Die Sprache der Mathematik
am Beispiel zählen
aus der Sicht eines mathematisch interessierten Laien
Hilfsbegriffe Metamathematik - Die Sprache der Mathematik.
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Zusammenfassung
zaehlen
in
der Mathematik
Auslöser für diese kleine Dokumentation war die Frage in
einer Mathe Newsgroup, was denn der Unterschied zwischen zählen
und abzählbar
sein soll und warum zählen nicht genügt, denn was
man abzählen kann, das zählt man ja. Die Antworten waren für
mich nicht zufriedenstellend, so dass ich mich daran gemacht habe, zu erkunden,
wie das Zählen in der Mathematik gesehen wird.
Zählen ist zweifellos eine der
ganz großen frühen Kulturleistungen der Menschheit, eine der
Grundlagen der Mathematik und sehr wichtig für die Wissenschaften,
das Alltags- und das Wirtschaftsleben mit einigen wenigen Ausnahmen.
Von daher sollte man erwarten, dass
zählen in mathematischen
Darstellungen eine besondere Aufmerksamkeit erfährt. Doch das Gegenteil
ist der Fall. "Zählen" enthält bei den meisten
der von mir eingesehenen Lexika, Wörter- und Fachbüchern der
Mathematik keinen Sachregistereintrag, Lexikon- oder Wörterbucheintrag
(Ausnahmen: B06, B13,
B15,
B16,
B17,
B22,
), dagegen ist der merkwürdige und dubiose Begriff "abzählbar"
fast überall vertreten. Vermutlich wird zählen
als zu selbstverständlich ("trivial")
angesehen, so dass man besondere Einträge für überflüssig
hält ("Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere
ist Menschenwerk" [Kronecker]).
Diese Interpretation spräche - positiv betrachtet - dafür wie
tief und breit zählen in all den Kulturen gesehen wird,
in denen Mathematik eine wichtige Rolle spielt.
Mit zählen gebe ich nun ein zweites,
weiteres Beispiel - das erste war Kommutativität
- für die Merkwürdigkeiten in der Sprache
der Mathematik. Abzählbar beschreibt dem Wortsinn und der
mathematischen Handlung nach nur eine Möglichkeit, wie die Nachsilbe
"bar" schon deutlich macht. Seit der Mengenlehre, aus der dieser Begriff
hervorging, hat man mit diesem Begriff viel Unsinn angestellt. Insbesondere
versucht man uns z.B. weiszumachen, es gäbe z.B. genau
so viele natürliche wie gerade oder ungerade Zahlen - aber "nur" im
Unendlichen heißt es dann immer wieder beruhigend. "Das" Unendliche
als fix und fertiges Ganzes - die sog. aktual
unendliche Menge - ist natürlich ein selbstwidersprüchlicher
Begriff, den man aber per Definitionem eingeführt hat und der mit
autoritärer Mehrheitsdogmatik durchgesetzt und aufrechterhalten werden
soll.
Zum Zählen braucht man einen Gegenstandsbereich,
den man zählen will, und ein Zählsystem, mit dem man zählt.
Voraussetzung ist, dass in beiden Bereichen wohlunterscheidbare Gegenstände
und Zahlen zur Verfügung stehen, die man 1:1 einander zuordnen kann.
Die natürlichen Zahlen erfüllen das auf der Zählsystemseite
perfekt.
Denkpsychologisch
erfordert Zählbarkeit Unterscheidbarkeit
der Zählobjekte (> Einheiten
der Wahrnehmung). Man kann nicht zählen, was man nicht unterscheiden
kann. Zählen geht nur im Diskreten und im Endlichen.
Worte mit "zähl" (Auswahl): abzählbar,
abzählen, anzählen, aufzählen, auszählen, zählbar,
zählen, zusammenzählen.
Ergebnisse der Erkundung
Die Beispiele sind unsystematisch, so wie sie mir über den
Weg gelaufen sind oder einfielen, angeordnet. Neue werden im Laufe
der Zeit einfach angehängt.
Exkurs-1: Helmholtz Zählen und
Messen erkenntnistheoretisch betrachtet.
Exkurs-2: Der Beitrag Piagets zum Zählen.
Exkurs-3: Können Tiere zählen?
Ein Rabe, der bis zu 4 Personen unterscheiden konnte. Ein Feldexperiment.
Exkurs-4: Ein paar Gedanken zur kognitiven
Entwicklungspsychologie des Zählens.
Exkurs-5 Gedanken zu einem neurowissenschaftlichen
Versuchplan zur Frage angeborener Zählfähigkeiten.
Exkurs-6 Eigene Betrachtungen zu
Zählmodellen
B01 Zaehlen im Fischer Lexikon Mathematik 1 und
2
Obwohl man es kaum für möglich hält, findet sich in
den beiden Bänden DAS FISCHER LEXIKON MATHEMATIK kein Eintrag "zählen":
B02b Zaehlprozess dtv-Atlas Mathematik
1, S. 49
B03.1 Fundstelle S. 78 Noch eins "4.1.1.
Ursprünge
"Zahlen entspringen dem Zählen. Zählen, das gedankliche Sich-Einlassen
auf den sich wiederholenden Vorgang des „noch-eins, noch-eins, …“ oder
auch „noch-mal, noch-mal, …“ benötigt eine Ausdrucksform, ein Festhalten
„wie viel“ beim Zählen vorliegt oder auch „wie weit“ man beim Zählen
gelangt."
B03.2 Fundstelle S. 79a: Ersatzmengen
"Ein wichtiger Schritt auf dem Wege der Entwicklung der Zahl zu einem
eigenständigen
Denkobjekt ist die Benutzung gegenständlicher Ersatzmengen zum Zählen
wie Steine, Muscheln oder Stäbchen. ..."
B03.3 Fundstelle S. 79b: eineindeutige
Zuordnung; Ersatzmenge diskrete homogene Einheiten; analogische Zuordnung.
