Gossen, Hermann Heinrich (1854)
Entwickelung der Gesetze des menschlichen Verkehrs
und der daraus fließenden Regeln für menschliches Handeln.
Braunschweig: Vieweg. Neue Ausgabe 1889 Berlin: Prager.
Aufbereitet und präsentiert von Rudolf Sponsel, Erlangen, Querverweise
"Gesetze" müssen empirisch experimentell nachgewiesen werden. Daher sind "Gossen Gesetze" bestenfalls Hypothesen. Das scheint sich aber noch nicht einmal bis Wikipedia (Abruf 16.12.2019) herumgesprochen zu haben. Gossen war in Wissenschaftstheorie völlig unbedarft und naiv > Wissenschaftstheoretisches Problembewußtsein in der Ökonomie, Wissenschaftsbegriff, Wissenschaftliches Arbeiten. |
Kapitel 1 Grundüberlegungen und erste
Postulate (Hypothesen)
Relativitätsprinzip des Augenblickgenusses
in Bezug auf das Lebensganze
003: Genußprinzip ist Schöpferwille
* Genuß kann im Übermaß oder zur Unzeit auf lange Sicht
schädlich sein * Lebensmaxime: "Der Mensch richte
seine Handlungen so ein, daß die Summe seines Lebensgenusses ein
Größtes werde." *
Einschränkendes Bentham'sches Gemeinwohl
Gebot [RS: Größtes Glück der größten
Zahl]
004: "Durch sie [die Gesetze
der Kraft zu genießen] erreichte er es, daß, sobald dem Menschen
die Gesetze der Wirksamkeit jener Kraft erst geworden sind, jeder Einzelne
seines eigenen Wohles wegen zugleich zum Heil der Gesammtheit seine Kräfte
so verwenden muß, wie es zur Förderung des Wohles der Gesammtheit
am zweckmäßigsten ist." * Genußstreben als positive
Kraft: verkannt und verketzert, weil auch ein Mißbrauch möglich
ist * Genußstreben kann in andere Formen schlüpfen, ist aber
nicht überwindbar * Schöpfungsauftrag: "Mensch!
Erforsche die Gesetze meiner Schöpfung, und diesen Gesetzen gemäß
handle! *
Genuß-Gesetze
005: "1. Die Größe eines
und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit Bereitung des Genusses ununterbrochen
fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt. 2.
Eine ähnliche Abnahme des Genusses tritt ein, wenn wir den früher
bereiteten Genuß wiederholen, und nicht bloß, daß bei
wiederholter Bereitung die ähnliche Abnahme eintritt, auch die Größe
des Genusses bei seinem Beginnen ist eine geringere, und die Dauer, während
welcher was als Genuß empfunden wird, verkürzt sich bei der
Wiederholung, es tritt früher Sättigung ein, und beides, anfängliche
Größe sowohl, wie Dauer, vermindern sich um so mehr, je rascher
Wiederholung erfolgt. Für beide Merkmale liefert das tägliche
Leben tausendfältige Tatsachen als Beweise." Beispiel Ästhetik:
Genuß bei Bildbetrachtung in der Kunst *
006: Beispiel Genuß im Denken
und beim Wahrheiten finden * Beispiel Speisen: der erste Bissen schmeckt
am besten, der zweite schon weniger usf. * Sinken des Genusses und Sättigung
durch wiederholt gleiche Speisen * Arme können seltene Braten
intensiver genießen * Entbehrung steigert die Genußattraktion
* Individuelle Unterschiede der Genußattraktionen *
007: Erste Genußbereitungen
können mehr Zeit und Kraft in Anspruch nehmen [RS: das Genießen
muß sozusagen erst gelernt werden] * Sinken des Genusses beim fortgesetzten
und wiederholten Genießen: "Die Übung des Gesichts, des Gehörs,
des Geschmacks, des Geistes steigert den Genuß an den diesen Sinnen
dienenden Gegenständen im Allgemeinen, aber das fortgesetzte und wiederholte
Genießen eines und desselben Gegenstandes ist dem ungeacht jenem
Sinken unterworfen.
So wiederholt sich denn dieses Gesetz der Abnahme
der Größe des Genusses bei allem Genießen ohne alle Ausnahme,
bei den geistigen Genüssen sowohl, wie bei den materiellen, und
gerade dadurch, daß der Schöpfer die Kraft zu genießen,
die Genußsucht, diesem Gesetze unterwarf, machte er sie fähig,
solche Resultate zu fördern, wie oben näher angedeutet wurden."
008: Geometrische Darstellung
der Genußabnahme im Verlaufe der Zeit: Figur 1 * Für die
wirkliche Darstellung wäre die Messung in den jeweiligen Zeitmomenten
nötig, bislang weder gelungen noch richtig versucht * Nach geometrischer
Raum Analogie ist
009: wirkliches Messen nicht
nötig [RS: falsch], Astronomie Analogie * Veranschaulichung
verschiedener Abnahmeformen Fig 2-5
010: Modell der stetigen Abnahme
(Dreieck) Fig. 2 * Gesetz der Abnahme [RS: das ist kein Gesetz, sondern
ein Dogma, bestenfalls eine Hypothese und äußert fragwürdig
als Axiom, weil empirisch erforschbar] * Beispiele aus der Natur (Licht,
Wärme, Naturgegenden), Gefangenenbeispiel und
011: Erleben und Erfahrung der
Gewöhnung und Adaptation *
Der erste Lehrsatz:
"1. Bei jedem einzelnen Genuß gibt es eine Art und Weise zu
genießen, die hauptsächlich von der häufigeren oder minder
häufigeren Wiederholung des Genusses abhängt, durch welche die
Summe des Genusses für den Menschen ein Größtes wird. Ist
dieses Größte erreicht, so wird die Summe sowohl durch eine
häufigere, wie durch eine minder häufige Wiederholung vermindert."
