Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=29.03.2023 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 01.04.23
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
    E-Mail: sekretariat@sgipt.org  _ Zitierung  &  Copyright
    Anfang
    _Erlebnisregister mystisches Erleben und mystische Erlebnisse_Datenschutz_Überblick__Rel. Beständiges _Titelblatt_ Konzept_ Archiv_ Region_ English contents__ Service_iec-verlag__Dienstleistungs-Info * _ Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie,
    Abteilung Allgemeine Psychologie, Bereich Erleben, und hier speziell zum Thema:

    Erlebnisregister
    Mystisches Erleben und mystische Erlebnisse
    1. Version 29.03.2023

    Originalarbeit von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Haupt- und Verteilerseite Erlebnisregister  *  Haupt- und Verteilerseite Die Erforschung des Erlebens und der Erlebnisse *
    Methode der Fundstellen-Textanalyse.  *  Hauptbedeutungen Erleben und Erlebnis  *  Signierungssystem  *  Zusammenfassung Hauptseite  * Begriffscontainer (Containerbegriff)  *  Begriffsverschiebebahnhof


    Inhaltsverzeichnis
    Editorial.
    Zusammenfassung  mystisches Erleben:
      Z1 Mystisches Erleben gibt es ohne Zweifel.
      Z2 Begriffsfeld mystisches Erleben.
      Z3 Kriterien für mystisches Erleben mit in Kauf genommenen Redundanzen.
      Z4 William James' Kriterien.
      Z5 Authentische mystische Erlebnisschilderungen.
      Z6 Mystische Erfahrungen in verschiedenen Kulturen nach James.
    Einführung mystisches Erleben.
    Mystisches Erleben und Psychopathologie.
    Materialien und Dokumente zum mystischen Erleben:
      Mystisches Erkennen und Erkenntnisse.
      Mystisches Erleben und Erlebnisse.
          Schilderungen mystischer Erlebnisse:
             Seymond nach James.
             Chloroform induziertes mystisches Erlebnis bei Seymonds nach James.
             Polizeibeamter nach Trine nach James.
             Amiels Journal Intime nach James.
             Aus den Memoiren deutschen Idealistin Malwida v. Meysenbug nach James.
             Walt Withman nach James.
             Autobiographie J. Trevors nach James.
             Kosmisches Bewusstsein (Dr. Bucke) nach James.
             Dr. Buckes Erfahrungen nach James.
             Johannes vom Kreuz nach James.
             Heilige Therese nach James.
             Ignatius von Loyola nach James.
             Therese-2 nach James.
             Therese-3 nach James.
             Jakob Böhme nach James.
             Therese-4: Verzückung als Heilmittel nach James.
             Thomas von Aquin (Saulus-Paulus-Erlebnis) nach Borchert.
       Mystik in den verschiedenen Kulturen:
          Samadhi in Indien nach James.
          Buddhistische Mystik nach James.
          Mohammedanische Mystik nach James.
          Christliche Mystik nach James.
          Fazit-James.
          Das Geheimnis der Mystik Zeittafel und Zitate [Online]
      Mystische Praktiken - mystische Kompetenzen erwerben.
      Mystische Sprache und Ausdrucksformen.
          Dionysius Areopagita, Borchert, Kunisch, 
      Mystische Ziele. > Fazit-James.
      Mystisches Erleben als Wendepunkt im Leben (Saulus-Paulus-Erlebnis).
         Thomas von Aquin.
      Mystik in Rudolf Eisler Wörterbuch der Philosophie.
    Signierungssystem Erleben und Erlebnisse.

    Literatur (Auswahl) * Links (Auswahl) *
    Glossar, Anmerkungen und Endnoten: Erfahrung nach James. 
    Querverweise. * Zitierung & Copyright. * Änderungen.
     

    _
    Editorial
    Mystisches Erleben und mystische Erlebnisse sind schwer psychologisch zu erfassen und neben dem Erlebensbegriff selbst eine der größten Herausforderungen für die Psychologie des Erlebens und der Erlebnisse. Das liegt einmal in der Natur der "Sache", weil es eben ein ganz besonderes Erleben ist, das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Hinzu kommt, dass mystisches Erleben bewusst keine rationalen Wege beschreitet, weil man das Rationale als einseitig und ungeeignet ansieht. So gesehen spiegelt  diese Internet-Seite vielleicht nicht nur ein  Paradox, wenn sie versucht, das Mystische rational zu erfassen, sondern sogar eine Antinomie  (Widerspruch) oder  Aporie  (Unlösbarkeit), jedenfalls an der Stelle, wo ich diese Zeilen zu Beginn der Ausarbeitung einleitend schreibe (28.03.2023, 13:00 Uhr) und noch nicht weiß, was bei der Bearbeitung  rauskommt; vielleicht muss ich das Projekt sogar aufgeben was glücklicherweise nicht der Fall ist, wie ich nun 29.03.2023, 16:30 Uhr, weiß. Lesen Sie daher auf jeden Fall meine Ausarbeitung kritisch!
        Zum anderen ist das Thema ein Eldorado für Esoteriker und das  Sch^3-Syndrom. Ein wichtiger Zugang ist aber das Tun. Wer z.B. den Tanz der Derwische lernt, hat gute Chancen, entsprechende Erfahrungen zu machen und zu erleben, was ein mystisches Erlebnis ist.
        Ich hege keinen Zweifel, dass es mystisches Erleben gibt, aber große, was es bedeuten mag und kann. Wissenschaftlich ist es allerdings notwendig, den Begriff mystisches Erleben genauer zu erkunden sonst bleibt alles Schwall und Rauch.
        Mystisches Erleben ist in jedem Fall ein  spirituelles Erleben, das aber nicht unbedingt religiös sein muss. Wahrscheinlich wird im mystischen Erleben meist das gefunden, was gesucht wurde. Wurde Gott gesucht, so findet man ein Gotteserlebnis. Hat man "die" Wahrheit gesucht, findet man ein Wahrheitserlebnis. Hat man sein echtes Selbst gesucht, findet man ein echtes Selbsterlebnis, womöglich sogar ein Saulus-Paulus-Erlebnis (Thomas von Aquin).
        Eine der wichtigsten Quellen  für diese Arbeit ist William James Buch Die religiöse Erfahrung, insbesondere das Kapitel Die  Mystik, dem ich viele authentische Berichte über mystische Erlebnisse entnommen habe.
        Mystisches Erleben gehört ganz allgemein zur Spiritualität und ist kein Reservat der Religion. So auch William James, wenn er S.  396 sagt:     "So viel von dem eigentlich religiösen Mystizismus. Aber damit ist die Sache nicht erschöpft, denn der religiöse Mystizismus ist nur die eine Hälfte des Mystizismus. Für die anderen Formen gibt es keine geordnete Berichterstattung. ..." Auch Atheisten, wie schon der Buddhismus zeigt, können mystisch erleben, obwohl dies bei den Atheisten wegen ihrer meist rationalen Grundeinstellung seltener der Fall sein dürfte.



    Zusammenfassung  mystisches Erleben

    Z1 Mystisches Erleben gibt es ohne Zweifel, auch wenn es rational schwer zu fassen ist, und es wird seit Jahrtausenden in den verschiedensten Kulturen berichtet und dokumentiert (>Fazit-James). Nach James ist mystisches Erleben wichtig und gleichberechtigt neben rationalen Erfahrungen. Ich sehe das kritischer und denke, dass mystische Erlebnisse Illusions-, Halluzinations- oder Wahnerlebnisse sind, sofern die Erlebenden ihren Erlebnissen objektiven Wirklichkeitsstatus zuerkennen.

    Z2 Begriffsfeld mystisches Erleben
    aufgehen, Begeisterung, Beglückung, Eins werden, Einsicht, Ekstase, Ergriffenheit, Erkenntnis, Erleuchtung, Erscheinungen, Erschütterung, Euphorie, Glücksgefühl, intensives Erleben, Licht, Offenbarung, schauen, Tiefe, Vereinigung, verschmelzen, Verzückung, Wahrheit, Wonne

    Z3Kriterien für mystisches Erleben mit in Kauf genommenen Redundanzen

    1. meK01 ganzheitliche Erfahrung zwischen Erfahrendem und Erfahrenen (Gasper  et a. 1995), die den ganzen Menschen erfasst. Verschmelzen, eins werden, ineinander aufgehen. Eine Phänomen wie es auch in der  Verliebtheit  bekannt ist: verschmelzen und eins sein wollen. (Borchert  S. 29]. Hierzu auch Kuhn.
    2. meK02 eindringliche, intensive, überwältigende Erfahrung
    3. meK03 hohe persönliche  Gewissheit  der Erfahrung
    4. meK04 schwer in Worten zu beschreibende Erfahrung, womöglich sogar unaussprechlich
    5. meK05 ein starkes Verlangen und Sehnsucht fördern mystisches Erleben
    6. meK06 eine positive Geisteshaltung, Glaube und Einstellung zur ersehnten Erfahrung fördert mystisches Erleben
    7. meK07 das Schwergewicht liegt im Herbeiführen der Erfahrung durch Tun
    8. meK08 die Praxis verlangt in der Regel Übung, Hingabe und Konzentration
    9. meK09 eine gewisse Nähe ergibt sich zu meditativen Techniken und Yoga
    10. meK10 bewusster Verzicht auf rationale Methoden
    11. meK11 das Kopfmäßige und das Denken sollen überwunden werden
    12. meK12 es geht um Praxis, nicht um Theorie
    13. meK13 mystisches Erleben geht in Richtung praktisch reines Erleben, insbesondere dann, wenn es den Höhepunkt erreicht
    14. meK14 auf dem Höhepunkt des mystischen Erlebens kann es zur Ekstase oder euphorischen Verzückungserlebnissen kommen. In William James Die religiöse Erfahrung wird "verzück" 26x und "Ekstase" 10x  gefunden.
    15. meK15 in intuitivem, rational nicht begründbarem und auch gar nicht erwünschtem, Erleben gipfelt eine Einsicht nach der man gesucht oder sich gesehnt hat
    16. meKx  sonstiges bislang nicht erfasstes Kriterium


    Z4 William James Kriterien

    • meWJ1. Die Unbeschreiblichkeit.
    • meWJ2. Der Geistes- und Wahrheits-Charakter.
    • meWJ3. Die Unbeständigkeit.
    • meWJ4. Die Passivität.


    Z5 Authentische mystische Erlebnisschilderungen

      • Seymond nach James.
      • Chloroform induziertes mystisches Erlebnis bei Seymonds nach James.
      • Polizeibeamter nach Trine nach James.
      • Amiels Journal Intime nach James.
      • Aus den Memoiren deutschen Idealistin Malwida v. Meysenbug nach James.
      • Walt Withman nach James.
      • Autobiographie J. Trevors nach James.
      • Kosmisches Bewusstsein (Dr. Bucke) nach James.
      • Dr. Buckes Erfahrungen nach James.
      • Johannes vom Kreuz nach James.
      • Heilige Therese nach James.
      • Ignatius von Loyola nach James.
      • Therese-2 nach James.
      • Therese-3 nach James.
      • Jakob Böhme nach James.
      • Therese-4: Verzückung als Heilmittel nach James.
      • Thomas von Aquin (Saulus-Paulus-Erlebnis) nach Borchert.
    _
    Z6 Mystische Erfahrungen  in verschiedenen Kulturen nach James
    1. Samadhi in Indien nach James.
    2. Buddhistische Mystik nach James.
    3. Mohammedanische Mystik nach James.
    4. Christliche Mystik nach James.
    5. Fazit-James.




    Einführung mystisches Erleben
    Das mystische Erleben mit Hilfe rationaler Methoden ergründen und erkunden zu wollen, erscheint wie ein  Widerspruch  in sich. Es ist vielleicht sogar eine  Aporie, wenigstens aber  paradox. Nachdem aber sehr viel über Mystik und mystisches Erleben geschrieben wurde, wenn auch viel esoterischer, theologischer oder philosophischer Unsinn dabei sein mag, wollte ich es zumindest probieren.
       


    Mystisches Erleben und Psychopathologie
     
    Jaspers zur psychopathologischen Klassifikation des Wesens von Menschen
    "... Menschlich aber bedeutet die Klassifikation und Festlegung des Wesens eines Menschen eine Erledigung, die bei näherer {>366} Besinnung beleidigend ist und die Kommunikation abbricht. Das darf in aller erleuchtenden Begrifflichkeit charakterologischer Menschenauffassung nie vergessen werden."    Karl Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, 5. A. 1948, S. 365f.

    Das ist ein ethisch schwieriges Feld, weil MystikerInnen, wenn man ihr Erleben psychopathologisch betrachtet, dadurch bereits eine Entwertung und Stigmatisierung erfahren. Denken wir an  Jaspers. Macht man sich indessen klar, dass jeder Mensch das Psychopathologische als Potential in sich trägt, ich natürlich auch, wird es vielleicht ein bisschen besser.
     



    Materialien und Dokumente zum mystischen Erleben
    Die wichtigsten Quellen zu mystischen Erlebnissen und Erfahrungen sind Berichte  von "echten" MystikerInnen.

    Überblick:

    • Mystisches Erkennen und Erkenntnisse.
    • Mystisches Erleben und Erlebnisse.
    • Mystische Praktiken - mystische Kompetenzen erwerben.
    • Mystische Sprache und Ausdrucksformen.
    • Mystische Ziele.
    _


    Mystisches Erkennen und Erkenntnisse
    Mystisches Erkennen und Erkenntnisse gehen meist auf Erleuchtungen, Schauen, Erleben zurück und sind keine Erkenntnisse im kognitiven Sinne. Dazu werden sie erst in der Verarbeitung.



