Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=08.06.2005 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 04.12.19
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen * Mail:_sekretariat@sgipt.org

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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Wissenschaftstheorie, und hier speziell zum  Thema:

    Werturteil und Wertaussage, Werturteilsstreit und Werturteile in den Wissenschaften
    Eine Wissenschaftstheoretische Analyse
    aus allgemeiner und integrativer psychotherapeutischer Perspektive

    Originalarbeit von Rudolf Sponsel, Erlangen
    Querverweise.


    Inhalt

    Einführung: Beispiele, Diskussion,  Erstes Fazit.
    Wert und Norm - Die Beziehung zwischen Norm und Wert.
    Werturteil: 
       Werte, werten und Wertfunktionen beim einzelnen. 
             Absolute, Relative, Normative Werturteile.
       Wirkungen von Werten, Wertungen und Werturteilen in der Gesellschaft und
             internationalen Gemeinschaft.
    Werturteilsstreit:
        Historisches zum Werturteilsstreit kurz und bündig.
        Max Weber zum Werturteilsstreit, Kommentar zu Max Weber. 
        Eine juristische Sicht zum Werturteilsstreit (Muthorst).
    Werturteile in den Wissenschaften.
    Wert-Fakten-Analyse.
    Literatur, Links, Glossar und Anmerkungen, Zitierung, Copyright, Änderungen.
     


     


    Einführung
    (1) Werturteile, das ist gut (schlecht), das ist schön (häßlich), das ist  wertvoll (wertlos), das soll man tun (lassen), das muß bestraft (gelobt) werden sind eine eigene Ausdrucksform und streng zu unterscheiden von Aussagen, die wahr oder falsch sein können.
        (2) Andererseits können Aussagen über Werturteile auch wieder wahr oder falsch sein, wenn sie - für ein Subjekt, eine Grupper - zutreffen oder nicht zutreffen.
        (3) Was heißt denn das nun? Sind (1) und (2) nicht ein Widerspruch? Einerseits sollen Werturteile streng von Aussagen unterschieden werden, andererseits sollen sie auch wieder wahr oder falsch sein können. Geht denn das zusammen? Ja. Aber man muß scharf aufpassen, was ein Wertausdruck sagen will oder bedeutet.
        (4) Ontologisch und wissenschaftstheoretisch betrachtet gibt es Werte für (er)lebende Systeme (Menschen, Tiere, Pflanzen), was nicht unbedingt mit Bewusstseins verbunden sein muss.
        (5) Psychologisch gesehen ist werten eine wichtige Elementarfunktion, die ihre Basis im Empfinden und Fühlen hat und auch gestört sein sein kann (z.B. Alexithymie, Anhedonie). Was wann und unter welchen Bedingungen wie wertvoll ist, kann individuell sehr verschiedenen aber auch sehr ähnlich sein.

    Beispiele: [Attraktiv und Attraktivität]
    (1) Peter sagt: "Maria ist attraktiv".
    (2) Peter findet Maria attraktiv.
    (3) Peter meint, für ihn sei Maria attraktiv.
    (4) Peter hält Maria für attraktiv.
    (5) Peter fühlt sich von Maria angezogen.
    (6) Es trifft zu, daß Peter Maria attraktiv findet.
    (7) Es stimmt nicht, daß Peter Maria immer attraktiv findet.
    (8) Peter benimmt sich in Marias Gegenwart 'komisch', als ob er verliebt wäre, bemerkt es aber nicht.
    (9) Peter benimmt sich in Marias Gegenwart 'komisch', er mag sie wohl nicht besonders.
    (10) Peter benimmt sich in Marias Gegenwart 'komisch', hat er ein schlechtes Gewissen?

