Internet Publikation für
Allgemeine und Integrative Psychotherapie
IP-GIPT DAS=19.05.2003
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Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
Stubenlohstr. 20
D-91052 Erlangen * Mail:_sekretariat@sgipt.org_
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Willkommen ins unserer Abteilung Differentielle Psychologie
der Persönlichkeit (Persönlichkeitspsychologie, Typen, Charaktere),
hier zum Thema:
Der Desperado
Ein Beitrag zur Psychologie des regressiven
Menschen
Hans von Hentig (1955)
"Wir sind, so scheint es, nur Kulturmenschen auf Kündigung"
(S. 226)
Eine Buchpräsentation von Rudolf Sponsel, Erlangen
zum Verständnis des Hollywood-Menschen und
Sheriff-Syndroms
_
|
Wer Land und Leute der
USA verstehen will, kann und muß vielleicht sogar viel aus der Geschichte
der Erschließung des Vereinigten Staaten und des wohl in Wahrheit
weniger berühmten als vielmehr berüchtigten Wilden Westens und
seiner Geschichte entnehmen. Noch heute gelten die USA auch auf der internationalen
Ebene zu Recht als regressive Sheriffs, die sowohl seelisch-geistig als
auch auf der Verhaltensebene den Desperados näher stehen, als Recht
und Kultur lieb sein kann. Nicht wenige Sheriffs waren selbst Desperados
und Gangster. Daran scheint sich bis heute nicht so viel Grundsätzliches
geändert zu haben. Doch lauert der Desperado nicht in allen Menschen,
wie von Hentig nahe legt, wenn er meint (S. 226): "Wir sind, so scheint
es, nur Kulturmenschen auf Kündigung". Moral und Kultur sind vermutlich
nur Makulatur unter Normalbedingungen. |
Wer wissen will, wie der wilde Westen wirklich war und
nicht wie ihn die Propaganda von Hollywood darstellen, hat mit von Hentigs
Buch ein solides und kenntnisreiches Dokument. Zu seiner Entstehung geben
zwei Abschnitte Auskunft, zunächst das:
"Vorwort
Man wird diesem Buch amnerken, daß es in langen Jahren entstanden
ist, und wie aus einer kriminalhistorischen Untersuchung des wilden Westens
eine kulturhistorische Studie wurde. Es konnte nicht ausbleiben, daß
die vorwärtsschreitende Arbeit auf eine Theorie menschlicher De-Zivilisation
hindrängte. Das Phänomen ist Folge und regressive Anpassung zugleich,
wenn ungebahnte Natur und ungeformte Gesellschaft vom Menschen verlangen,
er möge sich mit ihrer rauhen Ursprünglichkeit abfinden und dabei
am Leben bleiben. Daß der Desperado nur eine von vielen Spielarten
der "Verwilderung" ist und der Gangster zum Beispiel ihm nahesteht —
bis herab zum Sprachschatz, der beide heute noch verbindet — gehört
zu den sichern Ergebnissen dieser Untersuchung.
Daß psychotische oder kriminelle Persönlichkeiten
körperlich wie seelisch Rückschlags.Bereitschaften aufweisen,
räumt die Wissenschaft ein. Daß wir alle mehr oder weniger reversibel
sind, haben uns Jahre gelehrt, die hinter uns liegen, deren Narben aber
immer noch schmerzen. Der Desperado ist nur der Teilausschnitt eines viel
weiteren Problems. Seine Naturgeschichte zu schreiben, bedeutet den Verzicht
auf die emotionelle Befriedung von Bewunderung oder Verwerfung. Der Desperado
war das Produkt von Kräften, die ihn hießen, so und nicht anders
zu sein.
Ich habe 15 Jahre im Westen gelebt und die Luft
der Berge, der Ebenen, der Lagerfeuer und der Goldgräberstädte
geatmet. Ich habe Freunde gehabt, deren Erinnerung noch in die Zeit zurückreichte,
als Indianer lautlos über die Bergkämme zogen. Diese Lebensnähe
ist, hoffe ieh, der Erkenntnis und der Darstellung zugute gekommen.
Von der riesigen Literatur war mir nur ein Teil
zugänglich. Das Material habe ich so kritisch benutzt, daß ich
erwarte, weder unverständigen Lobrednern der Zeit, noch verständnislosen
Verkleinerern einer gewaltigen Leistung zu gefallen. Obschon die Jugend
heute blasseren Vorbildern nachjagt, hat ihr Instinkt erraten, daß
die Menschheit vor nur 100 Jahren zwischen Missouri und Pazifik durch eine
erstaunliche Phase der Evolution — und Involution — gegangen ist. Ob der
Kulturmensch je wieder ein solches Experiment mit sich selber machen wird,
ist zweifelhaft.
