(nach Sekundärquelle: Wöbking, Wilhelm. (1986). Der Tod König Ludwig II. von Bayern. Rosenheimer Verlagshaus, S. 306-318):
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Das Gutachten vom 8.6.1886
"II.
Die zum Zwecke der Beurteilung der Voraussetzungen
für
den Eintritt der Regentschaft erstatteten
Gutachten
und ärztlichen Berichte
über
den Geisteszustand König Ludwig II.
So peinlich es für die unterzeichneten Ärzte ist, an die Beurtheilung des geistigen Zustandes Seiner Majestät ihres Königs heranzutreten, sie müssen dem erhaltenen Befehle Folge leisten und erstatten hiermit unter ausdrücklicher Berufung auf den von ihnen geleisteten Eid, ihrer schweren Verantwortlichkeit vollkommen bewußt, nach Pflicht und Gewissen das verlangte Gutachten, wobei sie bemerken, daß eine persönliche Untersuchung Seiner Majestät, was weiter auseinanderzusetzen überflüßig sein wird, unthunlich, bei dem vorliegenden Aktenmaterial aber auch nicht nothwendig war.
Zunächst darf an die notorische Thatsache erinnert werden, daß eine Tante Seiner Majestät, Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Alexandra eine lange Reihe von Jahren (bis zum erfolgten Tode) an unheilbarer Geisteskrankheit litt. Ist hierauf auch nicht allzugroßes Gewicht zu legen, so muß um so mehr hervorgehoben werden, daß auch der jüngere Bruder Seiner Majestät, Seine Königliche Hoheit Prinz Otto von Bayern, unheilbar geisteskrank ist, daß Höchstdessen Erkrankung in ihren Anfängen sich bis in die Jugend verfolgen und Züge erkennen läßt, deren Verwandtschaft mit gewissen Erscheinungen bei Seiner Majestät sich unwillkürlich und unabweisbar aufdrängt.
Dem mitunterzeichneten Obermedizinalrath von Gudden klagte Seine Königliche Hoheit zu einer noch relativ freien Zeit, daß Höchstdessen qualvolle Zustände von Angst und innerer Unruhe sich vorübergehend schon in früher Jugend bemerkbar gemacht hätten, daß beispielsweise es Seiner Königlichen Hoheit als Lieutenant mit 17 Jahren bei der ersten Residenzwache, als Münchener Einwohner voll freudiger Theilnahme sich sammelten und zuschauten, zu Muthe gewesen sei, als ständen Höchstderselbe am »Schandpfahle«; dabei leiden Seine Königliche Hoheit an den widerwärtigsten Empfindungen in der Brust und im Unterleibe, an Hallucinationen sämmtlicher Sinne, an motorischen Erregun- [306] gen, die sich in den verschiedensten schleudernden und springenden Bewegungen der Arme und Beine äußern, sind nicht selten gemüthlich in hohem Grade gereizt und zu Gewaltthätigkeiten geneigt, dabei, im Gegensatze und gewissermaßen im Gegengewichte zu so manchen niederdrückenden Empfindungen und Vorstellungen, nicht selten von einem so außerordentlich gesteigerten Bewußtsein Höchst-Seiner Stellung durchdrungen, daß Aeußerungen, wie »Niemand hat mir zu befehlen, selbst der König nicht« öfters vernommen und alle Bemühungen, auf Seine Königliche Hoheit durch ärztlichen Rath oder möglichst schonend getroffene äußere Veranstaltungen einzuwirken, von vorneherein verloren waren.
Auch bei Seiner Majestät scheinen schon früher ähnliche Anwandlungen von innerer Angst und Aufregung sich eingestellt zu haben. Seine Königliche Hoheit Prinz Otto theilte dem mitunterzeichneten Obermedizinalrathe von Gudden gelegentlich seiner eigenen bezüglichen Klagen mit, daß Seine Majestät an demselben Übel litten. Seine Majestät seien überhaupt sehr ängstlich und hätten bei den Spaziergängen im englischen Garten Seiner Königl. Hoheit oft den Auftrag gegeben, ja darauf Acht zu geben, daß keine Begegnung mit Anderen stattfände. Auch der verstorbene Staatsrath von Neumayr theilte demselben Arzte mit, wie schwer mitunter schon relativ kurze Zeit nach der Thronbesteigung bei dem Besuche der fränkischen Kreise es gehalten habe, Seine Majestät zu bewegen, an die Öffentlichkeit zu treten. Im Jahre 1872 wurde Herr Ministerialrath von Ziegler in das Kabinetssekretariat berufen. Derselbe hörte (vergl. dessen Aeußerungen Bogen 1) von Staatsrath Eisenhart und von Personen des Hofes, wie schwer es Seine Majestät ankomme, Audienzen zu ertheilen, insbesondere solche staatsgeschäftlicher Natur. Die Scheu vor Begegnungen mit Menschen trat mehr und mehr zu Tage (l. c. ), die Besuche der Kirche in Berg wurden immer seltener, endlich ließen Seine Majestät im abgeschlossenen Parke zu Berg ein romantisches Kirchlein bauen und sich die Messe lesen, ohne daß derselben irgend Jemand beiwohnen durfte. (Bogen 2.) Um keinen Menschen im Theater sehen zu müssen, kam es zu den bekannten Separatvorstellungen (vgl. Äußerung des k. Stallmeisters Hornig Blatt 5, auch die des k. Ministerialrathes von Ziegler Bogen 2). Der Verkehr mit Menschen wurde Seiner Majestät immer entsetzlicher (v. Ziegler Bogen 6). Nach Ablauf des Hohenschwangauer Winteraufenthaltes nach München zurückzukehren, war für Seine Majestät fürchterlich. Der Aufenthalt in Hohenschwangau wurde deßhalb immer weiter ausgedehnt, und von 1876 bis 1883 nach und nach um einen Monat verlängert. Die Befehle zur Abreise von Hohenschwangau wurden im letzten Augenblicke gegeben. (v. Ziegler Bogen 4.) Wochenlang schon vorher habe es Seine Majestät aufgeregt, wenn die Hofhaltung nach München verlegt werden sollte. In Seeshaupt oder Peißenberg seien Allerhöchstdieselben stundenlang unentschlossen und zögernd umhergegangen, bis der Zug bestiegen wurde, wären lieber wieder umgekehrt, München sei für Allerhöchstdieselben »eine Qual, ein Gefängniß«, so die eigenen Worte Seiner Majestät. Dieselbe Aufregung pflegte den Hoftafeln, die deßhalb öfters auch aufgeschoben wurden, vorherzugehen. Es sei - wieder die [307] eigenen Worte Seiner Majestät - Allerhöchstderselben zu Muthe, »als gehe es zum Schaffot.