"Die Bedeutung dieses Stadiums für die Entwicklung des Zahlbegriffs
charakterisiert Krämer (1988) durch drei wichtige Aspekte:
B04.1 Fundstelle S. 27: Zählzahlen = natürliche Zahlen
"Zählen, insofern damit nur das bewußte Zusammenfassen bestimmter
Einzelwesen gemeint ist, bildet, wie scharfsinnig hervorgehoben worden
ist S4-FN1), keine menschliche Eigentümlichkeit;
auch die Ente zählt ihre Jungen. Diesem niedersten Standpunkte ziemlich
nahe bleibt das, was von einem südafrikanischen Stamme berichtet wird
S4-FN2),
daß während wenige weiter zählen können als zehn,
dessen ungeachtet ihre Vorstellung von der Größe einer Herde
Vieh so bestimmt ist, daß nicht ein Stück daran fehlen darf,
ohne daß sie es sogleich merkten. „Wenn Herden von 400 bis 500 Rindern
zu Hause getrieben werden, sieht der Besitzer sie hereinkommen und weiß
bestimmt ob einige fehlen, wieviel und sogar welche. Wahrscheinlich haben
sie eine Art zu zählen, bei welcher sie keine Worte brauchen und wovon
sie nicht Rechenschaft zu geben wissen, oder ihr Gedächtnis erlangt
für diesen einzelnen Gegenstand durch die Übung eine so ungemeine
Stärke." Ohne nach so fernen Gegenden unseren Blick zu richten, können
wir ähnliche Erfahrungen täglich an ganz kleinen Kindern machen,
welche sofort wissen, wenn von Dominosteinen etwa, mit denen sie zu spielen
gewohnt sind, ein einzelner fehlt, während sie sich und anderen über
die Anzahl ihrer Steine noch nicht Rechenschaft zu geben wissen. Sie kennen
eben die Einzel-Individuen als einzelne, nicht als Teile einer Gesamtheit,
und ihr Gedächtnis ist [>5] für die Erinnerung an Angeschautes
um so treuer, je weniger andere Eindrücke es zu bewahren hat. In der
Sprache drückt sich diese Individualisierung nicht selten dadurch
aus, daß dieselbe Anzahl je nach den gezählten Dingen einen
anderen Namen führt, wie es bei manchen ozeanischen Völkerstämmen,
aber auch für Sammelwörter im Deutschen vorkommt, wenn man von
einem Koppel Hunde oder, wenn deren mehrere sind, von einer Meute Hunde,
von einer Herde Schafe, von einem Rudel Hirsche, von einer Flucht Tauben,
von einer Kette Feldhühner, von einem Zug Schnepfen, von einem Schwarm
Bienen zu reden pflegt S5-FN1).
Das eigentliche Zählen, das menschliche Zählen,
wenn man so sagen darf, setzt voraus, daß die Gegenstände als
solche gleichgültig geworden sind, daß nur das getrennte Vorhandensein
unterschiedener Dinge begrifflich erfaßt, dann sprachlich bezeichnet
werden soll. Es liegt darin bereits eine keineswegs unbedeutende Äußerung
der Fähigkeit zu verallgemeinern, zugleich auch eine ihrer frühesten
Äußerungen, denn die Zahlwörter gehören zu den ältesten
Teilen des menschlichen Sprachschatzes. In ihnen lassen sich oft noch Ähnlichkeiten,
mithin Beweise alter Stammesgemeinschaft später getrennter Völker
auffinden, während kaum andere Wörter auf die gleiche Zeit eines
gemeinsamen Ursprunges zurückdeuten. Und was war nun der ursprüngliche
Sinn dieser ältesten, der Entstehungszeit wie dem Inhalte nach ersten
Zahlwörter? Die Annahme hat gewiß viel für sich, daß
sie anfänglich nicht Zahlen, sondern ganz bestimmte Gegenstände
bedeuteten, sei es nun, daß man von der eigenen, von der angeredeten,
von der besprochenen Persönlichkeit, also von den Wörtern: ich,
du, er ausging, um aus ihnen den Urklang für: eins, zwei, drei zu
gewinnen S5-FN2), sei es, daß man von Gliedmaßen
seines Körpers deren Anzahl entnahm S5-FN3):
„Es war dem Menschen ohne Zweifel ein eben so interessantes Bewußtsein
fünf Finger als zwei Hände oder zwei Augen zu haben; und das
Interesse an dieser Kenntnis, welche einmal einer Entdeckung bedurfte,
war ihm die Schöpfung eines zu deren Zählung eigens verwendbaren
Ausdruckes wohl wert; von hier aus mag der Gebrauch auf andere zu zählende
Dinge übertragen worden sein, zunächst auf solche, bei denen
es auffallen mochte, daß sie in ebenso großer Zahl vorhanden
waren, als die Hand Finger hat." Wir wiederholen es, solche Annahmen haben
viel für sich, sie tragen ihre beste Empfehlung in sich selbst, aber
leider auch ihre einzige. Die Sprachforschung hat nicht vermocht deren
Bestätigung zu liefern, [>6] oder vielmehr jeder, der mit der Deutung
der Zahlwörter sich befaßte, hat aus ihnen diejenigen Zusammenhänge
zu erkennen gewußt, welche seiner Annahme entsprachen, lauter vollgelungene
Beweise, wenn man den einen hört, sich gegenseitig vernichtend, wenn
man bei mehreren sich Rat holt, und dieser mehreren sind obendrein recht
viele. Sind demnach die eigentlichen Fachmänner über Ursprung
der ältesten einfachen Zahlwörter im Hader, so müssen wir
um so mehr darauf verzichten, auf die noch keineswegs erledigten Fragen
hier einzugehen. Einige Sicherheit tritt erst bei Besprechung der abgeleiteten,
also jüngeren Zahlwörter hervor.
Es ist leicht begreiflich, daß auch die regste
Einbildungskraft, das stärkste Gedächtnis es nicht vermochten,
für alle aufeinander folgenden Zahlen immer neue Wörter zu bilden,
zu behalten. Man mußte mit Notwendigkeit sehr bald zu gewissen Zusammensetzungen
schreiten, welchen die Entstehungsweise einer Zahl aus anderen zugrunde
liegt, welche uns aber damit auch schon einen unumstößlichen
Beweis für die hochwichtige Tatsache liefern: daß zur Zeit,
als die meisten Zahlwörter erfunden wurden, der Mensch von dem einfachsten
Zählen bereits zum Rechnen vorgeschritten war.
Das älteste Rechnen dürfte durch ein gewisses
Anordnen vermittelt worden sein, sei es der Gegenstände selbst, denen
zuliebe man die Rechnung anstellte, sei es anderer leichter zu handhabender
Dinge. Kleine Steinchen, kleine Muscheln können die Vertretung übernommen
haben, wie sie es noch heute bei manchen Völkerschaften tun, und diese
Marken, diese Rechenpfennige würde man heute sagen, werden in kleinere
oder größere Häufchen gebracht, in Reihen gelegt das Zusammenzählen
ebenso wie das Teilen einer gegebenen Menge wesentlich erleichtert haben.
