Kritik der Dialektik.
Materialien zu Begriffsanalyse
und Untersuchungen zur Dialektik
_
Zur Einführungs,
Haupt- und Verteilerseite Dialektik.
Information zu den Signierungen.
Originalarbeit von Rudolf
Sponsel, Erlangen
_Aufgrund gelegentlicher
Ergänzungen und Korrekturen mit F5-Taste updaten empfohlen
_
Kant. [s]
Wissenschaftlicher Apparat:
|
Kant
Ein ausführliches Zitat aus der Kritik der reinen Vernunft finden
Sie unten.
Eisler fasst Kants Kritik der Dialektik zusammen
KANT erklärt, die Dialektik
(DialSchein) sei nur eine
»Logik des Scheins« (Kr. d. r. Vern. S. 83), eine »ars
sophistica, disputatoria«, die aus einem Mißbrauch der Logik
entspringt (Log. S. 11). Denn »da sie uns gar nichts über den
Inhalt[213] der Erkenntnis lehret, sondern nur bloß die formalen
Bedingungen der Übereinstimmung mit dem Verstande..., so muß
die Zumutung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen,
um seine Kenntnisse, wenigstens dem Vorgeben nach, auszubreiten und zu
erweitern, auf nichts als Geschwätzigkeit hinauslaufen, alles, was
man will, mit einigem Schein zu behaupten, oder auch nach Belieben anzufechten«
(Kr. d. r. Vern. S. 84). K. selbst will unter Dialektik
(DialSchein) nur
»eine Kritik des dialektischen, Scheins« verstanden wissen.
Auf dem Gebiete des Erkennens zunächst besteht eine in der Natur des
Denkens liegende »transcendentale Dialektik«
(DialKantTD), die zu einer
Verwechselung subjectiver Notwendigkeit mit objectiver Realität führt.
Sie »beruht auf ursprünglichen, natürlichen Illusionen,
auf einem transcendentalen Schein, dessen Folge es ist, daß in unserer
Vernunft... Grundregeln und Maximen ihres Gebrauches liegen, welche gänzlich
das Ansehen objectiver Grundsätze haben und wodurch es geschieht,
daß die subjective Notwendigkeit einer Verknüpfung unserer Begriffe
zugunsten des Verstandes für eine objective Notwendigkeit, der Bestimmung
der Dinge an sich selbst, gehalten wird« (Krit. d. r. Vern. S. 263).
Die »transcendentale Dialektik«
(DialKantTD) als Kritik
begründet den »Schein«, ohne ihn zerstören zu können
(l.c. S. 263 f.). »Da aller Schein darin besteht, daß der subjective
Grund des Urteils für objectiv gehalten wird, so wird eine Selbsterkenntnis
der reinen Vernunft in ihrem transcendentalen (überschwenglichen)
Gebrauch das einzige Verwahrungsmittel gegen die Verirrungen sein, in welche
die Vernunft gerät, wenn sie ihre Bestimmung mißdeutet und dasjenige
transcendenterweise aufs Object an sich selbst bezieht, was nur ihr eigenes
Subject und die Leitung desselben in allem immanenten Gebrauche angeht«
(Proleg. § 40; vgl. § 45). Die transcendentale
Dialektik (DialKantTD)
besteht in der Untersuchung der Paralogismen (s. d.), Antinomien (s. d.)
und Ideale (s. d.) der reinen Vernunft. Es gibt auch eine Dialektik
der praktischen Vernunft (DialKantPV),
indem diese unter dem Namen des höchsten Gutes (s. d.) ein Unbedingtes
sucht (Kr. d. pr. Vern. I. T., 2. B.). So auch in der Urteilskraft, nämlich
betreffs der Antinomien des (Geschmacks (s. d.) (Kr. d. Urt. § 55
ff.).
Dialektik in der Kritik
der reinen Vernunft nach der Akademieausgabe S. 80-82
17 "Die allgemeine Logik löset nun das ganze formale
Geschäfte des Verstandes
18 und der Vernunft in seine Elemente auf und stellt
sie als Principien
19 aller logischen Beurtheilung unserer Erkenntniß
dar. Dieser Theil
20 der Logik kann daher Analytik heißen und
ist eben darum der wenigstens
21 negative Probirstein der Wahrheit, indem man
zuvörderst alle Erkenntniß
22 ihrer Form nach an diesen Regeln prüfen
und schätzen muß, ehe man sie
23 selbst ihrem Inhalt nach untersucht, um auszumachen,
ob sie in Ansehung
24 des Gegenstandes positive Wahrheit enthalten.
Weil aber die bloße Form
25 des Erkenntnisses, so sehr sie auch mit logischen
Gesetzen übereinstimmen
26 mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (objective)
Wahrheit dem Erkenntnisse
27 darum auszumachen, so kann sich niemand bloß
mit der Logik
28 wagen, über Gegenstände zu urtheilen
und irgend etwas zu behaupten,
29 ohne von ihnen vorher gegründete Erkundigung
außer der Logik eingezogen
30 zu haben, um hernach bloß die Benutzung
und die Verknüpfung
31 derselben in einem zusammenhängenden Ganzen
nach logischen Gesetzen
32 zu versuchen, noch besser aber, sie lediglich
darnach zu prüfen. Gleichwohl
33 liegt so etwas Verleitendes in dem Besitze einer
so scheinbaren Kunst,
34 allen unseren Erkenntnissen die Form des Verstandes
zu geben, ob man
35 gleich in Ansehung des Inhalts derselben noch
sehr leer und arm sein
36 mag, daß jene allgemeine Logik, die bloß
ein Kanon zur Beurtheilung
37 ist, gleichsam wie ein Organon zur wirklichen
Hervorbringung, wenigstens [>81]
01 zum Blendwerk von objectiven Behauptungen
gebraucht und mithin
02 in der That dadurch gemißbraucht
worden. Die allgemeine Logik nun,
03 als vermeintes Organon, heißt Dialektik
(DialKantAL) .
04 So verschieden auch die Bedeutung ist,
in der die Alten dieser Benennung
05 einer Wissenschaft oder Kunst sich bedienten,
so kann man doch
06 aus dem wirklichen Gebrauche derselben
sicher abnehmen, daß sie bei ihnen
07 nichts anders war, als die Logik des Scheins.
Eine sophistische Kunst,
08 seiner Unwissenheit, ja auch seinen vorsetzlichen
Blendwerken den Anstrich
09 der Wahrheit zu geben, daß man die
Methode der Gründlichkeit, welche
10 die Logik überhaupt vorschreibt, nachahmte
und ihre Topik zu Beschönigung
11 jedes leeren Vorgehens benutzte. Nun kann
man es als eine sichere
12 und brauchbare Warnung anmerken: daß
die allgemeine Logik, als Organon
13 betrachtet, jederzeit eine Logik des Scheins,
d. i. dialektisch (DialSchein),
sei.
14 Denn da sie uns gar nichts über den
Inhalt der Erkenntniß lehrt, sondern
15 nur bloß die formalen Bedingungen
der Übereinstimmung mit dem
16 Verstande, welche übrigens in Ansehung
der Gegenstände gänzlich gleichgültig
17 sind: so muß die Zumuthung, sich
derselben als eines Werkzeugs
18 (Organon) zu gebrauchen, um seine Kenntnisse
wenigstens dem Vorgeben
19 nach auszubreiten und zu erweitern, auf
nichts als Geschwätzigkeit hinauslaufen,
20 alles, was man will, mit einigem Schein
zu behaupten, oder
21 auch nach Belieben anzufechten.