« Acht bis zehn Glas Champagner seien jedesmal zur Erleichterung vorher getrunken worden (vergl. Ziff. 15 und 16 in den Aeußerungen des k. Marstallfouriers Heßelschwerdt und k. Kammerdieners Welker). Mit der Annäherung des Eisenbahnzuges an die Stadt, sagt der k. Stallmeister Hornig (Blatt 5) steigerten sich die Zorn- und Wuthausbrüche Seiner Majestät und Ministerialrath von Ziegler spricht sich über die Hoftafeln folgendermaßen aus (Bogen 6): Wochenlang vor einer Tafel war von diesem »Unglück« die Rede und jeder Gegenstand des Vortrages trat vor diesem Thema weit in den Hintergrund. Die Vorträge verlängerten sich bis zu 3-4 Stunden, Seine Majestät konnten kein Ende finden, ergingen sich über die Tafelgäste in den aufgeregtesten, unglaublichsten Ausdrücken und sagten verschiedene Male die für den nächsten Tag bestimmte Tafel noch in der vorhergehenden Nacht ab, obwohl alle Vorbereitungen getroffen waren. War aber wirklich der Tag einer solchen Tafel gekommen, dann war die Stimmung bei dem Vortrag, welcher stets noch wenige Stunden vor der Tafel stattfand, die aufgeregteste, die man sich denken kann. Hastige Erkundigungen über den einen oder andern der Gäste, Hin- und Herlaufen im Zimmer, Verwünschungen aller Art, - dies war das stets wiederkehrende Bild. Die Eingeweihten sahen diesen Tafeln immer mit Angst entgegen, weil sie befürchten mußten, die Kraft der Selbstbeherrschung Seiner Majestät werde unterliegen. Seine Majestät befahlen auch, daß der Allerhöchste Platz an der Tafel mit Aufsätzen, Blumen u. s. w. so besetzt werde, daß man Allerhöchstdieselben so wenig als möglich sehen könne, auch wurde die lärmendste Musik absichtlich befohlen. Bei der Tafel selbst ließen Seine Majestät oft wilde Blicke umherschießen, stießen auch hier und da voll Wuth mit dem Säbel auf den Boden (vergl. auch die Mittheilungen des Herrn Ministerialraths von Ziegler über das Verhalten Seiner Majestät beim Besuche der Wagner'schen Aufführungen in Bayreuth im Jahre 1876 (Bogen 11), - die Mittheilungen desselben Berichterstatters über die Reise in die Schweiz mit dem Schauspieler Kainz (Bogen 12), sowie über das Benehmen Seiner Majestät gegenüber verschiedenen Höchsten und Allerhöchsten Herrschaften.
Die nicht selten auftretende Aufgeregtheit Seiner Majestät vor Empfängen vor und nach Besuchen, vor Hoftafeln, bestätigt auch Oberregierungsrath von Müller unter Ziffer 4 seiner Äußerung. In ganz besonderem Grade habe sie sich gezeigt bei den ersten allerunterthänigsten Vorträgen über das Wittelsbacher Jubiläum, welche Vorträge zumeist in den Monat Dezember 1879 fielen; die allerehrerbietigsten Vorstellungen, welche auf Theilnahme Seiner Majestät an dem Feste abzielten, bewirkten eine sich immer mehr steigernde Aufregung; es trat von Tag zu Tag klarer hervor, daß ein definitiv bejahender Entscheid nicht erfließen werde und daß das Offenhalten der Frage zu fortgesetzter Monate langer Beunruhigung Seiner Majestät führen würde, ohne die Hoffnung auf eine schließliche allergnädigste Anwohnung auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit zu eröffnen.
Die Folgen dieser krankhaften Verstimmungen und innerlichen Hemmungen [308] wurden immer trüber und verhängnißvoller. Der k. Stallmeister Hornig, welcher seit dem Jahre 1867 in der Umgebung Seiner Majestät sich befindet, berichtet in seinen Aufzeichnungen (Blatt 1) daß anfangs Seine Majestät noch ein größeres Bedürfniß nach dem Verkehr mit Menschen fühlten. Es seien bei den nächtlichen Ritten, die meistens beim Mondscheine unternommen wurden, Feste im Walde veranstaltet worden, zu denen jüngere Bedienstete vom Marstallpersonale, auch Lakaien befohlen wurden. Unter Zelten wurde dann bis zum frühen Morgen gezecht und andere Unterhaltungen in kleinen Spielen z. B. Ring verstecken, Schneider leihe mir deine Scheere u. s. w. gesucht. Später hörten diese Unterhaltungen auf, doch kam es noch in neuerer Zeit vor, daß gelegentlich des Aufenthaltes Seiner Majestät auf dem Schachen Stallleute im dortigen, im türkischen Style eingerichteten Zimmer in orientalischer Weise sitzend, mit Seiner Majestät Sorbet trinken und aus türkischen Pfeifen rauchen mußten. Auch im sogen. beim Linderhof gelegenen Hundingshause kam Ähnliches vor, auf Fellen ruhend zechte das Personal aus großen Trinkhörnern Meth. Notorisch dagegen ist, daß Seine Majestät seit einer längeren Reihe von Jahren persönlich nicht mehr mit den Inhabern der höchsten Hofstellen, mit dem k. Staatsministerium verkehren, daß (Äußerungen von Heßelschwerdt und Welker vom 18. Mai/1) Allerhöchstdieselben in den letzten Jahren sogar den Kabinetssekretär nur vielleicht zweimal, den Hofsekretär aber gar nicht mehr sahen. Der ganze persönliche Verkehr Seiner Majestät beschränkt sich gegenwärtig auf wenige Personen von der untergeordneten Dienerschaft, und bildet die fast kindlich hilflose Lage, in die Allerhöchstdieselben durch diese Isolirung gerathen sind, (Lakaien und Friseure auf der Suche nach neuen Ministern und einem neuen Kabinetssekretär) einen wahrhaft tragischen Contrast zu dem vorhandenen in geradezu unnatürlicher Weise hinaufgeschraubten Bewußtsein (vergl. unter Anderem auch die Äußerung des Geheimsekretärs Thelemann) absoluter Machtfülle und Selbstherrlichkeit.
