Gibt es einen »Mißbrauch
mit dem Mißbrauch«?
Reihe Materialien und Dokumente
zum Thema Mißbrauch des Mißbrauchs.
Ursula Enders (2001, Hrsg.). Gibt es einen »Mißbrauch mit dem Mißbrauch«? In: Zart war ich, bitter war's, Kapitel XVIII., S.454-469. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Mit freundlicher Genehmigung des Kiepenheuer
& Witsch Verlages
Querverweis: Gesamtpräsentation
des Buches mit Inhaltsverzeichnis und Bewertung
Fettung kleiner Zwischenüberschriften zur Gliederung und Links
im Text durch die IP-GIPT
"XVIII. GIBT ES EINEN »MISSBRAUCH MIT DEM MISSBRAUCH«?
In den 90erJahren wurde auch in Deutschland die Diskussion um den »Missbrauch rnit dem Missbrauch« mit großer Heftigkeit geführt. So wurde behauptet, dass sich Mütter einen sexuellen Missbrauch an ihren Töchtern und Söhnen lediglich ausdenken, um sich im Sorgerechtsverfahren an ihren getrennt lebenden Ehemännern zu rächen. Weiter wurde unterstellt, ideologisch verbrämte Erzieherinnen und Beraterinnen suggerierten Kindern sexuelle Gewalterfahrungen. Anlass genug, sich Gedanken über die Hintergründe des »backlash« - des Rückschlages - zu machen.
Von Tätern, willigen und unfreiwilligen Helfern und Helferinnen
Die Zweifel an dem Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Kinder und an der Glaubwürdigkeit von Mädchen und Jungen ist kein neues Phänomen. Schon Sigmund Freud konnte »die sexuelle Perversion gegen Kindera nur glauben, solange er sie außerhalb seiner eigenen Lebensbezüge beobachtete (z. B. während seines Studienaufenthaltes in Paris). Zurück in Wien, war für ihn die Tatsache unannehmbar, dass sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen auch innerhalb der von ihm geachteten bürgerlichen Gesellschaft (und innerhalb seines eigenen Familiensystems) stattfand. Die persöolichen Grenzen des Vaters der Psychoanalyse zeichneten sich schon in seiner frühen Arbeit mit seiner Klientin Dora ab. Zwar glaubte er deren Gewalterfahrungen noch, doch war ihrn die Begleitung der jungen Frau nicht mehr möglich, als diese wieder mit ihrer berechtigten Wut gegen den Täter in Kontakt kam. Dora [<454] brach die Behandlung ab. Kurze Zeit später stellte Freud seine eigene Theorie auf den Kopf und wertete die Berichte der Opfer sexueller Gewalt als Symptom einer hysterischen Erkrankung.
Die Unterstützung, die die Bewegung »Missbrauch rnit dem Missbrauch« seit Anfang der 90er Jahre findet, liegt u. a. in einer vergleichbaren Dynamik begründet. Lange gaben sich breite Teile der Fachöffentlichkeit der Illusion hin, sexueller Missbrauch sei ein Familienproblem, verursacht durch die Dysfunktion einzelner Familien. Diese Individualisierung des gesellschaftlichen Problems blendete sexuelle Gewalt in den Handlungs- und Kooperationssystemen psychosozialer Arbeitsfelder aus und ermöglichte den professionellen Helfern/Helferinnen eine Distanzierung von Tätern (Täterinnen). Eine solche Abgrenzung kann heute nicht mehr aufrechterhalten werden, wurden doch in den letzten Jahren zahlreiche Fälle der sexuellen Gewalt durch Mitarbeiter (Mitarbeiterinnen) der Institutionen psychosozialer Arbeitsfelder bekannt (s. Kapitel V u. XVI). Die Problematik der sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Jungen im eigenen Umfeld rückt damit nicht nur den Müttern, sondern auch den professionellen Helferinnen/Helfern bedrohlich nahe. In ihrer Hilflosigkeit greifen viele von ihnen nach allen Konstrukten, die das Ausmaß der Gewalt in Frage stellen oder im Einzelfall die Unschuld eines Täters »beweisen«.
