Gesetzes-Text
Abschnitt 8 Aussetzung der Unterbringung und Entlassung
RS: Anmerkung: unverändert zum Entwurf.
Abschnitt 8
Aussetzung der Unterbringung und Entlassung
Art. 35
Überprüfung der Voraussetzungen
der Unterbringung
(1) 1Die Maßregelvollzugseinrichtung hat während
der Gesamtdauer der Unterbringung zu prüfen, ob die Vollstreckung
der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt oder ob die Unterbringung
für erledigt erklärt werden könnte. 2Hält die Maßregelvollzugseinrichtung
dies für möglich, unterrichtet sie unverzüglich die Vollstreckungs-
behörde.
(2) Um die Entlassung vorzubereiten, wirkt die Maßregelvollzugseinrichtung
darauf hin, dass der untergebrachten
Person bei Bedarf nachsorgende ambulante Betreuung und Behandlung vermittelt
werden.
(3) Auf Anforderung der Vollstreckungsbehörde
übermittelt die Maßregelvollzugseinrichtung eine gutachterliche
Stellungnahme zur Vorbereitung der gerichtlichen Fortdauerentscheidungen.
Aenderungsantrag
Art. 35 Buendnis 90/ Die Gruenen
"Art. 35 wird wie folgt geändert:
a) Es wird folgender neuer Abs. 3 eingefügt:
„(3) Forensische Ambulanzen sind mit einer ausreichenden
Personal- und Sachausstattung in jeder
Maßregelvollzugseinrichtung vorzuhalten.“
b) Der bisherige Abs. 3 wird Abs. 4."
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Begruendung
Zu
Abschnitt 8 Aussetzung der Unterbringung und Entlassung [S.
55f]u
Zu Abschnitt 8 Aussetzung der Unterbringung und Entlassung:
Abschnitt 8 enthält die Pflichten der Maßregelvollzugseinrichtung
zur Überprüfung des Vorliegens der Vorausset- zungen der Unterbringung
und bestimmt das Verfahren der Entlassung der untergebrachten Person aus
der Maßregelvollzugseinrichtung.
Zu Art. 35
Überprüfung der Voraussetzungen der Unterbringung:
Art. 35 ist eine Neuregelung und bestimmt im Wesentlichen die Mitwirkung
der Maßregelvollzugseinrichtung zur Herbeiführung einer Entscheidung
der Strafvollstreckungskammer oder des Jugendrichters, die Vollstreckung
der Maßregel zur Bewährung auszusetzen oder diese für erledigt
zu erklären. Im UnterbrG gab es bislang eine ver- gleichbare Regelung
(Art. 24 Abs. 1 UnterbrG) lediglich für den Bereich der öffentlich-rechtlichen
Unterbringungen auf Grundlage des UnterbrG.
Zu Abs. 1
Die untergebrachten Personen dürfen nur solange untergebracht
werden, bis eine Aussetzung der Vollstreckung
der Maßregel zur Bewährung oder die Erklärung deren
Erledigung nach Maßgabe des §
67d StGB erfolgt. Die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel
zur Bewährung oder die Erklärung deren Erledigung sind die eigent-
lichen Ziele der Unterbringung in einer Maßregelvollzugseinrichtung
(vgl. § 67d Abs. 2, 5, 6 StGB). Die Maßregel- vollzugseinrichtung
hat daher nach Satz 1 während der gesamten Dauer der Unterbringung
zu prüfen, ob die Voll- streckung der Unterbringung zur Bewährung
möglicherweise auszusetzen oder ob die Unterbringung für erledigt
zu erklären ist. Da die benannten Entscheidungen von der Strafvollstreckungskammer
oder dem Jugendrichter zu treffen sind, ist es erforderlich, dass diese
über alle Informationen, die für die Beendigung der Unterbringung
wesentlich sein können, hinreichend und unverzüglich informiert
werden. Liegen die bundesgesetzlich geregelten Voraussetzungen vor, ist
die Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung (Art. 49 Abs. 2 Nr. 12)
daher nach Satz 2 verpflichtet, die Vollstreckungsbehörde entsprechend
zu informieren. Die Vollstreckungsbehörde unterrichtet dann ihrerseits
die Strafvollstreckungskammer.
