Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=20.11.2019 Internet Erstausgabe, letzte Änderung: tt.mm.jj
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel   Stubenlohstr. 20   D-91052 Erlangen
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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie IP-GIPT1, Abteilung Wissenschaft, Bereich Sprache und Begriffsanalysen und hier speziell zum Thema:

    Kritik der Dialektik.
    Materialien zu Begriffsanalyse und Untersuchungen zur Dialektik
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    Zur Einführungs, Haupt- und Verteilerseite Dialektik.
         Information zu den Signierungen.

    Originalarbeit von  Rudolf Sponsel, Erlangen
    _Aufgrund gelegentlicher Ergänzungen und Korrekturen mit F5-Taste updaten empfohlen

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    Inhaltsverzeichnis Kritik der Dialektik

    Kant. [s]
       Eisler fasst Kants Kritik der Dialektik zusammen. [s]
       Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft nach der Akademieausgabe. [s]
    Popper Was ist Dialektik? [s]
    Laszlo Erdeis Kritik der Popper'schen Kritik. [m]
    Die Kritik Wetters. 
    Esser et al. "Zur methodologischen Beurteilung der Dialektik". 

    Wissenschaftlicher Apparat:
       Literatur;  Links; Glossar, Endnoten, Anmerkungen; 
       Copyright und Nutzungsrechte, Zitierung; Änderungen.
       [Interne Notizen]

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    Kritik der Dialektik
     

    Kant
    Ein ausführliches Zitat aus der Kritik der reinen Vernunft finden Sie unten.

    Eisler fasst Kants Kritik der Dialektik zusammen
    KANT erklärt, die Dialektik (DialSchein) sei nur eine »Logik des Scheins« (Kr. d. r. Vern. S. 83), eine »ars sophistica, disputatoria«, die aus einem Mißbrauch der Logik entspringt (Log. S. 11). Denn »da sie uns gar nichts über den Inhalt[213] der Erkenntnis lehret, sondern nur bloß die formalen Bedingungen der Übereinstimmung mit dem Verstande..., so muß die Zumutung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen, um seine Kenntnisse, wenigstens dem Vorgeben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geschwätzigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit einigem Schein zu behaupten, oder auch nach Belieben anzufechten« (Kr. d. r. Vern. S. 84). K. selbst will unter Dialektik (DialSchein)  nur »eine Kritik des dialektischen, Scheins« verstanden wissen. Auf dem Gebiete des Erkennens zunächst besteht eine in der Natur des Denkens liegende »transcendentale Dialektik« (DialKantTD), die zu einer Verwechselung subjectiver Notwendigkeit mit objectiver Realität führt. Sie »beruht auf ursprünglichen, natürlichen Illusionen, auf einem transcendentalen Schein, dessen Folge es ist, daß in unserer Vernunft... Grundregeln und Maximen ihres Gebrauches liegen, welche gänzlich das Ansehen objectiver Grundsätze haben und wodurch es geschieht, daß die subjective Notwendigkeit einer Verknüpfung unserer Begriffe zugunsten des Verstandes für eine objective Notwendigkeit, der Bestimmung der Dinge an sich selbst, gehalten wird« (Krit. d. r. Vern. S. 263). Die »transcendentale Dialektik« (DialKantTD) als Kritik begründet den »Schein«, ohne ihn zerstören zu können (l.c. S. 263 f.). »Da aller Schein darin besteht, daß der subjective Grund des Urteils für objectiv gehalten wird, so wird eine Selbsterkenntnis der reinen Vernunft in ihrem transcendentalen (überschwenglichen) Gebrauch das einzige Verwahrungsmittel gegen die Verirrungen sein, in welche die Vernunft gerät, wenn sie ihre Bestimmung mißdeutet und dasjenige transcendenterweise aufs Object an sich selbst bezieht, was nur ihr eigenes Subject und die Leitung desselben in allem immanenten Gebrauche angeht« (Proleg. § 40; vgl. § 45). Die transcendentale Dialektik (DialKantTD) besteht in der Untersuchung der Paralogismen (s. d.), Antinomien (s. d.) und Ideale (s. d.) der reinen Vernunft. Es gibt auch eine Dialektik der praktischen Vernunft (DialKantPV), indem diese unter dem Namen des höchsten Gutes (s. d.) ein Unbedingtes sucht (Kr. d. pr. Vern. I. T., 2. B.). So auch in der Urteilskraft, nämlich betreffs der Antinomien des (Geschmacks (s. d.) (Kr. d. Urt. § 55 ff.).

    Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft nach der Akademieausgabe S. 80-82
       17 "Die allgemeine Logik löset nun das ganze formale Geschäfte des Verstandes
       18  und der Vernunft in seine Elemente auf und stellt sie als Principien
       19  aller logischen Beurtheilung unserer Erkenntniß dar. Dieser Theil
       20  der Logik kann daher Analytik heißen und ist eben darum der wenigstens
       21  negative Probirstein der Wahrheit, indem man zuvörderst alle Erkenntniß
       22  ihrer Form nach an diesen Regeln prüfen und schätzen muß, ehe man sie
       23  selbst ihrem Inhalt nach untersucht, um auszumachen, ob sie in Ansehung
       24  des Gegenstandes positive Wahrheit enthalten. Weil aber die bloße Form
       25  des Erkenntnisses, so sehr sie auch mit logischen Gesetzen übereinstimmen
       26  mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (objective) Wahrheit dem Erkenntnisse
       27  darum auszumachen, so kann sich niemand bloß mit der Logik
       28  wagen, über Gegenstände zu urtheilen und irgend etwas zu behaupten,
       29  ohne von ihnen vorher gegründete Erkundigung außer der Logik eingezogen
       30  zu haben, um hernach bloß die Benutzung und die Verknüpfung
       31  derselben in einem zusammenhängenden Ganzen nach logischen Gesetzen
       32  zu versuchen, noch besser aber, sie lediglich darnach zu prüfen. Gleichwohl
       33  liegt so etwas Verleitendes in dem Besitze einer so scheinbaren Kunst,
       34  allen unseren Erkenntnissen die Form des Verstandes zu geben, ob man
       35  gleich in Ansehung des Inhalts derselben noch sehr leer und arm sein
       36  mag, daß jene allgemeine Logik, die bloß ein Kanon zur Beurtheilung
       37  ist, gleichsam wie ein Organon zur wirklichen Hervorbringung, wenigstens [>81]

        01  zum Blendwerk von objectiven Behauptungen gebraucht und mithin
        02  in der That dadurch gemißbraucht worden. Die allgemeine Logik nun,
        03  als vermeintes Organon, heißt Dialektik (DialKantAL) .
        04  So verschieden auch die Bedeutung ist, in der die Alten dieser Benennung
        05  einer Wissenschaft oder Kunst sich bedienten, so kann man doch
        06  aus dem wirklichen Gebrauche derselben sicher abnehmen, daß sie bei ihnen
        07  nichts anders war, als die Logik des Scheins. Eine sophistische Kunst,
        08  seiner Unwissenheit, ja auch seinen vorsetzlichen Blendwerken den Anstrich
        09  der Wahrheit zu geben, daß man die Methode der Gründlichkeit, welche
        10  die Logik überhaupt vorschreibt, nachahmte und ihre Topik zu Beschönigung
        11  jedes leeren Vorgehens benutzte. Nun kann man es als eine sichere
        12  und brauchbare Warnung anmerken: daß die allgemeine Logik, als Organon
        13  betrachtet, jederzeit eine Logik des Scheins, d. i. dialektisch (DialSchein), sei.
        14  Denn da sie uns gar nichts über den Inhalt der Erkenntniß lehrt, sondern
        15  nur bloß die formalen Bedingungen der Übereinstimmung mit dem
        16  Verstande, welche übrigens in Ansehung der Gegenstände gänzlich gleichgültig
        17  sind: so muß die Zumuthung, sich derselben als eines Werkzeugs
        18  (Organon) zu gebrauchen, um seine Kenntnisse wenigstens dem Vorgeben
        19  nach auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geschwätzigkeit hinauslaufen,
        20  alles, was man will, mit einigem Schein zu behaupten, oder
        21  auch nach Belieben anzufechten.
        22  Eine solche Unterweisung ist der Würde der Philosophie auf keine
        23  Weise gemäß. Um deswillen hat man diese Benennung der Dialektik (DialSchein)  lieber
        24  als eine Kritik des dialektischen Scheins der Logik beigezählt, und
        25  als eine solche wollen wir sie auch hier verstanden wissen.