Wie schwer es ist, sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen im eigenen Umfeld wahrzunehmen und zu glauben, konnte ich an mir selbst beobachten. Auch ich überhörte noch in der Mitte der 80erJahre während meiner ehrenamtlichen Tätigkeit beim Kinderschutzbund Aussagen eines Vereinskollegen, die mir als Hinweise auf sein sexuell übergriffiges Verhalten hätten dienen können. Ich schätzte den Kollegen und kam nicht auf die Idee, in dem engagierten Kinderschützer einen Täter zu sehen. Allerdings war nicht nur mein Vereinskontakt zu dem Missbraucher ursächlich für meine eingeschränkte Wahrnehmung, sondern ebenso meine in der Tradition der Studentenbewegung stehende »Lässigkeit« im Gespräch über und im Umgang mit Sexualität. Seinerzeit wunderte es mich z.B. nicht, wie sehr mein Kollege auf die Schriften Helmut Kentlers schwor. Auch ich hatte in den 70erJahren dessen Veröffentlichungen studiert und die latente Pädosexuellenfreundlichkeit des Sexualexperten nicht erkannt. Kentlers Schriften der [<455] letzten dreißig Jahre offenbaren ein äußerst unkritisches Verhältnis zu sexuellen Übergriffen. Sie belegen u. a., wie sehr der »Sexualexperte« den Erwachsenen als »Opfer kindlicher Verführung« sieht. Kentler zitiert z. B. den Bericht eines 24jährigen Mannes über den Kontakt zu einer 3-Jährigen:
"Dann will sie mich streicheln, Hände und Gesicht [...] Dann will sie meinen »Popo« streicheln [... ] Als ich mich wieder umdrehe, um den ihren wie gewünscht zu streicheln, konzentriert sich ihr Interesse sofort auf »Penis«. Sie streichelt ihn und will ihn »zumachen« (Vorhaut über die Eichel ziehen), bis ich ganz erregt bin und mein Pimmel steif wird. Sie strahlt und streichelt ein paar Minuten lang mit Kommentaren wie, »Streicheln! Guck ma Penis! Groß! Ma ssumachen! Mach ma klein!« [...] Ich versuche ein paarmal, sie zaghaft auf ihre Vagina anzusprechen, sage, dass ich sie auch gerne streicheln würde, wodurch sie sich aber nicht unterbrechen läßt. [... ] Nach erneutem Streicheln und Zumach-Versuchen kommt wieder der Wunsch »Reinstecken«, diesmal energischer als vorher. Ich: »Versuch's mal!« Sie hält meinen Pimmel an die Vagina und stellt dann resigniert fest: »Zu groß.«
Kentler bewertet die Situation für beide als ungewohnt. Während jedoch das kleine Mädchen immer sicherer und entdeckungsfreudiger geworden sei, fühle sich der junge Mann immer gehemmter und versuche, die sexuelle Attacke, der er ausgesetzt sei, vor sich selbst zu verharmlosen (vgl. Kentler 1990). Der Hochschullehrer verliert weder ein Wort über das Ungleichgewicht im Machtverhältnis Erwachsener - Kind, noch zeigt er die Möglichkeit des Mannes auf, der sexuellen Neugier einer 3-Jährigen Grenzen zu setzen.
Seine unkritische Haltung gegenüber Pädosexualität offenbart der Autor auch in Schriften, in denen er die Position vertritt, dass homosexuelle Beziehungen zwischen Pflegepersonen und Pflegekind nicht unbedingt eine Schädigung des Kindes zur Folge habe (Kentler 1989, 1991). Er empfiehlt nicht nur die Unterbringung von straffälligen Jungen »bei pädagogisch interessierten Päderasten«, sondern vertritt die These, »dass sich päderastische Verhältnisse sehr positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Jungen auswirken können, vor allem dann, wenn der Päderast ein regelrechter Mentor des Jungen ist« (Kentler, zit. n. Rutschky/Wolff 1999). [<456] Kentler bagatellisiert zudem die Folgen sexueller Gewalt (z.B. Kentler 1975, Neuauflage von 1992).
Bei aller berechtigten Kritik an den teilweise kinderfeindlichen Positionen des »Sexualexperten« ist es jedoch nicht statthaft, diesen als pädosexuell zu bezeichnen. Richtig ist vielmehr die Behauptung, dass der Hochschullehrer pädosexuellenfreundliche Positionen vertritt und damit die kindlichen Opfer aus seinem Blickfeld verliert. Diese These wird unterstrichen durch Kentlers Engagement im Kuratorium der »Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität« (AHS), die u. a. das Recht von Kindern auf Sexualität mit Erwachsenen einfordert.
In den 80er und 90erJahren engagierten sich auch
Michael Baurmann, Opferforscher des Bundeskriminalamtes, und Prof. Dr.
Walter Bärsch, inzwischen verstorbener Ehrenvorsitzender des Deutschen
Kinderschutzbundes, für die »Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität«
(AHS). Michael Baurmann legte seine Ämter innerhalb der »AHS«
nieder, als ein Vorstandsmitglied dieses Vereins wegen der sexuellen Ausbeutung
eines Jungen vor Gericht stand. Walter Bärsch trat erst im Sommer
1994 auf massiven Druck der Basis des Kinderschutzbundes aus der »AHS«
aus. Nicht mehr verhindern konnte diese eine von Bärsch und anderen
Vorstandsmitgliedern des Verbandes Anfang der 90er Jahre in Kooperation
mit einer Werbeagentur durchgeführte Plakat- und Anzeigenkampagne.
Sie zeigte Fotos von Kindern und kommentierte diese mit den täterentschuldigenden
Slogans: »Vati war ihr erster Mann«, »Immer, wenn sich
die Gelegenheit ergibt, kann Onkel Paul nicht anders« und »Sabine
ist Papis ein und alles. Sie wird von ihm geliebt. Aber mehr als sie verkraften
kann«.
