Materialien zur Geschichte der
Dialektik
Materialien zur Begriffsanalyse
und Untersuchungen zur Dialektik
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Zur
Einführungs, Haupt- und Verteilerseite Dialektik.
Information zu den Signierungen.
Originalarbeit von Rudolf
Sponsel, Erlangen
_Aufgrund gelegentlicher
Ergänzungen und Korrekturen mit F5-Taste updaten empfohlen
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"Dialektik
[212] Dialektik (DialDefiniendum)
(dialektikê): Unterredungskunst
(Dialursp), Methode
der Unterredung, begriffliches Verfahren (durch Entwicklung
von Sätzen oder Wahrheiten aus Begriffen) (DialMeth),
logische
Bewegung des Denkens von einem Begriff zum anderen mittelst Aufhebung von
Widersprüchen (DialGegD).
Im schlechten Sinn bedeutet »dialektisch« ein auf Überredung
hinzielendes Argumentieren ohne stichhaltige Erfahrungsgrundlagen
(DialSoph).
Ein dialektisches Verfahren
(DialMeth) machte sich schon
der Eleate ZENO zu eigen (Diog. L. VIII, 57: Aristotelês en tô
Sophistê phêsi prôton Zênôna dialektikên
heurein, vgl. IX, 25). Die Sophisten begründen eine Dialektik
(DialSoph) im schlechten
Sinne, die darauf ausgeht, ton hêttô logon kreittô poiein,
durch Scheinbeweise, Sophismen (s. d.) den Schein der Wahrheit zu erzeugen
(vgl. ARISTOTELES, Rhet. II 24, 1402a 23). Die Unterredungskunst zum Zwecke
der Begriffsbestimmung übt SOKRATES aus. Im Zusammen-Denken glaubt
er das Wahre, Objective finden zu können: Ephê de kai to dialegesthai
onomasthênai ek tou syniontas koinê bouleuesthai dialegontas
kata genê ta pragmata (XENOPHON, Memor. IV, 5, 12). Bei den Megarikern
artet die Dialektik in
Eristik (DialErist)
(s. d.) aus. PLATO versteht unter Dialektik
(DialPlato) die Kunst des
logischen, philosophischen Verfahrens, d.h. des Verfahrens, durch Analyse
und Synthese der Begriffe, durch Fortgang des Denkens von niederen zu höheren,
allgemeineren Begriffen zur Erkenntnis des Seienden, der Wirklichkeit,
der Ideen (s. d.) zu gelangen (hê tou dialegesthai dynamis ist die
Erkenntnis [gnôsis] peri to on kai to ontôs kai to kata tauton
aei pephykos, sie ist makrô alêthestatê, Phileb. 58 A,
57 E).[212] Vom Eros, von der Liebe zum Forschen, ergriffen, sucht der
Dialektiker das Wesen der Dinge zu bestimmen (dialektikon kaleis ton logon
hekastou lambanonta tês ousias, Republ. 534 B; vgl. Soph. 253 Phaedr.
265, 266, 276 E). ARISTOTELES nennt dialektikê das Beweisverfahren
aus überlieferten Sätzen (ex endoxôn, Top. I 1, 100a 27);
dialektikôs = auf syllogistische Weise (Top. I 14, 105b 31), auch
– sophistisch (De an. I 1, 403a 2); dialektikai protaseis – Wahrscheinlichkeitsurteile
(Anal. pr. I 1, 24a 22). Die Stoiker verstehen unter Dialektik
() teils die Grammatik, teils die Logik und Erkenntnistheorie. Das logikon
meros zerfällt in Rhetorik und Dialektik
() (Diog. L. VII, 41). Letztere, ist die Wiesenschaft tou orthôs
dialegesthai peri tôn en erôtêsei kai apokrisei logôn;
hothen kai houtôs autên horizontai, epistêmên alêthôn
kai psendôn kai oudeterôn (Diog. L. VII, 42 ff.; vgl. PRANTL,
G. d. Log. I, 413; L. STEIN, Psychol. d. Stoa II, 101). CICERO spricht
über Dialektik () im Sinne der
Stoa (De orat. II, 38, 157; Brut. 41, 152; Disp. Tusc. V, 25, 72; Acad.
II, 28, 91; Top. 2, 6). SENECA: Dialektikê »in duas partes
dividitur, in verba et significationes i.e. in res quae dicuntur et vocabula
quibus dicuntur« (Ep. 1, 1; vgl. 89, 9). EPIKUR ersetzt die Dialektik
() durch die »Kanonik« (s. d.).
JOHANNES SCOTUS versteht unter Dialektik
() die Forschung nach dem Wesen der Dinge durch logisches, speculatives
Verfahren. Sie ist »communium animi conceptionum rationabilium diligens
investigatrixque disciplina« (Div. nat. I, 27), die »mater
artium.« (l.c. V, 4). Sie geht vom Allgemeinen zum Besonderen und
gewinnt aus diesem das Allgemeine. »Illa pars philosophiae, quae
dicitur dialectica, circa horum. generum divisiones a generalissimis ad
specialissima iterumque collectione a specialissimis ad generalissima versatur«
(l.c. I, 16). »Inchoat per genera generalissima mediaque genera usque
ad formas et species specialissimas« (l.c. V, 4). »Dialecticae
proprietas est rerum omnium, quae intelligi possunt, naturas dividere,
coniungere, discernere, propriosque locos unicuique distribuere atque ideo
a sapientibus vera rerum contemplatio solet appellari« (l.c. I, 46).
Die Dialektik () ist im Wesen der Dinge
gegründet (»in natura rerum ab auctore omnium artium, quae vere
artes sunt, condita«, l.c. IV, 4). Nach ABAELARD ist die Dialektik
() die begriffliche Feststellung der Wahrheit oder Falschheit von Urteilen,
»veritatis seu falsitatis discretio« (Dial. p. 435). JOHANN
VON SALISBURY erklärt: »Dialctices intentio, ut sermonum vim
aperiat et ex eorum praedicatione examinandi veri et statuendi scientiam
assequatur« (PRANTL, G. d. Log. II, 236). Nach LAMBERT VON AUXERRE
ist Dialektik () »ars artium ad
principia omnium methodorum viam habens« (l.c. S. 26). Nach THOMAS
gibt es eine »dialectica docens« und »dialectica utens«
(4 met. 4b).
Gegen die scholastische Wertschätzung des dialektischen
Verfahrens wenden sich LUDOVICUS VIVES, NIZOLIUS und besonders PETRUS RAMUS.