Mit dem Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus und in einer Entziehungsan- stalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I
S. 1327) hat der Bundesgesetzgeber die Neuregelung des §
463 Abs. 4 StPO eingeführt. Diese sieht vor, dass im Rahmen
der Überprüfungen nach §
67e StGB das Gericht nach jeweils fünf Jahren vollzogener
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines
Sachverständigen einholen soll (§ 463 Abs. 4 Satz 1 StPO),
der weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behand- lung
der untergebrachten Person befasst gewesen ist (§ 463 Abs. 4 Satz
2 Alt. 1 StPO) noch in dem psychiatri- schen Krankenhaus arbeitet,
in dem sich die untergebrachte Person befindet (§ 463 Abs. 4 Satz
2 Alt. 2 StPO). Die Vorschrift konkretisiert das verfassungsrechtliche
Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungs- verfahren,
indem durch die Hinzuziehung eines oder einer bisher nicht mit der untergebrachten
Person befassten Gutachters oder Gutachterin, der oder die eine kritische
Distanz zu den bisherigen - im Laufe der letzten fünf Jahre eingeholten
- Stellungnahmen hält, der Gefahr von Routinebeurteilungen vorgebeugt
und die Prognosesicherheit des Gerichts entscheidend verbessert werden
soll (vgl. BT-Drucks 16/1110, S. 19). Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
ist ein externes Gutachten als Grundlage einer nach fünf Jahren zu
treffenden Überprü- fungsentscheidung nur in sehr eng begrenzten
Ausnahmefällen entbehrlich (Beschluss vom 26.03.2009, Az. 2 BvR 2543/08;
ebenso: OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 2008, 292). Das Bundesverfassungsgericht
hat in der benannten Entschei[>56]dung zudem angedeutet, dass ein Absehen
von der Einholung des Gutachtens selbst dann nicht gerechtfertigt ist,
wenn die fortbestehende Gefährlichkeit der untergebrachten Person
für die Allgemeinheit „völlig unzweifelhaft“ ist. Es ist ausschließlich
Aufgabe des zuständigen Strafvollstreckungsgerichts, zu entscheiden,
in welchen Einzelfällen von einer Einholung eines externen Sachverständigengutachtens
abgesehen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.03.2009, Az. 2 BvR
2543/08). In Anbetracht der Bedeutung einer externen Begutachtung für
die untergebrachte Person und der Tatsache, dass diese oftmals infolge
ihrer Erkrankung nicht hinreichend in der Lage ist, ihre berechtigten Interessen
in vollem Umfang wahrzunehmen, soll die Maßregelvoll- zugseinrichtung
in den Fällen des § 463 Abs. 3 Satz 3 2. Halbsatz und Abs. 4
Satz 1 StPO im Interesse der untergebrachten Person darauf hinwirken, dass
ein Sachverständigengutachten durch das Gericht eingeholt wird.
Zu Abs. 2
Abs. 2 bestimmt, dass die Maßregelvollzugseinrichtung so früh
wie möglich die Erforderlichkeit von Maßnahmen
zur nachsorgenden ambulanten Betreuung sowie Behandlung prüfen
soll. In enger Zusammenarbeit mit der Führungsaufsichtsstelle, der
Bewährungshilfe und dem zuständigen Sozialhilfeträger sowie
sonstigen Versorgungs- anbietern soll gewährleistet werden, dass die
untergebrachte Person in einen geschützten und betreuten sozialen
Empfangsraum entlassen wird. Durch begleitende Maßnahmen soll sichergestellt
werden, dass die untergebrachte Person in Freiheit ein eigenverantwortliches
Leben in der Gemeinschaft ohne die Begehung von Straftaten führt und
die erreichten Ziele der Unterbringung nicht gefährdet werden.
Zu Abs. 3
Absatz 3 normiert eine bereits ganz überwiegend praktizierte Handhabung:
Vor Übersendung der Akten an die Strafvollstreckungskammer holt die
Vollstreckungsbehörde zur Vorbereitung der Antragstellung für
die Fortdauer- entscheidung und der Anregung von Weisungen im Rahmen einer
etwaigen Führungsaufsicht eine gutachterliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung
ein, in der der Verurteilte untergebracht ist. Die gutachterliche Stellungnahme
kann sowohl von entsprechend qualifizierten Ärztinnen und Ärzten
als auch von Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychologischen Psychotherapeuten
bzw. Kinder- und Jugendlichenpsychothera- peutinnen und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten erstellt werden. Durch die ausdrückliche
Normierung
wird dieser wichtigen Aufgabe der Maßregelvollzugseinrichtung
Rechnung getragen und ihre Bedeutung für die gerichtliche Fortdauerentscheidung
betont. Durch die Begrifflichkeit „gutachterliche Stellungnahmen“ werden
diese in zwei Richtungen abgegrenzt: Auf der einen Seite genügt ein
bloßer „Arztbrief“ als Grundlage für die gerichtliche Fortdauerentscheidung
nicht. Vielmehr müssen in der Stellungnahme jedenfalls Ausführungen
dazu enthalten sein, ob und welche Art rechtswidrige Taten von dem Untergebrachten
drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit
und Rückfallfrequenz), wie hoch die Wahrscheinlichkeit zukünftiger
rechtswidriger Taten ist, durch welche Maßnahmen die Gefährlichkeit
der untergebrachten Person (weiter) gemindert werden kann und inwieweit
im Falle einer Aussetzung der Maßregel zur Bewährung im Rahmen
der Führungsaufsicht Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe (§§
68a, 68b StGB) als weniger belastende Maßnahmen ausreichen können,
um den Zweck der Maßregel zu erreichen. Auf der anderen Seite können
seitens des Gerichts an die Stellungnahmen der Maßregel- vollzugseinrichtungen
nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an ein Sachverständigengutachten.
