Erleben und Erlebnis bei Philipp Lersch
Originalrecherche von Rudolf Sponsel, Erlangen
welche ihre Gedanken untereinander austauschen wollen, etwas voneinander verstehen; denn wie könnte denn, wenn dies nicht stattfindet, ein gegenseitiger Gedankenaustausch (...) möglich sein? Es muß also jedes Wort (...) bekannt sein und etwas, und zwar eins und nicht mehreres, bezeichnen; hat es mehrere Bedeutungen, so muß man erklären, in welcher von diesen man das Wort gebraucht. ..." Aus: Aristoteles (384-322) Metaphysik.
11. Buch, 5 Kap., S. 244
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Leider verstehen viele Philosophen, Juristen, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaftler auch nach 2300 Jahren Aristoteles immer noch nicht, wie Wissenschaft elementar funktionieren muss: Wer wichtige Begriffe gebraucht, muss sie beim ersten Gebrauch (Grundregeln Begriffe) klar und verständlich erklären und vor allem auch referenzieren können, sonst bleibt alles Schwall und Rauch (sch^3-Syndrom). Wer über irgendeinen Sachverhalt etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, wie er diesen Sachverhalt begrifflich fasst, auch wenn dies manchmal nicht einfach ist. Wer also über Gewissheit etwas sagen und herausfinden will, der muss zunächst erklären, was er unter "Gewissheit" verstehen will. Das ist zwar nicht einfach, aber wenn die Philosophie eine Wissenschaft wäre und und die PhilosophInnen Aristoteles ernst nehmen würden, dann hätten sie das in ihrer 2300jährigen Geschichte längst zustande bringen müssen. Im übrigen sind informative Prädikationen mit Beispielen und Gegenbeispielen immer möglich, wenn keine vollständige oder richtige Definition gelingt (Beispiel Gewissheit und Evidenz). Begriffsbasis Damit werden all die Begriffe bezeichnet, die zum Verständnis oder zur Erklärung eines Begriffes wichtig sind. Bloße Nennungen oder Erwähnungen sind keine Lösung, sondern eröffnen lediglich Begriffsverschiebebahnhöfe. Die Erklärung der Begriffsbasis soll einerseits das Anfangs- problem praktisch-pragmatisch und andererseits das Begriffsverschiebebahnhofsproblem lösen. |
Fazit: Lersch unterscheidet ohne genaue Erklärung und Spezifizierung:
Seine Auffassung von Erleben und Erlebnis ist eingebettet in seine
Schichtenpsychologie der Person, auf die ich daher zunächst eingehe:
"Wenn wir nun vom Lebensgrund aus im Sinne des
Schichtenaufbaus weitergehen zu der gesamten auf ihm aufruhenden Welt des
LA92e1Erlebens,
den mannigfaltigen und wechselnden seelischen Vorgängen, Inhalten
und Zuständen, von denen wir aus der unmittelbaren Erfahrung wissen,
dann betreten wir zunächst den schon genannten Bereich der endothymen
LA92E1Erlebnisse,
der Stimmungen und Gefühle, der Affekte und Gemütsbewegungen,
der Triebe und Strebungen. ...
... Die endothymen Gehalte unseres LA93e1Erlebens
stellen somit nach dem Zeugnis der Selbstbesinnung eine besondere Schicht
dar, die wir als den endothymen Grund bezeichnen. Wenn damit ein neuer
Begriff eingeführt wird, so geschieht dies nicht aus einer launischen
Vorliebe für die Verdunkelung einfacher Sachverhalte durch ein Fremdwort,
sondern aus einer sachlichen Notwendigkeit. Denn sowohl die deutschen Wörter
„Gefühl“ und „Gemüt“ als auch die wissenschaftlichen Begriffe
„emotional [>93] und „affektiv“ reichen nicht aus, die ganze Mannigfaltigkeit
dessen zu erfassen, was - wie wir sehen werden - mit der Rede vom endothymen
Grund gemeint ist.
Der endothyme Grund ist also eine tiefste und
innerste Sphäre des LA93e1Erlebens,
sofern wir es phänomenologisch betrachten. Im Gesamtaufbau der menschlichen
Person ist ihm der Lebensgrund vorgeordnet, auf dem ja alles LA92e2Erleben
aufruht."
Am Schichtentheoriekonzept ist im Grundsatz
nichts auszusetzen, wobei aber die fehlenden wissenschaftliche Begründungen,
Belege und Beweise zu bemängeln sind, woran auch die gesamte alte
wie neue Psychologie krankt. Lersch gibt keine Beispiele und bleibt sehr
allgemein-abstrakt, z.B. bei den "endothymen Erlebnissen", das ist keine
gute wissenschaftliche Praxis. Er hat damit auch keinen "neuen Begriff"
eingeführt, wie er meint, sondern nur ein neues Wort (>Zum
Geleit).
Erlebensbegriff
S.11 taucht der Begriff des Erlebens erstmal im Titel auf: 11ff: "b)
DER FUNKTIONSKREIS DES LA11e1ERLEBENS....
"
"Der Tatbestand des Seelischen ist erst dort gegeben,
wo in lebendigen Gebilden das Leben gleichsam von innen erhellt wird durch
das, was wir mit einem möglichst neutralen und allgemeinen Begriff
umschreiben wollen, nämlich demjenigen des LA12e1Erlebens,
Wie es notwendig war, die Grundmerkmale des Lebens aufzuzeigen, so ist
jetzt die Frage zu beantworten, was denn gegeben sein muß, damit
der Tatbestand des LA12e2Erlebens
zustande kommt."
Erleben der Umwelt: "Hier ist nun zuerst zu sagen, daß LA12e3Erleben
überall dort vorliegt, wo die Kommunikation des Lebewesens mit der
Umwelt von einem Bemerken, einem Vernehmen, einem Innewerden begleitet
ist. Dieses Bemerken ist nicht zu verstehen in dem eingeschränkten
rationalistischen Sinne des Erkennens von Gegenständen, sondern in
einem viel allgemeineren Sinne, nämlich als Innewerden von Ausschnitten
der umgebenden Welt im Sinne bestimmter, wenn auch noch so diffuser Bedeutungskomplexe."