So lange man es nur mit kleinen Zahlen zu tun hatte, trug man sogar das
leichteste Versinnlichungsmittel stets bei sich: die Finger der Hände,
die Zehen der Füße. Man reichte freilich unmittelbar damit nicht
weit, und Völkerschaften des südlichen Afrika zeigen uns gegenwärtig
noch, wie genossenschaftliches Zusammenwirken die Schwierigkeit besiegt,
mit nur zehn Fingern größere Anzahlen sich zu versinnlichen
S6-FN1):
„Beim Aufzählen, wenn es über Hundert geht, müssen in der
Regel immer drei Mann zusammen diese schwere Arbeit verrichten. Einer zählt
dann an den Fingern, welche er einen nach dem andern aufhebt und damit
den zu zählenden Gegenstand andeutet oder womöglich berührt,
die Einheiten. Der zweite hebt seine Finger auf (immer mit dem kleinen
[>7] Finger der linken Hand beginnend und fortlaufend bis zum kleinen
Finger der Rechten) für die Zehner, so wie sie voll werden. Der
dritte figuriert für die Hunderte."
Die hierbei festgehaltene Ordnung der Finger mag
man nun erklären wollen, wie es auch sei S7-FN1),
sie findet statt und wird uns im Verlaufe der Untersuchungen als Grundlage
des sogen. Fingerrechnens noch mehr als einmal begegnen. Sie wird
sogar abwechselnd mit der entgegengesetzten Ordnung benutzt, um einem einzelnen
zu ermöglichen beliebig viele Gegenstände abzuzählen. Ist
nämlich mit dem kleinen Finger der rechten Hand die Zehn erfüllt
worden, so beginnt mit eben demselben allein aufgehoben die nächste
Zehnzahl, um dieses Mal nach links sich fortzusetzen, d. h. der kleine
Finger der linken Hand vollendet die Zwanzig und wird zugleich auch wieder
Anfang der nächsten Zehnzahl usf. Natürlich muß bei dieser
Zahlenangabe, wenn es nicht um ein allmähliches Entstehen, sondern
um ein einmaliges Ausdrücken einer Zahl sich handelt, besonders angedeutet
werden, daß und wie oft Zehn vollendet wurde, was etwa so geschehen
kann wie bei den Zulukaffern S7-FN2), die in solchem
Falle beide Hände mit ausgestreckten Fingern wiederholt zusammenschlagen.
Es ist wohl zu beachten, daß diese letztere
Methode der Versinnlichung einer Zahl, einfacher insoweit als sie nur die
Hände eines einzigen beschäftigt, begrifflich weit unter jener
anderen Methode steht, die unmittelbar vorher gekennzeichnet wurde und
drei oder gar noch mehrere Darsteller einer Zahl erfordert. Der einzelne
kommt durch die Zehnzahl der menschlichen Finger allerdings dazu, die Gruppe
Zehn als eine besonders hervortretende zu erkennen, aber wie oft diese
Gruppe selbst auch erzeugt werde, jede Neuerzeugung ist für ihn der
anderen ebenbürtig. Ganz anders bei der Methode stufenmäßiger
Darstellung durch mehrere Personen. Wie der Erste so hat der Zweite, der
Dritte nur je zehn Finger, und so erscheint die Gruppierung von zehn Einern
zwar zunächst, aber in gleicher Weise auch die von zehn Zehnern, von
zehn Hundertern. Das scheinbar umständlichere Verfahren führt
zu dem einfacheren Gedanken, zum Zahlensystem. Wenn von einem Schriftsteller
S7-FN3)
darauf hingewiesen worden ist, daß die Wiederholung der Zehnzahl
bis zu 10 mal 10 sich bei Erfüllung der nächsten 10 ebensowohl
zu 11 mal 10 als zu 10 mal 10 und 10, in Worten ebensowohl zu elfzig als
zu hundertzehn fortsetzen konnte, und daß es ein besonders glücklicher
Griff war, der fast allen Völkern der Erde gelang, soweit [>8] ihre
Fassungskraft überhaupt bis zum Bewußtwerden bestimmter höherer
Zahlen ausreicht, gerade die Wahl zu treffen, welche dem Zahlensystem seine
Grundlage gab, so ist diese feine Bemerkung vielleicht dahin zu ergänzen,
daß auf eine der hier erörterten nahestehende Weise jene glückliche
Wahl eingeleitet worden sein mag.
Über die Grundzahlen solcher Zahlensysteme
werden wir sogleich noch reden. Fürs erste halten wir daran fest,
daß Zahlensysteme eine allgemein menschliche Erfindung darstellen,
in allen bekannt gewordenen Sprachen zu einer Grundlage der Bildung von
bald mehr bald weniger Zahlwörtern benutzt, indem höhere Zahlen
durch Vervielfältigung von niedrigeren zusammengesetzt werden und
bei Benennung der Zwischenzahlen auch Hinzufügungen noch notwendig
erscheinen. Multiplikation und Addition sind also zwei Rechnungsverfahren
so alt wie die Bildung der Zahlwörter.
Das Zahlensystem, welches wir in seinem Entstehen
uns zu vergegenwärtigen suchten, wurde, sofern es auf der Grundzahl
Zehn
fußte, zum Dezimalsystem, heute wie unserem Zifferrechnen
so auch in unseren Maßen, Gewichten, Münzen fast der ganzen
gebildeten Erdbevölkerung unentbehrlich. Wir haben als wahrscheinlich
erkannt, daß es nach der Zahl der Finger sich bildete, aber eben
vermöge dieses Ursprunges war es nicht das allein mögliche. Wie
man sämtliche Finger durchzählen konnte, um eine Einheit höheren
Ranges zu gewinnen, so konnte man Halt machen nach den Fingern nur einer
Hand, man konnte neben den Fingern der Hände die Zehen der Füße
benutzen. In dem einen Falle blieb man beim Quinarsysteme, in dem
anderen ging man zum Vigesimalsystem über.
