Michel Friedman 5
Detail-Analyse seiner Erklärung vom 8.7.3
Mit einer Fußnote zu den
fünf Grundhaltungen gegenüber Ereignissen
von Rudolf Sponsel, Erlangen
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Wortlaut der Erklärung Friedman | Analyse und Bewertung Sponsel |
Bitte
um Verständnis für das Schweigen
«Meine Damen und Herren - ich hoffe,
hier sind auch noch ein paar Freunde -, ich bitte Sie um Verständnis
dafür, dass ich in meiner Angelegenheit bisher geschwiegen habe.
Ich bitte Sie auch, zu verstehen, dass ich anschließend keine Fragen beantworten werde. Ich brauche noch Ruhe und Distanz. Ich möchte mit meinen Freunden sprechen, nachdenken und den begonnenen Lernprozess fortsetzen. |
Verständlich, akzeptabel.
Klüger wäre es aber gewesen, alle öffentlichen und ehrenwerten Ämter bis zum Abschluß des Verfahrens sofort ruhen zu lassen. In Ordnung, wir möchten aber bei geplantem Comeback, das nicht vor dem 7.7.2006 stattfinden sollte, beizeiten in den Diskussionsprozeß einbezogen werden. |
Konsequenzen:
Rückgabe der Ämter
Ich habe auch in meinem politischen und journalistischen Leben, meine Damen und Herren und liebe Freunde, gefragt, was bedeutet das, wenn man einen Fehler macht, und welche Konsequenzen zieht man. Auch dieser Maßstab gilt für mich selbst: Ich werde alle öffentlichen gewählten Ämter, die ich bisher innehabe, jetzt zurückgeben. | Suggestive Wiederholung: Er hat nicht "einen" Fehler gemacht, sondern viele über einen längeren Zeitraum hinweg. Zur Rückgabe: Vorbildlich. So sollte es sein. Aber: es bleibt ihm nach Lage der Dinge auch gar nichts anderes übrig. Die Flucht nach vorn nutzt ihm und zeigt nicht unbedingt "tätige Reue", das sagt er nicht. Zu geschickt und damit wieder ungeschickt. |
»Bereue
tief, was mich straucheln ließ«
Ich habe Menschen enttäuscht, auch Menschen in meiner jüdischen Gemeinschaft, auch Minderheiten; Menschen, für die ich seit über drei Jahrzehnten gearbeitet habe, aber auch meinen Sender, den Hessischen Rundfunk, und die ARD. Ich kann nur sagen - und ich hoffe, Sie glauben mir das -, dass ich mit aller Kraft versuchen werde, dieses verlorene Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Den Freunden, die mir in dieser schweren Krise geholfen haben, beigestanden haben, 24 Stunden am Tag, denen möchte ich von ganzem Herzen für diese Hilfe danken. Sie wissen, wie tief ich es bereue, was mich straucheln ließ. |
Das glaube ich. Und das ist auch in Ordnung.
Kein Mensch sollte ewig für etwas bestraft werden.
"wie tief ich es bereue, was mich straucheln ließ" - eine seltsame Formulierung und womöglich eine psychische Fehlleistung: er bereut nicht das Straucheln, seine Handlungen, sondern das, was ihn straucheln ließ, also die Gründe, Bedingungen, Anlässe oder Auslöser. |
Erste Bitte: Nicht der ganze Friedman
Ich habe zum Schluss nur zwei Bitten: Ich entschuldige mich von ganzem Herzen für alles, was ich gemacht habe. Aber ich bitte Sie, ich bitte Sie genau so von vollem Herzen, nicht zu vergessen, dass das nicht mein ganzes Leben war, dass das nicht der ganze Michel Friedman ist. | Das ist in Ordnung, ebenso vorbildlich
wie geschickt und nützlich für den Aufbau eines Comebacks.
Richtig ist sicher auch, daß er seine guten, anständigen, tüchtigen und positiven Seiten hat, daß der Friedman, der jetzt sichtbar geworden ist, sicher nicht der ganze Friedman ist. |
»Ich bitte
um eine zweite Chance«
Und eine zweite Bitte habe ich: Ich entschuldige mich noch einmal bei allen, aber ich bitte Sie um eine zweite Chance. Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.» (nz) |
Eine zweite Chance ist erst dann akzeptabel, wenn hinreichend überzeugend klar ist, daß er tatsächlich etwas gelernt hat. Nach den Erfahrungen eines Psychologen und Psychotherapeuten dauert so etwas Jahre, weil es die Persönlichkeit betrifft. |
Ingesamt eine relativ klare Stellungnahme mit Eingeständnis der Verfehlung, Bitte um Entschuldigung, Anerkennung der Strafe und Bitte um faire Bewertung, also auch die Verdienste und positiven Seiten zu würdigen. Das ist mehr und besser als von vielen im öffentlichen Leben gewöhnlich geboten wird. Bei sehr genauer Betrachtung fallen aber doch einige Bedenklichkeiten auf, die dem ersten Blick für das Große und Ganze entgehen. Die Relativierung und Bagatellisierung der Handlungen - aus moralischer Perspektive, nicht aus strafrechtlicher - stimmt doch sehr bedenklich. Daher meine ich: Kein Comeback vor dem 7.7.2006, weil Persönlichkeitsveränderungen und Charakternachbesserungen schlicht und einfach ihre Zeit brauchen. Drei Jahre erscheinen angemessen, wenn Friedman richtig an sich arbeitet. |
Nachtrag 17.10.2011
Im August 2011 gab Friedman dem evangelischen Onlinemagazin chrismon.de
ein Interview. Auf die Frage "Haben Sie Nachsicht mit sich selbst?" antwortete
er: "Mir selbst gegenüber bin ich sehr viel härter und nachsichtsloser
als gegenüber anderen. Ich bin sehr selbstkritisch, sehr selbstzweifelnd.
2003 war ein schwieriges Jahr für mich. Aber ich hatte meine Freunde,
die mich geschützt und beschützt haben, damit ich meine Hausaufgaben
mache. Das hat mich gerettet. Ich musste mich auseinandersetzen mit der
Frage: „Warum hast du dich so verhalten?“ Das war ein schmerzhafter, sehr
intensiver Prozess. Die Alternative war Sterben. Ob man im real physischen
Sinne stirbt oder ob die Seele abstirbt, weil man sich der Ursache nicht
stellt, spielt keine Rolle. Ich habe mich für das Leben entschieden.
An dem Tag, als alles öffentlich wurde, war das aber nicht sicher,
und es war wochenlang nicht sicher. Ich habe mich für das Leben entschieden,
und ich muss acht Jahre danach feststellen: Ich war noch nie so glücklich
wie dann, als ich diese Hausaufgaben hinter mich gebracht hatte und gefragt
habe: „Wie ist das Leben, wenn man sich selbst ein bisschen lieb hat?“
Heute habe ich zwei Kinder, eine Frau und bin glücklich – wie ein
Mensch wie ich glücklich sein kann, aber das ist schon weitaus mehr,
als ich je hatte."
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