Ihm ist die Dialektik () nichts als
Disputierkunst. »Dialectica virtus est disserendi, quod vi nominis
intelligitur: dialegesthai enim et disserere unum idemque valent, idque
est disputare, disceptare atque omnino ratione uti« (Dial. inst.
p. 1). Sie ist »doctrina disserendi« (l.c. p. 6). BOVILLUS
nennt die dialektische Denkbewegung
() antiparistasis« (s. d.). Nach MELANCHTHON ist die Dialektik »ars
et via docendi«, »consistit in definiendo, dividendo et argumentando«
(Dial. I, p. 1).
KANT erklärt, die Dialektik
() sei nur eine »Logik des Scheins« (Kr. d. r. Vern. S. 83),
eine »ars sophistica, disputatoria«, die aus einem Mißbrauch
der Logik entspringt (Log. S. 11). Denn »da sie uns gar nichts über
den Inhalt[213] der Erkenntnis lehret, sondern nur bloß die formalen
Bedingungen der Übereinstimmung mit dem Verstande..., so muß
die Zumutung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen,
um seine Kenntnisse, wenigstens dem Vorgeben nach, auszubreiten und zu
erweitern, auf nichts als Geschwätzigkeit hinauslaufen, alles, was
man will, mit einigem Schein zu behaupten, oder auch nach Belieben anzufechten«
(Kr. d. r. Vern. S. 84). K. selbst will unter Dialektik
() nur »eine Kritik des dialektischen, Scheins« verstanden
wissen. Auf dem Gebiete des Erkennens zunächst besteht eine in der
Natur des Denkens liegende »transcendentaleDialektik
()«, die zu einer Verwechselung subjectiver Notwendigkeit mit objectiver
Realität führt. Sie »beruht auf ursprünglichen, natürlichen
Illusionen, auf einem transcendentalen Schein, dessen Folge es ist, daß
in unserer Vernunft... Grundregeln und Maximen ihres Gebrauches liegen,
welche gänzlich das Ansehen objectiver Grundsätze haben und wodurch
es geschieht, daß die subjective Notwendigkeit einer Verknüpfung
unserer Begriffe zugunsten des Verstandes für eine objective Notwendigkeit,
der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehalten wird« (Krit. d.
r. Vern. S. 263). Die »transcendentaleDialektik
()« als Kritik begründet den »Schein«, ohne ihn
zerstören zu können (l.c. S. 263 f.). »Da aller Schein
darin besteht, daß der subjective Grund des Urteils für objectiv
gehalten wird, so wird eine Selbsterkenntnis der reinen Vernunft in ihrem
transcendentalen (überschwenglichen) Gebrauch das einzige Verwahrungsmittel
gegen die Verirrungen sein, in welche die Vernunft gerät, wenn sie
ihre Bestimmung mißdeutet und dasjenige transcendenterweise aufs
Object an sich selbst bezieht, was nur ihr eigenes Subject und die Leitung
desselben in allem immanenten Gebrauche angeht« (Proleg. § 40;
vgl. § 45). Die transcendentaleDialektik
() besteht in der Untersuchung der Paralogismen (s. d.), Antinomien (s.
d.) und Ideale (s. d.) der reinen Vernunft. Es gibt auch eine Dialektik
der praktischen Vernunft, indem diese unter dem Namen des höchsten
Gutes (s. d.) ein Unbedingtes sucht (Kr. d. pr. Vern. I. T., 2. B.). So
auch in der Urteilskraft, nämlich betreffs der Antinomien des (Geschmacks
(s. d.) (Kr. d. Urt. § 55 ff.).
J. G. FICHTES philosophische Methode, nach welcher
in Entgegengesetztem das übereinstimmende Merkmal aufgesucht und der
Dreischritt: Thesis, Antithesis, Synthesis gemacht wird, ist dialektisch
(»synthetisch«, Gr. d. g. Wiss. S. 31; ähnlich HEGEL,
S. weiter unten). SCHLEIERMACHER versteht unter Dialektik eine »Kunstlehre
des Denkens«, die Kunst des Begründens (Dialekt. S. 8), die
philosophische Principienlehre (Metaphysik und Erkenntnistheorie). Dialektik
() ist die Philosophie, weil das Wissen ein Product des gemeinsamen
Denkens ist (l.c. S. 66). Sie ist »die Idee des Wissens unter der
isolierten Form des Allgemeinen« (l.c. S. 309, vgl. S. 22, 315).
SCHOPENHAUER versteht unter Dialektik
() »die Kunst des auf gemeinsame Erforschung der Wahrheit,
namentlich der philosophischen, gerichteten Gespräches« (W.
a. W. u. V. II. Bd., a. 9). SPICKER erklärt: »Unter Dialektik
verstehen wir nicht bloß eine Begriffszergliederung, sondern zugleich
auch eine Begriffserzeugung. Beides zusammen fassen wir unter den Ausdruck:
Begriffsentwicklung. Die zwei Hauptmomente der Dialektik
() sind also: Analyse und Synthese. In jener wird gezeigt, was ein
Begriff ist und was er nicht ist; in dieser, was er sein soll« (K.,
H. u. B. S. 165). WUNDT versteht unter dialektischen Methoden »alle
diejenigen philosophischen Methoden..., bei denen aus gegebenen Begriffen
vermittelst einer rein logischen Entwicklung andere Begriffe abgeleitet
werden« (Phil. Stud. XIII, 68).[214]
Auf die Wirklichkeit selbst wendet zuerst PROKLUS
den Begriff der Dialektik an. Der Weltproceß macht eine triadische
Entwicklung durch: aus der Einheit oder Ursache, in der das Erzeugte vermöge
seiner Ähnlichkeit verharrt (monê) tritt es heraus infolge seiner
Unähnlichkeit (proodos), um dann wieder zu ihr zurückzukehren
(epistrophê) (Procli stoicheiôsis theologikê, c. 31 ff.).
Später überträgt die dialektische Entwicklung,
die nach ihm das logische Denken beherrscht, auf das Sein. Die Dialektik
() ist »die wissenschaftliche Anwendung der in der Natur als
Denkens liegenden Gesetzmäßigkeit« (Encykl. § 10)
und zugleich diese Gesetzmäßigkeit selbst. Diese besteht in
der immanenten Bewegung des. »Begriffs« (s. d.), der infolge
des in ihm steckenden »Widerspruchs« (s. d.) sich selbst aufhebt,
um wieder zu sich, auf einer höheren Stufe, zurückzukehren. Der
Begriff schlägt in sein Gegenteil um, geht mit diesem in einem höheren
Begriff zusammen, wodurch der Widerspruch »aufgehoben« wird.