Ein strenges Quinarsystem würde, wie leicht
ersichtlich, 5 mal 5 oder 25, 5 mal 5 mal 5 oder 125 usw. als Einheiten
höheren Ranges nächst der 5 selbst besitzen müssen, welche
durch einfache oder auch zusammengesetzte Namen bezeichnet mit den Namen
der Zahlen 1, 2, 3, 4 sich vereinigen, um so alle zwischenliegende Zahlen
zu benennen. Ein solches strenges Quinarsystem gibt es nicht S8-FN1).
Dagegen gibt es Quinarsysteme in beschränkterem Sinne des Wortes,
wenn zur Benutzung dieses Wortes schon der Umstand als genügend erachtet
wird, daß die Fünf bei allmählicher Zahlenbildung einen
Ruhepunkt gewähre, von dem aus eine weitere Zählung wieder anhebt.
Was dementsprechend von einem strengen Vigesimalsysteme
zu verlangen ist, leuchtet gleichfalls ein: ein solches muß die Grundzahl
20 durchhören lassen, muß die Einheit höheren Ranges 20
mal [>9] 20 oder 400, vielleicht auch noch höhere Einheiten unter
besonderen Namen besitzen. Sprachen, in welchen dieses System maßgebend
ist, hat man mehrfach gefunden. Die Mayas in Yukatan S9-FN1)
haben eigene Wörter für 20, 400, 8000, 160000. Die Azteken in
Mexiko S9-FN2) hatten wenigstens besondere Wörter
für 20, 400, 8000 mit der Urbedeutung: das Gezählte, das Haar,
der Beutel, wobei auffallend erscheinen mag, daß das Haar eine verhältnismäßig
niedrige Zahlenbedeutung hat, während es in karaibischen Sprachen
S9-FN3)
weit übereinstimmender mit der Wirklichkeit eine sehr große
Zahl auszudrücken bestimmt ist. Noch andere Beispiele eines bemerkbaren
mehr oder minder durchgeführten Vigesimalsystems hat vornehmlich Pott,
dem wir hier fast durchweg folgen, in Fülle gesammelt. Wir erwähnen
davon nur als den meisten unserer Leser zweifellos bekannt die Überreste
eines keltischen Vigesimalsystems in der französischen Sprache in
Wörtern wie quatrevingts, sixvingts, quinzevingtsS9-FN4).
Von dänischen Überresten eines Systems, in welchem Vielfache
von 20 eine Rolle spielen, ist weiter unten in etwas anderem Zusammenhange
die Rede.
Den Ursprung der drei Systeme, deren Grundzahlen
5, 10, 20 heißen, haben wir oben in die Finger und Zehen des Menschen
verlegt. Auch dafür sind sprachliche Anklänge vorhanden. Zwischen
den Wörtern für 5 und für Hand ist in manchen Sprachen völlige
Gleichheit, in anderen nahe Verwandtschaft S9-FN5).
Alsdann darf man aber wohl annehmen, daß es früher wünschenswert
war die Glieder des eigenen Körpers zu benennen, als Zahlwörter
zu bilden, daß also 5 von Hand abgeleitet wurde, nicht umgekehrt.
Das Wort für 10 heißt in der Korasprache S9-FN6)
(einem amerikanischen Idiome) so viel wie Darreichung der Hände, und
daß ein und dasselbe Wort 20 und Mensch bedeutet kommt mehrfach vor
S9-FN7).
Ob freilich, wie manche wollen, auch das deutsche zehn mit den Zehen, das
lateinische decem mit digiti in Verbindung gebracht werden
darf, darüber gehen die Meinungen weit auseinander, und Pott, unser
Gewährsmann, steht auf der Seite der Verneinenden. Jedenfalls ist
aber schon durch die erwähnten Beispiele ein innerer Zusammenhang
der drei genannten Systeme untereinander und mit den menschlichen Extremitäten
hinlänglich unterstützt. Gibt es nun Sprachen, in welchen auch
andere Grundzahlen als 5, 10 oder 20 sich nachweisen lassen?"
Strichkalkül.
Einführung und Begründung der natürlichen Zahlen durch den
Strichkalkül [Dingler 1944 - Grundidee schon 1915
- neu herausgegeben 1964 durch Lorenzen; auch 1965],
der auf zwei einfachsten Regeln beruht: 1) => | . 2) n => n| . 1) gibt
die Anfangsregel, 2) die Fortsetzungsregel wieder. Dingler (1944 neu nach
1964, S. 61]) führt aus:
|
B15-1 Fundstelle S. 14 Frühgeschichte
des Zählens
"Diese Geschichte hat vor sehr langer Zeit begonnen, und man weiß
auch nicht genau, wo sie begonnen hat. Am Anfang war der Mensch nicht fähig,
Zahlen zu erfassen, er konnte noch nicht zählen. In seiner Vorstellung
waren Zahlen konkrete, von der wahrgenommenen Natur nicht ablösbare
Gegebenheiten.
Heutzutage befinden sich noch einige der »primitiven«
Völker Ozeaniens, Afrikas und Amerikas in einem solchen Urzustand
des Zahlenbewußtseins. Eins, zwei und viele
sind die einzigen numerischen Größen, die diese Eingeborenen
wahrnehmen können. Sie lassen sich dabei von der angeborenen Fähigkeit
leiten, Mengen konkreter Gegenstände zu erfassen, und können
so lediglich ein einzelnes Objekt oder ein Paar wahrnehmen, bezeichnen
und unterscheiden.
Es ist aber nicht nötig, »zählen«
zu können wie wir, um das Datum einer Zeremonie festzuhalten und weiterzugeben
oder um festzustellen, ob die Hammel, Ziegen und Ochsen, die man morgens
auf die Weide getrieben hat, am Abend alle wieder zurückgekehrt sind.
Selbst wenn Sprache, Erinnerung und abstraktes Denken vollkommen versagen,
kann man sich verschiedener Hilfsmittel bedienen, um einen solchen Zählvorgang
durchzuführen. Einige »primitive« Völker, die lediglich
einzelne Einheiten einander zuordnen können, schnitzen zu diesem Zweck
Kerben in Knochen oder Holz. Andere behelfen sich mit dem Aufhäufen
oder Aneinanderreihen von Steinen, Muscheln, Knöchelchen oder Stäbchen.
Wieder andere nehmen die verschiedenen Teile ihres Körpers zu Hilfe
und benützen Finger und Zehen, Arm- und Beingelenke, Augen, Nase,
Mund, Ohren, Brüste, Brustkorb usw.
