PAS - Parental Alienation Syndrome nach Richard A. Gardner
Das Elterliche Entfremdungs Syndrom
Zur neuen Version AET - Ablehnung
eines Elternteils
Kernphänomen, Syndrom und Diagnostik, Ätiologie
und Therapie
Darstellung, Beurteilung, Bewertung
von Rudolf Sponsel, Erlangen (vollständige Präsentation 11.4.01)
Approbierter und zugelassener Psychologischer Psychotherapeut,
Forensischer Psychologe.
1. Einführung:
Was ist?
Beobachtetes Kernphänomen und Konstruiertes Syndrom
1.1 Das beobachtete Kernphänomen
PAS beruht kurz und bündig auf der Beobachtung des Kernphänomens, daß ein Kind bei sich trennenden, scheidenden oder geschiedenen Eltern meist relativ plötzlich und ohne nachvollziehbare Gründe, sich von dem umgangsberechtigten Elternteil und dessen Beziehungspersonen vollständig abwendet und nur noch mit dem Sorgeberechtigten und dessen Beziehungsumwelt zu tun haben will. Fast alle familienrechtspsychologischen GutachterInnen dürften dieses Phänomen kennen; und mir ist es auch bekannt.
1.2 Das Syndrom und die Diagnostik
1.2.1 Einführung und Vorverständnis der Grundbegriffe
Zum Vorverständnis möge folgendes Beispiel dienen: In der Krankheitslehre unterscheidet man u.a. die Hauptbegriffe Symptom (Zeichen, z. B. Fieber, Husten, Lichtempfindlichkeit); Syndrom (typisches Muster von Symptomen, z. B.: 9-11 Tage nach der Ansteckung fieberhafter Katarrh, Lichtscheu, Schnupfen, kleine weiße Pünktchen in der geröteten Wangenschleimhaut, krampfartiger Husten, zunehmendes Fieber, dann nach ca. 4 Tagen beginnend im Gesicht, Hals, Brust und sodann am ganzen Körper rote kleine Flecke, danach Absinken des Fiebers und allmähliches Verblassen), Diagnose (Masern), Krankheit (Masern), Ätiologie (Ursache, Grund; im Beispiel Virus-Infektion), Pathogenese (Entstehung, Entwicklung, Verlauf der Krankheit: siehe bitte oben bei Syndrom) und Therapie (Ruhe, Wärme, leichte Lichtabdeckung, keine Umschläge, Fruchtsaft, keine Milch), Prophylaxe (Vorbeugung: Impfung). Mit dem Syndrombegriff gibt es zwei Hauptprobleme: (1) Ein Kernproblem besteht darin, daß nicht immer alle Symptome gleichermaßen auftreten, so daß nie ganz klar ist, welche Kombination von Symptomen nun das Syndrom bedeutet. (2) Ein und dasselbe Syndrom kann zu verschiedenen Krankheiten gehören, wie findet man also die richtige Diagnose? Wenden wir uns nun aber der Syndromfrage zu, wie sie sich für Gardner stellt.
Aus der Beobachtung des vorher beschriebenen Kernphänomens wurde von dem amerikanischen Kinder und Jugendpsychiater Richard A. Gardner das Parental Alienation Syndrome (PAS) oder - auf deutsch - das elterliche Entfremdungssyndrom 1985 erstmals formuliert; 1987 erschien ein erster Artikel mit PAS im Titel von ihm und 1992 die erste Auflage des entsprechenden Buches; 1998 erschien die 2. Auflage, auf die ich mich im folgenden, wenn es um die aktuelle authentische Meinung Richard A. Gardners geht, immer beziehen werde. Es ist wichtig, auf Gardners Originalarbeit zurückzugreifen, weil er nicht selten von seinen AnhängerInnen in Deutschland unzulänglich, manchmal sogar falsch, zitiert und verarbeitet wird.