    Mystisches Erleben und Erlebnisse

    William James Die Mystik, S. 357 (g e s p e r r t bei James hier fett), Kürzel JWM:
     

      " ... Ich will daher auch hier
      — wie bei dem Begriff „Religion" — eine Einschränkung
      treffen und vier Merkmale aufstellen, die uns berechtigen
      sollen, eine Erfahrung mystisch zu nennen. Nur so können
      wir von vornherein jeden leeren Streit um Worte vermeiden.
      Die vier charakteristischen Merkmale aber sind diese:
      1. Die Unbeschreiblichkeit  Der Mystiker betont
      stets, daß sein Zustand jeder Beschreibung trotze: sein Inhalt
      lasse sich nicht in Worte fassen; er sei nur in ursprüng-
      licher Erfahrung erlebbar, aber weder übertragbar noch
      mitteilbar. Hierin gleichen die mystischen Zustände mehr
      den Gefühlszuständen als den intellektuellen Zuständen. —
      Es kann ja auch niemand einem andern die Eigenart oder
      den Wert eines bestimmten Gefühls klarmachen, wenn der
      andere dies Gefühl gar nicht kennt. Man muß ein musika-
      lisches Ohr haben, um die Schönheit einer Symphonie
      empfinden zu können; man muß selbst geliebt haben, um
      den Zustand eines Liebenden zu verstehen. Andernfalls
      können wir den Liebhaber oder den Musiker nicht gerecht
      beurteilen, ja wir werden dann sogar leicht geneigt sein,
      sie für weichlich oder töricht zu halten. So behaupten
      denn auch die Mystiker, daß die meisten von uns ihren
      Erfahrungen verständnislos gegenüberstehen.
      2. Der Geistes- und Wahrheits-Charakter
      Obgleich die mystischen Zustände Gefühlszuständen sehr
      ähnlich sind, scheinen sie denen, die sie erleben, doch
      auch zugleich Erkenntnis zu vermitteln. Es sind Zustände,
      durch die man Einsicht in die Tiefen der Wahrheit erhält,
      die dem bloßen Verstande verschlossen bleiben. Es sind
      Erleuchtungen, Offenbarungen voll Bedeutung und Wichtig-
      keit; trotz ihrer Unbestimmtheit haben sie auf die Folge-
      zeit gewöhnlich einen erstaunlichen Einfluß.
          Diese beiden Merkmale machen einen Zustand zu einem
      mystischen in dem Sinne, wie ich das Wort gebrauche. [>358]
      Zwei andere Charakteristika treten weniger scharf hervor,
      sind aber auch meist zu konstatieren. Es sind:
      3. Die Unbeständigkeit  Mystische Zustände sind
      nicht von langer Dauer. Wenige Beispiele ausgenommen,
      scheint die Zeit einer halben Stunde oder höchstens einer
      bis zwei Stunden die Grenze zu sein, über welche hinaus
      sie wieder verblassen und dem gewöhnlichen Bewußtseins-
      inhalt Platz machen. Oft kann ihre Eigentümlichkeit nach-
      träglich nur unvollkommen ins Gedächtnis zurückgerufen
      werden. Treten sie aber wieder auf, so erkennt man sie
      wieder und fühlt, wie sie mit jedem Male reicher und
      bedeutungsvoller werden.
      4. Die Passivität   Das Auftreten mystischer Zu-
      stände kann zwar durch bestimmtes Verhalten absichtlich
      erleichtert werden, z. B. durch Fixierung der Aufmerksam-
      keit, durch gewisse körperliche Betätigungen oder durch
      andere in den Handbüchern der Mystik vorgeschriebene
      Mittel; aber wenn dieser besondere Bewußtseinszustand
      einmal da ist, hat der Mystiker das Gefühl, als wenn sein
      eigner Wille in Untätigkeit versetzt sei, und manchmal auch,
      als werde er von einer höheren Macht ergriffen und ge-
      tragen. Diese letztere Eigentümlichkeit teilen die mystischen
      Zustände mit gewissen Erscheinungen von Doppel- oder
      Wechsel-Persönlichkeit, wie sie im prophetischen Reden,
      im automatischen Schreiben oder in spiritistischer Ekstase
      vorliegen. Der entscheidende Unterschied ist aber der,
      daß diese letzteren Zustände, selbst wenn sie stark aus-
      geprägt sind, keinerlei Erinnerung an den Vorgang zurück-
      lassen. Sie gewinnen daher auch gewöhnlich gar keine
      Bedeutung für das innere Leben, sondern bilden gleichsam
      nur eine Episode in demselben. Mystische Zustände im
      strengen Sinne des Worts sind dagegen niemals rein
      episodisch. Es bleibt immer einige Erinnerung an ihren
      Inhalt und ein tiefes Gefühl von ihrer Bedeutung zurück.
      Sie bestimmen das innere Leben des Menschen in der Zeit
      zwischen den erneuten Erscheinungen. Doch ist es schwer [359]
      in dieser Sphäre ganz scharfe Abgrenzungen zu treffen:
      wir finden alle Arten von Gradabstufungen und Mischungen.
          Diese vier Züge betrachte ich also als die charakte-
      ristischen Merkmale derjenigen Bewußtseinszustände, die
      ich als mystisch bezeichne."
    ____
    Schilderungen mystischer Erlebnisse
       
      Seymond nach James S. 361:
          "„Plötzlich, in der Kirche, in Gesellschaft oder beim
      Lesen" und oft, wenn ich lag und ruhte, fühlte ich
      diese Stimmung über mich kommen. Unwiderstehlich
      ergriff sie meinen Geist und Willen, dauerte, wie mir
      schien, eine Ewigkeit und verschwand mit einer Reihe
      schnell auf einander folgender Empfindungen, die dem
      Erwachen aus einem Betäubungsschlaf glichen. Etwas
      verdroß mich an diesen Zuständen der VerzückungJWM361meK14, näm-
      lich, daß ich mir den Zustand selber nicht beschreiben
      konnte. Ich kann auch heute noch keine Worte finden,
      um ihn deutlich zu machen. Es war ein allmähliches und
      doch schnelles Verschwinden von Raum, Zeit, Empfindung
      und all den Erfahrungen, die das ausmachen, was wir so
      gern unser Selbst nennen. In dem Maße aber, wie diese
      Bedingungen des gewöhnlichen Bewußtseins schwanden,
      gewann das Gefühl von einem tiefer liegenden Bewußtsein
      an Kraft. Schließlich blieb nichts übrig als das reine,
      absolute Ich. Die ganze Außenwelt verlor Gestalt und
      Inhalt. Aber das Ich beharrte, und mit furchtbarer Klar-
      heit begann es an der gesamten Wirklichkeit zu zweifeln;
      es schien völlig bereit, die Welt wie Wasserblasen ver-

          1) Memoirs of Alfred Tennyson II, 473. — Professor Tyndall
      erzählt noch in einem Brief, daß Tennyson über diesen Zustand
      gesagt habe: „Beim allmächtigen Gott, es gibt keine Täuschung
      darüber! Es ist keine nebelhafte Ekstase, sondern ein Zustand
      ehrfürchtigen Erstaunens, verbunden mit absoluter Verstandes-
      klarheit." [>362]
      —
      gehen zu sehen. Und was dann? Die Furcht vor der
      kommenden Auflösung, die schreckliche Überzeugung,
      daß dieser Zustand das Ende des bewußten Ich sei, das
      Gefühl, das Sein bis an den Rand des Abgrundes verfolgt
      und das Geheimnis der Maja — der ewigen Illusion —
      geschaut zu haben, begann mich wieder aufzurütteln. Die
      Rückkehr in den gewöhnlichen Bewußtseinszustand setzte
      damit ein, daß ich die Sinnesempfindung wieder erlangte und
      daß dann allmählich aber schnell die bekannten Eindrücke
      und täglichen Interessen wieder erwachten. Schließlich
      fühlte ich mich wieder als menschliches Wesen. Obgleich
      das Rätsel des Lebens ungelöst blieb, war ich dankbar
      für die Rückkehr von jenem Abgrunde, für diese Befreiung
      von einer so schrecklichen Einweihung in die Geheimnisse
      des Skeptizismus.
          Solche Zustände hatte ich bis zu meinem 28. Jahr;
      zuletzt aber immer seltener. Sie ließen mir schließlich
      einen tiefen Eindruck zurück von der trügerischen Unwirk-
      lichkeit all der Umstände, die das bloß vorstellungs-
      mäßige Bewußtsein erfüllen. Oft habe ich mich beim
      Erwachen aus diesen Zuständen der intensiven Empfindung
      des reinen, formlosen Seins ängstlich gefragt: wo ist nun
      die Wirklichkeit? Ist es die Starrsucht des glühenden,
      untätigen Selbst, das an allem zweifelt und in Furcht
      erschaudert, oder sind es diese mich umgebenden Er-
      scheinungen und Gewohnheiten, die das innere Selbst ver-
      hüllen und das alltägliche Ich von Fleisch und Blut aus-
      machen? Ferner: Erzeugen die Menschen selbst solchen
      Traum, dessen traumartige Unwirklichkeit ihnen in diesen
      bedeutsamen Augenblicken zum Bewußtsein kommt? Was
      würde geschehen, wenn das Endstadium des Trance-
      Zustandes erreicht würde [FN1]?"

              ...
                  Lachgas und Äther, besonders Lachgas (hinreichend
      mit Luft verdünnt) regen das mystische Bewußtsein in
      einem außerordentlich hohen Grade an. Dem, der sie ein-
      atmet, scheint sich immer tiefere Wahrheit zu enthüllen.
      Diese Wahrheit verblaßt indessen oder entweicht in dem
      Augenblick, da er sie zu fassen sucht. Und wenn einige
      Worte, in die sie sich zu kleiden schien, übrig bleiben, so
      erweisen sie sich als vollständigen Nonsens. Nichtsdesto-
      weniger bleibt das Gefühl, es sei ein tiefer Sinn darin
      gewesen, und ich kenne mehr als einen Menschen, der
      überzeugt ist, in Lachgasbetäubungen echte Offenbarungen
      über die letzte Wirklichkeit erhalten zu haben.
          Vor einigen Jahren habe ich selbst einige Beobach-
      tungen über diese Wirkung von Lachgasbetäubung gemacht.
      Dabei drängte sich mir ein Urteil auf, dessen Richtigkeit
      mir bis heute unerschüttert geblieben ist. Nämlich dies,
      daß unser normales, waches Bewußtsein — unser rationales
      Bewußtsein, wie wir es nennen können — nur eine be-
      stimmte Art von Bewußtsein ist, und daß um dasselbe
      herum potentielle Bewußtseinsformen liegen, die ganz anders-
      artig und von ihm nur durch ganz dünne Wände geschieden
      sind. Wir können durchs Leben gehen, ohne ihr Dasein
      zu ahnen; indes wenn nur das nötige Reizmittel angewendet
      wird, so zeigen sie sich bei der leisesten Berührung in [>364]
      voller Deutlichkeit: bestimmte Formen geistigen Lebens,
      die aller Wahrscheinlichkeit nach eine — uns freilich ent-
      zogene — Bedeutung und Wirkungssphäre haben. Keine
      Gesamtweltanschauung kann eine abschließende sein, die
      diese andern Bewußtseinsformen ganz unberücksichtigt
      läßt. Es fragt sich nur, wie man sie berücksichtigen soll,
      da sie mit dem gewöhnlichen Bewußtsein nicht in Zusammen-
      hang stehen. Doch können sie die Haltung eines Menschen
      bestimmen, obgleich sie sich nicht in bestimmte Formeln
      fassen lassen; sie können eine neue Sphäre erschließen,
      auch wenn sie sich nicht fixieren lassen. In jedem Falle
      verbieten sie einen voreiligen Abschluß unsrer Betrachtung
      der Wirklichkeit. Blicke ich auf meine eignen Erfahrungen
      zurück, so bieten sie in ihrer Gesamtheit eine Art Ein-
      sicht, der ich eine metaphysische Bedeutung zuschreiben
      muß. Ihr Grundton ist entschieden versöhnlich. Es ist,
      als wenn die Gegensätze der Welt, deren Widerspruch und
      Widerstreit uns so viel Schwierigkeiten und Unruhe ver-
      ursachen, alle zu einer Einheit zusammengeschmolzen wären.
      Sie gehören nicht nur als verschiedene Arten zu ein und
      derselben Gattung; sondern eine der beiden Arten,
      und zwar die höhere und bessere, ist selbst die
      Gattung und zehrt die andere völlig auf. Der Sinn
      dieses Ausspruchs bleibt nach den Maßstäben der gewöhn-
      lichen Logik dunkel: das weiß ich wohl; doch kann ich
      mich seiner Wucht nicht ganz entziehen. Ich habe das
      Gefühl, er müsse etwa das bedeuten, was letztlich die
      Philosophie Hegels sagen will [FN1]."
      _
      Chloroform induziertes mystisches Erlebnis bei Seymonds
          "Nachdem das Gefühl des Erstickens und der Starr-
      heit vergangen war, schien ich mich zuerst in einem Zu-
      stande völliger Verwirrung zu befinden. Dann kamen Blitze
      von hellem Licht; bald war es dunkel um mich her, bald
      erkannte ich deutlich, was im Zimmer um mich vorging.
      Ich meinte, ich sei dem Tode nahe, als meine Seele Gott
      erkannte, der deutlich zu mir in Beziehung trat, in durch-
      aus persönlicher Realität mit mir verkehrte. Ich fühlte
      ihn wie Licht auf mich herniederströmen . . . Ich kann
      das Entzücken, das ich empfand, nicht beschreiben. Als
      ich dann allmählich aus der Betäubung erwachte, kehrte
      das alte Bewußtsein meiner Beziehung zur Welt wieder
      zurück, und das neue Gefühl meiner Beziehung zu Gott
      begann zu schwinden. Plötzlich sprang ich von meinem
      Stuhl auf und schrie: Es ist zu schrecklich, gar zu schreck-
      lich! Ich wollte sagen, ich könne die Enttäuschung nicht
      ertragen. Dann warf ich mich auf den Boden und erwachte
      schließlich mit Blut bedeckt und rief meinen beiden
      erschrockenen Ärzten zu: Warum haben Sie mich nicht
      getötet? Warum haben Sie mich nicht sterben lassen?
      Bedenken Sie nur: in dieser langen Ekstase, die mich über
      Zeit und Vergänglichkeit erhob, Gott in all seiner Reinheit,
      Güte, Wahrheit und unendlichen Liebe erlebt zu haben,
      und nun zu erkennen, daß es gar keine Offenbarung war,
      sondern daß ich von einer übermäßigen Erregung meiner
      Nerven genarrt worden bin!
          Doch die Frage bleibt bestehen: Ist es möglich, daß