S.13 führt er den Begriff "Wachheit des Bemerkens" ohne nähere
Erklärungen ein. Völlig unvermittelt postuliert er auch ein "Gesetz
der Kommunikation", das im sonst gründlichen Sachregister nicht erwähnt
wird. Das zeigt einen sehr leichtfertigen Umgang mit dem Prinzip Wissenschaft.
Sachregister: 110 Erleben, 80
Erlebnis.
Einträge [f:=2, ff=3 gewertet, S:= Summe fortlaufend aufsummiert
zur Zählerleichterung ]
Erleben 15 ff, 302, 547, 549 ff [8, S=8]
Erlebnis (-se] 80 Einträge [f:=2,
ff=3 gewertet]
Ende der Zusammenfassung
11ff: "b) DER FUNKTIONSKREIS DES LA11e1ERLEBENS
Die Besinnung auf die besonderen Merkmale des Lebens war notwendig,
weil das, was wir aus der unmittelbaren Erfahrung als seelische Vorgänge
und Zustände kennen, immer nur bei Lebewesen zu finden ist, das Leben
also das umgreifende Ganze darstellt, in das die psychischen Vorgänge
und Zustände [>12] nicht ausschließlich daraus verständlich
zu machen ist, daß alle beseelten Wesen, insonderheit auch der Mensch,
den Gesetzen des Lebens unterstehen. Trotzdem ist, jedenfalls empirisch
genommen, das Psychische nicht identisch mit dem Leben. Wenn auch alles
Beseelte lebendig ist, so ist noch keineswegs alles Lebendige beseelt.
Der Tatbestand des Seelischen ist erst dort gegeben, wo in lebendigen Gebilden
das Leben gleichsam von innen erhellt wird durch das, was wir mit einem
möglichst neutralen und allgemeinen Begriff umschreiben wollen, nämlich
demjenigen des LA12e1Erlebens,
Wie es notwendig war, die Grundmerkmale des Lebens aufzuzeigen, so ist
jetzt die Frage zu beantworten, was denn gegeben sein muß, damit
der Tatbestand des LA12e2Erlebens
zustande kommt.
Hier ist nun zuerst zu sagen, daß LA12e3Erleben
überall dort vorliegt, wo die Kommunikation des Lebewesens mit der
Umwelt von einem Bemerken, einem Vernehmen, einem Innewerden begleitet
ist. Dieses Bemerken ist nicht zu verstehen in dem eingeschränkten
rationalistischen Sinne des Erkennens von Gegenständen, sondern in
einem viel allgemeineren Sinne, nämlich als Innewerden von Ausschnitten
der umgebenden Welt im Sinne bestimmter, wenn auch noch so diffuser Bedeutungskomplexe.
So vernimmt das weibliche Tier den Lockruf des männlichen, das dürstende
Tier bemerkt das Wasser. Für jedes beseelte Lebewesen gibt es Ausschnitte
der umgebenden Welt, deren es inne wird, in elementarster Form als Nahrung
und Beute, als Bedrohung und Gefahr. Auf den verschiedenen Entwicklungsstufen
seelischen Lebens bzw. in den verschiedenen Schichten des entwickelten
Seelenlebens vollzieht sich das Bemerken als Innewerden bildhafter Eindrücke,
als bewußte Wahrnehmung und als denkendes Erfassen. Jedenfalls ist
das Vernehmen, die Begegnung mit der Welt, das Weltinnewerden einer der
Angelpunkte des LA12e4Erlebens
überhaupt. Es dient der Orientierung in der Umwelt, mit der das Lebewesen
durch das Gesetz der Kommunikation verbunden ist. So sieht auch Rothacker
„eine
elementare Tatsache des Seelischen“ darin, „daß alle beseelten Lebewesen
mit Hilfe bestimmter psychischer Prozesse mit ihrer Umgebung Kontakt gewinnen,
daß sie in LA12e5erlebende
und praktische Kommunikation und in Wechselverkehr mit ihr treten, daß
sie auf ein Außen sich beziehen, auf ein anderes sich hin wenden,
irgend einem anderen und äußeren zugewandt und auf dieses bezogen
sind und so zu mehr oder weniger primitiven Formen des Habens von gegenständlichen
LA12E1Erlebnissen,
des Wissens von etwas, des Gewahrens von etwas, der Kenntnisnahme gelangen,
d. h. daß sie perzeptive Prozesse vollziehen“.1)
Die Erfahrung zeigt nun, daß das, was der
beseelte Lebensträger bemerkt, keine automatenhafte, passiv-spiegelbildliche
Wiedergabe der Welt ist, sondern eine Auslese aus der tatsächlichen
objektiven Reizfülle. Der Biologe v. Uexküll unterscheidet deshalb
zwischen Umgebung und Umwelt. Umgebung nennt er das Insgesamt dessen, was
im Sinne der Naturwissenschaft an [>13] objektiven Gegenständen und
Vorgängen im Lebensraum des Individuums vorhanden ist, unter Umwelt
dagegen versteht er das, was von dieser Außenwelt im LA13e1Erleben
des Individuums durch Vermittlung seiner Auffassungs-Organe in die Wachheit
des Bemerkens gehoben wird. „Ein Seeigel z. B. hat Lichtempfindliche Organe;
er sitzt in seinem Loch im Felsen. Auf jeden Schatten, der darauf fällt,
reagiert er als Feind, dem er seine Stacheln entgegestreckt." [FN1)] Seine
Umwelt ist also vorwiegend eine Welt von Schatten und Nichtschatten. Für
die Stubenfliege dagegen ist die Umwelt aufgebaut aus Bewegung und Nichtbewegung.