Ob Seine Majestät an eigentlichen Hallucinationen leiden, läßt sich mit voller Sicherheit nicht behaupten. Es sprechen dafür die Wahrnehmungen Heßelschwerdts (Vernehmung vom 18. Mai Ziff. 14), das geringste Geräusch erschrecke Seine Majestät. Bei den Spaziergängen (bei Tag und bei Nacht) äußerten Allerhöchstdieselben oft, Sie hätten etwas gehört, Tritte, Worte und dann zu ihm, der nichts gehört habe, gesagt, Du hörst eben nicht gut, Heßelschwerdt. Nie hätten Sich freilich Seine Majestät darüber geäußert, welche Worte gehört worden seien. Auch in den Wohnräumen (dies wird auch vom Kammerdiener Welker bestätigt) hätten Seine Majestät nicht selten Geräusche wie von Tritten in den oberen Zimmern zu hören geglaubt und es hätte dann nachgesehen werden müssen, ob nicht Jemand da sei, was aber nie der Fall gewesen wäre. Wenn Seine Majestät allein im Zimmer sich befinden (Vernehmung Heßelschwerdts vom 3. Juni 1886 VI sowie Welkers) sprechen und lachen Allerhöchstdieselben oft laut, so daß man glauben könnte, es sei große muntere Gesellschaft in demselben versammelt.
Wenigstens als auf Illusionen beruhend läßt sich das Verhalten Seiner Majestät [309] deuten, von welchem Ministerialrath von Ziegler (Bogen 6 seiner Aufschreibungen) berichtet: »Nicht einmal, sondern oft und oft argwöhnten Seine Majestät, ich hätte Allerhöchstdieselben beim Vortrage mit einem unziemlichen, besonderen Blick angesehen. Gleich nach dem Vortrag erhielt ich den Befehl, mich deßhalb zu rechtfertigen und ich habe auf diese Rechtfertigungen unsägliche Zeit verwenden müßen.« Herr von Ziegler glaubt diesen »Argwohn« auf das Gefühl Seiner Majestät, einen absonderlichen Eindruck zu machen und auf das Bewußtsein einer anomalen Eigenthümlichkeit zurückführen zu müssen, was höchst wahrscheinlich zutreffend ist und mit dem Wesen der Illusion in Uebereinstimmung sich befindet. Wohl nur als Ausschweifungen der Phantasie, allerdings höchst ungewöhnlichen, die Grenzen der Norm weit übersteigenden Grades, dürfte dagegen aufzufassen sein, was Stallmeister Hornig (vergl. seine Darlegungen Blatt 4) berichtet, Seine Majestät, bei einigen Graden Kälte und bei Schneegestöber im Freien essend, hätten sich ans Meergestade versetzt und von heißen Sonnenstrahlen beschienen geglaubt; auch das, was sich auf Blatt 15 vorfindet, allerdings auch einen Blick in die Tiefe eines Abgrundes werfen läßt, bei dem man schaudern müßte, wenn nicht das tiefste Mitleid mit dem Allerhöchsten Kranken wenigstens mildernd dazwischen träte: »Jetzt habe ich in Gedanken - Worte Seiner Majestät - der Königin eine große Wasserflasche am Kopfe zerschlagen, habe sie an den Zöpfen auf der Erde herumgeschleift, ihr die Brüste mit den Absätzen zerstampft« (vergl. auch ähnliche Mittheilungen des Herrn Ministerialrathes von Ziegler Bogen 14) oder: »jetzt war ich in Gedanken in der Gruft der Theatinerkirche, habe den König Max aus dem Sarge herausgerissen und seinen Kopf beohrfeigt. « - In das Gebiet überwuchernder und die Schranken der Wirklichkeit und Möglichkeit ganz außer Acht lassender Phantasie würde denn auch, wie so vieles Andere, was an anderen Orten zur Besprechung kommen wird, der geäußerte lebhafte Wunsch Seiner Majestät zu verweisen sein (Hornig 4), in einem von Pfauen gezogenen Wagen durch die Luft zu fliegen, der dem Maschinenmeister Brand ertheilte Allerhöchste Auftrag, eine Flugmaschine zu Fahrten über den Alpsee bei Hohenschwangau anzufertigen, die Imitation der blauen Grotte auf Capri, um deren Blau zu studiren Stallmeister Hornig zweimal nach Capri geschickt wurde, der Mond im Schlafzimmer Seiner Majestät (vergl. von Ziegler Bogen 3), und dann wird dieser Abschnitt nur noch mit dem kurzen Hinweis auf die gelegentlichen Liebes-, Freundschafts- und Dankbarkeitsversicherungen Seiner Majestät, die schon der Form nach überschwänglich (vergl. die an Herrn Oberregierungsrath v. Müller und Herrn Ministerialrath von Ziegler gerichteten Briefe Seiner Majestät) ihren wesentlich phantastischen Ursprung durch ihre kurze Dauer und ihren jähen unmotivirten Abbruch kennzeichnen, seinen Abschluß finden können.
Nachträglich übrigens kommt noch eine Mittheilung des Kammerlakaien Mayr zu den Akten, die kaum darüber einen Zweifel läßt, daß Seine Majestät wirklich an Hallucinationen leiden. »Alles ertrage ich zwar, aber das ist zum Verzweifeln, wenn der König sich etwas einbildet und sich davon absolut nicht abbringen läßt, wenn er z. B. so anfängt, Thue das Messer (oder irgend einen anderen Gegen- [310] stand) weg, und wenn ich sage, Majestät, es ist keines da, so examinirt er stundenlang ununterbrochen fort, »Es soll aber eins da sein, wo wäre es denn hingekommen, Du hast es weggethan, wo hast du es hingethan, warum hast du es weggethan, gleich legst Du es wieder hin.« (Vergl. Schreiben des k. Rathes Klug.) Das sei, fügt Mayr hinzu, zum wahnsinnig werden.