          1) Benjamin Paul Blood: The Anaesthetic Revelation and the
      Gist of Philosophy, Amsterdam 1874, S. 35 f.                          [>366]

      das innere Realitätsgefühl, welches das gewöhnliche Be-
      wußtsein physischer Beziehungen ablöste, während mein
      Körper für äußere Eindrücke unempfindlich war, keine
      Täuschung, sondern ein wirkliches Erlebnis war? Ist es
      möglich, daß ich in jenem Augenblick erlebte, was einige
      Heilige nach ihrer Aussage stets erleben: die unbeschreibliche,
      aber unbezweifelbare Gewißheit der Gegenwart Gottes][FN1]?"
      ...
      Polizeibeamter nach Trine nach James
          "Ein bekannter Polizeibeamter hat mir erzählt, oft
      überkomme ihn im Dienst oder auf seinem Wege nach
      Hause ein so lebendiges Gefühl von seiner Einheit mit
      der unendlichen Macht, und dieser Geist des unendlichen
      Friedens erfülle ihn so vollständig, daß er kaum ruhig
      weiter gehen könne, so heiter, ja ausgelassen mache ihn
      dies auf ihn einströmende Gefühl[FN2]."
      ...
      Amiels Journal Intime nach James:
          "Werde ich je wieder so wunderbare Träume haben
      wie manchmal in früheren Tagen? Einst hatte ich sie in
      meiner Jugend, als ich beim Sonnenaufgang in den Ruinen
      des Schlosses von Faucigny saß. Dann wieder im Gebirge [>367]
      zur Zeit der Mittagssonne oberhalb von Lavey, als ich
      unter einem Baum lag und drei Schmetterlinge mich um-
      spielten. Und noch einmal in der Nacht an der sandigen
      Küste des Ozeans, als ich im Sand auf dem Rücken lag
      und mein Auge die Milchstraße verfolgte. Großartige,
      weite, unsterbliche kosmogonische Träume: man reicht
      bis zu den Sternen und ist im Besitz des Unendlichen!
      Göttliche Augenblicke, Stunden des Entzückens, in denen
      unsere Gedanken von einer Welt zur andern fliegen und
      das große Rätsel durchdringen, da unser Sinnen so ruhig
      und tief ist wie das Meer und so still und endlos wie das
      blaue Firmament . . . Augenblicke eines unmittelbaren
      Anschauens, in denen man sich so groß wie das Universum
      und so erhaben wie ein Gott fühlt. . . . Was für Stunden!
      Was für Erinnerungen! Die Spuren, die sie hinterlassen,
      genügen, um uns mit Glauben und Begeisterung zu erfüllen.
      Es ist, als ob der Heilige Geist uns heimgesucht hätte.[FN1]
          Eine ganz ähnliche Äußerung finden wir in den
      interessanten Memoiren der deutschen Idealistin Malwida
      v. Meysenbug:"
      v. Meysenbug nach James:
          „'Ich war allein am Meeresufer, als mich alle diese
      Gedanken befreiend und versöhnend umfluteten. Und
      wieder, wie einst in fernen Tagen in den Alpen der
      Dauphiné, trieb es mich, hier niederzuknien vor der un-
      begrenzten Flut, dem Sinnbild des Unendlichen. Ich fühlte,
      daß ich betete, wie ich nie zuvor gebetet hatte, und er-
      kannte nun, was das eigentliche Gebet ist: Einkehr aus
      der Vereinzelung der Individuation heraus in das Bewußt-
      sein der Einheit mit allem, was ist; niederknien als das
      Vergängliche und aufstehen als das Unvergängliche. Erde,
      Himmel und Meer erklangen wie in einer großen, welt-
      umfassenden Harmonie. Mir war es, als umgäbe mich
      der Chor aller Großen, die je gelebt. Ich fühlte mich eins
      mit ihnen und es schien mir, als hörte ich ihren Gruß:
      ,Auch du gehörst mit in die Zahl der Überwinder[FN2].'"

      Walt Withman nach James
          Eine berühmte Stelle aus Walt Whitman kann als
      klassischer Ausdruck dieser gelegentlich und vereinzelt auf-
      tretenden Form mystischer Erfahrung gelten.
          „'Ich glaube an dich, meine Seele . . . Komm mit mir
      hinaus ins Freie; löse das Band deiner Zunge! . . . Sprich
      nur leise mit mir, ich liebe das Summen deiner sanften
      Stimme. So lagen wir einst an einem lichten Sommer-
      morgen. Bald waren um mich der Friede und die Er-
      kenntnis, die über alle irdische Weisheit erhaben sind. Ich
      fühlte mich in Gottes Hand; ich wußte, der Geist Gottes
      sei meinesgleichen, und alle Menschen, die je gelebt
      hatten, meine Brüder und Schwestern. Und ich erkannte
      die Liebe als Grund der Schöpfung.'"

      Ein letztes Beispiel entnehme ich der Autobiographie
      J. Trevors [FN1].
          „An einem strahlenden Sommermorgen gingen meine
      Frau und meine Knaben in die unitarische Kapelle in
      Macclesfield. Es war mir unmöglich, sie zu begleiten.
      Den Sonnenschein auf den Bergen zu verlassen, zur Kapelle
      hinabzugehen, wäre mir wie ein zeitweiliger geistiger Selbst-
      mord erschienen. Ich bedurfte neuer Gedanken und An-
      regung. So ließ ich denn — zaudernd und traurig —
      Frau und Kinder allein in die Stadt hinuntergehen, während
      ich mit meinem Stock und meinem Hund weiter bergauf
      stieg. Dank der Herrlichkeit des Morgens und der Schön-
      heit von Berg und Tal verlor sich bald meine Traurigkeit.
      Fast eine Stunde weit ging ich den Weg entlang, dann
      kehrte ich wieder um. Auf dem Heimweg fühlte ich mich
      plötzlich und unversehens im Himmel. Es war ein inner-
      licher Zustand von Friede, Freude und unbeschreiblich
      fester Zuversicht, begleitet von dem Gefühl, als wäre ich
      von lauen Lichtfluten umflossen; gerade als wenn die äußere
      Luft diese innerliche Wirkung gehabt hätte. Es war ein
      Gefühl, als wäre ich über meinen Körper hinausgewachsen,
      obgleich meine Umgebung mir durch das helle Licht, in
      dem ich selber stand, nur um so deutlicher und gleichsam
      näher war als vorher. Diese tiefe Erregung währte, wenn-
      gleich nach und nach schwächer werdend, bis zu meiner
      Heimkehr, ja noch länger an und schwand nur ganz all-
      mählich."
          Der Verfasser fügt hinzu, er habe später noch öfter
      ähnliche Erfahrungen gehabt und kenne sie nun genau:
          "'Das innerliche Leben rechtfertigt sich selbst vor denen,
      die es leben; aber was können wir denen sagen, die uns [>369]
      nicht verstehen? So viel wenigstens, daß es ein Leben ist,
      dessen Erfahrungen sich dem Betreffenden als wahr er-
      weisen, weil sie ihm verbleiben, wenn sie in innigste Be-
      rührung mit den objektiven Realitäten des Lebens ge-
      bracht werden. Träume bestehen diese Prüfung nicht:
      wir erwachen und wissen, daß es nur Träume waren. Auch
      die Phantasien eines überarbeiteten Gehirns bestehen die
      Probe nicht.
          Diese höchsten Erfahrungen von Gottes Gegenwart
      waren entweder selten und kurz — blitzartige Erleuch-
      tungen, die mich zu dem Ausruf zwangen: ,Das ist Gott'
      — oder es waren Zustände von weniger intensiver Erregung
      und Erkenntnis, die dann nur allmählich vergingen. Ich
      habe den Wert dieser Erscheinungen ernsthaft geprüft.
      Zu niemandem habe ich davon gesprochen, damit man
      nicht sagen solle, ich baue mein Leben und meine Arbeit
      auf reine Hirngespinste. Aber ich finde, daß sie sich bei
      jeder Prüfung und Probe als die wirklichsten Erfahrungen
      meines Lebens bewähren, als Erfahrungen, die alle früheren
      Erfahrungen erklärt, gerechtfertigt und zusammengefaßt
      haben. In der Tat, ihre Realität und ihre weit reichende
      Bedeutung werden mir immer klarer und deutlicher.
          Als sie kamen, lebte ich ein durchaus volles, starkes,
      gesundes und tiefes Leben. Ich suchte sie nicht. Was
      ich mit Entschlossenheit suchte, war, mein eignes Leben
      intensiver zu leben, wie immer die Welt darüber urteilen
      möchte. Jene Realgegenwart Gottes überkam mich in
      Zeiten realster Lebensführung: aus ihr heraus versank ich
      in den unendlichen Ozean der Liebe Gottes[FN1]."

      Kosmisches Bewusstsein (Dr. Bucke) nach James

          "Nach solchen Zeugnissen darf meines Erachtens niemand
      — auch derjenige nicht, der für seine Person gar nicht
      mystisch veranlagt ist, bestreiten oder bezweifeln wollen,
      daß mystische Erlebnisse als Bewußtseinszustände von ganz
      besonderer Art existieren, und daß sie bei denen, die sie
      erleben, einen tiefen Eindruck hinterlassen. Dr. Bucke, ein
      Irrenarzt aus Kanada, gibt den besonders charakteristischen
      Erscheinungen dieser Art den Namen „kosmisches Bewußt-
      sein" und sagt dann weiter: „Das kosmische Bewußtsein
      ist in seinen bedeutsamsten Erscheinungen nicht lediglich
      eine Weitung des allgemein-menschlichen Selbstbewußtseins, [>370]
      sondern es ist durch das Hinzukommen einer neuen Funktion
      bedingt, die von jeder andern eines Durchschnittsmenschen
      ebenso verschieden ist, wie das Selbstbewußtsein an seinem
      Teil von jeder Funktion der höheren Tiere."
          Das Hauptmerkmal des kosmischen Bewußtseins ist
      zunächst eben ein Bewußtsein vom Kosmos d. h. vom
      Leben und von der Ordnung im Universum. Begleitet
      wird dies kosmische Bewußtsein von einer intellektuellen
      Erleuchtung, welche schon an sich genügen würde, den
      Menschen auf eine neue Daseinsstufe zu erheben, ihn fast
      zum Repräsentanten einer neuen Art zu machen. Weiter
      kommt ein Zustand moralischer Begeisterung hinzu, ein
      unbeschreibliches Gefühl von Erhebung, Weitung, Freudig-
      keift und eine Schärfung des sittlichen Bewußtseins, die
      ebenso auffallend und noch wichtiger ist als die Erhöhung
      der intellektuellen Kraft. Und hiermit verbindet sich
      schließlich noch, was man wohl als ,Unsterblichkeitsgefühl'
      oder ,Bewußtsein ewigen Lebens' bezeichnen kann, d. h.
      nicht die Überzeugung, es einst zu erlangen, sondern das
      Bewußtsein, es bereits zu besitzen[FN1]."
          Dr. Buckes Selbsterlebnis eines typischen Falls von
      kosmischem Bewußtsein führte ihn dazu, es auch bei andern
      Personen zu studieren. Er hat seine Beobachtungen in
      einem höchst interessanten Buche niedergelegt, dem ich
      den folgenden Bericht über seine Erfahrungen entnehme."