        26 IV
        27 Von der Eintheilung der transscendentalen Logik
        28  in die
        29  Transscendentale Analytik und Dialektik (DialKantTD) .
        30  In einer transscendentalen Logik isoliren wir den Verstand (so wie
        31  oben in der transscendentalen Ästhetik die Sinnlichkeit) und heben bloß
        32  den Theil des Denkens aus unserm Erkenntnisse heraus, der lediglich
        33  seinen Ursprung in dem Verstande hat. Der Gebrauch dieser reinen Erkenntniß
        34  aber beruht darauf als ihrer Bedingung: daß uns Gegenstände [>82]

        01  in der Anschauung gegeben sind, worauf jene angewandt werden könne.
        02  Denn ohne Anschauung fehlt es aller unserer Erkenntniß an Objecten,
        03  und sie bleibt alsdann völlig leer. Der Theil der transscendentalen Logik
        04  also, der die Elemente der reinen Verstandeserkenntniß vorträgt, und die
        05  Principien, ohne welche überall kein Gegenstand gedacht werden kann, ist
        06  die transscendentale Analytik und zugleich eine Logik der Wahrheit. Denn
        07  ihr kann keine Erkenntniß widersprechen, ohne daß sie zugleich allen Inhalt
        08  verlöre, d. i. alle Beziehung auf irgend ein Object, mithin alle Wahrheit.
        09  Weil es aber sehr anlockend und verleitend ist, sich dieser reinen Verstandeserkenntnisse
        10  und Grundsätze allein und selbst über die Grenzen der Erfahrung
        11  hinaus zu bedienen, welche doch einzig und allein uns die Materie
        12  (Objecte) an die Hand geben kann, worauf jene reine Verstandesbegriffe
        13  angewandt werden können: so geräth der Verstand in Gefahr, durch leere
        14  Vernünfteleien von den bloßen formalen Principien des reinen Verstandes
        15  einen materialen Gebrauch zu machen und über Gegenstände ohne Unterschied
        16  zu urtheilen, die uns doch nicht gegeben sind, ja vielleicht auf keinerlei
        17  Weise gegeben werden können. Da sie also eigentlich nur ein Kanon
        18  der Beurtheilung des empirischen Gebrauchs sein sollte, so wird sie gemißbraucht,
        19  wenn man sie als das Organon eines allgemeinen und unbeschränkten
        20  Gebrauchs gelten läßt und sich mit dem reinen Verstande allein
        21  wagt, synthetisch über Gegenstände überhaupt zu urtheilen, zu behaupten
        22  und zu entscheiden. Also würde der Gebrauch des reinen Verstandes alsdann
        23  dialektisch sein. Der zweite Theil der transscendentalen Logik mu
        24  also eine Kritik dieses dialektischen Scheines sein und heißt transscendentale
        25  Dialektik (DialKantTD), nicht als eine Kunst, dergleichen Schein dogmatisch zu erregen
        26  (eine leider sehr gangbare Kunst mannigfaltiger metaphysischer
        27  Gaukelwerke), sondern als eine Kritik des Verstandes und der Vernunft
        28  in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs, um den falschen Schein
        29  ihrer grundlosen Anmaßungen aufzudecken und ihre Ansprüche auf Erfindung
        30  und Erweiterung, die sie bloß durch transscendentale Grundsätze
        31  zu erreichen vermeint, zur bloßen Beurtheilung und Verwahrung des reinen
        32  Verstandes vor sophistischem Blendwerke herabzusetzen. [>83] "

    Alle Fundstellen der Suche in der Kant-Akademieausgabe Kritik der reinen Vernunft: https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/Kant/suche.html
    https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/cgi-bin/wg2/webglimpse.cgi?query=dialektik&errors=0&nonascii=on&ID=3&maxchars=5000&cache=yes

       
      Inhaltsverzeichnis Band 3
      ...III. Von der Eintheilung der allgemeinen Logik in Analytik und Dialektik...
      ...IV. Von der Eintheilung der transscendentalen Logik in die transscendentale Analytik und Dialektik...
      ...Zweite Abtheilung. Die transscendentale Dialektik...
      ...6. Abschnitt. Der transscendentale Idealism als der Schlüssel zu Auflösung der kosmologischen Dialektik...
      ...Anhang zur transscendentalen Dialektik...
      ...Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen ...

      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 081
      ... als vermeintes Organon, heißt Dialektik...
      ... Weise gemäß. Um deswillen hat man diese Benennung der Dialektik...
      ... Transscendentale Analytik und Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 257
      ... Ersten Buchs der transscendentalen Dialektik...
      ... Wir haben es hier nicht mit einer logischen Dialektik zu thun,...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 234
      ... Transscendentale Dialektik...
      ... Wir haben oben die Dialektik überhaupt eine Logik des...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 237
      ... und sie als objective unterschiebt, anstatt daß die logische Dialektik in Aufl...
      ... thun hat. Es giebt also eine natürliche und unvermeidliche Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 489
      ... scheint, bürgerlichen Widerstand entgegen zu setzen. In dieser Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 512
      ... könnt alle an Kunstgriffen unerschöpfliche Dialektik am Gerichtshofe...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 448
      ... Dialektik deutlich vor Augen stellen und die Endabsicht der Ideen der...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 493
      ... seines Gegners zu widerstehen, und die verborgene Dialektik, die...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 457
      ... und dadurch unsere Betrachtung über die Dialektik derselben zur g...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 442
      ... Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 426
      ... zur transscendentalen Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 333
      ... der Dialektik, die in unserem Begriffe selbst liegt, würde uns...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 383
      ... Zweiten Buchs der transscendentalen Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 348
      ... Sinne. Die transscendentale Dialektik thut also keinesweges dem...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 338
      ... Auflösung der kosmologischen Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 391
      ... Es ist nicht genug, das Verfahren unserer Vernunft und ihre Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 281
      ... Transscendentalen Dialektik zweites Buch...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 262
      ... Zweiten Buchs der transscendentalen Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 261
      ... Transscendentalen Dialektik...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 290
      ... Die Fragen, welche bei einer solchen Dialektik der reinen...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 236
      ... Die transscendentale Dialektik wird also sich damit begnügen,...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 195
      ... Dialektik erwogen werden. Diese vier Sätze ( in mundo non...
      Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 243
      ... mögen: das wird unser Geschäfte in der transscendentalen Dialektik...




    Popper Was ist Dialektik?
    Popper, Karl (orig. 1940; dt. 1970) Was ist Dialektik. In (262-290) Topitsch, Ernst (1970, Hrsg.) Logik der Sozialwissenschaften. Köln: Kiepenheuer & Witsch. ]PDF ohne Anmerkungen auf "Vordenker.de")
        Das ist eine ausführliche und gründliche, vor allem logische Kritik der Dialektik. Sie ist in 3 Abschnitte (1.2.3.) gegliedert, die jeweiligen Unterüberschriften sind nicht von Popper, sondern von mir, die Ziffern hinter den Seiten kennzeichnen Absätze:
     
