Psychotherapie
aus synergetischer und selbstorganisierender Perspektive
vorgestellt von Rudolf Sponsel, Erlangen
Aus dem umfassenden Werk möchte ich aus der Einführung des 5. Kapitels "Psychotherapie" für die allgemeine und integrative Psychotherapie einige wichtige Passagen vorstellen (S. 326f; Hervorhebung im Kasten und fett RS):
"5.1 Jenseits der Therapieschulen
Die Entwicklung der Psychotherapie befindet sich am Beginn des 21. Jahrhunderts
in einer paradoxen Situation. Einerseits besteht Einsicht in den Sachverhalt,
dass eine Aufteilung dieser Profession in Therapieschulen keinen Sinn mehr
macht. Die wissenschaftlichen Befunde über die Wirkungsweise der Psychotherapie
sind nicht auf eine bestimmte Schule oder eine bestimmte Art des Vorgehens
begrenzt, einer neurobiologischen Grundlegung der Psychotherapie sind Therapieschulen
ohnehin fremd (Beutel, 2002; Beutel et al., 2003; Braun & Bogerts,
2001 ; Caspar, 2003; Gabbard, 2000; Grawe, 2004; Schiepek, 2003a; Storch,
2002), und in der Praxis werden verschiedene Verfahren meist kombiniert
(im Falle von Behandlungskonzepten stationärer Therapie oder eklektischer
Arbeitsweisen synchron, im Falle von Lebensabschnittsidentifikationen von
Therapeuten mit bestimmten Richtungen auch diachron).
Auf der anderen Seite wurde der Sängerwettstreit durch das deutsche
Psychotherapeutengesetz mit politischen Mitteln fortgesetzt und festgeschrieben.
Wissenschaftlich anerkannt werden Therapieverfahren, auch wenn diese das
konkrete Verhalten des einzelnen Therapeuten weitgehend unbestimmt lassen
(zu unterschiedlichen Determinanten des Therapeutenverhaltens s. Beutler
et al., 1994) und im Konzert unterschiedlicher Bedingungen offenbar nur
geringe Varianzanteile des Therapieergebnisses erklären (Wampold,
2001).
Geht man davon aus, dass Psychotherapie in der professionellen
Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse (z. B. der Psychologie, der Neurowissenschaften,
der Soziologie und anderer Disziplinen) bei der Unterstützung persönlicher
Lern- und Entwicklungsprozesse in schwierigen Lebenssituationen bzw. bei
klinischen Indikationen bestehen soll - wobei zu dieser Anwendung immer
noch ein wesentlicher Anteil persönlicher Kunst des Therapeuten/der
Therapeutin hinzu kommt -, so wäre der Geltungsbereich derartiger
Erkenntnisse sicher zu begrenzt, wenn er nur auf bestimmte Therapieschulen
bezogen bliebe. Wollte man einen pointierten Vergleich riskieren, so wäre
das in etwa so, als ob die physikalischen Gesetze, nach denen ein Ball
fliegt, die Gruppendynamik einer Sportmannschaft oder die Physiologie sportlicher
Leistung nur innerhalb einer bestimmten Mannschaft Geltung haben sollten.
Bayern München und Werder Bremen würden in einer solchen Welt
nach anderen Gesetzen der Physik, Physiologie und Psychologie funktionieren.
Das scheint unplausibel. Auf einem anderen Blatt steht dabei natürlich,
dass sich Menschen gerne mit bestimmten Clubs identifizieren und ihren
Stars zujubeln. So erfüllt wahrscheinlich auch die Aufteilung der
Therapiewelt nach Schulen und Konfessionen bestimmte psychologische und
soziale Funktionen, aber das steht wirklich auf einem anderen Blatt. Besonders
vertrackt wird die Situation allerdings, wenn man bedenkt, dass es nicht
eine einzige und fraglos anerkannte „Allgemeine Psychotherapie" oder „Psychologische
Therapie" geben wird, sondern verschiedene Entwürfe hierfür.
Das Gerangel um Anerkennung, Marktanteile oder die Monopolstellung kann
dabei - selbstähnlich - von Neuem beginnen. Und die letzte Volte
der Paradoxie besteht vielleicht darin, dass es gute empirische Gründe
für die Notwendigkeit gibt, sich mit seiner Schule oder Praxisvariante
in besonderem Maße zu identifizieren, denn Therapeuten sollten überzeugt
sein von ihrer Art zu arbeiten, sollten Glaubwürdigkeit ausstrahlen
und Vertrauen in die Wirksamkeit ihrer Arbeit vermitteln. „Allegiance",
wie dies im Englischen heißt, gilt als ein wesentlicher Prädiktor
des Therapieergebnisses [>327] (Frank &
Frank, 1991; Orlinsky & Howard, 1986, 1987; Orlinsky et al., 1994;
Wampold, 2001).
Wie immer man sich in dieser Situation persönlich
positionieren mag, interessiert sich die Synergetik für eine über
einzelne Behandlungstechniken oder Schulen hinausgehende Frage, nämlich
der, ob und in welcher Weise psychotherapeutische Veränderungen als
selbstorganisierende Prozesse verstanden werden können. Diese Frage
korrespondiert mit der grundlegenden Erfahrung jedes Praktikers, Menschen
nicht beliebig steuern und beeinflussen zu können, ja überhaupt
nur dann wirksam werden zu können, wenn das eigene Handeln mit den
Motiven, Zielen und inneren Entwicklungsprozessen des Patienten in Einklang
steht. Zudem entspricht die Frage einer alten Maxime von Paracelsus: medicus
curat, natura sanat - der Arzt kann Behandlungsmaßnahmen ergreifen,
den Heilungsprozess aber vollzieht die Natur selbst.
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korrigiert: irs 29.10.11