      Dr. Buckes Erfahrungen nach James
          'Ich war am Abend mit zwei Freunden in einer großen
      Stadt zusammen gewesen ; wir hatten Poetisches und
      Philosophisches gelesen und besprochen. Um Mitternacht
      trennten wir uns, und ich hatte dann noch eine lange
      Fahrt bis nach Hause. Mein Geist, der noch unter dem
      Einfluß der Gedanken, Bilder und Gefühle stand, die
      durch das Gelesene und durch unsere Gespräche wach
      gerufen worden, war ruhig und friedlich. Ich war in
      einem Zustande stillen, fast passiven Genießens. Wie von
      selbst zogen die Gedanken, Bilder und Gefühle durch
      meinen Geist dahin. Da fand ich mich plötzlich ohne
      irgend ein vorhergegangenes Anzeichen in eine feurige
      Wolke eingehüllt. Einen Augenblick dachte ich an Feuer,
      an einen großen Brand irgendwo in der Nähe; dann aber  [>371]
      merkte ich, daß das Feuer in mir selbst war. Gleich
      darauf überkam mich ein Gefühl unaussprechlicher Freude
      und Wonne. Auch folgte unmittelbar eine intellektuelle
      Erleuchtung, die ich nicht zu beschreiben vermag. Jeden-
      falls gewann ich — nicht einfach durch Glauben, vielmehr
      durch Anschauung — die Überzeugung, daß das Universum
      nicht tote Materie sei, sondern lauter Bewegung und
      Leben. Ich wurde mir des ewigen Lebens in mir selber
      bewußt. Nicht daß ich überzeugt ward, dereinst das ewige
      Leben zu erlangen, nein, ich hatte das Bewußtsein, es
      schon zu besitzen. Ich erkannte, daß alle Menschen unsterb-
      lich sind, daß die kosmische Ordnung eine derartige ist,
      daß alles ohne Frage zum Besten der Einzelnen und der
      Gesamtheit zusammenwirkt, daß das Grundprinzip der
      Welt, ja aller Welten, Liebe ist, und daß das Glück jedes
      Einzelnen und der Gesamtheit letzten Endes absolut gewiß
      ist. Die Vision dauerte nur wenige Sekunden; dann war
      sie verschwunden. Aber die Erinnerung an sie und das
      Gefühl von der Wirklichkeit des Geschauten ist mir das
      Vierteljahrhundert hindurch geblieben, das seither ver-
      flossen ist. Ich erkannte die Wahrheit dessen, was die
      Vision mir gezeigt hatte: ich war zu einem Standpunkt
      gelangt, von dem aus ich sah, daß es wahr sein müsse.
      Diese Anschauung, diese Überzeugung, ja ich kann sagen,
      dies Bewußtsein habe ich nie wieder — auch nicht in
      Zeiten der tiefsten Niedergeschlagenheit — verloren [FN1].'

          Soviel von dem sporadisch auftretenden kosmischen
      oder mystischen Bewußtsein. Wir wenden uns jetzt zur
      Besprechung derjenigen Mystik, die in bestimmten Religions-
      gemeinschaften als Bestandteil des religiösen Lebens metho-
      disch gepflegt wird. Hindus, Buddhisten, Mohammedaner
      und Christen: sie alle bieten uns dafür Belege.

      Mystik in den verschiedenen Kulturen nach James

      • Samadhi in Indien nach James.
      • Buddhistische Mystik nach James.
      • Mohammedanische Mystik nach James.
      • Christliche Mystik nach James.
      • Fazit-James.


          In Indien ist die Schulung in mystischer Anschauung
      seit undenklichen Zeiten unter dem Namen Yoga bekannt.
      Yoga bedeutet die vom einzelnen Individuum erlebte Ver-
      einigung mit der Gottheit. Sie gründet sich auf beharr-
      liche Übung, und die Vorschriften über Diät, Körper-
      haltung, Atmen, intellektuelle Konzentration und moralische
      Zucht weichen in den verschiedenen Systemen nur leicht [>372]
      von einander ab. Der Yogi oder Schüler, der hierdurch
      die aus seiner niederen Natur stammenden Flecken getilgt
      hat, tritt in einen Zustand ein, der Samadhi genannt wird,
      und 'schaut Dinge, die kein Instinkt und kein Verstand
      je begreifen kann.'
          Er erkennt:
          'daß das geistige Leben einen höheren, dem Verstand
      nicht zugänglichen Seinszustand hat, einen überbewußten
      Zustand, und daß dieser höhere Zustand auch eine höhere
      Erkenntnis mit sich bringt. Alle verschiedenen Stufen
      der Yoga haben den Zweck, uns technisch-methodisch in
      den überbewußten Zustand oder Samadhi zu bringen . . .
      So wie unbewußtes Tun unter dem bewußten steht, so
      gibt es ein andres Tun, das über dem bewußten steht
      und das nicht von selbstsüchtigem Gefühl begleitet ist . . .
      Dann gibt es kein Gefühl des Selbst mehr, der Geist wirkt
      wunschlos, frei von aller Unruhe, ziellos und körperlos.
      Dann leuchtet die Wahrheit in vollem Glanz, und wir er-
      kennen uns — denn Samadhi liegt potentiell in uns allen
      — als das, was wir wirklich sind, als frei, unsterblich,
      allmächtig, losgelöst vom Endlichen und seinem Wider-
      spruch von Gut und Böse, als identisch mit dem Atman,
      der Weltseele [FN1].'

              1) Die Zitate sind aus Vivekananda, Raja Yoga, London 1896.
      Die vollständigste Quelle über Yoga ist das von Vihari Lala Mitra
      übersetzte Werk: Yoga Vasishta Maha Ramayana, 4 Bde., Kalkutta
      1891-99

      Buddhistische Mystik nach James
          "Ebenso wie die Hindus gebrauchen auch die Buddhisten
      das Wort „Samadhi"; aber für die höheren Stadien der
      Kontemplation haben sie noch das besondere Wort „Dhyana".
      Es scheint vier verschiedene Stufen in der Dhyana zu
      geben. Die erste Stufe wird dadurch erreicht, daß man
      die Gedanken fortwährend auf einen Punkt richtet. Sie
      schließt das Begehren aus, aber nicht Unterscheidung oder
      Urteil; es ist noch ein intellektueller Zustand. Auf der
      zweiten Stufe hören alle intellektuellen Funktionen auf; es
      bleibt ein Gefühl der Einheit und der mit ihr gegebenen
      Befriedigung. Auf der dritten Stufe fällt auch die Be-
      friedigung weg; es tritt Gleichmütigkeit (Indifferenz) auf,
      verbunden allein mit „Gedächtnis" und „Selbstbewußtsein".
      Auf der vierten Stufe werden Gleichmütigkeit, Gedächtnis
      und Selbstbewußtsein zur Vollendung gebracht. [Was
      „Gedächtnis" und „Selbstbewußtsein" in dieser Verbindung
      eigentlich bedeuten, ist zweifelhaft. Es können nicht jene
      Fähigkeiten des niederen Lebens sein, die wir kennen.]
      Es werden noch höhere Stufen der Kontemplation erwähnt,
      eine Region, wo nichts existiert, von der der Anschauende
      sagt: „dort existiert absolut nichts" und dort verweilt.
      Dann erreicht er eine andre Region, von der er sagt: „dort
      gibt es weder Denken noch Nicht-Denken", und bei ihr
      verweilt er abermals. Dann wieder eine andere Region, in
      der er endgültig verbleibt, da er an das Ende des Denkens
      und Wissens gekommen ist. Dies scheint, wenn es noch
      nicht das Nirvana selbst ist, demselben doch so nahe zu
      kommen, wie es in diesem Leben nur möglich ist [FN1]."

      Mohammedanische Mystik nach James
       
      "Die erste Aufgabe für einen Sufi ist die, sein Herz von allem zu reinigen, was nicht Gott ist" (S. 376)

          "In der mohammedanischen Welt wird die Mystik von
      der Sufi-Sekte und verschiedenen Derwisch-Gemeinschaften [>374]
      gepflegt. Die Sufis existieren schon seit den frühsten
      Zeiten des Islam in Persien, und da ihr Pantheismus zu dem
      strengen Monotheismus des arabischen Geistes in schroffstem
      Widerspruch steht, so hat man wohl gemeint, der Sufismus
      müsse aus der Hindu-Religion in den Islam übertragen
      worden sein. Wir Christen kennen den Sufismus wenig, da
      seine Geheimnisse nur den Eingeweihten enthüllt werden.
          Al-Ghazzali, ein persischer Philosoph und Theologe,
      der im elften Jahrhundert lebte und als einer der größten
      Gelehrten des Islam gilt, hat uns eine der wenigen Selbst-
      biographien hinterlassen, die sich außerhalb der christlichen
      Literatur finden. Es ist sonderbar, daß eine literarische
      Spezies, die bei uns so reichlich vorhanden ist, sich sonst
      so selten findet. Das Fehlen rein persönlicher Bekennt-
      nisse bildet eine Hauptschwierigkeit für den, der das innere
      Leben fremder Religionen kennen lernen möchte und doch
      lediglich auf literarische Zeugnisse angewiesen ist.
      M. Schmölders hat einen Teil der Selbstbiographie
      Al-Ghazzalis ins Französische übertragen1:
          'Die Methode der Sufis', heißt es da, 'zielt darauf
      ab, das Herz von allem, was nicht Gott ist, loszulösen
      und ihm als einzige Beschäftigung die Betrachtung des
      göttlichen Wesens zu geben. Da mir die Theorie leichter
      zugänglich war als die Praxis, studierte ich, bis ich alles
      wußte, was durch Studium und durch Hörensagen zu
      erlernen ist. Dann aber erkannte ich, daß das eigentlich
      Charakteristische ihrer Methode durch kein Studium,
      sondern allein durch Begeisterung, Ekstase und Umwand-
      lung der Seele zu erfassen ist. Man überlege nur, wie
      verschiedene Dinge es sind, Gesundheit und Sattheit defi-
      nieren zu können, auch ihre Ursachen und Bedingungen
      zu kennen, und selber gesund und satt zu sein! Oder
      welch ein Unterschied, zu wissen, worin Trunkenheit be-
      steht, und selbst betrunken zu sein! Ganz ähnlich liegt
      es nun auch hier: ein anderes ist es, das Wesen der Ent-
      haltsamkeit zu beschreiben, ein anderes selber enthaltsam
      zu sein und seine Seele von der Welt losgelöst zu haben.' [>375]

          1) Vgl. auch D. B. Macdonald: The Life of Al-Ghazzali in the
      Journal of the American Oriental Society, 1899, Bd. 20, S. 71.

      'So hatte ich alles gelernt, was Überlieferung mich vom
      Sufismus lehren konnte. Was mir aber noch fehlte,
      konnte weder durch Studium, noch durch den Bericht
      anderer erfaßt werden, sondern allein durch ekstatische
      Begeisterung und fromme Lebensführung. Ich dachte
      über meine Lage nach und fand mich überall gebunden.
      Versuchungen, wohin ich blickte! Ich prüfte auch meine
      wissenschaftliche Arbeit und fand, sie war unrein vor
      Gott; denn ich erkannte nun, daß all mein Streben darauf
      gerichtet war, meinen eignen Ruhm zu erhöhen.' [Weiter
      berichtet er, wie er noch sechs Monate lang zögerte, sein
      früheres Leben in Bagdad aufzugeben, bis er schließlich
      krank wurde und zwar eine Zungenlähmung bekam.] 'Als
      ich dann meiner Schwachheit recht inne ward, gab ich
      meinen eignen Willen ganz auf und warf alles auf Gott
      wie ein Elender, der keine Zuflucht mehr hat. Er ant-
      wortete mir wie jedem Unglücklichen, der ihn anruft. Es
      fiel mir jetzt nicht mehr schwer, Ehre, Reichtum und
      Familie aufzugeben. So verließ ich Bagdad, behielt von
      meinem Vermögen nur so viel, als zu meinem Unterhalt
      unerläßlich war, und verteilte den Rest. Ich ging nach
      Syrien und verweilte dort etwa zwei Jahre lang. Ich
      lebte zurückgezogen und einsam, ohne eine andere Be-
      schäftigung als die, meine Wünsche und Leidenschaften
      zu bekämpfen, meine Seele zu reinigen, meinen Charakter
      zu vervollkommnen, mein Herz für das Nachdenken über
      Gott vorzubereiten, und zwar alles nach den Anweisungen,
      die ich in den Büchern der Sufis gelesen hatte.
          Diese Zurückgezogenheit erhöhte nur meinen Wunsch,
      in der Einsamkeit zu leben, mein Herz ganz zu reinigen
      und es für die Betrachtung Gottes zu bereiten. Aber die
      Wechselfälle der Zeit, die Familienangelegenheiten, die
      Notwendigkeit, mich zu erhalten, änderten in mancher
      Hinsicht meinen anfänglichen Plan und erlaubten mir ein
      ganz einsames Leben nicht. Ich war — einige wenige
      Stunden ausgenommen — noch nie in vollständiger Ver-
      zückung gewesen; doch hoffte ich, diesen Zustand noch
      zu erreichen. Jedesmal, wenn mich etwas abseits führte,
      suchte ich wieder umzukehren. So vergingen zehn Jahre.
      In dieser Einsamkeit hatte ich Offenbarungen, die ich
      weder beschreiben noch andeuten kann. Nur soviel ver-
      mag ich zu sagen: ich erkannte als ganz sicher, daß die
      Sufis auf Gottes Wegen wandeln. Ob sie ihr Leben in
      Tätigkeit oder in Ruhe zubringen, immer werden sie von [>376]
      prophetischem Licht erleuchtet. Die erste Aufgabe für
      einen Sufi ist die, sein Herz von allem zu reinigen, was
      nicht Gott ist.
          Ein weiterer Schritt zu dem kontemplativen Leben
      besteht in den demütigen Gebeten, die aus dem glühen-
      den Herzen aufsteigen, und in dem Nachdenken über
      Gott, das die Seele ganz ausfüllt. In Wirklichkeit ist dies
      aber nur der Anfang des Sufilebens; das Ende desselben
      ist völliges Versunkensein in Gott. Alles, was vorher
      geht, ist sozusagen nur die Schwelle des neuen Lebens.
      Zuerst haben die Sufis Offenbarungen in so deutlichen
      Gestalten, daß sie mit wachen Sinnen die Engel und die
      Seelen der Propheten sehen. Sie hören ihre Stimmen
      und erhalten Gnadenbeweise von ihnen. Dann aber erhebt
      sich der Zustand der VerzückungJWM376meK14 von der Vorstellung von
      Formen und Gestalten zu einem Grade, der über allen
      Ausdruck erhaben ist und den kein Mensch sich unter-
      fangen kann zu schildern, ohne sich schwerer Sünde
      schuldig zu machen.
          Wer nie in solchen Zustand der VerzückungJWM376.2meK14 geraten
      ist, der kennt die wahre Natur des Prophetismus nur dem
      Namen nach. Wie es Menschen gibt, die mit einem reichen
      Gefühlsvermögen begabt sind, aber alles abweisen, was
      ihnen auf objektivem und rein verstandesmäßigem Wege
      dargeboten wird, so gibt es auch Verstandesmenschen,
      die alles meiden, was durch inneres Schauen vermittelt
      wird. Ein Blinder kennt die Farben nur vom Hörensagen.
      Doch macht Gott den Menschen das Wesen des Prophetis-
      mus verständlich, indem er ihnen allen einen Zustand
      gibt, der jenem in wesentlichen Zügen gleich ist. Dieser
      Zustand ist der Schlaf. Wenn man jemandem, der ihn
      nicht kennte, erzählen würde, daß es Menschen gibt, die
      zu Zeiten ohnmächtig werden, so daß sie den Toten ähneln,
      und die [im Traume] doch verborgene Dinge schauen, so
      würde er es nicht glauben [und seine Gründe dafür an-
      geben]. Und doch würden seine Gründe durch die tat-
      sächliche Erfahrung widerlegt werden. Wie der Verstand
      eine Stufe des menschlichen Lebens darstellt, da sich das
      intellektuelle Auge öffnet und mancherlei erkennt, was
      den Sinnen unzugänglich bleibt, so werden dem prophetisch
      Begabten Dinge enthüllt, die dem Verstande stets uner-
      reichbar sind. Die Haupteigentümlichkeiten des Prophe-
      tismus sind nur während der VerzückungJWM376.3meK14 von denen, die
      das Sufileben führen, wahrnehmbar. Der Prophet ist mit [>377]
      Eigenschaften begabt, die dir fremd sind, die du daher
      unmöglich verstehen kannst. Wie solltest du ihre wahre
      Natur kennen, da man nur kennt, was man versteht?. . .
      Aber die VerzückungJWM377.1meK14, die man nach der Methode der Sufis
      erreicht, kommt einem unmittelbaren Anschauen gleich; es
      ist, als ob man die Gegenstände mit der Hand berührte [FN1].'
       