22 Eine solche Unterweisung ist der Würde
der Philosophie auf keine
23 Weise gemäß. Um deswillen hat
man diese Benennung der Dialektik (DialSchein)
lieber
24 als eine Kritik des dialektischen Scheins
der Logik beigezählt, und
25 als eine solche wollen wir sie auch hier
verstanden wissen.
26 IV
27 Von der Eintheilung der transscendentalen Logik
28 in die
29 Transscendentale Analytik und Dialektik
(DialKantTD) .
30 In einer transscendentalen Logik isoliren
wir den Verstand (so wie
31 oben in der transscendentalen Ästhetik
die Sinnlichkeit) und heben bloß
32 den Theil des Denkens aus unserm Erkenntnisse
heraus, der lediglich
33 seinen Ursprung in dem Verstande hat. Der
Gebrauch dieser reinen Erkenntniß
34 aber beruht darauf als ihrer Bedingung:
daß uns Gegenstände [>82]
01 in der Anschauung gegeben sind, worauf jene
angewandt werden könne.
02 Denn ohne Anschauung fehlt es aller unserer
Erkenntniß an Objecten,
03 und sie bleibt alsdann völlig leer.
Der Theil der transscendentalen Logik
04 also, der die Elemente der reinen Verstandeserkenntniß
vorträgt, und die
05 Principien, ohne welche überall kein
Gegenstand gedacht werden kann, ist
06 die transscendentale Analytik und zugleich
eine Logik der Wahrheit. Denn
07 ihr kann keine Erkenntniß widersprechen,
ohne daß sie zugleich allen Inhalt
08 verlöre, d. i. alle Beziehung auf
irgend ein Object, mithin alle Wahrheit.
09 Weil es aber sehr anlockend und verleitend
ist, sich dieser reinen Verstandeserkenntnisse
10 und Grundsätze allein und selbst über
die Grenzen der Erfahrung
11 hinaus zu bedienen, welche doch einzig
und allein uns die Materie
12 (Objecte) an die Hand geben kann, worauf
jene reine Verstandesbegriffe
13 angewandt werden können: so geräth
der Verstand in Gefahr, durch leere
14 Vernünfteleien von den bloßen
formalen Principien des reinen Verstandes
15 einen materialen Gebrauch zu machen und
über Gegenstände ohne Unterschied
16 zu urtheilen, die uns doch nicht gegeben
sind, ja vielleicht auf keinerlei
17 Weise gegeben werden können. Da sie
also eigentlich nur ein Kanon
18 der Beurtheilung des empirischen Gebrauchs
sein sollte, so wird sie gemißbraucht,
19 wenn man sie als das Organon eines allgemeinen
und unbeschränkten
20 Gebrauchs gelten läßt und sich
mit dem reinen Verstande allein
21 wagt, synthetisch über Gegenstände
überhaupt zu urtheilen, zu behaupten
22 und zu entscheiden. Also würde der
Gebrauch des reinen Verstandes alsdann
23 dialektisch sein. Der zweite Theil der
transscendentalen Logik mu
24 also eine Kritik dieses dialektischen Scheines
sein und heißt transscendentale
25 Dialektik
(DialKantTD), nicht als
eine Kunst, dergleichen Schein dogmatisch zu erregen
26 (eine leider sehr gangbare Kunst mannigfaltiger
metaphysischer
27 Gaukelwerke), sondern als eine Kritik des
Verstandes und der Vernunft
28 in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs,
um den falschen Schein
29 ihrer grundlosen Anmaßungen aufzudecken
und ihre Ansprüche auf Erfindung
30 und Erweiterung, die sie bloß durch
transscendentale Grundsätze
31 zu erreichen vermeint, zur bloßen
Beurtheilung und Verwahrung des reinen
32 Verstandes vor sophistischem Blendwerke
herabzusetzen. [>83] "
Alle Fundstellen der Suche in der Kant-Akademieausgabe Kritik der reinen
Vernunft: https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/Kant/suche.html
https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/cgi-bin/wg2/webglimpse.cgi?query=dialektik&errors=0&nonascii=on&ID=3&maxchars=5000&cache=yes
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 081
... als vermeintes Organon, heißt Dialektik...
... Weise gemäß. Um deswillen hat man diese
Benennung der Dialektik...
... Transscendentale Analytik und Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
257
... Ersten Buchs der transscendentalen Dialektik...
... Wir haben es hier nicht mit einer logischen Dialektik
zu thun,...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
234
... Transscendentale Dialektik...
... Wir haben oben die Dialektik überhaupt eine
Logik des...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
237
... und sie als objective unterschiebt, anstatt daß
die logische Dialektik in Aufl...
... thun hat. Es giebt also eine natürliche und
unvermeidliche Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
489
... scheint, bürgerlichen Widerstand entgegen zu
setzen. In dieser Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
512
... könnt alle an Kunstgriffen unerschöpfliche
Dialektik am Gerichtshofe...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
448
... Dialektik deutlich vor Augen stellen und die Endabsicht
der Ideen der...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
493
... seines Gegners zu widerstehen, und die verborgene
Dialektik, die...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
457
... und dadurch unsere Betrachtung über die Dialektik
derselben zur g...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
442
... Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
426
... zur transscendentalen Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
333
... der Dialektik, die in unserem Begriffe selbst liegt,
würde uns...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
383
... Zweiten Buchs der transscendentalen Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
348
... Sinne. Die transscendentale Dialektik thut also keinesweges
dem...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
338
... Auflösung der kosmologischen Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
391
... Es ist nicht genug, das Verfahren unserer Vernunft
und ihre Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
281
... Transscendentalen Dialektik zweites Buch...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
262
... Zweiten Buchs der transscendentalen Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
261
... Transscendentalen Dialektik...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
290
... Die Fragen, welche bei einer solchen Dialektik der
reinen...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
236
... Die transscendentale Dialektik wird also sich damit
begnügen,...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
195
... Dialektik erwogen werden. Diese vier Sätze (
in mundo non...
Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite
243
... mögen: das wird unser Geschäfte in der
transscendentalen Dialektik...
Kommentar: Die Wirklichkeit ist wie sie "ist". Die Logik darf ihr keine Vorschriften machen wie sie zu sein hat. Überhaupt hat sich die Wirklichkeit nicht nach der Logik zu richten - es gibt deren viele -, sondern die Logik muss so eingerichtet werden, dass sie für die Erscheinungen der Wirklichkeit passt und somit der Wissenschaft bei ihrer Erkenntnisgewinnung hilft. Wenn die Wirklichkeit Widersprüche hervorbringt, dann wäre es ein wissenschaftlicher Fehler, die Wahrnehmung dieser Widersprüche zu vermeiden zu trachten. Das Prinzip des Widerspruchs gilt für die (zweiwertige) Logik, das ist aber eine andere ontologische Ebene als die Wirklichkeit, es ist die logische Ebene. Es mag sein, dass es für kontradiktorische Widersprüche in der Wirklichkeit, (bislang) kein vernünftiges logisches Modell gibt, weil dann alles, nichts oder sein Gegenteil gilt, aber die Logik kann der Wirklichkeit keine Vorschriften machen, wie sie zu sein hat. Diesen Sprung hat Popper an dieser Stelle seiner Argumentation vollzogen. |
"Die Dialektiker behaupten, dass Widersprüche fruchtbar sind oder
dass sie Fortschritt hervorbringen, und wir haben eingeräumt, dass
dies in gewissem Sinne zutrifft. Es trifft jedoch nur so lange zu, wie
wir entschlossen sind, keine Widersprüche zu dulden und jede
Theorie zu ändern, die Widersprüche enthält; mit anderen
Worten: solange wir entschlossen sind, niemals einen Widerspruch zu akzeptieren.
