Weltkrieg der Währungen
Wie Euro, Gold und Yuan um das Erbe des Dollar kämpfen
präsentiert von Rudolf Sponsel, Erlangen
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Vorwort. 1
Einleitung: Welt krieg der Währungen 11
Teil I: Auf- und Abstieg des Dollar
19
Ein unverwüstlicher Truthahn. 21
1. Bescheidene Anfänge 24
Blick zurück in Angst Helikopter-Ben Im Anfang war die Inflation
Gold oder Silber? Ein Rechenunfall macht Geschichte Netzwerk Britannia
Greenback schlägt Greyback Das »Verbrechen von 1873«
Wahlkampf ums weiße Metall
2. Die Geburt einer unerwarteten Weltwährung. 41
Die Schwäche der anderen Der größte Gläubiger
der Welt Dollarsonne über Europa Das Ende einer Ära Eine
besondere Beziehung Vom Goldstandard zum Währungskrieg
3. Der Dollar auf dem Zenit seiner Macht. 52
Ein kleiner Ort in Neuengland Auftritt Keynes Das unerreichte Ideal
Ein tragischer Held Bedenkenträger Triffin Die Ruhe von Bretton
Woods Transatlantische Fragezeichen
4. Anfechtungen und Bewährungen. 67
Vietnam: ein Dollar-Debakel Fort Knox droht auszubluten De Gaulles
Angriff Die wichtigste Bastion fällt Der Tod von Bretton Woods
Papier Stagflation Paul Volcker rettet die Weltwährung
5. Dollar-Dämmerung 82
Dämonische Dollars Die dunkle Seite Greenback-Recycling
Ein Menetekel namens LTCM Greenspan das Gesicht einer Ära
Was bleibt vom Dollar? Ungewisse Zukunft Reservestatus in Gefahr
Teil II: Der Kampf um das Erbe des Dollar 101
1. Der Yuan Chinas gefesselter Koloss 103
Der gefesselte Koloss 103
Pekings Angst vor den Spekulanten Der Albtraum der Kader Ökonomische
Supermacht
Währung als Waffe 112
Spiel auf Zeit Heimliches Vorbild Japan Die finanzielle Atombombe
Eine neue Sues-Krise? Planspiel Währungskrieg
Der Aufstieg des Yuan zur Weltwährung 131
Schattenseiten Chinas Schulden Stellare Ambitionen Weltfinanzzentrum
Schanghai Das Drehbuch zur Dominanz
Was schiefgehen könnte 144
Ein neuer Protektionismus Die Superblase Heisei der groteske
Boom 123 Billionen Dollar
2. Der Euro starker Schwächling und labiler Kraftprotz. 154
Die vielen Anläufe zur Währungsunion 155
Die starke Währung Europas Deutsche Traditionen Das wahre
Wunder Die Bundesbank Stabilitätskultur Frühe Visionen
Werner-Plan Die schwierigen Siebzigerjahre
Europäischer Dauerdualismus. 172
Erbfreundschaft Die Domestizierung Deutschlands Der Wehrmachtsoffizier
und der Résistance-Kämpfer Franc fort und Frankfurt
Glücksgewinne Gelungene Generalprobe wirklich?
Wiedervereinigung und Währungsvereinigung. 186
Der Mann, der ein Land einte und eine Währung zu Grabe trug
Schlag gegen die Bundesbank Pariser Währungsneid Nachruf
auf die D-Mark Würdiger Erbe gesucht Die Schlacht um das
Pfund Die schöne Mär von der Konvergenz Kriterien und
Kritik
Mahner und Zweifler
Schön- und Schlechtwetterjahre 207
Holprige Anfänge Griechische Paradoxien Beben in Konvergenzistan
Das Drama nimmt seinen Lauf Moralisches Risiko Vergemeinschaftet
Blackbox Brüssel Vorsicht, Ansteckung!