    Diskussion:
    (1) Das Werurteil ist objektivistisch formuliert, als ob es eine Eigenschaft sei, attraktiv zu sein. [1] Die objektivistische Formulierung ist falsch. Denn Attraktivität ist keine Eigenschaft von Maria, sondern eine Eigenschaft von der Beziehung zwischen Peter und Maria. Peter ordnet Maria Attraktivität zu. Wenn es richtig ist, dass Peter Maria attraktiv findet, dann ist das eine Aussage, die in diesem Falle auch wahr ist. Über die Dauer und Nachhaltigkeit ist nichts gesagt.
    (2) Das ist eine Aussage, die eine Wertung enthält (attraktiv finden), die wahr oder falsch sein kann, jenachdem ob sie zutrifft oder nicht.  [1]
    (3) Das ist eine Aussage, die eine Wertung enthält (attraktiv sein), die wahr oder falsch sein kann, jenachdem ob sie zutrifft oder nicht.  [1]
    (4) Das ist eine Aussage, die wahr oder falsch sein kann, jenachdem ob sie zutrifft oder nicht.  [1]
    (5) Das ist eine Aussage, die wahr oder falsch sein kann, jenachdem ob sie zutrifft oder nicht.  [1]
    (6) Das ist eine Aussage über eine Aussage (Meta-Aussage), die wahr oder falsch sein kann, jenachdem ob sie zutrifft oder nicht. Es wird nicht über die Attraktivität geredet, sondern über den Wahrheitsgehalt der Attraktivitätsbehauptung. Die Begriffe wahr, falsch. zutreffen, nicht zutreffen gehören also der Metasprache an.  [1]
    (7) Das ist eine Aussage  über eine Aussage (Meta-Aussage), die wahr oder falsch sein kann, jenachdem ob sie zutrifft oder nicht. Hier wird ein Zeitbezug eingeführt und relativiert, indem bestritten wird, daß Peter Maria zu jedem Zeitpunkt attraktiv findet. [1]
    (8) Hier liegt eine dreifache und schwierige zusammengesetzte Aussage vor. Der erste Teil hängt davon ab, wie "komisch" definiert und operationalisiert wird. "Komisches" Verhalten ist meist mehrdeutig. Eine Möglichkeit könnte in der Tat sein, daß Peter verliebt ist und es noch nicht richtig gemerkt hat. Der Ausdruck "komisch" kann aber auch als Werurteil aufgefaßt werden.
    (9) Hier liegt eine doppelte Aussage vor, wenn "komisch" nicht als Werturteil gemeint ist, sondern im Sinne von ungewöhnlich und deutungsbedürftig. Der erste Teil hängt also davon ab, wie "komisch" gemeint ist, definiert und operationalisiert wird. "Komisches" Verhalten ist meist mehrdeutig. Aber eine Möglichkeit könnte in der Tat sein, daß Peter Maria nicht besonders mag und dies auf "merkwürdige" Weise in seinem Verhalten zum Ausdruck bringt.
    (10)  Hier liegt im ersten Teile eine Aussage oder ein Werurteil und im zweiten Teil eine Frage vor, die auf den Grund geht.

    Erstes Fazit:
    Ob ein sprachlicher Ausdruck eine Aussage oder ein Werturteil ist , ist  manchmal nur durch Nachfrage und Diskussion herauszufinden. Steht der Mitteilende nicht zur Verfügung, sollte man verschiedene Möglichkeiten der Meinung oder Bedeutung in Betracht ziehen und erörtern . 



    Wert und Norm - Die Beziehung zwischen Norm und Wert
    Ist es sinnvoll, zwischen Normen und Werten zu unterscheiden? Oder geht es bei beiden nicht um das annäherend gleiche. Betrachtet man die Norm, Du darfst nicht töten, dann steckt darin der Wert des Lebens. Man könnte daraus die Hypothese entwickeln, alles, was Gegenstand einer Norm, also eines Gebotes, Verbotes oder einer Gewährung (z.B. ein Recht) sein kann, auch einen Wert beinhaltet. Normen regeln Handeln, Rechte und Pflichten, denen Werte zu Grunde liegen. Wenn einer das Recht hat, eine Wiese zu nutzen, dann ist dieses Nutzungsrecht im allgemeinen ein Wert. Wenn jemand ein Nutzungsrecht infolge Krankheit oder Gebrechlichkeit nicht mehr wahrnehmen kann, aber vertraglich dazu verpflichtet ist, dann ist dieses Nutzungsrecht eine Last und bedeutet einen negativen Wert.
     