Ein ehemaliger AHS-Mitstreiter, der inzwischen ebenso verstorbene »Sexualexperte«
Ernest Borneman, fiel in den 80er Jahren vor allem dadurch auf, dass er
den weißen Kittel des Sexualmediziners anzog und als Briefkastenonkel
der »Neuen Revue« auftrat. »Bornemansche Kostproben«
sprechen für sich:
Problem: »... gibt es nur alle 6-8 Wochen [...]
Intimverkehr [...] Oft bin ich am Verzweifeln, dass ich sogar an Selbstmord
denke.«
Prof. Dr. Borneman: »Wenn der eine Zärtlichkeit
benötigt, und der andere sie verweigert, muss man sich trennen [...]
Es gibt zwar Quartalssäufer, aber keine Quartalsbumser.« (Neue
Revue 47/83) [<457]
Problem: »Mein Mann, mit dem ich 44 Jahre verheiratet
bin, verlangt immer noch von mir, dass ich mich ihm bis zu zweimal in der
Woche hingebe. Mir ist das meist zuwider, weil ich dafür kaum noch
ein Bedürfnis habe (ich bin 63 Jahre alt). Außerdem habe ich
erhebliche Bedenken, weil mein Mann krank ist.«
Prof. Dr. Borneman: »Sterben müssen wir
alle. Der beste Tod, der uns treffen kann, ist aber der Tod im Orgasmus.
Französisch: »Der süße Tod« (Neue Revue 43/83)
(zit. n. Sigusch 1990)
Prof. Volkmar Sigusch, Leiter der Abteilung für Sexualwissenschaft an der Universität Frankfurt, bewertet die Ratschläge Bornemans als »Lehrstück für die denkbar schlechteste Sexualberatung« und empfiehlt demjenigen, der »schwarz auf weiß sehen will, wie zynisch gegenaufklärerische Sexologie ist, der lese Bornemans Killerphrasen«. Nach Siguschs Einschätzung ist diese »Sprechstunde« eine Schande für jede Art von Sexualwissenschaft; die Ratschläge bewertet er als gefährlich (vgl. Sigusch 1990).
Leider nahm sich Borneman in den 90erJahren unter großer Beachtung der Medien auch des vermeintlichen »Missbrauchs mit dem Missbrauch« an und warnte in aller Schärfe vor der Erschaffung frigider Lesben: »Und diese Vereine, die dem Missbrauch von Kindern vorbeugen wollen, sagen der Mutter: »Sag deiner Tochter vorbeugend, alle Männer sind Vergewaltiger einschließlich ihres eigenen Vaters.« Wenn du das mal einem Kind sagst, dann kann ich dir garantieren, dass aus diesem Kind als Erwachsener niemals eine heterosexuelle Frau werden wird [...] Das Kind wird als Lesbe ebenfalls frigide sein. Das heißt, mit diesem einen Satz, von dem sich diese Organisation das Heil der Prävention verspricht, machst du eine ganze Generation von Mädchen innerhalb von 10 bis 12 Jahren total frigide. Das ist die wirkliche Katastrophe, die uns bevorsteht.« (ZEGG Extra 1992)
Ebenso engagiert sorgte sich Borneman um die kinderfeindlichen Gesetze der Gegenwart und fordert in einer Dokumentation der »Interessen- und Schutzgemeinschaft unterhaltspflichtiger Väter« (ISW) das Recht des Kindes auf sein eigenes ungestörtes Liebesleben (ab dem 7. Lebensjahr), denn Kinder könnten - sogar mit Erwachsenen - ein ganz normales Geschlechtsleben führen (vgl. ISUV 1992). [<458]
Die besagte »ISW-Dokumentation« wurde im Herbst 1992 auf einer Pressekonferenz in Köln und auf einer Podiumsdiskussion in Leverkusen der Öffentlichkeit vorgestellt. Gastreferent war auf beiden Veranstaltungen Prof. Burkhard Schade von der Universität Dortmund. Schade sah keine Veranlassung zu den Thesen Bornemans Stellung zu beziehen, stattdessen kritisierte der Hochschullehrer und Experte für Glaubwürdigkeitsgutachten die Diagnostik u. a. von »Zartbitter«. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass Schade die von ihm kritisierten angeblichen Zartbitter-Fälle nicht kannte. Der Wissenschaftler bezog sich nach eigenen Angaben in seinen Ausführungen auf die Berichterstattung in der Zeitschrift »ZEGG Extra«, die anläßlich eines Prozesses wegen sexuellen Missbrauchs in einem Kinderladen als Null-Nummer mit großem Werbeaufwand bundesweit vertrieben wurde. In dieser Ausgabe findet sich auch die oben zitierte Bornemansche Warnung. »ZEGG Extra« wurde von »ZEGG - Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung« - herausgegeben, einer Organisation, die die Frankfurter Rundschau als sektenähnliche Vereinigung beschreibt (FR 8.7.1992). Die Zeitschrift berichtete u. a. über die Arbeit einer angeblichen »Zartbitter«-Psychologin, die weder jemals Mitarbeiterin noch Vereinsmitglied bei »Zartbitter« war. Prof. Schade, der als unabhängiger Sachverständiger für Gerichte arbeitet, hatte seine Informationsquelle, nach eigenen Angaben, nicht überprüft.