Eine ganze Reihe von überflüssigen Problemen sind durch Gardners Bestrebungen entstanden, zusätzlich zu dem an sich klaren, einfachen und ausreichend beschriebenen Kernphänomen, noch ein zusätzliches "Syndrom" zu bilden. Das ist insofern sehr verwunderlich als man ja jederzeit das Kernphänomen als "Syndrom" bezeichnen könnte, wenn man denn wollte. Im Grunde ist nicht erklärt, zu welchem Zweck und auf wen nun genau bezogen, ein „Syndrom" definiert werden soll:
a) Zeigt ausschließlich das
Kind dieses „Syndrom"?
b) Zeigt der Elternteil auch einen
Teil des „Syndroms"?
c) Können beide Eltern Teile
des „Syndroms" zeigen?
d) Zeigen Elternteil und betroffenen
Kinder zusammen dieses „Syndrom"?
e) Können es auch Familienangehörige
oder andere Bezugspersonen zeigen?
Tatsächlich bezieht sich Gardners Tabelle auf Merkmale beim Kind, so daß davon auszugehen ist, daß das PAS-„Syndrom" von ihm in erster Linie für eine Kennzeichnung des betroffenen Kindes gedacht ist. Dieser Ansatz ist sicher problematisch und wahrscheinlich unzweckmäßig bis falsch, weil, wie Gardner ja explizit definiert, dieses Syndrom sowohl durch - wenigstens - eine entfremdende Bezugsperson als auch durch eigenes Zutun des Kindes zustande kommen muß, also Ausdruck und Produktion eines Bezugspersonensystems ist. Das Bezugspersonensystem produziert dieses „Syndrom". Um in der modernen Psychotherapiesprache zu sprechen: das Kernphänomen PAS ist eine multiple, eine systemische Störung. Weshalb das Kind aktiv mittun muß, bleibt unklar, wird nicht begründet und ist ebenfalls im Grunde unverständlich. Wieso soll es nicht Fälle geben, bei denen das Kernphänomen des Parental Alienation Syndrome (PAS) ohne aktives Zutun des Kindes bei ihm induziert und hergestellt wird.
1.2.3 Wie definiert Richard A. Gardner sein PAS-"Syndrom"?
Wilfried von Boch-Gallhau unter Berufung auf Gardner beschreibt die Syndromelemente wie folgt:
"Professor Gardner beschreibt acht hauptsächliche Manifestationen bei PAS. Diese können in Stärke und Ausprägung variieren. Nicht jedes Kind zeigt alle angeführten Symptome. Es wird zwischen schwacher, mittelstarker und hochgradiger Form des PAS unterschieden, was für die Art der notwendigen rechtlichen und psychologischen Interventionen von Bedeutung ist.
1. Zurückweisungs- und Verunglimpfungskampagne
Frühere, schöne Erlebnisse mit dem abgelehnten Elternteil
werden fast ständig ausgeblendet. Der abgelehnte Elternteil wird ohne
große Verlegenheit und Schuldgefühle abgewertet, als böse
und gefährlich beschrieben, sozusagen zur ‘Unperson’ gemacht. Die
Kinder geraten bei ihren Schilderungen in eine große innere Anspannung
und können bei näherem Befragen meist nichts konkretisieren.
Sie sagen dann oft: ‘Es ist so, ich weiß es.’
2. Absurde Rationalisierungen
Die Kinder produzieren für ihre feindselige Haltung irrationale
und absurde Rechtfertigungen, die in keinem realen Zusammenhang mit tatsächlichen
Erfahrungen stehen. Alltägliche Ereignisse werden zur Begründung
herangezogen. ‘Er hat oft so laut gekaut’ oder ‘Sie hat mich nicht warm
genug angezogen,’ ‘Sie will immer, daß wir sagen, wozu wir Lust haben’
u. ä.
3. Fehlen von normaler Ambivalenz
Beziehungen zwischen Menschen sind immer ambivalent. An einem Menschen
gefällt mir dieses, jenes aber nicht. Bei PAS-Kindern ist ein Elternteil
nur gut, der andere nur böse. Unrealistischerweise wird der eine nur
weiß, der andere nur schwarz gezeichnet. Dieses Phänomen ist
bei PAS besonders typisch und muß den Befragenden hellhörig
machen.
