Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=25.08.2001 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 31.01.20
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen Mail:_sekretariat@sgipt.org_

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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Medizinische Psychosomatik, Psychopathologie und Psychiatrie, hier zum Thema Zwang und Zwangsmaßnahmen, Betreuung und Unterbringung, und hier speziell zu Ludwig II.:

    Die Schloßbauwut und das Finanzdebakel der "Zivilliste"
    (Hof & Kabinettskasse)

    Querverweis: Geld im Deutschen Reich    Überblick Ludwig II.
    Kommentar und Psychographische Einordnung des Finanzdebakels aus heutiger Sicht

        Die Zivilliste (Hof- oder Kabinettkasse) Ludwigs II. umfaßte in den 1880iger Jahren rund 4,5 Millionen Mark. Ein Arbeiter hatte damals einen Jahresverdienst von ca. 650 Mark. Es ist zwar schwierig, eine genaue Schätzung des heutigen Barwertes dieser Summen vorzunehmen, aber als grobe Schätzung und Faustregel kann man den Faktor 100 nehmen. Das entspräche, um sich einen Begriff von den Größenordnungen zu machen, heute in etwa 65.000 DM Jahresverdienst für einen Arbeiter und einer Hofkasse von ungefähr 450 Millionen Mark.

           
          Durchschnittliche Jahresverdienste 1871-1913 (Quelle)

        Obwohl es sich um alljährliche Riesensummen handelte, gelang es Ludwig II. bei seiner Schloßbauwut und unermeßlichen Prunksucht, orientiert an den französischen Sonnenkönigen, innerhalb relativ kurzer Zeit, genau in 15 Jahren - 1869 Baubeginn Schloß Linderhof und Neuschwanstein - , in große finanzielle Bedrängnis zu geraten, so daß es 1884 zu einer Krise der Zivilliste (Hof- oder Kabinettkasse) kommt. Rechnen wir die Summen der 15 Jahre auf heutigen Barwert um, so hatte er in dieser Zeit rund 7 Milliarden Mark zur Verfügung und soweit ausgegeben, daß die Kassen nicht nur leer waren, sondern die Gläubiger, darunter viele Handwerker, nicht mehr bezahlt werden konnten, so daß sogar zivil- gerichtliche Pfändung drohte. Finanzminister Riedel muß zur Abwendung der Pfändung bei Banken eine Anleihe von 7,5 Millionen Mark aufnehmen, das entspräche nach meinen Schätzungen heute ungefähr 750 Millionen Mark.

    Briefwechsel Finanzminister Riedel mit Ludwig
    Erster Brief am 19.4.1884 an den Hofsekretär

    nach Quellen von Hacker, Rupert (1966, 1972 dtv). Ludwig II. von Bayern in Augenzeugenberichten. München: dtv, S. 314 ff:

       
      "Die Lage der k. Kabinettskasse ist eine sehr ernste, so ernst, daß ich, seitdem ich mich näher mit derselben beschäftigte, in der Tat von schweren Sorgen fast niedergedrückt bin. Wenn nicht baldigst die vorhandenen Schuldverbindlichkeiten getilgt werden, so ist zu befürchten, daß Hunderte, ja vielleicht noch mehr Existenzen dem ökonomischen Ruine verfallen und dieser Umstand allein bringt schon eine große Gefahr, die berechtigten Klagen der Betroffenen nicht bloß in ganz Bayern, sondern weit über dessen Grenzen hinaus einen Widerhall finden werden, welcher durch kein Mittel von den Stufen des Thrones ferne zu halten sein dürfte, was in einer Zeit wie die gegenwärtige, wo die sozialen Verhältnisse mehr und mehr unterwühlt werden, doppelt bedenklich erscheint.
          Dazu kommt aber noch ein weiterer, höchst mißlicher Umstand. Nach bayerischen Gesetzen kann die Zivilliste vor Gericht verklagt und folgerichtig wenigstens teilweise auch gerichtlich beschlagnahmt werden.
          Nun wird zwar jeder treue Untertan möglichst vor Herbeiführung einer gerichtlichen Einschreitung zurückschrecken Allein bei manchen werden die Gefühle der Loyalität durch die Not zurückgedrängt werden, und andere werden den Ausweg ergreifen, ihre Forderungen an Wucherer oder Ausländer abzutreten, welche Loyalitätsrücksichten nicht kennen. [...]  Der Fortgang der gerichtlichen Prozedur kann in keinem Falle von Staats wegen gehemmt werden.