Die Vergangenheit holt den Euro ein 224
Showdown im Mai Die Furcht vor dem Kollaps Rendezvous mit der Geschichte
Die Konversion der »Madame Non« Der Crash der
EZB Kampf den Spekulanten Fiskalunion Deutsche Diät für
Europa? Ein Schuft namens Target Euro, Teuro, Steuro
3. Gold das quicklebendige Währungsfossil 247
Die überraschende Wiederentdeckung des gelben Metalls
247
Der Brown-Indikator Abschied vom Gold Ein schwarzer Schwan Krügerrand
statt T-Aktie Der Anti-Dollar Die Reue der Notenbanken
Perspektiven für einen neuen Goldstandard. 262
Metall des Vertrauens Der Ebenezer Scrooge der Währungswelt
Glänzender Staatsfeind The Day After Der private Goldstandard
Teil III: Die neue Welt ordnung der Währungen 277
1. Demarkationslinien des 21. Jahrhunderts
279
Chinas Chance Der ruhende Pol Die Krise des Westens Schicksal
Demografie Ein schlechtes Geschäft Sozialstaat und Papiergeld
Flucht aus dem Experiment Währungskriegsreporter
2. Reflexionen über Europa und sein Geld 291
Transferunion oder süßes Gift Wirtschaftsregierung, aber
wer regiert? Währungsputsch in Griechenland Rückkehr
der D-Mark Monetärer Provinzialismus Stirb und werde: Eurozone
2.0
Danksagung 317
Über den Autor 319
Literatur 321
Fussnoten 327
Register 330
"Ein unverwüstlicher Truthahn
Der Dollar erinnert in diesem Jahrzehnt an den Film »Stirb langsam«.
Er ist, ebenso wie John McClane (der von Bruce Willis verkörperte
Kinoheld), ein echter Überlebenskünstler. Selbst in aussichtsloser
Lage, nach lauter Tiefschlägen, rappelt er sich auf und zeigt allen,
was eine Harke ist.
Voller Überraschungen und Wendungen wie ein Hollywood-Streifen stellt sich auch die Geschichte des Dollar in den vergangenen Jahren dar: 2008 schien der Greenback auf eine schiefe Ebene geraten, allenthalben ertönte bald lauter, bald leiser der Ruf, ihn als Leitwährung abzulösen. Eine Alternative zum US-basierten Währungssystem muss her, das war fast Konsens unter den Regierungen der Welt. Die Dollar-Ordnung schien vor dem sicheren Kollaps.
Niemand zerbrach sich so sehr den Kopf darüber wie China, der größte Halter von Devisenreserven. Würde es seinen Berg von Dollar-Papieren nicht rechtzeitig abbauen, könnte es sich unversehens als Besitzer einer gigantischen monetären Sondermüll-Deponie wiederfinden. Aber nicht nur Peking, auch andere Investoren waren in der Verlegenheit, einen Plan B zu finden, um das ersparte oder ihnen zur Verwaltung übertragene Vermögen zu erhalten.
Der Fall des Hauses Lehman im Herbst 2008 schien die letzte Phase der Dollar-Dämmerung einzuläuten. Zwar folgte der größten Bankpleite der Wall-Street-Historie zunächst eine Stärkung der US-Währung, ausgelöst durch die Flucht des Geldes in den sicheren Anlage-Hafen Amerika. Doch schon kurz darauf schien das Bröckeln des Dollar-Systems weiterzugehen. Das war nur konsequent, schließlich hatte die Krise von den USA ihren Ausgang genommen.
Teil I: Auf- und Abstieg des Dollar [22]
Es kam anders. Alle Schwanengesänge auf die Weltwährung erwiesen
sich als verfrüht. Und das hat zum Großteil mit dem Wackeln
der zweiten wichtigen Devise auf dem Planeten zu tun, mit dem Euro. Die
strauchelnde Gemeinschaftswährung trieb viele Anleger wieder zurück
in den Greenback. Dessen 35 Billionen Dollar schwerer Anleihen-Markt, der
größte der Welt, fungierte und fungiert wie ein Schutzbunker
für jede Art von Geld auf der Flucht.
Der Dollar lebt, ja er scheint unverwundbar. Heute ist das amerikanische Geld kaum weniger als vor zehn, vor 20 oder vor 50 Jahren die »indispensable currency«, die unverzichtbare Währung. Das ist der Zustand der Welt im Jahr 2012.
Doch während der Dollar kurzfristig unersetzlich zu sein scheint, hat sich an der Diagnose seines Gesundheitszustands nichts geändert: Er ist eine schwer kranke Währung, vergiftet durch Myriaden von privaten und staatlichen Schulden, die nie zurückgezahlt werden können zumindest nie in hartem Geld. Die Prognose für den Dollar sieht düster aus, und damit auch die Prognose für das monetäre Weltsystem.
Vielleicht sieht die Zukunft der US-Devise so aus wie die jenes unglücklichen Truthahns in Nassim Talebs Buch »Der Schwarze Schwan«. Stellt man die Gewichtsentwicklung des Tiers ab dem Zeitpunkt des Schlüpfens aus dem Ei fein säuberlich als Linie in einer Grafik dar, zeigt die Kurve immer nur nach oben, bis zu jenem Tag Erntedank nämlich , an dem sie senkrecht abfällt. Auf null.
