Materialien zu Begriffsanalysen
der Dialektik in den Psychowissenschaften
Psychologie, Psychopathologie,
Psychotherapie
Materialien zur Begriffsanalyse
Dialektik
_
Zur Einführungs,
Haupt- und Verteilerseite Dialektik.
Information zu den Signierungen.
Originalarbeit von Rudolf
Sponsel, Erlangen
_Aufgrund gelegentlicher
Ergänzungen und Korrekturen mit F5-Taste updaten empfohlen
_
Dialektik in einigen Woerterbüchern der Psychowissenschaften
Dorsch Psychologisches Wörterbuch
Dialektik (DialDefiniendum)
(= D.) [engl. dialectics; gr. .... (...) (dialektike (techne)) Unterredungskunst
(Dialursp)], [PHI], die
Kunst der Beweisführung (DialArist)
– die Wissenschaft der Logik (DiallogW).
So wurde der Begriff bis zur Neuzeit gebraucht. Kant entwertete ihn: D.
(DialKant) ist Pseudophilosophieren.
Hegel bahnte den Weg zum heutigen Gebrauch des Begriffs (DialHeg):
Er machte die D. (DialMeth)
zur Methode seines Philosophierens (Thesis – Antithesis – Synthesis) (Dialtrias)
und zum Inhalt seiner Philosophie (etwa: Subj. Geist – Obj. Geist – Absoluter
Geist). Über Karl Marx wurde der dialektische Materialismus (Thesis
= Kapitalismus – Antithesis = Diktatur des Proletariats – Synthesis = Klassenlose
Gesellschaft) zum politischen Begriff. Über Kierkegaard hat sich eine
Dialektische Theologie entwickelt (Karl Barth u.a.). Auch in der Ps. ist
die D. (Dialpsy)
von Bedeutung, bes. als dialektisches Verfahren, d.h. als eine unter weitgehendem
Verzicht auf vorgefasste Theorien und Methoden sich rein aus dem Pro und
Kontra entwickelnde Auseinandersetzung zur Klärung offener Fragen
und Probleme.? (DialDefiniens)
Quelle: Dialektik. (2018). In M. A. Wirtz (Hrsg.),
Dorsch – Lexikon der Psychologie. Abgerufen am 10.11.2018, von https://portal.hogrefe.com/dorsch/dialektik/
Dialektisches Scheindenken
(DialSoph)
(= d.S.), [PHI], in Anlehnung an K.O. Erdmann nannte Poppelreuter (1933)
d.S.
(DialSoph),
wenn subj. Ansichten als obj. gültig kundgetan werden. Zumindest werden
nicht beweisbare Ansichten so dargestellt, als kämen sie einem Beweis
gleich. psychokritische Pädagogik.
Literatur :Poppelreuter, W. (1933). Psychokritische Pädagogik.
Leipzig: Beck.
Quelle: Dialektisches Scheindenken. (2014). In M.
A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch – Lexikon der Psychologie (18. Aufl., S. 382).
Bern: Verlag Hogrefe Verlag.
Spektrum Lexikon der Psychologie
Dialektik, philosophische Arbeitsmethode (DialPhAM),
die ihre Ausgangsposition durch gegensätzliche Behauptungen (These
und Antithese) in Frage stellt und in der Synthese beider Positionen eine
Erkenntnis höherer Art zu gewinnen trachtet.
Dialektische Psychologie, von K. F. Riegel so bezeichnete psychologische
Ausrichtung der Psychologie (Dialektik),
(DialRiegel).
Anmerkung: Arnold et al. kein Eintrag "Dialektik"
Riegel Grundlagen der dialektischen Psychologie [i]
Weder im Inhalts- noch im Sachverzeichnis findet sich ein Hinweis auf eine Definition von Dialektik. Die grundlegenden terminologischen und ontologischen Unterscheidungen werden von Riegel nicht entwickelt.
Kapitel 1: Die Dialektik der menschlichen Entwicklung 19
Kritik an der traditionellen Psychologie 20
Die Abstraktheit von Fähigkeiten 20
Die Ruhe des Gleichgewichts 22
Voraussetzungen einer Dialektischen Psychologie 23
Dialogische Interaktionen 23
Dialektische Veränderungen . 27
Überlegungen zu einer dialektischen Theorie von
Entwicklung und Altern 32
Dialektische Psychologie: Ein Manifest 34
Kapitel 2: Historische Einleitung 37
Paradigmatische entwicklungspsychologische Richtungen 37
Mechanistisches Weltbild 37
Mentalistisches Weltbild 38
Dialektisches Weltbild . 40
Offene und geschlossene Entwicklungssysteme 42
Vier Modelle der Entwicklung 42
Soziologische Beispiele 43
Psychologische Beispiele . 45
Dialektik in der sowjetischen Psychologie 48
Die Anfänge der sowjetischen Psychologie 49
Doppel-Ursache. Doppel-Wirkungs-Thcorie 50
Konstitutiver Relationismus 52
Schlußfolgerungen 54
Kapitel 3: Dialektische Operationen: erste und letzte Phase der kognitiven
Entwicklung 56
Dialektische Operationen 59
Hegels dialektische Theorie 59
Entwicklung logischer Operationen mit Klassen 61
Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung als eine Theorie der Entfremdung
64
Die Entwicklung des Verständnisses für sprachliche Relationen
67
Kognitive Veränderungen während der Erwachsenenzeit und im
hohen Alter . 69
Ein modifiziertes Modell der kognitiven Entwicklung
72
Schlußfolgerungen 76
KapiteI4: Die relationale Basis von Sprache 78
Vergleich von monetärem und sprachlichem System 81
Tauschhandel und Protosprache 81
Münzsystem und Sprache als Symbolsystem 83
Obligationssystem und Interaktionssprache 87
Die relationale Basis von Sprache 92
Außersprachliche Relationen 92
Wechselseitige Abhängigkeit von Elementen und Relationen
93
Überschneidungen von Relationen . 94
Reduktionistische und diskriminative Aspekte von Sprache 95
Kriterien für Wortklassen 96
Arten von intrasprachlichen Relationen 97
Implizite und explizite Relationen ... 98
Verkettung von Relationen 100
Relationen von Relationen 101
Psycholinguistische Systeme 102
Inversion und Negation 103
Transformationen 104
Schlußfolgerungen 105
Kapitel 5: Die zeitliche Struktur von Dialogen 108
Subjekt-Objekt-Relation 109 j
Situative Dialoge 113
Monologe und Erzählungen 113
Grundlegende Eigenschaften von Dialogen 115 •
Dialektische Eigenschaften von Dialogen 118 j
Unvollkommene Dialoge.... 119 '
Dialoge während der Entwicklung 121
Mutter-Kind-Dialoge 122 ;
Synchronisierung 124
Der soziale Charakter von Dialogen 125
Entwicklungsniveaus bei frühen Dialogen 128
Schlußfolgerungen 133
Kapitel 6: Individuelles Erinnern und kollektive Vergangenheit
135
Entwicklungspsychologisch relevante Erinnerungen 136
Altersunterschiede bei entwicklungspsychologisch relevanten Erinnerungen
. 142
Zur Erinnerung historischer Ereignisse und Personen 144
Historische Interpretationen 148
Entwicklungswissenschaft als Handlung 151
Kapitel 7: Krisen im Erwachsenenalter 154
Widersprüche und Entwicklung 154 1
Krisen und Entwicklung 155
Vorschau 156
Widersprüche und Krisen im Erwachsenenleben 158
Ältere Interpretationsansätze . 158
Entwicklung im Erwachsenenalter 160
Karriereentwicklung 163
Überwindung paradigmatischer Krisen durch außergewöhnliche
Individuen 167
Piaget 169
Wundt 171
Individuum und Gesellschaft 173
Strukturelle Stratifikation in der Geschichte 175
Die Familie 175
Die Nation 176
Die Künste 177
Die Wissenschaften 178
Individuum und Gesellschaft 178
Außerwissenschaftliche Grundlagen des „Krisen“-Konzepts
179
Schlußfolgerungen 181
Kapitel 8: Dialektik der Zeit 183
Das Konzept der Veränderung 184
Merkmale von Zeit 184
Typen von Ereignissequenzen 187
Inner-biologische Veränderungen 188
Biologische Ereignissequenzen 188
Psychologische Ereignissequenzen 192
Implikationen 193
Individuell-psychologische Veränderungen 194
Die Zeitlichkeit von Erzählungen 194
Die Zeitlichkeit des Gedächtnisses 196
Implikationen 197
Kulturell-soziologische Veränderungen 198
Individueller und gesellschaftlicher Wandel 198
Implikationen 200
Musik, Zeit und dialektische Logik 201
Zeitstruktur von Musik 201
Relationale, absolute und dialektische Zeit 202
Formale und dialektische Logik 205
Schlußfolgerungen 207
Literatur 209
Personenregister 223
Sachregister 227
Riegel, Klaus F. (1978, Hrsg,) Zur Ontogenese
dialektischer Operationen. Frankfurt: Suhrkamp. [i]
Obwohl im Titel das Wort "Ontogenese dialektischer Operationen" gebraucht
wird, weist das Inhaltsverzeichnis keine solche Arbeit aus.
Inhaltsverzeichnis:
Öllinger, Michael
(2017) Problemlösen. In (587-618) Müsseler, Jochen
& Rieger, Martina (2017, Hrsg) Allgemeine Psychologie. Berlin: Springer.
S. 590: "Probleme mit unklar definiertem Anfangs-
und Zielzustand werden bisweilen auch als dialektische
Probleme (Dialprobl)
bezeichnet (Dörner 1976). (DialZitH)"
Ittel, Angela; Raufelder, Diana & Scheithauer, Herbert (2014).
Kapitel 13 Soziale Lerntheorien.
In (330) L. Ahnert (2014, Hrsg.), Theorien in der Entwicklungspsychologie,
DOI 10.1007/978-3-642-34805-1_13, © Springer-Verlag
Berlin Heidelberg 2014"
"1 Historische Anfänge
Die heutigen sozialen Lerntheorien zeichnen sich durch ein dialektisches
Grundprinzip (DialGPWWM)
aus, demzufolge sich ein Individuum in ständiger Interaktion mit der
Umwelt entwickelt. (DialIAnUm)"
Piaget, Jean (fr 1968, dt. 1973) Strukturalismus und Dialektik. In (103-109) Der Strukturalismus. Stuttgart: Klett-Cotta. [s]
"20. Strukturalismus und Dialektik
In diesem Kapitel sollen nur zwei allgemeine Fragen behandelt werden,
die sich aus der strukturalistischen Forschung ergeben. Man könnte
die Liste unendlich verlängern, denn seit der Strukturalismus Mode
geworden ist, gibt es kaum mehr einen Philosophen, der sich nicht mit ihm
befasst, wobei das Neue an dieser Mode oft vergessen lässt, wie alt
die Methode im Bereich der Naturwissenschaften ist, die von gewissen Philosophien
so leicht vernachlässigt wird.
I. Das erste unserer beiden Probleme drängt
sich mit aller Klarheit auf, denn in dem Maße, wie man die Struktur
betont und dafür die Genese, die Geschichte und die Funktion, wenn
nicht sogar die Aktivität des Subjekts abwertet, gerät man selbstverständlich
in Konflikt mit den zentralen Tendenzen des dialektischen
Denkens (DialonS).
Es ist deshalb nur natürlich und für uns höchst aufschlussreich,
dass Levi-Strauss fast das ganze letzte Kapitel von Das wilde
Denken einer Diskussion der Kritik der dialektischen
Vernunft Jean-Paul Sartres (DialVSartre)
widmet. Eine Analyse dieser Debatte scheint uns hier umso angezeigter zu
sein, als beide Autoren jene grundlegende Tatsache vergessen zu haben scheinen,
dass innerhalb der Naturwissenschaften selbst der Strukturalismus immer
mit einem Konstruktivismus gekoppelt war, dem ein dialektischer
Charakter (DialonS)
nicht abgesprochen werden kann, betont er doch die historischen Entwicklungen,
die Gegenüberstellung von Gegensätzen
() und »Überschreitungen«, aber auch die Idee der Ganzheit
(DialGanz) , die den dialektischen
(DialonS) wie den strukturalistischen
Tendenzen zugrunde liegt.
Die wichtigsten Komponenten des dialektischen
Denkens (DialVSartre),
wie [>104] Sartre es praktiziert, sind der Konstruktivismus und seine Konsequenz,
der Historizismus. ..."
