Erleben und Erlebnis bei Oswald
Külpe
mit einem Exkurs Külpe und der Krieg
Originalrecherche von Rudolf Sponsel, Erlangen
welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...) möglich sein? Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein und etwas, und zwar eins und nicht mehreres, bezeichnen; hat es mehrere Bedeutungen, so muß man erklären, in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..." Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik.
11. Buch, 5 Kap., S. 244
|
Leider verstehen viele Philosophen, Juristen, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler auch nach 2300 Jahren Aristoteles immer noch nicht, wie Wissenschaft elementar funktionieren muss: Wer wichtige Begriffe gebraucht, muss sie beim ersten Gebrauch (Grundregeln Begriffe) klar und verständlich erklären und vor allem auch referenzieren können, sonst bleibt alles Schwall und Rauch (sch^3-Syndrom). Wer über irgendeinen Sachverhalt etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, wie er diesen Sachverhalt begrifflich fasst, auch wenn dies manchmal nicht einfach ist. Wer also über Gewissheit etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, was er unter "Gewissheit" verstehen will. Das ist zwar nicht einfach, aber wenn die Philosophie eine Wissenschaft wäre und und die PhilosophInnen Aristoteles ernst nehmen würden, dann hätten sie das in ihrer 2300jährigen Geschichte längst zustande bringen müssen. Im übrigen sind informative Prädikationen mit Beispielen und Gegenbeispielen immer möglich, wenn keine vollständige oder richtige Definition gelingt (Beispiel Gewissheit und Evidenz). Begriffsbasis Damit werden all die Begriffe bezeichnet, die zum Verständnis oder zur Erklärung eines Begriffes wichtig sind. Bloße Nennungen oder Erwähnungen sind keine Lösung, sondern eröffenen lediglich Begriffsverschiebebahnhöfe. Die Erklärung der Begriffsbasis soll einerseits das Anfangs- problem praktisch-pragmatisch und andererseits das Begriffsverschiebebahnhofsproblem lösen. |
Zum ersten Mal verwendet Külpe Bewusstseinselemente auf S. 20:
"2. Die Einfachheit psychischer Zustände als letzter Elemente
des
Bewusstseins ist nichtals eine räumliche, also als Untheilbarkeit
aufzufassen,
sondern beziehtsich lediglich auf ihre Qualität, ihren Inhalt.
Die einfachen
Seelenvorgänge sind deshalb nicht den Atomen der Physik vergleichbar.
Die einzige Analogie aus derNaturwissenschaft, die zutreffen würde,
wäre
das chemische Element. Wie es für die Natur eines solchen gleichgiltig
ist ob wir 100 oder 1000 Moleküle in ihm enthalten denken, so
ist es für
eine Qualität des Bewusstseins gleichgiltig, wie große Ausdehnung
wir ihr
etwa beilegen. So wie der Chemie das Elementeine der weiteren Analyse
widerstehende bestimmte Stoffart ist, so sind die einfachen Inhalte
der
Psychologiein sich ununterscheidbare Erlebnisse. Die innereWahrnehmung,
eventuell durch das Experiment unterstützt, leistet hier die Analyse.
Wenn
ich an einem Inhalt «grau« keine verschiedenen Nuancen,
sondern eine
ganz gleichmäßige Färbung bemerke, so nenne ich ihn
einen einfachen
Bewusstseinsinhalt. Entsprechend kann ein zusammengesetzter psychi-
scher Zustand nur dadurch sich von einem einfachen unterscheiden, dass
mehrere einfache sich in ihm gesondert wahrnehmen lassen. So ist
bei-
spielsweise ein Accord, ein Zusammenklang mehrerer einfacher Töne,
ein
zusammengesetzter Bewusstseinszustand. Diesen Unterschied machen wir
nach dem Vorgange Wundt's zu einem Haupteintheilungsgrunde der Psycho-
logie. Sie zerfällt für uns also zunächst in zwei Theile,
deren erster von
den Elementen des Bewusstseins, deren zweiter von derVerbindung
der Elemente handelt. Die Zahl der chemischen Elementeist sehr gering,
und es besteht das natürliche Bestreben sie so weit als möglich,
etwa bis
auf ein Urelement, zu reduciren. Die Zahl der qualitativ unterscheidbaren
einfachen Bewusstseinszustände ist sehr groß, und es ist
nicht abzusehen,
wie sie verringert werden soll. Je schärfer wir psychologisch
analysiren,
umso mehr Elemente ergeben sich für die Beobachtung. Endlich lassen
sich vom Bewusstsein als einem Ganzengewisse Eigenthümlichkeiten
seines
Zustandes oder seines Verhaltens aussagen, die sich bei den einfachen,
wie
bei den zusammengesetzten Inhalten beobachten lassen und daher zweck-
mäßig einer besonderen Untersuchung unterworfen werden.
Deshalb wird [>21]
sich ein dritter Theil der Psychologie mit dem Zustande des Bewusstseins
beschäftigen. In erster Linie wird es sich hier um die Erörterung
dessen handeln, was wir als Aufmerksamkeit zu bezeichnen gewohnt sind."
Ende Exkurs Bewusstseinselemente in Külpes Grundriß
Seine in § 42 geäußerte Theorie ist sicher viel
zu grob und unbegründet, wenn er S. 286 meint: "2. Die Elemente des
Bewusstseins zerfallen in die beiden Classen der Empfindungen und der Gefühle.
Demnach sind Verbindungen von Empfindungen, von Gefühlen und von Empfindungen
mit Gefühlen möglich." Hier wären die Begriffe Element,
Empfindungen, Gefühle und Verbindung zu klären und mit
Daten, Belegen und Beispielen zu fundieren.
Ende Zusammenfassung Grundriß
erleben, erlebt 14
Erlebnis... 26
Innere Wahrnehmung 22
Erleben, erlebt(e,en,es), erlebend
Innere Wahrnehmung
Fundstellen im Kontext mit Zusätzen der ersten 14 Punkte
S. 1-9
Zur Methode der
Fundstellen-Textanalyse. * Hauptbedeutungen
Erleben und Erlebnis
1: "§ 1. Begriff und Aufgabe der Psychologie.
Überblick der Themen in § 1 (im Inhaltsverzeichnis nicht
ausgewiesen)
1. Alle Wissenschaft beschäftigt sich mit der Beschreibung von Thatsachen. |
1. Alle Wissenschaft beschäftigt sich mit der
Beschreibung von
Thatsachen. Eine jede Beschreibung bedient sich gewisser Zeichen, die
als Ausdrucksmittel der darzustellenden Wirklichkeit gelten. So schafft
sich die Wissenschaft überall ein System vonZeichen, in deren
präciser
undfolgerichtiger Verwendungdie Allgerneingiltigkeit ihrer Beschrei-
bung zumeinen Theile begründet ist. Eine jede Thatsache steht
nun aber
erfahrungsgemäß in bestimmten Beziehungen zu anderen und
wird selbst
nur durch das Bestehen und die Angabe von solchen zu einer von indi-
viduellem Meinen und Finden freien Erscheinung. Ja man darf sagen,
dass es nichts an einer einzelnen Thatsache gebe, was nicht durch solche
Beschreibung aller ihrer Beziehungen zu anderen adäquat festzustellen
wäre. Während sich die populäre Reflexion mit einer
nur unvollkom-
menenDarlegung derletzteren zu begnügenpflegt, ist es nunAufgabe
aller Wissenschaft, deren vollständige Beschreibung zu liefern.
In der
Annäherung an eine LösungdieserAufgabeist die Allgemeingiltigkeit
der
wissenschaftlichen Aussagen zumanderen Theile begründet.
2. Die Thatsachen, mit denen sich alle Wissenschaften, abgesehen
von der Philosophie, beschäftigen, bezeichnen wir als KG1E1Erlebnisse.
Es
sind die ursprünglichsten Data unserer Erfahrung, dasjenige, was
den
Gegenstand der Reflexion bildet, ohne selbst eine zu sein. Im Gegensatz
dazu liegt der Philosophie ob, die Beschreibung der KG1E2Erlebnisse,
die Re-
flexion über sie, sofern darin ein eigenthümlicher Thatbestand
gegeben ist,
zu untersuchen. Es ist nun klar, dass die Vorstellungen, Leidenschaften
u. dgl., welche von Psychologen verschiedenster Standpunkte als ihre
Forschungsobjecte betrachtet werden, zu den KG1E3Erlebnissen
gerechnet werden
müssen. Demnach gehört die Psychologie nicht zu den philosophischen,
sondern zu den Einzelwissenschaften."