Der Gründer von »ZEGGa ist der Publizist Dieter Duhm, der wiederum dem österreichischen Aktionskünstler Otto Muehl nahe stehen soll (EMMA 5/93). In seinen »Materialaktionen« schlachtete Otto Muehl laut »EMMA« Tiere und fesselte Frauen, traktierte sie mit Stricknadeln, übergoß sie mit Kot oder schob ihnen Flaschen in die Vagina. Die Gewaltanwendungen deklarierte er als »Kunst« und gab vor, unter Anwendung von Blut, Exkrementen und religiösen Kultgegenständen die durch religiöse Dogmen und sexuelle Tabus hervorgerufenen Zwänge aufzubrechen (ebd.: 1/ 92). 1991 wurde Otto Muehl wegen sexuellen Kindesmissbrauchs zu einer Haftstrafe verurteilt.
Wie unkritisch auch andere Experten pädosexuellenfreundlichen Positionen gegenüberstehen, stellten Frank Herrath und Prof. Uwe Sielert unter Beweis. Sie baten Elisabeth Fey und mich um einen Beitrag für das Buch »Jugendsexualität - Zwischen Lust [<459] und Gewalt«, in dem auch Borneman zu Wort kommen sollte. Wir knüpften unsere Mitarbeit an die Bedingung, dass unsere kritischen Anmerkungen zu pädosexuellenfreundlichen Definitionen von sexueller Gewalt Platz finden. Dies wurde zugesagt. Das Buch erschien, doch unser Text war ohne Rücksprache mit uns »zensierta worden, unsere kritischen Anmerkungen zu den »Kinderfreunden« ganz einfach gestrichen. Auch an dem Text von Michaela Schumacher über frauenbezogenes Lieben und Leben waren ohne Wissen der Autorin einschneidende »Textkorrekturen« vorgenommen und Kritik an patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen herausgenommen worden. Borneman jedoch konnte unter dem Titel »Wenn der Versuch der Verhinderung Schaden erzeugt« unwidersprochen behaupten, dass Kinder in der Mehrzahl aller sexuellen »Beziehungen« mit Erwachsenen die Initiatoren sind (Herrath/Sielert 1990).
Keinesfalls sollen hier Prof. Schade, Prof. Sielert und Frank Herrath als pädosexuellenfreundlich diffamiert werden, doch zeigen die Beispiele, wie leicht sich einige Wissenschaftler von Täterlobbyisten instrumentalisieren lassen.
Immer wieder wurde in den 90erJahren die Parteinahme für das Opfer als unwissenschaftlich, unprofessionell und/oder grundgesetzwidrig abqualifiziert. Diese These vertrat vor allem »SEM e. U - Ein Dach über dem Kopf« »SEM e. V:« richtete eine »unabhängigea Gutachterstelle für Familienhilfen und die Kommission »K.I.N.D.« ein, die die »Kinderklau-Praxis der Jugendämter« überprüfen sollte. Hinter diesem Engagement steckte u. a. der SEM-Mitarbeiter Friedrich Nolte, ebenso ISW-Autor und nach eigenen Angaben öffentlich bestellter und beeidigter Sachverständiger für Jugend- und Familienfragen. Nach Beschluss des Landgerichtes Köln durfte die »EMMA« über Herrn Nolte behaupten, er missbrauche Frauen und nenne dies Therapie (LG Köln Az.: 28 O 362/ 91). Das Oberlandesgericht Köln bestätigte als Berufungsinstanz das Urteil und führte in seiner Urteilsbegründung zudem aus, Nolte habe in der »Zeitschrift für Sexualwissenschaft der DDR« u. a. einen Exkurs über Sadomasochie veröffentlicht, der sich nicht nur auf die Darstellung des Themas beschränke, sondern den detailliertest beschriebenen Praktiken einen heilsamen und »therapeuti[<460]schen« Effekt beimesse. Nach Noltes Ausführungen hätten bei gesellschaftlicher Akzeptanz der Sadomasochie möglicherweise Hitlers psychopathische Auswüchse mit ihren verheerenden Folgen vermieden werden können (s. OLG Köln Az.: 15 U 186/91).