»Das dialektische Moment ()ist
das eigene Sich-aufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Übergehen
in ihre entgegengesetzte« (Encykl. § 81). So entwickeln sich
die Begriffe auseinander »in unaufhaltsamem, reinem, von außen
nichts hereinnehmendem Gange« (Log. I, 41). Der Geist ist hierbei
nicht productiv, sondern sieht der Selbstentwicklung des Begriffs zu (Rechtsphil.
S. 65). Die Dialektik () ist »die
eigene, wahrhafte Natur der Verstandesbestimmungen, der Dinge und des Endlichen
überhaupt« (Encykl. § 81). Die geistige Entwicklung geht
vom An-sich-sein durchs Für-sich-sein zum An- und Für-sich-sein.
HILLEBRAND: »Alles, Geistige hat Form und Inhalt... nur in der Dialektik
seines eigenen Tuns« (Phil. d. Geist. II, 95). SCHASLER erklärt
den dialektischen Proceß als »Fortgang vom abstract Allgemeinen
durch die Differenz und Besonderung zum Individuellen, worin der in der
Besonderung enthaltene Gegensatz zu einer höheren Einheit aufgehoben,
d.h. die abstracte Einheit des Allgemeinen zur concreten erhoben wird«
(Kr. Gesch. d. Ästh. S. 8). J. E. ERDMANN überträgt die
Dialektik
() auf die Psychologie (Psychol. Briefe3, 209, 250, 256). BAHNSEN
nimmt nur eine »Realdialektik«, eine (antilogische) dialektische
Entwicklung des Seins an (s. Widerspruch). R. HAMERLING betrachtet die
Seins-Dialektik
() als logisch, zweckmäßig, er kennt auch eine Dialektik
des Denkens und der Anschauung () (Atom. d. Will. I, 73
ff.). Im Sinne Hegels lehrt CARNERI (Sittl. u. Darwin. S. 12). Vgl. E.
DÜHRING, Natürl. Dialektik 1865." (DialDefiniens)
Exkurs Dialektik
der reinen praktischen Vernunft nach Eisler [m]
Dialektik (transzendentale), der reinen praktischen
Vernunft (). Die natürliche Dialektik
() der praktischen Vernunft ist der Hang, wider die strengen Gesetze
der Pflicht "zu vernünfteln und ihre Gültigkeit, wenigstens ihre
Reinigkeit und Strenge, in Zweifel zu ziehen und sie womöglich unseren
Wünschen und Neigungen angemessener zu machen, d. i. sie im Grunde
zu verderben und um ihre ganze Würde zu bringen". Diese Dialektik
() nötigt zu einer Kritik der praktischen Vernunft, GMS 1. Abs. (III
24 f.). Die reine Vernunft hat jederzeit ihre Dialektik
() , "denn sie verlangt die absolute Totalität der Bedingungen zu
einem gegebenen Bedingten, und diese kann schlechterdings nur in Dingen
an sich selbst angetroffen werden". Aus der Anwendung dieser Vernunftidee
auf Erscheinungen, als wären sie Sachen an sich, entspringt ein Schein,
der durch den Widerstreit der Vernunft mit sich selbst in der Anwendung
der Idee des Unbedingten auf Erscheinungen sich verrät. Dies führt
zur Kritk des reinen Vernunftvermögens. Das gilt auch von der Vernunft
in ihrem praktischen Gebrauche. "Sie sucht als reine praktische Vernunft
zu dem Praktisch-Bedingten (was auf Neigungen und Naturbedürfnis beruht)
ebenfalls das Unbedingte, und zwar nicht als Bestimmungsgrund des Willens,
sondern, wenn dieser auch (im moralischen Gesetze) gegeben worden, die
unbedingte Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft
unter dem Namen des höchsten Guts", KpV 1. T. 2. B. 1. H. (II 138
f.). Vgl. Gut.
Exkurs Transzendentale
Dialektik nach Eisler [m]
Dialektik, transzendentale (DialKantTD).
Benutzt der Intellekt apriorische Begriffe und Grundsätze, deren Gebrauch
insgesamt auf Anschauung (mögliche Erfahrung) eingeschränkt ist.
über alle Grenzen der Erfahrung hinausgehend zur Bestimmung der Objekte
überhaupt als Dinge an sich, die doch durch keinerlei Anschauung gegeben
sind, so ist dieser Gebrauch des Verstandes "dialektisch". Dialektik
(DialSchein) als
"Kritik des dialektischen Scheins (DialSchein)"
ist der zweite Teil der allgemeinen Logik (s. d.). Zu einer "Logik des
Scheins" wird sie, wenn man die (formale) Logik, die bloß ein "Kanon"
zur Beurteilung der formalen Wahrheit (Richtigkeit) von Urteilen ist, zu
einem "Organon" macht, d. h. zur Quelle materialer Erkenntnisse, zum "Blendwerk
objektiver Behauptungen". Eine solche Dialektik
() ist eine "sophistische Kunst", KrV tr. Log. Einl. III (I 113 f.—Rc
134 f.). Der zweite Teil der transzendentalen Logik heißt "transzendentale
Dialektik ()", "nicht als eine Kunst, dergleichen Schein
dogmatisch zu erregen (eine leider sehr gangbare Kunst mannigfaltiger metaphysischer
Gaukelwerke), sondern als eine Kritik des Verstandes und der Vernunft in
Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs, um den falschen Schein ihrer
grundlosen Anmaßungen aufzudecken, und ihre Ansprüche auf Erfindung
und Erweiterung, die sie bloß durch transzendentale Grundsätze
zu erreichen vermeint, zur bloßen Beurteilung und Verwahrung des
reinen Verstandes vor sophistischem Blendwerke herabzusetzen", ibid. IV
(I 115 f.—Rc 135 f.). — Die Dialektik
() hat es mit dem "transzendentalen Schein" (s. d.) zu tun. Sie hat
"den Schein transzendenter Urteile" aufzudecken, zu verhüten, daß
er nicht betrüge, aber sie kann ihn nicht beseitigen. Sie zeigt, daß
die Ideen (s. d.) und Grundsätze der Vernunft zu Widersprüchen