2: "3. Die Abgrenzung der Einzelwissenschaften gegen einander
pflegt
nach sehr ungleichen Gesichtspunkten zu erfolgen. So scheiden sich
Botanik und Zoologie, Rechts- und Sprachlehre nach den von ihnen behandelten
Gegenständen. Ferner drückt der Gegensatz zwischen beschreibenden
underklärenden Naturwissenschaften den Grad derVollständigkeit
und damit der Allgemeingiltigkeit aus, der bei der Darstellung der
Thatbestände
erreicht ist. Physik und Chemie wiederum verhalten sich zur
physikalischen und chemischen Technologie wie die Theorie zur Anwendung.
Man redet wohl auch von inductiven und deductiven Wissenschaften,
wobei den ersteren der Fortschritt vom Besonderen zum Allgemeinen,
den letzteren das umgekehrte Verfahren eigenthiimlich ist.
Die meisten dieser Unterscheidungsgründe lassen
sich auch auf das
Verhältniss der Psychologie zu anderen Wissenschaften anwenden.
Soist
siez. B. inductiv gegenüber der deductiven Mathematik, steht sie
zur Pädagogik
wiedie Theorie zurAnwendung, ist sie zumeist noch eine beschreibendeDisciplin
gegenüber densog. exacten Wissenschaften, die im eminenten
Sinne als erklärende gelten. Nur der eine, die Abgrenzung nach
Gegenständen, lässt sich in keinerWeisebei der Beziehung
der Psychologie
zu anderen Einzelwissenschaften auffinden. Denn es giebt in der That
kein KG2E1Erlebniss,
welches nicht auch Gegenstand psychologischer Untersuchung
werden könnte. Da nun alle übrigen Gesichtspunkte nur die
Form der wissenschaftlichen Arbeit betreffen und das Verhältniss
der
Psychologie zur Naturwissenschaft sich keinem von ihnen unterordnen
lässt,
so mussdie Besonderheit des psychologischen Thatbestandes nicht sowohl
in einer bestimmten Klasse von KG2E2Erlebnissen,
als vielmehr in einer für alle
geltenden Eigenschaft derselben bestehen. Diese Eigenschaft ist die
Abhängigkeit
der KG2E3Erlebnisse von
erlebenden
Individuen.
4. Man pflegt dies auch wohl so auszudrücken,
dass man die KG2E4Er-
lebnisse subjectiv nennt oder dass
man die Psychologie als eine Wissen-
schaft von den psychischen, den Bewusstseinsthatsachen bezeichnet.
Diese
Ausdrücke sind sämmtlich missverständlich. Eine Subjectivirung
kann
sich zunächst auf das optische Bild des eigenen Körpers beziehen,
dann
heißen die anderen sichtbaren Gegenstände im Baume objectiv,
sie kann
ferner ausschließlich auf solche Zustände angewandt werden,
die einer
Objectivirung überhaupt unzugänglich bleiben, also einen
der Psychologie
ganz eigenthümlichen Thatbestand bilden, wie etwa das Denken,
die Gefühle
von Lust und Leid u. dgl. In beiden Fällen ist das Object der
psychologischen Untersuchungfalsch oder unzureichend angegeben. Des-
gleichen kann der Name »psychisch« in Anlehnung an bekannte
metaphysische
Lehren eine Wirklichkeit anzudeuten scheinen, die als solche
schlechthin trennbar wäre von den sog. physischen Vorgängen.
Nicht [>3]
minder vielsagend ist der Ausdruck »Bewusstsein«, der bald
das KG3e1Erlebte
schlechtweg, bald das Wissen davon, bald einen Zustand, in den
sonst unbewusste geistige Realitäten gerathen können, bezeichnet.
Wo wir im Folgenden der Abwechselung oder der Kürze halber eben
diese
gerügten Ausdrücke anwendenwerden, sollen sie nichts anderesals
dasjenige
an den KG3E1Erlebnissen
andeuten, was von KG3e2erlebenden
Individuen
abhängig ist. Die subjectiven oder subjectivirten Vorgänge,
Bewusstseinsthatsachen.
psychischen oder geistigen Zustände sollen für uns nur
diesen Sinn haben, unddas Bewusstsein, die Seele oder der Geist werden
nur die Summe aller solcher Erscheinungen in unserem Sprachgebrauch
darstellen. In keinem Falle sollen ein transcendentales Bewusstsein,
eine
substantielle Seele, ein immaterieller Geist u. Aehnl. in unseren Erörterungen
eine
Rolle spielen.
5. Aber auch eine Definition der Psychologie als
einer Wissenschaft
von den KG3E2Erlebnissen
in deren Abhängigkeit von KG3e3erlebenden
Individuen
scheint der Erläuterung und specielleren Bestimmung insofern zu
bedürfen,
als sie den von mannigfachem Bedeutungswandel betroffenen Ausdruck
»Individuum« aufgenommen. Man dürfte zunächst
geneigt sein, von einem
geistigen Individuum zu reden und darunter entweder eine transcendente
immaterielle Substanz Seele, Geist oder eine Anzahl von allgemein subjectivirten
KG3E3Erlebnissen oder
Fähigkeiten (Gefühle, Aufmerksamkeit, Phantasie)
zu verstehen. Diese Meinung lehnen wir in beiden Interpretationsformen
ab.
Die erstere ergäbe keine empirische, die zweite keine wissenschaftliche
Psychologie. Es bedarf keiner Begründung für jene, aber einer
kurzen Rechtfertigung dieser Behauptung.
Von einer wissenschaftlichen Psychologie verlangen
wir Allgemeingiltigkeit
ihrer Aussagen, vor Allemin dem zweiten oben hervorgehobenen
Sinne dieserBezeichnung. Eine solcheist nur erreichbar auf Grund einer
möglichst vollständigen Beschreibung der Beziehungen, welche
zwischen
den einzelnen Thatbeständen obwalten und sie erschöpfend
charakterisiren.
Niemandwird aber sagen dürfen, dass etwa ein Accord genügend
fest-
gestellt sei, wenn man ihn angenehm gefunden oder seine Aufmerksamkeit
durch ihn erregt gefühlt hat oder die Erinnerung an Situationen,
Musikstücke
u. dgl. dadurch geweckt worden ist. Außerdem fehlt zwischen
diesen Bestandtheilen der inneren Wahrnehmung
die Abhängigkeitsbeziehung,
sehr willkürlich, und ihre Verbindungen knüpfen sie nicht
durch gegen-[>4]
seitige Beinflussung, sondern unter Umständen, die auf eine außerhalb
ihrerstehende Gesetzmäßigkeit schließen lassen. Wenn
man endlich häufig
die Aufmerksamkeit unter den Bedingungen eines subjectiven (psychischen)
Vorganges erwähnt, so ist damit erstlich nureine von den verschiedenen
Bedingungen angedeutet und zweitens eine wegen ihrer Kürze und
Ver-
ständlichkeit bequeme Form der Beschreibung gewählt, die
den gegen-
sätzlichsten Ansichten überdas eigentlicheWesen dieser Erscheinung
freien
Spielraum lässt. Schließlich sei noch daran erinnert, dass
der Vortheil
der Messbarkeit, der Eindeutigkeit, den die Objecte der Naturforschung
in so weitgehendem Maße genießen, den Gegenständender
psychologischen
Untersuchung ganz fehlen würde, wenn sie nur auf die Beziehungen
zum
geistigen Individuum angewiesen wäre.
6. Es mag mit diesen kurzen Bemerkungen vorläufig
genug zur
Rechtfertigung unserer Ablehnung der nächstliegenden Auffassung
des
Individualbegriff's gethan sein. Muss doch die Ausführung des
Buches
selbst im einzelnen dazu beitragen, das Andere, was wir meinen, zur
Geltung zu bringen! Offenbar ist die Abhängigkeit, die wir jm
Sinne
haben, eine solche vom körperlichen Individuum. Dass diese überhaupt
besteht, ist bisher bloß von Metaphysikern gewisser Richtung
be-
stritten worden. In welchem Umfange sie vorkommt, hat erst die fort-
schreitende physiologische und psychologische Forschung gezeigt. Hiernach
sind die körperlichen Processe, welche in directem Functionsverhältniss
zu den KG4E1Erlebnissen
stehen, beim Menschenaus schließlich im Gehirn, wahr-
scheinlich in der Großhirnrinde zufinden. Diese Abhängigkeitsbeziehung
denkt man sich durchgängig verwirklicht, obwohl sie vielfach nur
hypo-
thetisch behauptet werden kann. Als eine zeitlich bestimmte, also causale
sie zu betrachten hat man jedoch keinen Anlass in den Thatsachen und
mit Rücksicht auf das die physische Welt beherrschende Gesetz
von der
Erhaltung der Energie scheinbar auch kein wissenschaftliches Recht.