Es ist lediglich in diesem unserem Entschluss begründet, dass Kritik,
d.h. das Herausstellen von Widersprüchen, uns zur Änderung
unserer Theorien und damit zum Fortschritt veranlasst. " 267,1
Kommentar: Keine Widersprüche dulden? Die grundlegende Sachverhalte müssten, bevor sie kritisch untersucht und erörtert werden können, definiert sein. Was soll Widerspruch heißen? Welcher Prototyp kann, soll verhandelt werden? In der traditionellen zweiwertigen Logik ist es so. |
"Dies aber würde bedeuten, dass die Kritik und damit jeder Fortschritt des Denkens zum Stillstand kommen müsste, falls wir bereit wären, Widersprüche zu dulden." 267,3
Somit müssen wir dem Dialektiker sagen, dass er nicht beides zugleich haben kann: Entweder er ist an Widersprüchen infolge ihrer Fruchtbarkeit interessiert, dann muss er sie ablehnen; oder er ist bereit, sie zu akzeptieren, dann werden sie sich als unfruchtbar erweisen, und vernünftige Kritik, Diskussion und Fortschritt des Denkens werden unmöglich sein." 267,4
"Die alleinige »Kraft«, die die dialektische Entwicklung (DialEntwT) vorwärtstreibt, ist deshalb unser Entschluss, den Widerspruch zwischen Thesis und Antithesis nicht zu akzeptieren bzw. nicht zu dulden. Es ist keine mysteriöse Kraft im Inneren dieser beiden Ideen, keine mysteriöse Spannung zwischen ihnen, die die Entwicklung vorwärtstreibt – es ist lediglich unsere Entscheidung, unser Entschluss, keine Widersprüche zuzulassen, wodurch wir veranlasst werden, uns nach einer neuen Ansicht umzuschauen, die uns die Vermeidung der Widersprüche ermöglichen kann. Und dieser Entschluß ist völlig gerechtfertigt. Denn es lässt sich leicht zeigen, dass man jedwede Art wissenschaftlicher Tätigkeit aufgeben müsste, wenn man bereit wäre, Widersprüche zu akzeptieren: es würde den völligen Zusammenbruch der Wissenschaft bedeuten; dies lässt sich durch den Beweis dafür erhärten, dass, falls zwei kontradiktorische Aussagen zugelassen werden, jede beliebige Aussage zugelassen werden muss – denn aus einem Paar kontradiktorischer Aussagen kann jede beliebige Aussage logisch gültig abgeleitet werden. " 267,5
"Nun sind wir in der Lage, unsere erste Schlussregel zu formulieren. Dies kann auf folgende Weise geschehen:
(1) Aus einer Prämisse p (z.B. »Sokrates ist klug«) kann jeder Schluss der Form »p v q« (z.B.: »Sokrates ist klug v Peter ist König«) gültig abgeleitet werden.
Dass diese Regel gültig sein muss, wird sofort klar, wenn wir uns
an die Bedeutung des »v« erinnern. Dieses Symbol
bringt eine Zusammensetzung zustande, die wahr ist, wenn immer wenigstens
eine ihrer Komponenten wahr ist. Wenn also
p wahr ist, muss auch p v q wahr sein. Somit
kann unsere Regel niemals von einer wahren Prämisse zu einem
falschen Schluss führen, was bedeutet, dass sie gültig ist. "
268,7
Kommentar: Damit ist die grundsätzliche Argumentation Poppers, was das Zulassen von Widersprüchen betrifft, beendet. |
3. Die Dialektik nach Hegel 283-288
Anmerkungen 289-290
"1. Die dogmatische Attitüde, an einer Theorie so
lange wie möglich festzuhalten, ist von beachtlicher Bedeutung. Ohne
diese Attitüde könnten wir niemals herausfinden, was in einer
Theorie enthalten ist - wir würden sie aufgeben, bevor wir Gelegenheit
zur Feststellung ihrer Stärke gehabt hätten; und folglich könnte
keine Theorie jemals ihre Rolle spielen beim Ordnen der Welt, bei unserer
Vorbereitung für zukünftige Ereignisse, bei der Hinlenkung unserer
Aufmerksamkeit auf Ereignisse, die wir ohne Theorie niemals beobachten
würden.
2. Es ist keine Methode in dem Sinne, daß
ihre Anwendung zum Erfolg führt oder daß sie im Falle des Mißerfolges
nicht angewendet wurde; d. h. es handelt sich dabei nicht um einen definitiven
Weg zum Erfolg. Eine Methode in diesem Sinne existiert nicht.
3. Eine eingehendere Diskussion findet sich in K.
R. Popper, The Logic of Scientific Discovery, London 1959.
4. Der griechische Ausdruck (....) kann übersetzt
werden: »(die Kunst des) argumentativen Gebrauchs der Sprache«.
Diese Bedeutung des Ausdruckes geht bis auf Platon zurück; er tritt
aber auch bei Platon in verschiedenen Bedeutungen auf. Wenigstens eine
ihrer antiken Bedeutungen kommt sehr nahe an das heran, was ich oben als
»wissenschaftliche Methode« beschrieben habe. Denn man verwendete
sie zur Beschreibung der Methode der Konstruktion erklärender Theorien
sowie der Methode der kritischen Diskussion dieser Theorien, was die Frage
einschließt, ob sie der empirischen Beobachtung entsprechen bzw.
ob sie - in der alten Terminologie ausgedrückt - dem Grundsatz »die
Erscheinungen zu bewahren« genügen.
5. In Hegels Terminologie werden sowohl Thesis als
auch Antithesis durch die Synthesis (1) zu bloßen Komponenten (der
Synthesis) reduziert und dabei (2) beseitigt (oder negiert) und gleichzeitig
(3) bewahrt (oder aufbewahrt) und (4) erhoben (oder auf ein höheres
Niveau emporgehoben). Die kursiv gesetzten Ausdrücke geben die vier
Hauptbedeutungen des einen deutschen Wortes »aufheben* wieder, von
dessen Vieldeutigkeit Hegel reichhaltigen Gebrauch macht.
6. Vgl. beispielsweise H. Jeffreys, The Nature of
Mathematics, Philosophy of Science, j, 1938, 449, der schreibt: »Whether
a contradiction entails any proposition is doubtful«. Vgl. auch Jeffreys’
Antwort mir gegenüber in Mind, jr, 1942, S. 90 sowie meine Gegenantwort
in Mind, 52, 1943, S. 47ff. Die nachfolgenden Überlegungen waren tatsächlich
bereits Duns Scotus (gest. 1308) bekannt, wie von Jan Lukasiewicz in Erkenntnis,
5, S. 124, nachgewiesen wurde.
