Gewißheit bei von Kutschera
Recherche von Rudolf Sponsel, Erlangen
Kutschera, Franz von (1982) Gewißheit und Wahrheit. In (1-78) Grundfragen der Erkenntnistheorie. Berlin: DeGruyter.
Zusammenfassung: In dem Werk Grundfragen der Erkenntnistheorie gab es 14 Fundstellen, darunter 1x im Inhaltsverzeichnis, 1x als Kapitelüberschrift, aber keinen Sachregistereintrag. Insgesamt wird Gewissheit nicht erklärt, sondern mehrere Begriffsverschiebebahnhöfe eingerichtet: In S2 taucht gewiss das erste Mal auf, wird aber nicht ausdrücklich erklärt, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis, aber man kann der Formulierung entnehmen, dass gewiß ähnlich oder gleichbedeutend mit maximal wahrscheinlich oder fest überzeugt sein gebraucht wird. Die Formulierung in S35 stärkste Grad subjektiver Gewißheit spricht für eine quantitative Auffassung der Gewissheit, wobei der stärkste Grad subjektiver Gewißheit dem Glauben gleichgesetzt wird. S71 zitiert Fichte: „Das Element der Gewißheit ist der Glaube". S77 setzt Kutschera gewiß mit überzeugt sein gleich. S423 bringt eine interessante Bezugnahme auf Kant: Erscheinungen bin ich gewiß, gleich ob ich sie mit dem inneren oder dem äußeren Sinn auffasse, das die innere und äußere Wahrnehmung als Quelle der Gewissheit anführt.
Aus dem Inhaltsverzeichnis:
S.35: "... Daher haben wir untersucht, ob erkenntnistheoretisch relevante
Gründe für eine andere Explikation sprechen und ob es eine anspruchsvollere
Form von Wissen gibt, der man diesen Namen vorbehalten sollte. Alle engeren
Wissensdefinitionen lassen sich mit dem Schema D 1.3-2 der Definition fundierten
Wissens erfassen. Man kann drei Gruppen von Fundiertheitsbegriffen unterscheiden,
solche, die der Bedingung (A) aus 1.3 genügen, nach der Fundiertheit
problemlos ist, solche die der Bedingung (B) genügen, nach der fundierte
Annahmen verläßlich sind, und solche, die beiden Bedingungen
genügen. (A) besagt, daß Fundiertheit eine subjektive Qualität
des Glaubens ist. Da aber „Glauben " schon den stärksten Grad subjektiver
Gewißheit ausdrückt, ergibt sich dabei keine
anspruchsvollere, sondern nur eine engere Umschreibung der für Wissen
hinreichenden subjektiven Komponente. ..."
Kommentar-S35: Die Formulierung der stärkste
Grad subjektiver Gewissheit spricht für eine quantitative Auffassung
Kutscheras der Gewissheit, wobei der stärkste Grad subjektiver Gewissheit
dem Glauben gleichgesetzt wird.
S.59: "... Ein Zweifel ist erst dann sinnvoll, wenn er begründet
ist, und wenn wir von der Richtigkeit der Gründe überzeugt sind.
In diesem Sinn sagt L . Wittgenstein in (74): ,,Wer an allem zweifeln wollte,
der würde auch nicht bis zum Zweifel kommen. Das Spiel des Zweifelns
selbst setzt schon Gewißheit voraus"
(115)."
Kommentar-S59: Wittgenstein-Zitat, wonach Zweifeln
bereits Gewißheit voraussetze.
S.71: "... Die Skepsis weist so darauf hin, daß ein Akt der Anerkennung
vorliegt, wenn wir einen Sachverhalt als evident gelten lassen. ,,Das Wissen
gründet sich am Schluß auf der Anerkennung" sagt Wittgenstein,
FN91 und auch für Fichte gilt: „Das Element der Gewißheit
ist der Glaube". FN92 Glaube ist aber für ihn der Entschluß,
eine Annahme als wahr anzuerkennen. Wir verlassen uns auf das, was uns
einleuchtet, erkennen es als richtig an, und wir kommen auch gar nicht
umhin, das zu tun, weil das die conditio sine qua non aller Erkenntnis
ist. 93"
Kommentar-S71: Fichte-Zitat: „Das Element der Gewißheit
ist der Glaube".
S.77: " ...
Denn wenn wir von der Wahrheit eines Sachverhalts überzeugt sind,
ist sein Bestehen für uns eben nicht problematisch, sondern
gewiß.
"
Kommentar-S77: Hier setzt Kutschera gewiß
mit überzeugt sein gleich.
S.183: "... Man kann also auch bzgl. der empirischen Skepsis mit Wittgenstein
sagen: ,,Wer an allem zweifeln wollte, der wird auch nicht bis zum Zweifel
kommen. Das Spiel des Zweifelns setzt selbst schon die Gewißheit
voraus." FN43 Wie in 1.7 betont wurde, bezieht sich der Skeptizismus in
der Regel nicht auf den Begriff des Wissens als wahrer Überzeugung,
sondern auf einen Begriff perfekten Wissens. Perfektes empirisches Wissen
gibt es aber nicht, wie wir dort gesehen haben. FN44 Daraus folgt jedoch
nicht, daß es keine „echte" empirische Erkenntnis gibt, sondern nur,
daß die Forderung perfekten Wissens im empirischen Bereich nicht
sinnvoll ist."