Die Natur liefert zahlreiche Vorbilder: Die Flügel
eines Vogels können z.B. das Paar verkörpern, gewöhnliche
Kleeblätter die Zahl Drei, die Füße eines Vierfüßlers
die Vier, die Finger einer Hand die Fünf, die Finger beider Hände
zusammen die Zehn usw.
So in eine Welt voller Zahlen gestellt, begann der
Mensch zwangsläufig zu zählen und entwickelte nach und nach die
abstrakten Zahlen.
Da alle einmal damit angefangen haben, mit den Fingern
zu zählen, basieren die meisten gegenwärtig existierenden Zahlensysteme
auf der Zahl Zehn. Einige frühere Kulturen haben statt dessen die
Zahl Zwölf gewählt. Die Maya, die Azteken und die Kelten benutzten
- da man sich nur ein wenig zu bücken brauchte, um auch die Zehen
mitzuzählen - die Zahl Zwanzig als Basis. Die Sumerer, die Erfinder
der ältesten bekannten Schrift, und die Babylonier, die allein wegen
der Entdeckung der Null einen Ehrenplatz in der Weltgeschichte verdienten,
wählten als Grundlage ihres Zahlensystems die Zahl Sechzig; aus welchem
Grunde ist nicht bekannt. Sie haben uns die Unterteilung in Stunden, Minuten
und Sekunden hinterlassen, die unseren Schülern so schwer fällt,
ebenso den seltsamerweise in 360 Grad unterteilten Kreis. Aber das ist
bereits höhere Rechenkunst. ..."
Und auf S. 14f findet sich: "Das Zählen ist eine knifflige Angelegenheit
-besonders, wenn man keine Ahnung davon hat, was Zahlen sind. Die ersten
zählenden Menschen werden Magier oder Schamanen gewesen sein. Ihre
magische Zählfähigkeit war nötig, als verschiedene Stämme
begannen, einander zu bekämpfen. Wer einen Stamm anführt und
eine große Anzahl von Kriegern für die Verteidigung [>15] (oder
den Angriff) befehligt, will wissen, ob alle Krieger aus der Schlacht wieder
zurückgekehrt sind oder nicht. Manche Stämme hatten den Brauch,
eine Entschädigung entsprechend der Verluste zu verlangen (ich habe
fünfzehn Mann verloren, jetzt bekomme ich fünfzehn Büffel
von dir). Aber wie handelt man eine faire Entschädigung aus, wenn
es kein Wort für fünfzehn gibt und man nicht zählen kann?
Man benutzt einen ganz einfachen Trick: Beim Auszug
in den Kampf legt jeder Krieger einen Stein an eine Sammelstelle. Bei der
Rückkehr nimmt jeder wieder einen Stein fort. Die Anzahl der liegen
gebliebenen Steine ist gleich der Anzahl der getöteten Männer.
Der Anführer kann dann für jeden Stein ein Stöckchen nehmen
(die sind leichter zu tragen als Steine), mit ihnen zu dem anderen Stamm
gehen und für jedes Stöckchen einen Büffel verlangen. Ohne
zu zählen, ja ohne überhaupt eine Vorstellung von Zahlen zu haben,
sind auf diese Weise ganz exakte Handels- und Tauschgeschäfte möglich.
Der Nachteil von Steinen oder Stöckchen ist,
dass sie viel Platz brauchen und manchmal verloren gehen. Man mag mit einem
Kübel Steine oder einem Bündel Stöcke eine Zahl »schreiben«
können - unkompliziert ist das aber nicht. (Dennoch war dieses Prinzip
in einigen Gegenden noch lange in Gebrauch: In Elam im heutigen Iran fand
man 6000 Jahre alte Behälter mit verschieden geformten Tontäfelchen
für Zählzwecke.)
Doch seit etwa 30 000 Jahren gibt es auch effektivere
Wege, Zahlen zu schreiben. Dies beweisen Funde von Tierknochen mit Kerbmustern.
In prähistorischer Zeit schlug man Kerben mit Steinäxten in die
Knochen und konnte so Zahlen aufzeichnen. Eine Kerbe pro Tag maß
das Verstreichen der Zeit, sodass man die Mondphasen oder die Jahreszeiten
mit großer Genauigkeit vorhersagen konnte. Mit einer Kerbe pro Tier
stellten die ersten Hirten fest, ob die Herde am Abend noch vollständig
war. Mit einer Kerbe pro Beutetier wiesen die besten Jäger ihren Mut
und ihre Fähigkeiten nach. Interessanterweise waren die Kerben oft
in Gruppen zu fünf zusammengefasst. Dafür gibt es zwei Gründe:
Erstens hat die menschliche Hand fünf Finger, und wir benutzen unsere
Finger ja auch gerne zum Zählen. Doch die Fünfergruppen haben
noch einen weiteren Grund: Das menschliche Hirn kann nämlich zwei
Mengen aus vielen Elementen nicht besonders gut auf einen Blick unterscheiden.
... "
Karl Menninger: "... Kurz, man kann alles Unterscheidbare zählen, ..." Bd.1, S. 17. Original gesperrt = hier fett. |
B17a Bd. 1 Zahlwort und Ziffer
Der erste Bd. enthält Sachregistereinträge zählen, aber
nicht abzählbar:
B17a Fundstelle S. 17 ff (Original gesperrt = hier fett)
"DIE LEERE ZÄHLREIHE
Wie zählen wir heute?
Ehe wir die geschichtliche Entwicklung unserer Zahlwörter
untersuchen, wollen wir feststellen, wie und was wir zählen
und was 'zählen' eigentlich heißt.
Vor uns liegt ein Haufen Erbsen, den sollen wir
zählen. Wie machen wir das? Wir reihen die Erbsen wirklich oder im
Geiste hintereinander, tupfen nun die erste an und sagen 'eins', dann die
zweite: tupf — 'zwei'; tupf — 'drei' . . . tupf — 'zweiundzwanzig'; 22
Erbsen sind es. Was haben wir also gemacht? Jeder Erbse ein Wort zugeordnet.
Zählen ist also eine Zuordnung von Wörtern.
Wem werden diese Wörter zugeordnet? Den Dingen,
die wir zählen; hier den Erbsen. Ein andermal zählen wir Häuser,
Bäume, Menschen, Finger. Kann man auch Dinge verschiedener Art zählen:
einen Federhalter, einen Schreibtisch und eine Katze? Ja, es sind 3 'Dinge'.