7. Besonders G. E. Moore.
8. Das angedeutete System ist der »dual-intuitionistische
Kalkül*; vgl. meinen Aufsatz »On the Theory of Deduction I and
II«, Proc, of the Royal Dutch Academy, 51, Nr. 2 und 3, 1948, 3.82
auf S. 182 und 4.2 auf S. 322 sowie 5.32, 5.42 und auch Fußnote 15.
Joseph Kalman Cohen hat das System eingehender entwickelt. Ich kann eine
einfache Interpretation dieses Kalküls geben: Alle Aussagen können
als modale Aussagen aufgefaßt werden, die Möglichkeiten behaupten.
Aus »p ist möglich« und »>wenn p, dann q< ist
möglich« können wir »q ist möglich« tatsächlich
nicht ableiten (denn falls p falsch ist, kann q eine unmögliche Aussage
sein). Und in gleicher Weise können wir aus »p ist [>290] möglich«
und »non-p ist möglich« offensichtlich nicht die Möglichkeit
aller Aussagen ableiten.
9. Hecker, Moscow Dialogues, London, 1936, S. 99.
Das Beispiel ist dem Anti-Dühring entnommen.
10. Diese Antwort ist nicht einmal originell; Kant
hatte sie vorher bereits in Betracht gezogen, aber natürlich verworfen.
11. MacTaggart hat diesen Punkt zum zentralen Thema
seiner interessanten Studies in Hegelian Dialectic gemacht.
12. Dies sollte wenigstens all denen klar werden,
die als Beispiel die folgende erstaunliche Analyse des Wesens der Elektrizität
in Betracht ziehen, die ich übersetzt habe, so gut ich es vermag —
wobei ich so weit gegangen bin, zu versuchen, es irgendwie besser verständlich
zu machen als den Hegelschen Text im Original:
“Electricity... is the purpose of the form from which it emancipates
itself, it is the form that is just about to overcome its own indifference;
for, electricity is the immediate emergence, or the actuality just emerging,
from the proximity of the form, and still determined by it - not yet the
dissolution, however, of the form itself, but rather the more superficial
process by which the differences desert the form which, however, they still
retain, as their condition, having not yet grown into independence of and
through them.” (No doubt it ought to have been “of and through it”; but
I do not wish to suggest that this would have made much difference to the
differences.)
Diese Stelle lautet im Original:
»Die Elektricität ist der reine Zweck der Gestalt, der sich
von ihr befreit; die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzuheben
anfängt; denn die Elektricität ist das unmittelbare Hervortreten,
oder das noch von der Gestalt herkommende, noch durch sie bedingte Daseyn,
-oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche
Proceß, worin die Differenzen die Gestalt verlassen, aber sie zu
ihrer Bedingung haben, und noch nicht an ihnen selbständig sind.«
G. W. F. Hegel, System der Philosophie, zweiter Teil: Die Naturphilosophie,
Sämtliche Werke, hrsg. von H. Glöckner, Bd. 9, Stuttgart 1958,
§ 323 Zusatz, S. 369. (Anm. d. Hrsg.) Vgl. auch zwei ähnliche
Stellen über den Schall und über die Wärme, die ich in meiner
The Open Society and its Enemies, Princeton 1950 (deutsch: Die offene Gesellschaft
und ihre Feinde, 2 Bde., Bern 1957, 1958), Fn. 4 zu Kap. 12 zitiert habe,
sowie den Text.
13. In meinem Buch The Logic of Scientific Discovery,
a. a. O., habe ich zu zeigen versucht, daß der wissenschaftliche
Gehalt einer Theorie um so größer ist, je mehr Information sie
vermittelt, je mehr sie riskiert, je mehr sie sich der Widerlegung durch
zukünftige Erfahrung aussetzt. Wenn sie keine derartigen Risiken eingeht
- hat sie keinen wissenschaftlichen Gehalt, ist sie metaphysisch. An dieser
Norm gemessen, können wir sagen, daß die Dialektik unwissenschaftlich
ist: sie ist metaphysisch."
"12.1 Die Verwechslung des Gegensatzes
und des Widerspruchs (), die Bezeichnung
des Widerspruchs als Gegensatz () beginnt
bereits mit Aristoteles. An einer Stelle sagt er nämlich: ist jeder
Mensch weise? - Nein. - Mithin ist jeder Mensch nichtweise. Das wäre
ja falsch. Sondern richtig ist, zu sagen: mithin ist nicht jeder Mensch
weise. Dieser Satz verhält sich zu der gestellten Frage einfach kontradiktorisch,
jener konträr". 75 Mit anderen Worten, Aristoteles betrachtet
hier in der Tat das widersprechende (),
d. h. das vollentfaltete negative Urteil, als Urteil E und erklärt
es gegenüber dem entsprechenden Urteil A als gegensätzlich
().
In einem anderen bereits zitierten Beispiel äussert er sich umgekehrt:
"ist... jeder Bejahung eine Verneinung und jeder Verneinung eine Bejahung
entgegengesetzt. Und dies, entgegengesetzte Bejahung und Verneinung, soll
Kontradiktion sein."76 Aristoteles bezeichnet hier den
Gegensatz
als Widerspruch (), weil die Bejahung und Verneinung an
sich offensichtlich nur Gegensätze
() sind.
12.2 Popper stellt in seiner Arbeit What is Dialectic?
fest: "A theory which adds to every information which asserts also the
negation of this information can give us no information at all. A theory
which involves a contradiction is therefore entirely useless as a theory.
"77 Die dialektische Logik
() mache seiner Meinung nach dadurch, dass sie die widersprüchlichen
Urteile zusammen als wahr betrachtet, jede so ausgebaute Theorie widersprüchlich,
d.h., unbrauchbar. Wir haben aber festgestellt und ausführlich bewiesen,
dass diese Vorstellung in der dialektischen ? Logik, aufgrund einer tiefergehenden
Analyse des Inhalts der Urteile, unhaltbar ist. Also ist dies auch auf
keinen Fall eine Widerlegung der dialektischen Logik
(). Des weiteren beweist der zitierte Text auch an sich, dass Popper -
wie die Formallogiker im allgemeinen - zwischen Gegensatz
und Widerspruch keinen Unterschied () macht. Was er nämlich
als Widerspruch bezeichnet, ist die gemeinsame Bejahung und Verneinung
derselben Information; bzw. was er des näheren nur als Gegensatz bestimmt,
bezeichnet er als Widerspruch. Übrigens lassen sich hierfür in
anderen Abschnit-[>77]ten des angeführten Popperschen Werkes zahlreiche
weitere Beispiele finden. Doch geben wir uns hier mit der näheren
Darlegung und Behandlung des nächstliegenden Beweises zufrieden.
12.2.1 Popper nimmt an einer Stelle das nachfolgende
Urteil als Beispiel: "All Atheniens are man".78 Dieses Urteil
bezeichnet er mit "b". Im Anschluss daran bringt er das von ihm mit "nicht-b"
bezeichnete, seiner Meinung zufolge dialektisch
() (!) widersprüchliche () Urteil:
"Some Atheniens are non-man”. 79 wir wissen aber schon, dass
das Urteil "nicht-b", das zum Urteil "b” tatsächlich in widersprüchlichem
Verhältnis steht, das Urteil "All Atheniens are non-man" wäre.
