Methodologische Probleme der Psychiatrie - Witter 1963
Hilfsseite zum Katalog der potentiellen
forensischen Gutachtenfehler (MethF)
Methoden- und Methodenproblembewusstsein
in der - forensischen - Psychiatrie
Zu:
Potentielle Fehler in forensisch psychiatrischen
Gutachten, Beschlüssen und Urteilen der Maßregeljustiz
Eine methodenkritische Untersuchung illustriert
an einigen Fällen u. a. am Fall Gustl
F. Mollath
mit einem Katalog
der potentiellen forensischen Gutachtenfehler sowie einiger Richter-Fehler.
von Rudolf
Sponsel, Erlangen
_
|
Legende Signierungen
|
wTit |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Gesamtwertung angemessene Darstellung der psychiatrischen Methodenproblematik Signierung 1
Dier Aufsatz heißt nicht nur "Methododologische Probleme der Psychiatrie" sondern er behandelt sie auch, wenn auch nur ziemlich allgemein und abstrakt, manches sehr strittig bis falsch (493e, 494b, 494c, 495a). Der Methodenbegriff Witters bleibt offen. Eine differenzierte Methodologie der Psychiatrie wird nicht geliefert. Aber er liefert ein Grundgerüst und einen Orientierungsrahmen. Wichtige Ziele werden benannt, aber nicht die Methoden, wie man Schritt für Schritt zu ihnen gelangt. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht mit der ganzen Arbeit Witters detalliert auseinandersetzen, aber schon mit einigen wichtigen Grundlagen, die er zu Beginn entwickelt. Methodisch wichtige Begriffe werden von mir fett-kursiv hervorgehoben.
Einleitend (S. 491) werden zwei grundlegende allgemeine wissenschaftliche Methoden, die uns die Franzosen (Pinel, Esquriol) zu Beginn des 18. Jhds. beschwert haben, genannt, nämlich Beobachtung und Beschreibung konkreter Einzelfälle.
Methodologie
der traditionellen Psychiatrie (492-499)
Nach der Einleitung kommt (S. 492) der Abschnitt
"Methodologie der traditionellen
Psychiatrie". "Gegenstand der Psychiatrie
als Wissenschaft ist das seelisch Abnorme".
S. 493a "Die wissenschaftliche Psychiatrie hingegen
muß sich auf das wirklich Erfahrbare, in Begriffen
Mitteilbare und in allgemeinverbindlichen Regeln
Faßbare beschränken. Psychiatrie als Wissenschaft sucht die
Erscheinensweisen des seelisch Abnormen — erstens zu beschreiben,
zu ordnen und zu
typisieren und — zweitens
seine leiblichen und seelischen Ursachen
oder Bedingungen zu klären."
S. 493b "Beginnen wir mit dem Beschreiben, dann
erkennen wir, daß uns das Seelische überhaupt und ebenso das
seelisch Abnorme nur mittelbar durch seinen äußeren Ausdruck
hindurch zugänglich ist. Das Seelische muß zunächst erschlossen
und kann dann erst beschrieben werden, wobei Erschließen und Beschreiben
ineinander übergehen."
Hier kommt die Methode des Erschließens und
die Handhabung des des Ineinanderübergehens hinzu. Nun entwickelt
Witter einen psychiatrischen Konstruktivismus:
S. 493c "Wir werden dabei innerhalb des Seelischen
Unterteilungen treffen, aufgliedern, analysieren und können zum Beispiel
die „Funktionen" des Denkens und Fuhlens oder die „Eigenschaften" der Intelligenz
und Affektivität als Untersuchungsgegenstand aus dem psychischen Gesamt
herauslösen, um in dieser Weise schließlich das Seelische irgendwie
in den Griff zu bekomen."
S. 493d "Wir sind uns dabei im klaren, daß
die durch die Aufgliederung geschaffenen verdinglichten „Teile" der Seele
nicht etwa deren Elemente oder Bausteine sind, sondern eben nur Kunstprodukte
unserer Arbeitsmethode, aber unentbehrliche."
