Hans
Prinzhorn
8.6.1886 Hemer
(Westfalen) bis 14.6.1933 in München
|
|
"Überblickt
man die enorme Leistung Prinzhorns in der kurzen Zeit seines Heidelberger
Aufenthaltes, so vermutet man [<20] in ihm mit Recht einen außerordentlichen
Mann. Und dies mag durchaus im Sinne von "außer der Ordnung" verstanden
werden. Denn alles, was wir von ihm wissen, ist letzten Endes Ausdruck
eines Kampfes zwischen gesetzten Normen und deren Verneinung oder, auf
einer anderen Ebene, zwischen starken, nicht zu vereinenden Gefühlen
und einem nach gültigen Ordnungen strebenden Geist. Sein Leben war
heftig, unstet, von Brüchen durchzogen wie auch seine Beziehung zu
Menschen, besonders zu Frauen, deren Nähe er suchte, fand und doch
nicht ertrug. "Das zerstörte Antlitz eines großen Zerstörers"
soll Georg Kolbe beim Fertigen einer Prinzhornbüste gesagt haben.
Dieser Eindruck skizziert den Endpunkt eines Lebens, welches nach einer
steilen, in bunten, oft schillernden Farben aufleuchtenden Kurve ermattend
sich dem Anfang nähert. Es war das Grundgefühl der Kindheit,
welches die letzten Lebensjahre kennzeichnete: Einsamkeit. Verlorenheit
1886 als Sohn eines Papierfabrikanten in Westfalen geboren wuchs Hans Prinzhorn neben vier Geschwistern in Wien auf. Das enge kleinbürgerliche Geschäftsmilieu machte ihn früh zum Außenseiter der Familie. In seinem Nachlaß findet sich das Fragment einer Autobiografie, aus dem deutlich wird, wie gegenwärtig und damit bestimmend in dem erwachsenen Mann die emotionale Situation seiner Kindheit weiterlebte. Vergebens suchte er in seiner Erinnerung nach Erlebnissen liebevoller Zuwendung und Geborgenheit. "Kein heimeliges Gefübl zu irgendeinem Menschen, am wenigsten zur Mutter, keine Regung zutraulicher Art einer liebkosenden Hand entgegen. Ja, ich möchte zweifeln, ob mir je eine Mutterhand in verweilendem Einheitsgefühl über den Kopf gestrichen hat und ob ich mich je meiner Anlage entsprechend still anschmiegen durfte, ohne >etwas zu wollen<. Nein, ich kenne diese unbegreifliche Frau, die ich letzten Endes überhaupt nie gefühlt, sondern immer nur wahrgenommen habe, lediglich in praktischer Tätigkeit, wobei man nicht stören darf oder ordentlich helfen muß - ..." [Anm7] Daß er "eine Mutter im seelischen Sinne, den Inbegriff alles schlichten Seins, aller Geborgenheit und die Pforte zum All - nie >gehabt<, nie erlebt . . ." [Anm8] hatte, schien Prinzhorn gravierender noch als die endlosen zermürbenden Kämpfe mit dem als aufgeblasen autoritär erlebten Vater, der immerhin eine aktive Reaktion, die des Protests, ermöglichte. Er schreibt: "Die selbstgerechte väterliche Strenge imponierte mir ganz äußerlich, vermochte nie, mein Bedürfnis zum Verehren, zum Bewundern auf sich zu lenken und mir in irgend einer Hinsicht Vorbild zu werden, oder gar meine liebevolle Zuneigung zu fesseln. Sie lähmte mich, reizte zur Opposition und Kritik . . ." [Anm9]
Prinzhorn schaffte den Sprung aus dem Elternhaus in die andere, von ihm ersehnte Welt mit der Kraft des Bedrohten, doch nahm er seine Kindheit mit - wie einen Rucksack, den man nicht mehr spürt und der doch sein Gewicht behält.