          "Diese Unmittelbarkeit der Verzückung ist der Grund-
      ton aller Mystik. Die mystische Wahrheit existiert nur
      für den, der die Verzückung erlebt, für keinen andern." (S. 377)

          Diese Unmittelbarkeit der Verzückung ist der Grund-
      ton aller Mystik. Die mystische Wahrheit existiert nur
      für den, der die VerzückungJWM377.2meK14 erlebt, für keinen andern.
      Darin, sagte ich, gleicht sie mehr der Einsicht, die uns
      durch das Gefühl vermittelt wird, als der, die wir durch
      begriffliches Denken erringen. Es ist ja eine Binsenwahrheit
      der Metaphysik, daß Gotteserkenntnis nicht durch logisches
      Schließen, sondern nur durch inneres Anschauen erworben
      wird, d. h. daß sie mehr nach Analogie des unmittelbaren
      Gefühlslebens als nach Analogie von Lehr- und Schluß-
      sätzen zu gewinnen ist. Aber die unmittelbaren Gefühle
      der Durchschnittsmenschen haben keinen andern Inhalt
      als den, welchen die fünf Sinne liefern, und wir haben
      schon gehört und werden es auch weiterhin noch hören,
      daß die Mystiker jeden Anteil der Sinne an der höchsten
      Art von Erkenntnis, die ihnen in der VerzückungJWM377.3meK14 wird,
      bestreiten."

      Christliche Mystik nach James
      "In der christlichen Kirche hat es immer Mystiker ge-
      geben. Wohl sind manche von ihnen stets mißtrauisch
      angesehen worden, aber andere haben selbst von kirch-
      lichen Autoritäten volle Anerkennung erlangt. Ihre Er-
      fahrungen sind zur Richtschnur für ein ausgebautes mystisches
      System geworden, in dem alles Echte seinen Platz findet [FN2].
      Die Grundlage des Systems bildet das Gebet oder religiöse
      Betrachtung, die methodische Erhebung der Seele zu Gott.
      Durch die Übung des Gebetes können die höheren Stufen
      der mystischen Erfahrung erreicht werden. — Seltsamer- [>378]

          1) A. Schmölders: Essai sur les doctrines philosophiques chez
      les Arabes, Paris 1842, S. 54—68.
              2) Vgl. Görres: Christliche Mystik; Ribet: Mystique Divine,
      2 Bde., Paris 1890. Noch vollständiger in der Systematik ist die
      „Mystica Theologia" von Vallgornera, 2 Bde., Turin 1890.

      weise hat der Protestantismus alle Methodik in dieser Be-
      ziehung aufgegeben. Es ist den Anhängern der „Gemüts
      kur" vorbehalten geblieben, die methodische Regelung der
      religiösen Meditation wieder in unser religiöses Leben ein-
      zuführen.
          Das Erste, was im Gebet erstrebt wird, ist die Los-
      lösung des Geistes von äußeren Eindrücken, da diese der
      Konzentrierung der Gedanken auf ideale Ziele entgegen
      sind. Handbücher, wie des heiligen Ignatius „Geistliche
      Übungen", empfehlen dem Schüler, die äußeren Eindrücke
      durch stufenweis fortschreitende Bemühungen, sich heilige
      Dinge oder Vorgänge vorzustellen, zurückzudrängen. Der
      höchste Grad dieser Art von Selbst-Disziplinierung würde
      ein halb halluzinationsmäßiger Mono-Ideismus sein — z. B.
      der Art, daß das Bild Christi vom Geist ausschließlich
      Besitz nimmt. Solche Imaginationen — teils in realer, teils
      in symbolischer Bedeutung verstanden — spielen in der
      Mystik eine ungeheuer große Rolle [FN1]. Aber in gewissen
      Fällen können sie auch ganz fortfallen; ja in der höchsten
      Ekstase ist das sogar das Gewöhnliche. Der Bewußt-
      seinszustand läßt sich dann durch Worte nicht beschreiben.
      Darin stimmen alle mystischen Lehrer überein. Johannes
      vom Kreuz z. B., einer der hervorragendsten, beschreibt
      den Zustand der „Einheit der Liebe", der durch düstere
      Kontemplation erreicht werde, folgendermaßen: Die Gott-
      heit durchdringt die Seele, aber in so wunderbarer Weise,
      daß diese keinen Ausdruck dafür finden und durch kein
      Mittel, durch keinen Vergleich die Erhabenheit der Weisheit
      und die Zartheit des Gefühls, von dem sie erfüllt werde,
      veranschaulichen könne."

      Johannes vom Kreuz nach James

          „'Wir empfangen diese mystische Erkenntnis Gottes
      „nicht durch Bilder oder bildliche Darstellungen, deren [>379]

      1) M. Récéjac rechnet sie in seinem Buch: Fondements de la
      Connaissance Mystique (Paris 1897, S. 66) direkt zum Wesen der
      Mystik. Er definiert die letztere als das Streben, sich dem Abso-
      luten „moralement et par voie de symboles" zu nähern. Aber es
      gibt zweifellos auch mystische Zustände, für die vorstellungsmäßige
      Symbole keine Rolle spielen

      unser Geist sich sonst bedient. Da nun die Sinne und
      die Einbildungskraft nicht mit im Spiel sind, so erhalten
      wir durch diese Erkenntnis weder Gestalt noch Zeichen;
      auch können wir keinen Bericht darüber geben, noch etwas
      als Gleichnis heranziehen; und doch dringt diese geheimnis-
      volle und süße Weisheit tief in unsre innerste Seele.
      Man denke sich einen Menschen, der etwas zum erstenmal
      in seinem Leben sieht. Er kann es verstehen, gebrauchen
      und genießen, aber er weiß es weder zu benennen, noch
      zu beschreiben, obwohl es nur ein reines Sinnending ist.
      Um wieviel weniger wird er das können, wenn es über
      die Sinne hinausgeht. Das ist die Eigentümlichkeit der
      göttlichen Sprache. Je innerlicher, geistiger und über-
      sinnlicher sie ist, je mehr geht sie über die Sinne hinaus,
      sowohl über die inneren als über die äußeren und erlegt
      ihnen Schweigen auf. Die Seele fühlt sich dann wie in
      einer großen, tiefen Einsamkeit, zu der nichts Geschaffenes
      Zugang hat, in einer unendlichen, grenzenlosen Einöde,
      einer Einöde, die um so köstlicher ist, je einsamer sie ist.
      In diesem Abgrund der Weisheit wächst die Seele, indem
      sie aus den Quellen der Erkenntnis der Liebe trinkt und
      erkennt, daß unsere Worte, so erhaben und gelehrt sie
      auch sein mögen, doch ganz gemein, nichtssagend und
      ungeeignet sind, wenn wir sie auf göttliche Dinge an
      wenden wollen [FN1].'"

      1) Saint Jean de la Croix: La Nuit obscure de l'Ame II, Kap. 17,
      in: Vie et Oeuvres, 3. Aufl., Paris 1893, Bd. 3, S. 428—432
       
      "Die innere Erleuchtung ist aber für uns das wesentliche
      Merkmal der mystischen Zustände." (S. 379)

          "Auf die weiteren Einzelheiten der verschiedenen Stufen
      des mystischen Lebens, wie sie von katholischen Schrift-
      stellern dargelegt werden, gehe ich nun aber nicht ein, da
      sie für unsern Zweck bedeutungslos sind. Ebenso über-
      gehe ich hier die Gesichts- und Gehörs-Halluzinationen,
      die Stigmatisierung, das „Schweben" und ähnliche Er-
      scheinungen, die vielfach von Mystikern berichtet werden:
      denn eine wesentlich und spezifisch mystische Bedeutung
      haben sie alle nicht. Wenn sie bei Personen von nicht
      mystischer Gemütsart vorkommen, wie es oft der Fall ist,
      so treten sie ohne jedes Bewußtsein von Erleuchtung auf.
      Die innere Erleuchtung ist aber für uns das wesentliche
      Merkmal der mystischen Zustände. Ihre Bedeutung für
      die Erkenntnis und ihr Offenbarungswert interessierten [>380]
      uns in erster Linie, und es ist leicht durch Belegstellen
      zu zeigen, einen wie starken Eindruck sie als Offenbarungen
      von neuen Wahrheiten hinterlassen. Die heilige Therese
      weiß solche Zustände am besten zu schildern; deshalb will
      ich sofort anführen, was sie von einem der höchsten, von
      dem „Gebet um Einheit" sagt:"

      Heilige Therese nach James

          „'In dem Gebet um Einheit ist die Seele völlig wach
      für alles, was Gott betrifft, aber tief im Schlaf den Dingen
      der Welt und sich selbst gegenüber. Solange die Ver-
      einigung dauert, ist sie gleichsam jeder Empfindung
      beraubt, und selbst wenn sie wollte, könnte sie an nichts
      denken. Deshalb braucht sie sich gar nicht weiter Mühe
      zu geben, den Gebrauch des Verstandes auszuschalten.
      Er bleibt in solcher Untätigkeit, daß sie weder weiß, was
      sie liebt, noch wie sie liebt, noch was sie will. Kurz, sie
      ist für die Dinge der Welt wie tot und lebt einzig in
      Gott . . . Ich weiß nicht, ob sie in diesem Zustand noch
      genug Leben zum Atmen übrig hat. Es scheint mir fast,
      als wäre es nicht der Fall, oder wenigstens, wenn sie
      atmet, daß sie es selbst nicht weiß. Ihr Verstand möchte
      wohl gern wissen, was in ihr vorgeht; aber er hat dann
      so wenig Kraft, daß er durchaus unwirksam ist. Wenn
      jemand in eine tiefe Ohnmacht fällt, so erscheint er wie
      tot. So hebt Gott, wenn er eine Seele zur Vereinigung
      mit sich emporhebt, die natürliche Wirksamkeit aller ihrer
      Fähigkeiten auf. Sie sieht, hört und versteht nichts, so
      lange sie mit Gott vereint ist. Aber die Zeit der Ver-
      einigung dauert nie lange und erscheint noch kürzer, als
      sie tatsächlich ist. Gott erfüllt dann die Seele in einer
      Weise, daß es ihr, wenn sie wieder zu sich kommt, völlig
      unmöglich ist, daran zu zweifeln, daß sie in Gott und
      Gott in ihr gewesen. Diese Wahrheit bleibt ihr so tief
      eingeprägt, daß sie die Gnade, die sie empfangen hat,
      weder vergessen, noch an ihrer Wirklichkeit zweifeln kann,
      selbst wenn viele Jahre vergehen sollten, ohne daß der-
      selbe Zustand wiederkehrte. Wenn nun jemand fragt,
      wie es denn der Seele möglich ist, zu sehen und zu
      wissen, daß sie in Gott gewesen, da sie doch während
      der Vereinigung nichts sieht und versteht, so antworte
      ich, daß sie es nicht zu jener Zeit sieht, sondern später,
      wenn sie wieder zu sich gekommen ist; nicht in einer
      Vision, aber vermöge einer Gewißheit, die ihr stets ver-
      bleibt, und die allein Gott geben kann . . .  [>381]
          Aber wie, wird man von neuem fragen, kann man
      einer Sache so gewiß sein, die man nicht sieht? Darauf
      weiß ich keine Antwort. Das sind Geheimnisse der All-
      macht Gottes, in die es mir nicht ziemt, einzudringen.
      Alles, was ich weiß, ist, daß ich die Wahrheit spreche.
      Und ich werde nie glauben, daß eine Seele, die diese
      Gewißheit nicht besitzt, wirklich mit Gott vereint ge-
      wesen ist [FN1]."