    Werturteil  [Quelle]
    Werturteile sind Bewertungen von Sachverhalten (S). Zu jedem Werturteil gehört ein Sachurteil, das die Sachverhalts-Grundlage und Bezugsbasis für das Werturteil ist. Der Werturteilsstreit leidet darunter, dass nicht klar zwischen absoluten, relativen und normativen Werturteilen unterschieden wurde. Absolute Werturteile gehören nicht in empirische Wissenschaften, da hat  Max Weber  völlig Recht, sondern in die Weltanschauung, Religion, normative Logik, Ethik, Recht und Politik. Aber das kann natürlich nicht bedeuten, dass Werte und Wertungen nicht Gegenstand empirisch-wissenschaftlicher Forschung sein dürfen. Dazu gehört auch, dass Aussagen und Prognosen darüber gemacht werden können, wenn diese oder jene Werte ein Ziel sind, dass dann dieses und jenes förderlich oder hemmend für dieses Ziel ist. In allen empirischen Wissenschaften, in denen menschliches Erleben und Verhalten eine Rolle spielt, sind Werte und Wertungen wichtig. Denn es kann keinen Zweifel geben, dass der Mensch  wertet  und Werte verinnerlicht hat, die seine Einstellung, sein Denken, Verhalten und Handeln in bedeutsamer Weise beeinflussen. So gesehen sind Werte und die psychische Funktion des Wertens als empirisch- psychologische Sachverhalte nicht nur legitimer-, sondern notwendigerweise zu erforschen. Und dazu gehört auch ganz allgemein die soziologisch, politisch und rechtlich wichtige Frage, was zu tun oder zu lassen ist, um bestimme Werte in der Gesellschaft zu fördern oder zu hemmen. Allerdings ist zu fordern, dass hier eine sehr genaue und differenzierte Sprache entwickelt und gesprochen wird, die immer deutlich zu machen hat, in welcher Weise von Sachen oder Werten oder von Beziehungen zwischen ihnen gesprochen wird.
        Die Diskussion um Werturteile in der Wissenschaft sind meist wenig sinnvoll, wenn sie allgemein und abstrakt geführt werden. Die Problem lichten sich sehr schnell, sobald man konkret wird.

    Werte, werten und Wertfunktionen beim einzelnen
    Es viele Werteklassen, aber die die wichigsten bei der absoluten Betrachtung sind psychologische, ethisch-moralische und rechtliche Werturteile.

    • Absolute Werturteile
      • WerUa+(S): S ist gut (positiv). Beispiele: Das Leben ist wertvoll. Die Menschenwürde ist unantastbar. Tugendhaftigkeit ist erstrebenswert.
      • WerUa-(S): S ist schlecht (negativ) Beispiele: Erniedrigen, foltern und morden ist schlecht.
      • WerUa?(S) Der absolute Wert von S ist nicht entscheidbar (non liquet)
    • Relative Werturteile
      • WerUr+(S): S ist gut (positiv) für ... Beispiele: Morden ist gut, wenn es im Krieg geschieht und Feinde trifft (das entspricht nicht meiner Ethik, aber der Staatshaltung). Sonne, Licht und Wasser sind gut für Lebewesen auf der Erde. Eine starke Mittelschicht ist gut für die Stabilität einer Gesellschaft (Aristoteles). Hier ist "gut" ganz klar ein relativer Wertbegriff, der allerdings leicht ersetzt werden kann durch "förderlich".
      • WerUr-(S): S ist schlecht (negativ) für ... Der Klimawandel ist schlecht für die Zukunft der Lebewesen auf der Erde.
      • WerUr?(S): Der relative Wert von S für ...   ist nicht entscheidbar (non liquet)
    • Normative Werturteile
      • WerUn+(S)  Kürzel für Geboten (soll, muss)
      • WerUn-(S)   Kürzel für Verboten (darf nicht, nicht erlaubt)
      • WerUnE(S)  Kürzel für Erlaubt (frei gestellt)