        Der Finanzminister nennt in seinem Bericht auch die Maßnahmen, die zur Abwendung dieser Gefahr ergriffen werden müssen:
     

          Diese Maßregeln können nach meiner Meinung nur in der Aufnahme einer größeren, entsprechend rasch zu tilgenden Schuld, in der planmäßigen Wegfertigung der vorhandenen Gläubiger und in der strengen Vermeidung neuer Schulden bestehen.


        In Durchführung dieser Überlegungen vermittelt Riedel am 1. Juni 1884 eine Bankanleihe von 7 1/2 Millionen Mark zur Bezahlung der Gläubiger. Da die Rückzahlung des Darlehens die Zivilliste bis zum Jahr 190l belasten muß, wird die Zustimmung der höchsten Agnaten des königlichen Hauses eingeholt. Inzwischen geht der Ausbau der Königsschlösser in unvermindertem Tempo weiter. Bereits im Sommer 1885 wird ein neuer Schuldenstand in Höhe von über 6 Millionen Mark festgestellt, so daß jetzt insgesamt fast 14 Millionen Mark Schulden vorhanden sind. Ludwig glaubt, die Krise durch ein Machtwort aus der Welt schaffen zu können. Am 29. August 1885; wendet er sich wieder an Finanzminister Riedel:
     

         Mein königlicher Wille ist es, daß die von Mir unternommenen Bauten nach Maßgabe Meiner getroffenen Anordnungen angemessene Fortsetzung und Vollendung finden. Dieses Mein Vorhaben erleidet aber eine wesentliche Hemmung infolge des ungünstigen Standes Meiner Kabinettskasse. Ich beauftrage Sie, Herr Minister, die nötigen Schritte zur Regelung der Finanzen zu tun und so Meine Unternehmungen zu fördern.


        In seiner Antwort vom 3. September legt Riedel dem König eindringlich die Notwendigkeit dar, die Kabinettskasse durch strenge Sparmaßnahmen zu sanieren. Er weist darauf hin, daß nach den gesetzlichen Vorschriften der Finanzminister keinen Einfluß auf die Verwaltung des königlichen Vermögens nehmen könne, bemerkt aber abschließend:
     

          Ungeachtet der vorstehend allerehrerbietigst dargelegten Erwägungen hat der treugehorsamst Unterzeichnete, von der Ansicht ausgehend, daß die dermaligen Zustände der Kabinettskasse, soweit sie bekannt geworden und in vielen Zeitungsblättern namentlich des Auslandes und demzufolge in allen Schichten der Bevölkerung besprochen werden, eine große Gefahr für Euerer Majestät erhabene Person und den Thron in sich bergen, und erfüllt von dem sehnlichsten Wunsche, den Allerhöchsten Interessen in gewissenhafter Weise zu dienen, sich schon jetzt während der ganzen Zeit angestrengst abgemüht, um einen entsprechenden Ausweg zur Beseitigung der Verlegenheiten der Kabinettskasse zu finden.
          Alles Bestreben war jedoch vergebens; auch das angestrengteste Nachdenken vermochte über die Tatsache, daß die der Kabinettskasse gestellten Aufgaben die Mittel derselben übersteigen, nicht hinwegzukommen, und der treugehorsamst Unterzeichnete kann bei dem besten Willen andere Schritte zur Besserung nicht bezeichnen, als die schleunigste Durchführung, der oben angedeuteten Untersuchungen und die strengste Vermeidung jeder Ausgabe, für welche nicht eine planmäßige Deckung vorliegt.


