Kommentar zum Rundschreiben der KVB vom 15.06.2001 Zeichen 15a
von Rudolf Sponsel, Psychologischer Psychotherapeut, Erlangen
Berufspolitisches Programm_Honorarstatistik ÄrztInnen_Honorarstatistische Probleme _Geldfragen + BSG-Urteil
Hintergrund: Das Bundessozialgericht hat hier mit seinem Urteil B 6 KA 14/98 R vom 25. August 1999 höchstrichterlich für Recht erkannt, daß die PsychotherapeutInnen den ÄrztInnen in ihren Honoraransprüchen 1) grundsätzlich gleich zu stellen sind und weil Psychotherapie eine nicht durch andere Abrechnungsmöglichkeiten ausgleichbare zeitgebundene Leistung ist, 2) mit einem sog. Mindestpunktwert abgesichert werden muß. Hierbei wird das PsychotherapeutInnen Einkommen an das vergleichbare ÄrztInnen Einkommen gekoppelt: verdienen die ÄrztInnen mehr, müssen die PsychotherapeutInnen mehr erhalten, verdienen die ÄrztInnen weniger, kürzt sich auch der Honoraranspruch der PsychotherapeutInnen entsprechend. Das erscheint uns fair und gerecht. Der für das Jahr 1996 angemessene Punktwert unter der unrealistischen Annahme einer durchschnittlichen 36-Wochensitzungszahl wurde auf 10 DPF bestimmt. Eine 50-Minuten Psychotherapiesitzung [FN01] in der ambulanten Praxis ist mit 1450 Punkten bewertet. 10 DPF ergeben damit ein Psychotherapiehonorar von DM 145.- für das Basisjahr 1996 bei durchschnittlich 36 Wochensitzungsstunden.
Worum es aktuell geht: Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) hat nun in Verhandlungen mit der AOK, der IKK und den Landwirtschaftlichen Krankenkassen Bayerns für die PsychotherapeutInnen eine Vereinbarung [FN02] getroffen, die denjenigen einen Punktwert von 10 DPF für reguläre Psychotherapieleistungen gewährt, die eine von PatientInnen unterschriebene Erklärung über die Anzahl der pro Quartal stattgefundenen Sitzungen beibringen. Diese Vereinbarung birgt mehrere Unklarheiten, die nun vorgestellt, untersucht und kritisch gewürdigt werden sollen.
Zum
vorgebrachten Anliegen der Krankenkassen
Die Wünsche der Krankenkassen nach Transparenz über den Status
(Stand der geleisteten Stunden) zeitabhängiger Therapieleistungen
(hier Psychotherapie) sind grundsätzlich verständlich und akzeptabel.
Allerdings ist festzustellen, daß durch die in der Sondervereinbarung
getroffene Maßnahme die gewünschten Informationen gar nicht
vermittelt werden können. Diese Begründung im KVB Schreiben ist
objektiv falsch. Denn: Aus einer Bestätigung über die Anzahl
geleisteter Sitzungen ergibt sich nicht, ob vorliegt: Ausschleichen
in der Therapieendphase, eine Unterbrechung, Pause
(Urlaub,
Krankheit, Kur, stationärer Aufenthalt, arbeits- oder ausbildungsbedingte
Unterbrechungen), Abbruch [1) wegen mangelnden oder nicht
genügenden Erfolges; 2) wegen Arbeitsbeziehungsproblemen; 3) wegen
mangelnder Kooperation; 4) wegen Umzugs; 5) wegen anderer Terminverpflichtungen
z. B. durch eine andere Arbeit bzw- Arbeitsstelle: 6) sonstiges] oder vorzeitige
Beendigung [regulär a), weil Ziele erreicht; regulär
b) weil weitere Ziele nicht mehr erreichbar scheinen, regulär c) sonstiges].
Wichtig zur Unterscheidung: Abrechnungskontrolle
-
Qualitätskontrolle - Effizienzkontrolle
Für die persönliche Effizienzkontrolle gibt es bislang keine Berufsrechtsgrundlage |
Das Qualitätssicherungsgebot ist fester Bestandteil des Sozialgesetzbuches
geworden. Wir begrüßen das neue Bewußtsein nach Qualität,
Qualitätssicherung und Qualitätsmanagment, wenn damit nicht nur
neue bürokratische potemkische Dörfer erzeugt werden. Qualitätskontrolle
kann nach dem geltenden Arztrecht aber bislang nur bedeuten, sicherzustellen
und auch zu kontrollieren, ob die Arbeit lege artis verrichtet wird.