    Wirkungen von Werten, Wertungen und Werturteilen in der Gesellschaft und internationalen Gemeinschaft
    Hier geht es darum, welche Wirkungen das Vorhandensein von Werten, Wertungen und Werturteilen von Einzelnen, Gruppen, Organisationen und der Gesellschaft aufeinander haben:

    • Gewisse Wertsachverhalte sind günstig oder förderlich für gewisse andere (Wert-) Sachverhalte
    • Gewisse Wertsachverhalte sind ungünstig oder hemmend für gewisse andere (Wert-) Sachverhalte
    • Gewisse Wertsachverhalte sind neutral für gewisse andere (Wert-) Sachverhalte
    • Gewisse Wertsachverhalte sind unklar oder fraglich in ihrer Wirkung für gewisse andere (Wert-) Sachverhalte




    Werturteilsstreit
    Mit dem Werturteilsstreit stellen sich einige grundsätzliche Fragen:
     
    1. Gibt es Wissenschaft, ohne Werturteile?
    2. Soll es Wissenschaft ohne Werturteile geben?
    3. Kann es Wissenschaft ohne Werturteile geben? Ist Wissenschaft ohne Werturteile möglich?
    4. Muss Wissenschaft frei von Werturteilen sein?


    Und es schließen sich einige empirische Fragen an:

    1. Können Werte und Wertungen auch als Tatsachen angesehen werden?
    2. Inwiefern beeinflussen Werte und Wertungen menschliches Verhalten als Individuum und Gruppen?
    3. Kann Wissenschaft die Bedeutung von Werten für die Menschen und die Gesellschaft erforschen?
    4. Kann Wissenschaft die Bedeutung von Wertrealisationen für gewisse politische Ziele erforschen?


    Vorausgesetzt ist natürlich, dass die Textelemente in den Fragen wie z.B. "Wissenschaft", "Werturteil", "Gesellschaft"  geklärt sind. Das ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint, denn was heißt "Wissenschaft"?

    Historisches zum Werturteilsstreit kurz und bündig
    Hierüber informiert das Metzler-Lexikon-Philosophie (Online-Abruf 18.02.2019):
    "Werturteilsstreit jene Auseinandersetzung, die auf der Wiener Tagung 1909 des »Vereins für Sozialpolitik« ausgetragen wurde. Der Streit entzündete sich zunächst an Äußerungen des Nationalökonomen E. v. Philippovich, der in seinem Tagungsvortrag »Das Wesen der volkswirtschaftlichen Produktivität« den Volkswohlstand als obersten Wert definierte. M. Weber, W. Sombart und G. v. Ottlilienfeld kritisierten vehement die Unbrauchbarkeit dieses Begriffes, weil hierbei keine deutliche Trennung zwischen Tatsachenfeststellung und Tatsachenbewertung festzustellen ist. Der »rechte Flügel« des Vereins (insb. v. Philippovich, Wagner, Spann, v. Wiese u. a.) betonte dagegen, dass die Aufgabe des »Vereins für Sozialpolitik« darin bestehen müsste, Stellungnahmen zu sozialpolitischen Themen abzugeben. Bekanntlich hat Weber das Postulat der Wertfreiheit generell auf wissenschaftliche Tätigkeit erweitert und empirische Soziologie als wertfreie Wissenschaft verstanden, auch damit sie sich im Lehrbetrieb etablieren könne. Auf zwei weiteren Tagungen (1912 und 1914) des »Vereins für Sozialpolitik« wurden nochmals Positionen zur Wertfreiheit artikuliert. Ein methodologisches Einverständnis kam jedoch auch hier nicht zustande. Der ganze Streit wurde in diesen Jahren ebenso in der »Deutschen Gesellschaft für Soziologie« geführt, an deren Gründung 1909 Weber entscheidenden Anteil hatte. Nachdem Weber sich auch dort nicht mit seinem Postulat der Wertfreiheit durchsetzen konnte, kehrte er der »Gesellschaft« 1913 enttäuscht den Rücken."