S. 105ff "Dieses hegelianische oder kantianische
Modell ist kein abstraktes oder rein begriffliches, denn sonst würde
es weder die Wissenschaften noch den Strukturalismus interessieren. Es
bringt einen unvermeidlichen Denkschritt zum Ausdruck, sobald das Denken
einmal versucht, sich von den falschen Absoluta zu entfernen. Im Bereich
der Strukturen entspricht dies einem ständig sich wiederholenden historischen
Prozess, den Gaston Bachelard in einem seiner besten Werke, La Philosophie
du non, beschrieben hat. Dessen Prinzip besteht in der Negation
(DialNegat) einer wesentlichen
oder zumindest notwendigen Eigenschaft einer fertig konstruierten Struktur.
Da zum Beispiel die klassische Algebra
kommutativ war, [>106] hat man seit Hamilton nicht-kommutative Algebren
konstruiert; die euklidische Geometrie hatte nicht-euklidische Geometrien
zur Folge; die bivalente Logik auf der Basis des ausgeschlossenen Dritten
wurde ergänzt durch polyvalente Logiken, nachdem Brouwer den Wert
der Bivalenz im Falle der unendlichen Systeme negiert
hatte usw. Im Bereich der logisch-mathematischen Strukturen ist es
beinahe eine Methode geworden, zu einer gegebenen Struktur durch ein System
von Negationen die komplementären oder von ihr verschiedenen Systeme
zu konstruieren, die man anschließend in einer komplexen Totalstruktur
vereinigen kann. Das geht so weit, dass die Negation
(DialNegat) selbst negiert
wird, wie etwa in der »Logik ohne Negation«
(DialLoNeg) von Griss.
Wenn es sich andererseits darum handelt zu bestimmen, ob ein System A das
System B nach sich zieht oder umgekehrt, wie bei den Beziehungen zwischen
endlichen Ordinal- und Kardinalzahlen, zwischen dem Begriff und dem Urteil
usw., kann man sicher sein, dass auf die linearen Prioritäten oder
Reihen am Ende immer dialektische Interaktionen
(DialInter) oder Zirkel
folgen.
In der Physik und der Biologie sind die Verhältnisse
ähnlich, obwohl sie von dem herrühren, was Kant den »realen
Widerstreit«'» nannte. Muss man an die Schwankungen zwischen
dem Korpuskel- und dem Wellen-Standpunkt in den Lichttheorien, an die von
Maxwell eingeführten Wechselbeziehungen zwischen den elektrischen
und den magnetischen
Prozessen usw. erinnern? Hier wie im Bereich der abstrakten Strukturen
sieht es folglich so aus, als stelle die dialektische Haltung
(Kuuu)
einen wesentlichen Aspekt in der Erarbeitung der Strukturen dar, der zugleich
komplementär zur und untrennbar von der - selbst formalisierenden
- Analyse ist. Dieses »etwas mehr«, das ihr Levi-Strauss sparsam
zubilligt, besteht somit aus viel mehr als einem »Bauen von Stegen«
und läuft zweifellos darauf hinaus, die linearen oder baumartigen
Modelle durch die berühmten »Spiralen«
(TEntwSp)
oder Nicht-Zirkelschlüsse (Kuuu)
[>107] zu ersetzen, die mit den genetischen Zirkeln oder den für die
Entwicklungsvorgänge
(TEntw)
charakteristischen Interaktionen so nahe verwandt sind.
Piaget kommt dann auf die Geschichte, Marx, historische
Transformationen und führt zum Schluss aus (S. 109): "... Doch Godelier
gelangt zu einer Schlussfolgerung, die wir hier zitieren, weil sie sowohl
unsere Einwände gegen Levi-Strauss als auch die allgemeinen Ideen
dieses ganzen Bandes zusammenfasst: »Es würde unmöglich,
die Anthropologie gegen die Geschichte oder die Geschichte gegen die Anthropologie
auszuspielen, fruchtlos,
Psychologie und Soziologie, Soziologie und Geschichte einander entgegenzustellen.
Die Möglichkeit der ‚Wissenschaften( vom Menschen würde letztlich
auf der Möglichkeit beruhen, die Gesetze des Funktionierens, der Evolution
und der inneren Entsprechung der sozialen Strukturen zu entdecken [...]
folglich auf der Verallgemeinerung der strukturalen Analyse, die fähig
geworden ist, die Variations- und Evolutionsbedingungen der Strukturen
und ihrer Funktionen zu erklären« (ebd.: 864). Struktur
und Funktion, Genese und Geschichte, individuelles Subjekt und Gesellschaft
werden somit in einem so verstandenen Strukturalismus und in dem Maße,
wie er seine Analyseinstrumente verfeinert, voneinander untrennbar."
_
Piaget, Jean (fr 1970, dt. 1974) Genetische
Erkenntnistheorie. Stuttgart: Klett-Cotta. [i]
Darin im Vorwort S.17f: "Das Problem der Konstruktion
nicht-präformierter Strukturen ist keineswegs neu, jedoch greift die
Mehrzahl der Erkenntnistheoretiker auf aphoristische (oft sogar wieder
auf vererbte) oder empiristische Hypothesen (die die Erkenntnis auf das
Erfassen der im Subjekt oder im Objekt bestehenden Formen reduzieren) zurück.
Alle dialektischen Strömungen insistieren dagegen auf der Idee der
Neuheit und suchen das Geheimnis der Erkenntnis in den »Aufhebungen«
zu erfassen, die das Spiel der Thesen und Antithesen permanent überschreiten.
In der Geschichte des wissenschaftlichen Denkens stellt sich zwangsläufig
das Problem des Wechsels gewisser Perspektiven oder sogar der »Revolution«
der »Paradigmen« (Kuhn 1962), und Leon Brunschvicg (1927) hat
daraus eine Epistemologie der grundlegenden Entwicklung der Vernunft abgeleitet.
Im psychologischen Bereich hat James Mark Baldwin unter dem Stichwort »genetische
Logik« tiefgründige Gedanken über den Aufbau kognitiver
Strukturen geäußert; auch andere Versuche in dieser Richtung
könnten angeführt werden.
Die genetische Epistemologie hat diese Frage in
der doppelten Absicht aufgegriffen, eine Methode zu finden, die Kontrollen
erlaubt und vor allem eine Rückkehr zum Ursprung und zur Entwicklung
der Erkenntnis, denn die traditionelle Erkenntnistheorie befasst sich nur
mit deren höchsten und letzten Stufen oder, anders ausgedrückt,
mit gewissen Resultaten. Die genetische Epistemologie versucht jedoch,
nicht nur die »Wurzeln« der verschiedenen Erkenntnisse aufzuspüren
(d.h. ihre elementarsten Formen), sondern auch ihre Entwicklung bis zu
den höchsten Stufen zu verfolgen, also bis zum heute akzeptierten
wissenschaftlichen Denken."
Piaget, Jean (orig. 1970, dt. 1972) Erkenntnistheorie
der Wissenschaften vom Menschen. Hauptströmungen der sozialwissenschaftlichen
Forschung. Herausgegeben von der Unesco. Frankfurt aM: Ullstein. [s]
In dem Buch findet sich im Register kein Eintrag
zur Dialektik. Obwohl S. 266ff Marx zur Sprache kommt, auch hier
kein Wort zur Dialektik. Piaget benutzt aber die Ausdrücke Diachronie
und Synchronie (Abschnitt V, 18, S. 282-286). Unter Diachronie (Register)
versteht er: "Diachronie (Tdiach):
Gegensatz zu Synchronie, nämlich die Untersuchung von Entwicklungsvorgängen.
Historische
Dimension." () Und zur: "Synchronie
(Tdiach):
In der Linguistik und auch sonst der statische Querschnitt im Gegensatz
() zum dynamisch-historischen Längsschnitt (Diachronie)."(Tdiach)
Piaget, Jean (orig. 1967, dt.1974 ) Biologie
der Erkenntnis. Über die Beziehnungen zwischen organischen Regulationen
und kognitiven Prozessen. Frankfurt aM: S. Fischer. [i]
Das Personen- und Sachregister enthält keinen Eintrag "Dialektik",
auch nicht "Hegel".
Dialektik der Entwicklung - Piaget
epigenetische Entwicklungstheorie [i]
https://www.kausalepsychotherapie.de/dialektik2.htm
Kesselrings Vergleich zwischen Piaget und
Hegel. [i]
Kesselring, Thomas (1981) Entwicklung und Widerspruch.
Ein Vergleich zwischen Piagets genetischer Erkenntnistheorie und Hegels
Dialektik. Frankfurt aM: Suhrkamp.
Kesselring hat eine umfassende
Monographie zum Vergleich Piaget - Hegel vorgelegt.
Cooper, David (dt. 1969, engl. 1968, Hrsg.) Dialektik der Befreiung (DialLibera). Reinbek: Rowohlt. [m]
Dialektik der Befreiung: Buchpräsentation im Sigmund
Freud Museum (22.11.2017) [m]
https://www.youtube.com/watch?v=XdzfiGQBGL0
"Als "Vorspiel" der Literatur im Herbst - "Dialektik
der Befreiung" (DialLibera)
wurde am 22.11.2017 die neu aufgelegte Buchdokumentation des gleichnamigen
Kongresses von 1967 "Dialektik der Befreiung"
(DialLibera) präsentiert.
Im Sigmund Freud Museum in Wien sprach Daniela Finzi mit Rainer Danzinger
und Philipp Katsinas. Begrüßung: Walter Famler (Generalsekretär
Alte Schmiede) Die diesjährige Literatur im Herbst trug den Titel
"Dialektik der Befreiung" (DialLibera)
und knüpfte damit programmatisch an den gleichnamigen Kongress an,
den die Antipsychiater Ronald D. Laing und David Cooper 1967 in London
organisiert haben. Themen, die damals und heute bewegt haben und bewegen,
sind unter anderem: Freiheit und Kontrolle, Entmystifizierung der menschlichen
Gewalt in allen ihren Formen sowie der Systeme, denen sie entspringt. Aspekte
des Imperialismus, die versagende Wohlstandsgesellschaft. Diskreditierung
von gesellschaftlichen Alternativen, Ausbeutungsmechanismen im digitalisierten
Kapitalismus, Populismus und neuer Faschismus, Ästhetisierung und
Digitalisierung aller Lebenszusammenhänge. Befreiung von der Überflussgesellschaft
und Alternativen zur Akzeptanz von Furcht und Unsicherheit. Verdinglichung
des Menschen. Macht und Widerstand bei intensivierter Reproduktion von
Ungleichheit. Der virtuelle Staat. Repressive Toleranz. Kritik und Affirmation.
Idiotie und Intellekt, Kolonialisierung der Fantasie, Macht und Ohnmacht.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Rainer Danzinger, *1943 in Salzburg,
von 1972 bis 1977 an der Universitätsklinik für Psychiatrie und
Neurologie in Graz, ab 1987 Hochschullehrer für klinische Psychiatrie.
Zahlreiche Publikationen zu Sozialpsychiatrie und Psychoanalyse, zuletzt
"Die Ermordung psychiatrischer Patienten aus der Steiermark in der NS-Zeit"
(2015). Daniela Finzi, *1976 in Salzburg, Studium der Deutschen Philologie
und Theaterwissenschaft, Lehrtätigkeit an der Universität Wien,
Vorstandsmitglied des aka Arbeitskreis Kulturanalyse, wissenschaftliche
Leiterin und Vorstandsmitglied der Sigmund Freud Privatstiftung. Philipp
Katsinas, *1986 in Innsbruck, studierte Soziologie und Geographie in London.
Redaktionsmitglied des Journals City: analysis of urban trends, culture,
theory, policy, action. Herausgeber von Dialektik der
Befreiung (DialLibera)
(2017)."
__
Gebrauchsbeispiel
Der Psychiatrie-Komplex von Quensel [m]
Quensel, Stephan (2018) Irre, Anstalt, Therapie. Der Psychiatrie-Komplex.
Wiesbaden: Springer.
Aus dem Vorwort, S. 5:
"So sehr dieses emanzipative Anliegen in der späteren Entwicklung
– etwa in der erstarrenden autoritären Anstalts-Psychiatrie oder gar
im kollusiven Missbrauch mit und durch Diktaturen – immer wieder ‚entarten‘
konnte, so gehört dieses Anliegen doch auch heute noch zu den Grundbedingungen
einer Psychiatrie, die immer wieder auf Reformen drängt, die ‚anti-psychiatrisch‘
für die Selbständigkeit ihrer Klienten kämpft und die therapeutisch
die Therapeut-Klienten-Beziehung dialogisch ausgestalten will; eine ‚dialektisch‘
(DialPPTKB) geprägte
Aufgabe, die freilich ebenso immer wieder auf beiden Seiten in die pastorale
Ausgangs-Situation zurückfallen kann."