Nach einem Studium der Psychologie, Philosophie und Kunstgeschichte in Tübingen, Leipzig und München, welches er 1908 mit der Promotion abschloß, absolvierte er eine Gesangsausbildung in London. Seine Liebe galt vor allem Schubert, dessen Lieder er mit großem Talent interpretierte, wie die begeisterten Äußerungen seiner Freunde bezeugen. Nach kurzer erster Ehe heiratete er 1912 ein zweites Mal. Aus dieser 10 Jahre währenden Verbindung stammen zwei Töchter. Sein leidenschaftliches Interesse am Menschen, den er als Einheit von Leib und Seele begriff, veranlaßte ihn, 1913 ein Medizinstudium zu beginnen, welches er vorwiegend in Freiburg absolvierte. Nach einem längeren Frontaufentbalt als Militärarzt machte er 1918 sein Examen und folgte der Aufforderung Wilmanns nach Heidelberg, wo er 1919 promovierte.
Seine Arbeit hier, besonders aber sein Buch "Bildnerei der Geisteskranken" hob ihn erstmals in das Bewußtsein der Öffentlichkeit. Obwohl es naheliegend gewesen wäre, nach einem so erfolgreichen Anfang sich weiter mit der Thematik zu befassen und damit etwa eine "geordnete Universitätslaufbahn« einzuschlagen, wandte sich Prinzhorns Interesse bald nach seinem Weggang aus Heidelberg Neuem zu. Für kurze Zeit arbeitete er als Arzt an der psychiatrischen Klinik "Weißer Hirsch« in Dresden und lebte dort, ein zweites Mal geschieden, mit der Tänzerin Mary Wigman zusammen. Nach der Trennung von ihr eröffnete er 1924 eine psychotherapeutische Praxis in Frankfurt/Main.
Maria Rave-Schwank schildert auf sehr lebendige Weise die nun folgenden
Jahre: "Voller Produktivität, sein Zimmer mit Druckfahnen, Manuskripten
und Briefen überfüllt, beschäftigte er eine Sekretärin
und seine damalige dritte Frau mit Schreibarbeiten, hielt Vortragsreihen
am Rundfunk und an der Universität, ohne je eine Universitätslaufbahn
für sich anzustreben. Zu seinen damaligen Freunden gehörten neben
seinem Lehrer Klages Schriftsteller, Schauspieler, Verleger und Wissenschaftler
. . . " [Anm10].
Berühmte Leute waren darunter wie Thomas Mann, Gerhart Hauptmann und
Max Scheler. Es waren die Glanzjahre in Prinzhorns Leben. Erfolgreich und
von vielen bewundert schien er seinem Ziel nahe. Doch blieb die Unruhe.
In den folgenden Jahren erschienen in schneller Folge zahlreiche Bücher
von Prinzhorn, die heute weitgehend vergessen sind. Im Zentrum seines Interesses
stand weiterhin der Mensch, dessen Wesen er philosophisch und psychologisch
zu erfassen suchte.
Seine Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse veranlaßte ihn zur
[<21] Formulierung seiner Vorstellungen von Psychotherapie. 1929 unternahm
er eine Vortragsreise in die USA und anschließend eine Reise nach
Mexiko zu Rauschgiftstudien. Dann hielt er sich einige Zeit in Paris auf,
wo er Texte von André Gide übersetzte.
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er schreibend im Schwarzwald
und zuletzt bei einer Tante in München. Sie waren zunehmend von Schwermut
verdunkelt. Er hatte seine Stimme verloren; die ihn kannten, vermuten eine
psychogene Störung. Seine dritte Ehe war gescheitert. Vergebens suchte
er in einer komplizierten Liebesbeziehung zu einer Frau Ruhe und Halt.