    Über die Reaktion des Königs auf dieses Schreiben berichtet Minister Lutz in den späteren Landtagsverhandlungen:
     

          Der letzte Bericht hatte zunächst die Wirkung, daß dem Herrn Finanzminister ein Verweis darüber zuteil wurde, daß er in einem direkten Bericht an Seine Majestät sich zu wenden gewagt hat.
          Fernerhin haben Seine Majestät einzelne Schritte angeordnet, aus welchen die Absicht zu entnehmen war, den Finanzminister zu beseitigen. Das gab zu einer Vorstellung an Seine Majestät desjenigen Inhalts Veranlassung, daß es den übrigen Ministern nicht möglich sein würde, nach Entlassung des Finanzministers die Geschäfte fortzuführen.
          Hierauf wurde den Ministern bedeutet, Seine Majestät sehen es als eine Majestätsbeleidigung an, daß, wenn Allerhöchstdieselben einen Minister entlassen wollen, nun auch die ührigen daraus Veranlassung nehmen, ihrerseits die Entlassung zu verlangen.
      Im Dezember 1885 erhält der Ministerratsvorsitzende Lutz von Ludwig II. den Auftrag, sich über die kritische Lage der Kabinettskasse zu äußern. Der österreichische Gesandte Freiherr von Bruck berichtet hierzu seiner Regierung:
     
          Freiherr von Lutz, der sich bisher immer nur reserviert ausgesprochen hatte und alle Vorgänge in der Kabinettskasse ignorieren wollte, zumal er sich nicht berufen fühlte, ohne Auftrag eine Sache zu besprechen, die lediglich die Privatangelegenheiten Seiner Majestät berührte, kam infolge dieses Königlichen Auftrages in die Notwendigkeit, aus seiner Reserve herauszutreten.
          Eingedenk des obenerwähnten Befehles Seiner Majestät, die Minister hätten sich in diesen Angelegenheiten nicht direkt an den König zu wenden, wählte Herr von Lutz die Form eines an den provisorischen Leiter der Kabinettskasse Klug zu richtenden ausführlichen Memorandums.


        In dem Schreiben, das Lutz am 6. Januar 1886 an Hofsehretär Klug richtet, erörtert der Minister zunächst die Höhe der vorhandenen Schulden sowie der von Ludwig darüber hinaus zum Weiterbauen gewünschten Gelder, wobei er auf eine Summe von insgesamt zwanzig Millionen Mark kommt, und fährt dann fort:
     

      Ich halte es nun für ganz unmöglich, diese Beträge mittelst eines Anlehens bei Privaten aufzubringen [...]. Vorschüsse aus Staatsfonds sind selbstverständlich auf dem einfachen Wege des Zugriffs ohne gesetzliche Ermächtigung undenkbar. [...] Es bleibt sonach fürs erste nur noch die Frage übrig, ob Seine Majestät nicht an das bayerische Volk appellieren sollten und ob es nicht möglich sei, vom Landtage die Bewilligung der von Seiner Majestät dem König gewünschten Summe von circa zwanzig Millionen Mark oder doch der zur Schuldentilgung erforderlichen sechs Millionen Mark zu erlangen. [. . .] Nachdem mir der eingangs erwähnte Befehl Seiner Majestät zugegangen war, habe ich die hier aufgeworfene Frage wiederholt mit sämtlichen Ministern besprochen; auch habe ich an manchem geeigneten Ort, wo volles Vertrauen am Platze ist, neuerdings die Fühlhörner ausgestreckt und Erkundigungen eingezogen. Das Resultat unserer Erkundigungen und Beratungen ist das, daß sämtliche Minister der festen und unumstößlichen Überzeugung sind, es müsse jeder Versuch, den Landtag zur Willigung irgendeiner Summe über den Betrag der Zivilliste hinaus zu bewegen, mit einer Niederlage enden, durch welche das Ansehen der Krone auf das schwerste geschädigt würde.