„So ist also die Umwelt eines beseelten Organismus, die ihm zugehört,
die ihm erschlossen ist ... seine Eigenwelt, und eine andere hat er nicht.“
[FN2)]
durchläuft. Aber immer sind die Bedürfnisse wirksam als
ein Fragen und Suchen, das sich wie mit tastenden Fühlern schon vor
allem Bemerken in die Umwelt hinein erstreckt. Das Bemerken aber ist die
Antwort, die die in jedem Trieb und jeder Strebung mitschwingende, natürlich
vorsprachliche, unformulierte und meist auch vorbewußte Frage in
der Welt findet. Der Drang des Suchens liegt also dem Weltinnewerden zugrunde,
er fundiert es, er ist es, der das Bemerken steuert.
Mit der Ausgliederung der Vorgänge des Welt
innewerdens, und der dranghaften Regungen des Suchens ist ein zweipoliges
Grundschema aufgewiesen, innerhalb dessen sich das seelische Leben vollzieht.
Der eine Pol ist der gegenständliche Horizont einer Umwelt, an die
der beseelte Lebensträger nach dem Gesetz der Kommunikation gebunden
ist, der andere Pol eine ungegenständliche Lebensmitte, aus der heraus
sich die Erlebnisse des Dranges in die
Umwelt hinein erstrecken." [>14]
auch nur im Sinne des Interessanten und Wissenswerten. Ein Blick auf
die Leidenschaft, mit dem das Kind seine Entdeckungen in der Umwelt macht
an Dingen, die für den Erwachsenen durch die Gewohnheit weitgehend
ins Gleichgültige und Bedeutungslose verblaßt sind, genügt,
um sich davon zu überzeugen, daß alles innerweltlich Bemerkte
ursprünglich mit dem Charakter der Bedeutsamkeit behaftet ist. LA14e4Erlebt
aber wird die Bedeutsamkeit immer in der Innerlichkeit der Lebensmitte
als ein angemutet werden. So sind die LA14E1Erlebnisse
der Bedeutsamkeit in den seelischen Vollzügen des Angemutetwerdens
die Rückmeldungen über das im Horizont der Umwelt Bemerkte an
die Lebensmitte, von der die dem Bemerken zugrundeliegenden dynamischen
Regungen des fragenden Suchens ausgegangen sind. Im Angemutetwerden [>15]
ist also ein drittes Glied jenes ganzheitlichen Vorgangs anzuerkennen,
den LA15e1Erleben bezeichnen.
Mit den Vollzügen des Angemutetwerdens ist
nun unlösbar ein letztes des LA15e2Erlebens
gekoppelt: das wirkende Verhalten zu der im Bemerken erschlossenen Welt.
In ihm entwirft sich der beseelte Lebensträger ein zweites Mal auf
den Horizont der Welt, wie er es zum ersten Mal im fragenden Suchen der
Triebe und Strebungen getan hat. Kommen diese aus einer Spannung von Bedürfnissen,
so zielt das wirkende Verhalten darauf ab, diese Spannung zur Lösung
zu bringen. So bemerkt das hungrige Tier die Nahrung als eine Profilierung
dessen, was es sucht, im Reizfeld seiner Umwelt. Zugleich wird es von dem
Bemerkten angemutet im Sinne einer LA15e3erlebten
Bedeutung, woraus das wirkende Verhalten, das Schnappen nach der Nahrung
und ihr Verschlingen resultieren.
«Wie schon aus der gegebenen Darstellung hervorgeht,
stehen die seelischen Vollzüge des Dranges, des Weltinnewerdens, des
Angemutetwerdens und des wirkenden Verhaltens nicht isoliert nebeneinander,
sondern sie durchdringen einander und machen in ihrem Zusammenwirken ein
Ganzes aus, das wir als Funktionskreis des LA15e4Erlebens
bezeichnen. Sein hier entworfener Grundriß ist lediglich ein Elementarschema
des seelischen Lebens (vgl. Abb. 1), an dem jedoch klar zu erkennen ist,
wie das LA15e5Erleben umspannt
wird von zwei dynamischen Ästen, dem dranghaften Suchen und dem wirkenden
Verhalten, die beide auf die Welt gerichtet sind und die Urbeziehung zwischen
Seele und Welt unverkennbar zum Ausdruck bringen.
Die Rede vom Funktionskreis
des LA15e6Erlebens
kennzeichnet einen Prozeß, einen Ablauf. Streben, Bemerken,
Angemutetwerden und wirkendes Verhalten sind seelische Vorgänge, die
sich zwischen den Polen des beseelten Lebensträgers und der Welt vollziehen.
Das damit gegebene Modell des LA15e7Erlebens
ist aber erst dann vollständig, wenn erkannt wird, daß der ganzheitliche
Prozeß des seelischen Kreislaufes eingebettet ist in etwas, das selbst
nicht mehr Prozeß ist, in eine dem LA15e8Erleben
mitgegebene Gesamtbefindlichkeit des Zumute- seins, der
seelischen Gestimmtheit. Diese Gestimmtheit, die je und je das LA15e9Erleben
begleitet und recht eigentlich trägt, ist der relativ stationäre
diffuse Hintergrund, von dem sich die Vollzüge des Strebens, des Bemerkens,
des Angemutet werdens und des wirkenden Verhaltens abheben. Sie ist die
Weise, der die Ganzheit des in Teilinhalten und Teilvollzügen ausgefächerten
LA15e10Erlebens
erfahren wird.
Lebensgrund
80: "Unter Lebensgrund verstehen wir das Insgesamt
der organischen Zustände und Vorgänge, die »ich in unserem
Leibe abspielen. Er ist also noch gar keine psychische, sondern - ontisch
betrachtet - eine vorpsychische, dem LA80e1Erleben
vorgeordnete Wirklichkeit. Wir wissen aber, daß das, was wir LA80e2„Erleben“
nennen, die notwendigen, wenn auch nicht ausschließlichen Bedingungen
seiner Möglichkeit in gewissen Vorgängen des organischen Leibgeschehens
hat."