Mit »SEM e.V:« arbeiteten auch Mitarbeiter der »Interessen und Schutzgemeinschaft unterhaltspflichtiger Väter« (ISUV) zusammen. Und hier schloß sich der Kreis. Bernd Marchewka, einer der ISUV-Aktivisten in Sachen »Missbrauch mit dem Missbrauch«, kooperierte rnit »ZEGG«, stellte »SEM e.V« Übersetzungen zur Verfügung, gewann den renommierten Gerichtspsychologen Prof. Dr. Undeutsch als Referenten für eine ISUV-Veranstaltung. ISW wiederum trat im Programmheit der Jahrestagung der AHS in Erscheinung. Dort dozierte auch eine aus den Medien recht bekannte Person: Katharina Rutschky. Die Berliner Schriftstellerin brachte in der Diskussion über sexuelle Gewalt ihre kinderfeindlichen Positionen zum Ausdruck und dokumentierte ihre Ignoranz gegenüber dem individuellen Leid von Mädchen und Jungen: Sexuellen Missbrauch erkennt Rutschky nur als solchen an, wenn Kinder mit körperlicher Gewalt zu sexuellen Handlungen gezwungen werden oder wenn es zu einer »regelrechtena vaginalen Vergewaltigung kommt (Kulturreport 5.5.93). Oraler sexueller Missbrauch und anale Vergewaltigungen sind demnach nur als solche zu bewerten, wenn sie rnit physischer Gewalt erzwungen werden. Die Todesangst eines Mädchens, dessen »stinkbesoffener Vater die Tochter im Bett mit der Frau verwechselt«, kommentiert sie mit den Worten: »Wenn ein besoffener Vater seine Tochter im Bett der abwesenden Ehefrau für Sekunden mit dieser verwechselt, kann man darauf nicht das Schicksal eines geschändeten Mädchens aufbauen« (Rutschky, zit. n. Die Zeit 50/90 und Sozial extra 12/90).
Ebenso ignorant gegenüber dem emotionalen Erleben kindlicher Opfer äußerte sich Rutschkys Mitstreiter, der Begründer des Berliner Kinderschutzzentrums Prof. Dr. Reinhart Wolff. Er vertrat die These, dass »Berühren/Streicheln der Brüste, der Vagina, des Penis, des Hinterteils eines/r Minderjähngen oder das Verlangen nach Berührungen der eigenen Sexualorgane (intime Zone) des Erwachsenen (Masturbation)« nur eine gennge Traumatisierung zur Folge habe (Wolff 1999). Die Quelle seiner Erkenntnis nannte Wolff nicht. Weite Teile der Basis der Kinderschutz(zen[<461]trums)bewegung distanzierten sich von Reinhart Wolff und kritisierten z. B. dessen These, über »Pädophilie« würde »hierzulande viel dummes Zeug geredet«, denn von Gewalt könne dabei in der Regel keine Rede sein (David 1994).
Unter den AHS-Aktivisten stießen Rutschky und Wolff jedoch auf breite Zustimmung. So auch bei Prof. Dr. Dr. Rüdiger Lautmann, der »Forschungsergebnisse« unter dem Titel »Die Lust am Kind - Portrait des Pädophilen« veröffentlichte (Lautmann 1994). Rüdiger Lautmann, ein alter Kollege von Bärsch, Baurmann, Borneman und Kentler im Kuratorium der »AHS«, interviewte »Knabenliebhaber« und »Mädchenfreundea (ebd.). Aufgrund der von ihm diagnostizierten Offenheit der befragten Pädosexuellen wertete er deren Aussagen als bare Münze und gewann - nach eigenen Angaben -, ohne die Befragung kindlicher Opfer, Erkenntnisse über die Gefühle der Kinder, eine Methode, die wissenschaftlich unhaltbar ist. »Man stelle sie sich einmal vor, die ehemaligen Machthaber der DDR wären danach befragt worden, ob sich ihr Volk wohl fühlt und ihre Politik akzeptiert. Da wäre doch nur ein Ergebnis möglich gewesen« (Bange 2000: 86).
Mädchen und Jungen erleben - so schlussfolgerte Lautmann aus seinen Interviews - die sexuelle Ausbeutung »als sinnliche Freude«. Dabei befänden sich unter den betroffenen Jungen sogar einige »kleine Jung-Stiere« (Lautmann 1994). Angstreaktionen, dass sich Kinder etwa »wie das Kaninchen vor der Schlange passiv verhalten«, so etwas gibt es - folgt man Lautmann - bei pädosexueller Ausbeutung nicht (ebd.). »Bekennende Pädophile« benutzen Kinder nach Ansicht des Wissenschaftlers niemals als Objekte, sehen diese stets als Subjekte. Sie scheinen rnit übernatürlichen Fähigkeiten und einer göttlichen Moral ausgestattet, denn sie erspüren angeblich intuitiv die Wünsche der Kinder und stellen die eigenen sexuellen Bedürfnisse im Interesse der Mädchen und Jungen darauf ein. Doch manchmal müssen sie - so Lautmanns Ausführungen etwas »nachhelfen«, um den »pädophilen Konsens« herzustellen. Der Hochschullehrer setzte sich z. B. rnit der Frage auseinander, ob ein »Liebhaber« das erste Nein eines Kindes als endgültiges Nein ansehen muss, oder ob er auf einen möglichen Sinneswandel setzen darf. Seine Antwort fand der Wissenschaftler in der Aussage eines pädosexuellen Täters: [<462]
»Ich habe ihn gefragt, ob ich an seinem Geschlechtsteil lutschen darf. Er hat es verneint. Dann haben wir es doch gemacht. Der sexuelle Kontakt lief über mehrere Jahre. Er war 6 oder 7 Jahre alt.« (ebd.)