Deshalb
redet mangegenwärtig meist von einem Parallelismus der psy-
chischen und Gehirnprocesse, d. h. man stellt sie sich als einander
begleitende Erscheinungen von dem Charakter vor, dass eine jede Veränderung
auf der einen Seite in einer entsprechenden Aenderung auf der
anderen sich ausdrückt. Ob dieses regulative Princip, dessen wachsende
Bestätigung wir von der Erfahrung erwarten, im Zusammenhange einer
Weltanschauung als Wechselwirkung zweier Substanzen (Dualismus) oder
als doppelseitige Bethätigung einesWesens(Monismus), ob es als
Materia-
lismus oder als Spiritualismus gedeutet werde, ist für die wissenschaft-
liche Arbeit gleichgiltig. Als Vertreter einer empirischen Psychologie
ver-
zichten wir daher billig auf eine Discussion dieser Möglichkeiten.
[>5]
7. Die Abhängigkeit von KG4e1erlebenden
Individuen scheint nun aber die
Allgemeingiltigkeit der Psvchologie zu gefährden und ihr das Auffinden
der Thatsachen zuerschweren. Die jederzeit feststellbaren individuellen
Differenzen spielen jedoch keineswegs bloß für den Psychologen,
son-
dern ebenso für den Zoologen oder Anthropologen eine Rolle. Sie
sind
in allen Fällen nur dann eine Gefahr für die Wissenschaft,
wenn diese
auf rein singulare, den einzelnen Thatbestand als solchen betreffende
Beschreibung
angewiesen ist. Können sie dagegenin ihrer Eigenart durch
die Angabe zureichender Bedingungen erklärt werden, so lassen
sie
sich ohne Rest allgemeinen Regeln einfügen. So wenig eine wissenschaft-
liche Anatomie und Physiologie durch die zahlreichen individuellen
Unter-
schiede im Gliederbau, in der nervösen Erregbarkeit, in der Blutcircu-
lation an der Erfüllung ihrer Aufgaben gehindert wird, so wenig
kann
der Psychologie aus der Thatsache persönlicher Differenzen in
demVer-
halten der subjectivirten KG5E1Erlebnisse
eine unüberwindliche Schwierigkeit
erwachsen.
Von ernstlichem Gewicht ist aber der an zweiter
Stelle hervorgehobene
Gesichtspunkt. Die eigenen KG5E2Erlebnisse
kann jeder auch ohne Beschreibung
als Thatsachen würdigen, zu den Erlebnissen
anderer Individuen erhält er
aber immernur einen indirecten Zugang. Zeichen, deren wir Eingangs
er-
wähnten, vermitteln dem Psychologen allein die Kenntnissfrem der
KG5E3Erlebnisse,
von der richtigen Anwendung solcher Zeichen hängt auf der einen,
von der
richtigen Deutung auf der anderen Seite die Brauchbarkeit des Resultats
ab.
Zu beidem ist nicht jeder berufen, und es ist begreiflich, dass der
Psychologe
ebenso wie seine Untersuchungsperson gewisser günstiger Anlagen
und einer
besonderen Uebung bedürfen. Je schwerer die Zeichen zu deuten
sind,
umso zweifelhafter wird das Ergebniss, wie mühsam errathen wir
aus
den Geberden eines sich fremder Laute bedienenden Menschen die ein-
fachsten KG5E4Erlebnisse,
die ihn erfüllen! Man mag daran ermessen, wie viel
Aussicht besteht, das Seelenleben niedererThiere, etwa gar von Protisten,
zu ergründen. An und für sich aber bildet diese Schwierigkeit
bei der
Ermittelung des Thatbestandes kein absolutes Hinderniss wissenschaftlicher
Erkenntniss. Die sprachlichen Aussagen lassen sich bis zu einem gewissen
Grade durch das Experiment controliren und sind als verständliche
Aus-
drucksmittel gleichartiger KG5E5Erlebnisse
verschiedener Individuen ein äußerst
wichtiges Hilfsmittel psychologischer Forschung.
8. Nach dem Bisherigen ist die Aufgabe der Psychologie
eine im
allgemeinen fest bestimmte, sie hat eine vollständige Beschreibung
der
von KG5e2erlebenden Individuen
abhängigen Eigenschaften der KG5E6Erlebnisse
zu
liefern. Dazu gehören nicht nur solche, die keinen objectiven
Zusammenhang
darstellen, also lediglich individuelle Zustände sind, wie Aftecte,
[>6]
Triebeu. dgl., sondern auch Thatsachen, die zugleich ein vom Individuum
unabhängiges Verhalten aufweisen und somit auch einer naturwissen-
schaftlichen Untersuchung anheimfallen, wie die Vorstellungsobjecte
mit
ihren raum-zeitlichen Beziehungen. Die sog. Sinnesqualitäten werden
von
dem Naturforscher als subjective Vorgänge angesehen, ihre Beschreibung
bleibt der Psychologie überlassen. Aber auch räumliche und
zeitliche
Eigenschaften und Verhältnisse dieser Thatbestände werden
subjectiv er-
fahren undbeurtheilt, wir vergleichen Entfernungen und Richtungen,
Bewegungen
und Geschwindigkeiten mit einander und stellen die scheinbare
Größe oder Dauer der wirklichen, d. h. der objectiv gemessenen
gegen-
über. Während also einerseits der Thatbestand aller dieser
Erscheinungen
als solcher einer eingehenden Schilderung bedarf, damit man genau zu
übersehen vermag, was an den KG6E1Erlebnissen
die Abhängigkeit vom Leibe
des erfahrenden Subjecls aufweise, muss andererseits die letztere selbst
zum Gegenstande genauerer Untersuchung gemacht werden.
9. Versteht man unter einer Theorie im Sinne der Naturwissen-
schaften die Angabe der Bedingungen, unter welchen eine Erscheinung
steht, so wird die Theorie der psychischen Vorgängel) den Nachweis
ihrer Abhängigkeit von gewissen körperlichen Processen zu
liefern haben.
Nun ist aber dieser Nachweis mit ganz besonderen Schwierigkeiten ver-
knüpft. Es fehlt erstlich an einem Mittel, beide Thatsachencomplexe,
die
psychischen und die centralen Nervenerregungen in unmittelbarer Ver-
gleichung ihres Ablaufs auf ihre Beziehungen hin zu untersuchen. Man
ist zwar zuweilen in der Lage gewesen, nach operativer Entfernung eines
Theiles der Schädeldecke die Bewegungen der Gehirnmasse parallel
mit
dem Auftauchen von Sinneseindrücken, Gemüthsbewegungenu.
dgl. zu
beobachten, aber der Werth dieser Einsicht muss natürlich so lange
gering
bleiben, so lange nicht eine speciellere Abänderung und Feststellung
der
besonderen, einzelnen geistigen Acten entsprechenden Gehirnprocesse
mög-
lich ist. Zweitens aber hat uns die Physiologie der nervösen Central-
organe noch nicht die physikalischen und chemischen Grundlagen aufge-
zeigt, welche den Mechanismus der Gehirnthätigkeit hervorbringen.
Ueber
die eigentliche Natur der Nervenerregung wissen wir noch nichts. Man
ist bisher nur zur Aufstellung von Localisationssphären in der
Großhirn-
rinde gelangt, d. h. also zur Abgrenzung der Orte, an welchen die be-
stimmten subjectivirten KG6E2Erlebnissen
parallel gehenden nervösen Processe
stattfinden sollen.
10. Darausfolgt, dass eine vollständige Theorie
der psychischen Vor-
gänge in demangegebenen Sinne noch nicht geleistet werden kann.