4. Reflexartige Parteinahme für den programmierenden Elternteil
Bei Familienanhörungen wird reflexartig, ohne Zögern und
ohne jeden Zweifel für den betreuenden Elternteil Partei ergriffen,
oft noch bevor dieser überhaupt etwas gesagt hat. Auch hier können
die Vorwürfe auf entsprechendes Nachfragen oft nicht konkretisiert
werden.
5. Ausweitung der Feindseligkeit auf die gesamte Familie und das
Umfeld des zurückgewiesenen Elternteils.
Großeltern, Freunde und Verwandte des außerhalb lebenden
Elternteils, zu denen das Kind bisher eine warme und herzliche Beziehung
unterhielt, werden plötzlich ohne plausiblen Anlaß ebenso feindselig
abgelehnt, wie der außerhalb lebende Elternteil selbst. Dies wird
mit ähnlich absurden und verzerrten Begründungen gerechtfertigt.
Das Kind befindet sich dabei häufig in einer tiefen inneren Spannung
und Zerrissenheit.
6. Das Phänomen der ‘eigenen Meinung’ und des ‘eigenen Willens’
In PAS-Familien wird der ‘eigene Wille’ und die ‘eigene Meinung’ vom
betreuenden Elternteil besonders hervorgehoben. PAS-Kinder wissen schon
mit drei oder vier Jahren, daß alles was sie sagen, ihre eigene Meinung
ist. Die programmierenden Eltern zeigen sich besonders stolz darauf, wie
unabhängig und mutig ihre Kinder sich trauen zu sagen, was sie denken.
Oft werden die Kinder aufgefordert, auf jeden Fall "die Wahrheit" zu sagen.
Die erwartete Antwort kommt dann auch mit Sicherheit, denn kein Kind kann
die Enttäuschung des betreuenden Elternteils riskieren, von dem es
ja abhängig ist. An diesem Punkt zeigt die Programmierung ihre fatalen
Folgen: Die Kinder haben verlernt, ihrer eigenen Wahrnehmung zu trauen
und sie zu benennen. Die doppelten, widersprüchlichen Botschaften
(double-bind messages), die sie erhalten, können sie nicht erkennen
und nicht auflösen: ‘Geh mit deinem Vater / Mutter (verbal), aber
wehe du gehst! (nonverbal)’ - Das macht verrückt.
7. Abwesenheit von Schuldgefühlen über die Grausamkeit
gegenüber dem entfremdeten Elternteil
Die betroffenen PAS-Kinder haben keine Schuldgefühle, sie unterstellen,
der abgelehnte Elternteil sei gefühlskalt, leide nicht unter dem Kontaktverlust
zu seinem Kind und es geschehe ihm nur recht, keinen Kontakt mehr zu haben.
Gleichzeitig werden finanzielle Forderungen und Ansprüche ohne Skrupel
angemeldet, die Kinder empfinden dies ‘als ihr gutes Recht’. Dankbarkeit
zeigen sie nicht.
8. Übernahme ‘geborgter Szenarien’
PAS-Kinder schildern teilweise groteske Szenarien und Vorwürfe,
die sie von den betreuenden Erwachsenen gehört und übernommen,
aber nicht mit dem anderen Elternteil selbst erlebt und erfahren haben.
Meist genügt die Nachfrage ‘Was meinst du damit?’, um festzustellen,
daß das Kind gar nicht weiß, wovon es spricht. Einem Vater
wurde anläßlich eines Schwimmbadbesuches z. B. vorgeworfen,
er hätte das Kind fast ertrinken lassen - also ein völlig unverantwortlicher
und ungeeigneter Vater zu sein."
