Symposium Turm der Sinne 2012
Das Tier im Menschen
Triebe, Reize, Reaktionen
Nürnberg, 19. - 21. Oktober 2012
Eindrücke von Rudolf Sponsel, Erlangen
Überblick Vortragsthemen (Zusammenfassungen und Berufsbiographisches hier).
Eindrücke. Das war wie alle
Jahre eine interessante Veranstaltung mit vielen anregenden Informationen
und Vorträgen und manchem Highlight (Sommer, Wetz, Bischof und Kötter
- natürlich aus meiner subjektiven Sicht). Aber, obwohl das Thema
mit "Das Tier im Menschen" scheinbar klar und deutlich bestimmt
und ausgeschrieben war, beschäftigten sich die meisten Vorträge
gerade nicht damit, das jeweils Tierische im Menschen herauszuarbeiten,
eigentlich nur Sommer und Wuketits, sondern meist mit spezifischen Menschlichem
mit gelegentlichen Schlenkern in das Reich der Tiere (so auch die eindrucksvolle
Geschichte einer Episode der Graugans Martina in der Einführung
durch Dr. Rosenzweig zum Eröffnung des Symposiums). Es hat also den
Anschein, als ob Titel und Thema des Symposiums keine wirkliche
Bedeutung mehr hat. Hauptsache Neuro, Hauptsache in die Röhre schieben,
Hauptsache Wissenschaft. Man will zwar das Erleben erforschen, hat aber
keine differenzierte Erlebenstheorie und offensichtlich keinen wissenschaftlichen
Apparat dafür. Kein Wunder, dass die Neurowissenschaft zu so seltsamen
Erkenntnissen kommt, weil sie kein materiales Substrat findet, das blinkt
und blitzt, wenn eine in der Röhre liegt und es ums ICH geht, dann
wird es das wohl auch nicht geben (Exkurse
I, II,
III).
Besonders enttäuschend bis ein wenig ärgerlich
war, dass, wenn es um die Emotionen und Gefühle ging, auf die menschliche
Ausdrucksforschung (Ekman) zurückgegriffen wurde,
statt dem biologischen Klassiker auf diesem Gebiet ein ausführliches
Referat zu widmen, nämlich Charles Darwins berühmtem Werk.
Eine ähnliche Kritik ist zum Untertitel "Triebe, Reize, Reaktionen" angebracht. Hier wären Pawlow und die Klassiker der BehavioristInnen, besonders Skinner, Pflicht gewesen (für wenigstens einen Vortrag), doch es regierte Kür der Willkür (bei der Themenauswahl) oder der Zufall der Zusagen und was die Eingeladenen gerade im Bearbeitungsköcher hatten. So faszinierend Bischofs Vortrag war, sowohl inhaltlich und in der Gestaltung, so ging doch sein Untertitel gerade ins Gegenteil: "Was ist wirklich spezifisch menschlich?" Es sei denn man argumentierte, alles, was nicht spezifisch menschlich ist, also das, was dann übrig bleibt, repräsentiert das Tier im Menschen.
Auch der tolle und mutige Vortrag von Wetz "Lust am Exzess. Drogen, Sex und Clubbing" ging nur scheinbar auf das Tier in uns ein. Es waren sehr interessante und richtige Ausführungen wie der Mensch die Sau rauslässt (Projektion?), vielleicht auch rauslassen darf, ja soll oder gar muss. Dabei scheint die Sau rauslassen doch eher etwas spezifisch Menschliches. Welche Tiere betreiben denn clubbing, nehmen Drogen und exzessieren sich? Hätte man daher nicht themaentsprechend eher danach fragen sollen, wie die Tiere den Menschen rauslassen?
Terminologiekritisches Bewusstsein hätte vielleicht auch der Diskussionsrunde gut getan. Der naive bis gelegentlich leichtfertig anmutende Gebrauch von Universalien, wie er sich z.B. im Titel "Die Natur des Menschen" ausdrückt, öffnet Tür und Tor für Missverständnisse oder Aneinandervorbeireden. In welcher Weise existiert DAS TIER, DER MENSCH, DAS TIER im MENSCHEN?
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Exkurs I: Der Kardinalfehler
der NeurowissenschaftlerInnen
Nicht wenige NeurobiologInnen scheinen einem spezifischen Denkfehler
aufzusitzen, wenn sie meinen, was sie nach ihrem besonderen Menschen- oder
Weltbild und mit ihren derzeitigen Methoden nicht finden können, das
gäbe es auch nicht. Richtig ist nur, dass sie manche ihrer Modelle
mit ihren Methoden (noch) nicht evaluieren können. Das könnte
daher auch an (1) unangemessenen Modellen, an (2) unangemessenen Methoden,
an (3) unangemessener Handhabung oder an einer Kombination liegen. Formal
gibt es 23 = 8 Möglichkeiten: 0 (das Modell hat tatsächlich
keine Entsprechung in der Wirklichkeit), 1, 2, 3, 1 und 2, 1 und 3, 2 und
3 oder 1,2, und 3 liegen.