S. 126:
"Eine die ‚Psychopathen‘ aus diesem psychiatrisch relevanten Feld ausschließende
Strategie, deren – sagen wir ‚dialektische‘
(DialPPPav) – Problematik
darin bestand, dass diese schon früh ‚anlagemäßig‘ auffallenden
Psychopathen einerseits eigentlich sowohl für ihre ‚biologische Anlage‘
nicht verantwortlich zu machen waren, wie auch deswegen als kaum behandelbar
galten, während man andererseits sie doch ggf. sogar durch härtere
Strafen an Zucht und Gottesfurcht zu gewöhnen oder zumindest doch
dadurch andere gefährdete Psychopathen entsprechend abzuschrecken
hoffte. Zumal man doch fordern durfte, dass sie sich ‚heroisch‘ – „Wir
nennen dies das Prinzip des moralischen Heroismus, mit dem die Kriminalpsychiatrie
die abnorme Persönlichkeit konfrontiert“ (Moser 1971: 172) – in besonderem
Maße anzustrengen hätten, um trotz ihrer Anlage normentsprechend
zu handeln, da es [>126] sich ja sowohl bei ihrem angelegten ‚Charakter‘
wie bei der notwendigen Willens-Anspannung jeweils um etwas ‚Intra-Seelisches‘
handele,28 wie dies übrigens schon die deutsche Universitäts-Psychiatrie
vor 150 Jahren – etwa Heinroth (s. o.)29 – betont hatte. Ein ‚dialektischer‘
(DialPPPav) Eiertanz, den
Tilman Moser (1971) mit verstehbarer Wonne sarkastisch auseinander nimmt
27 So kritisiert der Psychiater Wilfried Rasch in Schuldfähigkeit
in A. Ponsold: Lehrbuch der gerichtlichen
Medizin 3. A. (1967: 63), zitiert in Moser (1971: 115).."
S. 280:
"Die Art der professionellen Kontrolle wird intern wie extern primär
durch den Psychiater realisiert; und zwar zunächst Institutions-intern
durch seine verantwortlichen Entscheidungen gegenüber Pflegern wie
Patienten, und sodann durch die Art seiner Diagnosen, Behandlungen und
therapeutischen Maßnahmen. Das zentrale Anliegen der italienischen
‚demokratischen‘ Psychiatrie, dieses ‚professionell‘ vorgegebene Kontroll-Potential
abzubauen, stieß jedoch auf vier immanente Schwierigkeiten, die sich
auch ‚dialektisch‘70 (DialonS)
nur unzureichend lösen ließen: Die organisatorisch vor allem
nach außen gerichtete ‚institutionelle‘ Verantwortung; sodann die
großen Status-Unterschiede – soziale Schicht, Bildung und Ausbildung
– die sich sowohl gegenüber den Pflegern wie vor allem gegenüber
den ‚armen Irren‘ auswirkte:"
S. 281f:
"Vier ambivalente Aspekte der psychiatrisch autoritären Rolle,
die etwa im Rahmen der ursprünglichen ‚therapeutischen Gemeinschaft‘
wie im englisch ‚antipsychiatrischen‘ Modell eher verdrängt wurden,
deren zentraler Stellenwert in Görz jedoch die gesamte negierte Institution
(Basaglia 1973) durchzieht.73 Und zwar in einem dreifachen Ansatz, der
vor allem in den allgemeinen Plenarversammlungen ‚dialektisch‘(DialonS)
zum Tragen kam: Als offen angesprochenes Rollenproblem74 – wenn Basaglia
(1973: 250) etwa vom ‚üblichen Problem der Avantgarde‘ spricht: [>282]
„Wenn wir die Absicht gehabt hätten, die Patienten auf die Öffnung
hin zu ‚erziehen‘ […], dann hätten wir uns wohl inzwischen kaum von
der Stelle bewegt“. Sodann als konfrontatives ‚Therapie‘-Prinzip:
Und schließlich die Einsicht, dass die Pfleger wie die Mitpatienten
im Alltag häufigeren besseren ‚therapeutischen‘ Kontakt herstellen
können als der nur stundenweise anwesende, abgehoben wirkende Psychiater
und professionelle Therapeut:75
Weitere Fundstellen: 287, 289, 292 FN105, 295, 445 und FN143 (DBT),
466, 507.
Im Sachregister werden drei Fundstellen erfasst: 280, 295, 445.
Linehans
Dialektisch-behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung
[s]
Linehan, Marsha (1996) Dialektisch-behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung.
München: CIP-Medien
Zusammenfassung-Linehan:
Linehan vertritt in ihrer DBT die klassische Dialektik (DialLineh)
ohne philosophisch idealistische Position. Von wem sie die gelernt hat,
verrät sie nicht (Hegel wird im Literaturverzeichnis und in den Literaturbezugnahmen
nicht aufgeführt). Hierbei vertritt sie folgende, ausdrücklich
geäußerte und im Text belegbare, dialektische Positionen, die
den methodischen Charakter von Annahmen (Axiomen oder Postulaten) haben.
Sie werden zwar durch viele Beispiele anschaulich und verständlich
gemacht, aber in ihrer allgemeingültigen Postulierung nicht belegt,
erklärt und begründet. Immherin: die Annahmen, Postulate oder
Axiome werden offengelegt.
1. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung: Konzepte, Kontroversen
und Definitionen
Das Konzept der Borderline Persönlichkeitsstörung 3
Das Konzept der parasuizidalen Verhaltensweisen 11
Überlappungen zwischen Borderline-Persönlichkeitsstörung
und parasuizidalem Verhalten 13
Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung: Eine Vorschau
15
Abschließende Überlegungen 20
Anmerkungen 21
2. Dialektische (DialLineh)
und biosoziale Grundlagen der Behandlung
Dialektik (DialLineh)
22
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung als Scheitern an der
Dialektik
(DialLineh)
27
Begriffsbildung: Ein dialektischer kognitiv-verhaltenstherapeutischer
Ansatz (DialDBT)
28
Die Biosoziale Theorie:
Eine dialektische Theorie (DialDBTETB)
der Entwicklung der Borderline-Persönlichkeitsstörung 32
Implikationen der biosozialen Theorie für die Therapie von Borderline-Patientinnen
47
Abschließende Bemerkungen 49
Anmerkungen 49
3. Verhaltensmuster: Dialektische Dilemmata
() bei der Behandlung von Borderline-Patientinnen
Emotionale Vulnerabilität versus Selbst-Invalidierung 51
Aktive Passivität versus scheinbare Kompetenz 58
Andauernder Krisenzustand versus unterdrückte Trauer 64
Anschließende Bemerkungen 70
Anmerkungen 70
TEIL II ..."
Hintergrund und Geschichte
Linehan erklärt, S. 22: "Jeder Theorie der Persönlichkeit
und der Persönlichkeitsstörungen liegt ein bestimmtes Weltbild
zugrunde ... "Genauso beruht auch die DBT auf einer bestimmten Weltsicht:
der Dialektik. (DialonS)"
Sie führt aus, dass das Konzept der Dialektik für das Verständnis
und die Behandlung von Borderlinepatientinnen sehr wichtig und hilfreich
ist. Sie verweist darauf: "Als Weltbild spielt die Dialektik
(DialonS) aber auch eine
Rolle in Theorien der Wissenschaftsentwicklung (Kuhn, 1970), der biologischen
Evolution (Levins & Lewontin, 1985), der Geschlechterverhältnisse
(Firestone, 1970) und, in jüngerer Zeit, der Entwicklung des Denkens
bei Erwachsenen (Basseches, 1984). Wells (1972, zitiert in Kegan, 1982)
verzeichnet im Verlauf der letzten 150 Jahre eine Zuwendung zu dialektischen
Ansätzen (DialonS)
in fast allen Sozial- und Naturwissenschaften".
In den 80er Jahren stellte Linehan fest, dass einerseits
die Verhaltenstherapie bei Borderlinepatientinnen anwendbar war, sie andererseits
aber auch eine Reihe von anderen Methoden und Techniken anwendete, S. 23:
"Zu diesen Techniken zählte unter anderem die beiläufige Übertreibung
der Bedeutung von Ereignissen (ähnlich wie bei Whitaker, 1975, S.
12-13), die Ermutigung zur Akzeptanz von Situationen und Gefühlen
(im Gegensatz zu der Betonung von Veränderung) im Sinne des Zen-Buddhismus
(z.B. Watts, 1961); und double-bind-Aussagen im Zusammenhang mit pathologischen
Verhaltensweisen (ähnlich dem Bateson-Projekt; Watzlawick, 1978).
Diese Techniken stehen paradoxen Therapie-Ansätzen näher als
den üblichen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen. Ferner
fiel uns auf, daß mein verbaler Stil rasch wechselte zwischen Wärme,
Akzeptanz und empathischer Spiegelung, wie wir sie aus der klientenzentrierten
Therapie kennen, einerseits und direkten, respektlosen und konfrontativen
Kommentaren andererseits. Beweglichkeit und Timing schienen eine ebenso
wichtige Rolle zu spielen wie die Rahmenbedingungen und die technischen
Fertigkeiten."
"Die Borderline-Persönlichkeitsstörung als Scheitern
an der Dialektik
Die von Borderline-Patientinnen gezeigten Verhaltensweisen lassen sich
auch als Scheitern an der Dialektik
(DialDBT-SQ) interpretieren.
Dialektische Fähigkeiten in der Lebensbewältigung sind daher
als psychologisches Heilmittel (DialDBThm)
anzusehen.
„Spaltung“ (splitting) bei Borderline-Patientinnen
"Wie ich in Kap. 1 bereits ausgeführt habe, wechseln Borderline-Patientinnen
und suizidale Personen ständig zwischen zwei klaren, aber unvereinbaren
Standpunkten (Gpolar)
hin und her und sind unfähig, zu einer
Synthese
(DialSynth) der zwei Positionen
zu gelangen. Sie neigen dazu, die Wirklichkeit in einem sehr begrenzten
Bezugsrahmen einander entgegengesetzter Kategorien von „entweder-oder“
wahrzunehmen anstatt „alles zugleich“. Beispielsweise findet man bei diesen
Personen nicht selten die Überzeugung, daß jemand unmöglich
im Innersten „gut“ sein kann, wenn er auch nur den kleinsten Fehler begangen
hat. Durch ihren rigiden kognitiven Stil sind sie noch weniger in der Lage,
sich die Möglichkeit zukünftiger
Wandlungen
und Veränderungen (Dialwand)
überhaupt nur vorzustellen, was dazu führt, daß sie sich
in einem unlösbaren schmerzhaften Dilemma gefangen fühlen. Einmal
definierte Dinge können sich nicht verändern. Hat ein Mensch
einmal einen Fehler begangen, wird er immer „fehlerhaft“ bleiben.
...
Von einem dialektischen Standpunkt
(DialonS) aus stellt ein
andauernder Konflikt dagegen ein Scheitern der Dialektik
(DialDBTaKSD) dar. Anstelle
einer Synthese und Transzendenz stehen im typischen Borderline-Konflikt
tief verwurzelte, aber unvereinbare Positionen, Wünsche und Vorstellungen
einander gegenüber. Für eine Lösung des Konfliktes wäre
es zunächst erforderlich, die Gegensätze zu erkennen, um sich
dann sozusagen über sie erheben und die scheinbar paradoxe Realität
von „beides zugleich“ und „entweder-oder“ erkennen zu können. ..."
Die Dialektik von Naehe und Distanz (DialDBTnd)
- Wippenanalogie
S. 23
"Der Begriff „dialektisch“ (DialLineh)
zur Beschreibung dieser Therapiemethode entstand aus meiner intuitiven
Erfahrung in der Arbeit mit diesen schwer gestörten, chronisch suizidalen
Patientinnen. Diese Erfahrung kann ich am besten in einem Bild wiedergeben:
Die Patientin und ich stehen auf einer Wippe einander gegenüber; die
Fläche der Wippe verbindet uns miteinander. Die Therapie ist wie das
Auf und Ab der Wippe, bei dem die Patientin und ich ständig vor und
zurück rutschen und versuchen, die Balance zu halten, um gemeinsam
zur Mitte zu gelangen und sozusagen auf eine höhere Ebene klettern
zu können. Dort beginnt derselbe Ablauf von vorne: Wir sind auf einer
neuen Wippe und versuchen erneut, in die Mitte zu gelangen und auf die
nächste
Ebene (DialSynth)
aufzusteigen und so weiter. Während die Patientin auf der Wippe vor-
und zurückrutscht, vom Ende in die Mitte und von der Mitte an das
Ende, bewege ich mich ebenfalls, um die Balance zu halten."