91: "d) DAS LA91e1ERLEBEN
DES LEBENSGRUNDES
Wenn nun in der dargestellten Weise das seelische LA91e2Erleben
auf dem Grund des leiblichen Organgeschehens aufruht, so kommt uns dies
nur unter bestimmten Bedingungen und niemals in seinem vollen Umfang „zum
Bewußtsein1*. Vor allem besteht hier ein Unterschied zwischen der
vitalen und der kortikalen Person. Die leiblichen Vorgänge und Zustände
der Vitalperson werden in ihrer Leiblichkeit von uns in höherem Grad
LA91e3erlebt
als diejenigen der Kortikalperson; so in den leiblichen Gefühlen (Vitalgefühlen)
der Frische und Mattigkeit, des Behagens und des Unbehagens, des Schmerzes
bei Verletzungen und Krankheit, als Hunger, Durst und Sättigung, als
geschlechtliche Wollust, als Gefühl der Gesundheit und Krankheit.
In all diesen LA91E1Erlebnissen
ist der Zusammenhang unseres LA91e4Erlebens
mit der Leiblichkeit des Lebensgrundes unmittelbar gegeben, wenn auch oft
nur in einem dumpfen Innesein und meist nur dann, wenn die Zustände
und Vorgänge unserer leiblichen Organe außerhalb eines normalen
Gleichgewichts liegen. Vor allem Störungen dieses Gleichgewichts machen
sich seelisch in bestimmten Vitalgefühlen bemerkbar.
Auch in den höheren Gefühlen ist unserem
LA91e5Erleben
der psychosomatische Zusammenhang mitgegeben. In der Trauer LA91e6erleben
wir die Mattigkeit und Schwere der Glieder, in der Freude ein sich Weiten
der Brust, in der Furcht das Zittern der Glieder, in der Angst eine Beengtheit
der Brust und des Herzens.
Im Unterschied nun zu den leiblichen Vorgängen
und Zuständen des vegetativen Nervensystems zeigen sich diejenigen
des Kortikalsystems unserem LA91e7Erleben
in viel geringerem Grade unmittelbar als solche der organischen Leiblichkeit,
des Lebensgrundes an. Beim Ablauf unserer Vorstellungen und Gedanken merken
wir nichts von der Leiblichkeit der sie begleitenden gehirnphysiologischen
Vorgänge. Erst dann, wenn wir unser Gehirn über ein gewisses
Maß beanspruchen, „brummt uns der Schädel“ oder es stellen sich
Kopfschmerzen ein. Tatsächlich aber reichen die Zusammenhänge
zwischen seelischen Vorgängen und Kortikalsystem viel weiter als wir
dessen unmittelbar innewerden. Es wird später ausführlich davon
die Rede sein, daß wir uns auch die Wirksamkeit des Gedächtnisses
nur vorstellen können als Umstimmungen des Lebensgrundes. Wenn das
Gedächtnis in Form von Lebensgewohnheiten, Erfahrungen und erworbenem
Wissen zum Gesamtzustand [>92] dessen gehört, was wir jeweils sind,
wenn im Gedächtnis unsere ganze Vergangenheit dem Lebensgrund „eingeinnert“
ist und von hier aus unser aktuelles LA92e1Erleben
mitbestimmt, so zeigt sich gerade hieran, in welchem Umfange unser
LA92e2Erleben
auf dem Lebensgrund aufruht. Dasselbe gilt für alle Anlagen seelischen
Seins, mit denen das menschliche Individuum von der Natur ausgestattet
ist, Sie werden als Erbe der menschlichen Gattung, der Rasse, des Stammes
und der Familie im Lebensgrund, biologisch gesprochen in der physischen
Repräsentation der Gene weiter gegeben, um sich im Lauf der Entwicklung
als seelisches Sein bestimmter Art zu entfalten.
So zeigt sich denn, daß unter den mannigfaltigen
seelischen Vorgängen und Zuständen, die wir im Begriff
des LA92e3Erlebens
zusammenfassen, das Leben in einem breiten Strom dahingeht und das Erleben
gleichsam auf dem Rücken trägt. Der volle Umfang dessen, was
im Lebensgrund vor sich geht, entzieht sich sowohl unserem unmittelbaren
LA92e4Erleben
als auch unserer mittelbaren wissenschaftlichen Erkenntnis. Denn wir müssen
uns - wie schon gesagt - hüten zu glauben, in den anatomisch-physiologischen
Bestimmungen schon die Lebensprozesse und Lebenszustände in ihrem
eigentlichen Sein erfaßt zu haben. Und auch das, was von den Vorgängen
des Lebensgrundes in die Wachheit des LA92e5Erlebens
tritt, ist nicht die ganze Fülle dessen, was sich im Lebensgrund vollzieht,
sondern immer nur ein Ausschnitt, vergleichbar den beleuchteten Wellenkämmen
eines bewegten Meeres. Der Lebensgrund bleibt immer in Tätigkeit,
solange der Organismus lebt. Er ist die Basis, auf der auch das LA92e6Erleben
aufruht. Ohne die Grundlage des organischen Lebens wäre ein LA92e7Erleben
nicht möglich. Wohl aber kann der Lebensgrund existieren, ohne in
die Wachheit des LA92e8Erlebens
zu treten, wie es im traumlosen Tiefschlaf der Fall ist. So haben wir denn
Anlaß, den Lebensgrund als unterste Schicht im Aufbau der Person
anzusetzen.
