Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=30.08.2001 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 19.07.19
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen * Mail: sekretariat@sgipt.org_Zitierung  &  Copyright

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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Bereich Therapie-Schulen, Abteilung Kritische Arbeiten zur Psychoanalyse und Analytischen Psychotherapie, hier speziell:

    Der Widerruf der Mißbrauchstheorie ("Verführungstheorie") durch Sigmund Freud

    Die bahnbrechenden Forschungsergebnisse Jeffrey M. Massons

    von Rudolf Sponsel, Erlangen

    _  Einführung_ J.M.MassonAufnahme_der_Ergebnisse_ Forschungsergebnisse_Anmerkungen von Klaus Schlagmann
    _ Zusammenfassung und Bewertung  Deutungsbeispiel Homosexualität_ Q
    Querweise Sexueller Mißbrauch

    Einführung
    Sigmund Freud hatte frühzeitig erkannt und am 21.4.1896 vor einem kleinen Kreis Wiener Kollegen, auch vorgetragen  daß zahlreiche Kinder, in erster Linie Mädchen von Familienangehörigen und hier hauptsächlich von ihren Vätern sexuell mißbraucht wurden. Diese Entdeckung war hochexplosiv und Freud war sich darüber im Klaren, daß er eine außerordentlich bedeutsame Entdeckung gemacht hatte. Nachdem Freuds Entdeckungen von der Fachwelt nicht gebilligt und er deshalb  auch geschnitten und zunehmend isolierter wurde, geriet er in einen Konflikt mit seinem Ehrgeiz und seinem wissenschaftlichen Gewissen. Wie meist unterlag auch hier das Gewissen und Freud widerrief - im Gegensatz  zu Galileo Galiei ohne jede echte Bedrohung oder Not - seine Entdeckung im Jahre 1905 öffentlich. Jeffrey M. Masson, von Anna Freud zum Projektdirektor des Sigmund Freud Archivs in London berufen, stieß bei der Neuherausgabe des Briefwechsels Freuds mit Wilhelm Fließ auf einige unterdrückte Briefe und andere wichtige Quellen, die die ganze Ungeheuerlichkeit gegen den heftigsten Widerstand der psychoanalytischen Lobby ans Licht des Tages brachte mit dem weltweit aufsehenerregenden Buch Was hat man Dir, Du armes Kind getan? Seine Enttäuschung und Erschütterung auch über die Reaktion seiner psychoanalytischen KollegInnen war so groß, daß er den Beruf des Psychoanalytikers aufgab und in einem weltweit aufsehenerregenden Titel sogar Die Abschaffung der Psychotherapie forderte.

    Jeffrey M. Masson    (Literatur)
     
    Nach seinem Sanskrit- und Indologie- Studium Ausbildung zum Psychoanalytiker 1970-1978 in Toronto. Aufnahme in die Internationale Vereinigung der Psychoanalytiker. Praxis in Kalifornien. Korrespondenz mit Anna Freud. Projektleiter des Sigmund Freud Archivs in London. Recherchen Briefwechsel Freud - Fließ: Auslassungen von Anna Freud. Recherchen über Freuds Aufenthalt 1885/86 in Paris. 1981 Artikelserie in der New York Times zu den Funden. Nestbeschmutzer Protestwelle der Psychoanalytiker mit der Forderung, ihn zu entlassen. Aus dem Direktorium des Sigmund Freud Archivs mit der Begründung entlassen, er habe 'mangelndes Urteilsvermögen' bewiesen, weil er seine Ansichten vor einem nicht- professionellen Publikum erörtert habe. 

    Zur Aufnahme seiner Ergebnisse berichtet Jeffrey M. Masson:
     
