Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    IP-GIPT DAS=21.09.2004 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung TMJ
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
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    Willkommen in der Abteilung Allgemeine und Integrative Psychologie, Bereich Schlaf und Traum, und hier speziell zum Thema:

     Die Traumlehre der deutschen Erfahrungsseelenkunde
    Hier:  Die Traumlehre G. Ch. Rapps (1792)
     

    von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Zusammenfassung der Traumlehre des Erfahrungsseelenkundlers G. Ch. Rapp

    • Vorbemerkung.
    • Teleologischer Sinn der Träume.
    • Anderer Nutzen der Alpträume.
    • Der Kranke träumt gemäß seiner Persönlichkeit.
    • Eigene Realität der Träume (und des subjektiven Erlebens).
    • Träume als Wunscherfüllung und Ersatz.
    • Allgemein wohltuender Einfluß des Träumens.
    • Kreatives und müheloses Problemlösen im Traum.
    • Ideale Wunscherfüllung im Traum.
    • Der Traum zeigt innere Auseinandersetzungen und kündigt Veränderungen an.
    • Der Traum als Konfrontationstherapie.
    • Erleichterung durch Kontrasterleben.
    • Gefühl viel wirksamer als Denken.
    • Der hohe Abwechslungs- und Anregungswert der Träume.
    • Anmerkungen.
    • Querverweise.




    Vorbemerkung: Psychologie als eigenständige Wissenschaft wird gewöhnlich dem Jahr 1879 zugeordnet als Wilhelm Wundt in Leipzig, zunächst mit privaten Mitteln, sein erstes psychologisches Labor gründete. Das war sicher eine Großtat für die Entwicklung einer experimentellen Psychologie. Tatsächlich beginnt die empirische, also erfahrungsorientierte Psychologie ca. 100-125 Jahre früher mit der sog. Erfahrungsseelenkunde [1,2,3,4,5,]. Die ersten Messungen, sicher auch ein Meilenstein in der Geschichte der Psychologie als Wissenschaft, wurden bereits von Johann Nicolaus Tetens 1776  veröffentlicht. Auch andere formulierten für die damalige Zeit gerade heute sehr modern anmutende Ideen. So erkannte C. C. E. Schmid (9) bereits 1791 - bald 200 Jahre vor der systemischen Bewegung -, daß der menschliche Leib z. B. ein organisiertes und ein sich selbst organisierendes Wesen ist. Auch die Ideen eines Unbewußten [1,2,] waren lange vor Freud Gemeingut der empirischen Psychologie. Und so wundert es wohl auch niemanden, daß die Erfahrungsseelenkunde auch eine Traumlehre hervorbrachte.


    Die Traumlehre G. Ch. Rapps (1792)

    Teleologischer Sinn der Träume

        (1) "Kant sagt in seiner Critik der Urtheilskraft [S. 298f], man könnte fragen, ob nicht die Träume eine zweckmäßige Anordnung der Natur seyn mögen, indem sie nemlich, bei dem Abspannen aller körperlichen bewegenden Kräfte darzu dienen, vermittelst der Einbildungskraft und der grossen Geschäftigkeit derselben, die Lebensorgane innigst zu bewegen, so, daß ohne diese innerlich bewegende Kraft (und die ermüdende Unruhe, worüber wir die Träume anklagen) der Schlaf wohl gar ein völliges Erlöschen des Lebens seyn würde." [S. 4]

        (2) "Eben so, wie hier in physiologischer, so kann auch in psychologischer Hinsicht das Träumen nach dem teleologischen Princip betrachtet, und gefraget werden, ob nicht Würkungen desselben auf unsre Seele, zur Beförderung unsrer Glückseligkeit und geistigen Vollkommenheit sich finden lassen, die bey dieser Naturerscheinung als Zwecke betrachtet werden könnten." [S. 4]

        (3) "Fürs erste scheint mir unstreitig, vermittelst der Träume die Summe unsrer angenehmen Empfindungen vermehrt zu werden. ..." [S. 4]



    Anderer Nutzen der Alpträume

    "Aber davon abgesehen, daß auch traurige und schröckende Träume einen anderweitigen Nuzen haben mögen, wovon wir noch weiter unten reden werden, so muß man doch gestehen, daß diese im Ganzen weit seltener sind, als der Zustand des Vergnügens und der Behaglichkeit, darein unsre selbstgeschaffene Ordnung der Dinge uns versetzt. Nur körperliche oder geistige Anomalien werden hier Ausnahmen machen." [S. 5]