Der Schritt von der Qualitäts- zur rechtswidrigen Effizienzkontrolle
ist sehr klein und schnell getan. Ich persönlich hätte auch nichts
gegen Effizienzkontrolle, wenn sie ausdrücklich eingeführt und
rechtlich abgesichert und verankert würde. Hierzu müßte
aber das Arztrecht geändert werden. Qualitätskontrolle heißt:
wird eine Arbeit so ausgeführt, wie es nach der ärztlichen Kunst
erlaubt, geboten und möglich ist. Effizienzkontrolle heißt hingegen:
wird eine Arbeit mit entsprechendem Erfolg ausgeführt. Das Problem
ist, daß Qualität und Effizienz auf verschiedenen Sachebenen
miteinander vermischt sind.
Wissenschaftlich können Therapieverfahren
nur dann zugelassen werden, wenn sie ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt
haben.
Berufsrechtlich hingegen kann von einerÄrztIn
oder PsychotherapeutIn nur verlangt werden, daß sie ihre Arbeit richtig
macht; wirksam muß sie nicht sein, weil es leider nicht allein in
der Macht therapeutischen Handelns steht, einen Erfolg herbeizuführen
[FN04]. Das
ist ein außerordentlich schwieriges Gebiet.
Aufgrund der allgemeinen Knappheit der Mittel, des
Fortschritts der Medizintechnologie und der für viele sehr attraktiven
Berufsbilder, die immer mehr in das Gesundheitssystem strömen läßt
[siehe exorbitante Zunahmen der Arztdichte]
sind die Krankenkassen natürlich bestrebt, Mittel und Wege zu suchen,
wie diese Kostenexplosion gestoppt und besser kontrolliert werden kann.
Das ist gesellschafts- und gesundheitspolitisch sicher verständlich
und richtig. Wenn man aber glaubt, daß zu viele zu wenig Erfolg haben,
dann muß man dies klar sagen und eine Änderung des Arztrechtes
zur Diskussion stellen und auf den Weg bringen. Leider sieht es gegenwärtig
so aus, als ob manche Kreise im Gesundheitssystem versuchten, das Qualitätssicherungsgebot
in Richtung Effizienzsicherung umzudeuten, was noch viel böses Blut
geben wird. Will man Effizienzkontrolle, so soll man das klar sagen und
die rechtlichen Voraussetzungen dafür herstellen, falls es gute Gründe
dafür gibt, daß eine solche Effizienzkontrolle nicht mehr neue
Probleme mit sich bringt als man alte beseitigt. Das Den- Teufel- mit-
dem- Belzebub- austreiben- Syndrom ist weit verbreitet und sehr
gefährlich. Ansonsten kann die Grundsatz- Methode leicht umschrieben
werden. 1) Man bestimme den durchschnittlichen Therapieerfolg. 2) man wähle
zum Beispiel als kritische Untergrenze 1 Sigma (Standardabweichung: FN05)
unter dem Mittelwert. Wer mit seiner Erfolgsstatistik darunter liegt erhält
eine Effizienzberatungsmaßnahme. 3) Wer x-mal Effiziensberatungsmaßnahmen
in einem Interval t herausfordert, erhält eine Nachschulung. Wiederholt
sich der Fall, wird zur beruflichen Umorientierung oder Umschulung geraten.
Für solche Maßnahmen gibt es derzeit aber keinerlei
Rechtsgrundlagen. Sie erforderten ein neues ÄrztIn- oder TherapeutInnen-Recht,
in dem die Pflicht zu einer bestimmten statistisch-mittleren Effizienz
verankert würde.
