Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=21.10.2012 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung 23.10.12
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Allgemeine Psychologie, Bereich Biologische Psychologie, und hier speziell zum Thema:

    Symposium Turm der Sinne 2012

    Das Tier im Menschen
    Triebe, Reize, Reaktionen

    Nürnberg, 19. - 21. Oktober 2012

    Eindrücke von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Überblick Vortragsthemen (Zusammenfassungen und Berufsbiographisches hier).

    1. Prof. Dr. Volker Sommer (Professor für evolutionäre Anthropologie) Menschenaffen wie wir. Bekenntnisse eines Primatologen
    2. Prof. Thomas Junker (Biologie):  Die Gene - Freund oder Feind? Zum Menschenbild der evolutionären Psychologie
    3. Prof. Dr. Sabine Döring  (Philosophie ): Die Rückseite der Vernunft Was zeichnet menschliche Gefühle aus?
    4. PD Dr. Miriam Noël Haidle (Ur- und Frühgeschichte, Paläoanthropologie): „Aber Mama, alle haben einen Faustkeil!“ Zur Entwicklung kultureller Kapazitäten
    5. Prof. Dr. Achim Peters (Innere Medizin/ Endokrinologie und Diabetologie): Dicke leben länger  Wie die Hirnforschung den Mythos vom ungesunden Übergewicht widerlegt.
    6. Prof. Dr. Julia Fischer (Primaten- und Verhaltensforscherin): Stimme in Stimmung. Gefühle, Absichten und weibliche Reize in der menschlichen Stimme
    7. Prof. Dr. Stefan Treue (Deutsches Primatenzentrum): Vom Sinnesreiz zur Wahrnehmung. Die Aufmerksamkeit als Architektin unseres Sehens.
    8. Dr. Ulrike Krämer (kognitive Neurowissenschaft): Gehirn und Aggression. Aggressives Verhalten beim Menschen aus neurowissenschaftlicher Perspektive
    9. Prof. Dr. Franz Josef Wetz (Philosophie): Lust am Exzess. Drogen, Sex und Clubbing.
    10. Prof. Dr. Franz Wuketits (Philosophie & Wissenschaftstheorie): Die Konrad-Lorenz-Revue. Ein Kulturbeitrag zu Neugier-Verhalten und Aggressionshemmung von und mit: Franz M. Wuketits.
    11. Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Bischof  (Psychologe): Das Geheimnis des Lagerfeuers. Was ist wirklich spezifisch menschlich?
    12. Prof. Dr. Dr. Gerhard Vollmer (Physiker & Philosoph): Die vierte bis neunte Kränkung des Menschen. Gehirn, Evolution und Menschenbild.
    13. Dr. Rudolf Kötter (Philosoph und Volkswirt): Die Vorderseite der Vernunft. Tun wir was wir wollen oder was wir müssen?
    14. Einleitung und Moderation: Helmut Fink (Physik). Die Natur des Menschen. Ein philosophisches Podiumsgespräch zwischen Gerhard Vollmer und Rudolf Kötter.


    Eindrücke. Das war wie alle Jahre eine interessante Veranstaltung mit vielen anregenden Informationen und Vorträgen und manchem Highlight (Sommer, Wetz, Bischof und Kötter - natürlich aus meiner subjektiven Sicht). Aber, obwohl das Thema mit "Das Tier im Menschen" scheinbar klar und deutlich bestimmt und ausgeschrieben war, beschäftigten sich die meisten Vorträge gerade nicht damit, das jeweils Tierische im Menschen herauszuarbeiten, eigentlich nur Sommer und Wuketits, sondern meist mit spezifischen Menschlichem mit gelegentlichen Schlenkern in das Reich der Tiere (so auch die eindrucksvolle Geschichte einer Episode der Graugans Martina in der Einführung durch Dr. Rosenzweig zum Eröffnung des Symposiums). Es hat also den Anschein, als ob Titel und Thema des Symposiums keine wirkliche Bedeutung mehr hat. Hauptsache Neuro, Hauptsache in die Röhre schieben, Hauptsache Wissenschaft. Man will zwar das Erleben erforschen, hat aber keine differenzierte Erlebenstheorie und offensichtlich keinen wissenschaftlichen Apparat dafür. Kein Wunder, dass die Neurowissenschaft zu so seltsamen Erkenntnissen kommt, weil sie kein materiales Substrat findet, das blinkt und blitzt, wenn eine in der Röhre liegt und es ums ICH geht, dann wird es das wohl auch nicht geben (Exkurse I, II, III).
        Besonders enttäuschend bis ein wenig ärgerlich war, dass, wenn es um die Emotionen und Gefühle ging, auf die menschliche Ausdrucksforschung (Ekman) zurückgegriffen wurde, statt dem biologischen Klassiker auf diesem Gebiet ein ausführliches Referat zu widmen, nämlich Charles Darwins berühmtem Werk.