Unverständlich bleiben zunächst die Vorkommnisse, wie folgende: Einen Baum zwischen Berg und Ammerland nennen Seine Majestät den »heiligen Baum«, Heßelschwerdt weiß nicht, weßhalb - so oft Allerhöchstdieselben an diesem Baum vorübergehen, fahren oder reiten, verbeugen Sie Sich tief davor. Ebenso wird ein Zaun bei Ammerland bei jedesmaligem Vorüber-Fahren, - Gehen oder -Reiten von Seiner Majestät gewissermaßen segnend begrüßt. Eine Säule am Eingange in Linderhof umarmen Seine Majestät der König, so oft Allerhöchstdieselben das Schloß auf längere Zeit verlassen; dasselbe geschieht bei der Rückkehr. Bei nur vorübergehendem Verlassen des Schlosses wird die Säule nur berührt (Vernehmung Heßelschwerdts vom 3. Juni 1886 V. und Hornig Blatt 5). Aufschluß darüber könnten nur Seine Majestät Allerhöchst-Selbst geben. Wahrscheinlich liegen auch ihnen krankhafte Störungen der Sinnes- oder Denkthätigkeit zu Grunde.
Ueber die motorischen Erregungen Seiner Majestät liegen folgende Aeußerungen vor. Seine Majestät seien nicht selten aufgeregt, machten sonderbare tanzende und hüpfende Bewegungen, führen stoßend und ziehend mit den Händen in die Kopf- und Barthaare, stellten Allerhöchst-Sich nicht selten vor den Spiegel, mit verschränkten Armen und das Gesicht verziehend. (Heßelschwerdt und Welker, Vernehmung vom 18. Mai 13.) Stundenlang dauernde Wuthausbrüche, die sich im Herumtoben im Zimmer, in einer tanzenden, wiegenden Bewegung, Schütteln der Hände in den Handgelenken äußerten, traten ein, auch ruhig sinnend auf einen Fleck sehend, konnten Seine Majestät stundenlang mit einer Haarlocke spielen oder das Haar mit einem Kamme in Unordnung bringen. (Hornig Blatt 4.) Nicht wiedergeben lassen sich die Imitationen dieser höchst ungewöhnlichen Bewegungen Seiner Majestät, die Marstallfourier Heßelschwerdt und Kammerdiener Welker, um sich verständlicher zu machen, vornahmen. Der Eindruck des Krankhaften derselben war für den mitunterzeichneten Obermedizinalrath v. Gudden ein sofort durchschlagender.
Von der Gereiztheit Seiner Majestät, Allerhöchstdessen Zornes- und Wuthausbrüchen war vorübergehend bereits wiederholt die Rede. Auf die an der Dienerschaft ausgeübten Gewaltthätigkeiten kommen die Unterzeichneten später zurück. - Auf normale Gemüthszustände und deren Aeußerungen trifft man nirgendwo in den Akten. Sie scheinen ganz und gar zu Grunde gegangen zu sein und Haß und unnatürlicher Abscheu an ihre Stelle getreten zu sein. Es mag hier an die geradezu erschütternden Aeußerungen über Ihre Majestät die Königin Mutter, über Seine Majestät den König Max II erinnert werden. Hieher gehört auch eine Mittheilung des Herrn Ministerialrathes von Ziegler über eine Aeußerung Seiner Majestät, die die unterzeichneten Ärzte Anstand nehmen, wiederzugeben (v. Ziegler Bog. 15). Seiner Majestät des Kaisers Büste in Hohenschwan- [311] gau wurde von Seiner Majestät im Vorbeigehen angespuckt (Hornig Blatt 6). Der Marstallfourier Heßelschwerdt (vergl. auch dessen Vernehmung vom 3. Juni I) erhielt den Befehl, in Italien eine Bande zu werben, mit derselben den deutschen Kronprinzen gelegentlich seines Aufenthaltes in Mentone gefangen zu nehmen und ihn in einer Höhle bei Wasser und Brod in Ketten verwahrt zu halten. Im Geiste malten Seine Majestät Allerhöchst-Sich die dem Kronprinzen zugedachten Martern weitgehendst aus, weßhalb auch eigens der Befehl erging, ja dessen Leben zu schonen, damit seinem Leiden nicht ein zu schnelles Ziel gesetzt werde. Hunger und Durst sollte er leiden und sein Inneres von Sehnsucht nach den Seinen zerrissen werden. Die Siegesnachrichten im Feldzuge 1870-71 wurden von Seiner Majestät mit Trauer begrüßt, das »arme Frankreich« lebhaft bedauert, - Versailles durch den Einzug der Deutschen für entehrt erklärt. Oft mußte Ministerialrath von Ziegler hören (v. Ziegler Bogen 5), wie schön es wäre, wenn man das verfluchte Nest (die eigene Haupt- und Residenzstadt!) an allen Ecken anzünden könnte und Stallmeister Hornig führt als einen öfter von Seiner Majestät ausgesprochenen Wunsch an (Hornig Blatt 7), daß das ganze bayerische Volk nur einen Kopf habe, um es auf einen Streich hinrichten lassen zu können. Den früheren Kriegsminister Excellenz von Maillinger, der die Ernennung des Flügeladjutanten Seiner Majestät Grafen von Dürkheim zum Hauptmann zu vollziehen Anstand nahm, in's Burgverließ einzusperren, erhielt Marstallfourier Heßelschwerdt den Allerhöchsten Befehl. (Vernehmung vom 18. Mai 8.) Auch Herr von Ziegler, der früher hoch in Gnaden, wegen einer Meldung, die eine Kleinigkeit betraf, den Allerhöchsten Zorn auf sich geladen hatte, sollte eingesperrt werden. (v. Ziegler Bog. 2) Noch eine große Anzahl anderer Persönlichkeiten, selbst Königliche