1931 schrieb er der
Freundin: "Denn da ich alles, was ich bin und habe, auf das Herausarbeiten
einiger Züge am Bilde des Menschen angelegt, die nur wenigen so wichtig
wie mir vorkommen, so bin ich längst an eine Bahn der Lebenskurve
(in Gedanken) gewöhnt, die nach soviel schönen starken Phasen
irgendwo anonym verklingt, nachdem vielleicht noch ein paar Leistungszacken
draufgesetzt worden sind. Was kann ich Menschen bieten außer einer
gewissen Teilhabe an meiner für die meisten unerträglichen Welt?
Wer mag das? - So wird mir kaum andres >Glück< bestimmt sein als
Begegnung. (vgl. Gide). Halten kann ich nichts - umso mehr bedeutet es
mir, wenn jemand zu mir hält und sich genügen läßt
an dem, was ich selbst an mir habe . . ." [Anm11]
Seiner eigenen Erkenntnis folgend hatte er aufgehört, "Erlösungsutopien" zu suchen, doch "annehmen, was in sich tragisch und widerspruchsvoll ist" [Anm12] hätte einen anderen Menschen erfordert. Der Versuch, diese von ihm selbst geforderte Haltung zu leben, nahm ihm zugleich die Basis seiner produktiven Kraft und stürzte ihn in tiefe Resignation. Es liegt nahe, daß sein frühes Ende - er starb 1933 in München an Typhus - Konsequenz einer hoffnungslosen Einsamkeit und Erschöpfung war. [Anm13]
Überblicken wir noch einmal die Biografie Prinzhorns, so ist es die Geschichte eines verlorenen Kampfes. Es war ihm nicht gelungen, für sich und in sich eine Mitte zu finden. Alfred Bader hat in überzeugender Weise den Zusammenhang zwischen der Kindheit Hans Prinzhorns und seiner zwiespältigen Persönlichkeit, wie sie sich in seinem späteren Leben und Werk manifestierte, herausgearbeitet. "Ist es da er staunlich", meint er mit Bezug auf die fehlende Wärme und Zuwendung der Mutter, "wenn Prinzhorn in seinem Leben kein >Zuhause< gefunden hat, weder im Beruf noch in seinen affektiven Beziehungen zu anderen Menschen, zu den Frauen, wenn er trotz seines großen Bekanntenkreises im Grunde ein Einsamer blieb?" [Anm14]
Tatsächlich spricht aus im Nachlaß gefundenen Briefen an ihm nahestehende Frauen eine Mischung aus leidenschaftlicher Zuwendung und quälerischer Zurückweisung, die zunächst faszinierend, ab einer bestimmten Nähe jedoch zerstörerisch wirken mußte. Doch auch der Vater hatte seine Spuren hinterlassen. Bader spricht von einer "komplizierten, kaum je gelösten Vaterbindung", [Anm15] die er für Prinzhorns hochambivalente Einstellung Autoritäten gegenüber verantwortlich macht. Die glühende Verehrung seines Lehrers, des Philosophen Klages, dessen Werk er trotz persönlicher Enttäuschungen bis an sein Lebensende verteidigte, seine rückhaltlose Bewunderung für Nietzsche, seine Liebe zu Mozart oder André Gide sind für Bader Ausdruck einer ständigen Suche nach dem "idealen Vater", dem "erzieherisch führenden Freund", [Anm16] wie Prinzhorn es ausdrückte. In diesem Zusammenhang ist auch seine Offenheit für die Ideen des Nationalsozialismus zu sehen, wobei man vermuten kann, daß, hätte er die weitere Entwicklung noch erlebt, die mit Sicherheit auftauchende Enttäuschung und Opposition ihn in eine bedrohliche Situation gebracht hätten."
Die Prinzhornsammlung im Internet: https://www.prinzhorn.uni-hd.de
Heidelberger Stellungnahme zum Streit mit den Antipsychiatrisch Radikal Autonomen (ARA): https://www.prinzhorn.uni-hd.de/aktuelles/1999/11/stellungnahme.shtml |