So kann es auch dem Dollar ergehen. Seine Erfolgsgeschichte ist bis heute ungebrochen. Doch die annähernd 56 Billionen Schulden von Regierung, Unternehmen und Haushalten lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass diese Währung von innen zerfällt. Zusammen mit Amerikas negativer Handelsbilanz, seiner prekären Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern und dem seit Jahrzehnten schwindenden ökonomischen Gewicht des Landes macht das alles den Dollar zu einem brüchigen Fundament. [23]
Als Währungsanker hat der Dollar keine Zukunft. Das 21. Jahrhundert wird anders als das 20. Jahrhundert keine Ära des Greenback. Einhundert Jahre nach seinem Aufgang als Zentralgestirn der Devisenwelt steht die Dollar-Dämmerung bevor. Sowenig sich der Zeitpunkt vorhersagen lässt, das Ende kann schnell kommen. Noch 1914 war das Pfund Sterling als Leitwährung unangefochten, danach reichten elf Jahre und es war aus dem Zentrum verstoßen.
Steht dem Dollar eine ähnliche Katastrophe bevor, wird er schonMitte des nächsten Jahrzehnts degradiert sein. Doch unterschätzen wir nicht die Fähigkeit der USA, den Dollar mit neuem Leben zu füllen? Schließlich zieht die Supermacht einen großen Vorteil aus ihrer Superwährung, einen Wohlstandsgewinn, den der Ökonom Barry Eichengreen, ein weltweit anerkannter Experte für Devisen-Systeme, auf fast eine halbe Billion im Jahr beziffert hat. In der Geschichte hat sich Amerika als beeindruckend anpassungsfähig erwiesen. Der Niedergang des Dollar ist untrennbar verbunden mit dem Aufstieg seiner Rivalen. Zerstören jedoch können ihn nur die USA selbst. Doch eine Währung in schweren Zeiten stabil zu halten, erfordert Opfer (wovon die Europäer ein Lied singen können). Die Frage ist daher: Inwieweit sind die Amerikaner bereit, wie John McClane, für ihre Währung Härten zu ertragen? Den Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage finden wir in der Geschichte. [24]
1. Bescheidene Anfänge
Blick zurück in Angst
Jede Nation hat ihr wirtschaftliches Trauma. Für die Deutschen ist es die doppelte Geldentwertung einmal nach dem Ersten und dann noch mal nach dem Zweiten Weltkrieg. Das amerikanische Trauma hingegen ist nicht die Geldentwertung, obwohl die Geschichte der Vereinigten Staaten einige Beispiele hierfür kennt, sondern die Weltwirtschaftskrise. Die »Große Depression «, wie sie jenseits des Atlantiks genannt wird, war die bisher größte Erschütterung des amerikanischen Traums überhaupt. Die Industrieproduktion ging um fast 50 Prozent zurück, ein Viertel aller Männer war ohne Arbeit.3 Erst 25 Jahre später sollte der Leitindex und Wohlstandsgradmesser Dow Jones den Stand vor dem Absturz wieder erreichen. Und ohne den für Amerika äußerst konjunkturanregenden Effekt des Zweiten Weltkriegs hätte die wirtschaftliche Erholung noch viel länger auf sich warten lassen. In zahlreichen Büchern und Filmen haderte Amerika noch Jahrzehnte später mit der Großen Depression, obwohl es unterdessen längst seine Rolle als »Führungsmacht der freien Welt« gefunden hatte.
Die Traumata von Nationen bestimmen ihr Tun und Lassen. So erklärt sich auch der Krieg, den die amerikanische Regierung und Notenbank seit 2008 gegen die Krise führen. Ein rigider Sparkurs, wie ihn Deutschland und einige andere Länder der Europäischen Union nun praktizieren, ist in den USA nicht mehrheitsfähig, ja politisch nahezu undenkbar eben wegen der Erfahrungen der Großen Depression.
Die politische Elite der USA ist davon überzeugt, dass fiskalische
und monetäre Restriktionen nach dem Crash von 1929 den Abschwung verschärf-[25]ten.
Erst die übertriebene haushälterische Disziplin der Zeitgenossen
habe die Rezession in jene ökonomische Katastrophe umschlagen lassen,
die die Lebenschancen einer ganzen Generation vernichtete.
I
n den kommenden Jahren werden die USA, ähnlich wie heute Europa
und Großbritannien, vor der Wahl stehen, den Staatshaushalt zu sanieren
und damit eine Deflation zu riskieren oder sich der Schuldenlast auf andere
Weise zu entledigen: Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte
deutet vieles darauf hin, dass Washington klar auf die Inflationskarte
setzen wird. Allein das Wort Deflation weckt in den USA grausige Erinnerungen
an die Große Depression und ist den Amerikanern daher ein Gräuel.