Endothymer Grund
92: "Wenn wir nun vom Lebensgrund aus im Sinne
des Schichtenaufbaus weitergehen zu der gesamten auf ihm aufruhenden Welt
des LA92e1Erlebens,
den mannigfaltigen und wechselnden seelischen Vorgängen, Inhalten
und Zuständen, von denen wir aus der unmittelbaren Erfahrung wissen,
dann betreten wir zunächst den schon genannten Bereich der endothymen
LA92E1Erlebnisse,
der Stimmungen und Gefühle, der Affekte und Gemütsbewegungen,
der Triebe und Strebungen. Sie alle haben das Merkmal der intimen Innerlichkeit;
sie sind uns gegeben als ein Innen, als Gehalte eines inhaltlich qualifizierten,
zuständlich getönten Kerns, als Erfahrungen eines intimen Bei-sich
seins und Aus-sich seins der Seele. Sie haben außerdem vom bewußten
Ich her gesehen, das imstande ist, die Vorgänge des Denkens und des
zielgerichteten Wollens von [>93] sich aus in Gang zu bringen und zu steuern
- den Charakter der Untergründigkeit. Sie tauchen auf aus einem Bereich,
der für das bewußte Ich nicht mehr überschaubar und kontrollierbar
ist. Sie sind uns gegeben als jeweils besondere Art unseres eigensten seelischen
Seins, mit dem wir aus dem rational nicht mehr bestimmbaren Grund des Lebens
ins Licht des bewußten persönlichen Daseins hineinragen.
Die endothymen Gehalte unseres
LA93e1Erlebens
stellen somit nach dem Zeugnis der Selbstbesinnung eine besondere Schicht
dar, die wir als den endothymen Grund bezeichnen. Wenn damit ein neuer
Begriff eingeführt wird, so geschieht dies nicht aus einer launischen
Vorliebe für die Verdunkelung einfacher Sachverhalte durch ein Fremdwort,
sondern aus einer sachlichen Notwendigkeit. Denn sowohl die deutschen Wörter
„Gefühl“ und „Gemüt“ als auch die wissenschaftlichen Begriffe
„emotional [>93] und „affektiv“ reichen nicht aus, die ganze Mannigfaltigkeit
dessen zu erfassen, was - wie wir sehen werden - mit der Rede vom endothymen
Grund gemeint ist.
Der endothyme Grund ist also eine tiefste und
innerste Sphäre des LA93e1Erlebens,
sofern wir es phänomenologisch betrachten. Im Gesamtaufbau der menschlichen
Person ist ihm der Lebensgrund vorgeordnet, auf dem ja alles LA92e2Erleben
aufruht."
113: "d) Der LA113E1Erlebnisdrang
Der im Menschen wirksame Drang des Lebens, seiner selbst in erlebten
Innenzuständen innezuwerden, hat - neben dem Genußstreben und
der Libido - noch eine dritte Variante. In derselben Entwicklungsphase,
in der die Libido die Form des geschlechtsreifen Sexus annimmt, entfaltet
das eine besondere Wirksamkeit, was wir am besten als „LA113E2Erlebnisdrang“
bezeichnen. Der Begriff „LA113E3Erlebnis"
verliert hier seine allgemeine Bedeutung. Er ist nicht mehr die Bezeichnung
für seelische Inhalte und Vorgänge schlechthin wie in der Rede
vom Funktionskreis des LA113e1Erlebens,
sondern er figuriert hier als Titel für jene seelischen Inhalte und
Vorgänge, die gemeint sind, wenn wir im vorwissenschaftlichen Sprachgebrauch
davon reden, es sei uns etwas zum „LA113E4Erlebnis“
geworden. Ziel dieses LA113E5Erlebnisdranges
ist es, des lebendigen Daseins im LA113e2Erleben
von endothymen Innenzuständen gleichviel welcher Art inne zu werden.
Dem LA113E6Erlebnisdrang
geht es um das LA113e3Erleben endothymer
Innenzustände um ihres sensiblen, erregenden Gehaltes
willen. Die Art der Zuständlichkeit, die dabei erstrebt wird, ist
dem LA113E7Erlebnisdrang
gleichgültig. Ihm bietet die Sensation der Ekstase, des dionysischen
Rausches ebenso Erfüllung wie die Sensation des Abenteuers und der
Gefahr, ja die Sensation des Schrecklichen und Grauenvollen. Auch der Schmerz
kann im
LA113E8Erlebnisdrang
noch als Sensation genossen werden. So spricht Fr. Schlegel in der „Lucinde“
von den „Vermischungen und Verschlingungen von Freude und Schmerz, aus
denen die Wurzel des Lebens und die Blüte der Empfindung hervorgeht,
die geistige Wollust und die sinnliche Seligkeit".
Dieser LA113E9Erlebnisdrang
erfüllt sich immer in der Berührung mit der Welt. Dennoch ist
er keine Strebung des Über-sich-hinaus-seins. Denn seine Intention
geht nicht auf Sinnwerte, auf Inhalte der Welt als in sich bedeutsame Wertsachverhalte
und Wertwesenheiten, in denen der Mensch den Horizont [>114]seines Daseins
findet, sondern auf Lebenswerte, auf Sensationen, auf den Genuß der
Zustände, die durch die Berührung mit der Welt ausgelöst
werden und in denen das Dasein sich als subjektive
Funktionalität des LA114e1Erlebens
wirklich weiß. Das
LA114e2Erleben
wird hier zum Selbstzweck und Selbstwert. Der LA114E1Erlebnisdrang
ist auch kein Tätigkeitsdrang, wenngleich er sich - etwa im Drang
zum Abenteuer - mit Tätigkeit verbindet. Er ist - auf sein eigentliches
Ziel hin betrachtet - keine expansiv-zentrifugale Bewegung, sondern ein
intensiv-zentripetaler Vorgang, kein Ausatmen und Sichauswirken des sich
selbst erlebenden Lebens, sondern ein Einatmen und Auf-sich-wirkenlassen.
Er zielt ab auf das Innewerden wechselnder intensiver Innenzustände
gleichviel welcher Qualität, um in ihnen das Pathos der Lebendigkeit
zu erfahren.
