Abteilung XIII:
Briganten und Sozialbanditen
"Wir sind, so scheint es, nur Kulturmenschen auf Kündigung"
(Hentig, S. 226)
Was ist schlecht daran, den Reichen die Hälfte zu nehmen
und denen zu geben, die nichts außer ihrem Hunger haben?
(Sponsel, Schinderhannes
in den Mund gelegt)
*161 Robin Hood;
*162
Michael
Kohlhaase;
163 Sandor Rosza; 164 Schinderhannes;
*165 "Don" Vardarelli;
166 Pancho Villa.
von Rudolf Sponsel (1976), Erlangen
Was haben die Banditen mit Revolution und Weltveränderung zu tun? Darauf gibt es zwei Antworten: Einmal verhindert eine Reihe von Banditen den gesellschaftlichen Fortschritt, das sind die in Amt und Würden gekommenen, nämlich alle Parlamentarier, die Bestechungsgelder annehmen, alle Bosse, die sie bestechen, all jene, die ihre Macht und Stellung dazu ausnutzen, andere über die Ohren zu schlagen, sei es, daß sie Kartelle bilden, sei es, daß sie den Fiskus um Milliarden prellen; zum anderen jene, die sich gar nicht anders helfen können, als das Gesetz zu übertreten, jener Typus des archaischen Revolutionärs, der es zum Sozialbanditen bringt, weil ihm das Gymnasium fehlt.
Man müsste sich fragen, wie ist das mit dem Rechtsbewußtsein eigentlich? Wieso identifizieren sich ganze Völker mit einem Helden wie Robin Hood - wieso sympathisiert man mit Karl Moor in Schillers Räubern - warum zittert man um Michael Kohlhaase bei Kleist - warum haben solche Filme wie 'O Cangaceiro' solch einen Erfolg?
Das 'Recht' ist etwas völlig Undurchsichtiges, und wer mehr Geld hat, hat mehr Aussicht auf 'Recht'. Das weiß jeder. Keine Woche, in der nicht irgendein Skandal in den Zeitungen steht. Höchste Politiker, Staatsrepräsentanten sind gleichzeitig so etwas wie Mafia-Bosse. Da wird erschossen, entführt, da werden Briefe geöffnet, Telefone abgehört, geheime Dossiers angelegt, kurz: pausenlos werden die Grundrechte verletzt - angeblich im Namen des Rechts. Kein Wunder, daß manche Untertanen dieses sauberen Staates im Sinne der double-bind-Hypohese irre am Staat selber werden.
Ich kenne Fälle von einfachem Rückfalldiebstahl, der dem Betroffenen mehrere Jahre Straubing und anschließend Sicherungs-Verwahrung einbrachte. Andererseits kenne ich Fälle, wo Unternehmer durch rücksichtslose Spekulation und Investition zahlreiche Arbeitsplätze vernichteten und damit auch die Existenz von Menschen: nie wurden sie angeklagt.
Andere Fälle: da hat einer Millionenschulden beim Finanzamt - er schließt einfach einen Vergleich, bezahlt nur ein Viertel und geht als Ehrenmann nach Hause. Oder: einer macht Bankrott, die Kanaille braucht nicht zu bezahlen, weil sie vorher rechtzeitig das Vermögen auf den Namen der Frau übertragen hat. Die Immunität der Abgeordneten ist höchstes Unrecht, in diesem Staat aber nicht. Das Recht entpuppt sich daher für die meisten als eine äußerst relative und undurchschaubare Angelegenheit. Nicht umsonst nennt der Volksmund die Juristen Rechtsverdreher. Im Namen des Volkes wird für Recht erkannt, im gleichen Namen des Volkes wird dann aber in der Berufung das Gegenteil für Recht 'erkannt'.
Im Bundesverfassungsgericht gibt es ganz verschiedene Rechtsauffassungen, da wird abgestimmt, als ob es in grundlegenden Fragen ein Recht etwa 5:3 geben könnte oder auch 4:4 oder 6:2. Dann ändert sich das Recht natürlich auch mit der Gesellschaft, was gestern Unrecht war, mag heute Recht sein und umgekehrt. So stellt sich für die meisten Leute instinktiv das Gefühl ein, daß das mit dem Recht nicht so ganz stimmt. Und sie haben auch Recht. Der Rechtsstaat steckt in den allerbescheidensten Anfängen, den gibt es nicht so einfach von 'heut auf morgen', der 'muß erkämpft werden, der muß wachsen. Wie aber soll er wachsen, sich entwickeln können, wenn eine Bande von Spezialisten, längst abgehoben vom Volke, arrogant und selbstgefällig ihr dunkles Spielchen treibt?
Es gibt genügend Stimmen, die gegen die Volksabstimmung sehr viel einzuwenden haben. Damit sprechen sie aber ihr eigenes politisches Todesurteil, denn damit sagen sie nur, daß sie es bisher nicht vermochten, das Volk zu mündigen und zu streitbaren Demokraten zu erziehen; sie geben damit im Grunde zu, daß das Volk noch gar kein Souverän ist. Das Schlimme ist nur, daß sie auch alles dafür tun, damit das Volk nicht souverän wird.