(Antinomien, Paralogismen) führen, wenn sie als "transzendent", die
Erfahrung übersteigend und auf übersinnliche Objekte gehend gebraucht
werden, anstatt sie "immanent", als Regulation (s. d.) für die Anwendung
des Verstandes im systematischen Zusammenhange der Erfahrungen zu gebrauchen,
ibid. tr. Dial. Einl. I (I 314 ff. — Rc 380 ff.). — Die transzendentale
Dialektik hat zwei Hauptstücke (Bücher): 1. Von den transzendenten
Begriffen der reinen Vernunft (Ideen); 2. von den transzendenten und dialektischen
Vernunftschlüssen (Paralogismen, Antinomien, Ideal der reinen Vernunft).—
Es gibt nur drei Fälle des "dialektischen Gebrauchs
der Vernunft: () "1. Die Synthesis der Bedingungen eines
Gedankens überhaupt", "2. die Synthesis der Bedingungen des empirischen
Denkens". "3. Die Synthesis der Bedingungen des reinen Denkens." "In allen
diesen drei Fällen beschäftigt sich die Vernunft bloß mit
der absoluten Totalität dieser Synthesis, d. i. mit derjenigen Bedingung,
die selbst unbedingt ist." Auf dieser Einteilung gründet sich der
"dreifache transzendentale Schein", der zu drei "scheinbaren Wissenschaften
aus reiner Vernunft", der transzendentalen Psychologie, Kosmologie und
Theologie, die Idee an die Hand gibt, KrV 1. A. tr. Dial. 2. B. 1. H. Betrachtung
.. (I 762 f.— Rc 489 f.). Die Dialektik
() als "Logik des Scheines" (Sophistik) muß wegfallen; statt
dessen ist eine "Kritik dieses Scheines" in die Logik einzuführen,
"welche, die Merkmale und Regeln enthielte, wonach wir erkennen könnten,
daß etwas mit den formalen Kriterien der Wahrheit nicht übereinstimmt,
ob es gleich mit denselben übereinzustimmen scheint". Eine solche
Dialektik
() ist nützlich als "Kathartikon" des Verstandes. Log. Einl.
II (IV 18 f.). Vgl. N 4929, 4952, 4985 u. ö. Vgl. Antinomien, Antithetik,
Schein, Unbedingt, Unendlich, Freiheit, Widersprüche der Vernunft.
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Exkurs
Transzendentale Dialektik der Urteilskraft nach Eisler [m]
Dialektik, transzendentale, der Urteilskraft
(). "Eine Urteilskraft, die dialektisch sein soll, muß zuvörderst
vernünftelnd sein, d. i. die Urteile derselben müssen auf Allgemeinheit,
und zwar a priori, Anspruch machen; denn in solcher Urteile Entgegensetzung
besteht die Dialektik () . Daher ist
die Unvereinbarkeit ästhetischer Sinnesurteile (über das Angenehme
und Unangenehme) nicht dialektisch ()
. Auch der Widerstreit der Geschmacksurteile, sofern sich ein jeder bloß
auf seinen eigenen Geschmack beruft, macht keine Dialektik
() des Geschmacks aus; weil niemand sein Urteil zur allgemeinen Regel
zu machen gedenkt. Es bleibt also kein Begriff von einer Dialektik übrig,
welcher den Geschmack angeben könnte, als der einer Dialektik
() der Kritik des Geschmackes (nicht des Geschmacks selbst) in Ansehung
ihrer Prinzipien: da nämlich über den Grund der Möglichkeit
der Geschmacksurteile überhaupt einander widerstreitende Begriffe
natürlicher- und unvermeidlicherweise auftreten. Transzendentale Kritik
des Geschmacks wird also nur sofern einen Teil enthalten, der den Namen
einer Dialektik () der ästhetischen
Urteilskraft führen kann, wenn sich eine Antinomie der Prinzipien
dieses Vermögens findet, welche die Gesetzmäßigkeit desselben,
mithin auch seine innere Möglichkeit zweifelhaft macht", KU §
55 (II 194 f.); vgl. Geschmack.
Ende Eisler
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Historisches
Wörterbuch der Philosophie online (DOI; 10.24894/HWPh.5091)
Dialektik [m]
Wilhelm Risse, Armin Müller, Ludger Oeing-Hanhoff, Kurt Röttgers,
Helmut K. Kohlenberger, Jürgen Debus, Jürgen Frese RedaktionJuan
Rodríguez-LoresWilhelm BüttemeyerLennart Pinomaa
"I. Die Geschichte der D. () im
Überblick bis Kant. – 1. D. ()
(...gr ....) ist bei Platon die aus der Diskussion gegenteiliger Meinungen
erwachsende Theorie des Wissens. Sie befaßt sich in der Art einer
Disziplin mit der Analyse und Synthese von Begriffen [1] und dient vornehmlich
der Erkenntnis des Seienden, um die Ideen zu begreifen [2]. Bei Aristoteles
ist die D. () der sowohl hinsichtlich
der Entstehungszeit wie hinsichtlich der Anknüpfung an die Diskussionspraktik
der Platoniker ursprünglichste (in der ‹Topik› enthaltene) Teil der
Logik. Die spätere Einordnung der D.
() in das Gesamtwerk des ‹Organon› bedingte ihre Verschiebung an dessen
Ende. Dadurch ist die D. () schon bei
Aristoteles doppeldeutig.
Die Diskussion späterer Logiker geht hauptsächlich
um folgende Fragen: 1. in welchem Verhältnis die D.
() zur Analytik stehe, 2. ob die D. ()
die Logik als ganze umfasse und 3. ob die als ihr Inhalt bezeichnete «Wahrscheinlichkeit»
als das mindestens oder als das bloß Wahrscheinliche zu verstehen
sei."
"Dialektik (DialDefiniendum)
(griech. ... ..., sich unterreden, disputieren), in der griechischen
Philosophie die der >Logik und der >Rhetorik verwandte Kunst (und die Lehre
von ihr), vorgetragene Meinungen auf ihre Gründe hin im Gespräch
zu prüfen (DialDefoniens; Dialursp).
... ... ... ...
K. Marx übernimmt das formale Schema der Hegeischen
D.
