Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=14.08.22 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 29.08.22
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und integrative Psychotherapie, Abteilung Forschung, Bereich Begriffsanalysen, Gewissheit und Gewissheitserleben und hier speziell zum Thema:

    Gewissheit bei Wolfgang Stegmüller

    Original-Recherche von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Stegmüller, Wolfgang (1967) Gewißheit und Wissen. In (33-43) Glauben. Nachdruck von 1956. Wissen und Erkennen. Darmstadt: WBG.

        Zusammenfassung-Steg-1967:  "Gewißheit ist nicht dasselbe wie Wissen. ..." (S.33) Auch wissen kann sich als Irrtum herausstellen und falsch sein. "Unsere Gewißheit wie unser Glaube sind verschiedener Gradabstufungen fähig. Ein höherer Glaubensgrad geht schließlich in Gewißheit über, so wie umgekehrt ein niederer Grad an Gewißheit mit einem nicht hohen Glaubensgrad zusammenfällt. ..." (S.38). Kursivierungen bei Stegmüller  g e s p e r r t  geschrieben.
     




    Stegmüller, Wolfgang (1969) Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft. Berlin: Springer.

    Zusammenfassung-Steg-1969: In dem Abschnitt S.8-12 findet sich das Suchwort "gewiß" 13 mal.
    Gewiss sein [4] muß nicht bedeuten, dass es auch wahr ist das gilt auch für wissen [5]. Man kann irren. "Ich bin gewiß", "ich weiß" und "es ist evident" werden zwar genannt, bleiben in ihrer Bedeutung und in ihrer Unterschiedlichkeit unklar. Im Text habe ich neben "gewiß" noch weitere wichtige Begriff auf dem Umfeld 14p-fett markiert: Evidenz, objektiv, sicher, Sicherheit, subjektiv, subjektives Überzeugungsgefühl, wahr, wissen,