Prinzen sollten eingesperrt werden. Um nicht selbst in Strafe zu verfallen, meldeten die Diener, die Allerhöchsten Befehle seien vollzogen. Die Beschreibung des auf Befehl Seiner Majestät eingerichteten Burgverließes in Hohenschwangau findet sich in der Vernehmung Heßelschwerdts vom 18. Mai unter Ziff. 6. Im Jahre 1884 erhielt Heßelschwerdt von Seiner Majestät den Auftrag, Seine Excellenz Herrn Finanzminister von Riedel aufzugreifen und nach Amerika zu transportiren, dann auf die Vorstellung hin, daß dieses nicht ausgeführt werden könne, ihn einzusperren, und als auch dieses für unmöglich erklärt werden mußte, ihm nächtlicherweile aufzulauern und ihn durchzuprügeln. Der frühere Flügeladjutant Baron Hertling, der es sich nicht gefallen ließ, Allerhöchste Befehle durch Dienstbriefe von Lakaien zu empfangen und um seine Enthebung einkam, sollte sogar umgebracht werden (Vernehmung Heßelschwerdts vom 3. Juni Seite 4), ebenso Herr Ministerialrath von Ziegler (siehe dessen Mittheilungen Bogen 17). Noch in neuester Zeit wurde von Seiner Majestät befohlen, zwei Diener, den Kammerdiener Welker und den Vorreiter Bieller, die sich die Allerhöchste Unzufriedenheit zugezogen hatten, der eine, weil er ein beabsichtigtes Anlehen von nur 25 Millionen Mark nicht zu Stande gebracht hatte, der andere, weil er einen aus der Voliere entkommenen Vogel nicht gleich einfangen konnte, nach Amerika zu transportiren und dort ständig überwachen zu lassen, damit sie nichts weiter sagen könnten. Vorreiter Bieller wurde bei [312] dieser Veranlassung von Seiner Majestät am Halse gedrosselt. Stundenlang besinne Sich öfters Seine Majestät, Strafen ausfindig zu machen, mit denen Allerhöchstdieselben diejenigen belegen sollten, die sich in irgend einer Weise ob wirklich oder auch nur vermeintlich gegen Seine Majestät vergangen hätten. Kammerlakai Mayr wurde vor ungefähr 4 Jahren damit gestraft, daß er ein Jahr lang nur mit einer schwarzen Maske das Gesicht verdeckt, vor Seiner Majestät erscheinen durfte (vergl. auch v. Ziegler 18). Kammerlakai Sauer sollte in einem von Seiner Majestät besonders vorgeschriebenen auffallenden Kostüme auf einen Esel gesetzt und in der Umgebung von Hohenschwangau auf den Landstraßen herumgeführt werden (Vernehmung Heßelschwerdts und Welkers vom 3. Juni Blatt 1.). Kammerlakai Buchner, über dessen Dummheit sich Seine Majestät ärgerten, mußte »ein Siegellacksiegel an der Stirn tragen« zum Zeichen, daß sein Gehirn versiegelt sei (v. Ziegler Bogen 19.). Nach dem Bericht des k. Gesammtministeriums vom 5. Mai d. J. erhielt Heßelschwerdt den Auftrag, eine geeignete Strafe für die Herren Minister mit auszudenken. (Vernehmung vom 18. Mai Ziff. 8, 9, 10 u. 11, bestätigt durch die bezüglichen Aussagen Welkers.) Marker erhielt von Seiner Majestät den Befehl, eventuell Leute zu nehmen und Herrenwörth in die Luft zu sprengen (Vernehmung Welkers S. 14.). Marstallfourier Heßelschwerdt sowohl wie Kammerdiener Welker und Stallmeister Hornig bezeichneten es als einen besonderen Charakterzug Seiner Majestät, plötzlich und unmotivirt für Jemand Zuneigung zu fassen, um dieselbe oft nach kurzer Zeit in das gerade Gegentheil übergehen zu lassen. Diese Eigenthümlichkeit dürfte jedem Sachverständigen als ein Krankheitssymptom imponiren. Die Abneigung artete dann nicht selten in glühenden Haß aus, so daß z. B. Seine Majestät in Wuth geriethen, wenn nur der Name der in Ungnade gefallenen Person genannt wurde und den Befehl erließen, daß falls bei Meldungen an Allerhöchstdieselben diese erwähnt werden mußte, nur der Anfangsbuchstabe des Namens ausgesprochen oder geschrieben werden durfte. (Vernehmung Heßelschwerdts und Welkers vom 7. Juni Seite 11 u. 21.) Stallmeister Hornig (Blatt 5) erinnert an den ehemaligen Flügeladjutanten Herrn von Sauer, Baron von Hertling, Hirschberg, Grafen von Dürkheim, Herrn Staatsrath von Eisenhart, Herrn Ministerialrath von Ziegler u. s. w.
Bekannt ist die Vorliebe Seiner Majestät für die französischen Könige Ludwig XIV., XV. und XVI., ihr absolutes Regiment, ihre Bauten u.s.w. (vergl. die Mittheilungen des Herrn von Ziegler und des Herrn Stallmeisters Hornig). Ein ehemaliger Secondelieutenant der bayerischen Armee wurde mit dem Befehle betraut, eine »Coalition« zu gründen, d. h. eine Schaar Männer zu werben, mit deren Beihilfe es gelingen sollte, in Bayern das absolute Regierungssystem wieder herzustellen; die Verfassung sollte aufgehoben, die Landesvertretung abgeschafft werden (Hornig Blatt 2.). Etwas anders freilich stellt sich diese Coalitionsidee in den Berichten des Herrn Oberregierungsrathes von Müller dar, der zum Chef der Coalition von Seiner Majestät ausersehen war, aber den Intentionen Seiner Majestät nicht entsprach.