Kann man auch ungreifbare Dinge zählen, etwa die Schlüsse eines
Beweises oder die Gedanken eines Aufsatzes? Ja. Auch die Eigenschaften
eines Menschen: geistvoll, schlank, lebhaft, warmherzig . . . kann man
auf-zählen. Kurz, man kann alles Unterscheidbare zählen,
sei es greifbar oder ungreifbar, von gleicher oder verschiedener Art. Unterscheidbare
Dinge bilden allgemein gesehen eine Menge, sie selbst sind die Glieder
dieser Menge.
Danach sagen wir jetzt:
Eine Menge kann man immer zählen. Wir ordnen
ihren Gliedern jeweils die Zahlwörter zu.
Auch die Zahlwörter bilden eine Menge. Ihre
Glieder sind die Wörter zwei, drei usw. Beim Zählen werden also
die Glieder der Zahlwörter-[>28] menge oder der Zählreihe,
wie wir sie nennen wollen, den Gliedern der zu zählenden Menge eindeutig
zugeordnet; eindeutig will heißen: so, daß jeder Erbse nur
ein Zahlwort angehängt wird.
Denken wir uns einmal die einzelnen Glieder der
Zählreihe als Kästchen mit der Aufschrift eins, zwei, drei usw.,
dann können wir uns das Zählen auch so vorstellen: Wir setzen
von vorn her in jedes Kästchen eine Erbse, die erste in Kästchen
'eins', die letzte in Kästchen 'zweiundzwanzig'.
22 Kästchen unserer Zählreihe sind voll, alle ihre folgenden
Kästchen ab 23 sind leer.
Jetzt verstehen wir die Überschrift 'die leere
Zählreihe'. Solange nicht gezählt wird, steht sie da,
losgelöst von allen Dingen, leer, aber in Bereitschaft. Zählt
man, dann werden nach dem einen Bild die Zahlwörter den Dingen angeheftet,
nach dem andern werden die Dinge in die leeren Kästchen der Zählreihe
eingesetzt. Das letzte Zahlwort (oder das letzte Kästchen) gibt die
Anzahl
der Menge an.
So einfach diese Einsicht ist, so wichtig ist sie.
Denn wir werden sehen, daß die 'Loslösung' der Zählreihe
von den gezählten Dingen dem Menschengeist große Schwierigkeiten
gemacht hat. Wir brauchen ja nur einmal zu denken: Wie zählten wir,
wenn wir diese Reihe aus den merkwürdigen Wörtern eins, zwei,
drei usw. nicht besäßen? Und einmal war sie doch nicht da!
Eine Leistung unserer Zählreihe ist also ihre
Unabhängigkeit von den Dingen. Man kann alles mit ihr zählen.
Kann man aber auch beliebig große Mengen
mit ihr zählen, den Sand am Meer? Ja, auch diese 'unzählbaren'
Mengen zählt unsere Zählreihe; das ist ihre andere Leistung.
Jedem Sandkorn ordnet sie ein Zahlwort zu, unermüdlich, unerschöpflich!
Und wenn das letzte Korn gezählt ist, besitzt sie immer noch 'unzählig
viele' Zahlwörter, mit denen sie weiter zählen könnte.
Sie könnte weiter zählen, nicht wir. Aber
wir wissen genau, daß sie es ordentlich und richtig machte. Wir hören
von 3 Millionen Einwohnern einer Stadt. Wer zählt sie nacheinander
1 2 3? Und doch sind wir sicher, daß, geschähe es so, wir auf
unserem Weg kämen zu dem Einwohner Nr. 2999974, 2999975, 2999976 .
. . und schließlich 2999999, 3000000.
Woher diese Gewißheit, die wir nie durch Erfahrung
gewannen? Nun, wir wissen: unsere Zählreihe verkörpert das Gesetz
des unendlichen Fortgangs; wir wissen: jede Zahl hat eine folgende,
und wir wissen auch, wie diese folgende aus der vorhergehenden gebildet
wird.
Unsere Zählreihe ist also nicht eine bunte
Aufreihung zusammengesuchter Wörter, sondern sie ist ein wohlgegliedertes
geistiges
Gebilde. Sie trägt in sich das Gesetz des unendlichen Fortgangs, kraft
dessen wir die Zählbarkeit von Mengen erkennen, selbst dann, wenn
deren wirkliche Durchzählung für uns unausführbar ist. [>19]
Sie begnügt sich dabei mit einer endlichen,
ja sogar wunderbar kleinen Anzahl von Zahlwörtern, denn sie verwendet
sie in geschickter Ordnung und Verknüpfung immer wieder.
Und sie ist völlig unabhängig von den
Dingen, die sie zählt; sie ist leer. Daher kann sie alles zählen.
Das ist unsere Zählreihe von heute, die Zählreihe
in ihrer höchsten Ausbildung. Und nun, da wir sie kennen, gewinnt
für uns die Frage besonderen Reiz:
War denn das nicht immer so?"
B17b Band 2 Zahlschrift und Rechnen
Der 2. Band enthält keinen Eintrag zählen (S. 313):
B19.1 Fundstelle S. 132 Wie wir zählen
"... Was eigentlich sollen die Kinder im Unterricht lernen und verstehen?
In den Antworten der Teilnehmer zeigt sich, ebenso wie bei einem Blick
in die unterschiedlichsten Schulbücher, dass unser Verständnis
von Zahlen durch unsere vertraute Zahlreihe geprägt ist. Wir zählen
mit Worten („Eins, Zwei, Drei, ...“) und schreiben mit abstrakten Zeichen
(1, 2, 3, ...). Die Zahlreihe scheint am Anfang zu stehen. Mit diesen Worten
und Zeichen fängt alles an."
Fundstelle S. 140f. "Zählen: das ABC des Rechnens
In den ersten sechs oder sieben Lebensjahren tritt eine Fülle
von Rechenverfahren zutage. Kinder erfinden das Rechnen neu. Spontan oder
beim Nachahmen von Gleichaltrigen denken sie sich neue Rechenverfahren
aus und lernen auch, für jedes Problem die beste Strategie zu wählen.
Die Mehrzahl ihrer Strategien beruhen auf dem benannten und unbenannten
Zählen, mit oder ohne Hilfe der Finger. Oft entdecken Kinder solche
Strategien ganz von selbst, noch bevor sie Rechenunterricht erhalten.