(), kehrt diese aber in der Richtung des Begreifens um. Nicht die >Begriffe<
sind der Ausgangspunkt für den >Gang der Sache selbst<, sondern
die durch die Bedürfnisse und die gesellschaftliche Organisation ihrer
Befriedigung bestimmte (gesellschaftliche) Wirklichkeit. Dementsprechend
liefert auch nicht die Entwicklung der >Begriffe< das Kriterium für
die Erkenntnis der wirklichen Entwicklung, sondern die Erklärbarkeit
aus den bestehenden Bedürfnissen und ihrer gesellschaftlich organisierten
Befriedigung, aus den Produktionsverhältnissen. Widersprüche
entstehen zwischen dem >Bewußtsein<, dem jeweiligen >Begriff<
von der gesellschaftlichen Wirklichkeit, und dem >Sein<, eben dieser
gesellschaftlichen Wirklichkeit, weil schon zwischen den Produktivkräften
und den Produktionsverhältnissen, d. h. den technischen und sozialen
Möglichkeiten zur Produktion und der gesellschaftlichen Regelung der
Produktion, [>184] unterdrückter Möglichkeiten - bestehen.
Je schärfer diese >Widersprüche< werden, um so eher werden
die den Produktivkräften >widersprechenden< Produktionsverhältnisse
und das dem gesellschaftlichen >Sein< widersprechende >Bewußtsein<
verändert werden können. Mit dieser das Hegeische Verhältnis
von >Begriff< und Wirklichkeit umkehrenden und in diesem Sinne >realistischen<
Konzeption von D. () wird so ein Verständnis
von D. () zumindest nahegelegt, nach
der die D. () eine Gesetzmäßigkeit
subjektunabhängiger, gleichsam naturwüchsiger Entwicklungen darstellt.
In eben diesem Verständnis stellt F. Engels der von ihm so genannten
>subjektiven D.< des Begreifens eine
>objektive D.< entgegen, mit der
nicht nur die Entwicklungen der gesellschaftlichen Geschichte, sondern
auch aller Naturgeschehnisse dargestellt werden sollen. Für die naturalistische
D.
() formuliert Engels drei Hauptgesetze: ( 1) das »Umschlagen von
Quantität in Qualität<< und umgekehrt, (2) »Gegenseitiges
Durchdringen der polaren Gegensätze und Ineinander-Umschlagen, wenn
auf die Spitze getrieben<<, (3) »Entwicklung durch den Widerspruch
oder Negation der Negation<< (MEW XX, 307). Obgleich W. I. Lenin
einer solchen >D. der Natur< zurückhaltend
gegenübersteht, wird die Engelssehe Auffassung der D.
() im Stalinismus - bis zu den »Linguistik-Briefen<< (1950,
vgl. J. Stalin, Marxismus und Fragen der Sprachwissenschaft, ed. H. P.
Gente, München 1968) - zur herrschenden Lehre. In Italien, Frankreich
und Deutschland hingegen wird die Rekonstruktion der Marxschen Konzeption
von D. () in teilweiser Wiederanknüpfung
an die Kantische und Hegeische Philosophie versucht.
Im deutschen Sprachraum hat insbes. die D.konzeption
der von M. Horkheimer und T. W. Adorno begründeten >kritischen Theorie<
( >Theorie, kritische) Beachtung gefunden. Diese Konzeption läßt
sich als ein Versuch verstehen, D. ()
sowohl als Entwicklungstheorie als auch als Argumentationstheorie weiterzuführen:
aus dem Begreifen der dialektischen Entwicklung der >Sache<, d. h. dem
>Widerspruch in der Sache selbst<, sollen die Argumente für deren
Verbesserung, für den >Widerspruch< zum Faktischen, erarbeitet
werden. Die >kritische Theorie< beschränkt sich dabei bewußt
auf die Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen und Zusammenhänge,
versucht also nicht, eine D. () auch
der Natur vorzustellen. Der >Widerspruch in der Sache selbst< entsteht
dabei dadurch, daß sich die ilnstitutionen in einem doppelten Sinne
gegenüber den Intentionen der Individuen verselbständigen. Zum
einen besteht (formal betrachtet) für die Institutionalisierung von
Handlungsregeln als solche die Tendenz, daß mit der sanktionierten
Regelung des Handelns die Möglichkeit, gemäß den selbst
eingesehenen Begründungen zu handeln, und damit die Möglichkeit
zur reflektierten Ausbildung persönlicher Identität, zur >Individuation<,
verstellt wird. Dabei soll die Herstellung der Bedingungen für diese
Möglichkeit gerade der Sinn der Institutionalisierung sein. Zum anderen
verkehrt sich (material betrachtet) der Sinn mancher Institutionen in der
Weise, daß mit ihnen die iZwecke, zu deren Erreichung sie eingerichtet
worden sind, nach einer bestimmten (erklärbaren) Entwicklung durch
sie selbst verhindert werden. Dieser dialektisch verlaufenden Entwicklung
trägt eine dialektische Argumentation dadurch Rechnung, daß
zum einen die Aufarbeitung der >institutionellen Vermittlung< nicht
nur des Handelns, sondern auch der >lntentionen der einzelnen Personen.
h. die Erklärung der Entwicklung dieses Handeins und seiner Intentionen
aus dem Bestehen bestimmter Institutionen, in deren Rahmen die einzelnen
ihre Intentionen ausgebildet haben und ihre Handlungen ausführen -
gegenüber einem undialektischen () Anfang mit der Feststellung individuellen
Handeins oder individueller Intentionen gefordert wird. Zum anderen soll
die dialektische Argumentation sowohl die Sinnverkehrungen der Institutionen
aufdecken, als auch die Bedürfnisse und Möglichkeiten entdecken,
die durch die Entwicklung der Institutionen zwar verdeckt worden sind,
die aber am Anfang dieser Entwicklung noch deren Grund und insofern durch
ihre Wirksamkeit wirklich - waren: »Dialektische Kritik möchte
retten oder herstellen helfen, was der Totalität nicht gehorcht, was
ihr widersteht oder was, als Potential einer noch nicht seienden Individuation,
erst sich bildet<< (T. W. Adorno, Einleitung, in: ders. u.a. [eds.],
Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Neuwied/Berlin 1969,
19).
Zusammenfassend lassen sich zwei große
Entwicklungsabschnitte von Konzeptionen der
D.
() unterscheiden: die Entwicklung der D.
() als Argumentationstheorie und die Entwicklung der D.
() als Entwicklungstheorie. Jeweils am Anfang dieser Entwicklungen steht
eine Problemstrukturierung in kritischer Absicht. Gegen die sophistische
Überredungstechnik zeigt Platon, daß es in der D.