Um
eine solche wenigstens vorzubereiten oder anzudeuten, ohne zu zweifel-
haften oder verfrühten Hypothesen greifen zumüssen, kann
die Psychologie [>7]
in doppelter Weise verfahren. Sie kann erstlich eine Beziehung der
KG7E1Erleb-
nisse zu solchen körperlichen
Processen ermitteln, die in causalem Yer-
hältniss zu den unbekannten Großhirnrindenerregungen stehen
und einer
genauen Prüfung zugänglich sind. So wird beispielsweise die
Abhängigkeit
der Empfindung vom Reiz und der unwillkürlichen und willkürlichen
Bewegungen von Gefühlen und Willensacten untersucht. Aus den Relationen
zwischen diesen sehr vermittelten Gliedern einer Causalreihe darf
freilich noch nicht auf die Beziehung zwischen den Parallelvorgängen
geschlossen
werden. Aber der eigentlichen Theorie wird hierdurch doch
wenigstens in willkommener Weise vorgearbeitet. Ein mehr andeutendes
Verfahren ist das zweite. Hiernach führt man Allgemeinbegriffe
von Fähigkeiten
oder Zuständen ein. die auf Bedingungen hinweisen, deren Beschaffenheit
nicht näher bekannt ist. wie Gedächtniss, Phantasie, geistige
Disposition u. dgl. Früher wurdens olche Ausdrückein einem
ähnlichen
Sinne angewandt, wie der Kraftbegriff der modernen Naturwissenschaft,
also als Bezeichnungen für rein seelische Anlagen oder Vermögen,
auf
deren Wirksamkeit die einzelnen KG7e1erlebten
Vorgänge zurück zu führen seien.
Gegenwärtig dienen sie nur als verständliche kurze Ausdrücke
für die
unbekannten Bedingungen gewisser in der Verbindung oder dem Verhalten
der KG7E2Erlebnisse hervortretenden
Eigenthümlichkeiten. Wenn wir
also bei der Lehre von den Empfindungen z. B. unter den Factoren,
welche ihre Unterscheidbarkeit beinflussen, die Uebung erwähnen,
so
meinen wir damit nicht eine besondere psychische Fähigkeit oder
gar
einen neuen geistigen Act, sondern deuten damit bloß gewisse,
nicht näher
bekannte Vorgänge an, welche bewirken, dass nach häufiger
Wiederholung
derselben Operation diese erleichtert wird. Das Gleiche gilt,
wie sich später herausstellen wird, in gewissem Sinne von der
Aufmerksamkeit.
11. Von unserer Behandlung der Psychologie schließen
wir auf die
Thierpsychologie und die Völkerpsychologie. Die unsicheren und
spärlichen Anfängejener werden dereinst ebenso sehr sich
zu einer selbständigen
Zoopsychologie zusammenschließen, wie wir bereits eine Thier-
und
Pflanzenphysiologie neben derjenigen des Menschen besitzen. Die
Völkerpsychologie behandelt die geistigen Erscheinungen, welche
von einer
größeren Gemeinschaft von Individuen abhängig sind.
Auch sie ist schon
zu einem besonderen Betrieb, wenn nicht zu einer geschlossenen Disciplin
gelangt. Die Psychologie des menschlichen Individuums, wie wir demnach
unsere
Psychologie eigentlich nennen müssten, bildet aber, wie leicht
ersichtlich, die Grundlage für die Thierpsychologie und für
die Völkerpsychologie.
Für die erstere deshalb, weil wir nur aus der genauen
Kenntniss der Beziehungen zwischen menschlichen Bewusstseinsvorgängen
[>8]
und Ausdrucksbewegungen nach Analogie aus thierischen Bewegungen auf
psychische Zustände in Thieren mit einiger Sicherheit schließen
können.
Für die letztere aber deshalb, weil jene von menschlichen Gemeinschaften
abhängigen Vorgänge immer nur in den Einzelnen zur Wirklichkeit
oder durch die Einzelnen zur Aeußerung kommen. Wir können
demnach
unsere Psychologie auch die allgemeine Psychologie nennen.
§ 2. Methoden uud Hilfsmittel der Psychologie.
Überblick der Themen in § 2 (im Inhaltsverzeichnis nicht
ausgewiesen)
§ 2. Methoden uud Hilfsmittel der Psychologie.
|
1. Die Methoden, deren sich die Psychologie zur Erkenntniss
ihres
Thatbestandes bedient, sind theils directe, theils indirecte. Die directen
Methoden sind dadurch charakterisirt, dass eine unmittelbare Auffassung
und Beschreibung des Thatbestandes bei ihrer Anwendung stattfindet.
Wenn ichz. B. meine eigenen Farbenempfindungen untersuche, so wende
ich directe Methoden hierbei an, sobald ich sie unmittelbar KG8e1erlebe
und
in ihren Einzelheiten feststelle. Eine indirecte Methode dagegen liegt
vor,
wenn aus irgend welchen Zeichen der Thatbestand, um dessen Erkenntniss
es sich handelt, erschlossen werden muss. So verfahre ich z. B.
indirect, wenn ich meine Erinnerung oder sprachliche Mittheilungen
zur
Erkenntniss KG8e2erlebter Zustände
benutze. Es ist klar, dass die directen Methoden
vor den indirecten vieleVorzüge besitzen, aber die Psychologie
kann
die letzteren nicht entbehren, weil sie sonst zu dem Unding einer rein
individuellen Wissenschaft herabsänke. Ueberall da, wo wir die
geistigen
Vorgänge bei anderen Menschen studiren, sind wir auf das indirecte
Verfahren
angewiesen.
2. Jede der genannten Classen von Methoden lässt
theils eine rein
subjective, theils eine objective Anwendung zu, indem sie entweder
nur
vom KG8e3erlebenden Individuum
oder auch von Anderen benutzt werden
können. Nennen wir die unmittelbare Auffassung und Beschreibung
von
geistigen Vorgängen KG8i1innere
Wahrnehmung, so würde die subjective Form
der directen Methoden die Methode der KG8i2inneren
Wahrnehmung
heißen. Eine objective Former halten wir durch die Anwendung
des Experiments,
sie würde demnachals die experimentelle Methodezu
bezeichnen sein. Das indirecte Verfahren erhält in gleicher Weisein
der
Methode der Erinnerung eine subjective und in der sprachlichen
Methode eine objective Ausprägung. Die beiden objectiven Methoden
sind nie ohne die entsprechenden subjectiven, wohl aber diese ohne
jene
anwendbar. Das Experiment bleibt eine physikalische Spielerei ohne
die
KG8i3innere Wahrnehmung,
und die Sprache wird zum bedeutungslosen Bilde
oder Geräusch ohne die Erinnerung. Die Sprache controlirt, befestigt,
sichert die Erinnerung, wie das Experiment der KG8i4inneren
Wahr]nehmung [>9
größere Zuverlässigkeit und allgemeinere Bedeutung
verleiht. Jede dieser
Methoden bedarf nun noch näherer Bestimmung ihres Charakters und
ihrer
Tragweite.
" I. Directe Methoden.
3. a) Die M e t h o d e d e r KG9i1i
n n e r e n W a h r n e h m u n g ist die einfachste
und selbstverständlichste von allen. Die Wissenschaft theilt sie
mit der
Selbsterkenntniss des praktischen Lebens. Zu einer brauchbaren psycho-
logischen Methode kann aber die KG9i2innere
Wahrnehmung nur werden, wenn
man sich ihrer unter besonderen, ihre Leistungsfähigkeit erhöhenden
Bedingungen
bedient. Dazu gehört vor allem die Aufmerksamkeit. Wir
bezeichnen mit diesem Worte denjenigen Zustand von geistigen Vorgängen,
in dem sie besondere Lebhaftigkeit, Dauer, Deutlichkeit, Verbindungsfähig-
keit und Reproductionsfähigkeit besitzen. Es ist hiernach ohne
weiteres
klar, welchenVortheil die KG9i3innere
Wahrnehmung von diesem Zustande der
zu untersuchenden Erscheinungen hat. Hierbei ist festzuhalten, dass
die
Aufmerksamkeit diesen letzteren und nicht etwa der KG9i4inneren
Wahrnehmung zu
Theil werde, sonst würde gerade deren Zweck vereitelt oder
wenigstens beträchtlich gestört werden. An eine solche Verschiebung
des eigentlichen Zieles der Methode grenzt die absichtliche Selbstbeobach-
tung, welche manche Psychologen empfohlen haben. Es handelt sich vielmehr
bloß
umaufmerksames KG9e1Erleben.
Von besonderem Werthe ist es,
dass sich die Aufmerksamkeit einzelnen Seiten der KG9E1Erlebnisse
mit aus-
schließlicher oder wenigstens vorwiegender Intensität zuwenden
kann,
wodurch ihnen eine gesteigerte Klarheit zu Theil wird. Das Andere,
was
wir zu den Bedingungen einer methodisch geleiteten KG9i5inneren
Wahrnehmung rechnen,
ist die Unbefangenheit gegenüber den Thatsachen.
