Analyse des Gewissheitsbegriff in Brendel (2013) Wissen
Materialien zur Studie Begriffsanalyse Gewissheit
und Gewissheitserleben.
Brendel, Elke (2013) Wissen. Berlin: De
Gruyter
Zusammenfassung
- Fundstellenbelege.
Zusammenfassung-Brendel-2013-Wissen:
37 Fundstellen "gewiss", davon aber 26 unbestimmte "gewisse", Gewissheit
9 Fundstellen und 2 Fundstellen "gewiss" im Sinne von Gewissheit: S.51
"objektiv gewiss", S.85 "ungewiss ist", Sachregister, also insgesamt 9+4=13
Fundstellen:
Die ersten 7 Fundstellen in Brendels Wissensbuch referieren die Position
von Descartes. Die Fundstellen im einzelnen:
Fazit: Descartes' Überlegungen enthalten mehrere grundlegende
Fehler: (1) Der Ansatz der Suche nach absoluter Gewissheit ist falsch,
weil es eine solche bei Menschen nicht geben kann. (2) Der Mensch kann
sich grundsätzlich irren und täuschen, nicht nur bei der äußeren
Wahrnehmung, sondern auch (3) bei der inneren Wahrnehmung (denken, erinnern,
vorstellen, erleben). (4) Der abstrakt allgemeine Ansatz ist wenig sinnvoll,
richtig und wichtig wären konkrete, operationale Beispielen mit klaren
Referenzangaben. Das leistet nicht nur Descatres in der Brendel-Präsentation
nicht, sondern auch Brendel selbst nicht. Die Kernfrage, wodurch es zur
Gewissheit oder zum Gewissheitserleben kommt, wird nicht beantwortet.
Brendel klärt den Begriff Gewissheit nicht,
wie es Aristoteles vor 2300 Jahren schon (Quelle)
forderte:
|
welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...) möglich sein? Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein und etwas, und zwar eins und nicht mehreres, bezeichnen; hat es mehrere Bedeutungen, so muß man erklären, in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..." Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik. 11. Buch, 5 Kap., S. 244 (Rowohlts Klassiker 1966) |
Leider verstehen die meisten Philosophen auch nach 2300 Jahren Aristoteles immer noch nicht, wie Wissenschaft elementar funktioniert. Wer über Gewissheit etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, was er unter "Gewissheit" verstehen will. Das ist zwar nicht einfach, aber wenn die Philosophie eine Wissenschaft wäre und und die Philosophen Aristoteles ernst nehmen würden, dann hätte sie das in ihrer 2300jährigen Geschichte längst zustande bringen müssen.
Brendel2013-S.41f: "3.4.1 B1Gewissheit
und Infallibilität der epistemischen Rechtfertigung
Die Fallibilität der epistemischen
Rechtfertigung ist eine zentrale Voraussetzung für die Entstehung
des Gettier-Problems. Würde die epistemische Rechtfertigung die Wahrheit
der Überzeugung stets erzwingen, wären in den obigen Beispielen
die Überzeugungen (a) und (c) bereits nicht gerechtfertigt - und das
Gettier-Problem würde folglich nicht auftreten. Eine mögliche
Lösungsstrategie zur Gettier-Problematik könnte daher darin bestehen,
dem Wissensbegriff einen wahrheitsgarantierenden Begriff der epistemischen
Rechtfertigung zugrunde zu legen.
Bereits in der Antike, vor allem aber in der cartesianischen
Erkenntnistheorie der Philosophie der Neuzeit, wurde Wissen als eine bestimmte
infallibel gerechtfertigte wahre Überzeugung konzipiert. Für
Descartes kann ein Erkenntnissubjekt weder durch die Sinne noch die Vorstellungskraft
zu Wissen gelangen, sondern alleine durch evidentes und unbezweifelbares
Erfassen des Erkenntnisgegenstandes. Nach Descartes sind Intuition und
Deduktion die einzig möglichen Wege zur Wissensgewinnung - und damit
zur Wissenschaft. Unter „Intuition" versteht Descartes jedoch keine durch
die Sinne oder Erfahrung geleitete und prinzipiell fehlbare Erkenntnisform,
sondern vielmehr ein bestimmtes subjektiv evidentes Begreifen, das unmittelbar,
unfehlbar und B2objektiv gewiss
ist:
Durch Deduktion, d. h. durch notwendige Schlussfolgerungen aus dem
intuitiv Erkannten, gewinnt man nun weitere B3notwendige
Gewissheiten. Eine Überzeugung ist für Descartes
somit nur dann Wissen, wenn ihre Wahrheit objektiv begründet und durch
subjektiv gewisses intuitives Erfassen bzw. durch deduktives Schließen
aus intuitiv Erfasstem garantiert ist. Da vor allem empirisch gewonnene
Überzeugungen über die Außenwelt niemals den Status B4subjektiver
Gewissheiten besitzen, denn Sinneswahrnehmungen können
sich stets als trügerisch erweisen, sind die potentiellen Kandidaten
für Wissensobjekte in Descartes' Wissenskonzeption sehr eingeschränkt:
S.54: "... Die erste diskutierte Lösungsmöglichkeit bestand
darin, auf die Wissenskonzeption Descartes' zurückzugreifen, wonach
Wissen in einer bestimmten Überzeugung besteht, die B8objektiv
gewiss ist und durch ein bestimmtes infallibles intuitives
Erfassen des Erkenntnisgegenstandes gewonnen wurde. ..."