S. 493e "Ob diese Kunstprodukte als Gedanken eines
Zugrundeliegenden dem wirklichen „Realen" entsprechen oder möglichst
nahe kommen, läßt sich gar nicht beantworten und eine solche
Fragestellung ist deshalb von vorneherein verfehlt."
Einspruch. Erstens ist diese Behauptung falsch,
zweitens als Forderung unsinnig und inzwischen auch überholt, drittens
steht diese Behauptung in Widerpspruch zum oben verlangten "wirklich
Erfahrbaren"
S. 493f "Die Berechtigung unserer Arbeitsmethode
ergibt sich allein aus ihrer Brauchbarkeit bei der Deutung
begrenzter Bereiche. Mit der Erfassung vieler solcher partikularer Einblicke
gewinnen wir schließlich die Möglichkeit, das Seelische in größere,
mehr oder weniger systematische Ordnungen zu stellen, womit wir gleichzeitig
allerdings eine simplifizierende Subsumtion der Erscheinungen unter einige
Kategorien vornehmen."
Die Brauchbarkeit ist ein wichtiges
Kriterium. Doch mit welcher Methode stellen wir die Brauchbarkeit
fest?
S. 493g "Haben wir nun in der vorbeschriebenen Weise
etwas darüber erfahren, was innerlich in dem Menschen vorgeht und
nach analytischer und synthetischer Deskription des Seelischen den in seiner
individuellen Einmaligkeit unerlaßbaren Einzelfall in eine allgemeingültige
vereinfachende Systematik eingeordnet, dann gilt es, die" Ursachen
oder Bedingungen für das seelisch Abnorme zu finden. Wir beschreiten
dabei zwei verschiedene Wege, deren methodologische Klärung und Formulierung
wir vor allem JASPERS verdanken: wir erklären Seelisches als
durch Körperliches verursacht und wir verstehen Seelisches
als aus Seelischem sinngesetzlich hervorgegangen."
Hier geht es um die wichtigen Findungsmethoden.
Wie ist vorzugehen, um die Ursachen oder Bedinungen für das seelisch
Abnorme zu finden? Zur Veranschaulichung bringt Witter zwei Beispiele:
S. 493h "Dazu zwei kurze Beispiele: wir erklären
die abnorme Aufgeregtheit eines Menschen z. B. mit den Folgen eines starken
Kaffeegenusses oder einer Schilddrüsenüberfunktion und wir verstehen
sie aus der Erwartungsspannung vor einem Examen. Wir erklären den
Eifersuchtswahn bei chronischem Alkoholismus mit den toxischen Veränderungen
des Gehirns und wir verstehen ihn aus der speziellen psychologischen Situation
des impotent gewordenen Trinkers. Richten wir nun unsere ärztlichen
Maßnahmen zur Behebung des unerwünschten seelischen Zustandcs
auf die körperlichen Ursachen, dann betreiben wir die auch in den
anderen [>494] medizinischen Disziplinen vorherrschende oder gar allein
gültige Somatotherapie, richten wir sie auf das bedingende Seelische,
dann betreiben wir Psychotherapie. In der psychiatrischen Praxis ist beides
in der Regel ineinander verschränkt und es gibt nur
eine Akzentuierung für das Vorherrschen der einen oder der anderen
Methode. So können wir etwa die aus der Erwartungsspannung vor dem
Examen verständliche Aufgeregtheit somatotherapeutisch mit Beruhigungstabletten
und gleichzeitig psychotherapeutisch durch Zuspruch angehen."
S. 494a "Mit dem leib-seelischen Erklären
bedienen wir uns einer wissenschaftlichen Methode, die Leibliches
und Seelisches in einer Formel zusammenbringt". Hier wäre
nicht nur zu erklären, was das sein soll, Leibliches und Seelisches
in einer Formel zusammenbringen, sondern auch die oder Methode(n), wie
man das macht?