Das Urteil "Some Atheniens are non-man" ist also bloss formallogisch ein
widersprüchliches Urteil, das gegenüber dem mit "b” bezeichneten
Urteil A das entsprechende und umformte Urteil O ist. Popper hat im weiteren
recht, sofern er darlegt, dass die kontradiktorisch gegensätzlichen
Urteile nicht zusammen wahr sein können. Jedoch führt er das
zur Widerlegung des Widerspruchsprinzips der dialektischen
Logik () an, obwohl auch die dialektische
Logik () als Gesetz aussagt,, dass die kontradiktorisch
gegensätzlichen Urteile zusammen nicht wahr sein können. Umgekehrt:
Unter dem Namen "widersprüchliche Urteile" ist in der dialektischen
Logik () nicht irgendeine Spielart der gegensätzlichen
Urteile zu verstehen. D. h., Popper erkennt und behandelt folgUch auch
nicht den Widerspruch selbst, nämlich den wirklichen Widerspruch der
dialektischen
Logik ().
Das gleiche zeigt sich auch im Fall eines anderen
Beispiels. Hier ist der Ausgangspunkt Urteil "c": "All Atheniens are mortal".
Popper formuliert in diesem Zusammenhang ein angeblich widersprüchliches
Urteil "nicht-c" wiederum als Urteil O "Some Atheniens are non-mortal"80,
d.h. zur Widerlegung des dialektisch logischen Wider-Spruchs führt
er wieder kontradiktorisch gegensätzliche und um-geformte Urteile
an. Aber auch damit beweist er nichts anderes als [>] die uralte formallogische
Wahrheit, dass A und O zusammen nicht wahr sein können. Nun, das wird
auch von der dialektischen Logik nicht bestritten.
12.2.2 Popper und die Formallogiker im allgemeinen
fordern eine Widerspruchsfreiheit. In Wirklichkeit ist von einer Gegensatzfreiheit
die Rede. Das aber ist gegenüber der dialektischen Logik kein Argument,
da auch die dialektische Logik, äusser dass sie die Widersprüchlichkeit
bejaht, eine Gegensatzfreiheit fordert. Sie bejaht dies nicht subjektiv.
Die Widersprüchlichkeit ist in der Logik ein objektiver Faktor, und
es ist nicht möglich, ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen.
13 Abschliessend seien das Wesentliche unserer Ausführungen
zusammengefasst und hierbei einige selbstverständliche' Schlüsse
gezogen.
13.1 Die formale Logik definiert den Begriff als
Begriff an sich (als Klasse, als Universum) und ändert an dieser Definition
auch dann nichts, wenn sie den Begriff z. B. als Prädikat setzt, Sie
nimmt also auf die wechselseitige einander konkretisierende Wirkung von
Subjekt und Prädikat keine Rücksicht, obwohl diese einander bestimmen
und einschränken und der immanente Inhalt des Urteils über diese
Wechselwirkung von Subjekt und Prädikat bestimmt und eingeschränkt
wird. So erweist sich der immanente Inhalt von Urteilen mit Prädikaten
des Typs "Nicht-A" bei einer tieferen Analyse nicht als "abstrakt-unbestimmt"
sondern als bestimmt, als eingeschränkt-konkretisiert.
13.2 In der dialektischen Logik
() wird die Geltung des formallogischen Satzes vom Widerspruch nicht bestritten,
vielmehr als gültig betrachtet. Nur ist dieser Satz als der vom Gegensatz
bezeichnet, weil er nur für gegensätzliche Urteile gültig
ist. - Der Widerspruch erweist sich als Relation der hier dargestellten
Urteile "A" und "Nicht-A", und diese sind nur zusammen wahr. Das ihnen
zugrunde liegende Denkgesetz müssen wir daher als den Satz vom Widerspruch
bezeichnen. Der Begriff des "Widerspruchs" ist also mit dem Begriff "logischer
Fehler" - der für den "Gegensatz" wahr ist - nicht identisch. Der
Widerspruch ist in der Logik ein positiver Faktor, die vorwärtstreibende
Kraft des Denkens, er kann jedoch nur Gegenstand der dialektischen Logik
sein.
13.3 Die "Widersacher" der dialektischen Logik interpretierten
bisher sowohl Hegel als auch die dialektische Logik
() unrichtig. Sie sahen nicht, dass es in der dialektischen
Logik () um die wahren Widersprüche geht und um die
prädikativen Urteilspaare "A" und "Nicht-A”, die diese verkör-[>]pern.
Die "Widersacher" der dialektischen Logik
() meinten, Hegel habe geirrt und den Gegensatz als Widerspruch bezeichnet,
obschon tatsächlich die formale Logik den Gegensatz als Widerspruch
bezeichnet. Im allgemeinen forderten sie von der dialektischen
Logik () über den formalen Widerspruch Rechenschaft.
Nur bedeutet die formale Logik keine Widerlegung der dialektischen
Logik (), wie auch die dialektische
Logik () keine Widerlegung der formalen darstellt.
13.4 Aus all dem folgt, weshalb die formale Logik
formal ist: weil sich nämlich für sie Begriffe, Urteile, Schlüsse
usw. nicht aus einem gesetzten und einem nicht-gesetzten, d. h. immanenten
Moment zusammensetzen. Mit anderen Worten: Sie betrachtet nur das Gesetzte
als tatsächlich existent und identifiziert eigentlich nur das eine
Moment von Begriffen, Urteilen, Schlüssen usw. mit seinem Ganzen,
mit seiner konkreten Totalität. So aber bleibt der eigentliche objektive
Inhalt ausserhalb ihres Horizonts; dieser Inhalt ist nicht Gegenstand der
formalen Logik und kann es auch niemals sein. - Hier verhält es sich
etwa so, als wollten wir an einem Eisberg nur als existent betrachten,
was von ihm aus dem Wasser hervorragt. Das aber ist nur 1/8 der Höhe
des Eisberges; 7/8 liegen nämlich unter dem Wasserspiegel. Wie es
aber im Fall der Eisberge ein Fehler ist, die 7/8 unter dem Wasserspiegel
nicht zu berücksichtigen, so ist es hinsichtlich der gesamten Logik
im Fall von Begriffen, Urteilen, Schlüssen usw. ein Fehler, bei der
Beschreibung der Grundform des Denkens usw. das "unter dem Wasser Befindliche”,
d.h. den in der Gesetztheit immanenten objektiven Inhalt nicht zu berücksichtigen.
- Natürlich ist es möglich, ja, sogar notwendig, von den Grundformen
des Denkens usw. nur das Gesetzte ("das aus dem Wasser hervorragende")
zu berücksichtigen; das ist die objektive Grundlage der Existenzberechtigung
der formalen Logik. Wir müssen aber wissen, dass wir bei solchem Vorgehen
die einzelnen Grundformen des Denkens usw. nicht in ihrer konkreten Totalität,
sondern einseitig und abstrakt erfassen. Die wahre Aufgabe besteht darin,
sämtliche logische Objekte in ihrer konkreten Totalität aufzuzeigen,
einfach weil sie objektiv konkrete Totalitäten sind. Das ist die objektive
Grundlage der Existenzberechtigung der dialektischen
Logik ().
14 Die auf den hier untersuchten und beschriebenen
wirklichen Typ des Widerspruchs aufbauende dialektische
Logik () ermöglicht notwendigermassen die Aufdeckung
neuer Urteilstypen, neuer Schlüsse usw. Weiter-[>]hin gewährleistet
sie ihre inneren, logischen Zusammenhänge, darüber J hinaus eine
Reihe von Unter- und Übeigeordnetheiten, von denen in der formalen
Logik nicht die Rede sein kann. Kurz: so erhalten wir jene Logik, ohne
die wir die logische Struktur keines einzigen Objekts in seiner konkreten
Totalität aufdecken könnten, die Lenin die "Logik a des Marxismus"
genannt hat, und das mit vollem Recht.