() um die gemeinsame Bemühung um Einsicht, um die Führung von
>Dialogen, geht. Gegen die rationalistische Begriffsmechanik zeigt Kant,
daß es in der D. () um eine einsichtige
Begründung wahrer Erkenntnis durch die Bestimmung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses
geht. Aristoteles liefert mit der Topik ein methodisch verwendbares Instrument
für die D. () als die Kunst des
argumentierenden Dialogs, das die D.
() zu einer Argumentationstheorie macht. Hegel gibt mit seiner genetischen
>Logik< für die Entwicklung der >>Vermittlung< von allgemeinem
>Begriff< und besonderer Wirklichkeit ein Schema, das das Subjekt-Objekt-Verhältnis
als Ergebnis einer (wechselseitig voneinander abhängenden) gemeinsamen
Entwicklung theoretisch darzustellen erlaubt. Sowohl der Aristotelischen
als auch der Hegelschen Theoretisierung von D.
() gemeinsam ist, daß mit [>185] der D.
() als (topischer oder >logischer<) Methode die allgemeinen, nämlich
vor- oder überindividuellen Bestimmungsgründe des Denkens, Wollens
und Handeins begriffsanalytisch bzw. begriffshistorisch kritisch geprüft
werden sollen. In diesem Sinne ist die D.
() für Aristoteles und Hege! diejenige Methode des kritischen Denkens,
die dort allein zur Verfügung steht, wo wir uns nicht selbst als die
autonomen Autoren unserer Überzeugungen und Absichten verstehen können,
wo wir nicht mehr nur über von uns Hergestelltes (und durch uns Beherrschtes)
reden, sondern auch über uns Überkommenes und von uns übernommenes,
wo wir - in anderer Terminologie - nicht technische, sondern praktisch-politische
Probleme zu lösen haben. Ebenfalls gemeinsam ist der Aristotelischen
und Hegelschen Konzeption der D. ()
dann allerdings auch, daß über die Vernachlässigung der
jeweiligen Methode, d. i. der Begriffsanalyse und der Begriffsgeschichte,
auch die Konzeption der D. () methodisch
ungeordnet oder schematisch dogmatisiert wurde. Vor allem die an Hege!
anknüpfenden Dogmatisierungen von Entwicklungstheorien (mit der Konstatierung
von Entwicklungsgesetzen und/oder Entwicklungszielen) hat dazu beigetragen,
daß für eine mögliche dritte Konzeption von D.
(), die sich auf F. Schleiermacher zurückführen könnte,
zumindest der Titel >D. ()< weitgehend
unbenutzt bleibt. Diese Konzeption bestünde darin, die Methode der
begrifflichen >Rekonstruktion aus dem Subjekt-Objekt-Schema zu lösen
und für die Aufgaben des Dialogs zu reformulieren, die darin bestehen,
D.
() nicht mehr nur als begriffsanalytische, sondern auch als begriffshistorische
Durcharbeitung von gemeinsamen Problemen und allgemeinen Meinungen über
Lösungsmöglichkeiten für diese Probleme aufzufassen.
Literatur: ... ...
Siehe bitte auch Dialektik
und ihre Geschichte im Philosophischen Wörterbuch von Klaus &
Buhr.
"Logik
Gerhard Mack (Wien): Zur Differenz der dialektischen und formalen
Logik.
Heute haben wir erkannt, daß diese `trunkenen Begriffsdichter´
– wie Fichte und Hegel – nicht nur in tiefsinnigen, dem nüchternen
Verstande unfaßlichen und anstößigen Orakelsprüchen
geredet, sondern daß sie eine ernst zu nehmende, schwere und harte
Denkarbeit geleistet haben, der gegenüber alles folgende schülerhaft
ist …“, so Richard Kroner in seinem Werk „Von Kant zu Hegel“ in überzeichnender
Manier des anhebenden 20. Jh.. Im Zentrum der mit Hegels
Dialektik-Konzeption () einhergehenden leidenschaftlich
bis aggressiv geführten Debatte um eine spekulativ-dialektische
Logik () steht dabei nicht zuletzt dessen Gegensatz- und
Widerspruchstheorie. Für die einen der Gipfel- und Höhepunkt
dialektischen
Denkens () schlechthin oder, wie im Diskussionszusammenhang
und Traditionsstrang Hegel-Marx die immerhin `umzustülpend´-beerbende
„Grundform aller Dialektik“ ()
(Marx), ist sie anderen schlichtweg ein formallogisches Skandalon, welches
in eine `reine Begriffsdichterei´ mündet. Um den damit indizierten
Problemkomplex des spekulativ-dialektischen Diskurses
() hinsichtlich dessen Anspruchs, spezifische Eigentümlichkeiten und
logische Problemlagen auszuloten und zu erhellen, empfiehlt es sich allemal
ad fontes zu gehen und die logische Verfassung wie (schul-)logische Provokation
der Dialektik anhand einer Rekonstruktion der genuin Hegelschen Gegensatz-
und Widerspruchstheorie, mit profilierendem Blick auf die beiden dem „Meister
aus Berlin“ vorhergehenden Zentralgestirne des Deutschen Idealismus – Kant
und Fichte – in den Fokus zu nehmen und unter Berücksichtigung seines
Spannungsverhältnisses zur Formallogik wie der von Adolf Trendelenburg
ihren Ausgang nehmenden und vielleicht am nachdrücklichsten von Werner
Becker vorgetragenen formallogischen Dialektik-Kritik
() zu exponieren und in systematischer Absicht zu verhandeln."
Dialektik des Raumes [i Das
Wort "Dialektik" kommt gar nicht vor]
"Die erste oder unmittelbare Bestimmung der Natur ist die abstrakte
Allgemeinheit ihres Außersichseins, - dessen vermittlungslose Gleichgültigkeit,
der Raum. Er ist das ganz ideelle Nebeneinander, weil er das Außersichsein
ist, und schlechthin kontinuierlich, weil dies Außereinander noch
ganz abstrakt ist und keinen bestimmten Unterschied in sich hat. Es ist
vielerlei über die Natur des Raums von je vorgebracht worden. Ich
erwähne nur der Kantischen Bestimmung, daß er wie die Zeit eine
Form der sinnlichen Anschauung [9/41] sei. Auch sonst ist es gewöhnlich
geworden, zugrunde zu legen, daß der Raum nur als etwas Subjektives
in der Vorstellung betrachtet werden müsse. Wenn von dem abgesehen
wird, was in dem Kantischen Begriffe dem subjektiven Idealismus und dessen
Bestimmungen angehört, so bleibt die richtige Bestimmung übrig,
daß der Raum eine bloße Form, d. h. eine Abstraktion ist, und
zwar die der unmittelbaren Äußerlichkeit. - Von Raumpunkten
zu sprechen, als ob sie das positive Element des Raums ausmachten, ist
unstatthaft, da er um seiner Unterschiedslosigkeit willen nur die Möglichkeit,
nicht das Gesetztsein des Außereinanderseins und Negativen, daher
schlechthin kontinuierlich ist; der Punkt, das Fürsichsein, ist deswegen
vielmehr die und zwar in ihm gesetzte Negation des Raums. - Die Frage wegen
der Unendlichkeit des Raums entscheidet sich gleichfalls hierdurch (§
100 Anm.). Er ist überhaupt reine Quantität, nicht mehr nur dieselbe
als logische Bestimmung, sondern als unmittelbar und äußerlich
seiend. - Die Natur fängt darum nicht mit dem Qualitativen, sondern
mit dem Quantitativen an, weil ihre Bestimmung nicht wie das logische Sein
das Abstrakt-Erste und Unmittelbare, sondern wesentlich schon das in sich
Vermittelte, Äußerlich- und Anderssein ist. " (§254 EdpWiG,
Online).