Linehan S. 23f: "In dialektischer
(DialonS) Terminologie repräsentieren
die beiden Enden der Wippe die Gegensätze
(GDBTtb) („These“
(GDBTthes) und „Antithese“
(GDBTanti)); die Bewegung
in die Mitte und auf die nächste Ebene der Wippe steht für die
Integration oder „Synthese“ (GDBTsyn)
dieser Gegensätze (GDBTtb),
die im gleichen Moment sofort wieder in andere Gegensätze
(GonS) zerfällt. Diese
psychotherapeutische Beziehung zwischen den Gegensätzen
(GDBTtb), die in dem Begriff
„Dialektik“ (DialonS)
enthalten ist, wurde immer wieder seit [>24] den frühen Schriften
von Freud betont (Seltzer, 1986)."
Das Prinzip der wechselseitigen Beziehungen und der Ganzheit
(S. 24) ()
"Levins und Lewontin (1985) haben dies gut beschrieben:
Nimmt man diese Vorstellung ernst, kann das einen deutlichen Einfluß
auf das eigene klinische Vorgehen ausüben. Bei den meisten Beschreibungen
der BPS beispielsweise wird die Notwendigkeit betont, die Pathologie zu
bestimmen, durch die die betroffene Person sich von anderen unterscheidet.
Dementsprechend besteht das Ziel der Therapie darin, die Pathologie aufzuspüren
und Möglichkeiten zur Veränderung
(DialDBTpv) zu schaffen.
Eine dialektische Perspektive (DialonS)
legt dagegen einen anderen Ansatz nahe: Jede Dysfunktionalität enthält
auch Funktionalität; jede Verzerrung enthält Wahrheit
(DialDBTpv); und in jeder
Zerstörung findet sich ein Aufbau
(DialDBTpv). Durch die
Umkehrung der Vorstellung „Widersprüche in der
Wahrheit“ (DialDBTpv)
zu „Wahrheit im Widerspruch“ (DialDBTpv)
gelangte ich zu einer Reihe von Entscheidungen bezüglich der Form
von DBT. Anstatt die Berechtigung für das aktuelle Verhalten der Patientin
in ihrer Lemgeschichte zu suchen, begann ich, sie in der Gegenwart zu suchen
und auch zu finden. Die Vorstellung führte also zu weit mehr als bloßem
Verständnis für die Patientin; Validierung (also eine Bestätigung
der Berechtigung der Gefühle und Gedanken der Patientin) ist heute
zentraler Bestandteil der DBT."
These, Antithese, Synthese: Das Prinzip des kontinuierlichenWandelsS.
25f
Diese inneren Zusammenhänge und Gegensätze
(GonS) sowie die Nichtreduzierbarkeit
der Realität führen zum dritten zu einer [>26] Ganzheit
(DialGanz),
die sich in einem kontinuierlichen Wandlungsprozeß
(Dialwand) befindet. Der
Wandel wird durch die Spannung zwischen den Kräften
von These (DialThese)
und
Antithese (DialAnti),
die sich in jedem System finden, hervorgerufen (positiv und negativ, gut
und böse, Kinder und Eltern, Patientin und Therapeut, Mensch und Umwelt
etc.) (Gpolar). Da aber auch
der auf den Wandel (Dialwand)
folgende neue Zustand (die Synthese
(DialSynth)) aus einander
entgegenwirkenden
Kräften (Gpolar)
besteht, ist der Wandel kontinuierlich (DialwandK)
[RS: Widerspruch zum Konzept des dialektischen Sprungs]. Das Prinzip
des dialektischen Wandels (Dialwand)
sollte einem bewußt sein, auch wenn ich die entsprechenden Begriffe
(„These“ (DialThese),
„Antithese“ (DialAnti),
„Synthese“ (DialSynth))
selten verwende.
Das Wesen des Lebens ist also der Wandel
(Dialwand) (oder „Prozess“),
nicht Struktur oder Inhalt. Robert Kegan (1982) fängt diese Vorstellung
ein, wenn er von der Entwicklung des Selbst als lebenslangem
Transformationsprozeß (DialEntwT)
spricht. Dieser Prozeß wird angetrieben von der Spannung
zwischen Bewahrung und Veränderung des Selbst (Gpolar),
innerhalb der Person und innerhalb des Systems Mensch-Umwelt, die nur vonkurzfristigen
Phasen der Ruhe und eines Entwicklungsgleichgewichtes unterbrochen wird.
Er schreibt:
Dialektisches Ueberzeugen
S. 26f
"Angewandt auf den therapeutischen Dialog und das Therapeut-Patient-Verhältnis,
bedeutet „dialektisch“ () einen Wandel
(Dialwand), der durch Überzeugung
hervorgerufen wird und indem sich die der
therapeutischen
Beziehung innewohnenden Gegensätze (GDBTtb)
zunutze gemacht werden, nicht durch formale unpersönliche Logik. Im
Gegensatz zum analytischen Denken ist der dialektische
Ansatz persönlich (DialDBTpers);
er berücksichtigt und betrifft die gesamte Person. Durch die Gegenüberstellung
unterschiedlicher Positionen in der Therapie können Patientin und
Therapeut zu neuen Deutungen innerhalb alter [>27] Deutungen gelangen
und sich so dem wesentlichen der Person annähern."
Zwischenmenschliche Isolation und Entfremdung
S. 28:
"Die dialektische Vorstellung einer Einheit geht davon aus, daß
der einzelne Mensch nicht von seiner Umgebung losgelöst ist. Die typischen
Borderline-Gefühle Isolation, Entfremdung, Gefühl von mangelndem
Kontakt oder Dazugehörigkeit können als dialektische
Fehlschläge (DialDBThm)
interpretiert werden, die daraus resultieren, daß die Borderline-Patientin
einen Gegensatz zwischen der eigenen Person und anderen Menschen empfindet.
... "
Begriffsbildung: Ein dialektischer kognitiv-verhaltenstherapeutischer
(DialDBT)Ansatz
S. 28:
"Die Begriffsbildung bei der DBT wird sowohl vom dialektischen
Ansatz (DialDBT)
als auch von kognitiv-verhaltensbezogenen Annahmen bestimmt In diesem Abschnitt
werde ich verschiedene Merkmale der kognitiv-verhaltenstherapeutischen
Theorie, die für die DBT von Bedeutung sind, erläutern. Darüber
hinaus möchte ich die Unterschiede zwischen einem dialektischen
kognitiv- verhaltenstherapeutischen (DialDBT)
Ansatz und traditionelleren kognitiven, verhaltensbezogenen und biologischen
Theorien herausstellen. Spezifischere theoretische Annahmen werde ich später
im Zusammenhang mit den spezifischen DBT-Interventionsstrategien darstellen."
Dialektische Strategien (DialDBT-S)
"TEIL III. GRUNDLEGENDE BEHANDLUNGSSTRATEGIEN ()
7. Dialektische Behandlungsstrategien
Definition der dialektischen Strategien 147
DIE AUSGEWOGENE ANWENDUNG VON BEHANDLUNGSSTRATEGIEN:
DIALEKTIK IN DER THERAPEUTISCHEN BEZIEHUNG 148
DAS VERMITTELN DIALEKTISCHER VERHALTENSMUSTER 150
EINZELNE DIALEKTISCHE STRATEGIEN 151
An den Teil III. schließt das wichtige Konzept der Validierung,
also die Kontrolle der Behandlungsstrategien an.
Ende Linehan
Die Dialektik im Seelischen von Wilhelm Reich (1934) [ts]
S. 25-:
"Versuchen wir es nun an einigen typischen Vorgängen im menschlichen
Seelenleben, die die Analyse aufgezeigt hat, ihre Dialektik
(DialPAonS) nachzuweisen,
die unserer Behauptung nach ohne die psychoanalytische Methode nicht hätte
zutage treten können.
Zunächst als Beispiel für die dialektische
Entwicklung die Symptombildung in der Neurose (DialPAsymp),
wie sie von Freud zuerst erfasst und beschrieben wurde. Nach Freud entsteht
ein neurotisches Symptom dadurch, dass das gesellschaftlich gebundene Ich
eine Triebregung zunächst abwehrt und dann verdrängt. Die Verdrängung
einer Triebregung allein macht aber noch kein Symptom, dazu ist notwendig,
dass der verdrängte Trieb die Verdrängung wieder durchbreche
und in verstellter Form als Symptom erscheine. Das Symptom enthält
nach Freud sowohl die abgewehrten Triebregungen als auch die Abwehr selbst;
das Symptom trägt also den beiden entgegengesetzten Tendenzen Rechnung.
Worin liegt nun die Dialektik der Symptombildung
(DialPAsymp)? Das Ich
des betreffenden Menschen steht unter dem Drucke eines "psychischen Konfliktes".
Die widerspruchsvolle Situation, auf der einen Seite der Triebanspruch,
auf der anderen die Realität, die die Befriedigung verweigert oder
bestraft, verlangt nach einer Lösung. Das Ich ist zu schwach, um der
Realität zu trotzen, aber auch zu schwach, um den Trieb zu beherrschen.
Diese Schwäche des Ichs, welche selbst bereits eine Folge einer vorausgegangenen
Entwicklung ist, für die die Symptombildung nur eine Phase bedeutet,
diese Schwäche ist also der Rahmen, innerhalb dessen sich der Konflikt
abspielt; er wird nun auf die Weise erledigt, dass das Ich im Dienste der
gesellschaftlichen Forderung, in Wirklichkeit, [>26] um nicht unterzugehen
oder bestraft zu werden, also aus Selbsterhaltungstrieb, den Trieb37
verdrängt
). Die Verdrängung ist also die Folge eines Widerspruches
(DialPAVerdr), der unter
der Bedingung der Bewusstheit nicht zu lösen ist. Das Unbewusst werden
des Triebes ist eine vorläufige, wenn auch pathologische Lösung
des Konfliktes (DialPAVerdr).
Zweite Phase: Nach der Verdrängung des Wunsches, der vom Ich ebenso
verneint, wie bejaht wurde, ist das Ich selbst verändert, sein Bewusstsein
ist um einen Bestandteil (Trieb) ärmer und um einen anderen (vorübergehende
Ruhe) reicher. Der Trieb kann aber in der Verdrängung ebenso wenig
auf die Befriedigung verzichten, wie im Zustande des Bewusstseins, eher
weniger, weil er jetzt nicht einmal der Kontrolle des Bewusstseins ausgesetzt
ist. Die Verdrängung setzt ihren eigenen Untergang, da infolge der
Verdrängung die Triebenergie mächtig gestaut wird, um schließlich
die Verdrängung zu durchbrechen. Der neue Prozess des Durchbruchs
der Verdrängung ist Resultat des Widerspruches: Verdrängung -
Triebstauung, wie die Verdrängung selbst Folge des Widerspruches:
Triebwunsch - Versagung der Außenwelt (unter der Bedingung: Schwäche
des Ichs) war. Es besteht also nicht etwa eine "Tendenz" zur Symptombildung,
sondern die Entwicklung erfolgt, wie wir sehen konnten, aus den Widersprüchen
des seelischen Konfliktes (WPASK).
Mit der Verdrängung war auch die Bedingung ihres Durchbruches, die
Aufstauung der Energie des unbefriedigten Triebes gegeben. Ist mit dem
Durchbruch der Verdrängung in der zweiten Phase der ursprüngliche
Zustand wieder hergestellt? Ja und nein. Ja insofern, als der Trieb wieder
das Ich beherrscht, nein insofern, als er eben verändert, in verstellter
Form im Bewusstsein ist, als Symptom. Dieses enthält das Alte, den
Trieb, aber gleichzeitig auch seinen Gegensatz, die Abwehr des Ichs. In
der dritten Phase (Symptom) sind also die ursprünglichen Gegensätze
vereint in einer und derselben Erscheinung. Diese selbst ist Negation (Durchbruch)
der Negation (der Verdrängung). Machen wir vorläufig halt, um
das an einem konkreten Beispiel der psychoanalytischen Erfahrung zu demonstrieren.