    Max Weber zum Werturteilsstreit
    "Unter »Wertungen«TWerU sollen nachstehend, wo nicht ein anderes gesagt oder von selbst ersichtlich ist, »praktische« Bewertungen einer durch unser Handeln beeinflußbaren Erscheinung als verwerflichTWerUa- oder billigenswertTWerUa+  verstanden sein. Mit dem Problem der »Freiheit«TFrei  einer bestimmten WissenschaftTwis von WertungenTWerUa  dieser Art, mit der Geltung und dem Sinn dieses logischen PrinzipsKuuu  also, in keiner Art identisch ist die ganz andere, kurz vorweg zu besprechende Frage: Ob man im akademischen Unterricht sich zu seinen ethischen oder durch Kulturideale oder sonst weltanschauungsmäßig begründeten praktischen WertungenTWerU  »bekennen« solle oder nicht. Wissenschaftlich diskutierbar ist sie nichtTwisUD. Denn sie ist selbst eine gänzlich von praktischen Wertungen abhängige und eben deshalb unaustragbare FrageTFr. Vertreten sind, um nur die Extreme zu zitieren, sowohl: a) der Standpunkt, daß zwar die Trennung reinKLf? logischKuuu, erschließbarer und rein empirischer Sachverhalte einerseits, von den praktischen, ethischen oder weltanschauungsmäßigen, Wertungen andererseits, zu Recht bestehe, daß aber dennoch (oder vielleicht sogar: eben deshalb) beide Kategorien von Problemen auf das Katheder gehören, – wie: b) der Standpunkt, daß, auch wenn[489] jene Trennung logisch nicht konsequent durchführbar seiKuuu, dennoch es sich empfehle, alle praktischen Wertfragen im Unterricht möglichst zurücktreten zu lassen.
        Der Standpunkt »b« scheint mir unannehmbar. – Insbesondere scheint mir die für unsere Disziplinen nicht selten gemachte Unterscheidung praktischer Wertungen in solche »parteipolitischen« und solche anderen Charakters schlechterdings undurchführbar und nur geeignet, die praktische Tragweite der den Hörern suggerierten Stellungnahme zu verhüllen. Die Ansicht vollends: daß dem Katheder die »Leidenschaftslosigkeit« eignen müsse, folglich Dinge auszuscheiden seien, welche die Gefahr »temperamentvoller« Erörterungen mit sich brächten, wäre, wenn man überhaupt einmal auf dem Katheder wertet, eine Bureaukratenmeinung, die jeder unabhängige Lehrer zurückweisen müßte. Von denjenigen Gelehrten, welche sich die praktischen Wertungen bei empirischen Erörterungen nicht versagen zu sollen glaubten, waren gerade die leidenschaftlichsten – wie etwa Treitschke, in seiner Art auch Mommsen – am ehesten zu ertragen. Denn gerade durch die Stärke der Affektbetontheit wird der Hörer wenigstens in die Lage versetzt, seinerseits die Subjektivität der Wertung des Lehrers in ihrem Einfluß auf eine etwaige Trübung seiner Feststellungen abzuschätzen und also für sich das zu tun, was dem Temperament des Lehrers versagt blieb. Dem echten Pathos bliebe so diejenige Wirkung auf die Seelen der Jugend gewahrt, welche – wie ich annehme – die Anhänger der praktischen Kathederwertungen ihnen gern sichern möchten, ohne daß der Hörer dabei zur Konfusion verschiedener Sphären miteinander verbildet würde, wie es geschehen muß, wenn die Feststellung empirischer Tatsachen und die Aufforderung zur praktischen Stellungnahme zu großen Lebensproblemen beide in die gleiche kühle Temperamentlosigkeit getaucht werden.
        Der Standpunkt »a« scheint mir, und zwar vom eigenen subjektiven Standpunkt seiner etwaigen Anhänger aus, dann und nur dann akzeptabel, wenn der akademische Lehrer sich zur unbedingten Pflicht setzt, in jedem einzelnen Falle, auch auf die Gefahr hin, seinen Vortrag dadurch reizloser zu gestalten, seinen Hörern und, was die Hauptsache ist, sich selbst unerbittlich klar zu machen: was von seinen jeweiligen Ausführungen entweder rein logisch erschlossen oder rein empirische Tatsachenfeststellung und was praktische Wertung ist. Dies zu[490] tun allerdings scheint mir direkt ein Gebot der intellektuellen Rechtschaffenheit, wenn man einmal die Fremdheit der Sphären zugibt; in diesem Falle ist es das absolute Minimum des zu Fordernden. –