        Nachdrücklich weist Lutz darauf hin, daß ohne die Tilgung der neu entstandenen Schulden gerichtliche Schritte der Gläubiger gegen die Kabinettskasse zu befürchten seien, welche sogar zur Beschlagnahmung der königlichen Besitztümer führen könnten. Eine solche Katastrophe werde jedoch zu vermeiden sein,
     

          [. . .] wenn Seine Majestät in Gnaden geruhen wollen, den Ausbau der begonnenen Schlösser und deren Einrichtung auf einige Zeit zu sistieren, durch einen geschäftskundigen Mann [. . .] ein präzises Verzeichnis der kontrahierten Schulden herstellen, deren Betrag, wo dies nötig, auf das richtige Maß festsetzen, über Art und Zeit der Rückzahlung verhandeln und prüfen zu lassen, wo und in welchem Maße bei den Hofstäben Ersparungen gemacht werden können, und dadurch verstärkt Mittel zur Heimzahlung der Schulden zu erlangen.
          Dieser Weg wird, ich bin es überzeugt, zur Ordnung der Verhältnisse der Kabinettskasse führen, trotz der Größe der vorhandenen Lasten, aber er ist, so schmerzlich er auch ist und so große Opfer er seitens Seiner Majestät bedingt, der einzige der zum Ziel und aus den ernsten Bedrängnissen führt, die unser aller Herz jetzt beschweren.


    Auch diese Ratschläge haben nicht die erhoffte Wirkung. Freiherr von Bruck meldet am 17. Januar 1886:
     

          Das Memorandum des Ministers von Lutz befindet sich seit dem 8. I[aufenden] M[onats] in den Händen Seiner Majestät . Dasselbe hat zwar einen Sturm der Entrüstung entfesselt, aber keine Entscheidung gebracht.
        Der Hinweis, seine Schlösser könnten möglicherweise zur Befriedigung der Gläubiger gerichtlich beschlagnahmt werden, hat den König schwer getroffen. Die Angst, daß »jenes Äußerste« wirklich eintreten werde, spricht aus dem Brief, den er am 25. Januar an den Hofsekretär Klug richtet:
     
          Ich binde Ihnen auf die Seele, dafür zu sorgen, daß es jetzt in Wahrheit endlich vorwärtsgeht und Sie das Verlangte herbeischaffen, und zwar in kürzester Zeit. Ich verlasse Mich darauf, daß Sie schleunigst das herbeischaffen, wodurch jenes Äußerste ganz entschieden vermieden wird, und verlange ausdrücklich von Ihnen, daß Sie es so einrichten, daß in allerkürzester Zeit dies wenigstens feststehen wird, daß in Folge der Besorgungen das Bewußte auf keinen Fall eintritt. Das Übrige aber, womit Mir einzig in Wahrheit gedient ist, soll rasch darauf in Folge Ihrer Bemühungen kommen.
      Ich erwarte also von Ihnen, daß durch richtige Manipulation von Ihrer Seite das Vergreifen am Königlichen Eigentum zur Unmöglichkeit werde. Sie haben es also entschieden so einzurichten. Dies muß feststehen.


    Seinen Flügeladjutanten Graf Dürckheim-Montmartin fordert der König am 28. Januar zur Gewaltanwendung auf:
     

          Wenn es [. . .] nicht gelingt, eine bestimmte Summe (etwa in vier Wochen) herbeizuschaffen, so wird Linderhof und Herrenchiemsee, mein Eigentum also, gerichtlich beschlagahmt! Wenn dies nicht rechtzeitig verhindert wird, werde ich mich entweder sofort töten oder jedenfalls das verfluchte Land, in welchem so Schauderhaftes geschah, sofort und für immer verlassen. Ich fordere Sie nun auf, mein lieber Graf, und lege Ihnen dringend an das Herz, ein Kontingent zustande zu bringen, welches fest und treu zu mir steht, sich durch nichts einschüchtern läßt und das, wenn es wirklich zum Äußersten kommen sollte und die nötige Summe nicht fließt, das rebellische Gerichtsgesindel hinauswirft. Ich verlasse mich darauf, daß Sie dies auf geschickte Art und unter der Hand zustande bringen, denn Minister, Gendarmerie, mit der hier nichts anzufangen ist, Sekretäre (Klug, Schneider) dürfen nichts davon erfahren, das sind Beamte, die Furcht haben vor der Kammer, Gesetzesbestimmungen und öffentlichen Meinung, sind folglich alte Weiber und keine königstreuen Unrtanen, wie es sein soll.