Nehmen wir den Fall einer verheirateten Frau, die
Angst vor Einbrechern hat, die sie mit Messern überfallen könnten.
Sie kann etwa nicht allein im Zimmer bleiben und vermutet in jedem Versteck
einen grausamen Einbrecher. Die Analyse dieser Frau eines Arbeiters ergab
folgendes:
1. Phase: Psychischer Konflikt ()
und Verdrängung:
Die Frau hat einen Mann vor ihrer Heirat kennen gelernt, der sie mit
Anträgen verfolgte, denen sie gern gefolgt wäre, wenn sie nicht
moralisch gehemmt gewesen wäre. Die Erledigung dieses Konfliktes
() konnte sie mit der Tröstung auf spätere Heirat verschieben.
Der Mann wandte sich ab, sie heiratete einen anderen, ohne den ersten vergessen
zu können. Der Gedanke an ihn störte sie unausgesetzt. Als sie
ihm einmal wieder begegnete, geriet sie neuerdings in schweren Konflikt
() zwischen ihrem Verlangen nach ihm und ihrer Forderung nach ehelicher
Treue. Unter diesen Bedingungen wurde der Konflikt
() unerträglich und unlösbar, das Verlangen nach ihm war ebenso
stark wie ihre Moral. Sie begann, ihn zu meiden (Abwehr) und schließlich
vergaß sie ihn scheinbar. Das war aber kein wirkliches Vergessen,
sondern nur ein Verdrängen ().
Sie glaubte sich geheilt und dachte bewusst nicht mehr an ihn.
2. Phase: Durchbruch der Verdrängung
():
Einige Zeit später hatte sie einen heftigen Streit mit ihrem Mann,
weil er mit einer anderen Frau flirtete. Im Verlaufe des Streites hatte
sie sich, wie sich viel später herausstellte, gedacht: "Wenn du darfst,
so bin ich dumm, wenn ich es mir nicht auch erlaube"; dabei hatte sie momentan
das Bild des ersten Geliebten vor sich. Der Gedanke war aber zu gefährlich,
konnte er doch den ganzen alten Konflikt wieder heraufbeschwören,
und so beschäftigte sie der Gedanke bewusst nicht weiter: Sie hatte
ihn aufs neue verdrängt. Aber in der Nacht trat ein Angstzustand auf;
sie hatte plötzlich die Idee, dass ein fremder Mann sich an ihr Bett
heranschleiche, um sie zu vergewaltigen. Der Trieb war in verstellter Form,
ja mehr, als sein direktes Gegenteil wieder ins Bewusstsein gedrungen;
an Stelle des Wunsches nach dem fremden Mann hatte sie Angst vor ihm. Diese
Verstellung war (3. Phase) Grundlage ihrer Symptombildung. Analysieren
wir jetzt das Symptom selbst, so sehen wir in der Phantasievorstellung,
dass ein fremder Mann sich in der Nacht an ihr Bett schleicht, die Erfüllung
des verdrängten Wunsches, den Ehebruch zu begehen (die Analyse ergab
in den Details, dass sie, ohne es zu wissen, ihren ersten Geliebten phantasierte:
Gestalt, Haarfarbe usw. waren die gleichen). In dem gleichen Symptom ist
aber auch die Abwehr enthalten, die Angst vor dem Trieb, die als Angst
vor dem Mann erscheint. Später schwand das Element "vergewaltigt werden"
aus der Angst und wurde durch "ermordet" ersetzt, entsprach also einer
weiteren Verstellung des bisher zu deutlichen Inhalts des Symptoms.
Wir sehen an diesem Beispiel nicht nur ursprünglich
getrennte Gegensätze in einem Phänomen vereint, sondern auch
die Verwandlung eines Phänomens in sein Gegenteil
(), des Wunsches in Angst. Bei dieser Umwandlung der
sexuellen Energie in Angst (), einer der ersten und grundlegendsten
Funde Freuds, liegt der Tatbestand vor, dass die gleiche Energie unter
der einen Bedingung das gerade Gegenteil von dem unter einer anderen Bedingung
Erscheinenden erzeugt.
Noch ein anderer dialektischer
Erfahrungssatz () kommt in unserem Beispiel zum Ausdruck.
Im Neuen, im Symptom, ist das Alte, der Sexualwunsch, vorhanden, und dennoch
ist das Alte nicht mehr es selbst, sondern gleichzeitig etwas völlig
Neues, nämlich Angst. Der dialektische Gegensatz
() von Libido und Angst lässt sich aber noch anders auflösen,
nämlich
38
aus dem Gegensatz von Ich und Außenwelt
). Ehe wir aber dazu übergehen, wollen wir an einigen kleineren Beispielen
weitere Dialektik im Seelischen () zeigen.
Zum Umschlagen der Quantität in Qualität
(): Die Verdrängung einer Triebregung aus dem Bewusstsein oder auch
die bloße Unterdrückung ist bis zu einem gewissen Grade für
das Ich lustvoll, weil es einen Konflikt
() beseitigt; über einen bestimmten Grad hinaus aber schlägt
die Lust in Unlust um. Geringes Reizen einer zur Endbefriedigung nicht
fähigen erogenen Zone ist lustvoll; dauert die Reizung zu lange, so
schlägt die Lust in Unlust um ().
Dialektische Vorgänge sind
ferner die Spannung und Entspannung (). Das lässt sich
am Sexualtrieb am besten zeigen. Die Spannung einer sexuellen Erregung
erhöht die Begierde, baut aber gleichzeitig die Spannung durch Befriedigung
in der Reizung ab, ist also gleichzeitig Entspannung (). Die Spannung bereitet
aber auch die kommende Entspannung vor, wie etwa die mechanische Spannung
der Uhrfelder ihre Entspannung vorbereitet. Umgekehrt ist die Entspannung
mit höchster Spannung verbunden --- etwa im Sexualakt, oder die entspannende
Spannung bei einem aufregenden Drama ---, sie ist aber auch die Grundlage
für erneute Spannung.
Der Satz von der Identität
der Gegensätze () lässt sich an den Vorgängen
der narzisstischen Libido und der Objektlibido zeigen. Nach Freud sind
die Selbstliebe und die Liebe zum Objekt nicht nur
Gegensätze (); die Objektliebe entsteht aus der narzisstischen
Libido und kann jederzeit in sie zurückverwandelt werden; sofern aber
beide Liebestendenzen darstellen, sind sie identisch; nicht zuletzt gehen
sie auch auf eine gemeinsame Quelle, den somatischen Sexualapparat und
den "Urnarzissmus" zurück. - Ferner die Begriffe "Bewusstes" und "Unbewusstes":
Sie sind Gegensätze, aber an der Zwangsneurose
() lässt sich zeigen, dass sie zugleich gegensätzlich
und identisch sein können (). Diese Kranken verdrängen
Vorstellungen in der Weise aus ihrem Bewusstsein, dass sie der Vorstellung
nur die Aufmerksamkeit, d. h. die Affektbesetzung entziehen; die "verdrängte"
Vorstellung ist jederzeit bewusst und doch unbewusst, d. h. der Kranke
kann sie produzieren, aber er kennt ihre Bedeutung nicht. - Die Begriffe
Es und Ich drücken ebenfalls identische Gegensätze
aus: Das Ich ist einerseits nur ein besonders differenzierter Teil, wird
aber gleichzeitig unter dem Einfluss der Außenwelt ein Gegner, funktioneller
Widerpart des Es.
Der Begriff der Identifizierung entspricht nicht
nur einem dialektischen Vorgang (),
sondern auch einer Identität von Gegensätzen. Die Identifizierung
kommt nach Freud so zustande, dass man etwa eine Erziehungsperson, die
gleichzeitig geliebt und gehasst wird, "in sich aufnimmt" (sich mit ihr
"identifiziert"), d. h. ihre Eigenschaften oder Gebote zu den eigenen macht.
Dabei geht gewöhnlich die Objektbeziehung zugrunde. Die Identifizierung
löst den Zustand der Objektbeziehung ab, ist also ihr Gegensatz,
ihre Verneinung, aber gleichzeitig eine Aufrechterhaltung der Objektbeziehung
in anderer Form, also auch eine Bejahung (). Dem liegt folgender
Widerspruch
() oder Konflikt () zugrunde: "Ich liebe
X; als mein Erzieher verbietet er mir sehr viel, weswegen ich ihn hasse;
ich möchte ihn zerstören, beseitigen, aber ich liebe ihn auch,
will ihn also auch erhalten." Aus dieser widerspruchsvollen
Situation (), die als solche bei einer gewissen Intensität
der gegensätzlichen Regungen nicht bestehen bleiben kann, gibt es
folgenden Ausweg. "Ich absorbiere ihn, ich "identifiziere" mich mit ihm,
ich vernichte ihn (d. h. meine Beziehung zu ihm) in der Außenwelt,
behalte ihn aber in mir in einer veränderten Form weiter; ich
habe ihn vernichtet und doch behalten ()."
In denjenigen Tatbeständen, die in der Psychoanalyse
mit dem Begriffe der Ambivalenz, des gleichzeitigen
Ja und Nein erfasst werden (), gibt es noch eine Fülle
dialektischer
Phänomene (), von denen wir nur das hervorstechendste,
die Verwandlung von Liebe in Hass und umgekehrt
hervorheben. Hass kann in Wirklichkeit Liebe bedeuten
und umgekehrt. Sie sind identisch, sofern
beide intensive Bindungen an den Nebenmenschen ermöglichen
(). Die Verkehrung ins Gegenteil ()ist
eine Eigenschaft, die Freud den Trieben im allgemeinen zuschreibt. Bei
der Verkehrung geht aber das Alte nicht unter, sondern bleibt in seinem
Gegenteil voll erhalten.
Auch die Gegensätze Perversion
und Neurose sind dialektisch aufzulösen, indem jede Neurose eine negierte
Perversion ist und umgekehrt ().
Ein schönes Beispiel dialektischer
Entwicklung () lässt sich an der säkularen
Sexualverdrängung () zeigen. Bei den Primitiven besteht
ein scharfer Gegensatz zwischen dem Inzesttabu hinsichtlich der Schwester
(und Mutter) und der sexuellen Freiheit hinsichtlich der übrigen Frauen.
Die Sexualeinschränkung breitet sich aber immer mehr aus, betrifft
zunächst nur noch die Cousinen, später alle Frauen der gleichen
Gens-, schlägt schließlich bei weiterer Ausbreitung in eine
qualitativ andere Einstellung zur Sexualität überhaupt um, wie
etwa im Patriarchat und besonders im Zeitalter des Christentums. Die stärkere
Verdrängung der Sexualität überhaupt erzeugt aber ihren
Gegensatz in der Form, dass heute das Tabu die Beziehungen zwischen Bruder
und Schwester für die Kindheit de facto durchbrochen ist. Die Erwachsenen
wissen infolge der überstarken Sexualverdrängung überhaupt
nichts mehr von der kindlichen Sexualität, so dass heute sexuelle
Spiele zwischen Bruder und Schwester nicht als sexuell angesehen werden
und zu den Selbstverständlichkeiten auch der "vornehmsten" Kinderstube
gehören. Der Primitive darf seine Schwester nicht einmal anschauen,
ist aber im übrigen sexuell ungebunden; der Zivilisierte lebt seine
kindliche Sexualität an seiner Schwester aus, ist aber sonst durch
schärfste moralische Gebote gebunden39 ).
Gehen wir nun zur Frage über, inwieweit die
Psychoanalyse
die Dialektik des Seelischen () auch hinsichtlich der allgemeinen
Entwicklung des Individuums in der Gesellschaft aufgezeigt hat. Wir werden
dabei zwei wesentliche Fragen zu behandeln haben.
Erstens, ob die Dialektik des
Seelischen () sich nicht auf den (wieder auflösbaren)
Urgegensatz
von Ich (Trieb) und Außenwelt () zurückführen
lässt.
Zweitens, wie sich die rationale und die irrationale
Betrachtung individueller Gegebenheiten widersprechen
und doch ineinander übergehen ().