Syndrom-Tabelle [FN01]
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Verunglimpfungskampagne | minimal | mittel | beträchtlich |
Schwache, leichtfertige oder minimal absurde Rationalisie- rungen der Verunglimpfung | minimal | mittel | multiple absolute Rationalisierungen |
Fehlende Ambivalenz | normale Ambivalenz | keine Ambivalenz | keine Ambivalenz |
Phänomen "eigenständiges Denken" | in der Regel nicht vorhanden | vorhanden | vorhanden |
Reflexive Unterstützung des entfremdenden Elternteils | minimal | vorhanden | vorhanden |
Fehlende Schuldgefühle | normales Schuldgefühl | geringes bis kein Schuldgefühl | kein Schuldgefühl |
"Entliehende Szenarien" | minimal | vorhanden | vorhanden |
Ausweitung der Feindseligkeiten auf die erweiterte Familie des entfremdeten Elternteiles | minimal | vorhanden | beträchtlich, oft geradezu fanatisch |
Übergangsschwierigkeiten während der Besuchszeiten | mormalerweise nicht vorhanden | mittlere Ausprägung | beträchtlich, Besuch oft unmöglich |
Verhalten während der
Besuchszeiten. |
gut | Zeitweise Antagonistisch und provozierend | Keine Besuche oder destruktives Verhalten und anhaltende Provokation |
Bindung zum entfremdenden Elternteil | Stark, gesund | Stark, leichte bis mittlere pathologische Ausprägung | Stark pathologische, oft paranoide Bindung |
Bindung zum entfremdeten Elternteil | Stark, gesund oder leicht pathologisch | Stark, gesund oder leicht pathologisch | Stark, gesund oder leicht pathologisch |
1.2.4 Was ist nun ein Syndrom und zu was braucht man den Syndrom-Begriff?
Die Idee und Schöpfung des Syndrombegriffs beruht auf der Beobachtung, daß bestimmte Störungen und Krankheiten ein typisches Symptommuster zeigen: „Treten bestimmte Symptome immer wieder gemeinsam auf, ohne daß man den Grund, die gemeinsame Ursache kennt, so spricht man auch heute von einem Syndrom." (Hartmann 1959, S. 152). "Syndrome sind Komplexe von Symptomen, die häufig zusammen beobachtet werden und irgendwie ihrem Wesen nach zusammenhängen." [FN02] "Eine Syndromatologie psychischer Störungen hat daher von dem gemeinsamen Auftreten von Symptomen ohne Rücksicht auf deren Entstehungsbedingungen ... auszugehen." [FN03] "In der klinischen Erfahrung trifft man wiederkehrende typische 'klinische Bilder' an, konstelliert durch häufig im Zusammenhang (im Verband) auftretende Symptome." [FN04] "Die triviale Eigenschaft von Syndromen ist, dass sie Gruppen von Symptomen darstellen. Das Gemeinsame dieser Symptome ist die Tatsache, dass sie ein typisches Muster bilden, eine häufig auftretende empirische Konstellation. Im Sinne des medizinischen Krankheitsbegriffes ist ein Syndrom die Folge eines krankhaften Prozesses, der sich im Beobachtbaren eben durch die ihn kennzeichnende Gruppe von Symptomen manifestiert. In der Körpermedizin kann dieser Kausalzusammenhang häufig durch anatomisch-physiologische Untersuchungen nachgewiesen werden. In der Psychiatrie dagegen ist die Ursache einer Störung - abgesehen von den exogenen Psychosen - meist Gegenstand von Kontroversen und liegt ausserhalb des beobachtbaren Bereichs. Eine Syndromatologie kann sich dann ausschliesslich auf das mehr oder weniger häufige Zusammenauftreten von Symptomen und anderen Sachverhalten abstützen. Wir wollen deshalb für unsere Zwecke ein Syndrom als nichts anderes definieren, als eine Gruppe (häufig) zusammenauftretender Symptome." [FN05]
Ein Problem in der Praxis ist nun: Viele Störungen oder Krankheiten produzieren Symptome oder Syndrome nicht immer und beständig, sondern die relativen Häufigkeiten schwanken. Es ist von daher gesehen faktisch sehr schwierig, eine Störung oder Krankheit eindeutig und klar zu definieren. Es stellt sich die Frage: Was tut man also im Einzelfall, wenn ein Symptom oder ein Syndrom fehlt? Die internationalen Diagnosesysteme haben das Problem so gelöst, daß sie eine Menge relevanter Kriterien festlegen und aus diesen eine minimale Auswahl verlangen, z. B. das DSM IV für Borderline Störungen ein Minimum von 5 aus 9 Kriterien [FN06]. Man kann über den Sinn dieser Methode streiten. Tatsache ist, daß die großen internationalen Diagnosesysteme oben aufgezeigtes Problem der Symptomfluktuation und Bedeutung kennen und dafür eine praktische Lösung geschaffen haben, wie sinnvoll oder fragwürdig diese im einzelnen auch immer sein mag.