S.83: "Descartes ist nicht der Meinung, dass es einen solchen betrügerischen Dämon tatsächlich gibt. Vielmehr verwendet er dieses Gedankenexperiment als Methode eines systematischen und generellen Zweifelns. Dieses Beispiel dient ihm als Ausgangspunkt auf der Suche nach B9absoluten Gewissheiten, die selbst einem radikalen Zweifel an der Glaubwürdigkeit aller unserer Wahrnehmungen standhalten."
S.85: "Das wissensskeptische Argument ist prima facie recht einleuchtend. Seine Annahmen erscheinen unstrittig. Der Skeptiker behauptet ja nicht, dass wir de facto in einer simulierten Scheinrealität leben oder dass dies auch nur wahrscheinlich wäre. Er behauptet lediglich, dass die Möglichkeit einer Täuschung bestehe (Annahme (1)). Auch ist Annahme (2), wonach wir diese Möglichkeit nicht ausschließen können, plausibel. Da somit die Wahrheit unserer Überzeugungen über die Außenwelt B10ungewiss ist, ist es für den Skeptiker nur folgerichtig, unser Wissen über die Außenwelt zu bestreiten. Allerdings ist diese Konklusion des skeptischen Arguments natürlich nur schwer annehmbar — würde dies doch bedeuten, dass wir uns permanent irrten, wenn wir uns und anderen Wissen zusprächen. Schon Immanuel Kant bezeichnete es als „Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein außer uns [...] bloß auf Glauben annehmen zu müssen und, wenn es jemandem einfällt es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können"11"
S.101: "5.2.5 Epistemische Sicherheit und Wissensskeptizismus
Bisher konnte keine der diskutierten antiskeptischen Strategien vollständig
überzeugen. Direkte Widerlegungsversuche, in denen versucht wurde,
die Prämisse (1) bzw. (2) des wissensskeptischen Arguments zu falsifizieren,
erwiesen sich als unhaltbar. Auch die Strategie Dretskes und Nozicks, das
Abgeschlossenheitsprinzip (und damit die Prämisse (5) im wissensskeptischen
Argument) zurückzuweisen, wurde als höchst problematisch erachtet.
Eine andere antiskeptische Strategie könnte jedoch auch darin bestehen,
die Annahme (3) des wissensskeptischen Arguments in Frage zu stellen. Muss
aus den Annahmen, dass die Möglichkeit einer globalen Täuschung
prinzipiell gegeben ist und wir diese Möglichkeit nicht ausschließen
können, tatsächlich zwangsläufig folgen, dass wir dann auch
nicht wissen können, dass wir nicht getäuscht werden? Insbesondere
für eine cartesianische
Wissenskonzeption, wonach nur objektiv infallible und durch Intuition
gewonnene, B11absolut gewisse
Überzeugungen als Wissen gelten können, ist die Annahme (3) natürlich
sehr plausibel, und die sich daraus ergebenden skeptischen Implikationen
sind unausweichlich. In Kapitel 3.4.1 wurde jedoch bereits eine cartesianische
Wissenskonzeption u. a. aufgrund ihrer radikal skeptischen Konsequenzen
zurückgewiesen. "
S.191 Anmerkung zu Kap. 7: "7 Da in der Diskussion um das Menon-Problem (und in den Übersetzungen des Ausdrucks „döxa") meist der Begriff der Meinung anstelle des Begriffs der Überzeugung verwendet wird, werde ich hier diesen Begriff ebenfalls verwenden und später wieder zum Begriff der Überzeugung übergehen. Auch wenn der Begriff der Überzeugung meines Erachtens einen höheren Grad an B12subjektiver Gewissheit konnotiert, sollen die Begriffe der Meinung und der Überzeugung hier synonym verwendet werden - siehe hierzu auch Kap. 3.2.1."
S. 203 Sachregistereinträge: B13Gewissheit 41-42, 83, 191
Ende Belege Brendel 2013 Wissen.
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