Bereits jetzt ist die Unabhängigkeit der US-Notenbank »Federal Reserve« stark eingeschränkt. Dieses Schicksal teilt die Fed mit der Europäischen Zentralbank, der Bank of England und der Bank of Japan. Auch die Währungshüter der anderen Industrieländer sehen sich seit der Finanzkrise erhöhtem Druck ausgesetzt, die »stimulierende« Regierungspolitik zu unterstützen, indem sie die Geldschleusen öffnen. Wegen der historischen Prägung ist jedoch die Neigung, den Geldwert zu vermindern und die Schulden »leichter« zu machen, für die USA besonders groß. Und niemand verkörpert die Deflationsangst der Amerikaner besser als der Chef ihrer Notenbank: Ben Bernanke.
Helikopter-Ben
Schon Jahre, bevor er 2006 Fed-Vorsitzender wurde, warnte Ben Bernanke eindringlich vor der Gefahr, dass die US-Wirtschaft in eine deflationäre Kältestarre fallen könnte. Der Ausbruch der Finanzkrise lag noch eine halbe Dekade in der Zukunft, da formulierte er in einer programmatischen Rede (mit der er sich nach Einschätzung vieler Beobachter für seinen jetzigen Job qualifizierte) eine radikale Gegenstrategie: Wenn alles andere nicht mehr helfe, müsse die Fed zur Not Dollarscheine aus Helikoptern regnen [26] lassen oder zumindest das Äquivalent davon tun: nämlich Staatsausgaben mit frisch gedrucktem Notenbank-Geld finanzieren.4 Dieser Dollar-Regen werde einer möglichen Geldknappheit in Amerika ein Ende bereiten, werde die Deflationsgefahr bannen.
Die unter Bernankes Ägide inzwischen beschlossenen Maßnahmen von der Senkung des Leitzinses auf nahe null über den Staatsanleihen-Kauf bis hin zur Bilanzverlängerung der Fed kommen dem Abwerfen von Dollarnoten aus Helikoptern schon recht nah. Dennoch rutschen die USA offenbar weiter der deflationären Eiszeit entgegen. Im Sommer 2010 lag die Preissteigerung, gemessen an der Kernrate (also ohne die volatilen Preise für Lebensmittel und Energie), eine Zeit lang gefährlich nah an der Grenze zur Deflation.
Warum funktionierte die Strategie nicht? Um im Bild zu bleiben: Bernanke kann zwar säckeweise Geld drucken lassen, aber wenn die Helikopter wegen eines Pilotenstreiks oder wegen technischer Defekte nicht abheben, hilft das wenig. In einem solchen Fall ist jeder Versuch, die Preise künstlich nach oben zu bringen, zum Scheitern verurteilt. Die Hubschrauber, die »Helikopter-Ben« braucht, sind die großen Kreditinstitute, die ihren Namen nicht umsonst tragen, vielmehr wesentlichen Anteil an der Geldschöpfung haben. Bernankes Hubschrauber sind vollgepackt mit Dollar-Säcken, doch die Piloten weigern sich zu starten oder können es nicht, weil die Rotoren defekt sind.
Da das Amerika des neuen Jahrzehnts immer mehr dem Japan der verlorenen Dekade ähnelt, ist damit zu rechnen, dass Bernanke und die Seinen bald eine neue Stufe im Kampf gegen die Deflation ausrufen werden. Dann sind von der Fed noch unkonventionellere Maßnahmen zu erwarten: Es ist dann nicht ausgeschlossen, dass die amerikanische Notenbank den Weg der deutschen Reichsbank in den frühen Zwanzigerjahren geht und die staatlichen Defizite direkt über die Notenpresse finanziert. Es ist ein Weg, der direkt in eine starke Inflation oder gar Hyperinflation führen könnte. Und es [27] ist ein Weg, der den Dollar als Weltleitwährung von innen heraus aushöhlen würde. Es wäre nicht das erste Mal. Die Geschichte zeigt, dass die größten Bedrohungen für die amerikanische Währung aus der Mitte der amerikanischen Gesellschaft kamen. Die USA waren von Beginn an ein monetär tief gespaltenes Land.
Im Anfang war die Inflation
Die Geschichte des amerikanischen Geldes beginnt mit einer großen Inflation. Die erste originäre Währung der Vereinigten Staaten hieß nicht Dollar, sondern »Continental«. Als Keimzelle der unabhängigen amerikanischen Nation gab der neu gegründete Kontinentalkongress in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren des 18. Jahrhunderts Papiergeld auf seinen Namen heraus, um den Kampf gegen die britische Kolonialmacht zu finanzieren.