      1. Erklärung der Dialektik (DialonS)  262-274
      1. Allgemeinen Ausführungn zur Problemvielfalt und der trial-and-error Methode 262,3
      2. Immer bewusstere Entwicklung führt zur wissenschaftlichen Methode 263,1
      3. Was bedeutet, die Entwicklung des Denkens "dialektisch vorwärts" bewege? 263,3
      4. Hegel: das menschliche Denken entwickle sich nach der Triade These, Antithese, Synthese. 263,4
      5. Die dialektische Triade (Dialtrias) beschreibt recht gut bestimmte Schritte in der Geistesgeschichte. 264,1
      6. Dialektische Interpretation der Geistgeschichte (DialHist) mag recht befriedigend sein. 265,2
      7. Beispiel Physik: Korpuskular- und Wellentheorie des Lichts. 265,3
      8. Kritisch zur Redewendung, die These bringe die Antithese hervor und beide dann die Synthese 265,5
      9. Schwerwiegendste Missverständnisse durch das Reden über Widersprüche 266,2
      10. "Die Kritik ist jedoch in einem sehr bedeutungsvollen Sinne die wichtigste  Triebkraft der geistigen Entwicklung. Ohne Widerspruch, ohne Kritik gäbe es kein vernünftiges Motiv für  die Änderung unserer Theorien: es gäbe keinen geistigen Fortschritt." 266,3
      11. "Nachdem die Dialektiker nun richtig festgestellt haben, dass Widersprüche – besonders natürlich  der Widerspruch zwischen einer Thesis und einer Antithesis, der den Fortschritt in der Form einer Synthesis »hervorbringt« – äußerst fruchtbar, ja  tatsächlich  die Triebkräfte  jedweden Fortschritts  des Denkens sind, schließen sie fälschlicherweise, wie wir sehen werden –, dass keine Notwendigkeit zur Vermeidung dieser fruchtbaren Widersprüche besteht. Und sie behaupten sogar, dass Widersprüche nicht vermieden werden können, da sie überall in der Welt auftreten." 266,4
      12. "Eine derartige Behauptung  läuft  auf einen Angriff gegen das sogenannte  »Gesetz  vom  Widerspruch" (oder  vollständiger: das  »Gesetz vom   ausgeschlossenen Widerspruch«) der traditionellen Logik hinaus, gegen ein Gesetz, welches besagt, dass zwei kontradiktorische Aussagen  niemals  beide  zugleich wahr sein können bzw. dass eine Aussage, die aus einer Konjunktion zweier  kontradiktorischer  Aussagen  besteht, aus rein  logischen Gründen als  falsch verworfen werden  muss. Wenn sich die Dialektiker nun auf die Fruchtbarkeit der Widersprüche berufen, so fordern  sie die Aufgabe dieses Gesetzes der traditionellen Logik. Sie behaupten, dass die Dialektik auf diese Weise zu einer neuen Logik führt  –  zu  einer  dialektischen Logik. Die Dialektik (DialHist) , die ich bislang als bloße Geschichtslehre  dargestellt  habe  – als eine Theorie der historischen  Entwicklung des Denkens –, würde sich nunmehr als eine davon sehr verschiedene Doktrin erweisen: Sie würde gleichzeitig eine  Theorie der Logik und  (wie wir sehen werden) eine allgemeine Theorie der Welt sein. Dies sind gewaltige Ansprüche; sie entbehren jedoch jedweder Grundlage.  [266,5]

      13. Tatsächlich gründen sie sich auf nichts anderes als auf eine unklare und verschwommene Ausdrucksweise." 266,6
         
        Kommentar: Die Wirklichkeit ist wie sie "ist". Die Logik darf ihr keine Vorschriften machen wie sie zu sein hat. Überhaupt hat sich die Wirklichkeit nicht nach der Logik zu richten - es gibt deren viele -, sondern die Logik muss so eingerichtet werden, dass sie für die Erscheinungen der Wirklichkeit passt und somit der Wissenschaft bei ihrer Erkenntnisgewinnung hilft. Wenn die Wirklichkeit Widersprüche hervorbringt, dann wäre es ein wissenschaftlicher Fehler, die Wahrnehmung dieser Widersprüche zu vermeiden zu trachten. Das Prinzip des Widerspruchs gilt für die (zweiwertige) Logik, das ist aber eine andere ontologische Ebene als die Wirklichkeit, es ist die logische Ebene. Es mag sein, dass es für kontradiktorische Widersprüche in der Wirklichkeit, (bislang) kein vernünftiges logisches Modell gibt, weil dann alles, nichts oder sein Gegenteil gilt, aber die Logik kann der Wirklichkeit keine Vorschriften machen, wie sie zu sein hat. Diesen Sprung hat Popper an dieser Stelle seiner Argumentation vollzogen. 

        "Die Dialektiker behaupten, dass Widersprüche fruchtbar sind oder dass sie Fortschritt hervorbringen, und wir haben eingeräumt, dass dies in gewissem Sinne zutrifft. Es trifft jedoch nur so lange zu, wie wir  entschlossen sind, keine Widersprüche zu dulden und jede Theorie zu ändern, die Widersprüche enthält;  mit anderen Worten: solange wir entschlossen sind, niemals einen Widerspruch zu akzeptieren. Es ist lediglich in diesem unserem Entschluss begründet, dass Kritik, d.h. das Herausstellen von  Widersprüchen, uns zur Änderung unserer Theorien und damit zum Fortschritt veranlasst. " 267,1
         
        Kommentar: Keine Widersprüche dulden? Die grundlegende Sachverhalte müssten, bevor sie kritisch untersucht und erörtert werden können, definiert sein. Was soll Widerspruch heißen? Welcher Prototyp kann, soll verhandelt werden? In der traditionellen zweiwertigen  Logik ist es so. 

        "Dies aber würde bedeuten, dass die Kritik und damit jeder Fortschritt des Denkens zum Stillstand kommen müsste, falls wir bereit wären, Widersprüche zu dulden."  267,3

        Somit  müssen wir dem Dialektiker sagen, dass er nicht beides zugleich haben kann: Entweder er ist an Widersprüchen infolge ihrer  Fruchtbarkeit interessiert, dann muss er sie  ablehnen; oder er ist bereit, sie zu akzeptieren, dann werden sie sich als unfruchtbar  erweisen, und vernünftige Kritik, Diskussion und Fortschritt des Denkens werden unmöglich sein." 267,4

        "Die alleinige »Kraft«, die die dialektische Entwicklung (DialEntwT) vorwärtstreibt, ist deshalb unser  Entschluss, den Widerspruch zwischen  Thesis  und  Antithesis nicht zu akzeptieren bzw. nicht zu dulden. Es ist keine mysteriöse Kraft im Inneren dieser beiden Ideen,  keine  mysteriöse  Spannung  zwischen  ihnen, die die Entwicklung vorwärtstreibt  –  es ist lediglich unsere Entscheidung, unser  Entschluss, keine Widersprüche zuzulassen, wodurch wir veranlasst werden, uns nach einer neuen  Ansicht  umzuschauen, die uns die Vermeidung der  Widersprüche  ermöglichen  kann. Und dieser Entschluß ist völlig gerechtfertigt. Denn es lässt sich leicht zeigen, dass man jedwede Art wissenschaftlicher Tätigkeit aufgeben müsste, wenn man bereit wäre, Widersprüche zu akzeptieren:  es  würde den völligen Zusammenbruch der Wissenschaft  bedeuten; dies lässt sich durch den Beweis dafür erhärten, dass, falls zwei  kontradiktorische Aussagen zugelassen werden,  jede beliebige Aussage zugelassen werden muss   –   denn aus einem Paar kontradiktorischer Aussagen kann jede beliebige Aussage logisch gültig abgeleitet werden. " 267,5

        "Nun sind wir in der Lage, unsere erste Schlussregel zu formulieren. Dies kann auf folgende Weise geschehen:

        (1)  Aus einer Prämisse p (z.B. »Sokrates ist klug«) kann jeder Schluss der Form »p v q«  (z.B.:  »Sokrates ist klug  v  Peter ist König«)  gültig  abgeleitet  werden.

        Dass diese Regel gültig sein muss, wird sofort klar, wenn wir uns an die Bedeutung des  »v«  erinnern. Dieses Symbol bringt eine Zusammensetzung zustande, die wahr ist, wenn immer wenigstens  eine  ihrer  Komponenten  wahr  ist. Wenn  also  p  wahr ist, muss auch  p  v  q  wahr sein. Somit kann  unsere Regel niemals von einer wahren Prämisse zu einem falschen Schluss führen, was bedeutet, dass sie gültig ist. " 268,7
         
        Kommentar: Damit ist die grundsätzliche Argumentation Poppers, was das Zulassen von Widersprüchen betrifft, beendet. 