Seine Majestät dachten daran (Hornig Blatt 3) gegen Vergütung einer hohen [313] Summe das Land an Seine Königliche Hoheit den Prinzen Luitpold abzutreten oder an Preußen zu verkaufen. Geheimrath von Löher wurde mit dem Auftrag betraut, sich nach einem anderen Königreiche umzusehen, in dem ein absolutes Regierungssystem möglich wäre, machte auf Kosten der Kabinetskasse weitläufige Seereisen, berichtete aber, daß der Auftrag unmöglich auszuführen sei (vgl. auch v. Ziegler Bogen 10.). Stallmeister Hornig (Blatt 2) berichtet, daß Seine Majestät Sich geheim in Costüme der französischen Könige kleidete. Mit Krone und Scepter, welche kostbaren Gegenstände der Schatzkammer entnommen werden mußten, wurden nächtliche Spazierfahrten unternommen, auch der Gedanke, ein zweites Versailles im Graswangthale zu bauen, brach sich Bahn. Herr Ministerialrath von Ziegler erwähnt (Bogen 2), daß Seine Majestät vor einer Büste der Königin Marie Antoinette, welche auf der Terrasse des Linderhofes steht, stets das Haupt entblößte und deren Wangen streichelte, und der Marstallfourier Heßelschwerdt gibt an, daß im Linderhofe ein Bild sich befände (Welker meint, es behandle einen Stoff aus der Zeit Ludwig XIV.); vor welchem Seine Majestät niederzuknien pflege, vor welchem auch Heßelschwerdt, die Hand wie zum Schwure gegen dasselbe erhebend, niederknien mußte, ohne dasselbe jedoch ansehen zu dürfen (Vernehmung vom 3. Juni S. 13); auch Welker (Seite 20) erzählt von dem Bildercultus Seiner Majestät und beschreibt insbesondere, wie der König vor einem Bilde, das eine Episode aus dem Leben der Königin Marie Antoinette darstellt, Zeichen der Verehrung mache, dann mit erhobenem gläsernen Blicke zuerst langsam, dann rascher rückwärts schreitend, von dem Bilde sich entferne und schließlich wie im schmerzlichen Abschiede sich von demselben abwende.
Seit der Entlassung des Herrn Ministerialrathes von Ziegler, damaligen Kabinetssekretärs, des letzten Mannes von Bildung, (conf. v. Ziegler 20) mit welchem Seine Majestät einen fortlaufenden Verkehr pflog und persönlich Dinge von ernstlicher Bedeutung behandelte, hörte der persönliche Vortrag in Staatssachen auf. Es ist unglaublich, wie diese behandelt worden. Doch dürfte es angezeigt sein, vorher noch einen kurzen Bericht über den persönlichen Verkehr Seiner Majestät mit der Dienerschaft einzuschalten.
Die Meldungen erfolgen und die Allerhöchsten Befehle werden in der Regel erteilt durch die verschlossene Thüre hindurch. Durch Kratzen an derselben wird das Zeichen gegeben, daß Seine Majestät verstanden sei. Dienerschaft, die hineintreten darf oder muß, hat tiefgebückt zu erscheinen, darf Seine Majestät nicht ansehen, kein Wort sprechen, muß durch Zeichen sich verständlich machen und gelingt dieses nicht, die Bewegungen des Schreibens nachahmen, worauf das Bezügliche im Vorzimmer geschrieben und dann Seiner Majestät überreicht werden darf. Beim Serviren der Speisen hat die Dienerschaft ebenso zu erscheinen, darf nicht bloß Seine Majestät, sondern auch die Speisen nicht ansehen und hat sich ebenso zurückzuziehen. Auch beim Anziehen der Kleider darf der Diener Seine Majestät nicht ansehen. Ist Jemand vom Dienstpersonal (die Chevaulegers eingeschlossen) »in Strafe«, so muß er auch wohl niederknien, oder der Länge nach auf den Bauch sich legen. Letzteres sei eingeführt worden seit dem [314] vorigen Jahre, nachdem Seine Majestät das Ceremoniell am chinesischen Hofe gelesen habe. Bei einer unangenehmen Meldung oder bei dem geringsten Verstoße (z. B. beim falschen Aussprechen französischer Namen) werde von Seiner Majestät häufig die Einsperrung in's Burgverließ oder eine andere Strafe anbefohlen, welcher Befehl dann auch angeblich, in Wirklichkeit aber nie vollzogen wird. Sehr häufig gehe aber Seine Majestät auch zu Gewaltthätigkeiten über, schlage und stoße die Dienerschaft mitunter sogar blutig. Mindestens gegen 30 Personen seien so mißhandelt worden. Nachdem die gewöhnlichen Lakaien und auch die Leute vom Hofstalle sich durch Vorschützung von Krankheiten der verschiedensten Art dem persönlichen Dienste bei Seiner Majestät zum größten Theile entzogen hatten (seit einem Jahre), wurden Chevaulegers zu denselben befohlen. Großer Wechsel fände auch unter diesen statt. (Vergl. die beiden Vernehmungen Heßelschwerdts und Welkers.). Die Mißhandlungen des Dienstpersonals bestätigt auch Herr Ministerialrath von Ziegler (vergl. dessen Mittheilungen Bogen 18 u. 19). Kammerdiener Welker berichtet sogar, daß der Vorreiter Rothenanger, ein junger, schmächtiger und kleiner Mensch, einmal wegen eines geringfügigen Vergehens von Seiner Majestät geschlagen, gestoßen und mit solcher Wucht an die Wand geworfen wurde, daß die im Vorzimmer befindlichen Leibjäger in der Besorgniß, der junge Mann werde totgeschlagen, nahe daran waren, in das Zimmer zu dringen, um Rothenanger zu Hilfe zu kommen. Es sei die Vermuthung nicht ausgeschlossen, daß der nach Jahresfrist erfolgte Tod Rothenangers in ursächlichem Zusammenhange stehe mit den Mißhandlungen, welche derselbe zu erdulden hatte. Ein Chevauleger, von Beruf ein Metzger, dem Seine Majestät einen heftigen Schlag in's Gesicht versetzte, äußerte dem Dienstpersonale gegenüber: »einem Anderen hätte ich die Gedärme herausgelassen.« Der Grund, weßhalb die Dienerschaft Seine Majestät nicht ansehen darf, ist wahrscheinlich derselbe, aus dem Allerhöchstdieselben den strengen Befehl ertheilten, den Unterthanen die k. Schlößer, die Galawagen und Schlitten nie zu zeigen, da durch deren Blicke eine Entweihung stattfinden würde (Hornig 7).
Die Staatsangelegenheiten
bezeichnete Seine Majestät mit dem Ausdruck »Staatsfadesen«
und äußerten Sich, wenn der Einlauf aus dem Kabinet vorgelegt
wurde, wiederholt dahin: »Allerhöchstdieselben möchten
das Pack immer lieber wieder hinauswerfen.« Der Einlauf, welcher
gesiegelt aus dem Kabinet zu Seiner Majestät kam, lag von Allerhöchstderselben
geöffnet, längere Zeit, oft Tage lang, obwohl die wichtigsten
Staatsangelegenheiten sich darunter befanden, offen vor den Augen der Dienerschaft
und in neuerer Zeit auch vor den zur Dienstleistung befohlenen Chevaulegers.