    Bildquellen.

        Eine ähnliche Kritik ist zum Untertitel "Triebe, Reize, Reaktionen" angebracht. Hier wären Pawlow und die Klassiker der BehavioristInnen, besonders Skinner, Pflicht gewesen (für wenigstens einen Vortrag), doch es regierte Kür der Willkür (bei der Themenauswahl) oder der Zufall der Zusagen und was die Eingeladenen gerade im Bearbeitungsköcher hatten. So faszinierend Bischofs Vortrag war, sowohl inhaltlich und in der Gestaltung, so ging doch sein Untertitel gerade ins Gegenteil: "Was ist wirklich spezifisch menschlich?" Es sei denn man argumentierte, alles, was nicht spezifisch menschlich ist, also das, was dann übrig bleibt, repräsentiert das Tier im Menschen.

        Auch der tolle und mutige Vortrag von Wetz "Lust am Exzess. Drogen, Sex und Clubbing" ging nur scheinbar auf das Tier in uns ein. Es waren sehr interessante und richtige Ausführungen wie der Mensch die Sau rauslässt (Projektion?), vielleicht auch rauslassen darf, ja soll oder gar muss. Dabei scheint die Sau rauslassen doch eher etwas spezifisch Menschliches. Welche Tiere betreiben denn clubbing, nehmen Drogen und exzessieren sich? Hätte man daher nicht themaentsprechend eher danach fragen sollen, wie die Tiere den Menschen rauslassen?

        Terminologiekritisches Bewusstsein hätte vielleicht auch der Diskussionsrunde gut getan. Der naive bis gelegentlich leichtfertig anmutende Gebrauch von Universalien, wie er sich z.B. im Titel "Die Natur des Menschen" ausdrückt, öffnet Tür und Tor für Missverständnisse oder Aneinandervorbeireden. In welcher Weise existiert DAS TIER, DER MENSCH, DAS TIER im MENSCHEN?

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    Exkurs I: Der Kardinalfehler der NeurowissenschaftlerInnen
    Nicht wenige NeurobiologInnen scheinen einem spezifischen Denkfehler aufzusitzen, wenn sie meinen, was sie nach ihrem besonderen Menschen- oder Weltbild und mit ihren derzeitigen Methoden nicht finden können, das gäbe es auch nicht. Richtig ist nur, dass sie manche ihrer Modelle mit ihren Methoden (noch) nicht evaluieren können. Das könnte daher auch an (1) unangemessenen Modellen, an (2) unangemessenen Methoden, an (3) unangemessener Handhabung oder an einer Kombination liegen. Formal gibt es 23 = 8 Möglichkeiten:  0 (das Modell hat tatsächlich keine Entsprechung in der Wirklichkeit), 1, 2, 3, 1 und 2, 1 und 3, 2 und 3 oder 1,2, und 3 liegen.

    Exkurs II: Fehler, Mängel und Schwächen der bildgebenden Verfahrenswut
    Um die neurobiologischen Grundlagen des Erlebens zu studieren, braucht man eine differenzierte Theorie des Erlebens und wie man es untersuchen kann. Das scheint den meisten NeurobiologInnen entbehrlich. Das ist menschlich zwar verständlich, aber wissenschaftlich nicht tolerierbar. Zwar ist es objektiv schwierig, eine empirisch brauchbare Erlebnispsychologie zu entwickeln - wie schon die Entstehung des Behaviorismus beweist, der 50% der Psychologie, nämlich der Wissenschaft vom Erleben und Verhalten, preisgab und sich ganz auf das Verhalten zurückzog. Aber eine differenzierte und anwendungstaugliche Theorie des Erlebens ist notwendig und unverzichtbar. Man kann die neurobiologischen Grundlagen des Erlebens nicht angemessen, vernünftig und wissenschaftlich untersuchen, wenn man über kein empirisch fundiertes System der Erlebnispsychologie verfügt. Das zeigte sich auch beim Symposium des Turms der Sinne 2012  wieder an mehreren Stellen, besonders in den Vorträgen von Döring, Fischer, Treue und Krämer. Es fehlt vor allem an operationalisierbaren, herstellbaren und wiederholbaren Normierungen der Erlebenssachverhalte, vor allem im Bereich der Empfindungen, Gefühle, Emotionen, Stimmungen, Befinden und Werte.

