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Recherche von Rudolf Sponsel, Erlangen
Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie (2.A. 2008)
"Gewißheit (lat. certitudo, eng!. certainty), alltagssprachlicher,
in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen auch terminologisch verwendeter
Ausdruck zur Bekundung und Beurteilung von Wissen. In Form objektiver
G. tritt G. als Korrelat zu begründetem
>Wissen auf, in Form von subjektiver G. je
nach dem Grad beanspruchter Klarheit als Korrelat entweder zu überzeugung
oder (bloßer) >Meinung. Dem entspricht in der philosophischen Tradition
die Unterscheidung zwischen >certitudo rei cognitae< und >certitudo
assensus nostri ad rem< (R. Goclenius, Lexicon philosophicum, Frankfurt
1613, 361). Die Bedeutung des Terminus >G.< ist damit ähnlich
wie im Falle der Bedeutung von >Evidenz festgelegt, nämlich
einerseits als objektive Form der Wahrheitsfindung (G.
als )Verfügbarkeit< eines >Sachverhalts), andererseits als subjektive
Form der Wahrheitsanerkennung (G. als >Verfügen<
über einen Sachverhalt). Gegensatz der G.
sowohl im objektiven als auch im subjektiven Sinne von Ungewißheit
ist der >Zweifel.
Die philosophische Tradition unterscheidet im wesentlichen zwischen
(1) metaphysischer G. (im Gegensatz zur skeptischen
These von der prinzipiellen Ungewißheit des Wissens) und moralischer
G.
(als >Lebensform), (2) empirischer (assertorischer oder präsumptiver)
G.
und apodiktischer G., eine Unterscheidung,
die in der Regel derjenigen zwischen aposteriorischem Wissen und apriorischem
Wissen (>a priori) entspricht bzw. deren >epistemischer< Beurteilung
dient. Moderne Erörterungen des Begriffs der G.
erfolgen dabei auf dem Hintergrund des neuzeitlichen >Subjektivismus in
der >Erkenntnistheorie, vornehmlich der Position R. Descartes'. Bei Descartes
wird nämlich Unbezweifelbarkeit explizit zum Kriterium
objektiver G., die im icogito ergo sum über einen methodischen
Zweifel gewonnene Selbstgewißheit des Denkenden zum Inbegriff und
Paradigma [>136] objektiver G.. Damit verbindet
sich mit dem Begriff der G. in cartesischer
Tradition zugleich die Forderung nach absoluter Sicherheit und Eindeutigkeit
des Wissens. In der auch in der Neuzeit, zumal im Rahmen der Positionen
des iEmpirismus, weiterlaufenden Tradition des iSkeptizismus wird diesem
erkenntnistheoretischen Methodenideal widersprochen, G.
im Sinne objektiver G. allenfalls auf Konstruktionen
des Verstandes (Beispiele: Logik und Mathematik) eingeschränkt. Neuere
sprachanalytische Rekonstruktionen im Begriffsfeld >G.<
und die Unterscheidungen der epistemischen Logik (iLogik, epistemische)
verschaffen derartigen Kontroversen eine methodische Basis, wobei sich
auch hier die Verbindung des Begriffs der G.
mit dem Begriff der Sicherheit im wesentlichen als irrelevant erweist (L.
Wittgensteins Empfehlung: >,vergiß diese transzendente Sicherheit,
die mit deinem Begriff des Geistes zusammenhängt«, On Certainty.
Über G., 8 [Nr. 47], vgl. 52ff. [Nr. 404ff.]).
Auf den Begriff der G.
im Sinne beanspruchter Irrtumsfreiheit (Sicherheit) bezieht sich auch die
Kritik des kritischen Rationalismus (>Rationalismus, kritischer) und der
analytischen Wissenschaftstheorie (>Wissenschaftstheorie, analytische)
an den klassischen Begründungsansprüchen der Philosophie. Dabei
wird insbes. der konstruktiven Wissenschaftstheorie (>Wissenschaftstheorie,
konstruktive) unterstellt, sie suche, im Rückgriff auf die erkenntnistheoretische
Position H. Dinglers, einen dogmatischen Begriff der >Letztbegründung
zu restituieren und gäbe sich dabei als >Certismus (im Gegensatz zu
der im >Fallibilismus vertretenen Konzeption wissenschaftlicher Rationalität)
zu erkennen. Diese Unterstellung ist jedoch unbegründet, insofern
der in der konstruktiven Wissenschaftstheorie vertretene Begriff der >Begründung
(1) dem so genannten iMünchhausen-Trilemma nicht unterliegt und (2)
den Anspruch auf Irrtumsfreiheit nicht impliziert.
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