Schon den Naturobjecten gegenüber ist man vielfach geneigt zu
sehen,
was man sehen will; weit größer ist eine solche Tendenz
und weit
wirksamer bei den subjectiven Vorgängen. Die mehr oder weniger
bestimmten
Erwartungen, mit denen man im Sinne einer Theorie oder auf
Grundgewisser Indicien an die eintretenden Bewusstseinsvorgänge
heran-
geht, können in nicht unbeträchtlichem Maße den Thatbestand
fälschen.
Abgesehen voneiner durch das Experiment möglichen Controle lässt
sich
als ein Mittel dagegen nur sorgfältige Selbstbeobachtung empfehlen.
4. Wissenschaftlich verwerthbar wird nun dieKG9i6innere
Wahrnehmung
oder das aufmerksame KG9e2Erleben
erst durch eine ihren Inhalt wiedergebende
Beschreibung. Es ist deshalb nothwendig, was noch specieller bei der
Behandlung der sprachlichen Methode zu erwähnen ist, dass ein
verständ-
liches und feines Zeichensystem ausgebildet werde, um diesem Bedürfniss
in möglichst vollkommener Weise Rechnung tragen zu können.
Auch hier [>10]
leistet die zweckmäßige Richtung und gesteigerte Lebhaftigkeit
der Aufmerksamkeit
die besten Dienste. Da in diesem Zustande die einzelnen
Bewusstseinserscheinungen besonders verbindungs- und reproductionsftihig
sind, so werden auch die die Beschreibung ausführenden Sprachlaute
resp.
Schriftzeicheu mit vorzugsweiser Leichtigkeit und Vollständigkeit
durch
aufmerksam KG10e1erlebte Vorgänge
hervorgerufen werden. Aber auch
hier ist natürlich die Gefahr groß, dass den Thatsachen
sprachlich fixirte Resultate ent-
gegengebracht werden, welche sich ihnen zur Reproduction gewissermaßen
anbieten. Durch die KG10E1Erlebnisse
selbst muss die Beschreibung des unbefangenen
Beobachters ausschließlich bestimmt werden. Da dieses Ziel
durchdie KG10i1innereWahrnehmung selbst
nur unvollkommen erreicht werden
kann, leidet sie an offenkundigen Mängeln. Es dürfte bei
bestem Willen
kaum möglieh sein, alle die subjectiven Tendenzen des Beobachters,
welche
die reine Hingabe an das Thatsächliche trüben, einflusslos
zu machen.
Dazu kommt, dass die KG10i2innere
Wahrnehmung allein eine Theorie der psychischen
Vorgänge nicht zuliefern vermag und dass ihre Resultate einen
mehr zufälligen, gelegentlichen Charakter tragen. Immerhin bleibt
diese
Methode die Grundlage aller übrigen und ist sie vielfach gegenwärtig
die
einzige direct mögliche.
5. b) Die experimentelle Methode. So wenig dem Physiker
die
äußere, so wenig wird demPsychologen dieKG10i3innere
Wahrnehmung
durch
das Experiment ersetzt. Es will und kann vielmehr lediglich eine Unter-
stützung der ersterwähntenMethodeliefern, sie von den Mängelnl
befreien.
denensie bei ausschließlicher Anwendungunterliegt, ihre Aussagen
con-
troliren undzuverlässiger machen. Zudieser Aufgabeist die ex])erimen-
telleMethodedurch sechs Vorzüge, die sie besitzt, befähigt.
1) ermöglicht
sie die häufige Wiederholungdes zu beschreibendenVorganges. Bei
der Flüchtigkeit und Complication der psychischen Thatbeständeist
eine
Gelegenheit zu wiederholter Beobachtung des gleichen Phänomens
Be-
dingung einer genauen Analvse. Dadurch wird die Beschreibung eine
concreto undsichere. Die früheren, lediglich aufKG10i4innere
Wahrnehmung,
Erinnerungen und sprachliche Mittheilungen gegründeten psychologischen
Erkenntnisse waren zu allgemein gehalten undentbehrten: deshalb des
eigentlichen Fortschritts. Der Feststellung des Thatbestandes kommtalso
dieser Vorzug des Experiments zu gute. 2) kann durch experimentelle
Hill'smittel eine isolirteVeränderung einzelner Bestandtheile
des unter-
suchten Vorgangs hervorgebracht werden. Nur durch eine solche Variirung
im Detail wird es möglich, die Bedeutung und das gesetzmäßige
Verhalten
der einzelnen Momente und Seiten des psychischen Geschehens klarzulegen.
Wiesoll ein Aufschluss über die räumlichen und zeitlichen
Bestandtheile
der Wahrnehmung im Unterschied von den qualitativen oder intensiven
[>11]
beispielsweise sonst gewonnen werden? Es ist dies dieselbe Eigenschaft
des Experiments, welche der Naturwissenschaft zu so glänzenden
Erfolgen
verholfen hat. Auch hierdurch wird die Leistung der dem Zufall über-
lassenenKG11i1 inneren Wahrnehmung
wesentlich überholt, vertieft und erweitert.
Insbesondere wird nicht nur die Erkenntniss des Thatbestandes auf solche
Weise bedeutend gefördert, sondern auch eine theoretische Erklärung
des-
selben angebahnt und vorbereitet.
6. Das letztere kann nun3 auf das wirksamste durch
die Ermitt-
lung von Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den Reizen und den
durch sie hervorgerufenen psychischen Vorgängen oder zwischen
subjectiven
Phänomenen und den durch sie veranlassten körperlichen Bewegungen
geschehen. Die Reize stehen in causalem Yerhältniss zu Nervenerregungen
bis
zu den centralen Processen, und die äußerlich sichtbaren
Körperbewegungen werden erzeugt durch centrale Innervationen.
So re-
sultiren auch Functionsbeziehungen zwischen den entfernteren Gliedern
dieser Reihe, die zwar nicht immer eindeutig und einfach sind, aber
in
gesetzmäßiger Form sich ausdrücken lassen.4) Dadurch
wird noch ein
weiterer wichtiger Vortheil erzielt. Bestehen solche Abhängigkeitsverhält-
nisse zwischen subjectiven und objectiven Vorgängen, so kann man
auch
in den letzteren ein Maß, einen festen, reproducirbaren Ausdruck
für
erstere gewinnen. Wie werthvoll das ist, erhellt leicht aus einem Ver-
gleich mit dem früheren Zustande psychologischer Behauptungen.
Entweder
waren diese so allgemein, dass sie die mannigfaltigsten individuellen
Ausprägungen
zuließen, oder sie entbehrten jeglicher Allgemeingiltigkeit.
Findet man durch experimentelle Methode abweichende Beziehungen
zwischen den objectiven Erscheinungen und dem subjectiven Verhalten
Einzelner, so weiß man jetzt, wo man den Grund dafür zu
suchen hat
und kann die individuellen Differenzen auf ihre Bedingungen zurück-
führen, also ihres unwissenschaftlichen Charakters entkleiden.
So wird die
Allgemeingiltigkeit psychologischer Resultate durch diese die Messbarkeit
der geistigen Phänomene begründende Eigenschaft der experimentellen
Methode gesichert.
7. Ferner wird5) durch das Experiment ein Mittel
gewonnen, um
die zweckmäßigste Disposition des KG11e1erlebenden
Individuums herzu-
stellen. Aufmerksamkeit und Unbefangenheit haben wir als die Be-
dingungen einer passenden Verwerthung der KG11i2inneren
Wahrnehmung kennen
gelernt. In ihr selbst aber besaßen wir kein Werkzeug, um diese
Bedingungen
zu erfüllen oder ihre größere oder geringere Wirksamkeit
er-
kennbar zu machen. Wie leicht können wir nun das Experiment so
einrichten, dass derBeobachter über denWerth oder die Richtigkeit
seiner
Aussagen ganz in Unkenntniss bleibt und deshalb lediglich auf seine
[>12]
Erfahrungen angewiesen ist, ohne sie durch bestimmte Erwartungen mit
irgend einer Aussicht auf Erfolg beeinflussen zu können! Ebenso
aber
sind wir in der Lage, durch ein entsprechendes Versuchsverfahren nachzuweisen,
welche Aenderung der Resultate durch solche Voraussetzungen
oder sonstige Prädispositionen des Beobachters hervorgebracht
wird. Ferner
lassen sich durch rechnerischeVergleichung der einzelnen Aussagen Fehler
oder Einflüsse quantitativ bestimmen, auf deren Wirksamkeit der
Beobachter
selbst nicht geachtet hat. Wir sind also durch diesen Vorzug der experimen-
tellen Methode befähigt, die für unseren Zweck günstigste
Disposition der
Versuchsperson gewissermaßen zu erzwingen und alle ihre Einflüsse
und
Aenderungen zu erkennen. Man ersieht hieraus leicht, wie ungerecht
der Vorwurf ist,
der zuweilen der experimentellen Methode gegenüber laut wird,
der
Vorwurf nämlich, dass sie ein abnormes Verhalten, eine unnatürliche
Stimmung des
Beobachters setze. Erstlich kann mit ihrer Hilfe allein ein zuver-
lässiges Maß für das Normale bez. Abnorme geschaffen
werden und zweitens
besteht auch nicht der Schatten einer Berechtigung, die einer Beobachtung
günstigen Umstände schlechthin als abnorme zu bezeichnen.