1.2.5 Zusammenfassende Kritik: PAS als Syndrom
Richard A. Gardner, obwohl er für das DSM V einen Vorschlag ausarbeiten soll, ignoriert dieses Problem und die Aufgabe. Er definiert zwar drei Ausprägungen seiner PAS-Syndrom Konstruktion, aber er definiert keine Zuordnungsbedingungen, so daß sich hieraus zwingend ergibt: 1) Es müssen immer alle 8 von 8 Bedingungen erfüllt sein und das ist 2) unrealistisch, untypisch und nicht im Einklang mit den Regeln der großen internationalen Diagnosesysteme. Man darf getrost den Schluß ziehen: der Psychoanalytiker Richard A. Gardner hat überhaupt kein theoretisches Fundament, kein methodologisch begriffliches Repertoire und kein Problembewußtsein zum Syndrombegriff. Der Witz daran ist, daß meines Erachtens die ganze Syndromdebatte weitgehend künstlich und überflüssig ist. Das ist insofern schade, weil die bedeutsame Leistung Richard A. Gardners, die Bedeutung des PAS-Kernphänomens herausgearbeitet und international bekannt gemacht zu haben, dadurch zu sehr in Nebenschauplatzdebatten aufgerieben und das Wesentliche aus dem Auge verloren werden könnte.
1.2.6 Die Lösung des Syndrom-Problems
Die Lösung des Syndrom-Problems ist ganz einfach, wenn man sich auf das wesentliche Kernphänomen beschränkt. Ich mache daher folgenden Definitionsvorschlag:
Ein PAS-Kernsyndrom liegt vor, wenn ein Kind bei sich trennenden, scheidenden oder geschiedenen Eltern - meist - relativ plötzlich und ohne nachvollziehbare Gründe, sich von dem umgangsberechtigten Elternteil und dessen Beziehungspersonen nahezu vollständig abwendet und nur noch mit dem Sorgeberechtigten und dessen Beziehungsumwelt zu tun haben will
Unterschiedliche Entwicklungen und Varianten ergeben sich durch:
1) Plötzlichkeit der Abwendung
2) Nicht nachvollziehbare Gründe
3) Ausmaß der Abwendung
Hier ist noch sehr viel Forschungsarbeit zu leisten, insbesondere was
die Gründe einer solchen Entwicklung betrifft. Daher sollen nunmehr
zunächst die grundsätzlichen Möglichkeiten erörtert
werden.
2.
Woher kommt es (Ätiologie, Pathogenese)?
Vom (PAS-) Syndrom zum Befund der Diagnose und Krankheit
2.1 Grundsätzliche Möglichkeiten und kombinatorische Überlegungen
Für unser Elterliches Entfremdungs-Syndrom stellt sich grundsätzlich
auch die familienrechtspsychologisch entscheidende Frage, wenn geklärt
sein sollte, daß PAS vorliegt: was bedeutet es, welche „Krankheit"
drückt es aus: (a) Fehlverhalten des Sorgeberechtigten, (b) Fehlverhalten
des Umgangsberechtigten, (c) Fehlverhalten des Kindes, (d) Fehlverhalten
anderer Bezugspersonen und (e) andere bislang unbekannte Faktoren und Gründe
oder eine Kombination der möglichen Faktoren a) bis e)? Insgesamt
gibt es dann nach den Regeln der Kombinatorik für das Kernproblem
folgende 32 Möglichkeiten [FN07]:
01: a | 02: b | 03: c | 04: d | 05: e |
06: a+b | 07: a+c | 08: a+d | 09: a+e | 10: b+c |
11: b+d | 12: b+e | 13: c+d | 14: c+e | 15: d+e |
16: a+b+c | 17: a+b+d | 18: a+b+e | 19: a+c+d | 20: a+c+e |
21: a+d+e | 22: b+c+d | 23: b+c+e | 24: b+d+e | 25: c+d+e |
26: a+b+c+d | 27: a+b+c+e | 28: a+b+d+e | 29: a+c+d+e | 30: b+c+d+e |
31: a+b+c+d+e | 32: keine Kombination trifft zu / liegt vor („Fehldiagnose"). |
Das eigentliche und wirklich wichtige Problem der Diagnose eines Parental Alienation Syndrome (PAS) ist, wie man sieht, gar nicht die Syndrom-Definition, sondern die Ätiologie (Ursache, Gründe) und Pathogenese (Entstehung, Entwicklung, Verlauf). Für Richard A. Gardner und besonders für seine unkritischen AnhängerInnen und PropagandistInnen in Deutschland existiert die kombinatorische Kausalproblematik nicht und dies zeigt schon, wie es um die Wissenschaftlichkeit dieses Ansatzes bestellt ist.