_
Kritik > ausführlicher
hier. [i]
Hegel, hochgebildet, aber durch und durch naiv-unkritisch, identifizierte
- idealistisch entrückt - Sein und Geist als eines (»Das
Absolute ist der Geist«), was ihm Referenzieren und echtes Forschen
ersparte. Wissenschaftliches Arbeiten
war ihm völlig fremd. Er hielt sich und sein eigenes Denken für
die Wissenschaft und Wirklichkeit - wie später, wenn auch nicht ganz
so extrem, Freud (>Junktim)
und die PsychoanalytikerInnen. Sein Glaube, mit seinem System sei die wissenschaftliche
Entwicklung und Philosophie abgeschlossen, ist ein guter Kandidat für
eine paranoide Größenidee wie seine Systematik für ein
Wahnsystem.
Dazu passt auch, dass er, was er dachte, für die Wirklichkeit schlechthin
hielt. Immerhin: seine Grundidee dass alles Existierende seinen Gegensatz
enthält, und aus der Auseinandersetzung und Entwicklung dieses Gegensatzes
das Werden, die Bewegung und die Veränderung entsteht, ist originell
und kreativ. Aber seine Ausführungen und Erklärungen sind völlig
unzulänglich und konfus, weitgehend unerklärt und unverständlich,
so dass sein System als Mischung aus Wahn, philosophischer sciene fiction
und Geisteslyrik anzusehen ist - bestensfalls als Anregung für die
eine oder andere Hypothese nützlich. Wie alles Schillernde, Unklar-Diffuse
und Vieldeutige ist Hegel natürlich ein Eldorado für Interpreten
und sch^3-Syndromatiker,
wovon Hegel selbst zweifellos als der derzeitig größte Olympionik
aller Zeiten erscheint. Grundsätzlich gilt natürlich, dass Geisteskrankheit
und wissenschaftliche oder gar schöpferische Kultur-Leistungen sich
nicht ausschließen. Man bedenke immer auch den Huber zugeschriebenen
Ausspruch: "Die meisten schizophrenen Menschen sind die meiste Zeit ihres
Lebens nicht schizophren". Auch Verrückte können wissenschaftliche
Entdeckungen machen, Wahres, Richtiges oder Gutes finden.
"2.2.1 Grundprämissen des dialektischen Methodenverständnisses[ts]
Jeder Versuch einer etwas präzisierten Darstellung der Dialektik
() als Methode stößt auf eine prinzipielle Schwierigkeit: Die
Dialektik
sträubt sich (DialAuto)
schon aus ihrem methodischen Selbstverständnis heraus gegen jede Präzisierung
dessen, was sie zu sein beansprucht und welche Verfahrensweisen ihr nun
genau entsprechen: "Es gehört zum dialektischen
Materialismus daß sie (DialAuto)
auf Definitionen verzichtet, weil Definitionen immer eine endgültige
und damit absolut geschichtsfreie Aussage über das, was bestimmt werden
soll, treffen und Dialektik () gerade
das bezeichnet, was an den Begriffen und den von ihnen bezeichneten Gegenständen
nicht fix und ein für allemal gegeben, sondern im historischen Prozeß
begriffen" (LENK 1968, 279). Denn weil die Dialektik
() in so enger historischer Verbindung mit den großen Emanzipationsbewegung«
und Kämpfen der Menschheit, "mit den tiefsten Leidenschaften und höchsten
Hoffnungen" stehe, verbiete es sich, die dialektische Methodik "als eine
Disziplin aufzufassen, die in säuberlich abgegrenzten Bezirken der
Erkenntnis nach beschreibbaren Regeln verfährt und auch so gelernt
werden konnte' (KAMPER 1974a, 88). Diese Eingeständnisse sind dabei
nie Hinweise auf einen vielleicht nach etwas unentwickelten Stand des Verfahrens,
sondern offenkundig ein genuiner Bestandteil der Methode selbst trotz der
anklingenden - und [>163] von anderswo wohlbekannten - Berufung auf ein
nicht mitteilbares Wissen, soll der Versuch einer Explikation der wichtigsten
Bestandteile der dialektischen Methode gemacht werden.
Grundidee der Dialektik
(DialGidee) ist das Postulat
von der Universalität der Bewegung aller Dinge, die sich aus einer
den Dingen immanenten Widersprüchlichkeit ergibt und den historisch-materiellen
Prozeß der Entfaltung aller Dinge zu immer neuen und qualitativ höheren
Stufen einer sich in Sprüngen vollziehenden Entwicklung treibt. Gelegentlich
beinhaltet die dialektische Idee auch ein Ende (ein "Telos") dieses
universalen Prozesses. Damit setzt sich die Dialektik
(DialGidee) - ihrem Selbstverständnis
(DialAuto) zufolge - einmal
von einer "positivistischen" Isolierung der Einzelfakten von ihrer überhistorischen
Totalität ab und vermag die Dinge aus ihrer scheinbaren Starrheit
und ahistorischen Konstanz herauslösen. Und zweitens wendet sich die
Dialektik
(DialGidee) (in ihrer Konzeption
einer widersprüchlichen und sprungweisen Entwicklung) gegen harmonisierende,
evolutionäre und zyklische Entwürfe des Wandels. Drittens schließlich
vermöge die Dialektik (DialGidee)
in ihrer Eigenschaft als inhaltlich-soziologische Theorie, als Meta-Theorie
und als eschatologische Geschichtsbestimmung einem, eine wahre Erkenntnis
der realen Welt, die Umsetzung der Erkenntnis in Handeln und die normativ
richtige (bzw. unausweichliche) Orientierung für dieses Handeln gleichzeitig
liefern. Dialektik als Methode () ist
schließlich selbst ein historisch vergängliches Element und
kann erst zu einer bestimmten Entfaltungsstufe der Entwicklung auftreten,
wie sie bei Auflösung dieser historischen Konstellation anderen Wissensformen
Platz machen wird. Gleichwohl erlaube sie es, diese Wahrheiten erkennbar
zu machen: Im Dialektiker blitzt das Ingenium des Weltgeistes für
einen kurzen Moment auf, offeriert sich der Menschheit, um schließlich
in der allumfassenden Einheit von Denken und Sein nach Durchlaufen auch
dieser Motorischen Station die Dialektik als Prozeß
und Denkform () [>164] aufzulösen, die Methode des
Widerspruchs verfällt mit der Realität von Widersprüchen.