         "Die Ergebnisse meiner Untersuchungen wurden von meinen Berufskollegen zunächst nicht sehr freundlich und objektiv aufgenommen. Das hätte mich nicht überraschen sollen, denn als mein Buch Was hat man dir, du armes Kind getan? Anfang 1984 erschien, beschäftigten sich die Rezensenten in erster Linie mit dem Charakter des Verfassers und weniger mit den darin behandelten Problemen. Ich hatte angenommen, daß die Bedeutung der von mir aufgefundenen neuen Dokumente für die psychoanalytische Therapie - das waren zum Beispiel bisher nicht veröffentlichte Briefe von Freud, neues Material aus dem Pariser Leichenschauhaus über Kindsmißhandlungen und bisher unbekannte Seiten aus dem persönlichen Tagebuch von Ferenczi - von Kollegen geprüft werden würde, die mehr klinische Erfahrungen hatten als ich. Doch das war ein großer Irrtum. Wo immer ich meine Vorträge hielt, sogar in Frankreich, Italien, Spanien und Holland, beschäftigte man sich vielmehr vor allem mit meiner äußeren Erscheinung, meinem Anzug, meinen Motiven für die Untersuchung von Fällen der Kindsmißhandlung, meinen Beziehungen zu meinem Vater, meiner Mutter, meinem Psychoanalytiker, zu Anna Freud und anderen. Ich hatte den Eindruck, daß weder meine Feststellungen noch ihre Bedeutung unvoreingenommen beurteilt würden. Und ich machte die Erfahrung, daß Menschen, die die geltenden Dogmen kritisieren, nicht ernst genommen werden. Schließlich tröstete ich mich mit der Erkenntnis, daß ich die für mich so schmerzlichen persönlichen Angriffe meiner Naivität zu verdanken hatte.
         Aber wenn auch Psychoanalytiker, Akademiker und andere Befürworter der Psychoanalyse nicht bereit waren, auf diese Probleme einzugehen, dann tat dies ein sehr wichtiger und lautstark für seine Rechte kämpfender Teil der Bevölkerung, die Feministinnen. Viele Frauen interessierten sich für die von mir zusammengetragenen historischen Materialien und Dokumentationen." 
        Und die Allgemeinen und integrativen PsychotherapeutInnen natürlich auch: Wir bewundern den Mut und den Charakter, den unbestechlichen Forschergeist und die außerordentlich vielfältige Kompetenz dieses Mannes, der faktisch und praktisch gezeigt hat, wie eine echte WissenschaftlerIn handelt: unbeeindruckt von Mythen, Dogmen und egozentrischen Lobby-Interessen.

    Forschungsergebnisse Massons
    Anmerkungen von Klaus Schlagmann

        Masson berichtet zu Zur Entstehungsgeschichte von «Zur Ätiologie der Hysterie» von Freud:  "Sigmund Freud hielt am Abend des 21. April 1896 vor seinen Kollegen, im Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien, einen Vortrag, in dem Bewußtsein, daß er damit «am Schlaf der Welt» F1 rütteln würde. Der Vortrag trägt den Titel «Zur Ätiologie der Hysterie» F2 und eröffnete eine geradezu revolutionäre Theorie seelischer Krankheit. Freuds neue Erkenntnis lautete: Neurosen werden durch frühe sexuelle Traumen verursacht, für die Freud die Begriffe «infantile Sexualszenen» F3 oder «Koitus im Kindesalter» F4 prägte. Daraus entwickelte sich später die «Verführungstheorie», die frühkindliche traumatische Erfahrungen als wirklich erlebt und nicht als Phantasien versteht, und aufspürt, welche tiefe Wunden diese Kinder in ihr späteres Leben hineintragen.
        Freud verwendet für «infantile Sexualszenen» unterschiedliche Begriffe: Vergewaltigung, Mißbrauch, Verführung, Angriff, Attentat (französisch: der Angriff, Vergehen; «attentats aux moeurs» sind Sittlichkeitsvergehen und «attentats à la pudeur» unzüchtige Handlungen), Aggression und Trauma; Worte, mit denen die gegen das Kind gerichtete Gewalt des Erwachsenen im sexuellen Akt deutlich wird - mit Ausnahme des unglücklich gewählten Wortes «Verführung», das eine aktive Teilnahme des Kindes impliziert. Freud hat diese in seinen frühen Schriften verwendeten Termini in späteren Werken meist durch das Wort «Verführung» ersetzt. In seinen später entwickelten Theorien, und vor allem in der psychoanalytischen Theoriebildung nach Freud, wurde das Doppeldeutige dieses Wortes [37] sehr oft einseitig interpretiert. Das «verführte» Kind, hieß es, sei zugleich das verführende, das durch sein Verhalten den sexuellen Akt provozierende Kind. In diesem frühen Aufsatz jedoch läßt Freud noch keinen Zweifel daran, was er unter Verführung versteht: ein dem Kind aufgezwungener sexueller Akt, der von dem Kind weder gewünscht noch provoziert wird. So verstanden ist Verführung grausam und gewalttätig und verletzt das Kind in allen Aspekten seines Seins. Freud machte deutlich, daß zuallermeist Mädchen zu Opfern werden. Das Kind ist weder körperlich reif für den Koitus - eine Vergewaltigung mit oft lebensbedrohenden Folgen - noch gefühlsmäßig vorbereitet auf den Ansturm sexueller Leidenschaft des Erwachsenen und die damit verbundenen Schuldgefühle und Ängste. Der Erwachsene läßt seine sexuelle und emotionale Frustration an einem Kind aus, das viel zu verängstigt ist, um zu protestieren, zu schwach, um sich zu verteidigen und existentiell zu abhängig von diesem Erwachsenen, um sich irgendwo Beistand suchen zu können. Freud schilderte dieses Beziehungs-Ungleichgewicht und die darin enthaltene sadistische Lust eines Erwachsenen, seine Macht über ein Kind auszunutzen, mit scharfen, bis heute aktuell gebliebenen Sätzen:
     