Endlich6) verdanken
wir dem Experiment eine Gemeinsamkeit der psychologischen
Arbeit, die man früher nicht kannte. Dieser Vortheil beruht darauf,
dass
man die Thatsachen unter ganz bestimmten, von Jedem nachzuahmenden
Bedingungen beobachtet. So kann jeder Psycholog an den Arbeiten und
Ergeb-
nissen der anderen Fachgenossen theilnehmen, sie bestätigen oder
berichtigen,
so kann ein stetiger Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntniss sich
ent-
wickeln. Bald wird man nicht mehr von der Psychologie dieses oder jenes
Mannes als einem individuellen Ideenkreise reden, sondern nur noch
von
der Psychologie schlechthin als einer Wissenschaft mit festem Bestande,
an
den sich Neues leicht und friedlich angliedern lässt.
8. Ueber die Ausdehnung der experimentellen Methode
lässt sich im
allgemeinen nur sagen, dass sie überall da in derPsychologie Anwendung
finden kann, wo psychische Vorgänge zu äußeren körperlichen
Processen
in gesetzmäßiger Beziehung stehen. Eine solche Beziehung
aber ist nicht
nur zwischen Empfindungen und den sie veranlassenden Reizen vorhanden,
sondern auch zwischen Gefühlen und Willensacten einerseits und
den
durch sie hervorgerufenen Bewegungen der Glieder und Mienen, des Blutes
und der Athmung andererseits. Die letztere Abhängigkeitsrelation
ist aller-
dings noch nicht mit gleicher Häufigkeit und gleichem Erfolge
untersucht
und festgestellt worden. Außerdem fehlt es nicht an sinnreichen
Mitteln,
um auch den Verbindungen geistiger Vorgänge mit dem Experiment
näher
zu treten. Darnach gibt es also im Princip keinen Gegenstand psycho-
logischer Forschung, der nicht der experimentellen Methode zugänglich
wäre. Es ist deshalb gerechtfertigt, wenn die experimentelle Psychologie
[>13]
den Anspruch erhebt, die allgemeine Psychologie, die wir zu behandeln
unternommen haben, zu werden. Vergleicht man die dürftigen Erkennt-
nisse, welche auf allen den Gebieten, die gegenwärtig der experimentellen
Untersuchung erschlossen sind, vor dieser gewonnen waren, mit dem
reichen sich stetig vermehrenden Schatz von Beobachtungen und Gesetzen,
überdie wir dank eingehenden Experimenten verfügen, so kann
man nur
wünschen, dass alle Vortheile dieses mächtigen Hilfsmittels
bald auch allen
übrigen Theilen der empirischen Psychologie zu gute kommen möchten.
II. Indirecte Methoden.
9. a) Die Methode der Erinnerung ist ein bei derVergänglichkeit
psychischer Erscheinungen sehr häufig zu berücksichtigendes
Verfahren in
der Psychologie. Wir verstehen hier unter Erinnerung nicht die repro-
ducirten Vorstellungen oder sonstigen geistigen Phänomene, also
nicht das
Wiederaufleben früherer Erfahrungen, sondern die auf Grund irgend-
welcher Zustände sich vollziehende Beschreibung oder Erkenntniss
früherer
KG13E1Erlebnisse. Hierbei
dienen offenbar die vorhandenen Bewusstseinsvorgänge
nurals Zeichen für andere früher stattgefundene. So lässt
sich beispiels-
weise ein größerer Zeitraum, dessen ich mich erinnere, nicht
als solcher
mit auch nur annähernder Treue reproduciren, sondern aus den bei
dieser
Erinnerung wirksamen Momenten schließe ich auf die Größe
jenes Zeit-
raums. Ebenso wird, wenn ich ein eben gehörtes starkes Geräusch
in
Bezug auf seine Intensität mit einem anderen bei früherer
Gelegenheit
vernommenen ähnlichen vergleiche, nicht etwa das letztere in seiner
da-
maligen Stärke wiederholt, sondern ich erkenne aus irgend welchen
Er-
innerungsmerkmalen, wie intensiv es gewesen. Die Erinnerung interessirt
uns hier also nicht als ein psychologischer Vorgang, sondernals ein
Weg
zur Ermittlung eines solchen.
10. Die Brauchbarkeit dieser Methode hängt von
der Zuverlässigkeit
der Zeichen ab, aus denen auf seelische Ereignisse bestimmter Art ge-
schlossen wird. Allgemeine Regeln lassen sich darüber kaum geben.
Auf-
merksamkeit und Unbefangenheit sind auch hier wesentliche Bedingungen
für das Zustandekommen eines richtigen Schlusses. Denn die größere
Auf-
merksamkeit stärkt nicht nur dieVerbindung von Zeichen und Bezeichnetem
bei ihrem Eintritt, sondern lässt sie auch später leichter
und präciser
functioniren. Und wenn schon der Thatbestand der KG13i1inneren
Wahrnehmung
durch Einwirkung fremdartiger Voraussetzungen verändert werden
kann,
so ist diese Gefahr bei der Erinnerung noch größer, wo die
unmittelbare
Controle zu fehlen pflegt. Außerdem aber ist die Wahl zweckmäßiger
Zeichen bis zu einem gewissen Grade von dem Einzelnen abhängig.
Dieser Gesichtspunkt erlaubt eine methodische Ausbildung der Erinnerung,
[>14]
wie sie allein psychologischen Zwecken genügen kann. Die Erkenntniss
früherer Thatbestände kann sich ja auf die mannigfaltigsten
Merkmale
stützen. Es ist Sache des Psychologen herauszufinden, welche Bedeutung
den einzelnen innewohnt und mit welcher Aussicht auf Erfolg man sich
ihrer wird bedienen können. Vonbesonderer Wichtigkeitist dies
bei der
Vergleichung succedirender Bewusstseinsvorgänge, wo die Erinnerung
auch
bei Anwendung experimenteller Methodik eine Rolle zu spielen pflegt.
So werden in der Erinnerung schreckhaft starke Geräusche überschätzt,
überraschend kleine Gewichte unterschätzt. Will man gleiche
Versuchs-
bedingungen haben, so muss man daher derartige Nebeneindrücke
mög-
lichst ausschließen. Immerhin bleibt die Methode der Erinnerung
eine
rein subjective und deshalb mit großen Mängeln behaftete.
Sie kann
nur dadurch zu allgemeinerer Bedeutung gelangen, dass sie sich gewisser
Zeichen bedient, die Allen zugänglich und verständlich sind.
Solche
Zeichen sind die sprachlichen Symbole. Daher wird die Erinnerung erst
in ihrer Beziehung auf die Sprache zu einer objectiven, über den
engen
Kreis individueller Erfahrung hinausreichenden psychologischen Methode.
11. b) Die sprachliche Methode. Unter allen Zeichen,
die zur Be-
schreibung von Thatbeständen benutzt werden, erfreuen sich die
sprach-
lichen der größten Verbreitung und Werthschätzung.
Es sind vornehmlich
folgende Eigenschaften, denen die Sprache diese Stellung zu verdanken
hat:
ihre Biegsamkeit und ihr Nüancenreichthum; 2] ihre Constanz und
Präci-
sion; 3) die Leichtigkeit und Schnelligkeit ihrer Mittheilung. Alle
diese
Eigenschaften haben natürlich nur relativeBedeutung, sie drücken
ebenso
viele Aufgaben aus, die man bei der Benutzung der Sprache zuerfüllen
hat.