          Die auf mystischem Wege zu gewinnenden Wahrheiten
      sind verschiedener Art. Einige beziehen sich auf diese Welt,
      die Sinnen- und Erscheinungswelt: das Schauen der Zukunft,
      das Verstehen fremder Seelen, das plötzliche Verstehen
      von Schriftworten, die Erkenntnis ferner Ereignisse. Die
      wichtigsten Offenbarungen aber sind theologischen oder
      metaphysischen Charakters."

      Ignatius von Loyola nach James

      „'Der heilige Ignatius bekannte eines Tages dem Vater
      Laynez, eine einzige Stunde religiöser Meditation in Manresa
      habe ihn mehr über göttliche Dinge gelehrt, als die Weis-
      heit aller Gelehrten zusammengenommen ihn hätte lehren
      können . . . Eines Tages sah er im Gebet auf den Stufen
      des Chors der Dominikaner-Kirche deutlich den Plan der
      göttlichen Weisheit bei der Weltschöpfung. Ein andermal
      geriet er während einer Prozession in Verzückung und sah
      — freilich in Formen und Bildern, die dem schwachen Ver-
      stande eines Erdenbewohners angepaßt waren — das tiefe
      Geheimnis der heiligen Dreieinigkeit. Diese Vision erfüllte
      sein Herz mit solcher Wonne, daß ihn schon das Andenken
      daran später in Tränen ausbrechen ließ [FN2]."

      Therese-2 nach James

          "Ähnlich die heilige Therese. Sie schreibt: 'Eines
      Tages im Gebet wurde es mir gegeben, in einem Augen-
      blick alle Dinge in Gott zu schauen. Ich sah sie nicht
      in ihrer eigentlichen Gestalt, aber mit solcher Klarheit,
      daß sie mir stets lebendig vor der Seele stehen. Dies ist
      eine der höchsten Gnadenbezeugungen , die mir der Herr
      gewährt hat. Der Anblick war so zart und fein, daß der
      Verstand ihn nicht fassen kann.'
          Dann erzählt sie weiter, wie die Gottheit ihr wie ein
      großer Diamant von leuchtender Klarheit vorgekommen [>382]

      1) Sainte Therese (Oeuvres trad. par Bouix): Le Château In-
      terieur, 5. Demeure, Kap. 1.
      2) Bartoli-Michel : Vie de Saint Ignace de Loyola, 1 S. 34-36

      sei, in dem alle unsere Handlungen in ihrer ganzen Sünd-
      haftigkeit deutlicher als je zu erkennen waren. Ein ander-
      mal erzählt sie, als sie das Athanasianische Glaubens-
      bekenntnis sprach,

      Therese-3 nach James

          „'ließ mich der Herr erkennen, wie ein Gott in drei
      Personen sein kann. Er ließ es mich so deutlich sehen,
      daß ich ebenso erstaunt wie getröstet war, und wenn ich
      jetzt an die heilige Dreieinigkeit denke oder davon
      sprechen höre, so weiß ich, wie die drei anbetungswürdigen
      Personen nur ein Gott sind, und ich empfinde ein unaus-
      sprechliches Glück dabei.'
          Wieder bei einer andern Gelegenheit wurde der heiligen
      Therese offenbart, wie die Mutter Gottes in den Himmel
      aufgenommen ward [FN1].

          Die Wonne einiger dieser Zustände scheint jedes
      sonstige Glücksgefühl zu übersteigen. Sie scheint auch
      organische Empfindungen mit einzuschließen, denn es heißt
      manchmal, sie sei für den Menschen zu groß und grenze
      an körperlichen Schmerz. Aber sie ist zu fein und zu
      durchdringend, als daß Worte sie beschreiben könnten.
      Man bedient sich daher bildlicher Ausdrücke und spricht
      von Gottes Berührungen, von den Wunden seiner Speere, von
      Trunkenheit und von ehelicher Vereinigung. Verstand und
      Sinne vergehen in diesen höchsten Zuständen der Be-
      geisterung. „Wenn unser Verstand etwas erfaßt, so geschieht
      es doch so, daß es ihm selbst unbewußt bleibt, und er
      versteht nichts von dem, was er erfaßt. Ich selbst glaube
      nicht, daß er etwas erfaßt, weil, wie ich sagte, er selbst
      nichts davon weiß. Ich bekenne, es ist für mich ein un-
      durchdringliches Dunkel [FN2]. ..."

      Jakob Böhme nach James

      "... Auch Jakob Böhmes Schilde-
      rungen der VerzückungenJWM382meK14 und Visionen, die er gehabt, sind
      sehr charakteristisch und instruktiv. Er schreibt z. B.:

      'Als sich aber in solcher Trübsal mein Geist, von dem
      ich wenig und nichts verstand, was er war, ernstlich in
      Gott erhob, als mit einem großen Sturme, und mein ganzes
      Herz und Gemüt samt allen andern Gedanken und Willen [>383]

      1) Sainte Thérèse, Autobiographie, Kap. 39 f.
      2) Sainte Thérèse, Autobiographie, Kap. 18.

      sich darein schloß, ohne nachzulassen mit der Liebe und
      Barmherzigkeit Gottes zu ringen, er segne mich denn, das
      ist, erleuchte mich mit seinem heiligen Geiste, damit ich
      seinen Willen verstehen möchte und meine Traurigkeit
      los werden; so brach der Geist durch.
          Als ich aber in meinem angesetzten Eifer so hart
      wider Gott und alle Höllen-Pforten stürmte, als wären in
      mir noch mehr Kräfte vorhanden, in Willens, das Leben
      daran zu setzen, welches freilich nicht mein Vermögen ohne
      des Geistes Gottes Beistand gewesen wäre; so ist alsbald
      nach etlichen harten Stürmen mein Geist durch die Höllen-
      pforte bis in die innerste Geburt der Gottheit durch-
      gebrochen und allda mit Liebe umfangen worden, wie
      ein Bräutigam seine liebe Braut umfänget.
          Was aber für ein Triumphieren in dem Geiste ge-
      wesen sei, kann ich nicht schreiben noch reden, es läßt
      sich auch mit nichts vergleichen, als nur mit dem, wo
      mitten im Tode das Leben geboren wird, und es ver-
      gleicht sich der Auferstehung von den Toten.
          In diesem Lichte hat mein Geist alsbald durch alles
      gesehen und an allen Kreaturen, an Kraut und Gras Gott
      erkannt, wer er, wie er, und was sein Wille sei. Auch so
      ist alsbald in diesem Lichte mein Wille gewachsen mit
      großem Trieb, das Wesen Gottes zu beschreiben.
          Weil ich aber die tiefen Geburten Gottes in ihrem
      Wesen nicht fassen und in meiner Vernunft nicht begreifen
      konnte, so hat sichs wohl Jahre verzogen, ehe mir der
      rechte Verstand gegeben worden ist. . .
          Von diesem Lichte habe ich nun meine Erkenntnis,
      dazu meinen Willen und Trieb, und diese Erkenntnis will
      ich meinen Gaben gemäß beschreiben und Gott walten
      lassen, sollte ich gleich damit die Welt, den Teufel und
      aller Höllen Pforten erzürnen, und will zusehen, was Gott
      damit meint. Denn seinen Vorsatz zu erkennen, dazu
      bin ich viel zu schwach, obgleich der Geist etliche Dinge,
      die zukünftig sind, im Lichte zu erkennen giebt, so bin
      ich doch dem äußerlichen Menschen nach viel zu schwach,
      solches zu begreifen [FN1].'
          In dem Zustande, der von den scholastischen Theo- [>384]

              1) Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang, Kap. 19
      (Ausgabe von Schiebler, II, S. 212 ff; eine neue Ausgabe der Böhme
      schen Erstlingsschrift — nebst zweier weiteren — hat Jos. Grabisch
      im Verlag von Piper, München, veranstaltet).

      logen als raptus (VerzückungJWM384meK14) bezeichnet wird, sind Atmung
      und Blutzirkulation so schwach, daß von jenen darüber
      gestritten worden ist, ob die Seele zeitweilig vom Körper
      getrennt sei oder nicht. Für die moderne medizinische
      Beurteilung sind dagegen diese Verzückungen lediglich
      Suggestionszustände, die in geistig-intellektueller Beziehung
      durch abergläubische Vorstellungen, in körperlicher Be-
      ziehung durch Degeneration und Hysterie bedingt sind.
      Und zweifellos sind auch solche pathologischen Bedingungen
      in vielen, ja vielleicht in allen Fällen vorauszusetzen: aber
      damit ist über den Wert des Bewußtseinszustandes, den
      sie herbeiführen, noch gar nicht entschieden. Die Wert-
      beurteilung kann vielmehr allein von der Frage nach dem
      praktischen Lebensertrag aus erfolgen.
      ..."

      Therese-4: Verzückung als Heilmittel

      ... [>385]
          "Die heilige Therese bezeugt das Gleiche in ebenso
      emphatischer Weise. Ihre Beschreibung von der Wirkung
      gewisser Verzückungszustände, die die Seele dauernd auf
      eine höhere Stufe des Gefühls erheben, gibt uns eine
      Schilderung von dem Werdeprozeß eines neuen persönlichen
      Innenlebens, wie wir ihn in der Literatur nur selten finden:
          'Vor der VerzückungJWM385meK14 oft schwach und von schreck-
      licher Pein niedergedrückt, fühlt man sich nachher gesund
      und wunderbar schaffensfreudig . . . als wenn es Gottes
      Wille wäre, daß der Körper, der den Wünschen der Seele
      nachkommt, nun auch an ihrem Glück teilhaben sollte. . .
      Die Seele ist nach solcher Gnadenbezeugung von so starkem
      Mut erfüllt, daß sie, selbst wenn der Körper in jenem
      Augenblick um der Sache Gottes willen in Stücke gerissen
      würde, doch nur das lebhafteste Entzücken empfände.
      Das sind die Stunden heroischer Gelübde und gewaltiger
      Entschlüsse. . . . Welches Königreich ist demjenigen einer
      Seele vergleichbar, die von dem erhabenen Gipfel, auf den
      Gott sie geführt hat, alle Dinge der Erde zu ihren Füßen
      sieht und sich doch von keinem gefangen nehmen läßt?
      Wie sie sich jetzt ihrer früheren Leidenschaften schämt,
      wie erstaunt sie über ihre Blindheit ist! Welch lebhaftes
      Mitleid sie mit allen denen empfindet, die sie noch vom
      Dunkel umhüllt sieht! Sie stöhnt bei dem Gedanken, daß
      sie je auf ihre Ehre bedacht gewesen ist, und daß sie je
      das für Ehre angesehen hat, was die Welt so nennt.
      Jetzt sieht sie in diesem Wort nichts als eine ungeheure
      Lüge, der die Welt zum Opfer gefallen ist. Sie erkennt
      durch das neue Licht von oben, daß der wahren Ehre [>386]
      nichts Unechtes anhaftet, und daß man diese Ehre wahrt,
      wenn man das achtet, was wirklich Achtung verdient, und
      das für nichts oder weniger als nichts hält, was vergeht
      und Gott nicht angenehm ist. . . Sie lacht über sich selbst
      bei dem Gedanken, daß es je eine Zeit gegeben, da sie
      auf Geld und äußeres Gut Wert legte, es sich sehnlichst
      wünschte. . . Ach wenn die Menschen doch darin überein
      kämen, es für unnützen Unrat zu achten, welche Eintracht
      würde dann in der Welt herrschen! Wie freundlich
      würden wir uns gegenseitig behandeln, wenn nur unser
      Streben nach Ehre und Geld aus der Welt käme! Meiner
      Meinung nach würde das ein Mittel gegen alle unsere
      Leiden sein [FN1].'"

      [>391] Fazit-James
       
          "Die Überwindung aller gewöhnlichen Schranken zwischen
      dem Individuum und dem Absoluten ist also die große
      mystische Leistung. Im mystischen Erlebnis wird der
      Mensch eins mit dem Unendlichen und wird sich dieser
      Einheit auch bewußt. Das ist die ewige und triumphierende
      Tradition der Mystik, die sich in den verschiedenen Ländern
      und Bekenntnissen kaum unterscheidet. In der Hindu- Religion, im Neuplatonismus, im Sufismus, in der christ-
      lichen Mystik und in der Lehre Whitmans hören wir die-
      selbe Sprache. Das sollte den Kritiker aufmerksam machen
      und ihn nachdenklich stimmen. Diese innere Überein-
      stimmung ist der Grund, daß die mystischen Klassiker, wie
      man gesagt hat, keinen Geburtstag und kein Vaterland
      haben. Da sie stets von der Einheit des Menschen mit
      Gott sprechen, nimmt ihre Rede alle Sprachen vorweg und
      sie werden niemals alt [FN1]."



    Das Geheimnis der Mystik Zeittafel und Zitate [Online]



    Mystische Praktiken  - mystische Kompetenz erwerben

    Borchert schreibt S.361 im Abschnitt: "ES GIBT VIELE WEGE"
        "Es erwiesen sich viele Wege als möglich, auch gegensätzliche. Manche Wege beruhen auf der Einheit zwischen Geist und Leib; die Atmung im Osten und das Jesusgebet, der Tanz bei den Derwischen, Körperbeherrschung beim Yogi. Es gibt aber auch den Weg der Befreiung des Geistes aus dem Körper, wie [>362] bei Mani und den Katharern. Es gibt einen Weg, bei dem Nachdruck auf das „Licht" und auf Verstand, Bewußtseinserweiterung und Konzentration gelegt wird. Aber es gibt auch einen Weg der Emotion, bei dem die Leidenschaft, der Liebesschmerz, Läuterung und Reinheit betont werden. Und es gibt den Weg des Genießens - Tantra - sowie der Verweigerung jedes Genusses bei vielen anderen in Ost und West; wie es auch sowohl im Osten als auch im Westen einen Weg des Nicht-Tuns, der Schaffung einer Höhle, einer Leere gibt. ...  Man kann den Weg suchen, abgesondert von der Gesellschaft, als Einsiedler oder in einem Kloster; oder eben im Zentrum der Kultur selbst. Man kann hier angewiesen sein auf ein Buch, eine Gemeinschaft um Buch oder Liturgie, auf einen „Meister" oder einen Guru, auf Kurse, Sekten, Kommunen, Basisgemeinden."