        Die Frage dagegen: ob man auf dem Katheder überhaupt (auch unter dieser Kautel) praktisch werten solle oder nicht, ist ihrerseits eine solche der praktischen Universitätspolitik und deshalb letztlich nur vom Standpunkt jener Aufgaben aus entscheidbar, welche der Einzelne von seinen Wertungen aus den Universitäten zuweisen möchte. Wer für sie, und damit für sich selbst, kraft seiner Qualifikation zum akademischen Lehrer heute noch die universelle Rolle: Menschen zu prägen, politische, ethische, künstlerische, kulturliche oder andere Gesinnung zu propagieren, in Anspruch nimmt, wird zu ihr anders stehen, als derjenige, welcher die Tatsache (und ihre Konsequenzen) bejahen zu müssen glaubt: daß die akademischen Hörsäle heute ihre wirklich wertvollen Wirkungen nun einmal nur durch fachmäßige Schulung seitens fachmäßig Qualifizierter entfalten und daß deshalb die »intellektuelle Rechtschaffenheit« die einzige spezifische Tugend sei, zu der sie zu erziehen haben. Man kann den ersten Standpunkt aus ebensoviel verschiedenen letzten Positionen heraus vertreten wie den zweiten. Diesen letzteren insbesondere (den ich persönlich einnehme) kann man ableiten sowohl aus einer höchst überschwenglichen wie gerade umgekehrt auch aus einer durchaus bescheidenen Einschätzung der Bedeutung der »Fach«bildung. Z.B. nicht, weil man etwa wünschte, daß alle Menschen, im innerlichen Sinne, zu möglichst reinen »Fachmenschen« werden möchten. Sondern gerade umgekehrt, weil man die letzten höchst persönlichen Lebensentscheidungen, die ein Mensch aus sich heraus zu treffen hat, nicht mit Fachschulung – wie hoch deren Bedeutung für die allgemeine Denkschulung nicht nur, sondern indirekt auch für die Selbstdisziplin und sittliche Einstellung des jungen Menschen gewertet werden möge – in denselben Topf geworfen und ihre Lösung aus eigenem Gewissen heraus dem Hörer nicht durch eine Kathedersuggestion abgenommen zu sehen wünscht
    ... "
        Quelle: Weber, Max (1913) Der Sinn der »Wertfreiheit« der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften. Online bei Zeno.org.
    Kommentar zu Max Weber  Max Weber argumentiert im Allgemein-Abstrakten, wobei mir einige Stellen besonders dunkel bleiben ("logischen Prinzips", "rein logisch", "Trennung logisch nicht konsequent durchführbar"). Die extreme Neigung vieler Wissenschaftler im Allgemein-Abstrakten zu verharren (> Sprachkritik), trägt nicht zur Aufklärung bei und ist nicht hilfreich. Diese unselige Wissenschaftstradition hält nur endlose und meist fruchtlose Debatten am Leben. In Wikipedia (Abruf 19.02.19) bewertete man Max Webers Definition der Wertung für zirklär, was etwas an den Haaren herbeigzogen ist. Max Weber sagt, was er unter praktischen Bewertungen verstehen will, nämlich - nun kommt das Definiens - durch Handlungen herbeigeführte Erscheinungen, die man billigen oder verwerflich finden kann. Dieses Definiens kann man im Sinne einer Nominaldefinition nun dem Ausdruck "Wertungen" zuordnen., formal: Wertungen =df  praktische Bewertung =df durch Handlungen herbeigeführte Erscheinungen, die man billigen oder verwerflich finden kann.
    _
    Eine juristische Sicht zum Werturteilsstreit (Muthorst)
    Rn 45 "Je wenigerTqua  eine WissenschaftTwis  deskriptiveKmue  AussagenTaus  enthält, die sich als wahrTwweL  oder falschTwweL  überprüfenTpruG  lassen, umso eherTqua  stellt sich die FrageTFrZF, ob es sich bei einer solchen Disziplin überhaupt um eine WissenschaftTwis  handelt. Dieser Streit wird als WerturteilsstreitTWerUS  (Positivismusstreit) bezeichnet.65 Der WissenschaftscharakterTwis  der RechtswissenschaftTwisR wird also nicht deshalb in Frage gestellt, weil die Rechtsdogmatik stark vom Gesetzgeber abhängig ist (s. Rn. 16), sondern weil RechtswissenschaftTwisR  normative AussagenTausN  enthält, bei denen man es für nicht überprüfbarTpruG  hält, ob sie im exakten Sinne wahr oder falsch sind. WissenschaftTwis müsse aber, so wird im Anschluss an Max Weber66 vertreten, wertfreiTWerF sein. DenkbarTDbar  sei, dass WerturteileTWerU  die AuswahlTawa des Themas und die Einschätzung seiner RelevanzTRele  bestimmen, auch dass als gegeben angenommene WerturteileTWerU selbst Gegenstand einer wissenschaftlichenTwis  Behandlung werden. Aber WerturteileTWerU  ließen sich nicht wissenschaftlichTwis  begründenTbgr. Andere bestreiten das und halten auch WerturteileTWerU  für in einer Weise begründbarTbgr, die das Prädikat wissenschaftlichTwis  verdiene. Eine endgültige Antwort kann man auf diese Fragen nicht geben.
        Rn 46 Für die Rechtswissenschaft sind sie aber besonders wichtig. Aussagen über Recht betreffen eine intersubjektiv verbindliche Normenordnung. Die sich im rechtswissenschaftlichen Kontext stellenden Fragen können deshalb nicht im Ungefähren belassen werden. ...
    65 Überblick bei Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, 5. Aufl. 2010, Rn. 290aff.
    66 Zur Person näher unten § 12 Rn. 12."
        Quelle S. 27: Muthorst, Olav (2011) Grundlagen der Rechtswissenschaft. Methode - Begriff - System. München: C.H. Beck. Anmerkung: Das Sachregister enthält keinen Eintrag "Rechtsbegriff" und auch keinen "unbestimmten Rechtsbegriff".