Der Bremer Universitätsprofessor kommentiert dieses Zitat eines Missbrauchers rmt den Worten: »Das erste Nein kann einer gewissen Ratlosigkeit entsprungen sein, dem Zögern vor etwas Unbekanntem, zumal angesichts dessen, was man an Widersprüchlichem darüber gehört hat.« (ebd.) Konsequenterweise kommt dann auch seine Studie über »Die Lust am Kind« zu dem Ergebnis, dass »Pädophilie« aus dem objektiven Bestreben erfolgt, Kindheit zu verschönern.
Die Argumente der Gegenbewegung
Auch wenn die meisten Hauptakteure der Bewegung »Missbrauch mit dem Missbrauch« leicht als Lobbyisten und Lobbyistinnen von Pädosexuellenpositionen zu identifizieren sind, sollte frau/man deren Argumente keinesfalls alle ungeprüft zur Seite schieben. Nicht zuletzt fand die Debatte ein solch großes öffentliches Interesse, weil einzelne Kritikpunkte teilweise berechtigt sind. Dementsprechend gilt es genau zu analysieren, welche Fehler gemacht wurden und welche Impulse aus dem öffentlichen Diskurs für die Weiterentwicklung der Arbeit gegen sexuelle Gewalt gewonnen werden können.
Vorwurf: Im Rahmen einer hysterischen Panikmache wird das Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Mädchen und Jungen maßlos übertrieben.
Ausgangspunkt der teilweise sehr polernischen Kritik an dem konstatierten Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Mädchen und Jungen ist die häufig zitierte Zahl von jährlich etwa 300 000 sexuell missbrauchten Kindern in den alten Bundesländern. Diese auch in offiziellen Statistiken immer wieder genannte Zahl wurde unter Berücksichtigung einer Dunkelfeldziffer von 1:20 seinerzeit auf der Basis der Kriminalstatistik des BKA hochgerechnet. Ohne Zweifel hat die Zahl ein »gewisses Eigenleben« entwickelt: Sie wurde in der öffentlichen Diskussion manchrnal fälschlicherweise als [<463] Anzahl der angezeigten Fälle dargestellt - und nochmals hochgerechnet. Schnell waren Zahlenwerte jenseits der Millionengrenze erreicht.
In dem Bemühen um die Qualifizierung ihrer Arbeit griffen viele Praktikerinnen/Praktiker Anfang der 90erJahre mangels Alternativen auf Fortbildungsangebote zurück, die Erfahrungen aus dem Ausland darstellten und nicht immer ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar waren. So ergaben sich in der Fachdiskussion z. B. Sprachverwirrungen durch die Vorträge von Prof. Dr. Fürniss, der einige Zeit in London arbeitete und mehrere englische Begriffe wortwörtlich ins Deutsche übersetzte, ohne sie in ausreichendem Maße dem deutschen Sprachgebrauch anzupassen. Fürniss sprach schon dann von »Sex-Ringen«, wenn ein Erwachsener mehrere Kinder missbraucht. Ein derart inflationärer Umgang mit dem Begriff birgt die Gefahr, dass die durchaus gegebene Problematik der organisierten sexuellen Ausbeutung von Kindern (s. Kapitel XVII) leicht von Dritten falsch eingeschätzt wird.
Dennoch kann bei aller Berechtigung der Kritik der Bewegung »Missbrauch mit dem Missbrauch« an einem unsachgemäßen Umgang mit Zahlen und Begrifflichkeiten nicht über das Ausmaß der sexuellen Ausbeutung von Mädchen und Jungen hinweggesehen werden: Nach wie vor ist sexueller Missbrauch ein alltägliches Delikt (s. Kapitel II).
Vorwurf: Mütter betreiben einen »Missbrauch mit dem Missbrauch«,
indem sie falsche Beschuldigungen gegenüber getrennt lebenden Ehepartnern
erheben und sich so Vorteile im Sorgerechtsverfahren erhoffen.
Von einem »Missbrauch mit dem Missbrauch«
durch Mütter könnte allenfalls die Rede sein, wenn Mütter
sich gezielt Falschbeschuldigungen ausdenken würden, um sich am Partner
zu rächen. Der Beratungsalltag beweist eher das Gegenteil. Selbst
wenn Frauen sich von ihrem Partner distanziert haben, können sie kaum
glauben, dass der Mensch, den sie geliebt haben und der der Vater ihres
Kindes ist, das gemacht haben soll.
Faller (1991) untersuchte 136 Fälle von Missbrauchsverdacht
in Sorgerechtsverfahren, die in einem Diagnoseprojekt an der University
of Michigan (USA) vorgestellt wurden. In 58 % der Fälle wurden die
Betroffenen aufgrund der Diagnose von Kinderschutzein[<464]richtungen,
in 20 % von Gerichten oder anderen Einrichtungen überwiesen. 22 %
waren Selbstmelder.