    Dürckheim beschwört den König, einen solchen Gedanken aufzugeben, da die Ausführung dieses Plans »jdie denkbar schwersten Folgen für die Allerhöchste Autorität und für die Allerhöchste Person Euer Majestät nach sich ziehen müßte ...«"

        Keine der Vorschläge aus dem Kreise der Regierung oder seiner Vertrauten kann den König beeinflussen, so daß Ludwig der II. mit seinen Ideen immer mehr der Realität und der Verantwortlichkeit entrückt:
     

          "Es wurde Hesselschwerdt nach Regensburg geschickt, um bei Seiner Durchlaucht dem nunrnehr verstorbenen Fürsten Maximilian von Thurn und Taxis ein Anlehen von zwanzig Millionen aufzunehmen, und durch Vermittlung Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs Ludwig in Bayern sollte Hesselschwerdt die Hilfe Seiner Majestät des Kaisers von Österreich zu erlangen suchen. Nach Stockholm zu Seiner Majestät dern König von Schweden und Norwegen wurde ein Flügeladjutant zu gleichem Zwecke gesendet, und ebenso sollte in Brasilien der Versuch eines Anlehens gemacht werden. Andere Personen sollten nach Brüssel, nach Konstantinopel zum Sultan und nach Teheran zum Schah gesendet werden; und sei kein Geld aufzutreiben, so wurde befohlen, Leute zu werben um bei den Banken in Stuttgart, Frankfurt, Berlin und Paris einzubrechen. Gleichzeitig wurden vier Personen beauftragt, je zwanzig Millionen herbeizuschaffen, doch durften diese nichts voneinander wissen, so daß man auf einmal achtzig Millionen zu erhalten hoffte. Charakteristisch ist, daß auf mehreren solchen Befehlszetteln nur die Zahl angegeben ist ohne den Beisatz des Wortes »Million«, welcher sich von selbst zu verstehen schien.


        Aufträge zur Vermittlung von Darlehen erhalten unter anderen Prinz Ludwig Ferdinand, ein Vetter des Königs, ferner Flügeladjutant Graf Dürckheim und Hofsekretär Klug, oft aber auch Lakaien oder Stalldiener wie der Marstallfourier Karl Hesselschwerdt, der damals das besondere Vertrauen des Königs genießt. Daß Hesselschwerdt manche dieser Aufträge nur zum Schein ausführt, berichtet Graf Dürckheim:
     

          Im Januar oder Februar 1886 kam Hesselschwerdt zu mir und brachte mir mündlich den Befehl des Königs, nach England zu reisen, um den Herzog von Westminster zu veranlassen, daß er ihm zehn Millionen leihe. Ich nahm mir vor, mich über verschiedene Anhaltspunkte zu orientieren, deren ich bedurfte, um dem Könige schriftlich auseinanderzusetzen daß und warum diese Reise (wie alle ähnlichen) nichts nützen, dagegen nur dem Ansehen seiner Krone schaden würde - mit einem Worte, ihm Gegenvorstellungen zu machen, und sagte daher zu Hesselschwerdt: »Es ist gut, melden Sie Seiner Majestät, daß Sie mir den Auftrag ausgerichtet haben und daß ich morgen selbst in der Sache an Seine Majestät schriftlich berichten werde.« Darauf antwortete mir Hesselschwerdt: »Herr Graf werden entschuldigen, aber ich kann heute nichts melden, ich bin nämlich eigentlich in Neapel!«
          »Wieso?« fragte ich.
          »Ja«, erwiderte er, »der König hat mich nach Neapel geschickt, aber das nutzt doch nichts, dorthin zu reisen, darum bin ich hiergeblieben; ich habe aber gesagt, ich ginge hin und käme Mittwoch zurück, daher kann ich vorher dem Könige nichts melden!«


    Eine ähnliche Episode erzählt Graf Lerchenfeld:
     

          Ludwig II. hat in jener Zeit immer wieder selbst gesagt, er müsse zugrunde gehen, wenn er nicht mehr bauen könnte. Diese Vorstellung war bei ihm so sehr zur fixen Idee geworden, daß er im Winter 1886 einige seiner Vertrauten Bediensteten nach Frankfurt a. M. mit dem Auftrag sandte, bei Rothschild einzubrechen und die für Bauten nötigen Millionen zu rauben. Die Leute fuhren auch nach Frankfurt, unterhielten sich dort einige Tage und fuhren dann wieder nach Hause. Schon im Bahnhof in München wurden sie von anderen Emissären des Königs erwartet, die den Auftrag hatten, die Rothschildschen Millionen ihnen abzunehmen und dem Könige zu bringen. Sie berichteten dann, alles sei vortrefflich vorbereitet gewesen, nur ein unglücklicher Zufall habe das Unternehmen vereitelt, das nächste Mal werde es sicher gelingen.