Als seelischer Grundtrieb erweist sich der LA114E2Erlebnisdrang,
wie schon gesagt, besonders deutlich im Sturm und Drang der Pubertät.
Unter den mannigfachen seelischen Wandlungen, die sich beim Übertritt
aus der Kindheit in die Zeit der Reife vollziehen, hebt sich ein leidenschaftlicher
LA114E3Erlebnisdrang
heraus, was entwicklungspsychologisch damit zusammenhängt, daß
der junge Mensch alle Höhen und Tiefen des LA114e3Erlebens
durchmessen will, um seinen innersten Kern, die eigentlichen Möglichkeiten
seines Seinsgrundes zu finden. Ein charakteristisches Beispiel hierfür
ist die von Nohl mitgeteilte Äußerung eines pubertierenden Knaben,
der schreibt, er sehne sich „Tag und Nacht danach, ein tief fühlender
und denkender Mensch zu werden“ und er „möchte spüren, wie die
Gehirnblöcke aneinander krachen und splittern und“ seine „Seele sich
aufbäumt und fast zerreißt unter den Eindrücken des Schmerzes
und der Freude, während in Wahrheit fast alles, ohne großen
Eindruck zu machen, an“ ihm „vorübergeht und es so zahm bei" ihm „zugeht,
wie wenn“ er „innerlich an Ketten gebunden wäre, die keine Bewegung
zulassen“FN114-1)
Noch einmal im Verlauf des Lebens, dann nämlich,
wenn seine Kurve den Kulminationspunkt überschritten hat und sich
der Schwelle des Alters zuneigt, kann der LA114E4Erlebnisdrang
eine gesteigerte Kraft entfalten. Ein Beispiel für viele mag die Gestalt
der Leila in Galsworthy’s Roman „Ein Heiliger" sein. In dem Bewußtsein,
nur mehr eine knapp bemessene Zeit der Möglichkeiten als Frau vor
sich zu haben, will sie in einer verspäteten Liebe noch einmal LA114e4erleben,
daß sie lebt, und sie will es mit allen Ansprüchen, die eben
ein gesteigerter LA114E5Erlebnisdrang
in sich trägt.
Wenn der LA114E6Erlebnisdrang
in solcher Weise gerade in verschiedenen Entwicklungsphasen als seelisches
Urphänomen in Erscheinung tritt, so ist andrerseits nicht zu übersehen,
daß das Maß seiner Wirksamkeit von Mensch zu Mensch sehr verschieden
sein kann. Es gibt Naturen, bei denen der LA114E7Erlebnisdrang
nur in einem verschwindenden Minimum vorhanden ist. Vor allem gilt dies
für den Arbeitsmenschen, den Menschen des Leistungsstrebens, wie überhaupt
alle Strebungen des Über-sich-hinaus-seins eine besondere [>115] Wirksamkeit
des LA115E1Erlebnisdranges
nicht zulassen. Andrerseits gibt es Naturen, für die gerade der LA115E2Erlebnisdrang
-
gesteigert zum LA115E3Erlebnishunger
und zur LA115E4Erlebnisneugier,
zur Sensationssucht und Sensationslüsternheit - kennzeichnend ist
als das Grundmotiv ihrer Lebensführung und ihres In-der-Welt-seins.
Es sind Menschen, für die der Gehalt ihres Lebens sich darin erschöpft,
auf der Klaviatur des LA115e1Erlebens
in tausend Variationen zu spielen. Es kommt ihnen gar nicht an auf objektive
Wertgehalte, die wir im LA115e2Erleben
erfahren, sondern auf den rein subjektiven impressionistischen Genuß
der Zustandswerte und das in ihnen gelegene Pathos der Lebendigkeit. Die
Daseinsformel solcher Menschen der LA115E5Erlebnissucht
gibt Byron in den zugleich als Selbstbekenntnis gemeinten Sätzen:
„Empfinden“ - gemeint ist das Innewerden endothymer Zuständlichkeiten-
„ist der große Sinn unseres Lebens zu fühlen, daß wir
leben, selbst in der Pein. Es ist die nagende Leere*), die uns zu Spiel,
zu Kriegen und Reisen treibt, zu maßlosen, LA115e3tieferlebten
Unternehmungen aller Art, deren größter Reiz die Erregung ist,
die unmittelbar aus der Erfüllung quillt.“FN115-1)
Übrigens kommt die LA115E6Erlebnissucht
in zwei grundsätzlich verschiedenen Formen vor und zwar je nach dem
Grade der Lebenskraft, mit dem sie sich verbindet. Sie tritt auf sowohl
als Äußerung einer elementaren ursprünglichen Vitalität,
wie wir sie bei lebensunmittelbaren Naturen finden, als auch bei Menschen
brüchig gewordener Lebenskraft. So sieht Nietzsche in der „wollüstigen
Ausbeutung des Augenblickes, mit hysterischen Krämpfen und Neigungen
zum Furchtbaren“ und im „Bedürfnis nach Reizmitteln“ typische Zeichen
der Dekadenz.FN115-2) Es ist bekannt, welche Rolle
Narkotika wie Morphium, Opium, Haschisch und Kokain als Stimulanzen im
Dienste eines solchen dekadenten Erlebnis- und Reizhungers spielen. Für
Menschen des gesteigerten Erlebnisdranges bei brüchig gewordener Lebenskraft
ist jenes Abwechslungs- und Umstellungsbedürfnis charakteristisch,
für das Kierkegaard die Technik der Wechsel wirtschaft empfiehlt.