Alle Angelegenheiten, die eine Rückfrage erforderlich machten, ferner
insbesondere auch die Anträge der Minister, die weil principieller
oder wichtigerer Natur nicht wie die gewöhnlichen Currentsachen schon
mit den zu erlassenden der Allerhöchsten Unterschrift harrenden Signaten
versehen waren, wurden mit mündlichen oder auf Zettel geschriebenen
Weisungen Seiner Majestät durch die Kammerbediensteten an die
jeweiligen Kabinetssekretäre zurückgeschickt, nachdem diese Bediensteten
die Allerhöchsten Aufträge in Briefform gebracht hatten. (Vernehmung
Heßelschwerdts und [315] Welkers vom 3. Juni Seite 12, 22 und 23).
Die wichtigsten Aufträge seiner Mäjestät gingen durch die
Dienerschaft. Einen wahrhaft erschreckenden Beweis liefern die in dem Faszikel
»Briefe des Lakaien Mayr aus der jüngsten Zeit« sich vorfindenden
Schriftstücke, zum Theil von der Hand Seiner Majestät geschrieben
oder corrigirt. Heßelschwerdt wurde auch der Bericht des
Königl. Gesamtministeriums vom 5. Mai 1886 zur Begutachtung zugeschickt,
ihm Verhandlungen zur Bildung eines neuen Ministeriums mit Herrn von Ziegler
und dem Friseur Hoppe die zur Gewinnung eines neuen Kabinetssekretärs
(conf. Aeußerung des Geheimsekretärs Thelemann) übertragen!!
Schon Herr
Ministerialrath von Ziegler berichtet (Bogen 18 seiner Vernehmung): Von
der Berücksichtigung der Autorität der höchsten Beamten,
der Hofchargen und der Minister, war keine Rede mehr. Sie wurden beim Vortrage
mit den verächtlichsten Worten erwähnt, leider nicht nur beim
Vortrage - auch der Dienerschaft und dem Friseur Müller und dem Zahnarzte
gegenüber; selbst Fürsten wurden nicht geschont. Die Dienerschaft
wußte aus dem Munde Seiner Majestät, daß der Obersthofmarschall
oder der Obersthofmeister »sich nicht unterstehen dürfen«
einmal den Hoflhalt in Berg oder Hohenschwangau zu inspizieren. Für
Seine Majestät (vergl. das citirte Faszikel) sind die Staatsminister
Pack, Gesindel, Geschmeiß, auch wird mit den Kammern nicht glimpflich
verfahren und das Volk verdient gar nicht, daß Sich Seine Majestät
ihm zeige. -
Es widerstrebt
den unterzeichneten Ärzten, größere Auszüge und Zusammenstellungen
in dieser Richtung anzufertigen und wird es wohl genügen, eine Stelle
aus einem auf Allerhöchsten Befehl geschriebenen Briefe des Mayr anzuführen:
»Dem Heßelschwerdt schreiben: er hat wieder etwas ganz falsches
und verkehrtes geschrieben, indem er sich herausnahm zu schreiben, daß
jenes Ministerpack in die Nothwendigkeit versetzt war, jene Meldung (Bericht
vom 5. Mai!) zu unterbreiten. Ich habe jene Meldung verworfen, denn jenem
Pack kam es gar nicht zu, sich in Sachen zu mischen, die es nicht
im geringsten angeht und für die es gar nicht da ist. Ihm dies
also austreiben« - und dieser die Abschrift eines auch noch in anderer
Beziehung wichtigen Allerhöchsteigenhändig mit Bleistift offenbar
in großer Hast geschriebenen Briefes Seiner Majestät an Heßelschwerdt
folgen zu lassen:
»Passe
recht auf und besorge es gut. Sprich eingehend mit Ziegler. Sage ihm, daß
die jetzigen Minister weg müßen, sie haben sich bei mir unmöglich
gemacht. Er wird es also, wenn er alles besorgt wie Ich will. Die Collegen
soll er mir dann selbst vorschlagen. - Schneider gleich fort und durch
einen tüchtigen ersetzen. Sind die Kammern verstockt, dann auflösen,
andere her und das Volk sehr bearbeiten. Schnell aber. - Sage ihm, außer
den Rückständen, (ohne daß die Kammern wissen, wofür,
können glauben, es gehöre zu den Rückständen) ein paar
Millionen dazu, die anderen schaffe Du herbei. Sage ihm, daß die
Bauten Hauptlebensfreude sind, daß ich, seit alles schändlich
stockt, ganz unglücklich bin, an Abdanken, Selbsttödtung
stets denke, daß der Zustand aufhören
muß, daß
die Bauten nicht mehr stocken dürfen, daß wenn er alles richtet,
er Mir [316] buchstäblich das Leben wieder gibt. Führ ihm dieß
sehr
und vor Allem dieß zu Gemüthe. Es geht nach sofortiger
Deckung (nicht Vorschießen, das ist unwürdig mir gegenüber),
dann ist die Civilliste wieder ganz in meinem Besitz (eigenem). Dazu sind
leicht einzureihen rasch vorwärts mit dem Schlafzimmer im Linderhof,
St. Hubertus-Pavillon und mit dem Ausbau der Burg von Herrenwörth
und Falkenstein. Mein Lebensglück hängt davon ab. Dieses [sieht]
Herr von Ziegler bestimmt ein. Er soll es erschinden, durchreißen,
alle Schwierigkeiten besiegen und Hindernisse niederreißen und baldigst
ist die Hauptsache. Daß Du noch nicht wohl bist, ist zu arg, nimm
noch einen Arzt. Erhole Dich. Berg, den 11. Mai 1886, Ludwig.«
Eines Commentars
bedarf die ganze gegenwärtige Stellung Seiner Majestät gegenüber
dem Lande nicht. Die geistigen Kräfte Seiner Majestät sind bereits
dermaßen zerrüttet, daß alle und jede Einsicht fehlt,
das Denken mit der Wirklichkeit im vollen Widerspruche sich befindet, das
Handeln ein unfreies ist und Allerhöchstdieselben im Wahne absoluter
Machtfülle vereinsamt durch eigene Isolirung - wie ein Blinder ohne
Führer am Rande des Abgrundes stehen.