        Die Verschuldung des bayerischen Königs, über die schon 1885 Nachrichten an die Öffentlichkeit dringen, erregt überall erhebliches Aufsehen. Presseartikel und Broschüren, die zunächst außerhalb Bayerns, dann auch in Bayern selbst erscheinen, behandeln die Geldnot des Königs und die möglichen Wege einer Lösung. Dabei wird auch schon Kritik an der Person des Königs laut. Am 23. März (1886, R. S.) berichtet das vielgelesene »Bayerische Vaterland«:
                 ...

      Die Verhältnisse der Kabinettskasse beschäftigen seit geraumer Zeit die in- und ausländische Presse in einer Weise, daß diese Angelegenheit längst nicht mehr als Privatsache angesehen werden kann und eine sehr ernsthafte Bedeutung bekommen hat; denn nicht bloß die Blätter, alle Welt spricht davon, und wie und was alle Welt davon spricht, ist für das bayerische Volk weder schmeichelhaft noch angenehm."
     
    Kommentar und Psychographische Einordnung des Finanzdebakels aus heutiger Sicht: 

    Ludwig II. war sicher schwerst seelisch gestört und litt wenigstens - durch seine Stellung als Monarch und König ganz natürlich sehr begünstigt - an einem ausgeprägten egozentrischen Narzißmus-Syndrom, wonach er sich für sich, seine Wünsche und Interessen und für sonst wenig interessierte. Er haßte die Bürokratie, das diplomatische Treiben und er haßte sogar sein Volk, ja die Menschen. Und hier jene besonders, die seinen abgehobenen und realitätsfernen Wünschen entgegenstanden, ihm nicht willfährig zu sein vermochten, aber auch jenen, die an seiner Welt teilhaben wollten, es wagten, Erwartungen und Wünsche an ihn zu richten [Etikette], was nicht in ein monarchisches - und schon gar nicht in ein absolutistisch verstandenes - Konzept paßte. Die Schlösser waren nach seinem Denken ausschließlich für ihn bestimmt. Das ging so weit, daß er sich Gedanken machte, ob und wie die Schlösser nach seinem Tod zerstört werden können. Alles Schöne und Einmalige, das er für sich allein geschaffen hatte, verlor aus seiner Sicht mit seinem vorgestellten Ableben allen Sinn und jegliche Berechtigung. Nach ihm mochte sozusagen die Sintflut kommen. Dies schloß nicht aus, daß er einzelnen gegenüber für kurze Momente sehr zugewandt, ja sogar überschwenglich anteilnehmend sein konnte - wenn es ihm gefiel.
        Er war so kindisch und realitätsabgehoben, daß er nicht zu begreifen vermochte, daß für ihn und seine Ziele nicht beliebig viel Geld zur Verfügung stand und so gesehen war er ganz sicher der Wirklichkeit und auch der Verantwortlichkeit entrückt. Ob das im eigentlichen und engeren Sinn als Geisteskrankheit [siehe hierzu bitte die Gutachten aus damaliger und aus heutiger Sicht] anzusehen ist oder nicht, soll uns an anderer Stelle beschäftigen. Legitim und sachlich berechtigt war die Absetzung (hier: Entmündigung) in jedem Fall, da fest stand, daß Ludwig II. nicht regierungsfähig - in erster Linie weil unwillig - und auch nicht mehr finanz- politisch verantwortlich handlungsfähig war. Hierbei muß man aber auch berücksichtigen, daß - vermutlich seit der Krise der Zivilliste 1884/85 - Kabale, Verrat und Sabotage seitens der Regierung und Ministerialbürokratie am Werk war, wie das Quellenmaterial von Hüttl (S.378f)  zeigt, wonach der Versicherungsdirektor Kleeberg aus Frankfurt seine Bereitschaft im Sommer 1885 erklärte, 20 Millionen [heutiger Schätzwert ca. 2 Milliarden]  auf- und die Finanzen in Ordnung bringen zu können. Sein Brief vom 13.3.1886 erreicht den König aus ungeklärten Gründen nie. Der König mußte auch gewarnt sein, weil z. B. die Presse, genauer Der Börsenkurier vom 17.9.85 ganz unverhohlen von "anormalen" Zuständen spricht und offen (!) eine vermögensrechtliche Entmündigung (Hüttl  347)  thematisiert. Es ist nicht auszuschließen, daß die Politik zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gewollt hat. Vom monarchistischen Standpunkt wäre dies dann im Grunde als Hochverrat zu bezeichnen.
       Ob und inwieweit sich die Psychiatrie mißbrauchen bzw. gar willfährig sich zum Büttel machen ließ oder aktiv motiviert mitmachte, erörtern wir an anderer Stelle. 