Wir führten bereits im ersten Abschnitt die
Auffassung der Psychoanalyse Freuds aus, dass das Individuum in seelischer
Hinsicht als ein Bündel von Bedürfnissen und ihnen entsprechenden
Trieben zur Welt kommt. Mit diesen Bedürfnissen ist es als vergesellschaftetes
Wesen sofort in die Gesellschaft hineingestellt, nicht nur in die engere
Gesellschaft der Familie, sondern mittelbar, durch die ökonomischen
Bedingungen des Familiendaseins, auch in die weitere Gesellschaft. Auf
die einfachste Formel gebracht, tritt die ökonomische Struktur der
Gesellschaft - durch viele Zwischenglieder hindurch: Klassenzugehörigkeit
der Eltern, ökonomische Verhältnisse der Familie, Ideologien,
Verhältnis der Eltern zueinander usw. - in eine Wechselwirkung mit
dem Trieb-Ich des Neugeborenen. So wie dieses seine Umgebung verändert,
wirkt die veränderte Umgebung auf es zurück. Die Bedürfnisse
werden zum Teil befriedigt, insofern herrscht Einklang. Zum größeren
Teil aber entsteht ein Gegensatz zwischen den Triebbedürfnissen und
der gesellschaftlichen Ordnung, als deren Repräsentant wie gesagt
die Familie (später die Schule) fungiert. Dieser Gegensatz ergibt
einen Konflikt, der zu einer Veränderung führt, und da das Individuum
der schwächere Gegner ist, zu einer Veränderung in seiner psychischen
Struktur. Solche Konflikte infolge von Gegensätzen, die bei gleichbleibender
Struktur des Kindes unlösbar sind, entstehen täglich und stündlich
und bilden das eigentlich vorwärtstreibende Element. Man spricht in
der Psychoanalyse zwar von einer Anlage, von Entwicklungstendenzen und
anderem, aber die Tatsachen, die bisher über die frühkindliche
Entwicklung in Erfahrung gebracht wurden, sprechen nur für die oben
geschilderte dialektische Entwicklung, für die Fortbewegung in Gegensätzen
von Stufe zu Stufe. Man unterscheidet Entwicklungsstufen der Libido, sagt,
die Libido "durchlaufe" diese Entwicklungsstufen; aber die Beobachtung
zeigt, dass keine Stufe ohne Versagung der Triebbefriedigung auf der vorhergehenden
wirklich aktiviert wird. So wird die Versagung der Triebbefriedigung durch
den Konflikt, den sie im Kinde erzeugt, der Motor seiner Entwicklung. Wir
vernachlässigen den durch die Vererbung festgelegten Teil an dieser
Entwicklung, den man, wie etwa die Anlage der erogenen Zonen und des Wahrnehmungsapparates,
schwer als solchen rein darstellen kann. Er bildet noch ein recht dunkles
Gebiet biologischer Forschung. Die Frage nach der Natur seiner Dialektik
gehört nicht hierher. Wir haben mit ihm zu rechnen, begnügen
uns aber im übrigen mit der Formel Freuds, dass an der Entwicklung
die Triebanlage in der gleichen Weise wie das Erlebnis beteiligt ist40).
Unter den Erlebnissen nehmen neben den Triebbefriedigungen
die Triebversagungen eine hervorragende Rolle als Motoren der Entwicklung
ein. Der Gegensatz zwischen dem Trieb-Ich und der Außenwelt wird
schließlich zu einem inneren Widerspruch
(), indem sich eben unter dem Einfluss der Außenwelt ein hemmendes
Organ im seelischen Apparat auszubilden beginnt, das Über-Ich. Was
ursprünglich Angst vor Strafe war, wird zur moralischen Hemmung. Der
Konflikt zwischen Trieb und Außenwelt wird zu einem Konflikt zwischen
Trieb-Ich und Über-Ich. Wir vergessen aber nicht, dass beide materieller
Natur sind, dass jenes direkt organisch gespeist ist, dieses letzten Endes
im Interesse der Selbsterhaltung im Ich aufgerichtet wurde. Der Selbsterhaltungstrieb
(Narzissmus) schränkt den Sexualtrieb und die Aggressivität ein.
So treten zwei grundliegende Bedürfnisse, die ursprünglich im
Säuglingsstadium und auch noch später in vielen Situationen eine
Einheit bilden, in Gegensatz zu einander und treiben von Konflikt zu Konflikt
die Entwicklung vorwärts, aber nicht nur anlässlich, sondern
geradezu durch die gesellschaftliche Gebundenheit41 ). Bestimmt
der innere und der äußere Konflikt die Entwicklung ganz allgemein,
so erfüllt das gesellschaftliche Sein sowohl die Triebziele als auch
die moralischen Hemmungen mit ihren zeitgemäßen Vorstellungen
und Inhalten. Die Psychoanalyse kann also den Satz von Marx, dass das Sein
das "Bewusstsein", das heißt die Vorstellungen, Ziele der Triebe,
die moralischen Ideologien usw. bestimmt, und nicht umgekehrt, voll bestätigen.
Sie erfüllt nur noch diesen Satz hinsichtlich der kindlichen Entwicklung
mit konkretem Inhalt. Das schließt aber nicht aus, dass sowohl die
Intensität der Bedürfnisse, die somatisch bedingt ist, als auch
qualitative Differenzen der Entwicklung durch den Triebapparat verursacht
werden. Das ist keine "idealistische Entgleisung", wie mir manche Marxisten
in Diskussionen über diesen Gegenstand vorhielten, sondern entspricht
völlig dem Marxschen Satz, dass die Menschen selbst ihre Geschichte
machen, nur unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen gesellschaftlicher
Natur42). Engels verwahrt sich in einem Briefe ausdrücklich
gegen die Auffassung, dass die Produktion und Reproduktion des wirklichen
Lebens das einzig bestimmende Moment der Entwicklung der Ideologien sein
sollte. Es sei nur das in letzter Instanz bestimmende Moment43).
Ins Soziologische übersetzt, bedeutet die zentrale
These Freuds von der Bedeutung des Ödipuskomplexes für die Entwicklung
des Individuums nichts anderes, als dass das gesellschaftliche Sein diese
Entwicklung bestimmt. Die menschlichen Anlagen und Triebe, leere Formen
für aufzunehmende gesellschaftliche Inhalte, gehen durch die (gesellschaftlichen)
Schicksale der Beziehungen zu Vater, Mutter und Erziehungspersonen durch
und gewinnen erst jetzt ihre endgültige Form und ihre Inhalte.
Die Dialektik der seelischen Entwicklung zeigt sich
nicht nur darin, dass sich aus jeder Konfliktsituation, je nach dem Kräfteverhältnis
der Gegensätze gegensätzliche Ergebnisse bilden können,
sondern die klinische Erfahrung weist auch nach, dass
Charaktereigenschaften in entsprechenden Konfliktsituationen in ihr gerades
Gegenteil umschlagen können, das keimhaft bereits bei der ersten Konfliktlösung
vorhanden war (). Ein grausames Kind kann der mitleidvollste
Mensch werden, nicht ohne dass eine eingehende Analyse im Mitleid die alte
Grausamkeit nachweisen könnte. Das schmutzliebende Kind kann später
ein Reinlichkeitspedant, das neugierige ein peinlich diskreter Mensch sein.
Sinnlichkeit schlägt leicht in Askese um. Ja, je intensiver eine Eigenschaft
zur Entfaltung kommt, desto leichter schlägt sie bei entsprechenden
Anlässen ins Gegenteil um (Reaktionsbildung)
(DialPARb).
Im Fortschreiten der Entwicklung geht aber andererseits
das Alte nicht ganz durch Umwandlung
verloren. Während ein Teil der Eigenschaften sich ins Gegenteil
umbildet, bleibt ein anderer unverändert bestehen, nicht ohne im Laufe
der Zeit formale Wandlungen infolge der Veränderung der Gesamtpersönlichkeit
zu erleiden. Der Freudsche Begriff der Wiederholung
spielt in der Psychologie der seelischen Entwicklung eine große Rolle
und erweist sich bei genauer Betrachtung als durchaus dialektisch44).
Das Wiederholte ist nämlich immer sowohl das Alte als auch durchaus
Neues, Altes in neuem Gewande oder neuer Funktion. Das sahen wir schon
beim Symptom. So ist es aber auch bei der Sublimierung
(DialPAsublim).
Wenn ein Kind, das gern mit Kot spielte, später ebenso gern Burgen
aus nassem Sand baut und als Erwachsener schließlich dazu gelangt,
ein großes Interesse für Bauten zu entwickeln, so ist in allen
drei Phasen das Alte erhalten und doch in anderer Form und anderer Funktion.
Ein anderes Beispiel ist die Geschichte des Chirurgen oder des Frauenarztes;
der erste sublimiert etwa seinen Sadismus im Operieren, dieser seine infantile
Schau- und Tastlust. Die Beurteilung der Richtigkeit dieser Befunde kann
nicht Sache der methodologischen, sondern einzig der empirischen Kritik
sein. Wer keinen Chirurgen analysiert hat, kann diese Behauptung nicht
bestreiten. Aber methodologisch kann er einen wichtigen Einwand erheben,
nämlich die Abhängigkeit der Tätigkeit des Menschen von
den ökonomischen Daseinsbedingungen. Die Psychoanalyse behauptet aber
nicht mehr, als dass diese oder jene Kräfte in der Tätigkeit
wirken45). Neben diesem subjektiven Drang ist die Sublimierungsform
natürlich durchaus ökonomisch bedingt, denn darüber, ob
ein Mensch seinen Sadismus als Schlächter, als Chirurg oder als Detektiv
sublimiert, entscheidet vor allem seine gesellschaftliche Stellung. Es
kann auch eine Sublimierung aus gesellschaftlichen Gründen unmöglich
werden, das führt dann zu einer Unzufriedenheit mit dem gesellschaftlich
aufgezwungenen Beruf. Man muss ferner fragen, wie sich der unleugbar rationale
Charakter der Tätigkeit mit ihrem ebenso unleugbar irrationalen Sinn
verträgt. Der Maler malt, der Techniker baut, der Chirurg schneidet,
der Frauenarzt untersucht doch, um das Leben zu bestreiten, also aus ökonomischen,
aus rationalen Gründen. Überdies ist die Arbeit ein gesellschaftlicher,
also ein durchaus rationaler Faktor. Wie verträgt sich das mit der
Erklärung der Psychoanalyse, dass der Arbeitende in seiner Tätigkeit
einen Trieb sublimiert und so befriedigt? Manche Analytiker schätzen
den rationalen Charakter der menschlichen Tätigkeit nicht gebührend
ein. Man kann bei ihnen eine Weltauffassung feststellen, die in den Produkten
der menschlichen Tätigkeit nichts als Projektionen und Befriedigungen
von Trieben sehen will46). Demgegenüber hat ein Analytiker
einmal Scherzweise bemerkt, das Flugzeug sei ja zwar ein Penissymbol, aber
man könne damit doch von Berlin nach Wien fliegen.
Die Problematik der Beziehungen zwischen Rationalem
und Irrationalem47) ergibt sich auch aus folgendem Tatbestand.
Das Bearbeiten der Erde mit Werkzeugen und das Einpflanzen des Samens haben
gesellschaftlich wie beim Einzelnen den Zweck der Produktion von Lebensmitteln.
Aber es bekommt auch den symbolischen Sinn eines Inzestes mit der Mutter
("Mutter Erde''). Das Rationale zieht das Symbolische heran, es erfüllt
sich mit symbolischem Sinn. Die Beziehung der rationalen Tätigkeit
zum irrationalen symbolischen Sinn dieser Tätigkeit ist gegeben in
der Rhythmik beider Funktionen, im Hineinbohren eines Werkzeuges in einen
Stoff, im Einpflanzen des Samens und in der Produktion einer Frucht durch
den so bearbeiteten Stoff. Die Symbolik ist also gerechtfertigt. Wir sehen
auch, dass das anscheinend Sinnlose einen sinnvollen Kern, die Symbolik
einen realen Hintergrund hat in der Tatsache, dass die Mutter ebenso wie
die Erde nach Bearbeitung mit einem Werkzeug (Penissymbol) Früchte
trägt. Das Aufstellen von künstlichen Phallussen auf bebauten
Feldern im Sinne eines Fruchtbarkeitszaubers, eine objektiv unzweckmäßige
Handlung magischer Natur, die von vielen primitiven Völkern geübt
wird, beleuchtet eine bestimmte Seite der Beziehung zwischen dem Rationalen
und dem Irrationalen: Hier handelt es sich um einen magischen Versuch,
ein bestimmtes Ziel mit irrationalen Mitteln leichter und besser zu erreichen.