    Mystisches Erleben als Wendepunkt im Leben (Saulus-Paulus-Erlebnis)

    Thomas von Aquin
    Borchert (1994). S.32: "... Als Thomas von Aquin seine „Summa", das umfassendste theologische Werk des Mittelalters, fast vollendet hatte, erhielt er eine mystische Erfahrung. Er sagte: „Verglichen mit dem, was ich geschaut habe, kommt mir alles, was ich geschrieben oder gedacht habe, wie Streu vor." Seitdem schwieg er. Seine Summa blieb unvollendet." Merkwürdigerweise habe ich hierüber in der Rowohlt Bildmonographie von  M.-D. Chenu über Thomas von Aquin keine Belegstelle gefunden.
     



    Mystische Sprache und Ausdrucksformen
     
    "Mystische Sprache ist ein Versuch, das Unsagbare zu sagen. ... Typisch für mystische Sprache ist jedoch der paradoxe Charakter derselben." Borchert (1994), S. 29

    Bruno  Borchert  hat in seinem Mystik-Buch ein ganzes Kapitel zu Sprache untergebracht. Aus dem Inhaltsverzeichnis:

        "Die mystische Sprache

       
      Paradox sprechen und schweigen   29
      Ein ganz unterschiedlicher Sprachgebrauch   35
      Anreize und Atmosphäre, die die Form bestimmen   38
      Riechen, hören, sehen, schmecken, fühlen   49
      Die Sprache der Verliebten   51
      Die Sprache der Erleuchteten   54
      Die Sprache der Tat   57"


        Borchert führt S. 29 im ersten Abschnitt "PARADOX SPRECHEN UND SCHWEIGEN" aus:

      "Mystische Sprache ist ein Versuch, das Unsagbare zu sagen. Dabei geht es nicht so sehr darum, wie man etwas erlebt, als vielmehr darum, was man erlebt. Die Sprache von Verliebten und die von Mystikern unterscheiden sich oft nicht sehr voneinander, Johannes vom Kreuz arbeitete zum Beispiel volkstümliche Liebeslieder und zeitgenössische profane Liebeslyrik in seine mystische Poesie ein. Typisch für mystische Sprache ist jedoch der paradoxe Charakter derselben. Was behauptet wird, wird B zugleich wieder verneint. In der vorhandenen Sprache ist offensichtlich kein Wort zu finden, das genau angibt, was man erfährt. Um ein Beispiel zu nennen, Jean-Joseph Surin sagt:
        „Sein Werk ist Verwüsten, Zerstören und zugleich Neuschaffen, Aufrichten, Erwecken. Er ist wunderbar schrecklich und wunderbar zart. Je schrecklicher er ist, um so liebenswerter und anziehender ist er ... Er ist geizig und freigebig, großherzig und eifersüchtig. Er verlangt alles und gibt alles." [FN9]
    _
    Hermann Kunisch (1958), S. 11: "DAS UNANGEMESSENE WORT
    "Das Sprechen der Mystiker ist von zwei Grundzügen bestimmt: einmal dem inneren Drang, sich mitteilen zu müssen, da die Gewalt des Erfahrenen übermäßig ist; zum anderen von der Not, das, was man eigentlich sagen möchte, nicht angemessen ausdrücken zu können, da es alle Maße des Begreifens, Fühlens und Sprechens übersteigt. Von da her erklärt sich die innere Bewegung, die alle mystischen Texte durchströmt, die Fülle der Bilder, mit denen man das im Grunde Unsagbare zu umschreiben versucht; andererseits aber auch die Helligkeit und Durchsichtigkeit der geistigen Sprache aus dem Bemühen heraus, der Höhe des Gegenstandes — Gott, Seele und die Vereinigung beider — gerecht zu werden. Die Mystiker sehen sich also gedrängt, von etwas sprechen zu müssen, von dem sie wissen, daß es sich, eigentlich dem Worte entzieht, da es «über alle Worte und Weise, ja über alles, das man nennen und begreifen kann», hinausgeht. ..."

    Dionysius Areopagita nach James S. 389
    "... Dionysius Areopagita (d. h. der große Unbekannte, der in der Kirchengeschichte diesen Namen führt), der Vater aller christlichen Mystik, beschreibt die absolute Wahrheit ausschließlich durch Negationen:
        'Die Ursache aller Dinge ist weder Seele noch Geist. Weder hat sie Einbildungskraft, Verstand und Einsicht, noch ist sie selber Verstand und Einsicht. Man kann sie weder aussprechen noch denken. Weder Zahl noch Ordnung, weder Erhabenheit noch Kleinheit, weder irgend welche Gleichheit noch Ungleichheit, weder irgendwelche Ähnlichkeit noch Unähnlichkeit kann von ihr ausgesagt werden. Sie bewegt sich nicht, aber sie ruht auch nicht. Sie ist weder das Sein, noch die Ewigkeit, noch die Zeit. Sie ist weder Wissenschaft noch Wahrheit, weder Herrschaft noch Weisheit. Nicht Eins, nicht Einheit, nicht Göttlichkeit oder Güte, selbst nicht einmal Geist, wie wir ihn kennen", usw.[FN1]'"


    Mystik in Rudolf Eisler Wörterbuch der Philosophie
    "Mystik (von, myô, schließen, nämlich die Augen, um in die Innenwelt sich zu versenken) ist die (vermeintliche) Erfassung des Übersinnlichen, Göttlichen, Transzendente (nicht durch die Sinne, nicht durch Vernunft, sondern) durch eigenartige innere Erfahrung, durch unmittelbare (intellektuelle) Intuition (s. d.), Contemplation (s. d.), gefühlsmäßiges Erleben, liebendes Erfassen im Zustande der Ekstase (s. d.); Streben nach Versenkung in die Tiefen des eigenen Gemüts, um so der Vereinigung mit dem göttlichen Sein (»unio mystica«) auf unbegreifliche, geheimnisvolle Weise teilhaftig zu werden; die mystische Lehre, das mystische Verhalten.
        Mystische Elemente finden sich bei verschiedenen Metaphysikern, wie PLATO; CARDANUS, PICO, CAMPANELLA, AGRIPPA, PARACELSUS, NICOLAUS CUSANUS; G. BRUNO, PASCAL, MALEBRANCHE, SPINOZA (»amor Dei intellectualis«); F. VON SCHLEGEL, NOVALIS, SCHELLING, CHR. KRAUSE, F. BAADER, SCHOPENHAUER, FECHNER, E. V. HARTMANN, NIETZSCHE, u. a. Mystiker sind insbesondere die indischen Theosophen, die Orphiker, die Neupythagoreer (s. d.), Neuplatoniker (s. d.); die Gnostiker (s. d.), die Kabbalâ, DIONYSIUS AREOPAGITA, BERNHARD VON CLAIRVAUX, BONAVENTURA, RICHARD und HUGO VON ST. VICTOR, RAYMUND VON SABUNDE, die Begharden, der Sûfismus; ferner ECKHART, TAULER, SUSO, RUYSBROEK, GERHART GROOT, THOMAS A KEMPIS, der Verfasser der »deutschen Theologie« (hrsg. von F. Pfeiffer 1858), VAL. WEIGEL, CASP. SCHWENKFELD, SEBAST. FRANK, J. BÖHME, ROB. FLUDD, ANGELUS SILESIUS, SWEDENBORG, ST. MARTIN, JACOBI, F. J. MOLITOR, PERTY, WL. SSOLOWJOW u.a. Einige Mystiker nähern sich dem PANTHEISMUS (s. d.). - SCHELLING erklärt: »To mystikon heist alles, was verborgen, geheim ist.«. Das »vorzugsweise Mystische ist gerade die Natur«. »Mystiker ist... niemand durch das was er behauptet, sondern durch die Art, wie er es behauptet. Mysticismus drückt nur den Gegensatz gegen formell wissenschaftliche Erkenntnis aus.« »Mysticismus kann nur jene Geistesbeschaffenheit genannt werden, welche alle wissenschaftliche Begründung oder Auseinandersetzung verschmäht, die alles wahre Wissen nur von einem sogenannten innern, auch nicht allgemein leuchtenden, sondern im Individuum eingeschlossenen Licht, aus einer unmittelbaren Offenbarung, aus bloßer ekstatischer Intuition oder aus bloßem Gefühl herleiten will« (WW. I 10, 191 f.). SUABEDISSEN spricht von der »Mystik, die uns im Schauen der Seele aufgeht« (Psychol. S. 117). »Dem Mystiker gilt der Begriff nicht mehr viel, aber sein Gemüt und seine Phantasie sind vom Überirdischen erfüllt« (l.c. S. 118). Nach ULRICI besteht das Mystische darin, »daß wir uns bewußt sind, einen Gedanken haben, ein Sein annehmen zu müssen, und doch mit unsern Versuchen, es in einen Begriff zu fassen, ihn auszudenken, immer wieder scheitern«. Das Mystische ist »ein unaustilgbares Moment unseres Denkens, Erkennens und Wissens« (Gott u. d. Nat. S. 639). V. COUSIN bemerkt: »Le mysticisme contient un scepticisme pusillanime à l'endroit de la raison, et en même temps une foi aveugle et portée jusqu' à l'oubli de toutes les conditions imposées à la nature humaine« (Du vrai p. 105). Gegen die Mystik betont er: »Le sentiment par lui-même est une source d'emotion, non de connaissance. La seule faculté de connaître, c'est la raison« (l.c. p. 114) [GÜ: Mystik enthält eine kleinmütige Skepsis gegenüber der Vernunft und zugleich ein bis zur Vergessenheit aller der menschlichen Natur auferlegter Bedingungen getriebener blinder Glaube. Gegen die Mystik betont er: „Das Gefühl an sich ist eine Quelle des Gefühls, nicht des Wissens. Die einzige Fähigkeit zu wissen ist der Verstand]. »La vraie union de l'âme avec Dieu se fait par la vérité et par la vertu. Tout autre union est une chimère, un péril, quelquefois un crime« (l.c. p. 115). »L'extase, loin d'élever l'homme jusqu' à Dieu, l'abaisse au-dessous de l'homme; car elle efface en lui la pensée en ôtant sa condition, qui est la conscience« (l.c. p. 126) [Die wahre Vereinigung der Seele mit Gott entsteht durch Wahrheit und Tugend. Jede andere Vereinigung ist eine Chimäre, eine Gefahr, manchmal ein Verbrechen“ (l.c. S. 115). Ekstase, weit davon entfernt, den Menschen zu Gott zu erheben, erniedrigt ihn unter den Menschen; weil es in ihm den Gedanken auslöscht, indem es seine Bedingung beseitigt, die das Gewissen ist“ (l.c. S. 126)]. Für die Mystik spricht R. STEINER. Gott ruht in den Dingen, da er sich allem hingegeben. Der Mensch muß ihn schaffend erlösen. »Der Mensch blickt nun in sich. Als verborgene Schöpferkraft, noch daseinlos, pocht das Göttliche in seiner Seele. In dieser Seele ist eine Stätte, in der der verzauberte Gott wieder aufleben kann. Die Seele ist die Mutter, die den Gott aus der Natur empfangen kann. Lasse die Seele sich von der Natur befruchten, so wird sie ein Göttliches gebären. Aus der Ehe der Seele mit der Natur und Gott geboren. Das ist nun kein ›verborgener‹ Gott mehr, das ist ein offenbarer Gott.« »Die mystische Erkenntnis ist damit ein wirklicher Vorgang im Weltprocesse. Sie ist eine Geburt Gottes« (Das Christent. als myst. Tatsache S. 23 f.; vgl. Die Mystik im Anfange neuzeitl. Geistesleb.). Auch DU PREL schätzt die Mystik hoch (Philos. d. Myst.; Monist. Seelenlehre S. 11). Vgl. W. JERUSALEM, Einf. in d. Philos.2; NOACK, Die christl. Mystik 1853; F. PFEIFFER, Deutsche Mystiker d. 14. Jahrhund. 1845/1857; J. H. TH. SCHMID, Gesch. d. Mysticism. im Mittelalter; GODFERNAUX, Sur la psychologie du mysticisme, Rev. philos. 53, 1902, p. 158 ff. - Vgl. Theosophie, Emanation, Gott."

       


    Mystische Ziele  > Fazit-James.
     



    Signierungssystem (Quelle)  4. Version um a, k, ak am 09.03.2023 und 7 \g am 10.03.2023 ergänzt
    Mystisches Erleben wird als spezielles Erlebens signiert.
     
    e
    <  Erleben      Differenzierung     > Erlebnis
    E
    e0
    wach, erlebnisfähig
    E0
    e1
    dabei, zugegen, Zeuge
    E1
    e2
    innere Wahrnehmung
    E2
    e3
    besonderes 
    E3
    er
    reines Erleben, Erlebnis
    Er
    epr
    praktisch reines Erleben, Erlebnis
    Epr
    es
    spezielles
    Es
    e?
    unklar
    E?
    eg
    sachlich-gegenständlich
    Eg
    ea
    affektives Erleben
    Ea
    ek
    kognitives Erleben
    Ek
    eak
    sowohl affektiv als auch kognitiv
    Eak
    ez
    zentriert auf den Erlebnischarakter
    Ez

    Anmerkung Carnap: hier ist EE für Elementarerlebnis
    vorgesehen, obwohl unklar ist, was ein Elementarerlebnis
    von einem Erlebnis unterscheidet.
     