    «Alle die seltsamen Bedingungen, unter denen das ungleiche Paar sein Liebesverhältnis fortführt: der Erwachsene, der sich seinem Anteil an der gegenseitigen Abhängigkeit nicht entziehen kann, wie sie aus einer sexuellen Beziehung notwendig hervorgeht, der dabei doch mit aller Autorität und dem Rechte der Züchtigung ausgerüstet ist und zur ungehemmten Befriedigung seiner Launen die eine Rolle mit der anderen vertauscht; das Kind, dieser Willkür in seiner Hilflosigkeit preisgegeben, vorzeitig zu allen Empfindlichkeiten erweckt und allen Enttäuschungen ausgesetzt, häufig in der Ausübung der ihm zugewiesenen sexuellen Leistungen durch seine unvollkommene Beherrschung der natürlichen Bedürfnisse unterbrochen - alle diese grotesken und doch tragischen Mißverhältnisse prägen sich in der ferneren Entwicklung des Individuums und seiner Neurose in einer Unzahl von Dauereffekten aus, die der eingehendsten Verfolgung würdig wären» F5. [38]

    Es wäre interessant zu wissen, wie die medizinischen Fachzeitschriften auf Freuds Vortrag reagierten und ob man sich dort der theoretischen Tragweite bewußt war. Da sich in der psychoanalytischen Literatur keinerlei Hinweis auf diesen Vortrag fand, untersuchte ich während eines Wienaufenthaltes die zeitgenössischen medizinischen Fachblätter und stieß dort auf eine bislang unbeachtete Notiz: Die Wiener klinische Wochenschrift erwähnte am 14. Mai 1896 drei Vorträge einer Sitzung vom 21. April; abweichend von ihrer üblichen Praxis, Vortragstitel, eine kurze Inhaltsangabe und einen Kurzbericht der abschließenden Diskussion zu geben, hieß es über den dritten Vortrag kurz und bündig: «Docent Sigm. Freud: Über die Ätiologie der Hysterie».
    Meines Wissens gibt es keine Hörer-Mitschriften zu Freuds Vortrag. Freud selbst faßte die Ereignisse jenes Abends in einem Brief zusammen, den er am 26. April einem seiner engsten Freunde, dem in Berlin lebenden Hals-, Nasen- und Ohrenarzt Wilhelm Fließ (1858-1924) schrieb:
     
    «Ein Vortrag über Ätiologie der Hysterie im Psychiatrischen Verein fand bei den Eseln eine eisige Aufnahme und von Krafft-Ebing die seltsame Beurteilung: Es klingt wie ein wissenschaftliches Märchen. Und dies, nachdem man ihnen die Lösung eines mehrtausendjährigen Problems, ein caput Nili aufgezeigt hat!» F6

        In der Erstveröffentlichung dieses Briefes von Max Schur fehlte noch der Schlußsatz, mit dem Freud seine unverhohlene Aversion gegen seine Kollegen zeigte: «Sie können mich alle gern haben.» Wie diesem Brief zu entnehmen ist, führte Richard Freiherr von Krafft-Ebing (1840-1902), angesehener Professor und Leiter der Psychiatrischen Abteilung an der Universität Wien, an diesem Abend den Vorsitz. Da Freud sehr genau spürte, daß er Bedeutsames entdeckt hatte, nahm er das Mißfallen seiner Kollegen bewußt in Kauf, auch auf die Gefahr hin, in medizinischen Kreisen geächtet zu werden.
        Freuds Patientinnen stellten sich mutig ihren Erinnerungen an das, was ihnen in ihrer Kindheit angetan worden war - nicht selten Mißbrauch durch den Vater. Auch wenn sie über ihre traumatischen Verletzungen vor Freud reden konnten, trauten sie oft ihren eigenen [39] Erinnerungen nicht und erinnerten auch nur mit Widerstand ihre tiefsitzende Scham und ihren Schmerz. Freud hörte zu, verstand und ermutigte sie, diese furchtbaren Ereignisse zu erinnern und auszusprechen. Er dachte nicht daran, dies alles als Phantasien abzutun:
     
    «[...] die Bedenken gegen die Echtheit der infantilen Sexualszenen aber kann man bereits heute durch mehr als ein Argument entkräften. Zunächst ist das Benehmen der Kranken, während sie diese infantilen Erlebnisse reproduzieren, nach allen Richtungen hin unvereinbar mit der Annahme, die Szenen seien etwas anderes als peinlich empfundene und höchst ungern erinnerte Realität. » F7

    Diese Erinnerungen entsprangen keineswegs intellektuellem Gedankenspiel. Freuds Patientinnen erinnerten sich an ihre Traumen «mit allen zu ihr [der erinnerten <Szene>] gehörigen Empfindungen». F8 Mit anderen Worten: Erst mit der Ermutigung sich zu erinnern, konnten so heftige Gefühle wie Ärger und Ekel, das Gefühl von Hilflosigkeit und Verrat, die bei dem ursprünglichen Übergriff abgewehrt worden waren, zugelassen und angeschaut werden. Freud muß sich wie der Entdecker eines längst versunkenen Kontinents empfunden haben. Freud kannte den Widerstand seiner Kollegen und Lehrer, über derartig unbequeme Tatsachen nachzudenken und räumte ein, es sei ihm selbst schwer gefallen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen:
     