Können wir daraus schließen, daß
Zählen eine angeborene Fähigkeit des menschlichen Gehirns ist?
Diese Ansicht vertreten Rochel Gelman und Randy Gallistel. Ihrer Meinung
nach können Kinder Dinge zählen, ohne es je lernen zu müssen.
Man muß ihnen nicht beibringen, daß jedes Ding nur einmal gezählt
werden soll, daß es für die Zahlwörter eine feste Reihenfolge
gibt oder daß die letzte Zahl die Kardinalzahl der Menge angibt.
Gelman und Gallistel behaupten, eine solche Kenntnis des Abzählens
sei angeboren und gehe sogar dem Erwerb des Zahlenwortschatzes voraus.
Wohl nur wenige Theorien wurden so erbittert debattiert
wie die von Gelman und Gallistel. In der Psychologie und Pädagogik
wird das Zählen oft als typisches Beispiel für Lernen durch Nachahmung
gesehen, das anfangs nur sinnlose Routine ist. Nach Karen Fuson zählen
Kinder anfangs einszweidreivierfünf ... als ununterbrochene Kette.
Erst später lernen sie, diese Folge in Wörter zu unterteilen,
sie zu größeren Zahlen weiterzuführen und sie in konkreten
Situationen anzuwenden. Sie leiten immer besser her, worum es beim Zählen
geht, indem sie andere Menschen dabei beobachten. Anfangs ist Zählen
nach Meinung von Fuson lediglich Nachplappern.
Die Wahrheit, die nach Jahren der Kontroversen und
Dutzenden von Experimenten immer deutlicher zutage tritt, liegt anscheinend
irgendwo zwischen den Extremen von alles angeboren und alles erworben.
Einige Aspekte des Zählens werden schon sehr früh gemeistert,
andere dagegen werden wohl durch Lernen und Nachahmen erworben.
Als Beispiel für erstaunlich frühes Zählvermögen
betrachte man das folgende von Karen Wynn durchgeführte Experiment.
Kinder im Alter von zweieinhalb Jahren haben vermutlich noch nicht viel
Gelegenheit gehabt, jemanden zu beobachten, der Töne oder Handlungen
zählt. Aber wenn man ihnen ein [>141] Videoband der Sesamstraße
vorspielt und sie bittet zu sagen, wie oft das Krümelmonster seilhüpft,
zählen sie mühelos. Ähnlich zählen sie ohne weiteres
so unterschiedliche Klänge wie Trompetenfanfaren, Glockenläuten,
Plätschern und Pieptöne eines Computers, die auf Tonband aufgenommen
wurden und deren Quelle unsichtbar ist. Kinder verstehen also anscheinend
sehr früh und ohne ausdrückliche Unterweisung, daß Zählen
ein abstraktes Verfahren ist, das sich auf alle möglichen sichtbaren
und hörbaren Dinge anwenden läßt."
Anmerkung: Der Abschnitt enthält 7 Untergliederungen mit zwei Beweisen.
B26 Zählen
bei Karlson (1954), Erstes Kapitel "Vom Zählen"
Das Buch enthält kein Sachregeister,
aber ein ausführliches Inhaltsverzeichnis und das erste Kapitel (11-28)
ist m.E. irreführend mit "Vom Zählen" überschrieben, geht
aber auf das Zählen kaum ein. Schon auf S. 12 ist er bei "Zahl und
Anzahl" und S. 13 bereits beim Rechnen.
Hierbei ergeben sich die natürlichen Zahlen aus Definitionen.
"Die gesetzmässige Reihe der Zahlen.
Das Zählen ist ein Verfahren, welches darauf beruht, dass
wir uns im Stande finden, die Reihenfolge, in der Bewusstseinsacte zeitlich
nach einander eingetreten sind, im Gedächtniss zu behalten. Die Zahlen
dürfen wir zunächst als eine Reihe willkürlich gewählter
Zeichen betrachten, für welche nur eine bestimmte Art des Aufeinanderfolgens
als die gesetzmässige, oder nach gewöhnlicher Ausdrucksweise
„natürliche" von uns festgehalten wird. Die Bezeichnung der „natürlichen"
Zahlenreihe hat sich wohl nur an eine bestimmte Anwendung des Zählens
geknüpft, nämlich an die Ermittelung der Anzahl gegebener
reeller Dinge. Indem wir von diesen eines nach dem andern dem gezählten
Haufen zuwerfen, folgen die Zahlen bei einem natürlichen Vorgang auf
einander in ihrer gesetzmässigen Reihe. Mit der Reihenfolge der Zahlzeichen
hat dies nichts zu thun; wie die Zeichen in den verschiedenen Sprachen
verschieden sind, so könnte auch ihre Reihenfolge willkürlich
bestimmt werden, wenn nur unabänderlich irgend eine bestimmte Reihenfolge
als die normale oder gesetzmässige festgehalten wird. Diese Reihenfolge
ist in der That eine von Menschen, unsern Voreltern, die die Sprache ausgearbeitet
haben, gegebene Norm oder Gesetz. Ich betone diesen Unterschied, weil das
angeblich „Natürliche" der Zahlenreihe mit der unvollständigeren
Analyse des Begriffs der Zahl zusammenhängt. Die Mathematiker bezeichnen
diese gesetzmässsige Zahlenreihe als die der positiven ganzen Zahlen.
[>82]
Die Zahlenreihe ist unserem Gedächtniss ausserordentlich
viel fester eingeprägt als jede andre Reihe, was unzweifelhaft auf
ihrer viel häufigeren Wiederholung beruht. Wir brauchen sie deshalb
auch vorzugsweise, um durch Anknüpfung an sie die Erinnerung anderer
Reihenfolgen in unserem Gedächtniss zu festigen; d. h. wir brauchen
die Zahlen als
Ordnungszahlen.
Eindeutigkeit der Folge.
In der Zahlenreihe sind Vorwärtsschreiten und
Rückwärtsschreiten nicht gleichwertige, sondern wesentlich verschiedene
Vorgänge, wie die Folge der Wahrnehmungen in der Zeit, während
bei Linien, die im Raume dauernd und ohne Aenderung in der Zeit bestehen,
keine der beiden möglichen Richtungen des Fortschreitens vor der andern
ausgezeichnet ist.