      2. Die Hegelsche Dialektik 274-283

      3. Die Dialektik nach Hegel 283-288

      Anmerkungen 289-290
         "1. Die dogmatische Attitüde, an einer Theorie so lange wie möglich festzuhalten, ist von beachtlicher Bedeutung. Ohne diese Attitüde könnten wir niemals herausfinden, was in einer Theorie enthalten ist - wir würden sie aufgeben, bevor wir Gelegenheit zur Feststellung ihrer Stärke gehabt hätten; und folglich könnte keine Theorie jemals ihre Rolle spielen beim Ordnen der Welt, bei unserer Vorbereitung für zukünftige Ereignisse, bei der Hinlenkung unserer Aufmerksamkeit auf Ereignisse, die wir ohne Theorie niemals beobachten würden.
          2. Es ist keine Methode in dem Sinne, daß ihre Anwendung zum Erfolg führt oder daß sie im Falle des Mißerfolges nicht angewendet wurde; d. h. es handelt sich dabei nicht um einen definitiven Weg zum Erfolg. Eine Methode in diesem Sinne existiert nicht.
          3. Eine eingehendere Diskussion findet sich in K. R. Popper, The Logic of Scientific Discovery, London 1959.
          4. Der griechische Ausdruck (....) kann übersetzt werden: »(die Kunst des) argumentativen Gebrauchs der Sprache«. Diese Bedeutung des Ausdruckes geht bis auf Platon zurück; er tritt aber auch bei Platon in verschiedenen Bedeutungen auf. Wenigstens eine ihrer antiken Bedeutungen kommt sehr nahe an das heran, was ich oben als »wissenschaftliche Methode« beschrieben habe. Denn man verwendete sie zur Beschreibung der Methode der Konstruktion erklärender Theorien sowie der Methode der kritischen Diskussion dieser Theorien, was die Frage einschließt, ob sie der empirischen Beobachtung entsprechen bzw. ob sie - in der alten Terminologie ausgedrückt - dem Grundsatz »die Erscheinungen zu bewahren« genügen.
          5. In Hegels Terminologie werden sowohl Thesis als auch Antithesis durch die Synthesis (1) zu bloßen Komponenten (der Synthesis) reduziert und dabei (2) beseitigt (oder negiert) und gleichzeitig (3) bewahrt (oder aufbewahrt) und (4) erhoben (oder auf ein höheres Niveau emporgehoben). Die kursiv gesetzten Ausdrücke geben die vier Hauptbedeutungen des einen deutschen Wortes »aufheben* wieder, von dessen Vieldeutigkeit Hegel reichhaltigen Gebrauch macht.
          6. Vgl. beispielsweise H. Jeffreys, The Nature of Mathematics, Philosophy of Science, j, 1938, 449, der schreibt: »Whether a contradiction entails any proposition is doubtful«. Vgl. auch Jeffreys’ Antwort mir gegenüber in Mind, jr, 1942, S. 90 sowie meine Gegenantwort in Mind, 52, 1943, S. 47ff. Die nachfolgenden Überlegungen waren tatsächlich bereits Duns Scotus (gest. 1308) bekannt, wie von Jan Lukasiewicz in Erkenntnis, 5, S. 124, nachgewiesen wurde.
          7. Besonders G. E. Moore.
          8. Das angedeutete System ist der »dual-intuitionistische Kalkül*; vgl. meinen Aufsatz »On the Theory of Deduction I and II«, Proc, of the Royal Dutch Academy, 51, Nr. 2 und 3, 1948, 3.82 auf S. 182 und 4.2 auf S. 322 sowie 5.32, 5.42 und auch Fußnote 15. Joseph Kalman Cohen hat das System eingehender entwickelt. Ich kann eine einfache Interpretation dieses Kalküls geben: Alle Aussagen können als modale Aussagen aufgefaßt werden, die Möglichkeiten behaupten. Aus »p ist möglich« und »>wenn p, dann q< ist möglich« können wir »q ist möglich« tatsächlich nicht ableiten (denn falls p falsch ist, kann q eine unmögliche Aussage sein). Und in gleicher Weise können wir aus »p ist [>290] möglich« und »non-p ist möglich« offensichtlich nicht die Möglichkeit aller Aussagen ableiten.
          9. Hecker, Moscow Dialogues, London, 1936, S. 99. Das Beispiel ist dem Anti-Dühring entnommen.
          10. Diese Antwort ist nicht einmal originell; Kant hatte sie vorher bereits in Betracht gezogen, aber natürlich verworfen.
          11. MacTaggart hat diesen Punkt zum zentralen Thema seiner interessanten Studies in Hegelian Dialectic gemacht.
          12. Dies sollte wenigstens all denen klar werden, die als Beispiel die folgende erstaunliche Analyse des Wesens der Elektrizität in Betracht ziehen, die ich übersetzt habe, so gut ich es vermag — wobei ich so weit gegangen bin, zu versuchen, es irgendwie besser verständlich zu machen als den Hegelschen Text im Original:
      “Electricity... is the purpose of the form from which it emancipates itself, it is the form that is just about to overcome its own indifference; for, electricity is the immediate emergence, or the actuality just emerging, from the proximity of the form, and still determined by it - not yet the dissolution, however, of the form itself, but rather the more superficial process by which the differences desert the form which, however, they still retain, as their condition, having not yet grown into independence of and through them.” (No doubt it ought to have been “of and through it”; but I do not wish to suggest that this would have made much difference to the differences.)
      Diese Stelle lautet im Original:
      »Die Elektricität ist der reine Zweck der Gestalt, der sich von ihr befreit; die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzuheben anfängt; denn die Elektricität ist das unmittelbare Hervortreten, oder das noch von der Gestalt herkommende, noch durch sie bedingte Daseyn, -oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche Proceß, worin die Differenzen die Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben, und noch nicht an ihnen selbständig sind.« G. W. F. Hegel, System der Philosophie, zweiter Teil: Die Naturphilosophie, Sämtliche Werke, hrsg. von H. Glöckner, Bd. 9, Stuttgart 1958, § 323 Zusatz, S. 369. (Anm. d. Hrsg.) Vgl. auch zwei ähnliche Stellen über den Schall und über die Wärme, die ich in meiner The Open Society and its Enemies, Princeton 1950 (deutsch: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, 2 Bde., Bern 1957, 1958), Fn. 4 zu Kap. 12 zitiert habe, sowie den Text.
          13. In meinem Buch The Logic of Scientific Discovery, a. a. O., habe ich zu zeigen versucht, daß der wissenschaftliche Gehalt einer Theorie um so größer ist, je mehr Information sie vermittelt, je mehr sie riskiert, je mehr sie sich der Widerlegung durch zukünftige Erfahrung aussetzt. Wenn sie keine derartigen Risiken eingeht - hat sie keinen wissenschaftlichen Gehalt, ist sie metaphysisch. An dieser Norm gemessen, können wir sagen, daß die Dialektik unwissenschaftlich ist: sie ist metaphysisch."




    Laszlo Erdeis Kritik der Popper'schen Kritik.  [m]
    Der Kernvorwurf Erdeis lautet: Popper verwechselt Gegensatz und Widerspruch.