      Kommentar zu Muthorst :  Das mehr oder minder wissenschaftlich, je nachdem wie viele "deskriptive Aussagen" vorliegen ist falsch wie "deskriptiv" bei Aussagen überflüssig ist, da Aussagen als mit Wahrheitswerten ausgestattete Sätze anzusehen sind, hier wird also doppelt gemoppelt. Die Werturteils- und normative Logikfrage ist nicht angemessen erfasst. Denn es können Tatsachen natürlich mit Werten und Normen verknüpft werden, wie es ja im Recht ständig geschieht und geschehen muss. Aber das Recht ist in weiten und grundsätzlichen Teilen wissenschaftlich unterentwickelt, weil wichtige Begriffe nicht wissenschaftlich begründet und sachlich referenziert, sondern in einem naiven Platonismus frei phantasiert werden. Das hat natürlich mit Wissenschaft und mit wohlverstandener Rechtswissenschaft nichts zu tun.



    Werturteile in den Wissenschaften
    Die Wissenschaft strebt zwar zu Recht nach Objektivität, aber auch in den objektiven Wissenschaften gibt es Werturteile und Wertentscheidungen. Prototyp der objektiven Wissenschaften sind Mathematik, Logik und Naturwissenschaften und hier wiederum die Physik. Selbst in der Logik spricht man von Wahrheitswerten., nämlich wahr und falsch, was man besser L-wahr und L-falsch bezeichnen sollte, um den logischen Wert herauszuheben. Auch in der Mathematik spielen Werturteile eine Rolle, etwa bei Voraussetzungen, Axiomen, Beweisgüte.
        Aus der Tatsache, dass auch in den Wissenschaften Werturteile zu finden und sogar unumgänglich sind, darf man nicht schließen, dass die gesamte Wissenschaft nur subjektiv gültige, also letztlich nicht objektiv begründete Aussagen macht und damit auch alle Wissenschaft beliebig ist. Wenn man in der Ökonomie z.B. das Forschungsthema "Markt" wählt, so hat man ein Auswahlwerturteil getroffen. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass die Forschungsergebnisse zum "Markt" auch ein Werturteil sind. Kommt man z.B. zum Ergebnis, dass der Markt von Angebot und Nachfrage bestimmt wird, so muss das natürlich begründet, gezeigt und nachvollziehbar belegt werden. Allerdings wäre das Urteil Es ist wahr, dass der Markt wird von Angebot und Nachfrage bestimmt, ein Werturteil (Es ist wahr), das aber sachlich begründet werden kann.
     