Schon die Sprache Gardners setzt völlig falsche Akzente: Sein wesentliches Erklärungskonzept besteht darin, aufgrund einer besonderen Bindung [FN08] zwischen dem entfremdenden Elternteil und dem Kind so etwas wie eine Programmierung oder Gehirnwäsche anzunehmen.
Die gesamte deutsche Anhängerschaft R. A. Gardners beruft sich kritiklos auf dieses Dogma [FN09].
Der nichtsorgeberechtige oder nicht dauerhaft bzw. hauptsächlich residente Elternteil und andere Bezugspersonen wie auch sonstige Umstände spielen von vorneherein überhaupt keine Rolle. Wie eine solche wissenschaftlich noch nicht genügend erforschte Theorie so problemlos Eingang in obergerichtliche und höchste Urteile finden kann, ist schwer nachvollziehbar.
Abgesehen von der psychologisch und psychopathologisch fehlerhaften
Wortwahl, ergeben sich hierbei in der Rezeption des PAS immer wiederkehrende
Ungereimhteiten, was PAS ist und nicht ist oder sein soll. In der Neuauflage
schreibt er, daß es geradezu wesentlich zu seinem PAS gehört,
daß die PAS Kinder einen eigenständigen Anteil einbringen. Außerdem
macht er noch einmal deutlich, daß PAS nicht mit Gehirnwäsche
und Programmierung gleichgesetzt werden darf. In der Einleitung zu seinem
Buch nimmt R.A. Gardner zu einigen aktuellen Problemen und Mißverständnissen
Stellung (1998, p. xx), u.a.:
Das Vokabular „Gehirnwäsche" und „Programmierung" ist
aus mehrfachen Gründen abzulehnen:
Ich schlage stattdessen den neutralen Ausdruck unangemessene Beeinflussung
unterschiedlicher Herkunft vor.
Bisher jedenfalls hat die Darstellung des PAS ganz eindeutig dazu geführt, dem sorgeausübenden Elternteil die alleinige Hauptverantwortung für die Entstehung einer ziemlich plötzlichen und vollständigen Abwendung des Kindes vom nicht- sorge- ausübenden Elternteil zuzuschieben, was letztlich nur darauf hinausläuft, die Machtverhältnisse umzukehren und neue Feindbilder und Verhärtungen aufzubauen. Diese Einseitigkeit der Darstellung findet sich in nahezu sämtlichen Veröffentlichungen der PAS-AnhängerInnen. Beispielhaft und typisch nach Boch-Gallhau (1999):
"Beim PAS bewirken im wesentlichen drei Faktoren die aggressive Zurückweisung
eines Elternteils und die Übernahme der ablehnenden Gefühle des
betreuenden Elternteils durch das Kind in (vgl. U. Kodjoe / P. Koeppel:
‘The Parental Alienation Syndrome’ DA 1/98):
Die Rolle, Funktion, Agieren und Beziehungsgeschichte zwischen Kind
und dem nichtsorgeausübenden Elternteil sind in dem Erklärungssystem
vollständig verschwunden. Diese Abspaltung ist wohl ein einmaliges
und außerordentliches Phänomen, das mit Wissenschaft nicht in
Einklang gebracht werden kann. Hier spielen zwei Faktoren hinein: (1) die
bisherige Ohnmacht des Rechts und der Nichtsorgeausübenden und (2)
die teilweise hemmungs- und verantwortungslose Ausnutzung der Macht- und
Beeinflussungsverhältnisse einiger Sorgeausübender gegenüber
den Nicht-Sorgeausübenden.