    Der Kranke träumt gemäß seiner Persönlichkeit

    "Ein Kranker wird freilich oft auch seine erdichtete Welt nach dem Medium, wodurch er sie sieht, modificiren; dem Melancholischen wird sein schwarzes Blut seine idealische Welt eben so häßlich, als die wirkliche, koloriren; der Menschenfeind, der Neidische, der Zänkische, der Argwöhnische, wird auch träumend wie wachend, häufige Veranlassungen, zu klagen, zu hadern, zu misgönnen und zu mistrauen, finden, weil er sie selbst schafft. Und so ist freilich ein siecher Körper, auch wenn er schläft, ein Uebel, und eine lasterhafte Gemüthsart, auch im Traum, ihre eigene Geissel. ..." [S. 5]



    Eigene Realität der Träume und des subjektiven Erlebens

    "Oder soll man den Vergnügen des Träumenden deswegen, weil sie bloß erträumt sind, die Realität absprechen? Ich denke, nicht. Die angenehmen Empfindungen sind nicht erträumt, sondern nur ihre Gegenstände, sie selbst sind ebenso wahr, als die des Wachenden, und gewöhnlich noch lebhafter und unvermischter. ..." [S. 6]



    Träume als Wunscherfüllung und Ersatz

    "Besonders dient die wohlthätige Täuschung der Träume zur Aufheiterung der Söhne des Unglücks, denen nicht ihre verderbte Einbildungskraft oder ihr Hypochondrium die Welt zur Hölle misgestaltet; sondern die, für den harmlosesten Lebensgenuß empfänglich, die schweren Fesseln des Mißgeschicks tragen, wodurch die Freuden des Lebens, zu denen sie berufen sind, ihnen zur verbottenen Frucht werden, darnach ihnen nicht erlaubt ist, die Hände auszustrecken. Wie viele Tausende müßte ihre unnatürliche und Freudenlose Lage in der Gesellschaft, ihre traurige Aussicht für die Zukunft, die unüberwindliche Hindernisse, die ihnen alle Wege zum Erdenglück verzäunen, als eine unerträgliche Last zu Boden drücken, wenn die Vorstellung davon, die wider ihren Willen sich ihnen beständig, durch äußere Veranlassungen, aufdringt, nicht häufig und anhaltend genug mit andern abwechselte, worüber sie nicht nur ihr Elend auf Augenblicke vergessen, sondern anhaltend ihr Daseyn würklich recht angenehm geniessen können. ..." [S. 7]


    Allgemein wohltuender Einfluß des Träumens

    "Aber nicht nur die leidende, sondern auch auf die selbstthätige Kräften der Seele scheint der Zustand des Träumens einen vortheilhaften Einfluß zu haben. ..." [S. 8]


    Kreatives und müheloses Problemlösen im Traum

    "Oft aber hat die Bemühung der Selbstthätigkeit der Seele im Traume würklich einen materiellen, theoretischen oder praktischen Nutzen. Es ist eine Erfahrung, die beynahe jeder, dem nicht überhaupt das Denken etwas fremdes ist, an sich selbst schon gemacht haben muß, daß wir oft träumend mit leichter Mühe mit einer Aufgabe zu Stand kommen, deren Auflösung uns im wachenden Zustande durchaus nicht gelingen wollte.
        Sehr oft ist freylich die Auflösung beym Erwachen wieder vergessen und wir erinnern uns " [< S. 8] blos, sie gehabt zu haben. Doch giebt es auch Beyspiele vom Gegentheil. Einem Traum verdanken wir  ein wahres philosophisches Meisterstück eines der berühmtesten Schriftsteller unseres Zeitalters, Reinholds Deduktion der Categorien. Seine eigene Worte hievon sind: 'ich halte es als ein psychologisches Phänomen für bemerkenswerth, daß mir die Hauptidee dieser Deduktion, nachdem ich über vier Wochen den Begriff eines Urtheils mit großer Anstrengung festgehalten, und vielfältig gedreht und gewendet habe, mit aller Klarheit und Bestimmtheit im Traume eingefallen ist.' ..." [S. 9]



    Ideale Wunscherfüllung im Traum

    "... Im Traum ist oft der Verzagteste standhaft, der Feigste muthig, der Furchtsamste kühn und entschlossen. ..." [S.9]



    Der Traum zeigt innere Auseinandersetzungen und kündigt Veränderungen an [fett-kursiv von RS]

    "... Ich erinnere mich eines Jünglings von meiner Bekanntschaft, der es nie von sich erhalten konnte, auch wenn ihm auffallendes Unrecht geschah, irgend Jemanden etwas Unangenehmes zu sagen, der aber, zu der Zeit, als er gegen erlittenes Unrecht fühlbarer zu werden begann, im Traume sehr häufig in den Fall kam, in dem er wachend nie gewesen war, sich muthig mit seinen Beleidigern zu zanken. ..." [S. 10]



    Der Traum als Konfrontationstherapie  [fett-kursiv von RS]
    Oder vom Nutzen schrecklicher Trauminhalte I.