    «Zur Streitsache selbst will ich nur bemerken, daß die Auszeichnung des sexuellen Moments in der Ätiologie der Hysterie bei mir mindestens keiner vorgefaßten Meinung entstammt. Die beiden Forscher, als deren Zögling ich meine Arbeiten über Hysterie begonnen habe, Charcot wie Breuer, standen einer derartigen Voraussetzung ferne, ja sie brachten ihr eine persönliche Abneigung entgegen, von der ich anfangs meinen Anteil übernahm.» F9

    Freud war auf die Reaktion seiner Kollegen vorbereitet. Lange Zeit war das Ausmaß seiner Isolation nicht einzuschätzen, da in der gekürzten Briefausgabe seiner Briefe an Fließ folgende Sätze, mit Datum vom 4. Mai 1896, fehlten: [40]
     
    «Isoliert bin ich, daß Du zufrieden sein kannst. Es sind irgendwelche Parolen ausgegeben worden, mich zu verlassen, denn alles fällt ringsum von mir ab.» F10

    Als Freud zehn Tage später feststellen mußte, daß in der Wiener klinischen Wochenschrift - einer Zeitschrift, die er antisemitischer Tendenzen verdächtigte F11 - nur der Titel seines Vortrags ohne die üblichen Zusatzinformationen oder gar einen Hinweis auf die geplante Veröffentlichung abgedruckt worden war, schrieb er bald darauf, am 30. Mai, an Fließ:
     
    «Meinen Kollegen zum Trotz habe ich den Vortrag über Ätiologie der Hysterie ausführlich [...] niedergeschrieben. » F12

    Er veröffentlichte diesen Aufsatz schon nach wenigen Wochen F13 - glücklicherweise, muß man hinzufügen, da Freud diesen Schritt später bereute und sogar abqualifizierte. Die frühkindlichen traumatischen Erfahrungen, die ihm einzugestehen seine Patientinnen den Mut gehabt hatten, sollten in späteren Jahren von Freud als Phantasien hysterischer Frauen, denen er unterstellte, Geschichten zu erfinden und Lügen zu erzählen, abgetan werden. Freud sollte seinen eigenen Mut zurücknehmen, indem er die vorgetragenen Befunde als übereilt bezeichnete.:
     
    «Ich schenkte diesen Mitteilungen Glauben und nahm also an, daß ich in diesen Erlebnissen sexueller Verführung in der Kindheit die Quellen der späteren Neurose aufgefunden hatte [...] Wenn jemand über meine Leichtgläubigkeit mißtrauisch den Kopf schütteln sollte, so kann ich ihm nicht ganz unrecht geben.» F14

    Er nahm zurück, was er über die Ätiologie der Hysterie dargelegt hatte: daß die Neurose im Kern auf sexuellen Mißbrauch zurückzuführen ist. Seine Patientinnen, so befand er jetzt, hätten sich selbst und ihn angelogen.
     
    «Ich mußte dann doch erkennen [...] diese Verführungsszenen seien niemals vorgefallen, seien nur Phantasien, die meine Patienten erdichtet»F15  haben - eines der härtesten Urteile Freuds in dieser Sache. Viele Analytiker haben diese Bewertung übernommen. Seine vorwiegend weiblichen Patienten - so schrieb Freud nun, litten un[41]ter einer ihr Leben beherrschenden, weit verbreiteten Phantasievorstellung:

     
    «Da die Kinderonanie eine so allgemeine Tatsache ist und so schlecht erinnert wird, so muß es dafür ein Äquivalent im psychischen Leben geben. Dieses findet sich tatsächlich in der bei den meisten Patientinnen anzutreffenden Phantasie, der Vater habe sie in der Kindheit verführt. Das ist die spätere Umarbeitung, welche die Erinnerung an die infantile Sexualität verdecken soll und eine Entschuldigung und Beschönigung derselben darstellt. Der Kern von Wahrheit, den sie enthält, ist darin gelegen, daß der Vater tatsächlich durch seine harmlosen Zärtlichkeiten in der allerersten Kinderzeit die Sexualität des kleinen Mädchens geweckt hat (für den Knaben und seine Mutter gilt das gleiche). Dieselben zärtlichen Väter sind es dann auch, welche sich bemühen, dem Kinde die Masturbation, deren unschuldige Ursache sie geworden waren, abzugewöhnen. Und so mischen sich die Motive in der glücklichsten Weise zur Bildung dieser Phantasie, die oft das ganze Leben des Weibes beherrscht (Verführungsphantasie): ein Stück Wahrheit, ein Stück Liebesbefriedigung und ein Stück Rache. » F16