Das allerirrste was dieser merkwürdige Staat hervorgebracht hat, ist der Dschungel der Besteuerung. Es gibt kaum einen Deutschen, der es nicht für richtig fände, den Staat zu bescheißen. Auch dies ist ein deutliches Symptom. Wieso muß bei Salz gerade so viel an Steuer aufgewendet werden? Oder an Benzin? Oder an Kaffee? Oder an Zigaretten? Die Parlamentarier sind offenbar unfähig, auch nur zu erkennen, daß die Besteuerungspolitik längst nicht nur nach Reformen, sondern nach einer Revolution schreit. Psychologisch entpuppt sich der Staat partiell als Lernmodell für Kriminalität, als Rückfalltäter, der durch seinen idiotischen Paragraphendschungel die Leute zur Kriminalität verführt.
So nimmt es denn nicht Wunder, daß viele sich mit den Robin Hood's, mit den Legenden der Schinderhannes', der Vardarelli's, der Pancho Villa's identifizieren. Dies ist nichts anderes als eine Ersatzhandlung: man hat das Unrecht des Staates, der Bosse, der Gauner und Ganoven mit dem großen Geld satt; man freut sich an denen, die sich dies nicht gefallen lassen, die aufbegehren, die es den 'Halunken' zeigen. Da man selber kein Robin Hood ist, freut man sich um so mehr mit ihm. Deshalb sind die Sozialbanditen und Briganten der reinste Ausdruck den Volksempfindens, darin drückt sich die Sehnsucht nach dem wirklichen Rechtsstaat aus, weil alle empfinden, daß in dieser Gesellschaft, in diesem Staat und in dieser Welt pausenlos Unrecht geschieht, das der Staat nicht nur nicht verhindern kann, sondern sogar noch fördert. 'Den letzten beißen die Hunde' - auch das ist ein Sprichwort, das jeder kennt. Und weil es so viele 'Letzte' gibt, sind die ganz wenigen 'Letzten', die es bis zum Briganten brachten, die großen Ideale, die Revolutionäre archaischen Stils für Massen von archaischem Bewußtsein.
Doch nicht nur die Massen identifizieren sich mit den Briganten, solchen also, die von denen nehmen, die mehr als genug haben und denen abgeben, die nichts oder zu wenig haben, sondern auch weite Kreise der Intellektuellen. Mancher brave Biedermann sitzt vor dem Fernseher und identifiziert sich mit dem Legenden-Schinderhannes, ohne es zu merken, oder die Konsequenzen sich einzugestehen.
Doch gibt es gegenwärtig keine nennenswerten außer den Tupamaros.
Wer vermöchte ihnen wirklich ein Stück Sympathie versagen, wenn
sie einen Schwerindustriellen entführen, um Wolldecken für die
Armen oder Arbeitsplätze für Entlassene zu erpressen? Bedenkt
man hingegen Politbanditen, so sind sie gemessen an den Tupamaros ohne
das geringste Niveau. Bomben auf irgendwelche Leute, womöglich
noch Arbeiter schmeißen, Banken ausrauben, womöglich noch Unbeteiligte
erschießen und die Arbeitslosen vergessen, dies hat mit Politik noch
nicht einmal auf Brigantenniveau zu tun. Unermeßlich ist der Schaden,
der der Linken dadurch entsteht. Don Gaetano Vardarelli war noch ein Mann;
fast möchte ich nostalgisch beklagen, dass diese Sorte in Europa ausgestorben
ist.
* Lit.: Englische Nationalbiography
|
HOOD, Robin 14./15.