Da jeder durch die Welt vermittelte Eindruck in seinem zuständlichen
Reizwert um so eher erlahmt, je geringer die LA115E7Erlebnisfähigkeit
und LA115E8Erlebnistiefe
sind, zeigt der Mensch jener dekadenten LA115E9Erlebnissucht
einen Mangel an Bodenständigkeit, eine Jagd nach Reizen und Sensationen,
die aber wie in ein Faß ohne Boden fallen. So wird sein Dasein allenfalls
zu einem Feuerwerk von Impressionen, zu einer Aneinanderreihung von Aphorismen
des LA115e3Erlebens,
es fehlt ihm an Kontinuität und Ganzheit. Weil er überall und
immer das farbige Spiel von Innenzuständen sucht, diese aber allzubald
ermatten, hängt auch über ihm - wie über dem Genußmenschen
- dauernd das Damoklesschwert der Langeweile. Und so wird es schließlich
für ihn zur Aufgabe des Lebens, sich die Langeweile vom Halse zu halten.
Das Leben dieser Menschen bewegt sich im Pendelschlag zwischen Zuständen
der Sensation und solchen der Langeweile."
FN114-1) Zit. H. Nohl, Charakter
und Schicksal.
FN115-1) Zitat bei André
Maurois, Byron (deutsche Übersetzung Piper, München, 1930), S.
167. -
FN115-2) Nietzsches Werke, Kröners
Taschenausgabe, Band 11, S. 86."
303ff: "3. ABSCHNITT
DER AUSSENBEREICH DES ERLEBENS
Zwei Gesichtspunkte waren es, von denen seinerzeit gesagt wurde, sie hätten uns bei der Darstellung des seelischen Lebens zu leiten: derjenige der horizontalen Verflochtenheit und integrativen Ganzheit von Seele und Welt, deren Grundgefüge im Modell des seelischen Funktionskreises gegeben ist, und zum anderen derjenige der vertikalen Ganzheit des Aufbaus der unterscheidbaren seelischen Vollzüge und Zustände.
Über dem Lebensgrund als dem Insgesamt der
organischen Vorgänge und Zustande, die sich in unserem Leibe abspielen,
entfaltet sich dann das Vielerlei des LA303e2Erlebens,
innerhalb dessen wir wiederum eine besondere Tiefenschicht unter dem Titel
des endothymen Grundes abgehoben haben. Dabei fanden zwei Glieder des seelischen
Funktionskreises ihre Erörterung: die Strebungen und die Gefühlsregungen,
die ihrerseits - wie überhaupt der gesamte Kreislauf
des LA303e3Erlebens
- in die stationären Gestimmtheiten des endothymen Grundes eingebettet
sind.
Strebungen und Gefühlsregungen gehören
nun nicht nur - vertikal gesehen - einer Tiefenschicht
des LA303e4Erlebens
an, sondern sie sind immer auch - wie gebührend zur Geltung kam -
horizontal auf die Welt bezogen. Damit rückt für unsere Darstellung
die Welt als Horizont des LA303e5Erlebens
und so auch als Ort des Bemerkens und des wirkenden Verhaltens in den Blick
(vgl. Abb. 3 S. 78). Wir führen deshalb die horizontale Betrachtung
des seelischen Lebens zu Ende und erörtern die noch verbleibenden
Glieder des seelischen Funktionskreises, eben die Vorgänge des Weltinnewerdens
und des wirkenden Verhaltens.
Von dieser am horizontalen Modell des seelischen Funktionskreises orientierten
Betrachtung werden wir dann von selbst wieder zur vertikalen im Sinne des
Aufbaus zurückgelenkt. Denn es wird sich zeigen, daß zwar gemäß
dem Gesetz des integrativen Zusammenhangs - die LA303E1Antriebserlebnisse
und die Gefühlsregungen als Glieder des horizontal verlaufenden seelischen
Funktionskreises in die Vorgänge des Weltinnewerdens und des wirken
den Verhaltens integrativ verflochten sind, daß aber andrerseits
beim Menschen - im Unterschied vom Tier - Weltinnewerden und wirkendes
Verhalten nicht ausschließlich von den LA303E2Antriebs-
und LA303E3Anmutungserlebnissen
bestimmt werden, sondern daß an ihnen auch die Vorgänge des
Denkens und des bewußten Wollens ordnend und steuernd beteiligt sind.
Damit tritt eine gegenüber der Tiefenschicht des endothymen Grundes
höhere Schicht des seelischen Lebens, von uns als personeller Oberbau
bezeichnet, in Sicht, so daß die Betrachtung des Weltinnewerdens
und des wirkenden Verhaltens als Gliedern des seelischen Funktionskreises
wieder zurückführt zum vertikalen Gesichtspunkt des Aufbaus,
mit dem wir unsere Darstellung begonnen haben. - So viel zur Orientierung
über den folgenden Gang unserer Erörterungen.
LA303e6Innenbereich
und LA303e7Außenbereich
des Erlebens. - Führen wir nun unsere Betrachtung des
seelischen Lebens zunächst in der horizontalen Ebene des seelischen
Funktionskreises fort und vergleichen wir die schon erörterten Strebungen
und Gefühlsregungen mit den jetzt zu besprechenden Vorgängen
des Weltinnewerdens und des wirkenden Verhaltens, dann zeigt sich ein nicht
unwesentlicher Unterschied. Strebungen und Gefühlsregungen stellen
- nunmehr betrachtet unter dem horizontalen Gesichtspunkt der kommunikativen
Einheit von Seele und Welt - gleichsam einen LA303e8Innenbereich
des Erlebens dar. Das gleiche gilt für die stationären
Gestimmtheiten. Es wurde schon seinerzeit gesagt, die LA303E4Erlebnisse
des endothymen Grundes seien uns gegeben als ein Innen, als Gehalte eines
inhaltlich qualifizierten, zuständlich getönten subjektiven Kerns.
Sie akzentuieren eine intime Mitte des LA303e9Erlebens.
Damit verglichen, verlaufen Weltinnewerden und wirkendes Verhalten an der
Peripherie eines um diese Mitte gelagerten Horizontes, sie stellen den
Außenbereich
des LA303e10Erlebensdar.