1) Unter der Biegsamkeit verstehen wir die Fähigkeit
der Sprache,
sich der Beschreibung verschiedenster Thatbestände anzupassen,
und zwar
mit solcherVollständigkeit,dass auch die feinsten Nuancen derselben
dar-
gestellt werden. Dazugehört aber auch, dass neue Symbole oder
neue
Verbindungen alte rmit großer Bequemlichkeit dem vorhandenen
Schatze von
Wörtern und Wortverbindungen eingefügt werden können.
Es bedarf keiner
besonderen Erörterung des Werthes, den diese Eigenschaft sprachlicher
Be-
zeichnungen für den Psychologen besitzt, da die Treue und Ausführlichkeit
seiner Schilderung ganz wesentlich davon abhängt. Umso mehr muss
aber auch verlangt werden, dass der Psycholog von diesem wichtigen
der
Sprache eigenthümlichen Vorzug den sorgfältigsten Gebrauch
mache.
Insbsondere ist diese Vorschrift dem experimentirenden Psychologen
einzuschärfen,
damit er eine möglichst eingehende und vielseitige Mittheilung
über seine
KG14E1Erlebnisse liefere.
Im allgemeinen wird er dazu umso geschickter sein,
je größer sein psychologischer Sprachschatz, seine Kenntniss
der Psycho-
logie ist. Nur zu verhältnissmäßig wenigen und geringfügigen
Auf [>15]
Schlüssen werden in dieser Hinsicht gänzlich unbewanderte
Individuen
zu benutzen sein. Ihren Grund hat die erwähnte Eigenschaft der
Sprache
vor allem in ihrer Abhängigkeit vom Willen des Individuums. Die
dem Sprechen und Schreiben dienenden Bewegungen können durch den
menschlichen Willen geleitet und verändert werden. Daher können
sie
nach dem jeweiligen Bedürfniss die Form oder den Inhalt gewinnen,
die
den zweckmäßigsten Ausdruck der darzustellenden Wirklichkeit
bilden.
Trotz alledem lässt sich eine Schwierigkeit auch bei der genauesten
Verwendung
der Symbole nicht ganz übenvinden, die aus dem continuirlichen
Fluss des inneren Geschehens envachsende Schwierigkeit, den stetigen
Aenderungen desselben gerecht zu werden. Auch aus diesem Grunde
wird man der Combination mehrerer Urtheile oder Aussagen bedürfen,
wiesie bei psychologischen Experimenten erhalten werden.
12. Wenn wir 2 von einer Constanz und Präcision
der Sprache
reden, so meinen wir damit zunächst ihre Unabhängigkeit von
derZeit.
Die subjective Methode der Erinnerung kann im allgemeinen umso sicherer
genannt werden, je weniger Zeit zwischen den früheren Bewusstseinszuständen
und den an sie erinnern den gegenwärtigen Vorgängen verstrichen
ist. Die sprachliche Methode befreit uns von diesem Mangel der rein
sub-
jectiven Erinnerung, insofern nicht nur das Zeichen, sondern auch seine
Bedeutung fixirt werden kann. Ferner aber ist deshalb auch die Präcision,
mit welcher Zeichen und Bezeichnetes einander entsprechen, bei der
Sprache
eine so große. Alle Vortheile, welche durch Definitionen nach
allen Regeln
der Logik der wissenschaftlichen Beschreibung erwachsen, finden hier
ihre
Verwerthung, und Wörterbücher, Encyclopädien schützen
den Sinn der ein-
zelnen Symbole voreilfertiger Vergessenheit. Offenbar wurzelt dieser
Vorzug der Sprache in
der Constanz der Schriftzeichen. Die beste Methode
Inhalte der KG15i1inneren Wahrnehmuns
und der Erinnerung aufzubewahren ist
deshalb ihre Wiedergabe in üblichen verständlichen Gesichtsbildem.
3 Die leichte und schnelle Mittheilbarkeit der sprachlichen
Symbole ist eine durch die praktischen Bedürfnisse des Verkehrs
geschaffene vortheilhafte Eigenschaft derselben. Bei dem raschen Ablauf
und der Geschwindigkeit im Wechsel der psychischen Vorgänge ist
es er-
forderlich, mit derAngabe des Thatbestandes in entsprechender Schnellig-
keit zufolgen. Außerdem aber bewirkt die große Einübung
in der Anwendung
der sprachlichen Symbole, dass die Aufmerksamkeit durch sie
nicht wesentlich von den Erlebnissen
absorbirt wird, dass mit einer halb
automatischen Sicherheit die Verknüpfung der passenden Worte sich
ab-
wickelt. Vielfach wird diese Leichtigkeit der Aussagen noch erhöht
durch
die Verabredung, einfache kurze Symbole für bestimmte Urtheilsgattungen
zu gebrauchen. Im Interesse der psychologischen Ergebnisse liegt es
[>16]
jedoch dies Verfahren nicht gar zu sehr zur Schablone werden zu lassen.
Einmal wird dadurch leicht auch das KG16e1Erleben
selbst
ein von geringerer Aufmerksamkeit getragenes,
und die Langeweile kann zu einer bösen Fehlerquelle werden. Sodann
aber ist es in der Natur
der psychischen Phänomene begründet, dass sie stets complexer
sind,
als die Erscheinungen, die man vornehmlich studiren will, dass sie
regelmäßig mehr enthalten, als
man zunächst zu erkunden die Absicht hat. Von dem gewiegten Psychologen
darf
erwartet werden, dass er auch diesen Nebenerscheinungen einiges Interesse
zuwendet und entsprechende Angaben darüber vermerkt. So ergeben
z. B.
die einfachen Versuche über die ebenmerklichen Reizunterschiede
auch
manches Werthvolle über Vorstellungsassociationen, Grundlagen
des vergleichenden Urtheils u.
dgl. m. Auf dieseWeise können auch die einfachsten Experimente
für den Beobachter fesselnd und für die Psychologie ertragreich
werden.
Alle diese Methoden, die directen und indirecten,
die subjectiven und
objectiven werden am zweckmäßigsten neben einander verwandt
in gegen-
seitiger Unterstützung und Controle. Im übrigen aber muss
ihre speciellere
Bedeutung und Verwerthung noch späterhin ausführlicher gewürdigt
werden.
Insbesondere hat das experimentelle Verfahren eine reiche Entwicklung
gehabt und sich in eine Anzahl verschiedener Einzelmethoden differenzirt.
13. Zur Ergänzung der durch KG16i1innereWahrnehmung,
Erinnerung, Sprache
und Experiment gewonnenen Erkenntniss können noch für einzelne
Fragen
die Hilfsmittel herangezogen werden, welche uns krankhafte Veränderungen
der
seelischen Organisation, Thatsachen aus der geistigen Entwicklung
und die Producte der geistigen Thätigkeiten darbieten. Es braucht
kaum betont zu werden, dass diese Hilfsmittel erst in zweiter Linie
in Betracht
kommen. Den ersten und grundlegenden Aufschluss über die Thatsachen
und Zusammenhänge des Bewusstseins erwarten wir stets von den
im Bisherigen geschilderten Methoden, namentlich von einer geschulten
und
unter gebührende Controle gestellten KG16i2inneren
Wahrnehmung. Nur selten
wird man in der Lage sein aus den genannten Hilfsquellen eine Erkennt-
niss schöpfen zu müssen oder zu können, die nicht schon
auf dem gewöhnlichen
Wege erreichbar war.
Die Pathologie desSeelenlebens ist das werthvollste
von den
genannten Hilfsmitteln. Wie man gegenwärtig das Wissen von den
physio-
logischen Functionen einzelner Gehirntheile und Fasergattungen auch
auf
pathologische Fälle stützt, in denen man den Ausfall bestimmter
Functionen
an die Degeneration bestimmter nervöser Partien geknüpft
sieht, so liefern
entsprechende Krankheitszustände der Psychologie ein werthvolles
Werkzeug
zur Analyse complicirterer psychischerVorgänge und besonder seinen
wichtigen Beitrag zur Erkenntniss ihrer Abhängigkeit von bestimmten
[>17]
körperlichen Organen oder Processen. Wenn wir beispielsweise unseren
Arm
bewegen, sokönnen wir auch ohne hinzusehen über die Bewegungsrichtung,
die veränderte Lage innerhalb gewisser Grenzen zutreffend urtheilen.