        "12.1 Die Verwechslung des Gegensatzes und des Widerspruchs (), die Bezeichnung des Widerspruchs als Gegensatz () beginnt bereits mit Aristoteles. An einer Stelle sagt er nämlich: ist jeder Mensch weise? - Nein. - Mithin ist jeder Mensch nichtweise. Das wäre ja falsch. Sondern richtig ist, zu sagen: mithin ist nicht jeder Mensch weise. Dieser Satz verhält sich zu der gestellten Frage einfach kontradiktorisch, jener konträr". 75 Mit anderen Worten, Aristoteles betrachtet hier in der Tat das widersprechende (), d. h. das vollentfaltete negative Urteil, als Urteil E und erklärt es gegenüber dem entsprechenden Urteil A als gegensätzlich (). In einem anderen bereits zitierten Beispiel äussert er sich umgekehrt: "ist... jeder Bejahung eine Verneinung und jeder Verneinung eine Bejahung entgegengesetzt. Und dies, entgegengesetzte Bejahung und Verneinung, soll Kontradiktion sein."76  Aristoteles bezeichnet hier den Gegensatz als Widerspruch (), weil die Bejahung und Verneinung an sich offensichtlich nur Gegensätze () sind.
        12.2 Popper stellt in seiner Arbeit What is Dialectic? fest: "A theory which adds to every information which asserts also the negation of this information can give us no information at all. A theory which involves a contradiction is therefore entirely useless as a theory. "77 Die dialektische Logik () mache seiner Meinung nach dadurch, dass sie die widersprüchlichen Urteile zusammen als wahr betrachtet, jede so ausgebaute Theorie widersprüchlich, d.h., unbrauchbar. Wir haben aber festgestellt und ausführlich bewiesen, dass diese Vorstellung in der dialektischen ? Logik, aufgrund einer tiefergehenden Analyse des Inhalts der Urteile, unhaltbar ist. Also ist dies auch auf keinen Fall eine Widerlegung der dialektischen Logik (). Des weiteren beweist der zitierte Text auch an sich, dass Popper - wie die Formallogiker im allgemeinen - zwischen Gegensatz und Widerspruch keinen Unterschied () macht. Was er nämlich als Widerspruch bezeichnet, ist die gemeinsame Bejahung und Verneinung derselben Information; bzw. was er des näheren nur als Gegensatz bestimmt, bezeichnet er als Widerspruch. Übrigens lassen sich hierfür in anderen Abschnit-[>77]ten des angeführten Popperschen Werkes zahlreiche weitere Beispiele finden. Doch geben wir uns hier mit der näheren Darlegung und Behandlung des nächstliegenden Beweises zufrieden.
    12.2.1 Popper nimmt an einer Stelle das nachfolgende Urteil als Beispiel: "All Atheniens are man".78 Dieses Urteil bezeichnet er mit "b". Im Anschluss daran bringt er das von ihm mit "nicht-b" bezeichnete, seiner Meinung zufolge dialektisch () (!) widersprüchliche () Urteil: "Some Atheniens are non-man”. 79 wir wissen aber schon, dass das Urteil "nicht-b", das zum Urteil "b” tatsächlich in widersprüchlichem Verhältnis steht, das Urteil "All Atheniens are non-man" wäre. Das Urteil "Some Atheniens are non-man" ist also bloss formallogisch ein widersprüchliches Urteil, das gegenüber dem mit "b” bezeichneten Urteil A das entsprechende und umformte Urteil O ist. Popper hat im weiteren recht, sofern er darlegt, dass die kontradiktorisch gegensätzlichen Urteile nicht zusammen wahr sein können. Jedoch führt er das zur Widerlegung des Widerspruchsprinzips der dialektischen Logik () an, obwohl auch die dialektische Logik () als Gesetz aussagt,, dass die kontradiktorisch gegensätzlichen Urteile zusammen nicht wahr sein können. Umgekehrt: Unter dem Namen "widersprüchliche Urteile" ist in der dialektischen Logik () nicht irgendeine Spielart der gegensätzlichen Urteile zu verstehen. D. h., Popper erkennt und behandelt folgUch auch nicht den Widerspruch selbst, nämlich den wirklichen Widerspruch der dialektischen Logik ().
        Das gleiche zeigt sich auch im Fall eines anderen Beispiels. Hier ist der Ausgangspunkt Urteil "c": "All Atheniens are mortal". Popper formuliert in diesem Zusammenhang ein angeblich widersprüchliches Urteil "nicht-c" wiederum als Urteil O "Some Atheniens are non-mortal"80, d.h. zur Widerlegung des dialektisch logischen Wider-Spruchs führt er wieder kontradiktorisch gegensätzliche und um-geformte Urteile an. Aber auch damit beweist er nichts anderes als [>] die uralte formallogische Wahrheit, dass A und O zusammen nicht wahr sein können. Nun, das wird auch von der dialektischen Logik nicht bestritten.
    12.2.2 Popper und die Formallogiker im allgemeinen fordern eine Widerspruchsfreiheit. In Wirklichkeit ist von einer Gegensatzfreiheit die Rede. Das aber ist gegenüber der dialektischen Logik kein Argument, da auch die dialektische Logik, äusser dass sie die Widersprüchlichkeit bejaht, eine Gegensatzfreiheit fordert. Sie bejaht dies nicht subjektiv. Die Widersprüchlichkeit ist in der Logik ein objektiver Faktor, und es ist nicht möglich, ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen.
    13 Abschliessend seien das Wesentliche unserer Ausführungen zusammengefasst und hierbei einige selbstverständliche' Schlüsse gezogen.
    13.1 Die formale Logik definiert den Begriff als Begriff an sich (als Klasse, als Universum) und ändert an dieser Definition auch dann nichts, wenn sie den Begriff z. B. als Prädikat setzt, Sie nimmt also auf die wechselseitige einander konkretisierende Wirkung von Subjekt und Prädikat keine Rücksicht, obwohl diese einander bestimmen und einschränken und der immanente Inhalt des Urteils über diese Wechselwirkung von Subjekt und Prädikat bestimmt und eingeschränkt wird. So erweist sich der immanente Inhalt von Urteilen mit Prädikaten des Typs "Nicht-A" bei einer tieferen Analyse nicht als "abstrakt-unbestimmt" sondern als bestimmt, als eingeschränkt-konkretisiert.
    13.2 In der dialektischen Logik () wird die Geltung des formallogischen Satzes vom Widerspruch nicht bestritten, vielmehr als gültig betrachtet. Nur ist dieser Satz als der vom Gegensatz bezeichnet, weil er nur für gegensätzliche Urteile gültig ist. - Der Widerspruch erweist sich als Relation der hier dargestellten Urteile "A" und "Nicht-A", und diese sind nur zusammen wahr. Das ihnen zugrunde liegende Denkgesetz müssen wir daher als den Satz vom Widerspruch bezeichnen. Der Begriff des "Widerspruchs" ist also mit dem Begriff "logischer Fehler" - der für den "Gegensatz" wahr ist - nicht identisch. Der Widerspruch ist in der Logik ein positiver Faktor, die vorwärtstreibende Kraft des Denkens, er kann jedoch nur Gegenstand der dialektischen Logik sein.
    13.3 Die "Widersacher" der dialektischen Logik interpretierten bisher sowohl Hegel als auch die dialektische Logik () unrichtig. Sie sahen nicht, dass es in der dialektischen Logik () um die wahren Widersprüche geht und um die prädikativen Urteilspaare "A" und "Nicht-A”, die diese verkör-[>]pern. Die "Widersacher" der dialektischen Logik () meinten, Hegel habe geirrt und den Gegensatz als Widerspruch bezeichnet, obschon tatsächlich die formale Logik den Gegensatz als Widerspruch bezeichnet. Im allgemeinen forderten sie von der dialektischen Logik () über den formalen Widerspruch Rechenschaft. Nur bedeutet die formale Logik keine Widerlegung der dialektischen Logik (), wie auch die dialektische Logik () keine Widerlegung der formalen darstellt.
    13.4 Aus all dem folgt, weshalb die formale Logik formal ist: weil sich nämlich für sie Begriffe, Urteile, Schlüsse usw. nicht aus einem gesetzten und einem nicht-gesetzten, d. h. immanenten Moment zusammensetzen. Mit anderen Worten: Sie betrachtet nur das Gesetzte als tatsächlich existent und identifiziert eigentlich nur das eine Moment von Begriffen, Urteilen, Schlüssen usw. mit seinem Ganzen, mit seiner konkreten Totalität. So aber bleibt der eigentliche objektive Inhalt ausserhalb ihres Horizonts; dieser Inhalt ist nicht Gegenstand der formalen Logik und kann es auch niemals sein. - Hier verhält es sich etwa so, als wollten wir an einem Eisberg nur als existent betrachten, was von ihm aus dem Wasser hervorragt. Das aber ist nur 1/8 der Höhe des Eisberges; 7/8 liegen nämlich unter dem Wasserspiegel. Wie es aber im Fall der Eisberge ein Fehler ist, die 7/8 unter dem Wasserspiegel nicht zu berücksichtigen, so ist es hinsichtlich der gesamten Logik im Fall von Begriffen, Urteilen, Schlüssen usw. ein Fehler, bei der Beschreibung der Grundform des Denkens usw. das "unter dem Wasser Befindliche”, d.h. den in der Gesetztheit immanenten objektiven Inhalt nicht zu berücksichtigen. - Natürlich ist es möglich, ja, sogar notwendig, von den Grundformen des Denkens usw. nur das Gesetzte ("das aus dem Wasser hervorragende") zu berücksichtigen; das ist die objektive Grundlage der Existenzberechtigung der formalen Logik. Wir müssen aber wissen, dass wir bei solchem Vorgehen die einzelnen Grundformen des Denkens usw. nicht in ihrer konkreten Totalität, sondern einseitig und abstrakt erfassen. Die wahre Aufgabe besteht darin, sämtliche logische Objekte in ihrer konkreten Totalität aufzuzeigen, einfach weil sie objektiv konkrete Totalitäten sind. Das ist die objektive Grundlage der Existenzberechtigung der dialektischen Logik ().
    14 Die auf den hier untersuchten und beschriebenen wirklichen Typ des Widerspruchs aufbauende dialektische Logik () ermöglicht notwendigermassen die Aufdeckung neuer Urteilstypen, neuer Schlüsse usw. Weiter-[>]hin gewährleistet sie ihre inneren, logischen Zusammenhänge, darüber J hinaus eine Reihe von Unter- und Übeigeordnetheiten, von denen in der formalen Logik nicht die Rede sein kann. Kurz: so erhalten wir jene Logik, ohne die wir die logische Struktur keines einzigen Objekts in seiner konkreten Totalität aufdecken könnten, die Lenin die "Logik a des Marxismus" genannt hat, und das mit vollem Recht.
     