3. Wie kann man es beheben, ausgleichen, ändern (Behandlung, Therapie)?
Bevor man eine Störung sinnvoll beheben kann, muß man wissen,
worin sie genau besteht, wie sie genau entstanden und aufrechterhalten
wird und welche Möglichkeiten der Einflußnahme es gibt. Diese
schwierigen Fragen stellen sich für Gardner und seine AnhängerInnen
nicht mehr, da die/der Allein-Schuldige identifiziert ist als die / der
überwiegend die Sorge ausübende. Diese Fälle mit überwiegender
Schuld der / des überwiegend die Sorge ausübenden gibt es wohl,
was aber ist mit den Fällen, in denen, die Nicht-Sorgeausübenden
den Umgang mißbrauchen, (1) indem sie an der Sorgeausübung "arbeiten"
und das Kind in schwere Loyalitätskonflikte stürzen; (2) indem
sie dem Kind ständig ihre Sicht der Dinge unnachgefragt aufdrängen;
(3) indem sie dem Kind voreilig die Akzeptanz und positive Wertschätzung
ihrer neuen Partner- und Familiensituation aufdrängen; (4) indem das
Kind mißbraucht wird, um die Partnergeschichte aufzuarbeiten; (5)
indem das Kind vernachlässigt und abgeschoben wird? Auf die Kinder
wird überhaupt nicht mehr die geringste Rücksicht genommen. Die
neue Ideologie heißt: Der Umgang ist immer gut für das Kind
und muß unter allen Umständen erzwungen werden, nötigenfalls
mit einer Änderung des Sorge- bzw. des Aufenthaltsbestimmungsrechtes.
So empfiehlt Gardner folgende Maßnahmen:
Intervention [FN10] | leicht | mittel | schwer |
Gerichtliche Intervention
|
Alleinige elterliche
Sorge bleibt beim entfremdenden Elternteil
|
Plan A (üblich)
1. Elterliche Sorge verbleibt beim entfremdenden Elternteil 2. Bestellung eines Therapeuten oder Mediators bzw. Verfahrens-/ Umgangspflegers 3. Sanktion: a) Geld, b) Hausarrest, c) Beugehaft Plan B (gelegentlich erforderlich)
|
1. Sorgerechtsübertragung auf den entfremdeten Elternteil
2. Gerichtlich angeordnete Intervention der Übergangsörtlichkeit
|
Umgangs- und Verfahrenspflege
Therapie
Mediation_ |
in der Regel nicht kurativ, jedoch präventiv indiziert
|
Plan A (üblich)
Intervention eines Therapeuten, Mediators bzw. Verfahrenspflegers Plan B (gelegentlich erforderlich)
|
Durch Verfahrens-/ Umgangspfleger bzw. Therapeuten/ Mediator überwachte
Intervention der Übergangsörtlichkeit
|
4. PAS in der wissenschaftlichen Literatur
PAS in den deutschen und internationalen Literatur-Datenbanken
Untersucht wurden die für Deutschland wichtigsten Literaturdatenbanken
Psyndex, PsycLIT und Medline.
PsycLIT
In der international bedeutsamen amerikanischen Literaturdatenbank
PsycLIT gab es bis Ende Juni 1999 insgesamt 16 Einträge mit insgesamt
14 echt verschiedenen zum Suchbegriff Parental Alienation Syndrome (PAS),
nämlich (nach Zeitaktualität sortiert von oben nach unten):
Gardner, Richard A. (1999). Rooney, Shelley A.; Walker, Todd F. (1999).
Lowenstein, L. F. (1998). Gardner, Richard A. (1998). Gordon, Robert M.
(1998). Faller, Kathleen Coulborn (1998). Rand, Deirdre Conway (1997, I,
II). Lund, Mary (1995). Turkat, Ira Daniel (1994). Hysjulien, Chery;
Wood, Barbara; Benjamin, G. Andrew H. (1994). Dunne, John; Hedrick, Marsha
(1994). Stahl, Philip Michael (1994). Cartwright, Glenn F. (1993). Palmer,
Nancy R. (1988).