"2.2.4 Zur methodologischen Beurteilung der Dialektik (DialonS)
Obwohl bei dar Darstellung der Einzelheiten der Dialektik
() jeweils immer auch schon eine Beurteilung von der einheitwissenschaftlich-analytischen
Position her erfolgte, und obwohl mehr die methodendualistischen Aspekte
der Dialektik (DialonS)
bereits in Teil 2.1.4 ausführlich behandelt wurden, sei abschließend
eine zusammenfassende Beurteilung der Dialektik
(DialonS) als methodische
Basis der Sozialwissenschaften angefügt. Dabei soll - das lernt man
bei der Dialektik (DialonS)
so unübertrefflich - einerseits das an der Dialektik
(DialonS) aufgewiesen
werden, was füglicherweise auch einem sehr elementaren Diskussionsstand
in der sozialwissenschaftlichen Methodologie nicht mehr standhalten kann.
Dann soll aber auch der rationale Kern entwickelt werden, den die Dialektik
(DialonS) in eine (über
einen naiven Kritischen Rationalismus) hinaus entwickelte analytische,
einheitswissenschaftliche Wissenschaftstheorie einbringen kann: in der
Synthesis der Kritik beider entfaltet sich der rationale Kern der Gegensätze
(GonS) zu einer qualitativ neuen
Einheit.
Die methodologische Kritik (vgl. HELBERGER 1974,
EBERLEIN 1972) soll sich auf drei Aspekte der Dialektik
(Dialtheo3A) beziehen:
die Diskussion der Grundprämissen, die Theoriekonzeption
(DialGPraem) und [>225]
die dialektische Auffassung von
Gesetzen (DialGesA)
. Die Kritik der
Grundprämissen umfaßt die drei wichtigsten
Postulate: die These der Universalität der Bewegung
(), die dialektische Auffassung von Widersprüchen
() und die Forderung nach Parteilichkeit
() (vgl. Kap. 2.2.1). Die These der Universalität der Bewegung hat
zwei Aspekte: einmal ist sie eine apriorisch synthetische Aussage, daß
sich alles immer in Bewegung befinde, und als solche ebensowenig begründbar,
wie dies für apriorisch-synthetische Sätze insgesamt zutrifft.
Zweitens könnte die Aussage eine durchaus legitime forschungsleitende
"metaphysische" Orientierung sein, die besagt, daß man bei aller
vorfindbaren Starrheit der Verhältnisse und scheinbaren Universalität
von Regelmäßigkeiten immer nach versteckt vorliegenden (latenten)
Wandlungsprozessen und der vielleicht bloß historisch relativen Existenz
von Randbedingungen von (universalen) Gesetzen suchen soll. Dann wäre
die Dialektik () ein methodologisches
Programm (etwa im LAKATOS-Sinn) und müßte sich gegen andere
Programme hinsichtlich seiner theoretisch-empirischen Fruchtbarkeit behaupten.
Als eine solche forschungsleitende Empfehlung im
Entdeckungszusammenhang kann gegen die These daher nichts eingewandt werden:
nur: sie wird dadurch noch keineswegs auch empirisch begründet. Da
aber die Dialektik () auf der
Universalität der Bewegung als empirischen Tatbestand apriorisch besteht,
gelten gegen diese These alle Vorbehalte, die gegen die Rechtfertigung
synthetischer Urteile apriori vorzubringen sind.
Die Beurteilung des Konzepts des dialektischen
Widerspruchs () erfordert einige Differenzierungen: es lassen
sich (mindestens) vier unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs ausmachen
(vgl. HELBERGER 1974, 122ff.) SCHNEIDER 1971, 673ff.). Der echte
logische Widerspruch () (die
logische Kontradiktion), der scheinbare logische Widerspruch
() (z.B. in Form von unklarer Sprechweise), empirisch vorfindbare Konflikte
(z.B. Klassenantagonismen) und "reale Entwicklungsgesetze"
(). Hinzu tritt [>226] eine besonders gern benutzte Form des "Widerspruchs":
die Latenz von Konflikten bei aktueller Konfliktlosigkeit ().
Die Zulassung logischer Widersprüche in einem
Aussagesystem wird - wenngleich im HEGELschen System zentral - von Dialelitikern
nicht überall geteilt. Der Grund ist einfach: Kontradiktionen in der
Wenn-Komponente eines Gesetzes impliziert alles: "ex falso quod libet".
Da aber die Dialektik sicherlich auch informationshaltige Aussagen liefern
will, distanzieren zieren sich solche Marxisten von einer Zulassung des
logischen
Widerspruchs () in ihren Aussagen, die Dialektik
() nicht bloß als Gedankenmusik, Psychotherapie oder Ästhetik
verstehen, sondern als eine Regel für wissenschaftliche Arbeit. Dennoch
bleiben auch weiterhin Versuche, die logische Widerspruchslosigkeit von
Aussagen als eine historisch relative Notwendigkeit und als Ausdruck
repressiver Denkbedingungen zu postulieren. Diese Versuche verkennen dabei
aber den ausschließlich formalen Charakter der Logik, der
ihre universelle Anwendbarkeit sichert: weil durch die logische
Form ' von Aussagen keinerlei inhaltliche Aussage determiniert ist,' kann
die logische Form unter allen historischen Bedingungen. in Aussagesysteme
eingehen.
Die anderen begrifflichen Fassungen des "Widerspruchs”
erweisen sich als unproblematisch: scheinbare logische
Widerspruche () können durch Sprachpräzisierung
eliminiert werden (und Dialektik ()
will ja nicht einfach heißen: Verbalnebel). Konflikte
als Realphänomene () und über Konfliktprozesse
ablaufende Wandlungen können selbstverständlich mit einheitswissenschaftlichem
Vokabular beschrieben werden. Als Konflikt-, Wandlungs- und Revolutionstheorien
sind solche Prozesse längst Teile der herkömmlichen Soziologie.
Widersprüche
als latente Dispositionseigenschaften () von (scheinbar
integrierten) Systemen können ebenfalls einheitssprachlich erfaßt
werden. Dispositionsbegriffe gehören ja bekanntlich zum Repertoire
der analytisch-nomologischen Methodologie. Und der Pro-[>227]zeß
des Übergangs aus der Disposition in einen manifesten Zustand ist
nichts als ein prinzipiell auch empirisch-nomologisch- logisch beschreibbarer
Vorgang. Dispositionsbegriffe und Prozeßverläufe zyklischer,
konvergierender oder disruptiver Art sind z.B. mit mathematischen Prozeßmodellen
beschreibbar und sämtlich dann empirische Hypothesen (vgl. Teil I.)
Es ist nichts Metyphysisches daran, das die Entwicklung einer prinzipiell
neuen Aussageferm erforderlich machen würde. Und das dialektische
Konzept der "Negation der Negation" () ist ja auch nicht
als ein logisches Gesetz gedacht, sondern als ein Entwicklungsgesetz besonderer
Art: daß sich in der Höherentwicklung die rationalen Gehalte
der Vorstufen jeweils erhalten (vgl. Kap. 2.2.1). Auch dieses wäre
dann . lediglich eine empirische Hypothese - die logische Trivialität,
daß die Negation der Negation eines Zustandes der Zustand ist, bleibt
davon völlig unberührt.
