistig auf den Grund der menschlichen Dinge kommen will, der muß auch sinnlich, körperlich, auf den Grund derselben sich stellen. Dieser Grund ist aber die Natur. Nur im unmittebaren Verkehr mit der Natur genest der Mensch, legt er alle überspannten, alle über- oder widernatürlichen Vorstellungen und Einbildungen ab.
          Aber eben, wer jahrelang in der Einsamkeit lebt, wenn auch nicht: in der abstrakten Einsamkeit eines christlichen Anachoreten oder Mönchs, sondern in einer humanen Einsamkeit, und nur durch die Schrift mit der Welt in Korrespondenz steht, der verliert die Lust und Gabe der Rede; denn es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen dem mündlichen und schriftlichen Wort. Das mündliche bezieht sich auf ein bestimmtes, gegenwärtiges, wirkliches Publikum, das schriftliche aber auf ein unbestimmtes, abwesendes, für den Schriftsteller nur in der Vorstellung existierendes Publikum; das Wort hat zu seinem Gegenstand Menschen, die Schrift [<10] Geister, denn die Menschen, für die ich schreibe, sind ja für mich nur im Geiste, in der Vorstellung existierende Wesen. Die Schrift  ermangelt daher aller der Reize, Freiheiten und sozusagen geselligen Tugenden, die dem mündlichen Wort zukommen; sie gewöhnt den Menschen an strenges Denken, gewöhnt ihn, nichts zu sagen, was sich nicht vor der Kritik rechtfertigen läßt; aber macht ihn ebendadurch auch wortkarg, rigoros, bedenklich in der Wahl seiner Worte, unfähig, sich mit Leichtigkeit auszudrücken. Ich mache Sie, meine Herren, hierauf aufmerksam, hierauf, daß ich den schönsten Teil meines Lebens nicht auf dem Katheder, sondern auf dem Lande, nicht in der Universitätsaula, sondern im Tempel der Natur, nicht in Salons und Audienzzimmern, sondern in der Einsamkeit meiner Studierstube zugebracht habe, damit Sie nicht mit Erwartungen an meine Vorlesungen kommen, in denen  Sie sich getäuscht   finden, nicht einen beredten glänzenden Vortrag von mir erwarten."
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    Feuerbach und Erlangen. Wie man sich denken kann, konnte Feuerbach an der Erlanger Universität (Vorlesungen 1828-1832) nichts werden. Korrekt schreibt [Q]: "Wegen Anfeindungen von theologischer Seite war ihm eine Tätigkeit als Hochschullehrer auf Dauer nicht möglich.". Das Erlanger Stadt-Lexikon beschreibt es so:

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    Querverweise
    Atheismus. Die Grundlagen und metaphysischen Vorteile des Atheismus. (2.8.4)
    * Überblick und Kritik der Metaphysik, Religion, Sekten, Ideologie und Weltanschauung *
    Metaphysische Bedürfnisse * Beweis und beweisen in Metaphysik, Esoterik und Grenzwissenschaften.
    *  Sinn-1 * Sinn-2 * Toman: Keine Auferstehung? Nur endloser Tiefschlaf? *
    * Auserwählt im Namen Jahwes, Gottes und Allahs  * Gott *
     * Menschenrechte * Vorschläge für eine bessere Welt *
    Externe Querverweise:
     * https://www.netzgegenrechts.de * Linkliste Aktionen gegen rechts *
     * * Attac * Transparency * Greenpeace * Amnesty International *  Human Right Watch
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Ludwig Feuerbach. IP-GIPT  Erlangen: https://www.sgipt.org/sonstig/metaph/atheis/feuerb0.htm
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    korrigiert: irs 05.09.06



    Änderungen - Kleine Änderungen, Ergänzungen und Korrekturen werden nicht ausdrücklich vermerkt.
    04.09.06    Ergänzungen: Anmerkung zu Das Wesen der Religion * Feuerbach zu seiner inneren Befindlichkeit - die psychologische Situation eines Atheisten * Feuerbach und Erlangen * Literaturhinweis * Links * Ergebnisse der psychologisch funktionalen Feuerbachschen Religionsanalyse *