    Literatur (Auswahl)
     
    • Albert, Karl (1996) Einführung in die philosophische Mystik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
    • Albrecht, Carl (1951) Psychologie des mystischen Bewußtseins. Bremen:
    • Albrecht, Carl (1958) Das mystische Erkennen. Gnoseologie und philosophische Relevanz der mystischen Relation. Bremen: Carl Schünemann Verlag
      • Albrecht, Carl (1974) Das mystische Wort. Erleben und Sprechen in Versunkenheit. Dargestellt und herausgegeben von Hans A. Fischer-Barnicol. Mit einem Vorwort von Karl Rahner. Mainz 1974.
    • Balmer, Hans Peter (2018) Es zeigt sich. Hermeneutische Perspektiven spekulativer Mystik. Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität, München 2018, (online).
    • Borchert, Bruno (1994) Mystik. Das Phänomen – Die Geschichte – Neue Wege. Langewiesche, Königstein i. Ts. 1994,
    • Chenu, M.-D. (1960) Thomas von Aquin. Reinbek: Rowohlt
    • Dinzelbacher, Peter (1998, Hrsg.): Wörterbuch der Mystik (= Kröners Taschenausgabe. Band 456). 2., ergänzte Auflage. Stuttgart: Kröner.
    • Eisler, Rudolf (1904) Mystik im Wörterbuch der philosophischen Begriffe. [Online]
    • Gasper, Hans; Müller, Joachim & Valentin, Friederike (1995). Mystik in (Sp. 711-719)  Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen. Fakten, Hintergründe, Erklärungen. Freiburg: Spektrum.
    • Gnädinger, Louise  (1994) Deutsche Mystik, 3. Auflage, mit 15 Farbtafeln. Zürich: Manesse Verlag.
    • Heidrich, Peter & Lessing, Hans-Ulrich (1984) Mystik, mystisch. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 6, Schwabe, Basel 1984, S. 268–279.
    • Heigl, Peter (1980) Mystik und Drogenmystik. Ein kritischer Vergleich. Düsseldorf: Patmos.
    • Hepburn, Ronald W &  Kwan, Kai-man (2006) Mysticism, Nature and Assessment of. In: Encyclopedia of Philosophy. 2. Auflage, Band 6, Thomson Gale, Detroit 2006, S. 453–462.
    • James, William (engl. 1920) The Variaties of the religious experience. A Study in Human Nature. Erstauflage 1902. [Online]
    • James, William (dt. 1907) Die Mystik in (356-400) Die religiöse Erfahrung. Leipzig: Hinrich'sche Buchhandlung. [Online]
    • Kuhn, Helmut (1975)  Liebe. Geschichte eines Begriffs. München. Kösel.
    • Kunisch, Hermann (1958, Hrsg.) Eckhart, Tauler, Seuse. Ein Textbuch aus der altdeutschen Mystik. Reinbek: Rowohlts Klassiker.
    • Landauer, Gustav (1923) Skepsis und Mystik.  2. Auflage. Kölm: Marcan-Block.
    • McGinn, Bernard;  Dupré, Louis & Moore, Peter  (2005) Mystical Union in Judaism, Christianity, and Islam und Mysticism. In: Encyclopedia of Religion. 2. Auflage, Band 9, Thomson Gale, Detroit S. 6334–6359.
    • Norman, Ralph (2004) Rediscovery of Mysticism. In: Gareth Jones (Hrsg.): The Blackwell Companion to Modern Theology. Blackwell Publishing 2004, S. 459ff.
    • Schaber, Johannes & Thurner, Martin (2019, Hrsg.), Philosophie und Mystik – Theorie oder Lebensform? Freiburg: Alber.
    • Schäfer, Peter (2006) Wege mystischer Gotteserfahrung: Judentum, Christentum und Islam (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien. Band 65). Oldenbourg, München 2006, (Online).
    • Sells, Michael  (1994) Mystical Languages of Unsaying. Chicago. University of Chicago Press, (u. a. zu Plotin, Eriugena, Ibn Arabi, Marguerite Porete und Meister Eckhart)
    • Smart, Ninian (2006) History of Mysticism. In: Encyclopedia of Philosophy. 2. Auflage, Band 6, Thomson Gale, Detroit p. 441–453.
    • Sölle, Dorothee (1999) Mystik und Widerstand. „Du stilles Geschrei“. München: Piper.
    • Stein, Edith () Wege der Gotteserkenntnis. Studie zu Dionysius Areopagita und Übersetzung seiner Werke. [Online Ohne Ort und Ausgabedatum und Seitenzahlen im Text]
    • Torini, Marco S. (1994) Apophatische Theologie und göttliches Nichts. Über Traditionen negativer Begrifflichkeit in der abendländischen und buddhistischen Mystik. In: Tradition und Translation. Zum Problem der interkulturellen Übersetzbarkeit religiöser Phänomene. Berlin u. a.: De Gruyter, S. 493–520.
    • Waldemar, Charles (1959) Emanuel Swedenborg. Vision und Ekstase. Auswahl und Einleitung von Charles Waldemar. München: Goldmann.
    • Waldemar, Charles (1959) Jakob Böhme. Der schlesische Mystiker. Einleitung und Auswahl von Charles Waldemar.  München: Goldmann gelbe Taschenbücher.
    • Walther, Helmut Das Geheimnis der Mystik Zeittafel und Zitate [Online]
    • Werner, Martin  (1989): Mystik im Christentum und in außerchristlichen Religionen. Tübingen: Katzmann.
    • Zimmermann, Hans Dieter (1981, Hrsg.) Rationalität und Mystik. Frankfürt / M.: Insel. Mit Beiträgen von Ernst Bloch, Martin Buber, Meister Eckart, Martin Heidegger, Werner Heisenberg, Franz Kafka, Wassily Kandinsky, Gustav Landauer, Fritz Mauthner, Robert Musil, Ludwig Wittgenstein, Angelus Silesius, Jakob Böhme, Dionysos Areopagita, Johann Georg Hamann, Hildegard von Bingen, Johannes Kepler, Plotin und aus dem Buche Sohar.




    Links  (Auswahl: beachte)



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    ___
    Erfahrung nach James S.453
        "Das Gesamtgebiet menschlicher Erfahrung besteht ja
    ausnahmslos aus zwei Teilen: einem objektiven und einem
    subjektiven Teil. Der erstere mag sehr viel ausgedehnter
    sein als der letztere: doch darf dieser nie übersehen oder
    übergangen werden. Der objektive Teil ist die Summe
    alles dessen, was wir zu irgend einer gegebenen Zeit vor-
    zustellen oder denkend zu erfassen vermögen; der subjektive
    Teil ist die innere Verfassung des Menschen, der vorstellt oder
    denkend erfaßt. Die Vorstellungsobjekte können gewaltigster
    und umfassendster Art sein (etwa die kosmischen Zeiten
    und Räume): doch kann der betreffende geistige Zustand
    vergänglich und armselig sein. Aber andererseits sind alle
    Objektvorstellungen über die Außenwelt nur ideale Bilder
    von Dingen, deren Existenz wir nicht innerlich besitzen, die
    wir nur als außer uns existierend voraussetzen. Der innere
    Zustand dagegen ist unser unmittelbares Erleben. Seine [>454]
    Realität und die unseres Erlebens sind ein und dasselbe.
    Eine Bewußtseinserfahrung (einschließlich des gefühlten oder
    gedachten Objektes, einschließlich einer bestimmten Haltung
    des Subjekts dem Objekt gegenüber, einschließlich des sich
    selbst denkenden Ich) — eine solche konkrete persönliche
    Erfahrung mag eine beschränkte sein, aber sie ist zuverlässig,
    solange sie dauert; nicht hohl und abstrakt wie das Objekt
    für sich betrachtet. Das ist ein ganzes Faktum, selbst wenn
    es nur ein unbedeutendes ist. Es ist von der Art, zu der
    alle Wirklichkeiten gehören müssen. Hier ahnt man die
    treibenden Kräfte der Welt. Wir sind auf der Linie, wo
    Wirklichkeiten sich an Wirklichkeiten reihen. Jenes Gefühl
    persönlichster Art, das jeder für sein eigenes Erleben hat,
    mag als Egoismus verunglimpft und als unwissenschaftlich
    verhöhnt werden: doch ist es das einzige, das uns tatsäch-
    lich gegeben ist. Alles, dem ein solches oder ähnliches
    Gefühl mangeln würde, wäre nur halbe Wirklichkeit.
        Wenn dem so ist, dann hat die Wissenschaft keinerlei
    Recht zu der Forderung, die persönlichen Erfahrungs-
    elemente sollten überhaupt und überall beiseite gelassen
    werden. Das Gebiet wirklicher Realitäten besteht aus-
    schließlich aus eigenen Erfahrungen. Wollte man die Welt
    nur objektiv beschreiben unter Ausschaltung all der ver-
    schiedenen Gefühle des persönlichen Interesses und all
    der verschiedenen sittlichen Haltungen, so hieße das einen
    Speisezettel statt einer wirklichen Mahlzeit bieten. Die
    Religion des Einzelnen mag egoistisch sein, und jene
    Realitäten, an die sie sich hält, mögen beschränkt genug
    sein: auf jeden Fall bleibt sie unendlich weniger hohl und
    abstrakt als eine Wissenschaft, die sich etwas darauf zugute
    tut, daß sie keine persönlichen Bedürfnisse berücksichtige.
        Meines Erachtens braucht denn auch die Scheidung
    zwischen wissenschaftlicher und religiöser Betrachtung keine
    endgültige zu sein. Aller Fortschritt erfolgt erfahrungs-
    mäßig auf dem Wege spiralförmiger Bewegung, nicht auf
    dem der geraden Linie. So kann vielleicht auch die streng
    unpersönliche Betrachtung der Wissenschaft eines Tages [>455]
    wieder verschwinden; sie erweist sich vielleicht dereinst als
    eine Übertreibung, die zeitweilig nützlich war, der aber eben
    doch nur eine vorübergehende Bedeutung zukommt."
    __
    Kuhn, Helmut (1975)  Liebe. Geschichte eines Begriffs. München: Kösel.
    S.16f: "... Aber im Unterschied zu der Erkenntnisbeziehung ist die Liebesbeziehung ihrem Sinne nach darauf gerichtet, aus der Zweiheit Einheit zu gewinnen. Zwei sollen eins werden, oder viele eins. Liebe ist Vereinigungsmacht - vis unitiva. Diese Formel stammt von dem uns unter dem Namen des (Pseudo-)Dionysius bekannten christlichen Platoniker. Zu unzähligen Malen wird sie von Scholastikern, Mystikern und modernen Philosophen zitiert und kommentiert. Sie durchzieht die Geschichte des Liebesbegriffes wie ein nie ganz verklingendes Leitmotiv.  ...
    [17] Der Liebende - dabei bleibt es - will Vereinigung mit dem Geliebten, und die Liebeskraft ist gemeinschaftsbildend schlechthin. ..."


    Querverweise
    Standort: Erlebnisregister mystisches Erleben und mystische Erlebnisse.
    *
    Haupt- und Verteilerseite Erlebnisregister * Haupt- und Verteilerseite Die Erforschung des Erlebens und der Erlebnisse
    Methode der Fundstellen-Textanalyse.  * Hauptbedeutungen Erleben und Erlebnis * Signierungssystem* Zusammenfassung Hauptseite * Begriffscontainer (Containerbegriff)  * Begriffsverschiebebahnhof

    *

    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site: www.sgipt.org
    z.B. Inhaltsverzeichnis site: www.sgipt.org. 
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Erlebnisregister Erleben und Erlebnis des Mystischen. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/erleben/Erlebnisregister/mystisch.htm

    Copyright & Nutzungsrechte
    Diese Seite darf von jeder/m in nicht-kommerziellen Verwertungen frei aber nur original bearbeitet und nicht  inhaltlich verändert und nur bei vollständiger Angabe der Zitierungs-Quelle benutzt werden. Das direkte, zugriffsaneignende Einbinden in fremde Seiten oder Rahmen ist nicht gestattet, Links und Zitate sind natürlich willkommen. Sofern die Rechte anderer berührt sind, sind diese dort zu erkunden. Sollten wir die Rechte anderer unberechtigt genutzt haben, bitten wir um Mitteilung. Soweit es um (längere) Zitate aus  ...  geht, sind die Rechte bei/m ... zu erkunden oder eine Erlaubnis einzuholen.


    __Ende_Erlebnisregister mystisches Erleben und mystische Erlebnisse__Datenschutz_Überblick__Rel. Beständiges _Titelblatt_ Konzept_ Archiv_ Region_ English contents__ Service_iec-verlag__Dienstleistungs-Info * Mail:sekretariat@sgipt.org_ _ Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    korrigiert: 30.03.2023 irs Rechtschreibprüfung 31.03.23 und 01.04.23 irs gelesen



    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    31.03.23 + 01.04.23: irs gelesen
    31.03.23    Kuhn Liebesbegriffsgeschichte. * Lit-Erg.
    30.03.23    irs Rechtschreibprüfung
    29.03.23    James weiter ausgewertet  * 1. Version mit der Zusammenfassung im wesentlichen abgeschlossen (16.30 Uhr).
    28.03.23    Angelegt. Editorial, William James, Borchert. Kriterien für mystisches Erleben. William James Kriterien.