Schließlich bleibt noch die These der Begründbarkeit
einer objektiven, auch in die Zukunft weisenden historischen„Entwicklung,
aus der andere Prämissen wie die der Totalität und der Parteilichkeit
erst abgeleitet werden können. Mit dem Verfall des Reohtfertigungsdenkens
ist eine solche These unhaltbar. Und es gibt kein Verfahren, das eine Moral,
eine Klasse, eine Theorie als vor anderen Moralen, Klassen, Theorien auszeichnen
könnte. Ziele und Normen sind bekanntlich nicht letztbegründbar,
ihre Satzung ist ausschließlich eine Frage der sozialen Prozesse
ihrer Durchsetzung. Von daher können auch die Konzepte der Parteilichkeit
und der historisch-moralischen Wahrheit von Theorien und Programmen in
keinem Fall objektiv begründet werden, man mag über gewisse Dinge
noch so sehr entrüstet sein: es gibt keine Norm, die apriori eingesehen”
werden kann (vgl. Kap. 2.2.2.3.1).
In Bezug auf die Theoriekonzeption
der Dialektik (DialtheoK)
seien wiederum drei Teilbereiche behandelt. Die Wahrheitskriterien für
Theorien, das Wertproblem und das Verhältnis von Theorie [>228] und
Praxis. Als eine ihrer wichtigsten Eigenarten beansprucht die Dialektik
() ein Verfahren zu sein, das die (dem "Positivismus” angeblich unzugängliche)
Unterscheidung von "Wesen und Erscheinung”
() gestatte. Ganz abgesehen davon, daß die Bedeutung des Begriffs
"Wesen" () meist viel zu unspezifisch
' ist, um den Erfolg einer solchen Scheidung am Einzelfall überhaupt
entscheiden zu können, impliziert die bloße Unterscheidung von
einem wesenhaften Kern der Dinge ()
und deren bloßer äußerlicher Manifestationsformen bereits
Apriorisches - mithin Unhaltbares: Die Dinge tragen kein "Wesen"
() fix in sich, sondern das, was als "wesentlich"
() gilt, sind fest eingeübte sprachlich-begriffliche Konventionen
einer Sprachgemeinschaft, die grundsätzlich beliebig sind (vgl. auch
die Kritik an der Phänomenologie, Kap. 2.1.2.1). Hier zeigt sich der
begriffsrealistische
Kern der Dialektik (DialKern)
am deutlichsten.
Sollte "Wesen"
() aber bloß heißen: die hinter der oberflächlichen Bewegung
wirkende Kraft von Universalgesetzen, dann kann Dialektik
() getrost als nomologische Wissenschaft betrieben werden: auch diese sucht
ja bekanntlich nach immer weitergehender Erklärung der "Varianz” von
empirischen Vorgängen (vgl. Kap. 2,2.1). Für die "Wesenserkenntnis”
gelten damit die in den analytischen Theorien zugelassenen Geltungskriterien
z.B. einer Kausalanalyse.
In der Dialektik
() werden gewöhnlich neben der bloß empirischen Wahrheit
von Aussagen noch als Geltungskriterien deren moralische und politische
Richtigkeit, die subjektiv-revolutionäre Gewissheit oder die Betroffenheit
eines Publikums durch bestimmte Aussagen genannt. Alles dies kann aber
den empirischen Wahrheitswert einer Aussage nicht berühren: nur wenn
unter "Wahrheit" die praktische Wirkung von Theorie als Aussagesystem verstanden
werden soll, kann man sagen, sie, seien unter diesen Bedingungen
"wahr" dieser Weise (psychologisch) wirken, muß natürlich seiner-[>229]
seits empirisch wahr sein (und kann z.B. Teil der Kommunikationssoziologie
sein).
Eng mit der These der notwendigen pragmatischen
Wirksamkeit für die Geltung von Theorien ist das Wertproblem verbunden.
Hier sei noch einmal zusammengefaßt: Natürlich treten Werte
auf allen Ebenen der Theoriebildung, -prüfung und -Verwertung auf
sie sind Teil der Basis der Methodik selbst und für den Forschungsprozeß
als soziale Veranstaltung unvermeidlich. Aus dieser Unvermeidlichkeit sind
jedoch zwei dialektische Folgerungen
() nicht ableitbar: erstens daß, wenn schon Werte unvermeidlich sind,
Wissenschaft sich zu objektiv einsehbaren Zielen zu bekennen haben eine
Parteilichkeit ist ja bekanntlich nicht begründbar. Davon unberührt
bleibt, daß nicht dennoch das Relevanzproblem diskutiert werden muß
es ist nur nicht über eine Rechtfertigung endgültig lösbar.
Die zweite Folgerung ist, daß aus der Unvermeidlichkeit von Wertungen
der empirische Wahrheitswert von Aussagen durch versteckte Wertungen bestimmt
werde und somit deskriptive von normativen Aussagen ununterscheidbar würden.
Auch dies ist nicht haltbar: Wertungen sind für den empirischen Wahrheitswert
von Aussagen grundsätzlich irrelevant. Auch hier gilt, jedoch die
Problematik, daß der Wahrheitswert von Aussagen ja nicht sicher zu
ermitteln ist.
In der dialektischen Fassung
von Wertung und Deskription () wird die dritte Besonderheit
deutlich: Theorie hat nicht nur informierende, sondern zugleich verändernde
Funktionen und muß in den Dienst der dialektischen Bewegung gestellt
werden. Hierzu kann auf das verwiesen werden, was gegen HOLZKAMP und die
Aktionsforschung vorzubringen ist: Einerseits verläuft eine rationale
Praxis immer nach dem H-O-Schema. Und wenn das so ist, dann wird es zur
Zweckmäßigkeitsfrage, ob die Vermischung von Wissensgewinnung
und Wissensanwendung in der "Einheit von Theorie und Praxis" den gewünschten
Erfolg hat. Wenn Dialektik vor allem an der aktiven Veränderung interes-[>230]
siert ist, muß sie das beste Verfahren dazu wählen. Eine Praxis
nach dem H-O-Schema könnte dies sein.
Die dialektische Auffassung von Gesetzen
() ist schließlich auch kurz kritisierbar, Dialektik
() wendet sich gegen alle Versuche der Formulierung universaler
Gesetze, weil prinzipiell alles veränderlich sei. Und die Darstellung
von in Wirklichkeit raum-zeitlich gebundenen Gesetzen sei nichts als die
[ideologische) Festschreibung und Legitimierung der bestehenden Verhältnisse.
Dazu ist einerseits zu sagen, daß die bloße Formulierung von
Gesetzen noch keine Zustände selbst generiert. Dies kann selbstverständlich
über die Mitteilung von Gesetzen an ein Publikum erfolgen, aber dies
wäre Teil einer empirischen Theorie etwa über "selbsterfüllende
Prophezeiungen". Keinesfalls kann die Stabilisierungswirkung von als universal
gültig benannten Gesetzen apriorisch behauptet werden. Andererseits
ist erneut hinzuweisen, daß die bloß raum-zeitliche Existenz
von gewissen Randbedingungen nichts mit der Aufhebung universaler Gesetze
zu tun hat I (vgl. vor allem Kap. 2.1.3.2 und 2.1.4.2).