In Auswertung dieser Untersuchungsergebnisse und
der Praxiserfahrung von »Zartbitter Köln« lassen sich
folgende Dynamiken bei Missbrauchsverdacht in Scheidungssituationen unterscheiden:
1. Missbrauch als Scheidungsgrund
Es ist zu wünschen, dass Frauen im Falle der sexuellen Ausbeutung
ihrer Töchter und Söhne durch den Parmer aktiv und umgehend für
ihre Kinder Partei ergreifen. Doch in der Realität können viele
Frauen diesen Anspruch nicht einlösen. Die meisten von ihnen brauchen
Zeit und viel Verständnis von Dritten für ihre Situation, bis
sie den Missbrauch auch in eindeutigen Fällen überhaupt glauben
können. Einige Mütter wenden sich an Beratungsstellen, andere
erfahren erst von diesen über den Missbrauch (Missbrauchsverdacht).
Ein Teil der Mütter reicht »stillschweigend« die Scheidung
ein, ohne den von ihnen beobachteten Missbrauch zu benennen. Dabei kommt
der Missbrauchsverdacht vor Gericht möglicherweise nur zur Sprache,
wenn Konflikte bei der Umgangsregelung entstehen. Bei den 136 von Faller
untersuchten Fällen traf dies elfmal zu (8 %).
2. Die sexuelle Gewalt wird während des Scheidungsverfahrens
aufgedeckt
In den meisten Fällen bringen die Täter die Opfer mit Einschüchterungen,
Drohungen und körperlicher Gewalt zum Schweigen. Die räumliche
Trennung vom Täter ist deshalb für viele betroffene Mädchen
und Jungen die Voraussetzung dafiir, den sexuellen Missbrauch aufzudecken.
Trennt eine Frau sich von ihrem Partner, so kann die Tochter/ der Sohn
sich ihr nun eher anvertrauen. Auch sie selbst kann durch den gewonnenen
Abstand leichter Hinweise des Kindes auf die sexuelle Ausbeutung wahrnehmen.
Bei Faller traf dies bei 26 Fällen zu (19 %).
3. Die sexuelle Ausbeutung wird durch die Trennung ausgelöst
Auch wenn sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in der Regel
über Jahre läuft, gibt es Fälle, in denen der Missbrauch
in der Trennungssituation beginnt. Meist haben diese Väter allerdings
schon zuvor dem Mädchen/Jungen gegenüber ein sexualisiertes [<465]
Verhalten gezeigt (z.B. Erektion beim Abtrocknen des Kindes, Zungenküsse,
sexistische Qualitätsurteile). Der durch die Scheidung bedingte Verlust
der (äußeren) Familienstruktur (z. B. Schlafgewohnheiten) schafft
Situationen, in denen der zuvor bereits irn Rahmen der Sexualisierung latent
vorhandene Missbrauch zum realen Missbrauch wird. Viele dieser Täter
instrumentalisieren die Tochter/den Sohn als Objekt ihrer Wut auf die Frau
und nehmen »stellvertretend« am Kind Rache.
52 (38 %) der von Faller untersuchten Mädchen
und Jungen wurden erstmals in der Trennungsphase der Eltern real missbraucht.
4. Falschbeschuldigungen im Scheidungsverfahren
19 der 136 Fälle (14 %) wurden von Faller als falsch klassifiziert.
Entgegen dem allgemeinen Tenor, der den Müttern Böswilligkeit
unterstellt, bewertete Faller nur drei der 136 Fälle (2 %) als bewusst
kalkulierte Falschbeschuldigungen durch die Mutter.
Wie aber kommt es zu nicht absichtlichen Falschbeschuldigungen?
Auch wenn es Müttern in der Regel sehr schwer fällt zu glauben,
dass der ehemalige Lebenspartner das gemeinsame Kind missbraucht hat, verhält
es sich in Trennungssituationen manchmal geradezu umgekehrt. Der Partner
ist vielleicht handgreiflich geworden, oder die Frau erfährt, dass
er sie schon seit Jahren betrogen hat. So kann sie ihm jetzt auch leichter
die sexuelle Ausbeutung des Kindes zutrauen, werm sie selber Verdachtsmomente
wahrzunehmen meint oder von Dritten auf vermeintliche, diesbezügliche
Äußerungen des Kindes hingewiesen wird. Das Mädchen/ der
Junge zeigt vielleicht nach Besuchen beim Vater einige für Scheidungskinder
»typische« Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Alpträume,
Einnässen, Masturbation), die die Mutter zu Recht sorgen und für
die sie Erklärungen sucht. Möglicherweise wird das Misstrauen
der Frau noch durch Äußerungen des Kindes verstärkt, wie
z. B. »Papa kitzelt mich, badet mit mir, küsst rnich auf den
Mund«. Handlungen, die vor der Trennung als liebevolles Vaterverhalten
bewertet wurden, scheinen jetzt in einem anderen Kontext zu stehen.
Faller nennt noch eine weitere Ursache für
Falschbeschuldigungen in Trennungssituationen: Die Mutter nimmt richtigerweise
(intuitiv) wahr, dass ihr Kind Missbrauchsopfer ist, doch verdäch[<466]tigt
sie fälschlicherweise ihren ehemaligen Partner. In der Untersuchung
war dies viermal der Fall.