    Exkurs III: Fehler, Mängel und Schwächen des Biologismus
    Von der Evolution wird in einer Art und Weise geredet, als ob sie ein selbständiges Subjekt sei. Andererseits betont man des öfteren, die Evolution denke nicht und verfolge keine Zwecke. Ganz offensichtlich erscheinen Wort und Begriff  der Evolution (z.B. Janich 2009) als ein vieldeutiges und unklares bis wirres Homonym.
    Selten kommen die NeurobiologInnen auf die Idee, bei Wertfragen, die oft auch in den Entwicklungsbegriff einfließen, ihr meist narzißtisch anthropologisches Bezugssystem kritisch in Frage zu stellen, was beim Vergleichen verschiedener Gattungen, Arten und sogar Individuen eigentlich selbstverständlich sein sollte. Wissenschaft ist im wesentlichen sachlich fundiert: sie beschreibt und erklärt Zusammenhänge. Fast alle Hierarchiefragen in Bezug auf Nutzen und Wert haben zwei Komponenten unterschiedlicher Kategorien: eine sachlich-empirische und eine ethisch-ästhetische. Was für Schimpansen, Delphine oder Frösche gut oder wertvoll ist, kann sachlich-empirisch nur innerhalb des Bezugsystems Schimpanse, Delphin oder Frosch unter Berücksichtigung interindividueller Differenzen erkundet werden. Alles vom Menschen von außen und fremd Übergestülpte ist oft falsch, manchmal unangemessen bis anmaßend, manchmal mehrdeutig, wie z.B.  "höher entwickelt" oder allgemeiner, Wertungen von Entwicklungsstufen. Also: Was für eine Gattung oder Art nützlich oder wertvoll ist, das kann man nicht unkritisch-einseitig vom menschlichen Standpunkt aus betrachten, jedenfalls dann nicht, wenn man vorgibt, Wissenschaft zu betreiben. Natürlich können, dürfen, ja sollen NeurobiologInnen auch zu den grundlegenden Wertfragen Stellung nehmen, wie etwa Tiere im Dienste der Forschung gequält und gefoltert, im Dienste der Wirtschaft und Gesellschaft gezüchtet, gehalten, ausgeschlachtet oder bedroht, gefährdet oder ausgerottet werden. Die ästhetischen oder ethischen Wertfragen sollten aber klar und deutlich von den Sachverhalten der Beschreibung und Erklärung von Zusammenhängen getrennt werden.





    Literatur (Auswahl) > Literaturhinweise bei den ReferentInnen des Symposiums und im Programmheft des Symposiums.

    Janich, Peter (2009). Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung. Frankfurt aM: Suhrkamp (edition unseld.)
        "Essay Die unreflektierte Sprache der Hirnforschung. Der Debatte um die Hirnforschung mangelt es an einer umfassenden Sprachkritik, meint der Marburger Philosoph Peter Janich. Ohne diese seien viele der diskutierten Fragen aber nicht zu klären. Die Erforschung der Denkvorgänge werde nicht zu einem neuen Menschenbild führen. ...[Spiegel 14.10.2009]



    Links(Auswahl: beachte)
    Vortragsfolien: https://turmdersinne.de/de/symposium/symposium-2012/vortragsfolien



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Bildquellen.
    • Darwin: Titelbild, nach Greno und der Stuttgarter Ausgabe von 1872.
      • https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Ausdruck_der_Gem%C3%BCtsbewegungen_bei_dem_Menschen_und_den_Tieren
      • https://de.wikisource.org/wiki/Der_Ausdruck_der_Gem%C3%BCthsbewegungen_bei_dem_Menschen_und_den_Thieren
    • Pawlow: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ivan_Pavlov_NLM3.jpg?uselang=de
    • Skinner: https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Silly_rabbit
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    Ekman. Ekman ist zwar ein begnadeter Forscher im Bereich der Physiognomie mit Schwerpunkt Lüge und Täuschung, aber beschränkt auf den Menschen.
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    Querverweise
    Standort: Symposium 2012 Das Tier im Menschen.
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    Eindrücke von anderen Symposien: Verantwortung als Illusion? (2011),  Geschlechter (2010), Wahrnehmung (2007), Sprache&Gehirn (2006), Willensfreiheit (2004),
    Überblick Seiten in der IP-GIPT zur Willensfreiheit.
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    Überblick Arbeiten zur Theorie, Definitionslehre, Methodologie, Meßproblematik, Statistik und Wissenschaftstheorie besonders in Psychologie, Psychotherapie und Psychotherapieforschung.
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Eindrücke vom Symposium Turm der Sinne 2012: Das Tier im Menschen. Triebe, Reize, Reaktionen.
    Nürnberg, 19. - 21. Oktober 2012. IP-GIPT Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/allpsy/biolpsy/STdS2012.htm

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    korrigiert: irs 21.10.2012



    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    23.10.12    Nachtrag zum Vortrag Wetz.