Es
fragte sich, welche Empfindungen hierbei die Grundlage für das
Urtheil
bilden. An und für sich konnten Haut-, Muskel-, Sehnen-, Gelenkempfindungen,
die sämmtlich bei solchen Bewegungen des Armes zu entstehen
scheinen, gleichmäßig die angegebene Bedeutung besitzen.
Pathologische Fälle
haben zunächst die Entscheidung hierüber gebracht, indem
sie lehrten, dass
die ersterwähnten Empfindungen fehlen können, ohne dass das
Urtheil über
Lage und Bewegung des Gliedes wesentliche Einbuße erleidet. In
ähn-
licher Weise kommen natürlich solche Erscheinungen dem Psychologen
überall dort zu Gute, wo er normale Abänderungen der einzelnen
Bestand-
theile psychischer Complexe vorzunehmen nicht in der Lage ist oder
wo
die Abhängigkeitsbeziehungen der Bewusstseinsvorgänge zu
mehr central-
wärts gelegenen Nervenerregungenin Frage kommen. Welchen wichtigen
Einblick in diese Verhältnisse haben die verschiedenen Sprachstörungen
geliefert, welche in interessantes Experiment derNatur ist die Taubstumm-
Blinde Laura Bridgman gewesen! Offenbar ist die Bedeutung derartiger
Beobachtungen vor allem deshalb eine so große, weil die wirksamen
und
die unwirksamen Factoren klar zu übersehen sind oder weil ein
Vergleich
der psychischen Defekte mit den nachdem Todebei der Sectionconstatirten
anatomischen Abnormitäten möglich war.
14. Alle pathologischen Zustände, in denen eine
solche Eindeutigkeit
der Bedingungen und Aeußerungen nicht anzutreffen ist, geben
zweifel-
hafte Resultate. Dies ist vorzüglich der Fall bei den hypnotischen
Experimenten,
die man neuerdings den Psychologen auf das Wärmste empfohlen
hat. Abgesehen von den Gefahren, die auch sorgsamste Methoden auf die
Dauer für die Versuchspersonen mit sich bringen, sind die Ergebnisse
vielfach unzuverlässig, weil die klare und sichere Einsicht in
den Bewusstseinszustand
des Hypnotisirten fehlt. Es soll damit nicht bestritten
werden, dass mancherlei interessante Aufschlüsse mit Hilfe der
Suggestion
während und nach der Hypnose erhalten worden sind. Aber diese
be-
treffen fast nur seltsame Fähigkeiten oder Leistungen, die im
normalen
Zustande des Seelenlebens höchstens bei einigen Individuen vorkommen.
— Auch von anderen künstlich herzustellenden Veränderungen
des normalen
Bewusstseins, wie etwa unter der Einwirkung von narkotischen
Mitteln auf den Organismus, wird man selten Gebrauch zu machen sich
veranlasst fühlen. Von allen derartigen Zuständen darf man
wohl sagen,
dass sie selbst mehr erklärungsbedürftige Probleme bieten,
als einen Bei-
trag zur allgemeinen Psychologie. Nicht ausgenommen sind davon auch
die sog. Geisteskrankheiten, deren man vornehmlich hier zu gedenken
hat [>18]
Es scheint vorläufig mehr Hoffnung vorhanden zu sein, dass über
ihr
Auftreten, ihre Entwicklung und ihre Bedingungen die allgemeine Psychologie
einiges Licht verbreiten könne, als dass ihr Studium zu einer
wesentlichen
Bereicherang dieser führen werde. Den Geisteskranken fehlt meist
die
Fähigkeit, ihre KG17i1innere
Wahrnehmung zu psychologisch brauchbaren Aussagen
zu benutzen.
15. Wir erwähnten2) die geistige Entwicklungsgeschichte.
Hier-
unter verstehen wir in erster Linie die Lehre von der Entwicklung der
psychischen Phänomene im menschlichen Individuum. Es ist kein
Zweifel,
dass wir hieraus über die Entstehung einzelner seelischer Vorgänge
mancher-
lei lernen können, es sei nur an die Entstehung der Sprache, die
Entwicklung
des Gedächtnisses, die Bildung von Associationen erinnert. Aber
auch auf diesem Gebiet besteht die Schwierigkeit, dass eine zuverlässige,
eindeutige KG17i2innere
Wahrnehmung nicht vorausgesetzt werden kann. Deshalb
sind die Forschungen über das Seelenleben von Kindern mit ähn-
lichen Hindernissenl) behaftet, wiedie psychologischen Studien an Thieren.
Man wird auch kaum behaupten können, dass ein entscheidender Beitrag
für irgend eine Frage der allgemeinen Psychologie solchen Forschungen
entstammt sei. Doch bilden sie eine unumgängliche Ergänzung
zu den
Erkenntnissen, die wir dem entwickelten Bewusstsein verdanken.
Am wenigsten unmittelbaren Inhalt für die Psychologie liefern
3 die
geistigen Erzeugnisse. Kunst, Recht, Sprache sind in erster Linie selbst
als Thatbestände anzusehen, die einer psychologischen Auffassung
und
Behandlung zugänglich sind, underst in zweiter Linie in deren
Dienst zu stellen,
woes giltgewisse geistige Zusammenhänge oder Beziehungen zu erläutern.
So kannman etwa in der Ordnungder sprachlichen Formen und Aussagen
Regeln wirksam finden, die für die Verbindung der Vorstellungen
beim
Denken gelten. So kann uns die künstlerische Verwendung der Sinnes-
empfindungen und des reproductiven Mechanismus gesetzmäßige
Verhältnisse
in der Verbindung der Empfindungen unter einander und mit Gefühlen
ausdrücken helfen. Aber weder sind alle diese Erzeugnisse lediglich
von
psychologischen Facloren abhängig, noch weisen sie auf einen eindeutig
bestimmten
psychischen Zusammenhang hin. Deshalb ist auch von diesen
Hilfsmitteln nur vorsichtige und beschränkte Anwendungzu machen.
Vonder Physik und der Physiologie haben wir bei dieser Besprechung
der Hilfsmittel geschwiegen, weil sie uns nicht sowohl die Psychologie
ausbauen,
als vielmehr die Arbeit zur Gewinnung psychologischer Thatbestände
unterstützen helfen.
Wirbedürfen physikalischer Apparate und Kenntnisse zur Anstellung
psychologischer Experimente, undjeder Fortschritt in der Erkenntniss
der physikalischen oder chemischen Bedingungen der Sinneswabrnehmungist
auch vonWerthfür deren psychologische Untersuchung, aber die Resultate
der
Physiksind keine Beiträge zur Psychologie. Etwas anders steht
es insofern mit [>19]
der anderen oben genannten Disciplin, als die Physiologie der Sinne
auch von
den Empfindungen und Wahrnehmungen, die Physiologie der Centralorgane
auch von dengeistigen Functionen zu berichten pflegt. Man findet deshalb
unter
den Physiologen nicht wenige, die in der Psychologie nur einen Theil
der Physiologie
erblicken. Diese Ansicht beruht auf einem erkenntnisstheoretischen
Irr-
thum. Die Physiologie hat es nicht mit den KG19E1Erlebnissen
in
ihrer Abhängigkeit von
den sie KG19e1erlebenden
Individuen zu thun, sondern mit den äußerlich wahrnehmbaren,
in Abhängigkeit von einander und von der Umgebung stehenden Lebenserscheinungen.
Aber in den psychischen Vorgängen, welche die letzteren theilweise
begleiten, sind dem Physiologen werthvolle Erkenntnissgründe für
das
Vorhandensein körperlicher Functionen gegeben. Sie sind ihm daher
zwar nicht
eigentlicher Gegenstand seiner Untersuchung, wohl aber Hinweise auf
diesen.
So berühren sich freilich Psychologie und ein Theil der Physiologie
auf das Engste,
und es werden scheinbar gleichartige Tendenzen und Beobachtungen in
beiden
zur Geltung gebracht. Aber für den tiefer Blickenden kann es keinem
Zweifel
unterliegen, dass die letzten Absichten und Zwecke in beiden Wissenschaften
durchaus verschieden sind. Man kann im Interesse des Fortschritts psychologischer
Erkenntniss bei aller principiellen Trennung der Gebiete nur wünschen,
dass die psychologisch verwerthbaren Arbeiten physiologischer Forscher,
wie bisher, so auch fernerhin in größerer Anzahl stattfinden.
Bei dem Mangel
an psychologischen Instituten ist diese Unterstützung von benachbarter
Seile
sehr willkommen.
§
8. Eintheiluug uud Litteratur der Psychologie.
"
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
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