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RS-Kommentar
Art. 35
Staendige
Ueberpruefung und 67e Jahres- und externe Gutachten
Rn35.1 Diese Regelung missachtet die Interessenlage
der Unterbringungseinrichtung. Sie kann nicht hinreichend objektiv sein
und taugt daher als Entscheidungsgrundlage nicht. Das gilt insbesondere
für gewinnorientierte "Kom- munalunternehmen", GmbH oder andere Privatisierungen.
Ein "63er" kann pro Jahr rund 100.000 Euro einbringen, an deren Einnahmen
forensische Psychiatrien interessiert sein können.
Weitere Ausarbeitung
zu Art. 35 Abs. 1
B35.1 Es klingt zwar gut, wenn es heißt:
"Die Maßregelvollzugseinrichtung hat daher nach Satz 1 während
der gesamten Dauer der Unterbringung zu prüfen, ob die Vollstreckung
der Unterbringung zur Bewährung möglicherweise auszusetzen oder
ob die Unterbringung für erledigt zu erklären ist.". Aber es
wird nicht verlangt, wie diese Prüfung zu erfolgen hat. Ich kenne
viele gutachtachterliche Stellungnahmen nach § 67e StGB, aber in keinem
habe ich bislang z.B. gelesen: Es erfolgten dann und dann Überprüfungen,
ob die Unterbringung auszusetzen oder für erledigt zu erklären
werden könnte. Die Überprüfungen bestanden konkret in 1,2,3,
... und hatten zum Ergebnis 1,2,3 ....
B35.2 Die Definition eines externen Sachverständigen
ist nicht stark und genau genug. Es muss ausgeschlossen werden, dass der
externe Sachverständige dem Unterbringungssystem eines Bundeslandes
angehört. Die bisherige Formulierung lässt z.B. zu, dass die
Chefin von Taufkirchen eine Untergebrachte der Chefin von Straubing "extern"
begutachtet. Diese viel zu schwache und ungenaue Bestimmung ist in keiner
Weise geeignet,
bestmögliche
Sachaufklärung durch Unabhängigkeit zu gewährleisten.
B35.3 Ein externes - jenseits des
Unterbringungssystems eines Bundeslandes - Gutachten ist auch nicht nur
mindestens alle fünf Jahre einzuholen, sondern immer dann, wenn es
begründeten Anlass gibt, an den Voraussetzungen weiterer Unterbringung
- zumindest in dieser Unterbringungseinrichtung - zu zweifeln.
B35.4 Schon für jahresüblichen
Gutachten nach § 67e StGB muss Sorge getragen werden, dass diese nicht
von der Unterbringungseinrichtung selbst erstellt werden, weil diese naturgemäß
befangen und damit nicht unabhängig sein können. Das gilt ganz
besonders für privatisierte Forensiken - im Grunde eine völlige
Fehlkonstruktion - weil ein "63er" gewöhnlich
rund 100.000 Euro pro Jahr einbringt. Von daher bestehen massive finanzielle
Interessen "63er" - besonders "pflegeleichte - so lange wie möglich
zu behalten, was im Widerspruch zum grundlegenden Ziel des Maßregelvollzugs
steht: "Die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung
oder die Erklärung deren Erledigung sind die eigentlichen Ziele der
Unterbringung in einer Maßregelvollzugseinrichtung (vgl. § 67d
Abs. 2, 5, 6 StGB)." Es muss also gesetzlich sicher gestellt werden,
dass die 67e StGB Jahresgutachten zwar Klinikdokumente natürlich brauchen
und nutzen, aber unabhängig, d.h. von keinem Angehörigen des
Unterbringungssystem erstellt werden dürfen.
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