    Als Freud seine «irrtümliche» Auffassung aufgegeben hatte, bekam er wieder Zugang zur medizinischen Fachwelt, von der er zuvor geschnitten worden war. Freud widerrief 1905 öffentlich die Verführungstheorie, und schon 1908 hatten sich ihm angesehene Ärzte angeschlossen: Paul Federn, Isidor Sadger, Sandor Ferenczi, Max Eitington, Carl Gustav Jung, Ludwig Binswanger, Karl Abraham, Abraham Brill und Ernest Jones. Jetzt wurde die psychoanalytische Bewegung geboren - aber eine tiefgreifende Wahrheit blieb auf der Strecke. Was war passiert? Warum hat Freud die «Verführungstheorie» widerrufen? Was veranlaßte ihn zu seiner plötzlichen Kehrtwendung, die das Leben unzähliger Analysandinnen in diesem Jahrhundert bis auf den heutigen Tag beeinträchtigt hat? Psychoanalytiker waren nicht besonders interessiert an Freuds Motiven seines Gesinnungswandel, auch wenn sie mit ihm überzeugt waren und sind, daß die Psychoanalyse sich nur in der Absage an die «Verführungs[42]theorie» entwickeln konnte. Die offizielle Erklärung, Freud habe aus klinischen Beobachtungen geschlossen, einem Irrtum aufgesessen zu sein, ist nicht überzeugend. Aus diesem Grund will dieses Buch bislang unbekanntes, nicht beachtetes oder falsch interpretiertes Beweismaterial zur Diskussion stellen und verdeutlichen, was Freud zu diesem so folgenschweren Schritt bewogen haben mag.

    Daß bisher befriedigende Erklärungen für Freuds Widerruf der Verführungstheorie fehlen, hängt auch damit zusammen, daß weder Freud noch seine Biographen Auskunft darüber geben, wie Freud seine Theorie entwickelte und welche Erfahrungen dabei ausschlaggebend waren. Ohne Antwort auf solche Fragen bleibt es nur bei einer Annäherung an die Ursprünge der Psychoanalyse; das wäre aber noch keine gut belegte Geschichtsschreibung. Auf der Suche nach der wirklichen Geschichte erscheint es mir notwendig, Freuds Aufenthalt in Paris neu zu bewerten, da er selbst in späteren Jahren andeutete, wie entscheidend diese Zeit für die Entwicklung der Psychoanalyse gewesen sei." F17


    Zusammenfassung und Bewertung
     
    Sigmund Freud hatte 1896 frühzeitig erkannt, daß zahlreiche Kinder, in erster Linie Mädchen von Familienangehörigen und hier hauptsächlich von ihren Vätern sexuell mißbraucht wurden. Diese Entdeckung war hochexplosiv und mochten seine FachkollegInnen nicht akzeptieren, so daß Freud geschnitten und isoliert wurde. Unter diesem Eindruck widerrief Freud ohne jede Not 1905 öffentlich seine Einsichten und seine Überzeugung, indem er die sog. Verführungstheorie, die korrekt Mißbrauchs-Theorie genannnt werden muß, zu einem Phantasieprodukt seiner PatientInnen erklärte. Seine SchülerInnen folgten ihm, nicht wenige weltweit bis auf den heutigen Tag. Wir kennen die Zahl nicht genau, waren es 10.000, Hunderttausend, eine Million oder noch mehr in den hundert Jahren, in denen Opfern sexuellen Mißbrauchs die ihnen angetanen Schwerverbrechen nicht geglaubt und als Phantasieprodukte abgetant wurden. So wurden die Opfer gleich zwei Mal bestraft: durch die Mißbrauchstaten und die von arroganten, opportunistischen und zynischen PsychoanalytikerInnen nicht ernst genommenen Angaben ihrer PatientInnen. So manche mag sich daher fragen: wie ist es nur möglich, daß solche Psychotherapien in Deutschland als Richtlinienverfahren (Analytische Psychotherapie) Anerkennung finden und von den sozialen Kostenträgern finanziert werden? Denn schließlich ist dies ja nicht der einzige gravierende Mangel, den die Psychoanalyse und Analytische Psychotherapie zu bieten haben: eine Theorie, die in wesentlichen Kerninhalten  aus mythologischen Phantastereien besteht (Beispiel Ödipuskomplex), die PatientInnen fortschreitend übergestülpt und aufgenötigt werden, was mit sehr gefährlichen Eingriffen in die Persönlichkeit der PatientInnen verbunden sein kann, wie man drastisch auch an der unwissenschaftlichen Auffassung der Homosexualität als "Perversion" sehen kann [Beispiel hier], die von einigen  PsychoanalytikerInnen sogar bis in die Gegenwart hinein immer noch so gesehen wird. Am schlimmsten ist aber wohl die der Psychoanalyse und Analytischen Psychotherapie innewohnende Neigung, PatientInnenäußerungen für mit Phantasie- oder Wünschen angereicherte oder überwucherte Produkte zu halten, deren Bedeutung erst durch die Filter psychoanalytischer Interpretation zu Tage tritt.