    "... Und wer wollte es läugnen, daß das Neue und Ungewohnte bey unangenehmen Ereignissen den nachtheiligsten Einfluß auf unsere Empfindungen habe, und daß eben dasselbe Unglück, je vertrauter wir mit der Vorstellung desselben werden, immer mehr von seiner Schreckengestalt verliere? Diese Erfahrungswahrheit dient zu einiger Apologie der unangenehmen Träume.
        Der Eindruck, den irgend ein Unglücksfall auf uns macht, wird um so erträglicher seyn, je öfter wir ihn, auch nur im Traume, schon erlitten und lebhaft empfunden haben." [S. 10]

        Anmerkung RS: Das gilt für traumatische Erfahrungen zum Teil nicht, die als quälende Störung erlebt werden können. Möglicherweise greift hier das - verallgemeinerte - Yerkes-Dodson'sche Gesetz, das nur für mittel ausgeprägte Schreckenserfahrungen gilt:


    Erleichterung durch Kontrasterleben
    Oder vom Nutzen schrecklicher Trauminhalte II.: Gottseidank, es war ja nur ein Traum.

    "Ein anderer Vortheil niederschlagender und ängstigender Träume ist der, daß sie uns nicht selten mit unserm Schicksal, über das wir oft so [> S. 11] unbilligerweise unzufrieden sind, einigermassen wieder aussöhnen. Dies geschieht dadurch, daß unsere ausschweifende Einbildungskraft das Schlimme unsrer wirklichen Umstände und Verbindungen uns noch schlimmer vormahlt, als es ist, oder ganz unwahre Widerwärtigkeiten uns schafft; und wenn wir erwachen, danken wir der Vorsehung daß es nur Traum war, und nehmen die Plage des kommenden Tags gern über uns. ..." [S. 10/11]


    Gefühl viel wirksamer als Denken  [fett-kursiv von RS]

    "Man könnte zwar sagen, die vernünftige Ueberlegung  und Vergleichung unsers Zustandes mit den Schicksalen unsrer unglücklichen Brüder müsse zu dieser Absicht weit würksamer seyn und zu einer gründlicheren Beruhigung führen. So wahr dies letztere auch ist, so hat doch das Träumen eigenen Unglücks in Ansehung der mechanischen Würksamkeit den Vorzug, denn wir denken es nicht nur, sondern empfinden es auch würklich. Und wer weiß nicht, daß ein empfundenes Uebel ganz anders auf unser Gemüth würkt, als ein blos gedachtes?" [S. 11]


    Der hohe Abwechslungs- und Anregungswert der Träume

    "Endlich scheint mir dies noch ein Hauptvortheil der Träume zu seyn, daß sie ein kräftiges Gegenmittel gegen allzugrosse Einförmigkeit und Einseitigkeit unsrer Denkungs- und Empfindungsart abgeben. Es ist bekannt, welchen Einfluß es auf die Bildung unserer Neigungen, unseres Geschmacks [> S. 12] und unserer ganzen Art zu urtheilen und zu handeln hat, wenn wir lange Zeit in einem und eben demselben engen Kreis von Menschen und Beschäftigungen uns herumtreiben. ..." [S. 11/12]


    ***


    Anmerkungen und Endnoten
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    Rapp, G. Ch. (1792). Versuch einer psychologisch-teleologischen Beurtheilung des Träumens. In: Mauchart, J. D. (1792). Allgemeines Repertorium für empirische Psychologie und verwandte Wissenschaften. Erster Band. Nürnberg: Felseckersche Buchhandlung. S. 1 - 13.
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    Freud. Es ist charakteristisch für das psychoanalytische Geschichtsverständnis, daß sie im allgemeinen nichts wissen außer Freud und wenn sie etwas wissen, verschweigen sie es oft und wenn sie es nicht verschweigen, ist die Darstellung nicht selten falsch oder einseitig.  Freud selbst dünkte sich als Schöpfer von etwas völlig Neuem. Das stimmt insofern natürlich, als er das meiste, was vor ihm geleistet wurde, nicht kannte oder ignorierte.
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    Änderungen - wird unregelmäßig überarbeitet, kleine Änderungen werden nicht extra dokumentiert


    Querverweise
    Überblick Geschichte der Psychologie, Psychopathologie, Psychotherapie.
    Darstellung und Kritik der psychoanalytischen Traumlehre.


    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Die Traumlehre der deutschen Erfahrungsseelenkunde. Hier: Die Traumlehre G. Ch. Rapps (1792). IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/allpsy/straum/tl_esk1.htm
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