Es zeigt sich damit, daß die Dialektik
() in ihren wichtigsten Grundthesen entweder empirische Vermutungen
als apriorisch gültig unterstellt, nicht begründbare Versuche
der Rechtfertigung von Zielzuständen unternimmt oder logisch unzulässige
Annahmen macht. Damit entfällt auch nach Prüfung dieses ) Ansatzes
jede Veranlassung, verschiedene Typen von Wissenschaften zu entwerfen,
da es für das Ziel: "Erkenntnis der Realität” einen immer wieder
aufscheinenden methodologischen Kern gibt: das einheitswissenschaftliche
Konzept der analytischen Wissenschaftstheorie. Dennoch sei nicht verschwiegen,’
daß die Dialektik () in
die einheitswissenschaftliche Methodendiskussion einige für die Sozialwissenschaft
eminent bedeutsame Probleme eingebracht hat: Das Subjekt-Objekt-Verhältnis,
die Idee der Totalität und die Frage nach der Relevanz von Wissenschaft
als soziale Veranstaltung. [>231]
In der Problematisierung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses
hat die Dialektik () daran erinnert,
daß Sozialwissenschaft als Wissenschaft Teil ihres Gegenstandsbereichs
selbst ist, latente und manifeste Folgen für den Objektbereich hat,
daß es sich bei den Objekten um Menschen handelt, die über die
Theorien über sie reflektieren können, und daß Teile der
von der Sozialwissenschaft untersuchten Realität die Folge von intentionalem
Handeln und nicht Ergebnis einer "blinden Kausalität”ist. Alles dies
hat sich auch in der analytischen Wissenschaftstheorie niedergeschlagen:
in der Reaktivitäts-Problematik, bei der Analyse von sozialwissenschaftlichen
Prognoseproblemen, bei Fragen der symbolischen Vermittlung äußerer
Handlungsabläufe, in der Wissens- und Wissenschafts-Soziologie^21.
Die Dialektik () hat hierzu wichtige
Anregungen gegeben, eine eigene Methode wird sie dadurch jedoch nicht.
Die Betonung der Beachtung von "Totalität”
durch die Dialektik () könnte
zwar einerseits als [unhaltbarer) Verweis auf die Existenz von gewissen
Emergenzen verstanden und mit der Kritik am "Holismus” (vgl. Kap. 2.1.3.2)
abgetan werden, andererseits meint aber der dialektische
Begriff der Totalität () mehr: Die immer notwendige
Erweiterung des theoretischen Rahmen über den jeweiligen Spezialaspekt
eines isolierten Problems auf eine sehr allgemeine Theorie, die historischgenetische
Verlängerung der Erklärung von Ereignissen und der Überprüfung
von Theorien und die Analyse latenter Funktionen, nichtintendierter Folgen
und evolutionärer Abläufe (vgl. von den BERGHE 1967, OPP 1973,
118f.). So gesehen muß man die Forderung der Beachtung von "Totalität"
als unerläßlichen Bestandteil einer an Wissenszuwachs interessierten
Theorie werten.
Die Forderung nach Parteilichkeit kann schließlich
auch umgedeutet werden als Forderung nach Wiederaufnahme der Relevanzdiskussion,
die sich angesichts der (ständig mehr) nicht-partialisierbaren und
nicht-reversiblen Folgen des Subsystems [>232] Wissenschaft in komplexen
Gesellschaften wieder dringender stellt. Freilich ist diese Frage nicht
mehr im Sinne einer, Rechtfertigung lösbar. Das unterdessen gewonnene
Wissen um die Beziehung zwischen menschlichen Bedürfnissen und den
gesellschaftlichen Bedingungen einer humanen Welt läßt es aber
möglicherweise zu, diese Frage rationaler und ohne bloße Deklamationen
zu diskutieren. Die einseitige Abspaltung der Relevanzfrage - und sei es
aus Gründen der vermuteten sozialen Bedingungen des Wissenszuwachses
(wie bei POPPER) - kann jedenfalls nicht mehr ohne weiteres hingenommen
werden. Dies sollte die Diskussion um die Proliferation von Theorieprogrammen,
um das Paradigma-Konzept und die Wertbasis gelehrt haben; weil bei expliziter
Offenlassung der Relevanzfrage privatisierte Relevanzen forschungsleitend
werden und sich als Folge die bekannte Aufsplitterung und Fruchtlosigkeit
der sozialwissenschaftlichen Forschung einstellt, wie. sie z.B. HOLZKAMP
zu Recht beklagt. Innerhalb dieses "Paradigmas” einer konventionellen Wertbasis
wäre natürlich Kritik auf allen Ebenen, mit unterschiedlichen
Graden der Verfestigung der Konventionen gefordert, damit die Relevanzsetzung
nicht in Dogmatismus mündet. Dies ist doch alles keine irgendwie rechtfertigbare
Forderung, sondern Dezision aufgrund des gesetzten Interesses nach Humanisierung
und nach Maßgabe des bisherigen empirischen Wissens bezüglich
der Zusammenhänge von Wertrelevanz und Wissenschaftsentwicklung. Dieses
Wissen und diese Empfehlung war dabei indessen genauso fallibel wie z.B.
POPPERs Forderung nach Kritik als Organon des Wissenschaftsfortschritts.
Soziologische und sozialpsychologische Theorie informiert je“ doch deutlich
darüber, daß POPPERs Lösung wahrscheinlich nicht sehr geeignet
ist, die Welt mit objektiven Ideen anzureichern. Das Ziel - Wissensfortschritt
ohne Gewißheit - . bleibt das gleiche; nur die sozialen Veranstaltungen
verändern sich und müssen ständig veränderbar bleiben,
je nach dem Entwicklungsstand der Wissenschaften über die Wissenschaft.
Und das heutige empirische Wissen um die Bedingungen [>233] der Humanisierung
der Welt umschließt vor allem auch die Kenntnis um die Aspekte der
Unterdrückung der Bedürfnisse von Individuen durch die Verweigerung
der Entfaltung von Lebenschancen. Das theoretisch-empirische Potential
der Gesellschaftstheorie von MARX ist dabei unhintergehbar. Eine bloß
auf Systemerhalt gerichtete Theorie wird hier unzureichend sein, weil das
Individuum den Systembedürfnissen untergeordnet bleibt. Dies ist andererseits
aber auch der Hinweis darauf, daß nicht das Primat der weiteren Ausdifferenzierung
von Sozialsystemen die Wertbasis für die - im gesetzten Interesse
der Emanzipation betriebene - einheitswissenschaftliche Sozialwissenschaft
sein kann, sondern das Primat der Auflösung bloß apathischer
Loyalität zur Gesellschaft. Faktische Demokratisierung und Wissenschaftsfortschritt
über eine einheitswissenschaftliche Methodologie schließen einander
- anders als gewisse Propheten der reinen Kritik glauben machen wollen
- keineswegs aus."
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Wissenschaft site:www.sgipt.org. |
noch nicht end-korrigiert
20.11.19 Erstmals
ins Netz gestellt.
06.01.19 Ausarbeitung
fortgesetzt.
03.12.18 Unterbrochen.
10.11.18 Seite
zerlegt und die Kritik als eigene Seite ausgelagert.
07.11.18 Vorläufiger
organisatorischer Abschluss
01.11.18 angelegt