    Stuart Sutherland, der eine schwere und langanhaltende endogene Depression erlitt, beschreibt in seinem Therapiebericht "Die seelische Krise" aus seiner Psychoanalyse und von seinem Psychoanalytiker (S. 35f):
     
      "Obwohl er versuchte, ein wenig von der Schuld , die ich mit mir herumtrug, von mir zu nehmen, machte er eine Reihe von Bemerkungen, die ich ziemlich bedrohlich fand. Er erklärte: »Es scheint, als hätten Sie die besten Dinge im Leben versäumt« Einmal diagnostizierte er bei mir verdrängte Homosexualität und während ich ihm von einem Kindheitserlebnis erzählte, beugte er sich vor und sagte etwas zutiefst Schockierendes. Ich bitte den Leser um Verzeihung, aber um die Art meiner Reaktionen zu verstehen, ist es notwendig, den Wortlaut wiederzugeben, nämlich:
       
       
      »Hatten Sie damals nicht den Wunsch, Ihr Vater sollte Sie ficken, bis die Scheiße herausrinnt?« 

      Wenn ich jemals emen solchen Wunsch gehabt haben sollte, so habe ich ihn seither lang vergessen, jedenfalls aber fand ich diese Idee höchst bestürzend."
       



    Fußnoten Masson
    F1  Freud zitiert Kandanles' Worte aus Hebbels Tragödie Gyges und sein Ring, 5. Akt, 1. Szene.
    F2  «Zur Ätiologie der Hysterie», G. W., I, S.423-459 und das Kapitel «Zur Ätiologie der Hysterie» in diesem Buch.
    F3  G.W., I, S.453; s. «Zur Ätiologie der Hysterie», in diesem Band: S.62 und S.64.
    F4  G.W., I, S.444; s. «Zur Ätiologie der Hysterie», in diesem Band: S.60.
    F5  G.W., I, S.452; s. «Zur Ätiologie der Hysterie», in diesem Band: S.68.
    F6  Briefe, S. 193; vgl. auch Max Schur, Sigrnund Freud. Leben und Sterben, Frankfurt a.M. 1973, S. 131.
    F7  G.W., I, S.440; s. «Zur Ätiologie der Hysterie», in diesem Band: S. 57.
    F8  G.W., I, S.44 I; 5. «Zur Ätiologie der Hysterie», in diesem Band: S. s8.
    F9  G.W., I, S.43s; s. «Zur Ätiologie der Hysterie», in diesem Band: S.szf.
    F10  10. Briefe, S. 195.
    F11  Am 4. Februar 1888 schrieb Freud an Fließ (das ist der Beginn ihrer Korrespondenz): «Die geehrte Christenheit ist sehr unanständig. Gestern gab es einen Hauptskandal in der Gesellschaft der Ärzte. Sie wollten uns zwangsweise auf ein neues Wochenblatt abonnieren, welches den geläuterten, exakten und christlichen Standpunkt einiger Hofräte, die das Arbeiten längst verlernt haben, behaupten soll. Sie setzen es natürlich durch; ich habe große Lust auszutreten.» Briefe, S. 7. Die erste Ausgabe dieser Zeitschrift erschien am 5. April 1888. Bei der Abstimmung waren 93 Mitglieder für und 29 gegen die Subskription. Freud zählte offenkundig zu den Gegnern. 1931 wurde er zum Ehrenmitglied dieses Vereins gewählt und blieb es bis zu seinem Lebensende, vgl. auch Das Neurologische Zentralblatt. Nr. 15, 1896, S. 709-710.
    F12  12 Briefe S. 200
    F13  13. Wiener klinische Rundschau, 10, 1896; 22 S.379 - 381; 23 S. 395 - 397; 24 S. 413-415; 25 S.432-433 und 26 S.450 - 452. Die jeweiligen Ausgaben erschienen am 31. Mai, am 7., 14., 21. und 28. Juni.
    F14   «Selbstdarstellung», 1925 in: G. W., XIV, S. 59.
    F15   G.W., XIV, S. 59 f.
    F16  Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Bd. I, 1906 - 1908; Bd. 2, 1908 - 1910; Bd.3, 1911 - 1912; Bd.4, 1912 - 1918; hg. von Herman Nunberg und Ernst Federn, Frankfurt a.M. 1976, 1977, 1979 und 1981.
    F17  17. «Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung», 1914, G.W., X, S. 50 und «Selbstdarstellung» 1925, G. W., XI, S.37.


    Literatur
  • Masson, Jeffrey M. (dt. 1984, engl.1983.). Was hat man Dir, Du armes Kind angetan. Sigmund Freuds Unterdrückung der Verführungstheorie. Reinbek: Rowohl.
  • Masson, Jeffrey M. (dt. 1995, engl. 1992). Was hat man Dir, Du armes Kind angetan. Oder: Was Freud nicht wahrhaben wollte? Freiburg: Kore.
  • Masson, Jeffrey M. (dt.1991, engl 1988). Die Abschaffung der Psychotherapie. München: Bertelsmann.
  • Masson, Jeffrey M. (dt. 1999, 2.A., engl. 1985). Sigmund Freud. Briefe an Wilhelm Fließ. 1887-1894. Frankfurt: Fischer.
  • Sutherland, Stuart  (dt. 1980, engl. 1976). Die seelische Krise. Frankfurt: Fischer.