Als die Kosten des Unabhängigkeitskrieges stiegen, verfiel der Kongress darauf, immer mehr Continentals in Umlauf zu bringen. Dem Mehr an Scheinen stand kein Mehr an Vermögenswerten gegenüber. Ein inflationärer Prozess kam in Gang, der durchaus mit der späteren Kriegsfinanzierung des Deutschen Reiches durch die Notenpresse nach 1914 vergleichbar ist. Am Ende war der Wert des Continental auf ein Minimum seines ursprünglichen Wertes abgesunken. Statt Geld hielten die Bürger der Vereinigten Staaten wertloses Papier in den Händen. Diese Erfahrung ging sogar in den Sprachschatz der Amerikaner ein, die man noch heute sagen hört: »Its not worth a Continental«5, wenn sie meinen, etwas sei »keinen Pfifferling wert«. Das Fiasko des Continental pflanzte den US-Bürgern im 19. Jahrhundert ein tiefes Misstrauen gegen Papiergeld ein. Jene Immunisierung hatten die Amerikaner fortan mit den Franzosen gemein, die mit den wertlos gewordenen Assignaten der Revolutionszeit ähnlich leidvolle Erfahrungen gemacht hatten.
Nach dem siegreichen Krieg um die Unabhängigkeit gegen die Briten und dem verlorenen Kampf um den Wert des Continental lag für die Amerikaner zweierlei auf der Hand: Das Geld der neuen Nation würde durch Edelmetall oder einen anderen Sachwert gedeckt sein müssen. Außerdem würde es [28] nicht auf dem Britischen Pfund, der Währung der früheren Kolonialherren, basieren: Das wäre ohnehin schwierig geworden, da London die Prägung von Münzen in Übersee untersagt hatte. Doch die einfallsreichen Amerikaner fanden einen Weg.
Der Trick war, schlicht jene Währung zu übernehmen, die im
Westatlantik zur vorherrschenden Handelswährung geworden war: den
spanischen Silberdollar. Ehe sich die Amerikaner daranmachten, eigene Stücke
zu prägen, verwendeten sie einfach die im Umlauf befindlichen Münzen
der Spanier.
Die jungen Vereinigten Staaten von Amerika nahmen ein fremdes Geld
als Landeswährung, ähnlich wie in unserer Zeit zum Beispiel Ecuador
den Dollar nutzt oder der Kosovo den Euro; erstaunlich reibungslos übrigens.
An dieser Episode lässt sich die zentrale Funktion des Geldes schön
ablesen: Geld ist das ultimative Tauschmittel. Grundsätzlich eignet
sich dazu alles, was von einer genügend großen Zahl von Menschen
als wertvoll anerkannt wird. In der Praxis muss es zudem haltbar, transportierbar
und möglichst gut teilbar sein. Es ist kein Zufall, dass fast alle
Kulturen auf Edelmetall als Basis ihres bevorzugten Tauschmittels verfielen.
Amerikas erste Münzen kamen zwar nicht aus England, vermutlich aber das Wort »Dollar«. So nannten Londoner Geldhändler im 18. Jahrhundert die spanischen Silbermünzen, deren Aussehen sie an jene Taler erinnerte, die im böhmischen Joachimsthal geprägt wurden.6 Die deutsche Bezeichnung »Joachimsthaler« wurde auf ausländischen Zungen dann zu »Dollar«. So ist die US-Währung also zumindest etymologisch deutscher Abstammung.
Nach den Erfahrungen des Unabhängigkeitskriegs stand fest, dass die neue Währung der jungen United States of America ein Edelmetall-Geld sein würde. Nicht entschieden war jedoch die Frage: Gold oder Silber? Welches der beiden zur Verfügung stehenden Metalle würde nicht nur den Wert des Geldes gewährleisten, sondern auch in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, um Wirtschaftswachstum zu erlauben? Mit dem Rückgriff auf den spanischen Silberdollar war die Frage nur vorläufig beantwortet. In der wil[29]den Zeit der Pioniere erlaubten die Vereinigten Staaten das Zahlen mit Silber oder Gold, die in einem festgelegten Wertverhältnis zueinanderstanden.
Der Dollar war durch ein bestimmtes Gewichtsverhältnis zu beiden Edelmetallen definiert, die Prägung bestätigte im Grunde nur den Feingehalt der Münze. Dieses Verhältnis konnte schwanken. Jeder konnte das Metall zur Münze bringen und sich ausprägen lassen. Zusätzlich zu dem metallischen Geld kursierte eine Vielzahl von Banknoten, im ursprünglichen Wortsinn Bestätigungen von Banken über einen in Form von Edelmetall hinterlegten Wert.
Gold oder Silber?