    • Grundannahmen, Axiome und Postulate
    • Auswahl der Wissenschafts- und Forschungsthemen
    • Auswahl der Wissenschafts- und Forschungsmethoden, z.B., auch Verbote bestimmter Untersuchungen
    • Beurteilungen und Bewertungen, wie z.B. L-wahr, L-falsch, E-wahr, E-falsch, (nicht) bestätigt, stützt (nicht), gültig, Definition, Satz, Gesetz, Ableitung, Folgerung, Beweis, Argument, abwegig, fern-oder naheliegend.
    • Rechtliche Bewertungen wissenschaftlicher Aussagen


    Wert-Fakten-Analyse in der Wissenschaft (WFA)
    Bei genauer Betrachtung ist auch die Wissenschaft, selbst Mathematik, Logik und Naturwissenschaften, von Werturteilen durchsetzt, obwohl das meist geleugnet, ignoriert oder begatellisiert wird. Die meisten WissenschaftlerInnen sind bestrebt und betonen das auch, "objektiv" zu sein, "objektive" Ergebnisse vorzulegen. Aber unsere Erkenntnisse unterliegen mehrfachen Beschränkungen. Wir müssen Annahmen treffen und wir können nicht alles definieren oder ableiten, jedenfalls nicht nicht mit den Mitteln des Systems, in dem wir operieren (Gödel). Und wir können nicht alles objektiv messen und wissen, wie uns die Quantenphysik gelehrt hat. Wählen wir ein Forschungsthema aus, so haben wir es wert befunden, zum Zwecke der Forschung ausgewählt zu werden. Wählen wir bestimmte Methoden, um ein ausgewähltes Forschungsthema zu erschließen, haben wir hinsichtlich der gewählten Methoden eine Wertentscheidungen getroffen. Nämlich dahingehend, dass wir die Methoden für geeignet halten, das Forschungsthema zu erschließen. Die Beurteilung und Interpretation der Forschungsergebnisse erfordert weitere wissenschaftliche Werturteile: Sind die Ergebnisfeststellungen objektiv (andere Untersucher gelangen zum gleichen Ergebnis), reliabel (Festellungen genau genug, lassen sie sich wiederholen) und valide (es wird festgestellt, was festgestellt werden soll. Was bedeuten die Forschungsergebnisse für andere Fragestellungen, welche Zusammenhänge gibt es, lassen sich neue Hypothesen formulieren?
     


     wird gelegentlich ergänzt


    Literatur (Auswahl)



    Links (Auswahl: beachte)
    • Das Thema Wert und werten in der IP-GIPT (Überblick).
      • Wissenschaftstheorie, Logik der Werte, Normative, Deontische und juristische Logik.




    Glossar, Anmerkungen und Endnoten
    __

    Querverweise
    Standort Wissenschaftstheorie: Werturteil.
    *
    Überblick Wissenschaft in der IP-GIPT.
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B.: Werten site:www.sgipt.org. 
    *
    Information für Dienstleistungs-Interessierte.
    *

    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Werturteil und Wertaussage, Werturteilsstreit und Werturteile in den Wissenschaften.
    Eine Wissenschaftstheoretische Analyse aus allgemeiner und integrativer psychotherapeutischer Perspektive. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/wisms/wistheo/werturt0.htm
    Copyright & Nutzungsrechte
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    noch nicht kontrolliert:


    Änderungen Kleinere Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet und ergänzt.
    04.12.19   Wert-Fakten-Analyse.
    17.11.19   Ergänzungen.