        [1] S.7f [Kontext] "... Wie steht es nun mit der Sicherheit jener Erfahrungen, welche die Basis für die Beurteilung unserer Hypothesen' bilden? Diese Basis kann, so wurde zunächst argumentiert, [>8] doch nicht selbst wieder hypothetisch sein. Denn relativ auf diese Basis werden Hypothesen als mehr oder weniger gut bestätigt bzw. als mehr oder weniger wahrscheinlich beurteilt. Die Beurteilungsgrundlage kann dann nicht selbst bloß wahrscheinlich sein, sondern muß absolut sicher sein. Gäbe es nichts Sicheres, so auch nichts Wahrscheinliches!" ... ...
        [2] "Die  assertorische Evidenz  der inneren Wahrnehmung möchte ich heute allerdings gleich zu Beginn ausschalten. Diese Klasse von Fällen läßt sich gewiß nicht als Paradigma objektiver Einsichten anführen. Und zwar einfach deshalb nicht, weil die scheinbar unerschütterliche Gewißheit dessen, daß ich jetzt Schmerzen habe, im äußeren Gewand des Wissens eine sprachliche Konfusion verhüllt. „Ich weiß, daß ich jetzt Schmerzen habe“ ist eine blödsinnige, weil irreführende und darüber hinaus umständliche Weise zu sagen: „ich habe Schmerzen“. Das Irreführende liegt in dem zugrundeliegenden Bild von der in sich eingekapselten Bewußtseinswelt, die einem und nur einem, nämlich ihrem  [>9] Träger, zugänglich ist, so daß nur er ein Wissendarüber erwerben kann." ... ...
        [3] "Zwei weitere Begriffsverwirrungen seien kurz erwähnt. Es handelt sich zwar um Evidenzen, jedoch um solche, die häufig fehlinterpretiert werden. Das eine könnte man den Irrtum der Umdeutung relationaler Gewißheit als absoluter Gewißheit nennen. Aus den Prämissen „alle F sind G” und „a ist ein F” schließt man: „also ist es sicher, daß a ein G ist". Diese Sicherheitsfeststellung ist durchaus damit verträglich, daß „a ist ein Gfalsch sein kann. Wie ist dies zu erklären? Antwort: Die Aussage „es ist sicher, daß...“ ist eine elliptische Feststellung. Sie qualifiziert scheinbar den Daß-Satz als sicher. Tatsächlich ist jedoch der Daß-Satz nur sicher relativ auf die beiden Prämissen, da er aus diesen beiden logisch folgt. Das Analoge gilt vom sogenannten statistischen Syllogismus, worin das „sicher" durch „beinahe sicher“ ersetzt wird . Aus „beinahe alle F sind G“ und „a ist ein F” schließt man: „also ist es beinahe sicher, daß a ein G ist". Auch hier gilt, daß die Beinahe-Sicherheit nur [>10] relativ auf die beiden Prämissen besteht. Berücksichtigt man dies nicht, so entstehen logische Widersprüche." ... ...
        [4] "Als eine Quelle für eine sozusagen philosophische Apriori-Voreingenommenheit zugunsten einer jeden Zweifel aus- [>11] schließenden objektiven Evidenz könnte man eine irrige Deutung des Unterschiedes im Gebrauch der Wendung „ich bin gewiß, daß p“ einerseits und der Wendung „ich weiß, daß p“ bzw. „es ist evident, daß p“ andererseits anführen. Der Einfachheit halber sei der Sachverhalt nur am Unterschied von „gewiß sein“ und „wissen“ illustriert. Man möchte zunächst meinen: Mit „ich bin gewiß, daß p“ will ich nur meiner subjektiven, persönlichen Überzeugung Ausdruck verleihen; mit „ich weiß, daß p“ beanspruche ich hingegen die Zulässigkeit des Schlusses auf die Wahrheit von p. Habe ich nur die subjektive Gewißheit, daß etwas der, Fall ist, so braucht es deshalb trotzdem nicht der Fall zu sein. Weiß ich hingegen, daß es der Fall ist, so ist es auch der Fall."
        Kommentar [4] Stegmüller sagt an dieser Stelle, dass wissen nicht richtig sein muß, es könne sich etwas als Irrtum herausstellen, dann ist aber die Behauptung "so ist es auch der Fall" falsch. Es erschließt sich mir nicht, weshalb "ich bin gewiß" nicht ebenso begründungspflichtig wie "ich weiß" sein sollte.
        [5] Hierzu ist zu bemerken: Tatsächlich kann aus dem Wissen ebenso wie aus dem Vorliegen einer objektiven Evidenz auf die Wahrheit geschlossen werden. Auf der anderen Seite ist die Beachtung einer linguistischen Subtilität wichtig. Nicht nur kann — selbstverständlich — daraus, daß ich sage: „ich weiß, daß p“ nicht geschlossen werden: ich weiß, daß p. Sondern der Schluß ist nicht einmal dann zulässig, wenn ich darin gerechtfertigt bin, diese Äußerung zu tun. So wie wir den Ausdruck „wissen" gebrauchen, sagen wir häufig mit Recht, „ich weiß, daß p", obwohl sich später herausstellt, daß wir auf Grund neuer Erkenntnisse sagen müssen: „ich glaubte damals wohl, zu wissen, daß p, irrte mich jedoch und wußte es also nicht“. Wollten wir diesen Fall ausschließen, so liefe dies darauf hinaus, auf die Verwendung von „wissen" zu verzichten. Selbst wenn ich mit Recht sage: „ich weiß, daß p“, darf man daraus also nicht schließen, daß ich weiß, daß p; und damit auch nicht auf die Wahrheit von p bzw. darauf, daß p der Fall ist.
        [6] Nach J. L. Austin ist der Unterschied in den Verwendungen von: „ich bin gewiß, daß..." und: „ich weiß, daß ...“ nicht darin zu suchen, daß der Sprecher im ersten  [>12] Fall bloß seinem subjektiven Überzeugungsgefühl sprachlichen Ausdruck verleihen möchte, im zweiten Fall hingegen einer objektiven Evidenz. Der Unterschied liegt vielmehr auf ganz anderer Ebene. Austin geht davon aus, daß es Äußerungen gibt, die keine deskriptiven Äußerungen sind, sondern die Handlungscharakter haben  (in gewissem Sinn sind natürlich alle Äußerungen auch Handlungen). Besonders deutlich zeigt sich dies an ethisch relevanten Aussagen, etwa von der Art: „ich verspreche dir, das und das zu tun'. Mit dem Aussprechen dieses Satzes in einer konkreten Situation vollziehe ich eine moralisch verpflichtende Handlung. Indem ich mich dem Anderen gegenüber verpflichte, setze ich meine Wertschätzung und meine Ehre aufs Spiel. In gewisser Weise analog verhält es sich mit der zweiten der eingangs erwähnten Aussagen. „Ich bin gewiß, daß p“ ist moralisch unverbindlich. Ich überlasse es dem, welchem ich dies sage, ob er nun selbst p annehmen wolle oder nicht, und übernehme dafür keine Verantwortung; ich bringe nur zum Ausdruck, daß ich für meine Person sicher bin. Bei dem „ich weiß, daß p“ tritt ebenso wie im Fall von „ich verspreche, daß" ein ethischer Akzent hinzu: Ich stehe mit meiner Person und Autorität für das Ausgesagte ein und bringe dem Angesprochenen dadurch zum Ausdruck, daß auch er selbst sich in seinen eigenen weiteren Äußerungen und Handlungen auf das von mir Gesagte stützen könne. In bezug auf die Gewißheit geht das „ich weiß, daß“ nicht über das „ich bin gewiß, daß“ hinaus und kann es auch nicht; denn mehr als Gewißheit kann es für mich niemals geben. Wenn die zweite Äußerung dennoch über die erste hinausgeht, so liegt dies an ihrem partiellen Handlungscharakter, daran also, daß es sich um etwas Ähnliches handelt wie um eine „performatory utterance“.
     
     



    Links (Auswahl: beachte)



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:  Wissenschaftlicher  und  weltanschaulicher  Standort.
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    assertorische-Evidenz
    assertorisch:=etwas behaupten. Evidenz:=Offenkundigkeit, Offensichtlichkeit, Augenscheinlichkeit (im Angloamerikanischen eine ganz andere Bedeutung, nämlich: belegt, begründet, beweisorientiert).
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    Querverweise
    Standort: Gewissheit bei Stegmüller.
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    Begriffsanalyse Gewissheit und Gewissheitserleben * Fragebogen-Pilot-Studie Begriffsanalyse Gewissheit *
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    Überblick Arbeiten zur Theorie, Definitionslehre, Methodologie, Meßproblematik, Statistik und Wissenschaftstheorie besonders in Psychologie, Psychotherapie und Psychotherapieforschung.
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