      75 Aristoteles (2) 10. 20a
      76 Ebd. 6. 17a
      77 Popper 319
      78 Popper 320
      79 Ebd.
      80 Ebd.
      81 Ebd."




    Kritik Wetters
    Wetter, Gustav A. (1963) Sowjetideologie heute 1: Dialektischer und historischer Materialismus. Frankfurt aM: Fischer S. 147:
        "... Was das Vorhaben betrifft, die formale Logik durch die dialektische zu ergänzen, so haben wir schon darauf verwiesen, daß diese dialektische Logik (DialErkKr) keine eigentliche Logik darstellt, sondern vor allem das, was man als Erkenntniskritik bezeichnen könnte. Sie ist nicht die Frage der Richtigkeit des Denkens zum Gegenstand, sondern vor allem die Frage seiner Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, also die Frage der Wahrheit. Dazu kommen noch verschiedene andere Aufgaben der dialektischen Logik (DiallogFA), die mit Logik nichts zu tun haben, sondern eher in die Psychologie oder auch in die Philosophiegeschichte oder die Geschichte der Wissenschaften gehören, so z. B. wenn es Aufgabe der dialektischen Logik (DiallogFA) sein soll, etwa den Bedeutungswandel des Begriffes »Atom« in der Geschichte der Physik zu untersuchen.
        Was nun den Hauptgrund anlangt, der für die Notwendigen einer eigenen dialektischen Logik () neben der formalen ins Treffen geführt wird, so beruht er auf einem Mißverständnis. Dieser Grund soll ja vor allem darin liegen, daß die formale Logik, die ganz und gar dem Satz vom Widerspruch verhaftetet, nicht imstande ist, ein Denkinstrumentar bereitzustellen, das die Erfassung einer werdenden Wirklichkeit gewährleistet. Wir sahen aber, daß die »dialektischen Widersprüche« (WDial) nicht im Sinne logischer Widersprüche zu verstehen sind. Es sind aber nur diese logischen Widersprüche, die vom Standpunkt der formalen Logik aus unzulässig sind. Somit ist nicht einzusehen, warum die von der formalen Logik geprägte Begriffswelt nicht imstande sein soll, das Werden zu erfassen."



    Esser, Hartmut; Klenovits, Klaus; Zehnpfennig, Helmut (1977) "Zur methodologischen Beurteilung der Dialektik". In (224-232). Wissenschaftstheorie 2 Funktionalanalyse und hermeneutisch-dialektische Ansätze. Stuttgart: Teubner Studienskripten. [ts] Markiert werden Dialektik, Gegensatz, Widerspruch, die Grundprämissen, Negation der Negation.

    "2.2.4 Zur methodologischen Beurteilung der Dialektik (DialonS)