Thatsächlich wirkt in unserem Bewusstsein jeder
gegenwärtige Act desselben, sei es Wahrnehmung, Gefühl oder Wille,
zusammen mit den Erinnerungsbildern vergangener Acte, nicht aber zukünftiger,
die zur Zeit im Bewusstsein noch gar nicht vorhanden sind, und der gegenwärtige
Act ist uns bewusst als specifisch verschieden von den Erinnerungsbildern,
die neben ihm bestehen. Dadurch ist die gegenwärtige Vorstellung in
einen der Anschauungsform der Zeit angehörigen Gegensatz als die nachfolgende
den vorausgegangenen gegenüber gestellt, ein Verhältniss, welches
nicht umkehrbar ist, und dem nothwendig jede in unser Bewusstsein eintretende
Vorstellung unterworfen ist. In diesem Sinne ist die Einordnung in die
Zeitfolge die unausweichliche Form unsrer inneren Anschauung."
Einige Zählzahlmodelle:
Ähnliches berichtet Karlson (1954) von den Botoku: "Ach dann mußten die Zahlen noch lange Zeit warten, ehe sie wirklich entdeckt wurden. Beträchtliche Zeiträume hindurch konnte die Menschheit nicht bis drei zählen. So benutzen die Botokuden für 1 das Wort pögik — Finger, für 2 das Wort krä-pö — doppelter Finger. Alles, was darüber hinausgeht, bezeichnen sie als »uruku« — viel."
Aus
dem Vorwort 5. Auflage Beutelspacher, Albrecht & Zschiegner,
Marc-A. (2014) Diskrete Mathematik für Einsteiger
"Diskrete Mathematik in der Schule? In Deutschland immer noch ein Fremdwort.
Während in anderen Ländern die diskrete Mathematik fest in den
Lehrplänen verankert ist, fristet sie in Deutschland ein Schattendasein.
Das ist schade, denn es gibt viele Argumente, diskrete Mathematik in der
Schule zu behandeln:
Diskrete Mathematik ist voraussetzungsarm:
Eine große Schwierigkeit des üblichen Mathematikunterrichts
ist, dass die Inhalte kontinuierlich aufeinander aufbauen. Schüler,
die einmal den Anschluss verloren haben, haben es sehr schwer wieder „einzusteigen“.
Viele Gebiete der diskreten Mathematik dagegen kommen ohne große
Voraussetzungen aus. Oft ist ein spielerischerEinstieg ohne großen
Formalismus möglich.
Diskrete Mathematik ist reine Mathematik:
Diskrete Mathematik zeigt an vielen Stellen besser als der herkömmliche
Schulstoff das eigentliche Wesen der Mathematik auf. An Stelle des in der
Schule oft praktizierten kalkülhaften Ausrechnens tritt hier das problemorientierte
Denken und Argumentieren in den Vordergrund. Dadurch können auch überfachliche
Kompetenzen geschult werden.
Diskrete Mathematik ist angewandte Mathematik:
Im herkömmlichen Mathematikunterricht werden Anwendungen oft sehr
künstlich erzeugt. Manche Aufgaben wirken dadurch eher albern als
motivierend. Die diskrete Mathematik dagegen liefert echte, lebensnahe
Anwendungen. Schülerinnen und Schüler können Probleme lösen,
die sie wirklich interessieren.
Diskrete Mathematik zeigt Zusammenhänge
auf: Viele Inhalte der diskreten Mathematik haben Entsprechungen in
der kontinuierlichen Mathematik. Diese Analogien können im Unterricht
aufgezeigt werden, um so ein tieferes Verständnis der mathematischen
Strukturen zu erzeugen."
__
Einheiten der Wahrnehmung
> Gestalt/
Gestaltpsychologie. > Grundbegriffe.
Gut bekannte und gewohnte Wahrnehmungseinheiten lassen sich leicht
von einander abgrenzen und damit auch leicht zählen. Je unstrukturierter,
ungenauer und unschärfer, aber auch komplexer Wahrnehmungselemente
vorliegen, desto offener oder unklarer kann bleiben, was nun als
Wahrnehmungseinheit angesehen wird. Das kann von Individuum zu Individuum,
von Situation zu Situation, von Entfernung und Schärfe sehr verschieden
sein. Die folgenden Bilder zeigen, wie schwierig es sein kann, Wahrnehmungseinheiten
festzulegen, am leichtesten noch beim Haus oben Mitte (z.B. Zählen
der Fenster) und sogar beim abstrakten Paul Klee. Sehr schwierig wird es
aber bei der Histologie der Lungenpest oder dem Akt von Paul Klee (etwa
Zählen der Arme und Beine).
Bildquellen: alle Wikipedia: Oben links: Hängende
Häuser, Oben Mitte: Ivo ruusamägi: Tõstamaa
vallamaja . Oben rechts: Paul Klee Akt
(1905):
Unten links: Lungenpest
(Public Health Image Library, CDC), Unten rechts: Paul Klee Motiv
aus Hammemet (Tunisreise 1914)
Finite Mathematik
Reinhard Michel schreibt zu Lipschutz im "Vorwort zur deutschen
Ausgabe
Obwohl das im vorliegenden Buch behandelte Gebiet der Finiten Mathematik
in letzter Zeit einen starken Aufschwung in vielen Bereichen der Anwendung
spezieller mathematischer oder formallogischer Methoden gefunden hat (siehe
dazu auch das Vorwort zur englischsprachigen Ausgabe), wird mancher Leser
sich beim Titel des vorliegenden Bandes fragen: Was ist eigentlich Finite
Mathematik? Wie man dem Inhaltsverzeichnis entnehmen kann, wird hier ein
breites Spektrum mathematischer Methoden diskutiert, wobei das vereinheitlichende
Grundprinzip die Tatsache ist, daß alle Ausführungen auf endlichen
Betrachtungen aufbauen. Es wird mit anderen Worten keine Infinitesimalrechnung,
keine infinite Mathematik dargestellt. Die Theorie der Finiten Mathematik
ist einfacher darzustellen, ihre Sätze sind beträchtlich einfacher
zu beweisen, sie ist insgesamt stark anwendungsbezogen. ..."
__
Originalzitat
Dehaene (1999), S. 273 über Peano-Axiome und Nicht-Standard-Modelle
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site: www.sgipt.org
z.B. Wissenschaft site: www.sgipt.org. |
korrigiert: irs 26.11.2015