Exkurs
II: Fehler, Mängel und Schwächen der bildgebenden Verfahrenswut
Um die neurobiologischen Grundlagen des Erlebens zu studieren, braucht
man eine differenzierte Theorie des Erlebens und wie man es untersuchen
kann. Das scheint den meisten NeurobiologInnen entbehrlich. Das ist menschlich
zwar verständlich, aber wissenschaftlich nicht tolerierbar. Zwar ist
es objektiv schwierig, eine empirisch brauchbare Erlebnispsychologie zu
entwickeln - wie schon die Entstehung des Behaviorismus beweist, der 50%
der Psychologie, nämlich der Wissenschaft vom Erleben und Verhalten,
preisgab und sich ganz auf das Verhalten zurückzog. Aber eine differenzierte
und anwendungstaugliche Theorie des Erlebens ist notwendig und unverzichtbar.
Man kann die neurobiologischen Grundlagen des Erlebens nicht angemessen,
vernünftig und wissenschaftlich untersuchen, wenn man über kein
empirisch fundiertes System der Erlebnispsychologie verfügt. Das zeigte
sich auch beim Symposium des Turms der Sinne 2012 wieder an mehreren
Stellen, besonders in den Vorträgen von Döring, Fischer, Treue
und Krämer. Es fehlt vor allem an operationalisierbaren, herstellbaren
und wiederholbaren Normierungen der Erlebenssachverhalte, vor allem im
Bereich der Empfindungen, Gefühle, Emotionen, Stimmungen, Befinden
und Werte.
Exkurs
III: Fehler, Mängel und Schwächen des Biologismus
Von der Evolution wird in einer Art und Weise geredet, als ob sie ein
selbständiges Subjekt sei. Andererseits betont man des öfteren,
die Evolution denke nicht und verfolge keine Zwecke. Ganz offensichtlich
erscheinen Wort und Begriff der Evolution (z.B. Janich
2009) als ein vieldeutiges und unklares bis wirres Homonym.
Selten kommen die NeurobiologInnen auf die Idee, bei Wertfragen, die
oft auch in den Entwicklungsbegriff einfließen, ihr meist narzißtisch
anthropologisches Bezugssystem kritisch in Frage zu stellen, was beim
Vergleichen verschiedener Gattungen, Arten und sogar Individuen eigentlich
selbstverständlich sein sollte. Wissenschaft ist im wesentlichen sachlich
fundiert: sie beschreibt und erklärt Zusammenhänge. Fast alle
Hierarchiefragen in Bezug auf Nutzen und Wert haben zwei Komponenten unterschiedlicher
Kategorien: eine sachlich-empirische und eine ethisch-ästhetische.
Was für Schimpansen, Delphine oder Frösche gut oder wertvoll
ist, kann sachlich-empirisch nur innerhalb des Bezugsystems Schimpanse,
Delphin oder Frosch unter Berücksichtigung interindividueller Differenzen
erkundet werden. Alles vom Menschen von außen und fremd Übergestülpte
ist oft falsch, manchmal unangemessen bis anmaßend, manchmal mehrdeutig,
wie z.B. "höher entwickelt" oder allgemeiner, Wertungen von
Entwicklungsstufen. Also: Was für eine Gattung oder Art nützlich
oder wertvoll ist, das kann man nicht unkritisch-einseitig vom menschlichen
Standpunkt aus betrachten, jedenfalls dann nicht, wenn man vorgibt, Wissenschaft
zu betreiben. Natürlich können, dürfen, ja sollen NeurobiologInnen
auch zu den grundlegenden Wertfragen Stellung nehmen, wie etwa Tiere im
Dienste der Forschung gequält und gefoltert, im Dienste der Wirtschaft
und Gesellschaft gezüchtet, gehalten, ausgeschlachtet oder bedroht,
gefährdet oder ausgerottet werden. Die ästhetischen oder ethischen
Wertfragen sollten aber klar und deutlich von den Sachverhalten der Beschreibung
und Erklärung von Zusammenhängen getrennt werden.
Janich, Peter
(2009). Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung. Frankfurt
aM: Suhrkamp (edition unseld.)
"Essay Die unreflektierte Sprache der Hirnforschung.
Der Debatte um die Hirnforschung mangelt es an einer umfassenden Sprachkritik,
meint der Marburger Philosoph Peter Janich. Ohne diese seien viele der
diskutierten Fragen aber nicht zu klären. Die Erforschung der Denkvorgänge
werde nicht zu einem neuen Menschenbild führen. ...[Spiegel
14.10.2009]
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korrigiert: irs 21.10.2012