Die Idee der Dialektik
(Dialursp) hat ihren Ursprung
in gewissen Formen der argumentativen Beweisführung und unterredenden
Klärung von Begriffen, Aus der Setzung einer Behauptung (Thesis] und
der Gegenüberstellung einer Gegenbehauptung (Antithese) erwachse schließlich
- in einem "vernünftigen Diskurs" - ein Gesprächsergebnis das
die falschen Teile beider Ausgangsbebehauptungen nicht mehr enthalte, jedoch
den "rationalen Kern" von beiden Behauptungen. Das Ergebnis ist keine bloße
Zusammenfassung beider Behauptungen oder deren gemeinsame Schnittmenge,
sondern eine qualitativ neue Stufe der Erkenntnis (Synthesis), die nun
ihrerseits als Thesis diene und der eins neue Antithese entgegengesetzt
werde etc.
Diese Form der Beweisführung beherrschte die
wissenschaftliche Disputierpraxis bis weit in das 18. Jhdt. Erst mit der
zunehmenden Hineinnahme von empirischem Wissen in wissenschaftliche Aussagen
verliert die Dialektik () als rationalistische
Beweisführung ihre Bedeutung als universales Erkenntnisinstrument.
KANTs Philosophie ist z.B. der (erfolgreiche) Versuch der Destruierung
der Dialektik (). Mit der grundsätzlichen
Kritik der Möglichkeit einer Erkenntnis über "reine Vernunft"
verliert auch die Dialektik () als Erkenntnisverfahren
ihre (transzendentale) Rechtfertigung.
Von dieser Destruktion der Dialektik
() als rationalistisches Erkenntnisverfahren nimmt die Wendung ihren Ausgang,
die zur heutigen Fassung der Dialektik
() geführt hat. KANT hatte gezeigt, daß die rationalistische
Erfassung der Welt durchaus zu unterschiedlichen Resultaten (zu "Widersprüchen")
führen könne, und daß die Leistung des Verstandes bei der
Erkenntnis lediglich die synthetisierende Ordnung der empirischen Eindrücke
Einer prinzipiell verstandesunabhängigen Welt ist Die Rekonstruktion
der Dialektik () erfolgt nun bei HEGEL
in [>165]
direkter Auseinandersetzung mit KANT. HEGELs Philosophie hat zwei Grundbestandteile:
Erstens die identitätsphilosophische Fassung, daß Wirklichkeit
und (erkennende] Vernunft identisch sind. Aus dieser Annahme leitet HEGEL
seine Fassung des Rationalismus ab, die auf eine Radikalisierung des Rationalismus
hinausläuft: Der Geist erkennt die Welt nicht, weil er die empirischen
Eindrücke sinnvoll zu ordnen imstande ist, sondern weil er mit der
Welt identisch ist. Das zweite Element ergibt sich aus der KANTschen Vernunftkritik
unmittelbar: Zwar könne die verstandesmäßige Argumentation
zu Widersprüchen führen, dies aber spiegele nichts anderes als
die Widersprüchlichkeiten der mit dem Geist identischen Welt. An dieser
Stelle werden somit auch logische Widersprüche (Kontradiktionen) systematisch
erlaubt und als real existierende Zustände (x und nicht-x existieren
gleichzeitig) behauptet2. Aus der Identitätsphilosophie ergibt sich
schließlich das dritte Element: das Denken bewege sich nach Maßgabe
der Stufenfolge in der dialektischen Triade fortwährend oder weil
die Welt, die dem Geist identisch ist,
entwickelt sich auch die reale Welt über These, Antithese und
Synthese fort.
HEGEL begründet seine erkenntnistheoretischen
Prämissen mit einer historischen Darstellung der Entwicklung des menschlichen
Denkens und einer Projektion des Endzustandes (den HEGEL zu seiner Zeit
im Preußischen Staat für realisiert sah]. Danach befindet sich
der Geist (das Denken) in seinem Urzustand und in einem Zustand der unreflektierten
Gewißheit »über die unmittelbar gegebenen empirischen
Eindrücke. In einer zweiten Stufe wird sich der Geist seiner selbst
inne: Er entdeckt, daß die dingliche Welt ihm nicht in Gewißheit
und in Unmittelbarkeit gegeben ist, sondern von ihm seihst in der Wahrnehmung
konstituiert wird. Hier beginnt die Bewußtwerdung einer Distanz von
Wahrnehmung und Wahrgenommenem. Allerdings wird noch nicht erkannt, daß
auch die Dinge un das erkennende Bewusstseins in ständiger Bewegung
sind und daß [>166] sich auch weiterhin Geist und Welt in einer Einheit
befinden."
Anmerkung: Das Schlusskapitel "Zur
methodologischen Beurteilung der Dialektik", S. 224-233, bringt eine
differenzierte Kritik.
Literatur (Auswahl) > Hauptseite. > Siehe bitte auch Lit-DiaMat.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Wissenschaft site:www.sgipt.org. |
noch nicht end-korrigiert
20.11.19 Erstmals
ins Netz gestellt.
24.10.19 Platzierung
Esser et al. (verschoben aus Kritik der Dialektik)
22.10.19 Vorläufiger
Abschluss, noch ohne Endkorrektur.
06.01.19 Ausarbeitung
fortgesetzt.
03.12.18 Unterbrochen.
10.11.18 Zerlegt,
weil zu groß.
07.11.18 Vorläufiger
organisatorischer Abschluss
01.11.18 angelegt