    Obwohl bei dar Darstellung der Einzelheiten der Dialektik () jeweils immer auch schon eine Beurteilung von der einheitwissenschaftlich-analytischen Position her erfolgte, und obwohl mehr die methodendualistischen Aspekte der Dialektik (DialonS)  bereits in Teil 2.1.4 ausführlich behandelt wurden, sei abschließend eine zusammenfassende Beurteilung der Dialektik (DialonS)  als methodische Basis der Sozialwissenschaften angefügt. Dabei soll - das lernt man bei der Dialektik (DialonS)  so unübertrefflich - einerseits das an der Dialektik (DialonS)  aufgewiesen werden, was füglicherweise auch einem sehr elementaren Diskussionsstand in der sozialwissenschaftlichen Methodologie nicht mehr standhalten kann. Dann soll aber auch der rationale Kern entwickelt werden, den die Dialektik (DialonS)  in eine (über einen naiven Kritischen Rationalismus) hinaus entwickelte analytische, einheitswissenschaftliche Wissenschaftstheorie einbringen kann: in der Synthesis der Kritik beider entfaltet sich der rationale Kern der Gegensätze (GonS) zu einer qualitativ neuen Einheit.
        Die methodologische Kritik (vgl. HELBERGER 1974, EBERLEIN 1972) soll sich auf drei Aspekte der Dialektik (Dialtheo3A)  beziehen: die Diskussion der Grundprämissen, die Theoriekonzeption (DialGPraem) und [>225] die dialektische Auffassung von Gesetzen  (DialGesA) . Die Kritik der Grundprämissen umfaßt die drei wichtigsten Postulate: die These der Universalität der Bewegung (),  die dialektische Auffassung von Widersprüchen () und die Forderung nach Parteilichkeit () (vgl. Kap. 2.2.1). Die These der Universalität der Bewegung hat zwei Aspekte: einmal ist sie eine apriorisch synthetische Aussage, daß sich alles immer in Bewegung befinde, und als solche ebensowenig begründbar, wie dies für apriorisch-synthetische Sätze insgesamt zutrifft. Zweitens könnte die Aussage eine durchaus legitime forschungsleitende "metaphysische" Orientierung sein, die besagt, daß man bei aller vorfindbaren Starrheit der Verhältnisse und scheinbaren Universalität von Regelmäßigkeiten immer nach versteckt vorliegenden (latenten) Wandlungsprozessen und der vielleicht bloß historisch relativen Existenz von Randbedingungen von (universalen) Gesetzen suchen soll. Dann wäre die Dialektik ()  ein methodologisches Programm (etwa im LAKATOS-Sinn) und müßte sich gegen andere Programme hinsichtlich seiner theoretisch-empirischen Fruchtbarkeit behaupten.
        Als eine solche forschungsleitende Empfehlung im Entdeckungszusammenhang kann gegen die These daher nichts eingewandt werden: nur: sie wird dadurch noch keineswegs auch empirisch begründet. Da aber die Dialektik ()  auf der Universalität der Bewegung als empirischen Tatbestand apriorisch besteht, gelten gegen diese These alle Vorbehalte, die gegen die Rechtfertigung synthetischer Urteile apriori vorzubringen sind.
        Die Beurteilung des Konzepts des dialektischen Widerspruchs () erfordert einige Differenzierungen: es lassen sich (mindestens) vier unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs ausmachen (vgl. HELBERGER 1974, 122ff.) SCHNEIDER 1971, 673ff.). Der echte logische Widerspruch () (die logische Kontradiktion), der scheinbare logische Widerspruch () (z.B. in Form von unklarer Sprechweise), empirisch vorfindbare Konflikte (z.B. Klassenantagonismen) und "reale Entwicklungsgesetze" (). Hinzu tritt [>226] eine besonders gern benutzte Form des "Widerspruchs": die Latenz von Konflikten bei aktueller Konfliktlosigkeit ().
        Die Zulassung logischer Widersprüche in einem Aussagesystem wird - wenngleich im HEGELschen System zentral - von Dialelitikern nicht überall geteilt. Der Grund ist einfach: Kontradiktionen in der Wenn-Komponente eines Gesetzes impliziert alles: "ex falso quod libet". Da aber die Dialektik sicherlich auch informationshaltige Aussagen liefern will, distanzieren zieren sich solche Marxisten von einer Zulassung des logischen Widerspruchs () in ihren Aussagen, die Dialektik ()  nicht bloß als Gedankenmusik, Psychotherapie oder Ästhetik verstehen, sondern als eine Regel für wissenschaftliche Arbeit. Dennoch bleiben auch weiterhin Versuche, die logische Widerspruchslosigkeit von Aussagen als eine historisch relative  Notwendigkeit und als Ausdruck repressiver Denkbedingungen zu postulieren. Diese Versuche verkennen dabei aber den ausschließlich formalen Charakter der Logik, der ihre universelle Anwendbarkeit sichert: weil durch die logische Form ' von Aussagen keinerlei inhaltliche Aussage determiniert ist,' kann die logische Form unter allen historischen Bedingungen. in Aussagesysteme eingehen.
        Die anderen begrifflichen Fassungen des "Widerspruchs” erweisen sich als unproblematisch: scheinbare logische Widerspruche () können durch Sprachpräzisierung eliminiert werden (und Dialektik () will ja nicht einfach heißen: Verbalnebel). Konflikte als Realphänomene () und über Konfliktprozesse ablaufende Wandlungen können selbstverständlich mit einheitswissenschaftlichem Vokabular beschrieben werden. Als Konflikt-, Wandlungs- und Revolutionstheorien sind solche Prozesse längst Teile der herkömmlichen Soziologie. Widersprüche als latente Dispositionseigenschaften () von (scheinbar integrierten) Systemen können ebenfalls einheitssprachlich erfaßt werden. Dispositionsbegriffe gehören ja bekanntlich zum Repertoire der analytisch-nomologischen Methodologie. Und der Pro-[>227]zeß des Übergangs aus der Disposition in einen manifesten Zustand ist nichts als ein prinzipiell auch empirisch-nomologisch- logisch beschreibbarer Vorgang. Dispositionsbegriffe und Prozeßverläufe zyklischer, konvergierender oder disruptiver Art sind z.B. mit mathematischen Prozeßmodellen beschreibbar und sämtlich dann empirische Hypothesen (vgl. Teil I.) Es ist nichts Metyphysisches daran, das die Entwicklung einer prinzipiell neuen Aussageferm erforderlich machen würde. Und das dialektische Konzept der "Negation der Negation" () ist ja auch nicht als ein logisches Gesetz gedacht, sondern als ein Entwicklungsgesetz besonderer Art: daß sich in der Höherentwicklung die rationalen Gehalte der Vorstufen jeweils erhalten (vgl. Kap. 2.2.1). Auch dieses wäre dann . lediglich eine empirische Hypothese - die logische Trivialität, daß die Negation der Negation eines Zustandes der Zustand ist, bleibt davon völlig unberührt.
        Schließlich bleibt noch die These der Begründbarkeit einer objektiven, auch in die Zukunft weisenden historischen„Entwicklung, aus der andere Prämissen wie die der Totalität und der Parteilichkeit erst abgeleitet werden können. Mit dem Verfall des Reohtfertigungsdenkens ist eine solche These unhaltbar. Und es gibt kein Verfahren, das eine Moral, eine Klasse, eine Theorie als vor anderen Moralen, Klassen, Theorien auszeichnen könnte. Ziele und Normen sind bekanntlich nicht letztbegründbar, ihre Satzung ist ausschließlich eine Frage der sozialen Prozesse ihrer Durchsetzung. Von daher können auch die Konzepte der Parteilichkeit und der historisch-moralischen Wahrheit von Theorien und Programmen in keinem Fall objektiv begründet werden, man mag über gewisse Dinge noch so sehr entrüstet sein: es gibt keine Norm, die apriori eingesehen” werden kann (vgl. Kap. 2.2.2.3.1).
        In Bezug auf die Theoriekonzeption der Dialektik (DialtheoK) seien wiederum drei Teilbereiche behandelt. Die Wahrheitskriterien für Theorien, das Wertproblem und das Verhältnis von Theorie [>228] und Praxis. Als eine ihrer wichtigsten Eigenarten beansprucht  die Dialektik ()  ein Verfahren zu sein, das die (dem "Positivismus” angeblich unzugängliche) Unterscheidung von "Wesen und Erscheinung” () gestatte. Ganz abgesehen davon, daß die Bedeutung des Begriffs "Wesen" () meist viel zu unspezifisch ' ist, um den Erfolg einer solchen Scheidung am Einzelfall überhaupt entscheiden zu können, impliziert die bloße Unterscheidung von einem wesenhaften Kern der Dinge () und deren bloßer äußerlicher Manifestationsformen bereits Apriorisches - mithin Unhaltbares: Die Dinge tragen kein "Wesen" () fix in sich, sondern das, was als "wesentlich" () gilt, sind fest eingeübte sprachlich-begriffliche Konventionen einer Sprachgemeinschaft, die grundsätzlich beliebig sind (vgl. auch die Kritik an der Phänomenologie, Kap. 2.1.2.1). Hier zeigt sich der begriffsrealistische Kern der Dialektik (DialKern)  am deutlichsten.
        Sollte "Wesen" () aber bloß heißen: die hinter der oberflächlichen Bewegung wirkende Kraft von Universalgesetzen, dann kann Dialektik () getrost als nomologische Wissenschaft betrieben werden: auch diese sucht ja bekanntlich nach immer weitergehender Erklärung der "Varianz” von empirischen Vorgängen  (vgl. Kap. 2,2.1). Für die "Wesenserkenntnis” gelten damit die in den analytischen Theorien zugelassenen Geltungskriterien z.B. einer Kausalanalyse.
        In der Dialektik ()  werden gewöhnlich neben der bloß empirischen Wahrheit von Aussagen noch als Geltungskriterien deren moralische und politische Richtigkeit, die subjektiv-revolutionäre Gewissheit oder die Betroffenheit eines Publikums durch bestimmte Aussagen genannt. Alles dies kann aber den empirischen Wahrheitswert einer Aussage nicht berühren: nur wenn unter "Wahrheit" die praktische Wirkung von Theorie als Aussagesystem verstanden werden soll, kann man sagen, sie,  seien unter diesen Bedingungen "wahr" dieser Weise (psychologisch) wirken, muß natürlich seiner-[>229] seits empirisch wahr sein (und kann z.B. Teil der Kommunikationssoziologie sein).
        Eng mit der These der notwendigen pragmatischen Wirksamkeit für die Geltung von Theorien ist das Wertproblem verbunden. Hier sei noch einmal zusammengefaßt: Natürlich treten Werte auf allen Ebenen der Theoriebildung, -prüfung und -Verwertung auf sie sind Teil der Basis der Methodik selbst und für den Forschungsprozeß als soziale Veranstaltung unvermeidlich. Aus dieser Unvermeidlichkeit sind jedoch zwei dialektische Folgerungen () nicht ableitbar: erstens daß, wenn schon Werte unvermeidlich sind, Wissenschaft sich zu objektiv einsehbaren Zielen zu bekennen haben eine Parteilichkeit ist ja bekanntlich nicht begründbar. Davon unberührt bleibt, daß nicht dennoch das Relevanzproblem diskutiert werden muß es ist nur nicht über eine Rechtfertigung endgültig lösbar. Die zweite Folgerung ist, daß aus der Unvermeidlichkeit von Wertungen der empirische Wahrheitswert von Aussagen durch versteckte Wertungen bestimmt werde und somit deskriptive von normativen Aussagen ununterscheidbar würden. Auch dies ist nicht haltbar: Wertungen sind für den empirischen Wahrheitswert von Aussagen grundsätzlich irrelevant. Auch hier gilt, jedoch die Problematik, daß der Wahrheitswert von Aussagen ja nicht sicher zu ermitteln ist.
        In der dialektischen Fassung von Wertung und Deskription () wird die dritte Besonderheit deutlich: Theorie hat nicht nur informierende, sondern zugleich verändernde Funktionen und muß in den Dienst der dialektischen Bewegung gestellt werden. Hierzu kann auf das verwiesen werden, was gegen HOLZKAMP und die Aktionsforschung vorzubringen ist: Einerseits verläuft eine rationale Praxis immer nach dem H-O-Schema. Und wenn das so ist, dann wird es zur Zweckmäßigkeitsfrage, ob die Vermischung von Wissensgewinnung und Wissensanwendung in der "Einheit von Theorie und Praxis" den gewünschten Erfolg hat. Wenn Dialektik vor allem an der aktiven Veränderung interes-[>230] siert ist, muß sie das beste Verfahren dazu wählen. Eine Praxis nach dem H-O-Schema könnte dies sein.
    Die dialektische Auffassung von Gesetzen () ist schließlich auch kurz kritisierbar, Dialektik ()  wendet sich gegen alle  Versuche der Formulierung universaler Gesetze, weil prinzipiell alles veränderlich sei. Und die Darstellung von in Wirklichkeit raum-zeitlich gebundenen Gesetzen sei nichts als die [ideologische) Festschreibung und Legitimierung der bestehenden Verhältnisse. Dazu ist einerseits zu sagen, daß die bloße Formulierung von Gesetzen noch keine Zustände selbst generiert. Dies kann selbstverständlich über die Mitteilung von Gesetzen an ein Publikum erfolgen, aber dies wäre Teil einer empirischen Theorie etwa über "selbsterfüllende Prophezeiungen". Keinesfalls kann die Stabilisierungswirkung von als universal gültig benannten Gesetzen apriorisch behauptet werden. Andererseits ist erneut hinzuweisen, daß die bloß raum-zeitliche Existenz von gewissen Randbedingungen nichts mit der Aufhebung universaler Gesetze zu tun hat I (vgl. vor allem Kap. 2.1.3.2 und 2.1.4.2).
        Es zeigt sich damit, daß die Dialektik ()  in ihren wichtigsten Grundthesen entweder empirische Vermutungen als apriorisch gültig unterstellt, nicht begründbare Versuche der Rechtfertigung von Zielzuständen unternimmt oder logisch unzulässige Annahmen macht. Damit entfällt auch nach Prüfung dieses ) Ansatzes jede Veranlassung, verschiedene Typen von Wissenschaften zu entwerfen, da es für das Ziel: "Erkenntnis der Realität” einen immer wieder aufscheinenden methodologischen Kern gibt: das einheitswissenschaftliche Konzept der analytischen Wissenschaftstheorie. Dennoch sei nicht verschwiegen,’ daß die Dialektik ()  in die einheitswissenschaftliche Methodendiskussion einige für die Sozialwissenschaft eminent bedeutsame Probleme eingebracht hat: Das Subjekt-Objekt-Verhältnis, die Idee der Totalität und die Frage nach der Relevanz von Wissenschaft als soziale Veranstaltung. [>231]
        In der Problematisierung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses hat die Dialektik ()  daran erinnert, daß Sozialwissenschaft als Wissenschaft Teil ihres Gegenstandsbereichs selbst ist, latente und manifeste Folgen für den Objektbereich hat, daß es sich bei den Objekten um Menschen handelt, die über die Theorien über sie reflektieren können, und daß Teile der von der Sozialwissenschaft untersuchten Realität die Folge von intentionalem Handeln und nicht Ergebnis einer "blinden Kausalität”ist. Alles dies hat sich auch in der analytischen Wissenschaftstheorie niedergeschlagen: in der Reaktivitäts-Problematik, bei der Analyse von sozialwissenschaftlichen Prognoseproblemen, bei Fragen der symbolischen Vermittlung äußerer Handlungsabläufe, in der Wissens- und Wissenschafts-Soziologie^21. Die Dialektik ()  hat hierzu wichtige Anregungen gegeben, eine eigene Methode wird sie dadurch jedoch nicht.
        Die Betonung der Beachtung von "Totalität” durch die Dialektik ()  könnte zwar einerseits als [unhaltbarer) Verweis auf die Existenz von gewissen Emergenzen verstanden und mit der Kritik am "Holismus” (vgl. Kap. 2.1.3.2) abgetan werden, andererseits meint aber der dialektische Begriff der Totalität () mehr: Die immer notwendige Erweiterung des theoretischen Rahmen über den jeweiligen Spezialaspekt eines isolierten Problems auf eine sehr allgemeine Theorie, die historischgenetische Verlängerung der Erklärung von Ereignissen und der Überprüfung von Theorien und die Analyse latenter Funktionen, nichtintendierter Folgen und evolutionärer Abläufe (vgl. von den BERGHE 1967, OPP 1973, 118f.). So gesehen muß man die Forderung der Beachtung von "Totalität" als unerläßlichen Bestandteil einer an Wissenszuwachs interessierten Theorie werten.
        Die Forderung nach Parteilichkeit kann schließlich auch umgedeutet werden als Forderung nach Wiederaufnahme der Relevanzdiskussion, die sich angesichts der (ständig mehr) nicht-partialisierbaren und nicht-reversiblen Folgen des Subsystems [>232] Wissenschaft in komplexen Gesellschaften wieder dringender stellt. Freilich ist diese Frage nicht mehr im Sinne einer, Rechtfertigung lösbar. Das unterdessen gewonnene Wissen um die Beziehung zwischen menschlichen Bedürfnissen und den gesellschaftlichen Bedingungen einer humanen Welt läßt es aber möglicherweise zu, diese Frage rationaler und ohne bloße Deklamationen zu diskutieren. Die einseitige Abspaltung der Relevanzfrage - und sei es aus Gründen der vermuteten sozialen Bedingungen des Wissenszuwachses (wie bei POPPER) - kann jedenfalls nicht mehr ohne weiteres hingenommen werden. Dies sollte die Diskussion um die Proliferation von Theorieprogrammen, um das Paradigma-Konzept und die Wertbasis gelehrt haben; weil bei expliziter Offenlassung der Relevanzfrage privatisierte Relevanzen forschungsleitend werden und sich als Folge die bekannte Aufsplitterung und  Fruchtlosigkeit der sozialwissenschaftlichen Forschung einstellt, wie. sie z.B. HOLZKAMP zu Recht beklagt. Innerhalb dieses "Paradigmas” einer konventionellen Wertbasis wäre natürlich Kritik auf allen Ebenen, mit unterschiedlichen Graden der Verfestigung der Konventionen gefordert, damit die Relevanzsetzung nicht in Dogmatismus mündet. Dies ist doch alles keine irgendwie rechtfertigbare Forderung, sondern Dezision aufgrund des gesetzten Interesses nach Humanisierung   und nach Maßgabe des bisherigen empirischen Wissens bezüglich der Zusammenhänge von Wertrelevanz und Wissenschaftsentwicklung. Dieses Wissen und diese Empfehlung war dabei indessen genauso fallibel wie z.B. POPPERs Forderung nach Kritik als Organon des Wissenschaftsfortschritts. Soziologische und sozialpsychologische Theorie informiert je“ doch deutlich darüber, daß POPPERs Lösung wahrscheinlich nicht sehr geeignet ist, die Welt mit objektiven Ideen anzureichern. Das Ziel - Wissensfortschritt ohne Gewißheit - . bleibt das gleiche; nur die sozialen Veranstaltungen verändern sich und müssen ständig veränderbar bleiben, je nach dem Entwicklungsstand der Wissenschaften über die Wissenschaft. Und das heutige empirische Wissen um die Bedingungen [>233] der Humanisierung der Welt umschließt vor allem auch die Kenntnis um die Aspekte der Unterdrückung der Bedürfnisse von Individuen durch die Verweigerung der Entfaltung von Lebenschancen. Das theoretisch-empirische Potential der Gesellschaftstheorie von MARX ist dabei unhintergehbar. Eine bloß auf Systemerhalt gerichtete Theorie wird hier unzureichend sein, weil das Individuum den Systembedürfnissen untergeordnet bleibt. Dies ist andererseits aber auch der Hinweis darauf, daß nicht das Primat der weiteren Ausdifferenzierung von Sozialsystemen die Wertbasis für die - im gesetzten Interesse der Emanzipation betriebene - einheitswissenschaftliche Sozialwissenschaft sein kann, sondern das Primat der Auflösung bloß apathischer Loyalität zur Gesellschaft. Faktische Demokratisierung und Wissenschaftsfortschritt über eine einheitswissenschaftliche Methodologie schließen einander - anders als gewisse Propheten der reinen Kritik glauben machen wollen - keineswegs aus."
     