  • Links (Auswahl: beachte)
    Informatives und Kritisches zur "Verführungstheorie" im Netz:
    • 2. Die Revision der Verführungstheorie und die Frage sexueller Übergriffe von Marianne Krüll [Q] [Lit]




    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    ___
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    ___
    Fußnoten Sponsel
    Wortlaut. Der Wortlaut zeigt sehr typisch die suggestive Struktur psychoanalytischer Deutungen auf, die man als aussagepsychologische Kunstfehler ansehen kann, weil durch die suggestive Struktur Gedanken erzeugt und fixiert werden können. Da viele Psychoanalytiker von Aussagepsychologie und soweit sie Ärzte sind oft auch von Psychologie nicht genügend verstehen, bemerken sie meist noch nicht einmal, was sie mit ihren Deutungen eigentlich machen.
    ___
    Eine Anmerkung von Klaus Schlagmann zur Position von Jeffrey Masson: [eingegangen am 6.9.6]
    "Ich schätze die Arbeit von Jeffrey Masson sehr: Die unzensierte Herausgabe der Briefe an Fließ, die Recherchen zu Freuds Studien in Paris oder zum Schicksal von Emma Eckstein sind m.E. von zentraler Bedeutung, um die Entstehung der Psychoanalyse nachzuvollziehen.
        In einem Punkt kann ich Masson jedoch nicht zustimmen, und zwar in der Betonung der Bedeutung von Freuds Entdeckung des sexuellen Missbrauchs. Freuds Theorie – die er besonders zugespitzt ungefähr zwischen dem Dezember 1896 und dem September 1897 zu vertreten scheint, dass nämlich die sog. „Hysterie“ allein durch die Vergewaltigung der Betroffenen durch den Vater im Alter zwischen zwei und acht Jahren hervorgerufen werde – erkennt ja immerhin noch das TRAUMA als das zentrale, schädigende Agens an. In dieser Hinsicht ist die alte Theorie natürlich eher zu gebrauchen, als die spätere Triebtheorie. Aber Freuds Ansatz zu dieser Zeit, kurz vor dem September 1897, ist doch weitaus primitiver, als das Modell, aus dem er seine Vergewaltigungs- oder Missbrauchs-Theorie abgeleitet hatte: Aus dem Katharsis-Modell des äußerst feinfühligen Josef Breuer. Auch Josef Breuer hatte Traumatisierungen auf sexueller Grundlage in seine Überlegungen einbezogen, jedoch sehr differenziert auch eine ganze Fülle anderer Erfahrungen in ihrer traumatischen, und damit schädigenden Wirkung erkannt. Breuer sah es als die wichtigste Funktion der therapeutischen Arbeit an, der Wahrheit der alten Erlebnisse auf den Grund zu gehen und sie unbeschwert aussprechen zu dürfen.
        Sigmund Freud geht es jedoch um etwas ganz anderes. Er interessiert sich nicht für Wahrheiten. Vielmehr ist er bestrebt, Beachtung zu finden: Ob durch primitive Übergeneralisierung oder durch schockierende Scheinoffenbarungen. Seine Vorstellungen von den Ursachen psychischer und psychosomatischer Störungen sind geradezu grotesk und lächerlich: Neurasthenie (Depression) sei bedingt durch Selbstbefriedigung oder durch nächtliche Samenergüsse; Angststörungen seien bedingt durch Coitus interruptus oder coitus reservatus (Benutzung von Kondomen); Zwangsstörungen seien bedingt durch geschwisterlichen Geschlechtsverkehr; Hysterie (psychosomatische Störung) sei bedingt durch Vergewaltigung durch den Vater.
        Ich konzentriere mich hier auf die Fälle von „Hysterie“ (damaliger Sprachgebrauch für psychosomatische Störung), deren Entstehung Freud ja in dem bezeichneten Zeitraum (ca. 12/1896-09/1897) auf die väterliche Vergewaltigung zurückführt. Freud selbst hatte diese Störung in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen gerückt, weil er sich selbst als „Hysteriker“ einschätzte – wegen gelegentlichen Anfällen von Herzrasen. (Wir würden sein Problem heute eher als „Panikstörung“ bezeichnen.) Er schreibt ja auch, dass er selbst sein wichtigster Patient sei. So kommt er am 8. Februar 1897 z.B. dazu, aufgrund seiner Theorie – und nicht etwa aufgrund seiner persönlichen Erinnerungen! – seinen eigenen Vater als perversen Kinderschänder zu bezeichnen, weil einige Geschwister an hysterischen Symptomen litten. Da er sich selbst als „Hysteriker“ diagnostiziert, müsste er sich auch zu den Opfern des Missbrauchs rechnen. In seinen gesamten Erinnerungen findet sich jedoch kein