Kommentar-S183: Schon S.59 gesagt.
S.333: "„... Auch die Tiere sind nicht von dieser Weisheit ausgeschlossen,
sondern erweisen sich vielmehr, am tiefsten in sie eingeweiht zu sein;
denn sie bleiben nicht vor den sinnlichen Dingen als an sich seienden stehen,
sondern verzweifelnd an dieser Realität und in der völligen
Gewißheit ihrer Nichtigkeit langen sie ohne weiteres
zu und zehren sie auf; und die ganze Natur feiert wie sie diese offenbaren
Mysterien, welche es lehren, was die Wahrheit der sinnlichen Dinge ist"
((W)III,91). ..."
Kommentar-S333: Unverständliches und fragwürdiges
Hegel-Zitat.
S.413 Fußnote 80: "Descartes unterschied in (MP), 157 Träume
vom wachen Erleben durch Kohärenz des Erlebten, mußte sich aber
von Hobbes sagen lassen, man könne auch kohärent träumen.
Auch für Leibniz ist die Kohärenz, die Gesetzmäßigkeit
des Beobachteten, die Voraussagen erlaubt, ein Kriterium für die Zuverlässigkeit
von Beobachtungen und ihre Objektivität (vgl. (WP)I, 46 f.; II, 125;
(T), 446f.). Sie begründet freilich nur eine „moralische",
keine „metaphysische" Gewißheit. Eine metaphysische
Gewißheit würde erst eine vollständige Analyse
der Phänomene ermöglichen. Diese moralische Gewißheit
genügt aber, denn „nihil autem aliud de rebus sensibilius aut scire
possumus aut desiderare debemus, quam ut tam inter se quam cum indubitatis
rationibus consentiant, atque adeo ut ex praeteritis praevideri aliquantenus
futura possint. Alia in illis veritas aut realitas frustra expetitur, quam
quae hoc praestat, nec aliud vel postulare debent sceptici vel dogmatici
polliceri" ((WP)IV, 356)."
Kommentar-S413: Schwer nachvollziehbare Differenzierungen
von moralischer und metaphysischer Gewißheit.
S.423: "Die Existenz einer Außenwelt (im Sinne der Natur) ist
für Kant nicht problematischer als meine eigene Existenz — alles Erfahrbare
ist nichts als Erscheinung, und der Erscheinungen bin ich gewiß,
gleich ob ich sie mit dem inneren oder dem äußeren Sinn auffasse.
..."
Kommentar-S423: Interessanter Kantbezug, leider
nicht genau bibliographiert (in der Bonner elektronischen Edition
von Kants gesammelten Werken nicht erfasst).
S.428f (Hegel): "... Mit der „Gewißheit
des Bewußtseins, alle Realität zu sein", FN103 erledigt sich
die Frage, ob und wie eine dem Bewußtsein gegenüber (absolut
oder relativ) eigenständige Wirklichkeit erkannt werden kann. Erkenntnistheorie
wird bei ihm durch Geistesgeschichte ersetzt. Er nimmt eine Evolution menschlicher
Erkenntnis an, Stufen des Bewußtseins (des Welt- und Selbstverständnisses),
die zu einem immer vollständigeren und adäquateren Verständnis
der gesamten Wirklichkeit führen. In der „Phänomenologie " und
dem 3. Teil der „Enzyklopädie" beschreibt er eine solche Folge von
Stufen des Bewußtseins, die, ausgehend von einer geringen Differenziertheit
von Subjektivem und Gegenständlichem in der „sinnlichen
Gewißheit" [>429] über eine dualistische Konzeption
bis hin zu idealistischen führt. ..."
Kommentar-S428: Bezugnahme auf Hegel (Unsinn).
S.532: "Lenzen, W. (80a): Wittgensteins Zweifel über Wissen und
Gewißheit, Grazer Philosophische Studien 10 (1980), 43-52"
Kommentar-S532: Literaturhinweis.
S.537: "Wittgenstein, L. (74): Über Gewißheit, hrsg. von
G. F. M . Anscombe und G. H . von Wright, Oxford 1974"
Kommentar-S537: Literaturhinweis.
Bezugnahmen:
Fichte, J. G. (W): Fichtes Werke, hrsg. von I. H. Fichte, Bonn 1834/35
und Berlin 1845/46, Nachdruck, 11 Bde., Berlin 1971
Fichte, J. G. (WLOl): Darstellung der Wissenschaftslehre 1801/02, hrsg.
R. Lauth, Hamburg 1977
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z.B. Wahn site: www.sgipt.org. * Psychopathologie Psychiatrie site: www.sgipt.org |
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