Bonn, im Herbst 1955"
Wie wertvoll von Hentigs Arbeit - sicher auch heute
noch - ist, ergibt sich auch aus seiner kritischen Quellenhaltung (S. 8
ff), die möglicherweise auch die weitverbreitete Neigung in den USA,
die Wirklichkeit in Hollywoodmanier zu erfinden bzw. zu verarbeiten, verständlicher
werden läßt:
"B. Verdruß mit Material und Sprache
I
Wer die Zeit der "Pioniere" mit wissenschaftlichen Mitteln erforschen will,
stößt auf erhebliche Schwierigkeiten. Chronisten der Zeit haben
diese Hinderung deutlich empfunden. 'Zwei Wesenszüge', so lesen wir
'scheinen allen Tatmenschen der Anfangszeit gemein gewesen zu sein —
unverzagte Bravour und völlige Unfähigkeit, über irgendein
Geschehnis von Bedeutung übereinstimmend zu berichten. Es ist, als
ob sie sich richtig verschworen hätten, daß zwei Augenzeugen
niemals über wesentliche Umstände eines Vorgangs einig sein dürften'
[S. 8, FN3]. So ist der Pfad des Geschichtsschreibers voller Dornen. Auf
die damaligen Zeitungen kann man sich nicht verlassen, noch weniger auf
die Äußerungen der Berühmtheiten, wenn sie von sich selber
sprechen. In Tombstone vertraten zwei Blätter verschiedene Interessentengruppen.
Was sie brachten oder nicht brachten, entsprach dieser notorischen Parteilichkeit
[S. 8, FN4]. Die Zeitung in Ellsworth, einem höchst unruhigen Ort,
druckte monatelang die Überschrift: "Alles ruhig in Ellsworth". Gleich
darunter kamen die kleinen Nachrichten über Schießereien und
Zusammenstöße bei Tag und bei Nacht [S. 8, FN5]. Daß die
widersprechendsten Zahlen über die Mordkriminalität in Südkalifornien
verbreitet wurden, hat CLELAND gezeigt [S. 8, FN6]. In manche [S. 9] Seiten
des Lebens in Dodge City führen die Vorwürfe der Temperenz Prediger
[S. 9, FN1] und die hämischen Bemerkungen einer Zeitung im Nachbarort
[S. 9, FN2] besser ein, als die beschwichtigenden Bemerkungen der Einwohner.
Nach dem "Kansas Cowboy" waren Leben und Eigentum der Leute, "die sich
nicht um andere kümmern" in Dodge City sicherer als in irgend einem
andern Platz des Staates [S. 9, FN3].
Man nahm es mit Daten und Tatsachen nicht sehr genau.
Überall ist die 'Lust zu fabulieren' spürbar. Man freute sich
an abenteuerlichen Geschichten und malte fehlende grelle Farben hinzu.
'Oberst' E. Z. a. Judson, besser als Ned Buntline bekannt, der Entdecker
von Buffalo Bill und nicht unbekannt im Gangsterleben der vierziger Jahre
in New York [S. 9, FN4], hat mit vier verschiedenen Geburtsdaten gearbeitet.
'Das erste wurde niedergeschrieben, als er zur Marine ging, ein zweites,
als er sich zum Heere meldete. Sein Antrag auf Gewährung einer Pension
gibt ein drittes Datum an und auf seinem Grabstein steht ein viertes [S.
9, FN5]', wofür man ihn wahrscheinlich nicht verantwortlich machen
kann. Unbedenklich geben Autoren zu, daß sie Vorgänge nicht
ganz zutreffend beschrieben haben, um ihre Person zu salvieren [S. 9, FN6].
Was ist von Wyatt Earps Bericht über die Schlacht
von Iron Springs zu halten ? Der Vorderteil des Sattels ist von einer Kugel
zersplittert, der Rock hängt in Fetzen, in den Hosen sind drei Schußlöcher,
drei in der Hutkrempe, fünf im Kopfteil des Hutes. Sein Bein ist taub;
eine Kugel hat den Absatz getroffen. Drei Geschosse haben das Fell des
Pferdes geritzt. Das sind im ganzen 15 Treffer [S.9, FN7]. Er selbst ist
unversehrt. Vor welchem Gericht würde dieses blaue Wunder Glauben
finden ? ...
Das Unwahrscheinliche war unterhaltsam. 'Handfestes
Lügen', meint WALSH [S. 10, FN1], war Landessitte. Wenn man von Lügnern
spricht, so konnte der alte Westen mit einer größeren Anzahl
aufwarten als irgendein Land unter der Sonne [S. 10, FN2]. Es war mehr
Freude am Interesse der Zuhörer als bösartige Aufschneiderei.
Diese Pseudologie konnte bis zur Personifizierung verschollener Helden
gehen [S. 10, FN3]. ...
Die Geschichte der Zeitungen, die im Westen aus
dem Boden wuchsen, eingingen und an anderer Stelle wieder auftauchten,
ist ein besonderes Kapitel. Sie mußten den verzweifelten Versuch
machen, das Interesse des Lesers gefangen zu nehmen. So kam es zu dem erfundenen
Familienmord, den MARK TWAIN seiner Zeitung einschickte [S. 11, FNl]. So
kam es zu den Flunkereien von Zeitungen, die von Bergwerksgesellschaften
ausgehalten wurden und den Verkauf von Kuxen vorantreiben sollten. In Lundy
in Nevada besaß eine englische Gesellschaft Goldminen. Man gab eine
Zeitung heraus. Zum Leiter wurde ein Mann ausersehen, der an der ganzen
Westküste als "Schwindler Jim Townsend" bekannt war.