Deswegen wird aber das rationale Handeln, in diesem Falle das tatsächliche
Umgraben und Bebauen der Erde, nicht unterlassen. Und das, was im Ackerbau
als symbolisches Element irrational erscheint, nämlich der Geschlechtsverkehr,
ist an sich sinnvoll und zweckmäßig; er dient der Befriedigung
des Sexualbedürfnisses, wie das Säen der Selbsterhaltung dient.
Wir sehen also wieder, dass es keine absoluten Gegensätze
gibt, dass sich auch der Gegensatz von rational und irrational dialektisch
auflösen lässt ().
Die dialektische Tatsache, dass
im Rationalen Irrationales enthalten ist und umgekehrt (),
bedarf näherer Überlegung. Die Antwort darauf kann die psychoanalytische
Erfahrung über klinische Einzeltatsachen geben. Sie zeigt, dass die
gesellschaftlich zweckvollen Tätigkeiten des Menschen symbolischen
Sinn bekommen können, aber nicht müssen. Auch wenn etwa in einem
Traum ein Messer oder ein Baum erscheint, so kann das auch ein Penis -
Symbol sein, muss aber nicht; es kann ein reales Messer oder ein realer
Baum gemeint sein. Und wenn es als Symbol im Traume erscheint, so ist damit
der rationale Sinn keineswegs ausgeschlossen, denn wenn man analytisch
der Frage nachgeht, warum der Penis gerade durch einen Baum oder ein Messer
dargestellt ist und nicht etwa durch einen Stab, so findet man in vielen
Fällen eine rationale Begründung dafür. So masturbierte
eine nymphomane Kranke mit einem Messer, das unzweifelhaft. einen Penis
symbolisierte. Die Wahl des Messers war aber dadurch begründet, dass
ihre Mutter ihr einmal ein Messer nachgeworfen und sie dabei verletzt hatte.
In der Onanie herrschte die Idee vor, dass sie sich mit dem Messer ruinieren
müsse. Dieses Handeln, das später irrational war, war ursprünglich
durchaus rational, es diente nämlich der Sexualbefriedigung. Wir sehen
aus diesen Beispielen und könnten an beliebig anderen zeigen, dass
alles, was im Augenblicke der Betrachtung irrational erscheint, einmal
rationale Funktion hatte. Hat doch jedes Symptom, an sich irrational, einen
Sinn und Zweck, wenn man es analytisch auf seine Entstehung zurückführt.
Das Ergebnis dieser Betrachtung ist, dass alles kindlich¬triebhafte
Handeln, das im Dienste des rationalen Strebens nach Lust steht, zu irrationalem
Handeln wird, wenn es das Schicksal der Verdrängung oder ein ähnliches
erlitten hat. Das Rationale ist also das Primäre.
Nehmen wir etwa das Konstruieren von Maschinen vor,
so finden wir in ihm irrationale Elemente, etwa die symbolische Befriedigung
eines unbewussten Wunsches. In der Sublimierung wurde eine Triebkraft,
die in der Kindheit einmal rational auf Befriedigung gerichtet war, durch
die Erziehung von ihrem ursprünglichen Ziel abgelenkt und auf ein
anderes hingelenkt. In dem Augenblicke aber, wo das ursprüngliche
Ziel real aufgegeben, in der Phantasie aber festgehalten wurde, wurde das
Streben danach irrational. Findet der Trieb in der
Sublimierung ein neues Ziel, so vermengt sich das alte, irrational
gewordene Streben mit dem neuen rationalen Handeln und erscheint hier als
irrationale Begründung dieses Handelns. Das sei schematisch etwa am
sexuellen Wissenstrieb, der sich später in der Tätigkeit zum
Beispiel des Frauenarztes auswirkt, gezeigt.
1. Phase: Der sexuelle Wissenstrieb ist rational auf die Beobachtung
des nackten Körpers und der Geschlechtsorgane gerichtet. Rationales
Ziel: Befriedigung der Wissbegierde.
2. Phase: Versagung der direkten Betätigung; der Trieb verliert
seine Befriedigung, das Streben wird mit Bezug auf das aktuelle gesellschaftliche
Sein irrational.
3. Phase: Der Trieb findet eine neue Betätigung, die mit der ersten
inhaltliche Beziehungen hat. Der Betreffende wird Arzt und betrachtet jetzt
nackte Körper und Geschlechtsorgane wieder wie seinerzeit als Kind.
Er tut also dasselbe und doch etwas anderes; sofern er dasselbe tut wie
als Kind, sofern seine Tätigkeit sich auf die kindliche Situation
bezieht, ist sie aktuell sinn- und zwecklos; sofern sie sich hingegen auf
seine gegenwärtige gesellschaftliche Funktion bezieht, ist sie sinnvoll.
Das bedeutet aber, dass darüber, ob eine Tätigkeit
rational oder irrational ist, ihre gesellschaftliche Funktion entscheidet.
Die Wandlung des Charakters einer Betätigung vom Rationalen zum Irrationalen
und umgekehrt hängt auch von der momentanen gesellschaftlichen Position
des Individuums ab. Die gleiche Betätigung des Arztes, die in seinem
Ordinationsraum sinnlos ist, wird in seinem Privatleben etwa beim Liebesakt
sinnvoll, und was dort sinnvoll war, verliert in derselben privaten Situation
seinen rationalen Charakter.
Diese Erwägungen gestatten aber die Annahme,
dass die Psychoanalyse kraft ihrer Methode, die triebhaften Wurzeln der
gesellschaftlichen Tätigkeit des Individuums aufzudecken und kraft
ihrer dialektischen Trieblehre berufen
ist, die psychische Auswirkung der Produktivkräfte im Individuum,
das heißt die Bildung der Ideologien "im Menschenkopfe", im Detail
zu klären. Zwischen die Endpunkte: Ökonomische Struktur der Gesellschaft
und ideologischer Überbau, deren Kausalbeziehung die materialistische
Geschichtsauffassung im allgemeinen erfasst hat, schaltet die psychoanalytische
Erfassung der Psychologie des vergesellschafteten Menschen eine Reihe von
Zwischengliedern ein. Sie kann zeigen, dass die ökonomische Struktur
der Gesellschaft sich "im Kopfe des Menschen" nicht unmittelbar in Ideologien
umsetzt, sondern dass das Nahrungsbedürfnis, von den jeweiligen ökonomischen
Verhältnissen in seinen Äußerungsformen abhängig,
die Funktionen der weit plastischeren Sexualenergie beeinflusst, und dass
diese gesellschaftliche Einwirkung auf die Sexualbedürfnisse durch
Einschränkung ihrer Ziele immer neue Produktivkräfte in Form
sublimierter Libido in den gesellschaftlichen Prozess überführt.
Teils direkt in Form von Arbeitskraft, teils indirekt in Form von höher
entwickelten Ergebnissen der Sexualsublimierung, wie etwa der Religion,
der Moral im allgemeinen, der Geschlechtsmoral im besonderen, der Wissenschaft
usw. Das bedeutet eine sinnvolle Einordnung der Psychoanalyse in die materialistische
Geschichtsauffassung an einem ganz bestimmten, ihr adäquaten Punkte;
nämlich dort, wo die psychologischen Probleme beginnen, die der Marxsche
Satz aufdeckt, dass die materielle Daseinsweise sich im Kopfe des Menschen
in Ideen umsetzt. Der Libidoprozess in der gesellschaftlichen Entwicklung
ist also sekundär, von ihr abhängig, wenn er auch selbst entscheidend
in sie eingreift,
indem die sublimierte Libido als Arbeitskraft zur Produktivkraft wird.48)
Wenn aber der Libidoprozess49) das Sekundäre
ist, so müssen wir uns nach der historischen Bedeutung des Ödipuskomplexes
fragen. Wir haben gesehen, dass die Psychoanalyse alle
seelischen Prozesse, wenn auch unbewusst, dialektisch auffasst
(), nur der Ödipuskomplex scheint in ihrer Theorie ein Ruhepunkt mitten
in den bewegten Erscheinungen zu sein. Das kann zweierlei Gründe haben.
Entweder wird der Ödipuskomplex unhistorisch als unveränderte
und unveränderbare, in der Natur des Menschen gegebene Tatsache aufgefasst.
Der zweite Grund könnte aber sein, dass sich die Familienform, die
den heutigen Ödipuskomplex begründet, seit Jahrtausenden relativ
unverändert erhält. Der ersten Ansicht scheint Jones50)
zu sein, der in einer Diskussion mit Malinowski51) über
den Ödipuskomplex in der mutterrechtlichen Gesellschaft den Ausspruch
tat, dass der Ödipuskomplex "fons et origo" von allem sei. Diese Auffassung
ist zweifellos falsch, denn die heute entdeckten Beziehungen des Kindes
zu Vater und Mutter als ewige, in jeder Gesellschaft gleich bleibende hinzustellen,
ist nur mit der Auffassung von der Unabänderlichkeit des gesellschaftlichen
Seins vereinbar. Den Ödipuskomplex verewigen heißt, die ihn
begründende Familienform absolut und ewig fassen, was der Meinung
gleichkäme, dass die Menschheit von Natur aus so veranlagt sei, wie
sie uns heute erscheint. Die Annahme des Ödipuskomplexes stimmt für
alle Formen der patriarchalischen Gesellschaft, die Beziehung der Kinder
zu den Eltern ist aber nach den Forschungen Malinowskis in der mutterrechtlichen
Gesellschaft so verschieden, dass sie die Bezeichnung kaum mehr verdient.
Nach Malinowski ist der Ödipuskomplex eine gesellschaftlich bedingte
Tatsache, die ihre Form mit der Struktur der Gesellschaft verändert.
Der Ödipuskomplex muss in einer sozialistischen Gesellschaft untergehen,
weil seine gesellschaftliche Grundlage, die patriarchalische Familie untergeht,
ihre Daseinsberechtigung verliert. Und die beabsichtigte Gemeinschaftserziehung
der Kinder ist für die Bildung von seelischen Einstellungen, wie sie
heute in der Familie zustande kommen, so ungünstig, die Beziehung
der Kinder untereinander und zu den Erziehern derart vielseitiger, bewegter,
dass die Bezeichnung "Ödipuskomplex", die den bestimmten Inhalt hat,
dass man die Mutter begehrt und den Vater als Rivalen töten will,
ihren Sinn verliert. Es ist nur eine Frage der Definition, ob man den realen
Inzest, wie er in der Urzeit bestand, als Ödipus- "Komplex" bezeichnen
will, oder ob man diese Benennung für den versagten Inzestwunsch und
die Rivalität mit dem wirklichen Vater reserviert. Das bedeutet nur
eine Einschränkung der Gültigkeit einer analytischen Grundthese
auf bestimmte Gesellschaftsformen. Es bedeutet aber gleichzeitig die Charakterisierung
des Ödipuskomplexes als einer zumindest in seinen Formen gesellschaftlich,
letzten Endes ökonomisch bedingten Tatsache. Bei der Uneinigkeit,
die unter den Ethnologen herrscht, ist die Frage nach der Herkunft der
Sexualverdrängung derzeit noch nicht zu lösen52).
Freud, der sich in "Totem und Tabu" auf die Darwinsche Theorie der Urhorde
stützt, fasst den Ödipuskomplex als Ursache der Sexualverdrängung
auf. Dabei kommt aber die Betrachtung der mutterrechtlichen Gesellschaft
offenbar zu kurz. Vom Standpunkt der Bachofen- Morgan- Engelsschen Forschung
zeigen sich Möglichkeiten, umgekehrt den Ödipuskomplex beziehungsweise
die ihm zugrundeliegende Familienform als Folge der einmal einsetzenden
Sexualverdrängung aufzufassen. - Wie immer dem sei: Die Psychoanalyse
würde sich gewiss weitere Forschungsmöglichkeiten auf dem gesellschaftlichen
und pädagogischen Gebiete rauben, wenn sie die Dialektik
(), die sie selbst im Seelenleben aufgedeckt hat, für den Ödipuskomplex
negieren wollte53).
Fischer, Gottfried (2011) Psychotherapiewissenschaft. Gießen:
Psychosozial-Verlag. S. 132-134. [m]
"APRIORISCHE METHODIK DER BEGRIFFSANALYSE
Wir haben schon verschiedentlich von der apriorischen
Methodik () Gebrauch nacht, ohne dass die begriffsanalytische
Methodik, die den entsprechenden Themen zugrunde lag, eigens herausgestellt
wurde. Das soll jetzt nachgeholt werden, um anschließend auf die
früheren Themen zurückzukommen und die apriorische Methode dann
explizit daran zu erproben. Zunächst aber wollen wir die Methode nicht
an einem psychologischen Gegenstand, sondern an Themen der Physik, nämlich
an Hegels Analyse der Geometrie und der Grundbegriffe verdeutlichen.