    Aus dem Gutachten (genauer hier): 
    "Oft mußte Ministerialrath von Ziegler hören (v. Ziegler Bogen 5), wie schön es wäre, wenn man das verfluchte Nest (die eigene Haupt- und Residenzstadt!) an allen Ecken anzünden könnte und Stallmeister Hornig führt als einen öfter von Seiner Majestät ausgesprochenen Wunsch an (Hornig Blatt 7), daß das ganze bayerische Volk nur einen Kopf habe, um es auf einen Streich hinrichten lassen zu können." 


    Dokument 12 aus: Steinbach, Lothar (1976, Hg.). Didaktik zur Sozialgeschichte. Stuttgart: Klett. Seite 148.
    65.000 DM Jahresverdienst für einen Arbeiter: Bezieht man Urlaub und Gratifikationen (Weihnachtsgeld) ein, ergibt dies grob 4500.- DM pro Monat.


    Ein absolutistischer Monarch - etwa im Geiste und Selbstverständnis Ludwigs XIV, Ludwigs II. großes Vorbild - begreift Land und Volk als ausschließlich für sich und seine Ziele und Zwecke daseiend. Die absolutistische Monarchie ist daher eine narzißtische Geistesstörung und auch moralische Verirrung an sich. Fähige und Gute sollten wählbar und kontrolliert regieren und inkompetenter Erbschaftsadel so wenig wie die Jedermann-Schein-Demokratie. Kommen nun eine schizoid-narzißtische seelische Struktur und eine absolut-monarchistische Geisteshaltung zusammen, dann entsteht sozusagen eine Geistesstörung in Potenz, die sich noch einmal verschärft, wenn man berücksichtigt, daß Ludwig II. in doppelter sexueller Not war, die er vielleicht nur mit Lohengrins erhabenem Schwanenritter mühsam kompensieren konnte.


    Etikette: Nicht einmal Wagner durfte ihm ein Porträt schenken. Dem König etwas zu schenken, galt als schwerer Verstoß gegen die Etikette ("Kourtoisie"), weil dies Gleichstellung zum König aufgefaßt würde (Böhm S. 54f).


    Querverweise
    Standort: Die Schloßbauwut und das Finanzdebakel der "Zivilliste"
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    Überblick Forensische Psychologie.
    Querverweis: Der psychiatrische Kenntnisstand, auf dem das Gutachten beruht
    Querverweis: Forensische Gutachtenregeln der damaligen Zeit (um 1870-1895)
    Querverweis: Verteilerseite Die Entmündigung Ludwig II. König von Bayern
    Querverweis: Das Problem der Geschäfts-un-fähigkeit aus heutiger forensisch-psychologischer Sicht
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Die Schloßbauwut und das Finanzdebakel der "Zivilliste" (Hof & Kabinettskasse). Aus unserer Abteilung Medizinische Psychosomatik, Psychopathologie und Psychiatrie.  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/medppp/zwang/ludwig2/finanz.htm
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