Beide Edelmetalle waren eine Zeit lang parallel im Umlauf, wobei manchmal die Silbermünzen und manchmal die Goldmünzen den Gebrauch dominierten. Bestimmt wurde das Wechselspiel der beiden Metalle durch neue Funde, die bald das Angebot des Goldes, bald die des Silbers ausweiteten, wie auch durch die gelegentliche Neufestsetzung des Umtauschverhältnisses. Im Jahr 1837 wurde ein Golddollar als 23,22 Gran Gold definiert, ein Silberdollar als 371,25 Gran Silber, wobei ein Gran oder »grain« 0,0648 Gramm entspricht. So ergab sich zwischen beiden Metallen ein Wertverhältnis von 15,988 zu 1.7 Da die beiden Metalle aber am freien Markt in einem Verhältnis von 15,5 zu 1 gehandelt wurden, war der Rohstoff Silber wertvoller als die Silber-Währung. Das führte ab den späten Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts dazu, dass sich für Zahlungszwecke verstärkt die Goldmünzen durchsetzten.
Dennoch sollte die Streitfrage, ob Gold oder Silber oder eine Kombination der beiden, in den nächsten Dekaden die amerikanische Politik weit über die Sphäre der Geld- und Finanzpolitiker hinaus bestimmen. Die Diskussion war ein Vorgeschmack auf das große Dilemma des folgenden Jahrhunderts: dass nämlich die Landeswährung der USA ein Spielball Washingtoner Machtcliquen und innenpolitischer Interessengruppen ist, [30] umkämpft von Deflationisten und Inflationisten. Was im 19. Jahrhundert noch ein regionales amerikanisches Problem war, sollte im 20. und 21. Jahrhundert ernst zu nehmende globale Verzerrungen nach sich ziehen. Wie in so vielem sind wir unfreiwillige Erben der Kämpfe des 19. Jahrhunderts.
Nicht nur in den jungen Vereinigten Staaten, auch international hatte das monetäre System in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch keine feste Form gefunden: Um das Jahr 1800 war Silber das am weitesten verbreitete Währungsmaterial auf dem Planeten.8 In den meisten Staaten der Erde waren Münzen aus dem weißen Metall in Gebrauch, zuweilen ergänzt durch Gold oder Kupfer. Wegen seines höheren Preises und seiner größeren physikalischen Dichte 19,3 Gramm pro Kubikzentimeter hatte Gold den Nachteil, dass Münzen für Alltagstransaktionen häufig zu klein ausfielen. Kupfer brachte das gegenteilige Problem mit sich: Da das rote Metall relativ günstig war und eine Dichte von lediglich 8,9 Gramm pro Kubikzentimeter aufwies, erforderten größere Geldtransaktionen immense Mengen von Kupfermünzen, die teilweise ganze Wagenkolonnen füllten. Silber war mit einer Dichte von 10,5 zwar nur unwesentlich schwerer, qualifizierte sich durch seinen höheren Handelswert aber als Währungsmetall für den seit der Entdeckung Amerikas und der europäischen Kolonisation rasant wachsenden Welthandel.
Noch heute repräsentieren in fast allen Geldsystemen der Welt farblich an Kupfer angelehnte Münzen kleinere Werte, silbern glänzende Stücke dagegen größere. Auch bei den Euro-Münzen repräsentieren die »Roten« niedrigere Werte als die »Weißen«, und bei der D-Mark war es ähnlich. Allerdings bestehen die weißlich schimmernden Stücke längst aus Stahl- oder Nickel-Legierungen. Die letzte deutsche Umlaufmünze aus Edelmetall, der »Silber-Adler« (fünf D-Mark), wurde am 1. August 1975 außer Kurs gesetzt. Für Euro-Gedenkmünzen wurde noch bis 2010 Sterlingsilber mit einem Feingehalt von 92,5 Prozent verwendet, ehe das Metall auch für dieses Schmuckgeld, das nicht für den täglichen Bedarf gedacht ist, zu teuer wurde. [31]
Ein Rechenunfall macht Geschichte
Obwohl es dafür prädestiniert gewesen zu sein schien, das Währungsmetall der Welt zu werden, sollte Silber bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vom Gold aus dem Feld geschlagen werden in Amerika und anderswo. Der Grund für diese überraschende Entwicklung ist in England zu suchen. Der Aufstieg des gelben Metalls begann mit einem Rechenfehler, den niemand Geringeres als der Physiker Isaac Newton beging. Als »Master of the Mint« (Münzmeister) erhielt Newton 1717 den Auftrag, das Wertverhältnis zwischen Gold und Silber neu zu bestimmen. Der Physiker rechnete und legte schließlich fest, dass eine goldene Guinea-Münze exakt 21 silbernen Shilling entsprach und genau zu diesem Kurs zu wechseln sei.9 Damit hatte er den Preis des Goldes im Verhältnis zum Silber jedoch als viel zu hoch angesetzt. Als Folge von Newtons Fehlkalkulation verschwanden im England des 18. Jahrhunderts langsam alle »unterbewerteten« Silbermünzen aus dem Verkehr. Sie wurden weggelegt und gehortet, vielleicht für den Tag, da die Regierung das richtige Wertverhältnis wiederherstellen würde, oder sie wurden schlicht eingeschmolzen. Gleichzeitig versuchte jedermann, die ebenfalls umlaufenden »überteuerten« Goldmünzen so schnell wie möglich weiterzugeben. Dazu verdammt, von niemandem geschätzt zu werden, blieben sie im Umlauf und dominierten ab Mitte des 18. Jahrhunderts entgegen früherem Usus das Geldsystem auf der Insel. Dieser Prozess, dass »schlechtes« Geld »gutes Geld« verdrängt, ist unter Fachleuten als »Greshamsches« Gesetz bekannt. Das Ergebnis war, dass das Bimetallsystem von Gold und Silber in Großbritannien über die Jahre ungeplant zu einem von Goldmünzen dominierten Zahlungsverkehr evolvierte.