Hegels Begriffsanalyse folgt einer Logik
der »bestimmten Negation« (), die «seinerseits
ein Bestandteil dialektischen Denkens ist. Das Verfahren beginnt mit demjenigen
Allgemeinbegriff, der den jeweiligen Gegenstandsbereich vollständig
erfasst. Daran anschließend wird jener Begriff gesucht und schließlich
gebildet, der das genaue Gegenteil des ersten Begriffs darstellt, allerdings
nicht in irgendeiner Hinsicht, sondern in genau derjenigen Perspektive,
die durch die erste Negation eröffnet wurde. Das ist mit dem Ausdruck
»bestimmte Negation« ()
gemeint.
In der gleichen Weise schreitet die Begriffsentwicklung dann so lange fort,
bis schließlich die vollendete Begriffsbestimmung des Gegenstands
erreicht wurde.
Hegel hat die begriffsanalytische Methode unter
anderem am Beispiel der Geometrie und dem Begriff des Raumes aufgezeigt.
Welcher Begriff bildet vollkommen ab, was wir unter »Raum«
verstehen?
Hegel schlägt dafür das Auseinandersein vor. Die Körper
sind im Raum, und der Raum entspricht in seiner allgemeinsten Bestimmung
dem »Auseinandersein« der Körper. Wie geht es weiter?
Worin besteht die bestimmte Negation in räumlichem Auseinandersein?
Ihr entspricht der ausdehnungslose Punkt, und zwar als Begriff genommen.
Wenn wir grafisch einen Punkt darstellen, so nimmt er immer eine gewisse
Ausdehnung an, die durch unser Schreibgerät verursacht wird. Begrifflich
aber ist der Punkt das ausdehnungslose Zusammensein und darin die »bestimmte
Negation« des Auseinanderseins. [>132]
Raum und Punkt bilden also die beiden Grundbegriffe
der Geometrie, aus denen sich die Fülle der geometrischen Figuren
ableiten lässt. Jetzt schlagen wir wieder ein kleines Training in
dialektischem Denken vor und bitten Sie, den Text abzudecken, der sich
an die folgende Frage anschließt:
Welche Figur entsteht als bestimmte Negation des Punktes?
Antwort (bitte abdecken): Die Linie. Sie
verlängert den Punkt in den Raum hinein und bildet insofern schon
eine erste Synthese der beiden Grundbegriffe von Auseinander-
() und Zusammensein (). Die Linie ist
nicht mehr Punkt, aber sie ist noch kein Raum. Was wäre dann die Negation
der Linie? Als Gedankenbrücke kann folgende Überlegung dienen.
Wir hatten bisher den Punkt in den Raum hinein verlängert, aber noch
keine Figur erreicht, die räumlichen Charakter annimmt. (Bitte decken
Sie wieder den folgenden Text ab!)
Die bestimmte Negation der Linie ist die Fläche.
Sie begrenzt die Linie, indem sie die Fortführung des Punktes ins
Unendliche, welche die Linie ist, unterbricht. Indem dieser gleiche Vorgang
mehrfach wiederholt wird, entsteht eine zwar räumliche Figur, der
aber immer noch das Merkmal allseitiger Ausdehnung fehlt, das der Begriff
»Auseinandersein« impliziert. Es ist also eine weitere Negation
notwendig, um etwas wirklich Räumliches entstehen zu lassen, nämlich?
(Bitte decken Sie erneut den folgenden Text ab!)
Dieses Mal fällt die Bezeichnung für das
Resultat nicht so eindeutig aus wie bisher. Geht man vom Beispiel einer
quadratischen Fläche aus, so entsteht aus der Negation ihrer nur zweidimensionalen
Gestalt als dreidimensionale Figur ein Quader. Allerdings kann die Fläche
auch jede beliebige andere Gestalt annehmen, ebenso wie ihre Negation.
Was als Synthese von Auseinander- und Zusammensein insoweit entstanden
ist, kann als »Raumelement« bezeichnet werden. Es enthält
die Einheit und den Unterschied von Auseinander- und Zusammensein. Allerdings
entspricht dem Raumelement keine anschauliche Gegebenheit. Vielmehr ist
es ein gedankliches Gebilde, das allein auf einer begrifflichen Notwendigkeit
beruht.
Die Kategorienentwicklung des Raumes geht bei Hegel
über in die von Zeit und Bewegung, die bei ihm schließlich -
ca. 100 Jahre vor Einsteins Relativitätstheorie - zu der Aussage führt,
die Lichtausbreitung entspreche der »absoluten Geschwindigkeit«
(Wandschneider 1982; Fischer/Fischer 2008, S. 213ff.). Ähnlich wie
das »Raumelement« entzieht sich auch eine »absolute Geschwindigkeit«’
unserem Anschauungsvermögen. Auch dazu eine Denksportaufgabe: Angenommen,
eine Rakete fliege mit einer Geschwindigkeit, die nur knapp unterhalb der
Lichtgeschwindigkeit liegt. Sie wird von einer Lichtwelle überholt,
die der absoluten [>] Geschwindigkeit entspricht. Mit welcher Geschwindigkeit
überholt das Licht die Rakete? (Bitte decken sie den folgenden Text
ab!)
Die richtige Antwort lautet: Mit absoluter Geschwindigkeit.
Nicht mit dem Differenzbetrag beider Geschwindigkeiten, wie wir von unserer
Anschauungsgrundlage her annehmen würden.
Nun aber von dem, was wir aus Physik und Naturphilosophie
gelernt haben, zur Wissenschaft von der Psychotherapie. Zu welchen Ergebnissen
führt hier die Methode der apriorischen Begriffsanalyse?"
Als Gegenpol zur therapeutischen Beziehung findet
Fischer die Übertragung, S. 133f:
"DIE THERAPEUTISCHE BEZIEHUNG
Als umfassender Allgemeinbegriff zum therapeutischen Geschehen bietet
sich das Konzept der »therapeutischen Beziehung« an, das übrigens
auch in den empirischen Studien als bedeutendster »Wirkfaktor«
von Psychotherapie ermittelt wurde. Die »therapeutische Beziehung«
entspräche dem »Raum« in Hegels spekulativer Physik. Nun
verlangt dieses Konzept nach seinem Gegensatz, seiner bestimmten Negation,
wie nach dem Punkt im obigen Beispiel. Denn wenn die Beziehung in der Psychotherapie
überhaupt eine »therapeutische« Beziehung wäre, wäre
nichts darin wirklich therapeutisch.
Den Gegenpol zur im engeren Sinne »therapeutischen«
Beziehung hatten wir in Abschnitt A als »Übertragung«
bezeichnet. Auf dem Wege der Übertragung gehen pathogene, vortherapeutische
Elemente in die therapeutische Beziehung ein, die mit diesem Begriff ihre
erste Negation erfährt. Als Negation der Übertragung hatten wir
aber das Arbeitsbündnis bestimmt. Aus dem Spannungsfeld und Kontrasterlebnis
zwischen Arbeitsbündnis und Übertragungsbeziehung resultiert
ein therapeutischer Veränderungsschritt beim Patienten, sofern zwischen
beiden Beziehungskomponenten für den Patienten eine »optimale
Differenz« subjektiv erfahrbar wird. Optimal ist die Differenz zwischen
Arbeitsbündnis und Übertragung dann, wenn die neue Erfahrung,
also das therapeutische Arbeitsbündnis, der alten, pathogenen Erfahrung
bis zu einem gewissen Grad nahekommt, indem sie auf den Therapeuten »übertragen«
wird, sich aber dann, in einem bestimmten Moment, deutlich davon abhebt.
Ihre empirische Umsetzung hat diese Begriffsanalyse über Forschungen
zum »Dialektischen Veränderungsmodell«
() (DVM) in Psychotherapie und Psychoanalyse erfahren [>134] (Fischer 1996,
2007, vgl. Abschnitt A dieses Buches). Beim DVM ist insofern das Kriterium
einer Konvergenz von Logik und Empirie erfüllt.
Nun sind durch Begriffsanalyse zwar die Begriffe
als solche logisch-stringent herleitbar, damit allerdings noch nicht ihre
Benennung. Diese muss so gewählt sein, dass sie die logische Stellung
des
Begriffs möglichst präzise wiedergibt. Statt »Übertragung«
könnte man beispielsweise auch eine andere Bezeichnung wählen,
ein Konzept etwa wie »pathologische oder pathogene Beziehungmuster«.
Das wäre allerdings nicht ganz treffend, denn es werden ja nicht nur
dysfunktionale, sondern zugleich auch funktionale Beziehungsmuster übertragen.
Das Arbeitsbündnis wird bisweilen auch als »therapeutisches
Bündnis« oder als »therapeutische Beziehung« im
engeren Sinne bezeichnet. Dergleichen käme als Benennung für
den anvisierten Kontrastbegriff Übertragung auf den ersten Blick durchaus
infrage.
Allerdings spricht vieles dafür, den Begriff
der »Arbeit« als Konkretion der im engeren Sinne therapeutischen
Beziehung zu verwenden. Psychotherapie ist ja keine private zwischenmenschliche
Beziehung, keine wirkliche »Beelterung«, sondern eine Beziehung
professioneller Zusammenarbeit. Und die »Zusammenarbeit« ist
die Grundlage für die therapeutische Begriffsbildung, die vom unbewusst
pathogenen in den selbstbewusst salutogenen Begriff überleitet. »Arbeit«,
so heißt es bei Hegel in der PhdG, »ist aufgeschobene Begierde
oder sie bildet.« Und diese Bildung des unbewussten zum selbstwussten
Begriff hatten wir als Motor wie auch Ergebnis der Psychotherapie kennengelernt
(in Abschnitt C 1)."
Fischer, Gottfried (2005) Von den Dichtern lernen...: Kunstpsychologie und dialektische Psychoanalyse. Königshausen u. Neumann. [i]
Dialektische Psychologie und Psychoanalyse
() By Gottfried Fischer (2010) [m]
Abstract Die Gründe für die bisherige Spaltung zwischen Psychoanalyse
und Hochschulpsychologie in Deutschland werden zum einen in der mangelnden
Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit gesehen, zum anderen in unterschiedlichen
Wissenstypen, die man als dialektisch reflexiv versus statisch nomologisch
bezeichnen kann. Die Kluft überbrücken könnte eine "dialektische
Psychologie" (), die wegen ihrer Behinderungen durch die
herrschenden Dogmen in Ost und West historisch bis jetzt jedoch nur in
wenigen Ansätzen hervorgetreten ist. Für eine fruchtbare Verbindung
von kognitiver Psychologie (Piagetscher Prägung) beispielsweise und
Psychoanalyse muß die implizite Dialektik
() dieser (und anderer) Ansätze begriffen und explizit ausformuliert
werden. Nur so nimmt die Psychologie allmählich die Form eines selbstreflexiven
und dialektischen Wissens () an, das
für die Bewältigung der enormen Herausforderungen der psychologischen
und psychotherapeutischen Praxis so dringend benötigt wird.
Publisher: Germany Year: 2010
Fischer, Gottfried (2008) Psychodynamische Psychotherapie und Traumabehandlung – Definition und Einführung. Erstpublikation dieses Beitrages: Fischer, G. (2005), Psychodynamische Psychotherapie und Traumabehandlung – Definition und Einführung, in: Fischer, G., Eichenberg, C. (Hrsg.), Jahrbuch Psychotraumatologie (2005): Traumabedingte Störungen und ihre Behandlung durch tiefenpsychologische und analytische Psychotherapie, Asanger, Heidelberg, 9-27. [PDF vorh]
Fundstellen "Dialektische Psychologie"
Im Inhaltsverzeichnis
Marketing
Prost, Winfried () Dialektik - die Psychologie des Überzeugens
(eBook / PDF). Gespräche und Verhandlungen erfolgreich führen.
Gabler.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Wissenschaft site:www.sgipt.org. |
noch nicht end-korrigiert
20.11.19 Grundversion
erstmals ins Netz gestellt.
00.10.29 Fortsetzung
der Ausarbeitungen.
03.12.18 Unterbrochen
bis 5.1.19
10.11.18 Zerlegt,
weil zu groß.
07.11.18 Vorläufiger
organisatorischer Abschluss
01.11.18 angelegt