Psyndex
Im Psyndex, der deutschen psychologischen wissenschaftlichen Literaturdatenbank
findet sich bis 09/1999 (geführt ab 1977) insgesamt nur ein einziger
Eintrag: Ward, P.; Campbell-Harvey, J. (dt. 1998; orig. 1993).
Medline
In der englisch-sprachigen internationalen medizinischen Literaturdatenbank
MEDLINE findet sich bis 09/1999 auch nur ein einziger Artikel: Price, JL;
Pioske, KS (1994).
Insgesamt finden sich in den drei wichtigen internationalen
Datenbanken bislang wenig Veröffentlichungen; eine kritische Auseinandersetzung
hat noch gar nicht stattgefunden. In Deutschland liegen inzwischen erste
kritische Arbeiten vor (Gerth, U. [1998]; Salzgeber, J. & Stadler,
M. [1998]; Stadler, M. & Salzgeber, J. [1999]; Salzgeber, J.;
Stadler, M.; Schmidt, Sabine M. & Partale, C. [ 1999]). Von daher muß
es außerordentlich verwundern, daß PAS bereits in obergerichtlichen
Urteilen in einer Weise zitiert wird als handele es sich um fundierte,
allgemein wissenschaftlich akzeptierte Erkenntnisse.
5. Zusammenfassende vorläufige Bewertung (11/1999)
Das Parental Alienation Syndrome (PAS) des Psychiaters Richard A. Gardner geht aus von einem sehr wichtigen und richtigen Kernphänomen, nämlich der Beobachtung, daß ein Kind bei sich trennenden, scheidenden oder geschiedenen Eltern meist relativ plötzlich und ohne nachvollziehbare Gründe, sich von dem nicht-sorgeausübenden Elternteil und dessen Beziehungspersonen vollständig abwendet und nur noch mit dem Sorgeausübenden und dessen Beziehungsumwelt zu tun haben will. Gardner meint für dieses Phäomen ein Syndrom gefundenen zu haben, beschreibt es, versucht es zu erklären und macht Vorschlage zu seiner Behebung. Hierzu ist kritisch zu bemerken: Das Konzept ist (1) in seiner syndromalen Konstruktion problematisch und differentialdiagnostisch unausgegoren; (2) von grundlegenden, einengenden, einseitigen und damit falschen Annahmen und nicht begründeten empirischen Fakten getragen; (3) extrem parteiisch gegen die Sorgeausübenden und unkritisch für die Nichtsorgeausübenden; (4) in der "rechtspsychologisch-therapeutischen" Anwendung in sich unlogisch und widersprüchlich, wenn der Sorgeausübende seinerseits zum PAS-Fall gemacht werden kann; (5) einige Empfehlungen verkennen das Prinzip und Gebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel; (6) die unkritische Anwendung dieses Konzeptes ist damit familien-rechtspsychologisch und für das Kindeswohl außerordentlich gefährlich, besonders wenn es von missionarischen ParteigängerInnen angewendet wird. Wie so vieles enthält die Idee aber etwas Wahres und Nützliches, das im Einzelfall zum Nutzen des Kindeswohls hilfreich sein kann. Hier ist die Spreu vom Weizen zu trennen und vor allem darauf zu achten, das Kind nicht mit dem Badewasser auszuschütten. PAS-Fälle kommen sehr wahrscheinlich vor, wenn auch weit weniger oft in der propagierten Einseitigkeit, mit der die neuen MissionarInnen inzwischen auftreten und die Öffentlichkeit wie die Gerichte verwirren und verunsichern.
Die falschen PAS Dogmen lauten: (1) Ein PAS liegt hauptsächlich
an einer Art programmierenden Gehirnwäsche des Sorgeausübenden.
(2) Der Umgang mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil ist langfristig
für das am Lebenswohl
gemessene Kindeswohl immer am besten. (3) Die kindliche Seele und Entwicklung
ist durch nichts zu erschüttern und jede Zwangsmaßnahme ist
dem Kind zumutbar, weil es doch langfristig betrachtet von einer aufrechterhaltenen
Bindungsbeziehung zu beiden Eltern am meisten profitiert.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. PAS site:www.sgipt.org. |