Durch Zufall sind einige Nachrichten über das
Blatt erhalten geblieben. Obschon der Ort nur wenige Läden hatte,
brachte die Zeitung Anzeigen von drei großen Lebensmittelgeschäften,
einem Warenhaus, zwei Banken und vieler Kneipen, auch Beerdigungsinstituten
und anderen nicht existierenden Unternehmen. Ein gedruckter Fahrplan wies
auf die Ankunft und Abfahrt von Zügen hin, die es nicht gab. 'Alles
das sah sehr gut für den britischen Aktienkäufer aus, obgleich
jeder im Ort wußte, daß Lundy nahezu verlassen und von schmerzlicher
Eintönigkeit war.' Daneben berichtete die Zeitung von einem Theater
(das es nicht gab), an dem die berühmtesten Schauspieler der Westküste
auftraten. Eine Erstaufführung wurde geschildert, eine Darstellung
der Kostüme gegeben, die von den Logenbesuchern getragen worden waren.
Solche Blätter sind nicht geeignet, sicheres kulturhistorisches Material
zu liefern."
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
A. Begriflabestimmung
B. Verdruß mit Material und Sprache
II. Die Kräfte der Umwelt.
A. Die physikalische Umwelt
B. Die Umwelt der Tiere
C. Die Umwelt der Menschen
1. Das Trümmerfeld der Niederlage
2. Der Antrieb wirtschaftlicher Kräfte
a) Gold und Silber
b) Eisenbahnen
c) Die Welt der Cowboys
d) Konflikte um herrenloses
Land
3. Wanderungeeffekte und Struktur der Bevölkerung
III. Die menschliche Spielart
A. Wechsel und Tausch des Standorts
B. Der körperliche Befund
1. Porträits der Zeitgenossen .
2. Blaue Augen, rotes lIaar, linke Hand
3. Defekte und körperliche Leiden
C. Die psychologischen Typen
1. Spieler und Erregungssüchtige
2. Geltungskranke und Akteure
3. Verstrickte und Gehetzte
4. Die Kriminellen
5. Geistesgestörte
6. Trinker
IV Das Trauma der Allmacht
A. Hilflose Gegenspieler
1. Indianer
2. Mexikaner
3. Chinesen
4. Neger
B. Der rudimentäre Rechtsschntz
C. Die mechanische Übermacht
V. Wildnis und Wildheit. Das Problem der rücklaufigen
Anpassung
A. Verwilderte Tiere
B. Der de-zivilisierte Mensch
Sachverzeichnis
regressiver Mensch
und Regression:
Regression heißt wörtlich Rückbildung,
Rückfall, zurückbewegen, zurückfallen, zurückführen
(auf eine frühere Stufe). Im Psychologischen bedeutet es in diesem
Zusammenhang ursprünglich, urtümlich, primitiv und urwüchsig.
Ein regressiver Mensch im von Hentig'schen Sinne ist seiner ursprünglichen
Natur sehr nahe; der wilde und sog. "primitive" Ureinwohner gilt in diesem
Sinne als ein regressiver Mensch. Fausrecht, Recht des Stärkeren,
orientierung ausschließlich an den eigenen Interessen kann so gesehen
als regressives Stadium angesehen werden, in dem Recht, Kultur, Moral und
Regeln nichts gelten, nur die Selbstdurchsetzung zählt.
Regression bedeutet in der Psychoanalyse
ein Zurückfallen auf ein früheres, niedrigeres Niveau. Tagträumt
jemand z.B. lieber statt eine wirkliche Bedürfnisbefriedigung anzustreben,
könnte von Regression gesprochen werden, was allerdings von der Psychologie
und Psychotherapie, wenn ein gewisser Umfang nicht überschritten wird,
als normal und natürlich angesehen wird. Fängt jemand auf höherer
Entwicklungsstufe z.B. wieder das Daumenlutschen an, könnte dies als
Regression gedeutet werden. Regression (regredieren) wird in der Psychoanalyse
auch als Abwehrmechanismus
aufgefaßt, was zum Teil phantastische Theorien hervorbrachte, wenn
Psychosen (der Schizophrene als Säugling, der Katatone als Fötus)
als Regressionen gedeutet werden.
In der Statistik bedeutet Regression, das Zurückführen
von Merkmalen Y (z.B. Gewicht) auf die Merkmale X (Körpergröße).
Zitierung
Sponsel, R. (DAS). Hans
von Hentig (1955). Der Desperado. Ein Beitrag zur Psychologie des regressiven
Menschen. Eine Buchpräsentation von Rudolf Sponsel zum Verständnis
des Hollywood-Menschen und Sheriff-Syndroms. Aus unserer Abteilung Differentielle
Psychologie der Persönlichkeit. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/diffpsy/despera.htm
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