5. Der Missbrauch ist nicht beweisbar, aber möglicherweise falsch
In zwölf der untersuchten Fälle (9 %) klassifiziert Faller
die Beschuligungen als nicht beweisbar, möglicherweise falsch - eine
Einschätzung, die ebenso möglicherweise richtig impliziert.
Nicht nur die Studie von Faller, sondern auch die
Erfahrungen im Beratungsalltag und die der Gerichte machen deutlich, dass
es Falschbeschuldigungen gibt. Doch deren Zahl ist im Verhältnis zu
richtigen Beschuldigungen verschwindend gering und wird überdies nur
in äußerst seltenen Fällen von Müttern bewusst kalkuliert
im Kampf um das Sorgerecht erhoben. Mütter in Öffentlichkeitskampagnen
des »Missbrauchs mit dem Missbrauch« zu bezichtigen, kann folglich
nur als täterfreundliche Pressekampagne bewertet werden, die betroffene
Mütter entmutigen und Gerichte in einer dem Kindeswohl abträglichen
Weise beeinflussen soll.
Auch die Forschungsergebnisse von Busse/Steller/Volbert (2000) entkräften die Behauptung, Mütter würden in familiengerichtlichen Verfahren häufig einen Missbrauchsvorwurf erheben. Bei der Auswertung von 1.352 Akten Berliner Familiengenchte zur Frage der Umgangsregelung aus den Jahrgängen 1988, 1993 und 1995 fanden sich nur 45 Fälle (3,3%), bei denen ein sexueller Missbrauchsverdacht zur Sprache kam. »Eine Siichprobe von 1.500 Sorgerechtsakten aus den drei genannten Jahrgängen erbrachte ebenfalls nur 45 Fälle (3,0%), die einen Missbrauchsvorwurf beinhalten« (Busse/Steller/Volbert 2000: 83f.). Der in den 90erJahren in der (Fach-)Öffentlichkeit aufgestellten These, dass es eine drastische Zunahme familiengenchtlicher Verfahren gebe, in denen ein Missbrauchsvorwurf erhoben werde, widersprechen Busse, Steller und Volbert. Sie verweisen zudem auf Untersuchungen aus den USA, die zu vergleichbaren Ergebnissen kommen.
Vorwurf: Erzieherinnen und Beraterinnen suggerieren Mädchen
und Jungen sexuelle Gewalt.
Die Medien beschuldigen eine weitere Personengruppe, die angeblich
einen »Missbrauch mit dem Missbrauch« betreiben soll: Erzie[<467]herinnen
und Mitarbeiter der Jugendämter und Beratungsstellen. Während
den Pädagoginnen noch ein falsch verstandener »Übereifer«
attestiert wird, unterstellt man Sozialarbeitern und Therapeutinnen vor
allem ein materielles Interesse: die Schaffung und Absicherung von Arbeitsplätzen.
Auf eine solche Argumentation »unterhalb der Gürtellinie«
erübrigt sich jede Antwort, doch sollten sich professionelle Helferinnen/Helfer
der Hinterfragung eigener Arbeitsmethoden stellen.
»Zartbitter Köln« hat gute Erfahrungen damit gemacht, diagnostische Gespräche rnit Mädchen und Jungen auf Tonband aufzunehmen. Insbesondere Kinder im Vorschulalter flüstern oftmals die wesentlichen Details mit einer für das menschliche Ohr nicht mehr verständlichen schwachen Stimme. Ein gutes Mikrophon zeichnet die Aussagen auf, die dann später in Form eines wörtlichen Protokolls einer vom Gericht bestellten Gutachterin zur Verfügung gestellt werden können. Diese kann die Befragung prüfen und in ihre Begutachtung mit einbeziehen. So werden die ersten Aussagen der Opfer exakt dokumentiert - und die Kinder und die Beraterinnen/ Berater bleiben von den Belastungen einer »Hetzkampagne« gegen ihre Arbeitsweise verschont.
Es ist sicherlich richtig, dass heute die meisten,
die mit Mädchen und Jungen in pädagogischen und psychosozialen
Arbeitsfeldern arbeiten, weitaus häufiger als früher den Verdacht
der sexuellen Ausbeutung haben und auch aussprechen. Das ist auch gut so
- so lange frau/man sich bewusst macht, dass Verhaltensauffälligkeiten
von Mädchen und Jungen oftmals auch andere Ursachen haben. Es kommt
im Alltag häufig vor, dass sich Erzieherinnen und Lehrer an eine Beratungsstelle
oder das Jugendamt mit dem Verdacht eines sexuellen Missbrauchs wenden.
Im Laufe der Beratung stellt sich heraus, dass das Mädchen/derJunge
vermutlich unter anderen Belastungen leidet. In anderen Fällen wird
der Verdacht der sexuellen Ausbeutung bestätigt, obgleich die Pädagogin/
der Pädagoge hoffl, dieser wäre nicht begründet."