einziger konkreter Hinweis darauf – nur die abgeleitete Mutmaßung aufgrund seiner Theorie. Ebenso liegen dem im Brief vom 8. Februar 1897 kurz skizzierte Fall einer weiteren mutmaßlichen Vergewaltigung durch den Vater höchst zweifelhafte Indizien zugrunde: „hysterischer“ Frostschauer, Kopfschmerz und Angst vor dem Fotografen. Auch in weiteren Fällen, die er in Briefen an Wilhelm Fließ schildert, lässt sich m.E. erahnen, dass eine väterliche Vergewaltigung, die Freud sofort hinter der Fallgeschichte vermutet, gar nicht stattgefunden hatte: Fälle vom 6. Dezember 1896, 3. Januar und 16. Mai 1897. Oder aber ein tatsächlich geschilderter Missbrauch wird von der Patientin immerhin nicht in dem von Freud vermuteten Alter und offenbar nicht im Sinne einer Penetration geschildert (28. April 1897), worauf er versucht, ihr seine Vorstellungen - „im frühesten Kindesalter ähnliche und ärgere Dinge“ - zu suggerieren. Interessant ist auch, wie nachträglich versucht wurde, die Störung von Bertha Pappenheim, deren Behandlung durch Josef Breuer ja die Entwicklung der Psychoanalyse initiiert hatte, ex post ziemlich einfallslos sexualisiert wird, beispielsweise durch Max Eitington im Jahr 1909.
        Freuds Herumreiten auf dem Thema Eltern-Kind-Inzest ist – meiner Hypothese nach – sehr deutlich von seiner eigenen Familiengeschichte geprägt. Mutter Amalia hatte mutmaßlich mit ihrem Stiefsohn Phillip (der ca. ein Jahr älter war als seine Stiefmutter) während der längeren Abwesenheit von Vater Jakob Sigmunds jüngere Schwester Anna gezeugt. Darüber hinaus hat die anscheinend recht tyrannische und schrille Amalia ihren Sohn Sigmund zum Partnerersatz gemacht. Meine These ist, dass Freud wegen dieses Hintergrunds die Inzest-Problematik in seiner Missbrauchs-Theorie (mit ihm selbst als sein wichtigster „hysterischer“ Patient) aufgreift, dabei jedoch schon eine Verschiebung praktiziert (von der Mutter als Täterin auf den Vater), dadurch den Konflikt mit Amalia vermeidet (Vater Jakob ist kurz vor dem Aufkommen der Väter-Vergewaltigungs-Theorie bereits verstorben), diese Analyse dann grob verallgemeinert, und – als sie sich als immer weniger haltbar erweist – durch eine nochmalige Verschiebung auf die Kinder als Täter, die ihre Perversionen ins Unbewusste verdrängt hätten, quasi unangreifbar macht.
        Mir ist die Differenzierung der Darstellung wichtig, weil ich glaube, dass die Bedeutung von Beziehungen mit traumatischer Qualität (Entwertungen, Prügel, Missachtungen, Nicht-Beachtungen, ...) quantitativ und vielleicht sogar qualitativ weit mehr Bedeutung haben, als sexueller Missbrauch, z.B. weil diese Erfahrungen auch schon relativ häufig in frühester Kindheit stattfinden können, und damit besonders nachhaltig wirken. Darüber hinaus sind Missbrauchserfahrungen in der Regel mit den genannten Beziehungsaspekten geradezu untrennbar verbunden.
        Aus diesem Blickwinkel erscheint mir Freuds Leistung mit seiner Missbrauchs-Theorie doch weitaus weniger bedeutsam: Seine Fixierung auf den sexuellen Missbrauch wäre dann weniger eine bedeutsame Entdeckung, als vielmehr die Ausblendung einer differenzierteren Sicht auf die Möglichkeit traumatischer Qualität von Beziehung bzw. Nicht-Beziehung. Sein vermeintlicher „Mut“, ein problematisches Thema offen anzusprechen, ließe sich dann eher als sein Bedürfnis verstehen, seine Zuhörer zu schockieren, vielleicht, um sich besondere Aufmerksamkeit zu sichern und/oder um die ZuhörerInnen eher am detaillierten Widerspruch zu hindern."



    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    06.09.06    Anmerkungen von Klaus Schlagmann.


    Querverweis Thema Sexueller Mißbrauch:
    Standort Der Widerruf der Mißbrauchstheorie
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Der Widerruf der Mißbrauchstheorie ("Verführungstheorie") durch Sigmund Freud. Die bahnbrechenden Forschungsergebnisse Jeffrey M. Massons. Aus der Abteilung Kritische Arbeiten zur Psychoanalyse und Analytischen Psychotherapie.  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/th_schul/pa/misbr/wideru.htm
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    korrigiert: irs am 19.07.2019