    Literatur (Auswahl) > Hauptseite.
    • Erdei, Laszlo (1972) Gegensatz und Widerspruch in der Logik. Budapest: Akademiai Kiado.
    • Esser, Hartmut; Klenovits, Klaus; Zehnpfennig, Helmut (1977) "Zur methodologischen Beurteilung der Dialektik". In (224-232). Wissenschaftstheorie 2 Funktionalanalyse und hermeneutisch-dialektische Ansätze. Stuttgart: Teubner Studienskripten.
    • Popper, Karl (1970) Was ist Dialektik. In (261-290) Topitsch, Ernst (1970, Hrsg.) Logik der Sozialwissenschaften. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
    • Simon-Schaefer, Roland (1973) Dialektik Kritik eines Wortgebrauchs. Stuttgart: Fromanns.
    • Topitsch, Ernst (1970, Hrsg.) Logik der Sozialwissenschaften. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
    • Wetter, Gustav A. (1963) Dialektischer und historischer Materialismus. Frankfurt aM: Fischer




    Links (Auswahl: beachte)
     



    Glossar, Anmerkungen und Fußnoten  > Eigener wissenschaftlicher Standort. > Eigener weltanschaulicher Standort.
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Querverweise
    Standort: Kritik der Dialektik. Materialien
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     Überblick Arbeiten zur Theorie, Definitionslehre, Methodologie, Meßproblematik, Statistik und Wissenschaftstheorie besonders in Psychologie, Psychotherapie und Psychotherapieforschung.
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    Zitierung
    Sponsel, R.  (DAS). Kritik der Dialektik. Materialien zu Begriffsanalyse und Untersuchungen zur Dialektik. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen:  https://www.sgipt.org/wisms/sprache/BegrAna/Dialektik/BA_DialKrit.htm
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