* Verkennung der Bedeutung dieses Satzes: Beispiel Ludwig der XV:
012: Genußmöglichkeit
im Überfluß senkt den Lebensgenuß im Ganzen * [RS: es
folgt ein wichtiger, wenn auch nicht so bezeichneter Hauptsatz]: "Wie nun
bei jedem einzelnen Genuß das Genießen einzurichten ist, um
dieses Größte zu erreichen, ist eine faktische Frage. Ihre Verantwortung
ist bedingt durch nähere Bestimmung des Gesetzes über die Abnahme
der Größe, und dieser wieder durch wirkliche Messen der Genüsse."
Der zweite Lehrsatz:
"2. Der Mensch, dem die Wahl zwischen mehreren Genüssen frei
steht, dessen Zeit aber nicht ausreicht, alle vollaus sich zu bereiten,
muß, wie verschieden auch die absolute Größe der einzelnen
Genüsse sein mag, um die Summe seines Genusses zum Größten
zu bringen, bevor er auch nur den größten sich vollaus bereitet,
sie alle teilweise bereiten, und zwar in einem solchen Verhältnis,
daß
die Größe eines jeden Genusses in dem Augenblick, in welchem
seine Bereitung abgebrochen wird, bei allen noch die gleiche bleibt."
[Anmerkung 2. Lehrsatz]
013: Illustration und Erläuterung
eines
mathematisch geometrisches Genußmodells für die Maximierung
des Genusses bei zwei Genüssen A und B *
[Behauptung]: "Der Mensch wird immer die ihm zum
Genießen vergönnte Zeit zunächst auf den Genuß zu
verwenden haben, der zuerst der größte ist, bis er so weit sinkt,
daß er dem nächstfolgenden gleichkommt ..." [Anmerkung
Behauptung Genußreihenfolge]
014: Es folgenen Ableitungen
und Rechenbeispiele, die unter den genannten Annahmen zu Genußmaximierungen
führen.
015:
016:
017:
Anmerkung 2. Lehrsatz
(Seite 12): Der 2. Lehrsatz ist sowohl unverständlich als auch falsch.
Hier geht es um Entscheidung im Konflikt. Ob sich der Mensch in der Konfliktsituation,
welche Befriedigungen er wählt, subjektiv genußmaximierend richtig
verhält, man mehr oder minder gelingen. Allein der Entscheidungskonflikt
kostet Genuß und beeinflußt das weitere Genußpotential.
Ob bei Entscheidung und Abbruch für die einen oder anderen Befriedigungsmöglichkeiten
alle Potentiale gleich bleiben, erscheint sehr idealistisch und theoretisch.
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Behauptung
Genußreihenfolge, Abbruchbedingung und Maximierungsprinzip (Seite
13): Diese Behauptung, daß zunächst mit der größten
Genußerwartung zu beginnen ist, um das Maximum zu erreichen, ist
überhaupt nicht nachvollziehbar. Dem widerspricht z.B. das vielfach
gelebte und psychologisch vernünftige Prinzip: Erst die Arbeit,
dann das Vergnügen, aber auch vielen anderen Genußorganisationen
des Lebens, siehe z.B. die Synchronisation
der sexuellen Lüste in der Liebe. Die Summierung der Flächen
zweier geometrischer Figuren (in Gossens Modell meist Dreicke) ist kommutativ.
Es ist völlig gleich, ob man A+B oder B+A zusammenzählt. Psychologisch
und pädagogisch ist es aber vielfach nicht sinnvoll, zunächst
mit dem größten Genuß zu beginnen. Die
Idee der Abbruchbedingung und Maximierungsprinzips erscheint auf den ersten
Blick logisch: man wendet sich dann einem neuen Genuß zu, wenn sein
Befriedigungswert größer als der des gerade erlebten erscheint.
Dies verkennt aber, daß der Mensch durchaus in der Lage ist, kurz-
oder mittelfristige Entsagungen und Entbehrungen oder auch Vorleistungen
für künftige Genußerwartungen zu leisten. Anders gesagt:
der Mensch ist nicht in jeder Sekunde des Lebens darauf aus, eigenblickliche
Genußmaximierung zu betreiben, wie Gossen ja eingang selbst beschreibt
und erkennt wie auch, daß manche Befriedigungen erst gelernt werden
werden müssen, zu schnelle, zu leichte, zu sehr sich wiederholende
die Gefahr der Langeweile mit einem sinkenden Befriedigungswert mit sich
bringen (Beispiel Ludwig XV.). Die meisten Befriedigungszyklen zeigen Leerzeiten
wie biologische Systeme sog. Refraktärzeiten - in der eine Erregung
bei erneuter Reizung nicht möglich ist - zeigen.
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