Im Psychotherapiebereich bieten sich zur Qualitätskontrolle etwa folgende Möglichkeiten an (unverbindliches persönliches brain storming): 1) Werden die Sitzungen dokumentiert? 2) Werden Therapieziele erfaßt? 3) Werden die Sitzungen vorbereitet? 4) Werden die Sitzungen nachbereitet? 5) Gibt es Evaluationskonzepte? 6) Werden die angewendeten Therapiemethoden evaluiert? 7) Wird der Therapiezielstatus erhoben? 8) Wird der Therapieverlauf und -fortschritt erhoben, dokumentiert und evaluiert? 9) Werden Konsil, Kooperation, Autosupervision, Intervision und Supervision wahrgenommen? 10) Wird Fort- und Weiterbildung gemacht (intern, extern)? 11) Werden zwischen Therapiesitzungen Pausen gemacht? 12) Wird zu viel [Überforderung, Streß, unangemessen niedrige Honorare] gearbeitet? 13) Wird zu wenig [zu wenig Routine, keine erfahrungsbildenden Fallzahlen] gearbeitet? 14) Ist genügend Zeit für die Erholung und Ressourcen Reaktivierung vorgesehen (Freizeit, Entspannung, Ausgleich, Sport, Spiel, Erholung, Urlaub)?, 15) ... u. a. m. |
"Für den Fall, daß Sie sich diesem Verfahren nicht anschließen, zahlen die Regionalkassen den in Bayern geltenden Mindestpunktwert von 8,25 DPF ebenfalls außerhalb der pauschalierten Gesamtvergütung." (fett-kursiv von R.S: Quelle) |
Die Herausnahme der Finanzierung aus dem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) ist nicht einfach zu bewerten. Ich denke, es gibt Gründe, die dafür sprechen und es gibt Gründe, die dagegen sprechen. Das HVM-Modell sieht vor, daß die sozialrechtlich zugelassenen GesundheitsdienstleisterInnen unter sich ausmachen, wie die Versichertengelder = Honorartopf verteilt werden. Aufgrund der Knappheit der Mittel und dem Verlangen der DienstleisterInnen möglichst viel für ihre Arbeit zu bekommen, ergeben sich hier ständige Verteilungskämpfe, was in gewisser Weise normal und natürlich ist. Sind die Machtverhältnisse der Interessengruppen ungleich und unausgewogen, kommt es vermehrt zu Honorar- Siegern und Honorar- Verlierern. Damit sind die Sozialgerichte u. a. unentwegt beschäftigt. Die kleinen Gruppierungen sind in einem solchen System, das keinen Minderheitenschutz vor Interessen- und Machtmißbrauch kennt, das natürliche "Futter" der Großen und mächtigen Interessenlobbies. Als kleine Gruppierung waren davon auch in besonderem Maße bis zum heutigen Tage die PsychotherapeutInnen betroffen, was zu zahlreichen Honorarklagen und 1999 zu dem - schon mehrfach zitierten - bahnbrechenden und wegweisenden Bundessozialgerichtsurteil geführt hat. Das PsychotherapeutInnenhonorar ist nach diesem höchstrichterlichen Urteil keine reine Verhandlungssache mehr, sondern es wurden Kriterien für deren Veranschlagung festgelegt. Damit ist auch eine neue Situation für das HVM-Modell entstanden, das formal gesehen Freiheitsgrade verloren hat. Eine Herausnahme aus dem HVM Modell hat das Bundessozialgericht weder vorgeschrieben noch beabsichtigt. Im Gegenteil: der Kern des Urteils besagt ja, daß das PsychotherapeutInnen Einkommen an das vergleichbare ÄrztInnen Einkommen gekoppelt ist. Andererseits hat das Bundessozialgericht keine Vorschriften gemacht, wie die Finanzierungsmittel zu organisieren und zu beschaffen sind. Eine Herausnahme aus dem HVM- Modell bedeutet rein finanziell sowohl für die Honorare der ÄrztInnen als auch der PsychotherapeutInnen Vorteile, denn zum HVM- Topf kommt ein weiterer Topf, nennen wir ihn FIX-Topf hinzu. Die höheren Honorare für PsychotherapeutInnen würden nicht mehr zu Minderungen der anderen ÄrztInnengruppen führen. Der Verteilungskampf und die Honorarinteressen- Konflikte würden sich an dieser Stelle sehr merklich entspannen, was wohl positiv zu bewerten ist. Dies ist im Grunde dann auch ein Einstieg in ein eigenes Finanzierungsmodell für Psychotherapieleistungen. Dies könnte von berufs- und gesundheitspolitischen GegnerInnen der Psychotherapie dazu genutzt werden, zu versuchen, die Psychotherapie aus dem Katalog der medizinischen Grundleistungen herauszudrängen. Es ist ziemlich sicher, daß das Gesundheitswesen der Zukunft mehr Eigenbeteiligung und Eigenverantwortung fordern wird und muß, weil die Mittel aus vielfachen Gründen für die Bedienung aller Wünsche nicht mehr reichen. Kontrolle, Qualität und möglicherweise auch der Gesichtspunkt der persönlichen Effizienz - für die es noch keine Rechtsgrundlage gibt - werden in Zukunft eine zunehmend stärkere Rolle spielen. Die Gefahr ist, daß man die Dinge halbherzig betreibt, nur den Anschein wahrt und nur die Bürokratie vervielfacht, also potemkische Dörfer errichtet, ohne wirklich etwas Wesentliches und Nützliches zu verändern. Die Herausnahme aus dem HVM Modell bietet daher Chancen und Risiken. Wir sollten also nicht vorschnell überängstlich und abwehrend reagieren, aber schon sehr darauf achten, daß Herausnahme aus dem HVM nicht bedeuten kann und darf, Notwendigkeit, Sinn und Nutzen der Psychotherapie als medizinische Grundversorgungsleistung in Frage zu stellen. Grundversorgung wird auch in Zukunft mehr und mehr bedeuten: Kostenträger + Eigenanteil. Damit wird dann zugleich ein natürlicher Wettbewerb gefördert, der dem Gesundheitswesen schon lange fehlt: Effizienzregulierung durch die Kräfte des freien Marktes.