Das Vermächtnis des newtonschen Fehlers wäre womöglich eine Fußnote der Geldgeschichte geblieben, hätte sich England nicht aus anderen Gründen zum Mutterland der Industrialisierung entwickelt. Durch seine industrielle Kapazität konnte jenes Land, das durch einen Rechenunfall in den Goldstandard hineingestolpert war, das größte Imperium aller Zeiten errichten. Indem sich das Britische Empire zur Herrin über die Meere und damit zur globalen Macht aufschwang, wurde London zu dem Finanz-[32] und Handelszentrum schlechthin. Für andere Staaten, die sich ihren Anteil am internationalen Handel sichern wollten, lag es nun nahe, selbst zum Goldstandard überzugehen. Teilweise wurde Großbritanniens augenfällige Überlegenheit in einem logischen Zirkelschluss sogar auf dessen gelb glänzende Währung zurückgeführt. So verdankt das Gold seinen Nimbus teilweise dem Zufall.
Die Goldwährung hatte keinen innewohnenden Vorteil gegenüber der Silberwährung. Aber wie 100 Jahre später beim Triumph des Dollar über das Pfund spielte im 19. Jahrhundert der Netzwerk-Effekt eine wichtige Rolle: Es hat einen hohen Reiz, sich an der Währung der größten und wichtigsten und am besten »vernetzten« Nation des globalen Systems zu orientieren. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Sieg des Goldes über das Silber als Währungsmetall indessen noch nicht absehbar. Am wenigsten vielleicht in Amerika. Denn gerade hier gab es gute Gründe, am Silber festzuhalten. Und als sich Washington schließlich doch für das goldene Metall entschied, forderte das einen hohen Preis. Der Kampf um das richtige Geld sollte das Land politisch fast zerreißen.
Netzwerk Britannia
Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts beherrschte Großbritannien unangefochten die Wellen und dank seiner Seehoheit einen Großteil des internationalen Handels. Das Reich von Queen Victoria war nicht nur die bedeutendste Kolonialmacht auf dem Planeten mit Besitzungen, die von den Falklandinseln bis nach Hongkong, von Neuseeland bis nach Neufundland reichten, sondern auch die fortschrittlichste Industrienation weit vor dem kolonialen Konkurrenten Frankreich oder dem damals noch über weite Strecken provinziellen Deutschland. Die Vettern auf der anderen Seite des Atlantiks mochten erstaunliche ökonomische Fortschritte machen, waren einstweilen aber noch mit der Eroberung des eigenen Kontinents beschäftigt. Der Lebensstandard im Land von Queen Victoria war höher als anders-[33]wo und das Bankwesen besser organisiert. Dank eines für damalige Verhältnisse riesigen Anleihenmarkts war die City of London der finanzielle Nabel der Welt, und die 1694 gegründete Bank of England damals noch eine private Organisation genoss größten Respekt als Hüterin einer stabilen Währung. Zum Nimbus der britischen Finanzmacht trug bei, dass das Inselreich im 19. Jahrhundert sämtliche in den Napoleonischen Kriegen aufgehäufte Schulden ordnungsgemäß zurückzahlte.
All dies waren Gründe dafür, dass andere Nationen England
und den englischen Goldstandard als Blaupause für ihr eigenes Geldsystem
betrachteten.