Das Bauen
sei die einzige Lebensfreude Seiner Majestät, aber die Bauten gerade
waren der Ruin der königlichen Finanzen und der Grund der Beschleunigung
des Hereinbruches der Katastrophe. Alle Vorstellungen, alle Bemühungen,
sie wieder zu ordnen, sind umsonst gewesen. Seine Majestät muß
bauen, und in einer Weise, die ebenfalls wieder den Verfall der geistigen
Kräfte nur zu deutlich zu Tage treten läßt, werden Versuche
gemacht, das Geld dazu, gehe es, wie es gehe, herbeizuschaffen. Heßelschwerdt
wurde von Seiner Majestät zu dem nunmehr verstorbenen Fürsten
Maximilian von Thurn und Taxis nach Regensburg zur Aufnahme eines Anlehens
von 20 Millionen geschickt, sollte durch die Vermittlung Seiner Königlichen
Hoheit des Herzogs Ludwig die Hilfe des Kaisers von Oesterreich in Anspruch
nehmen. Auch zu Seiner Majestät dem König von Schweden und Norwegen
nach Stockholm sollte sich Heßelschwerdt begeben und als dieser sich
diesem Allerhöchsten Auftrag entzog, wurde ein Flügeladjutant
Seiner Majestät, natürlich ohne Erfolg, dahin beordert. Ein Flügeladjutant
erhielt durch Heßelschwerdt den Allerhöchsten Auftrag, in Brasilien
ein Anlehen zu Stande zu bringen, andere Personen sollten nach Brüssel,
nach Konstantinopel zum Sultan und nach Teheran zum Schah. Sei durch Anlehen
kein Geld aufzutreiben (es handelte sich schon um 25 Millionen), so sollten
auf Allerhöchsten Befehl bei den Banken in Stuttgart, Frankfurt, Berlin
und Paris eingebrochen und zu diesem Zwecke Leute geworben werden. (Vernehmungen
von Heßelschwerdt und Welker.) Durch gleichzeitige Aufträge
an mehrere, die sich gegenseitig nichts sagen durften, hoffte Seine Majestät
sogar in den Besitz von 80 Millionen zu gelangen. (Aeußerung Hornigs
Blatt 3.) Als kein Anleihen aufzutreiben war, auch auf Raub und Einbruch
verzichtet werden mußte, sollte das Volk und dessen Vertretung die
Lücke schließen und damit nur eine Unterthanenpflicht erfüllen,
wodurch sie wieder die Allerhöchste Gunst sich zuwenden und Seine
Majestät bewegen könnten, Allerhöchst ihnen nach und nach
wieder [317] näher zu treten. An ein Sichzeigen von Seite Seiner
Majestät sei, wenn man sich nicht bessere, selbstverständlich
gar nicht zu denken. Gute Unterthanen müßten es anders anfangen,
wenn sie ihren König und Herrn glauben machen wollten, daß
sie ihn lieben u.s.w. - Dabei gehen, als wenn die Mittel in ungemessener
Fülle vorhanden wären, die Allerhöchsten Aufträge bis
in die allerletzte Zeit unverändert fort. (Faszikel »Briefe«
u.s.w.)
Das vorliegende
Material ist geradezu erdrückend. Es erübrigt nur noch, auf den
körperlichen Zustand Seiner Majestät einen kurzen Blick zu werfen.
Seit langer Zeit klagen Seine Majestät über Druck und Schmerz
im Hinterkopfe, wenden Eisumschläge dagegen, selbst mitunter während
des Essens an; Seine Majestät leiden ferner nicht selten an Schlaflosigkeit,
nahmen früher ungefähr 6 Jahre lang 2 bis 3 mal wöchentlich
Chloral, gebrauchen seit 4 Jahren andere Schlafmittel, deren Zusammensetzen
die Berichterstatter nicht kennen. (vgl. die Vernehmungen von Heßelschwerdt
und Welker vom 3. Juni 1886 Seite 15 u. 19, die Aussagen des Lakaien
Mayr, die Mittheilungen des Herrn Oberregierungsrathes von Müller
Seite 6.) Ueber die unordentliche, unappetitliche, ekelerregende Art des
Speisens Seiner Majestät, um das hier noch einzuschieben, wie Allerhöchstderselbe
dabei die Saucen und Gemüse herumspritze, seine Kleider damit beschmiere,
berichtet Kammerlakai Mayr. Erschwert dürfte nach Herrn von Ziegler
auch die Verdauung sein, da Seine Majestät keinen Zahn mehr
im Munde habe, der zum Kauen tauglich sei. (Siehe Aufzeichnungen
Bogen 16.) Die geschlechtlichen Beziehungen berührt Herr Ministerialrath
von Ziegler in seinen Aufzeichnungen Bogen 16.
Hiemit schließen
die unterzeichneten Ärzte ihre Schilderung und verweisend auf die
im Texte schon an verschiedenen Stellen gezogenen Schlußfolgerungen
erklären sie nun, dieselben zusammenfassend und ergänzend einstimmig:
1. Seine Majestät
sind in sehr weit vorgeschrittenem Grade seelengestört und groß
zwar leiden Allerhöchstdieselben an jener Form von Geisteskrankheit,
die den Irrenärzten aus Erfahrung wohl bekannt mit dem Namen Paranoia
(Verrücktheit) bezeichnet wird;
2. Bei dieser
Form der Krankheit, ihrer allmähligen und fortschreitenden Entwicklung
und schon sehr langen, über eine größere Reihe von Jahren
sich erstreckenden Dauer ist Seine Majestät für unheilbar zu
erklären und ein noch weiterer Verfall der geistigen Kräfte mit
Sicherheit in Aussicht;
3. Durch die
Krankheit ist die freie Willensbestimmung Seiner Majestät vollständig
ausgeschlossen, sind Allerhöchstdieselben als verhindert an der Ausübung
der Regierung zu betrachten und wird diese Verhinderung nicht nur länger
als ein Jahr' sondern für die ganze Lebenszeit andauern.
München, den 8. Juni 1886.
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