Aufgrund der zahlreichen Probleme, Miß- und Fehlinterpretationen, die eine Unterschrift unter die Sondervereinbarung mit sich bringen kann, haben wir uns für folgenden Weg entschieden: Wir unterschreiben, aber wir erklären unsere Unterschrift, was wir meinen und nicht meinen. Alle KollegInnen, die das möchten, können sich diesen Vorschlag zu eigen machen oder ihn nach ihren Wünschen, Zielen und Bewertungen umformulieren. |
Wir, Dipl.-Psych. Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil.Rudolf Sponsel erklären zu unserer Unterschrift unter die Sondervereinbarung folgendes:
Unsere Unterschrift bedeutet, daß wir
1+) die Wünsche der Krankenkassen nach Transparenz über
den Status (Stand der geleisteten Stunden) zeitabhängiger Therapieleistungen
(hier Psychotherapie) akzeptieren. Allerdings müssen wir feststellen,
daß durch diese Maßnahme keinerlei neue Information (laufend,
pausierend, unterbrochen, abgebrochen, beendet) gewonnen wird, weil der
Stand der bisher geleisteten Stunden ja bisher auch schon bekannt ist;
neu ist lediglich die Kontrollbestätigung durch die PatientInnen;
2+) eine Kontrolle für die in Rechnung gestellten Leistungen
grundsätzlich für kaufmännisch und juristisch sinnvoll halten
und akzeptieren;
3+) der Sondervereinbarung mit der AOK Bayern, der IKK Bayern
und den Landwirtschaftlichen Krankenkassen in Bayern zustimmen, falls uns
der Wortlaut original übermittelt wurde (Schreiben vom 15.6.2001 mit
dem Zeichen 15a der KVB).
Wir bedauern,
4-) daß möglicherweise der falsche Eindruck entsteht,
daß diese Form der Kontrolle etwas mit Qualitätssicherung zu
tun hat;
5-) daß diese Kontrolle mit dem Thema Punktwert sachunangemessen
verschränkt wird;
6-) daß für die zusätzliche Leistung keine EBM-Zuordnung
(analog Ordination Ziffer 1) avisiert wurde.
Wir finden es honorarrechtspolitisch sehr problematisch,
7-) daß mit der Herausnahme aus dem HVM ein neues Finanzierungsmodell
auf dem Weg gebracht wird, das den falschen Eindruck erwecken könnte,
daß Psychotherapieleistungen nicht mehr zur Grundversorgung gehören,
wovon wir uns ausdrücklich distanzieren.
Unsere Unterschrift bedeutet NICHT,
8-) daß wir zwei unterschiedliche Punktwerte (fix und
floatend) für die gleichen Leistungen (probatorische versus genehmigte
Sitzungen) akzeptieren, d. h. wir behalten uns vor, gegen das Floatingsystem
Widerspruch einzulegen;
9-) daß wir einen Punktwert von 10 DPF akzeptieren.
Das BSG Urteil B 6 KA 14/98 R vom 25. August 1999 hat pro 50-Minuten
Sitzung für das Basisjahr 1996 einen Punktwert von 10 DPF auf der
Basis von 36 Wochenstunden errechnet. Das auf Dauer leistbare Wochenstundenkontingent
beträgt aber maximal 30 Sitzungen. Daher ist der Punktwert umzurechnen
10 DPF * 36/30. Da als Vergleichsbasis das entsprechende ÄrztInneneinkommen
gilt, ergibt sich für uns ein Honoraranspruch nach der Berechnungsformel
(ausführlichere Darlegung hier):
VAE = Vergleichbares AerztInneneinkommen mit Gebietsbezeichnung
X = örtlicher Auf- oder Abschlagsfaktor
nach Bundesland oder KV-Gebiet.
1996 VAE96 = 145 *
36/30 = 174.- DM
1997 VAE97 = VAE96
* (VAE97 / VAE96) * X
1998 VAE98 = VAE97
* (VAE98 / VAE97) * X
1999 VAE99 = VAE98
* (VAE99 / VAE98) * X
2000 VAE00 = VAE99
* (VAE00 / VAE99) * X
...............................................
2005 VAE05 = VAE04
* (VAE05 / VAE04) * X
...............................................
2010 VAE10 = VAE09
* (VAE10 / VAE09) * X
...............................................
gezeichnet: xyz
Anlagen"