Im Weltinnewerden kommt dieser Horizont zur gegenständlichen Gegebenheit,
das wirkende Verhalten findet in ihm das Feld seines Vollzugs. Reduziert
man, wie es gewöhnlich geschieht, den Kreislauf des seelischen Geschehens
auf die Verflochtenheit der sensorischen und der motorischen Vorgänge,
also auf das Zusammenwirken von Bemerken und Verhalten, dann sind die Gefühlsregungen
als die erlebte Innerlichkeit der sensorischen, die Triebe und Strebungen
als die erlebte Innerlichkeit der motorischen Prozesse zu verstehen. Wenn
also Strebungen und Gefühlsregungen unter dem Gesichtspunkt des Aufbaus
als LA303E5Erlebnisse der Tiefe des endothymen
Grundes zu verstehen sind, dann präsentieren sie sich
in der hori-[>304]zontalen Ebene des seelischen Funktionskreises als LA303E6Erlebnisse
eines Innenbereiches, der sich vom Außenbereich der
seelischen Vorgänge des Weltinnewerdens und des wirkenden Verhaltens
abhebt.
Mit der Unterscheidung von LA304e1Innen-
und LA304e2Außenbereich
des Erlebens ist der Gesichtspunkt der Einheit von Seele
und Welt keineswegs preisgegeben. Die Trennung ist relativ, lediglich im
Sinne der Akzentuierung zu verstehen. Denn endothymes
LA304e3Erleben
ist ohne den Horizont der Welt ebensowenig möglich wie ein seelisches
Leben ausschließlich im Außenbereich der Welt, ebensowenig
also, wie sich Weltinnewerden und wirkendes Verhalten ohne endothymes
LA304e4Erleben,
ohne Strebungen, Gefühlsregungen und stationäre Gestimmtheiten
vollziehen. Die Strebungen sind auf die Welt gerichtet, in den Gefühlsregungen
ist es immer die Welt, die mit einem gegenständlichen Quale unmittelbar
zur endothymen Innerlichkeit wird, die stationären Gestimmtheiten
finden in der Begegnung mit der Welt ihre Spiegelung.
Damit dies aber geschehen kann, ist es nötig,
daß die Welt überhaupt in den gegenständlichen
Horizont des LA304e5Erlebens
tritt.
Bei der Betrachtung der Strebungen, der Gefühlsregungen und der stationären
Gestimmtheiten, besonders der zuletzt erörterten des Weltgefühls,
wurde die Welt und ihre Erschlossenheit für das
LA304e6Erleben
als gegeben vorausgesetzt. Es ist nunmehr an der Zeit, auch diese Welt
als Außenbereich des Erlebens
in den Kreis der Betrachtung zu ziehen und zu fragen, durch welche seelischen
Vorgänge sie überhaupt zum Horizont des LA304e7Erlebens
wird und was sie für das Ganze dieses LA304e8Erlebens
bedeutet."
immer nur in der Begegnung mit der Welt. Dieser Tatsache sucht das
von uns aufgestellte Modell des seelischen Funktionskreises gerecht zu
werden. Es läßt in seinen beiden auf die Welt gerichteten dynamischen
Ästen die Verflochtenheit von Seele und Welt deutlich erkennen. Wenn
die Antriebe des Suchens das seelische Leben in Gang bringen, diese Antriebe
aber aus den Bedürfnissen kommen, die der beseelte Lebensträger
an die Welt stellt, weil er nur durch die Welt zur Entfaltung und Gestaltung
der in ihm angelegten Möglichkeiten gelangt, dann zeigt sich schon
darin mit aller Eindeutigkeit, daß Seele und Welt aufeinander hingeordnet
sind.
Auch das Erleben bewegt sich im Kreislauf der
Kommunikation. - Freilich ist auch diese Tatsache in der
Geschichte der Psychologie in verhängnisvoller Weise übersehen
worden. Seit Descartes in seiner Metaphysik die Wirklichkeit auf teilte
in die res cogitans, worunter nichts anderes als das erlebende
Bewußtsein zu verstehen ist, und in die res extensa,
die Außenwelt, und beide, erlebendes Bewußtsein
und Außenwelt, für Substanzen erklärte, wobei Substanz
ein selbständiges und unabhängig für sich Seiendes bedeutet,
ist die neuzeitliche Psychologie beherrscht von dem Dogma der Binnenhaftigkeit
des SeelischenFN25-1) Das heißt, die Wirklichkeit
der Seele wird gedacht als abstraktes Bewußtsein, das außerhalb
und neben der Welt liegt, mit der es lediglich durch kausale Einwirkung
in Verbindung steht. Und
so ist es auch für die an den messenden Naturwissenschaften
orientierte Psychologie eigentümlich, daß sie das seelische
Leben soweit wie möglich auszulegen sucht als bedingt durch die Wirksamkeit
physikalisch-chemischer Reize und die gesetzmäßige Funktion
der Sinnesorgane. Eine solche Vorstellung zweier ontisch streng getrennter
Bereiche der Seele und der Welt verfälscht die Wirklichkeit des seelischen
Lebens von Grund auf. Sie verkennt, daß seelisches Leben als solches
immer auf die Welt entworfen ist, daß
FN25-l) Ausführliches über
das Dogma von der Binnenhaftigkeit des Seelischen bei Ph. Lersch, Seele
und Welt, 1941."
__
Wissenschaftliche Mängel der
PsychologInnen > Zum Geleit, > Wissenschaftliches
Arbeiten.
Ein Hauptmangel ist die Unwillig- oder Unfähigkeit die wichtigeren
Begriffe und vor allem Grundbegriffe zu definieren oder operational prüf-
und kontrollierbar zu charakterisieren und zu referenzieren. Oft wird nur
allgemein-abstrakt gemeint. Es wird nicht genau dokumentiert und
belegt. Beweisen oder auch nur Beweisskizzen gibt es so gut wie nie.
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korrigiert: 27.12.2022 irs Rechtschreibprüfung