Im Jahr 1868 war das gelbe Metall lediglich in Großbritannien
und einigen vom Empire wirtschaftlich abhängigen Territorien Portugal,
Ägypten, Kanada, Chile und Australien die alleinige Grundlage des
Geldwesens.10 Eine Generation später dagegen sah sich nahezu die gesamte
Welt als eine große monetäre Ordnung, deren Basis das gelbe
Metall war. Nur noch China, Persien und eine Handvoll mittelamerikanischer
Länder klammerten sich an den kleinen Bruder des Goldes, das Silber.
Wenn zwischen dem Jahr 1868 und dem Ersten Weltkrieg praktisch alle großen
Staaten vom Silberstandard oder Bimetallstandard zum Goldstandard wechselten,
lag das aber nicht allein am leuchtenden Vorbild der Bank of England. Es
gab noch einen anderen, damit verwandten Grund: die Expansion des Welthandels
unter britischer Vorherrschaft.
Die Zeit vor 1914 sah ein bis dahin beispielloses Wachstum des internationalen
Warenverkehrs. Damit der internationale Austausch von Gütern und Dienstleistungen
effizient funktionierte, war eine internationale Währung gefordert.
Es lag nahe, auf jenes Zahlungsmittel zurückzugreifen, über das
ohnehin schon ein Großteil des überseeischen Handels abgewickelt
wurde: das goldgedeckte Pfund Sterling. Durch die Übernahme des britischen
Modells setzte sich der Goldstandard in Europa und schließlich auch
in Amerika durch. Eine Einheit der Landeswährung wurde durch eine
bestimmte Menge Gold definiert. Da dieses Verhältnis festgelegt war,
ergaben sich daraus über die Landesgrenzen hinweg fixierte Wechselkurse."
"Währungskriegsreporter
Für uns Bürger sind Dollar, Euro und Yuan harmlose Zahlungsmittel. Wir gehen damit einkaufen, bekommen unser Gehalt darin und legen uns etwas fürs Alter zurück. Wir vertrauen auf den Wert des Geldes. Für die große Politik aber haben Währungen eine andere Funktion. Politiker setzen sie im internationalen Spiel um die Macht als Angriffs- oder Verteidigungswaffe ein. Nixon löste in den Siebzigerjahren den Dollar vom Gold, um freie Hand für seine Kriegs- und Sozialpolitik zu haben. Mitterand und Delors zwangen [>290] Europa mit Kohls Unterstützung in den Neunzigern in den Euro, um den Einfluss der Bundesbank zu brechen. Heute sind es die Chinesen, die mit dem Kurs des Yuan aufs Listigste Weltpolitik treiben - nicht selten auf Kosten des eigenen Volkes.
Schlachtschiffe und Flugzeugträger zu besitzen ist auch im 21. Jahrhundert nicht von Nachteil. Aber wer die Macht über die Währungen hat, kann Wohlstand umverteilen, ohne eine einzige Division zu mobilisieren. In diesem Sinn ist Geldpolitik Weltpolitik. Heute mehr denn je.
Mit Wechselkursen oder Währungsunionen werden Schlachten um Macht und Wohlstand gewonnen oder verloren. Die Kämpfe sind zum Glück nicht so blutig wie die mit Panzern oder Bombern, aber sie werden das Gesicht des 21. Jahrhunderts ebenso sehr prägen wie die großen Schlachten des Ersten und des Zweiten Weltkriegs das des 20. Jahrhunderts prägten. Insofern ist es mehr als gerechtfertigt, vom Weltkrieg der Währungen zu sprechen.
So unzugänglich die Welt der Devisen auf den ersten Blick erscheinen mag, so gewaltig sind die Auswirkungen von Wechselkursverschiebungen auf die globale Verteilung von Wohlstand. Chinas Aufstieg zur wirtschaftlichen Supermacht lässt sich nicht verhindern, und das wäre auch nicht wünschenswert. Doch sollte die Öffentlichkeit eine kritischere Beobachterposition zu währungspolitischen Entscheidungen der Pekinger Führung einnehmen. Und auch die problematischen Aktionen der europäischen und amerikanischen Notenbanker sollten im öffentlichen Diskurs künftig weitaus mehr Beachtung finden, als dies bisher der Fall war.
Entscheidungen von welthistorischer Tragweite finden sich nicht immer
auf Seite eins der Zeitungen. Zuweilen verstecken sie sich in kleinen Meldungen
im Finanzteil.
Wenn dieses Buch ein wenig beigetragen hat, den Sinn dafür zu
schärfen, dann hat es seine Aufgabe erfüllt."
Literatur (Auswahl) > Literaturliste Finanzen,
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Buchpräsentation site:www.sgipt.org. |