S. 494b "Ein solches Vorgehen erfordert irgendeine
Stellungnahme
zum Leib-Seele-Problem. Das metaphysische Problem wollen wir aber
ausklammern und alle erkenntnistheoretischen Überlegungen beiseite
lassend, erörtern wir die empirisch aus der Gleichzeitigkeit
ermittelte Entsprechung oder Zuordnung der leiblichen Vorgänge und
seelischen Phänomene einfach als eine Wechselwirkung."
Einspruch. "Irgendeine Stellungnahme", quasi aus
formalen Gründen, braucht man sicher nicht. Eine solche Bagatellisierung
passt nicht zu einer grundlegenden methodologischen Arbeit. Und eine
Wechselwirkungstheorie ist sicher alles andere als "einfach".
S. 494c "Leibliche krankhafte Veränderungen
zeigen mit einiger Regelmäßigkeit oder gar Gesetzmäßigkeit
bestimmte offensichtlich zugehörige Veränderungen im Seelischen.
Allerdings bezieht sich diese Regelhaftigkeit der Entsprechungen
dann vorwiegend auf Veränderungen der Intensität und Form psychischer
Abläufe, weniger oder gar nicht auf die psychischen Inhalte. Immerhin
ist für uns kein Zweifel, daß wir hier körperliche Veränderungen
als Ursache seelischer Erscheinungen ansprechen dürfen, auch wenn
wir über die Zwischenglieder zwischen leiblicher Ursache und seelischei
Wirkung nichts wissen. Der Grundannahme, daß psychisch Abnormes auf
körperliche Krankheit zurückgeführt werden kann, dankt die
Psychiatrie ihre Zugehörigkeit zur Medizin. Unabhängig von Wertungen
jeglicher Art wird seelisch Abnormes unter dieser Bedingung als Krankheit
im medizinischen Sinne erkannt."
Einspruch. Zunächst sind Methoden anzugeben,
wie Regelmäigkeit oder gar Gesetzmäßigkeitfestgestellt
und von einander unterschieden werden können. Gleiches
gilt für die Entsprechungen. Hier wären die Methoden
zu nennen, warum und wann man das darf. Wenn Seelisches etwas andere ist
als Körperliches, wie soll dann eine Wirkungen funktionen und wie
stellt man das fest?
S. 495a Das seelisch Abnorme zeige sich durch qualitative
oder quantative Abweichung (S.495), wobei er sogleich einen
Selbstwiderspruch aufbaut, wenn er sagt, dass es im Seelischen gar keine
Quantität - die er metaphorisch verstanden wissen will
- gäbe, was vollkommen falsch ist und zudem in Widerspruch zu dem
(S. 493a) geforderten "wirklich Erfahrbaren" steht. "Dagegen ist auch nichts
einzuwenden, solange wir uns der nur metaphorischen Gültigkeit des
erreichten Wissens bewußt bleiben." Natürlich gibt es mehr oder
weniger, starke, ja sogar extreme Ausprägungen z.B. bei den Affekten,
man kann wacher oder müder sein, schneller oder langsamer denken.
Im übrigen ist natürlich zu fordern, dass Witter erklärt,
welche methodologische Bedeutung und wissenschaftliche Rechtfertigung seine
Metaphern haben sollen. Sogar sein Depressionsbeispiel ist falsch, auch
hier sind verschiedene Ausprägungsunterschiede (schwer, mittel, leichter)
wichtig und üblich.
Methodologische
Kritik von Psychoanalyse und Anthropologie (499-502)
Bemerkungen zur Gestaltanalyse
(502-503)
Über
Entwicklungsmöglichkeiten der traditionellen Psychiatrie (503-505)
Grundzüge
einer dynamischen Syndromlehre (505-513)
|
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Forensische Psychologie site:www.sgipt.org. |