Jahrhundert [Nr.161*]
Legendäre, idealisierte Figur, deren historische Existenz nicht gesichert ist (was uns vielleicht ein paar Illusionen, wie man bei Schinderhannes sehen mag, erhält). Der Sage nach trieb er sein segensreiches Wesen im Sher- wood Forest bei Nottingham. Symbol der aufständischen Angelsachsen gegen die feudal-klerikalen Normannen; gejagt, weil er sich gegen Unge- rechtigkeiten auflehnte, von seinem gerechten Diebesgut denen abgab, die selber nichts hatten, weil er die beschützte, die sich selber nicht wehren konnten. Die Figur, wie all die zahlreichen Robin Hoods, die es in allen Legenden aller Völker gibt, ist Ausdruck des 'gesunden Volksempfindens', daß mit der Obrigkeit zu allen Zeiten etwas falsch war, daß es solche gab, die sich ungerechtfertigt die Früchte anderer aneignen, die aufgrund dunk- ler Machenschaften andere unterdrücken und die Macht mit Gewalt gegen den Willen des Volkes aufrecht erhalten. So hat denn der Robin-Hood- Stoff zu allen Zeiten in allen Völkern die Phantasie der Künstler, insbeson- dere der Schriftsteller, beschäftigt - sichtbarer Ausdruck dafür, daß sich die Völker der ganzen Welt auch heute noch, auch wenn es ihnen gar nicht bewußt ist, mit solchen Gestalten identifizieren; damit drücken sie aus, daß sie selber gerne so wären und liefern den psychologischen Beweis dafür, daß diese Welt einen enormen Mangel an Robin Hoods hat. |
* Lit.: Burkhardt (1864). "Der historische Hans Kohlhase" und Heinrich v. Kleist's "Michael Kohlhaas". |
KOHLHAASE, „Michael"
? - 1540 [Nr.162*]
Berliner Produktenhändler, bekannt durch seine Fehde gegen den Kur- sachsen. Es begann damit, daß man ihn und seinen Knecht während einer Reise für Strolche hielt und ihnen ihre Pferde abnahm, woraufhin ein wü- tender Streit entbrannte, in dessen Verlauf K. und sein Knecht fliehen mußten. Auf alle erdenkliche Weise versuchte K. nun, seine Pferde und eine Entschädigung zurück zuerhalten. Es folgte Vorstellung auf Vorstellung bis zum sächsischen Kurfürsten - vergeblich. Hans Kohlhaase (Michael erst seit Kleist) wandte sich an Luther, der ihm auch nicht helfen konnte oder wollte, ihn stattdessen zum Frieden ermahnte und er solle doch das ihm Widerfahrene als Fügung Gottes ansehen. Über seinem Kampf gegen die Ungerechtigkeit der Obrigkeit verarmte K. völlig. Der einst begüterte und wohlangesehene Kaufmann sank immer tiefer, wurde zum Räuber und Brandstifter. 1540 überfiel er einen mit Silberbarren beladenen Wagen des Kurfürsten und wurde dabei gefangen. Der vergebliche Kampf um sein Recht hatte 4 Jahre gedauert, als man ihn am 22.3.1540 vor dem Geor- gentor in Berlin zu Tode räderte. > Kohlhaas 05/10. |
* Lit.: A. Lucarelli "Il Brigantag- gio Politico del Mezzogiorno" o. J. |
VARDARELLI,
Gaetano "Don" Um 1817 [Nr.165*]
Offenbar bedeutender Brigant. Von seinem Leben konnte ich wenig in Er- fahrung bringen, lediglich zwei Dokumente, die Hobsbawm (Sozialrebel- len, Neuwied und Berlin 1962, S. 227) entnommen sind. Diese haben mich aber so beeindruckt, daß ich sie gewissermaßen für eine Biografie sprechen lassen möchte: Gaetano Vardarelli an den Bürgermeister von Atella: "Ich, Gaetano Vardarelli, befehle und gebiete Euch, alle Gutsherren der Gemeinde Atella zusammenzurufen und ihnen klarzumachen, daß sie allen Armen erlauben müssen, Korn nachzulesen. Sonst werde ich ihnen Feuer unter dem Hintern machen. Ich sage, was ich sage. Gaetano Vardarelli, Kommandant der Blitztruppe zu Pferde." Und an den Bürgermeister von Foggia: "Herr Bürgermeister, Ihr werdet so freundlich sein, alle Gutsbesitzer in meinem Namen anzuweisen, daß sie damit aufhören, ihre Ährennachlese an das Vieh zu verfüttern, vielmehr den Armen die Ährennachlese zu überlassen. Wenn sie taub gegenüber meinem Befehl sind, werde ich alles verbrennen, was sie haben. Tut dies und ich grüße Euch mit Achtung. Und ich sage Euch, wenn ich irgendwelche Klagen höre, daß meine Befehle nicht ausgeführt wurden, so seid Ihr mir verantwortlich. Den 30. Juni 1817, Ich, Vardarelli." |
Hentig, Hans von (1955). Der
Desperado. Ein Beitrag zur Psychologie des regressiven
Menschen. Berlin: Springer.
Höfling, Helmut (1977) Helden gegen das Gesetz. Die großen
Räubergestalten von Angelo Duca bis Robin Hood. Düsseldorf: Econ.
Hobsbawm, Eric, J. (dt. 1972, engl. 1969). Die Banditen. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp.
"Ein zu Unrecht geneigter Kaiser sagt zornig und hochmütig zu einem seiner Beamten: Verschwinde, für mich bist du nicht länger Beamter. Der Beamte erwidert unerschrocken: Und für mich bist du nicht mehr Kaiser." Matthäus von Paris |
Was ist schlecht daran, den Reichen die Hälfte
zu nehmen und denen zu geben, die nichts außer ihrem Hunger haben?
Schinderhannes-Triptychon: Öl auf Leinwand.
Mafiotische (Salvatore Guiliano) Todesfantasien.
Öl auf Leinwand.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Kunst site:www.sgipt.org * Film site:www.sgipt.org. * Theater site:www.sgipt.org * Literatur site:www.sgipt.org * |
korrigiert: irs 03.09.08